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Am Rio de la Plata

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»Ja, Sennor, Sie haben das Aussehen eines Caballero,« sagte sie; »aber ich bin gewarnt worden.«

»Von wem?«

»Von eben dem Reiter, nach welchem Sie sich erkundigen.«

»Was hat er gesagt?«

»Das darf ich nicht verraten.«

»So thut es mir leid, daß Sie zu einem Bösewicht mehr Vertrauen haben, als zu einem ehrlichen Menschen.«

Ihr Gesicht wurde immer verlegener.

»Mein Gott!« stieß sie hervor. »Dieser Reiter hat auch gesagt, daß er ein ehrlicher Mann sei, Sie aber ein böser Mensch.«

»Das ist Lüge.«

»Er vertraute uns sogar an, daß er ein Kriminalbeamter aus der Stadt Montevideo sei.«

»Weshalb reiste er?«

»Er wollte Ihnen voraus nach Mercedes, damit Sie dort sogleich bei Ihrer Ankunft arretiert werden könnten.«

»Hat er Ihnen gesagt, was ich begangen haben soll?«

»Ja. Sie sind ein Aufrührer und Verschwörer, der das Land in Unglück bringen will.«

Sie haben ihm das natürlich geglaubt. Glauben Sie es denn auch jetzt noch, nachdem Sie mich gesehen haben, Sennorita?«

»O, Sennor, Sie haben gar nicht das Aussehen eines Mannes, welcher so nach Blut trachtet.«

»Nicht wahr? Ich bin ein ganz und gar friedfertig gesinnter Mensch. Ich bin gar nicht hier im Lande geboren, und ich bekümmere mich auch nicht um die Verhältnisse desselben. Ich trachte nach nichts, als nach einem guten Bette, in welchem ich diese Nacht ruhig zu schlafen vermag.«

»Aber das will er nicht. Ich soll Sie nicht im Hause aufnehmen, und sobald die Polizei befiehlt, muß ich gehorchen.«

»Nun, Sennorita, so sehr streng gehorsam sind Sie doch nicht gewesen. Sie haben mir die Betten gezeigt, und uns in Ihrer Freundlichkeit ein gutes Abendessen versprochen?«

»Ja,« lachte sie gezwungen, »konnte ich denn anders? Sie fragten gar so höflich. Sie nannten mich Sennorita, was hier niemand thut, und Sie haben so ein – ein – ein – Wesen wie ein echter Caballero. Es war mir ganz unmöglich, Sie abzuweisen und draußen im Freien schlafen zu lassen.«

Also hatte Ihnen dieser Mann befohlen, es so einzurichten, daß wir unter dem freien Himmel schlafen müßten?«

»Ja, das befahl er mir.«

»Er ist ein großer Lügner, Sennorita. Er ist gar nicht ein Kriminalkommissar, sondern ein Spitzbube, welchen w i r arretieren lassen könnten, anstatt e r uns. Wollen Sie etwa die Verbündete eines solchen Menschen machen?«

»Das fällt mir gar nicht ein. Wenn es so ist, wie Sie sagen, Sennor, so soll er sich ja nicht wieder bei uns sehen lassen. Es würde ihm schlecht ergehen, denn wir verstehen keinen Spaß. Ich glaube Ihren Worten, und gerade weil dieser Kerl uns vor Ihnen gewarnt hat, sollen Sie auf das allerbeste bedient werden. Ich verlasse Sie jetzt, um das Abendmahl zu bereiten, mit welchem Sie hoffentlich zufrieden sein werden.«

Mateo hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; das mußte einen Grund haben. Es war ein milder, wunderschöner Abend. Kein Lüftchen regte sich. Die Yerbateros erklärten, daß es ihnen bei solchem Wetter nicht einfallen könne, im Hause zu schlafen. Ich warnte sie, doch vergeblich. Als wir gegessen hatten, und zwar verhältnismäßig sehr gut, wickelten sie sich in ihre Decken und legten sich unter ein Strohdach nieder, welches zu irgend einem Zwecke auf vier Pfählen neben dem Hause errichtet war. Ihre Pferde ließen sie frei weiden.

Da ich Mateo nicht traute, so brachte ich meinen Braunen in den Corral, welcher mit einer hohen, dichten und stacheligen Kaktushecke umgeben war. Die Magd bewies mir eine ganz besondere Aufmerksamkeit dadurch, daß sie einen Hund zu dem Pferde in den Corral sperrte. Sie versicherte, derselbe werde einen Heidenskandal machen, falls ein Fremder es wagen solle, sich zu dem Pferde zu schleichen.

Das Haus hatte ein ziemlich plattes Schilfdach. Ein Teil desselben war so fest gestützt, daß man darauf stehen konnte. Zu dieser Stelle führte neben meiner Zimmerthüre eine schmale Stiege empor. Man hatte diese Vorrichtung angebracht, um von da oben aus möglichst weit nach Reisenden und wohl auch nach den Herden ausblicken zu können.

Der heutige Ritt hatte mich nicht ermüdet; ich hatte dem Abendessen sehr fleißig zugesprochen und fühlte infolgedessen noch keine Lust, zu schlafen. Darum wanderte ich draußen ein Stück am Ufer des Flusses hin. Glühende Leuchtkäfer irrten um das Gesträuch; große Nachtfalter huschten mir am Gesicht vorüber; unsichtbare Blumen dufteten; die Luft war so balsamisch, so erquickend, und über mir gab es die Sterne des Südens. Ich kam nach und nach in jene Stimmung, welche der Dichter Träumerei nennt, der Laie als Duselei bezeichnet. So spazierte ich weiter und weiter. Endlich kehrte ich doch um, und als ich das Haus erreichte, mochte ich wohl an die zwei Stunden abwesend gewesen sein.

Ich ging leise nach dem Strohdache, unter welchem die Gefährten schliefen. Wenn sie noch wach waren, mußten sie mich kommen sehen. Der Mond stand auf der andern Seite, und der Schatten des Hauses fiel auf das Schutzdach. Es war also hier verhältnismäßig dunkel. Dennoch glaubte ich, als ich näher trat, eine Gestalt zu sehen, welche bei meiner Annäherung unter dem Dache hervorhuschte und hinter dem Hause verschwand. Ich eilte derselben schnell nach.

Als ich um die Ecke gebogen war, stand ich im vollen Mondesscheine. Eine freie, hell beleuchtete Fläche lag, wohl hundert Schritte breit, zwischen dem Hause und einem dichten Distelcamp, welcher von dort aus nach Osten lag. Von dem Augenblicke, an welchem ich die Gestalt zu erblicken meinte, bis jetzt, konnte kein Mensch diese Strecke durchschritten haben. Vielleicht war der Mann schnell am Hause entlang und um die nächste Ecke geflohen. Ich folgte ihm dorthin, sah aber auch da nichts. Ich eilte zweimal um das Gebäude, ohne die Spur eines Menschen zu sehen. Dann ging ich unter das Dach.

Die Yerbateros schliefen fest. Monteso lag ein wenig abseits von den andern und blies den Atem in lauten Stößen von sich. Sollte ich sie wecken? Nein. Ich hatte mich wohl getäuscht. Ihre Gewehre lagen neben ihnen. Ein Dieb hätte wohl zuerst nach denselben gegriffen. Daß sie noch da waren, galt mir als Beweis, daß niemand hier gewesen sei. Ich ging also leise wieder fort, in das Haus, dessen bisher unverriegelte Thüre ich hinter mir verschloß.

Schon wollte ich, in meiner Stube angekommen, die Kleider ablegen, da kam mir der Gedanke, doch lieber erst einmal auf das Dach zu steigen und Umschau zu halten. Bei der Schärfe meiner Augen war es doch wohl möglich, daß ich mich nicht geirrt hatte. Ich nahm mein Fernrohr mit. Es konnte mir nützlich sein, da der Mond alles erleuchtete.

Oben angekommen, hütete ich mich wohl, mich aufrecht auf das Dach zu stellen. Ich hätte von unten gesehen werden müssen. Ich legte mich vielmehr nieder und hielt nach allen Richtungen Ausguck. Nichts, gar nichts Verdächtiges war zu sehen.

Nun nahm ich das Rohr an das Auge und suchte die Umgebung ab. Das Bild, welches die Gläser mir lieferten, war nicht scharf. Dennoch kam es mir vor, als ob an der linken Seite des erwähnten Distelcamps sich eine Gestalt befände, welche zuweilen eine Bewegung machte. Ich zog das Glas weiter aus, und richtig, dort stand ein Pferd. Wo ein Pferd steht, muß auch ein Reiter sein. Die Tiere, welche zu dem Hause gehörten, standen im Corral. Die Pferde der Yerbateros weideten auf der anderen Seite des Hauses. Das Pferd, welches ich sah, gehörte also einem Fremden.

Ich stieg hinab und verließ das Haus, um das Pferd aufzusuchen. Ich erreichte es, ohne einen Menschen gesehen zu haben, und erkannte es sogleich als Mateos Gaul. Um ihm das Entkommen unmöglich zu machen, stieg ich auf und ritt in einem kleinen Bogen nach dem Flusse, wo ich wieder aus dem Sattel sprang und die Zügel an einen Busch befestigte.

Er hatte gewünscht, wir sollten im Freien schlafen; er war von mir vorhin bei den Yerbateros gestört worden. Jedenfalls befand er sich wieder dort. Darum schlich ich mich zum Hause zurück, doch so, daß ich von dort aus nicht gesehen werden konnte. An der Seite angelangt, lugte ich um die Ecke. Ja, dort bei Monteso kniete einer, der sich eben jetzt erhob, um den Ort zu verlassen. Ich sprang vor und auf ihn zu. Er sah mich und rannte fort.

»Ein Dieb, ein Dieb; steht auf, wacht auf!« rief ich und schoß hinter dem Kerl her.

Er rannte auf den Distelcamp zu und um die Ecke desselben. Dort blieb er erschrocken halten, da er sein Pferd nicht sah, nur einige Augenblicke lang, aber das war für mich genug, ihn zu erreichen und beim Kragen zu fassen. Er riß sein Messer aus dem Gürtel, um nach mir zu stechen; ich schlug ihn auf den Arm, daß er es fallen ließ und schleuderte ihn zu Boden. Hinter uns ertönten die Stimmen der Yerbateros.

»Hierher!« rief ich ihnen zu, indem ich auf dem Kerl kniete und ihm beide Hände hielt, damit er nicht nach Schießwaffen greifen könne. Sie kamen herbeigerannt.

»Was ist‘s? Was giebt‘s? Ein Dieb? Wer ist‘s?« so frugen sie durcheinander.

»Der Kriminal-Kommissar ist‘s,« antwortete ich. »Er war bei Ihnen unter dem Dache und muß Monteso bestohlen haben.«

»Mich?« meinte der Yerbatero. »Das soll ihm schlecht bekommen. Ist er es denn wirklich?«

Er bückte sich nieder, um ihm in das Gesicht zu sehen.

Ja, wirklich, er ist es. Da liegt sein Messer. Nehmt ihm die Feuerwaffen ab! Dann führen wir ihn in das Haus.«

Die Bewohner des letzteren hatten unsere Rufe gehört. Sie wunderten sich nicht wenig, als wir den Polizeibeamten brachten. Dieser hatte bis jetzt noch keinen Laut von sich gegeben, machte ein sehr trotziges Gesicht und ließ ein höhnisches Lächeln sehen. Er hörte ruhig zu, als ich erzählte, wie ich ihn schon einmal bemerkt und mich dann seines Pferdes und auch seiner selbst bemächtigt habe.

»Also ein Dieb!« sagte Monteso. »Das wird ihm so ein hundert Lassohiebe einbringen. Kerl, was fällt dir ein, mich zu bestehlen?«

»Schweigen Sie!« gebot jetzt Mateo. »Wie kann es jemanden einfallen, mich für einen Dieb zu halten!«

 

»Brausen Sie nicht auf!« antwortete ich ihm. »Ich habe Sie gleich im ersten Augenblicke durchschaut. Sie sind ein Schwindler, aber kein Polizeibeamter. Warum folgen Sie uns? Was haben Sie bei diesem Sennor zu suchen, während er schläft? Auf eine Dieberei ist es abgesehen.«

»Ich und ein Dieb! Beweisen Sie es doch!«

Drittes Kapitel: Bruder Jaguar

Was ich gehört hatte, erfüllte mich mit Erstaunen. Woher hatte der seltsame Mann, in dem ich wohl das Mitglied einer Missionsgesellschaft zu verehren hatte, diesen Namen? Womit hatte er ihn verdient? Der Jaguar ist das gefürchtetste Raubtier Süd- und Mittelamerikas. Wenn ein Mann Gottes aus dem Munde des Volkes einen solchen Namen erhält, so müssen Gründe dazu vorhanden sein. Jaguar! Wie harmonierte dieses Wort mit der Sanftmut und Milde, welche sein bleiches, bartloses Gesicht so anziehend machte! Ich ahnte, daß ich da vor einem hochinteressanten Geheimnisse stand.

Die Art und Weise, in welcher er mit den Kavalleristen sprach, hatte etwas so Furchtloses, Selbstbewußtes, ja Kriegerisches. Und als er sich zu mir herumgedreht hatte, war ein so eigentümliches Leuchten in seinen Augen gewesen, als ob er sich zutraue, den stärksten und gefährlichsten Feind zu bezwingen. Er wendete sich wieder an das Guckloch und rief:

»Wartet hier! In einer halben Stunde werde ich euch Bescheid sagen. Aber wer nur einen feindseligen Griff wagt, der hat es mit Bruder Jaguar zu thun. Bedenkt das!«

Jetzt verschloß er das Guckloch. Ich war gleich anfangs vom Pferde gestiegen und hatte bis jetzt nicht aufgehört, dasselbe zu liebkosen und zu streicheln, weil es seine Schuldigkeit gethan hatte.

Der Bruder sah das. Er reichte mir die Hand und sagte:

»Ich heiße Sie willkommen, Sennor. Sie halten Ihr Pferd gut. Das ist hier eine große Seltenheit, und ich bin überzeugt, daß Sie ein guter Mensch sind. Kommen Sie herein in die Stube!«

Er öffnete eine schmale Thüre, durch welche wir in den Wohnraum traten, der höher war, als man es gewöhnlich in Ranchos findet, und eine Bretterdecke hatte. Die Glasfenster zeigten keinen einzigen Flecken, und die einfachen Tische und Stühle waren ebenso wie die Diele blitzblank gescheuert. Das mutete einen so heimatlich an. Neben der Thüre hing ein Weihwassergefäß, was ich während dieser Tage noch nirgend anderswo gesehen hatte, obgleich die Staatsreligion der Banda oriental die katholische ist. Gegenüber hing der Spiegel und zu beiden Seiten von ihm die Mater dolorosa und der Erlöser mit der Dornenkrone in nicht üblem Oelfarbendruck. In der Ecke stand ein großer Kachelofen und hinter demselben, in dem Raume, welchen man in einigen Gegenden Deutschlands die „Hölle“ nennt, ein altes, mit Leder bezogenes Sofa. Es war mir ganz so, als ob ich mich in einer thüringischen oder bayerischen Bauernstube befände. Und ebenso wie die Wohnung heimelten mich auch die Besitzer an. Die Frau, welche mich so herzlich bewillkommnet hatte, mochte an die vierzig Jahre alt sein; ihr Mann vielleicht zehn Jahre älter. Beide trugen sich heimatlich gekleidet, ungefähr wie die Leute im Fichtelgebirge. Die Frau hatte offene, lebhafte Gesichtszüge, in denen aber ein Zug der Trauer lag. Der Mann war von behäbigem Aussehen, wie einer, welcher von sich sagen kann: „Ich bin kein reicher Mann, aber was ich brauche, das habe ich, und sogar alle Wochen zwei Groschen mehr.“ Das andere Frauenzimmer, welches mit vor dem Thore gestanden hatte, war eine Dienstperson indianischer Abstammung. Sie war nicht mit in der Stube geblieben, sondern durch eine zweite Thüre gegangen. Das Klirren von Tellern und dergleichen verriet mir, daß dort die Küche liege.

So waren wir zu vier Personen. Während Wirt und Wirtin die Stühle an den Tisch schoben, sagte der Frater:

»Meinen Namen kennen Sie, Sennor. Ich muß Ihnen denjenigen unseres Ranchero sagen, damit Sie wissen, bei wem Sie sich befinden. Sie sind nämlich bei zwei Landsleuten, bei Sennor und Sennora Bürgli.«

»Ah, Sie stammen aus der Schweiz?« fragte ich den Ranchero. »Ihr Name läßt es erraten.«

»Sie vermuten das richtige.«

»Und Sennora ist auch eine Schweizerin?« Ich sprach spanisch, da ich nicht erwarten konnte, daß der Frater deutsch verstehe.

»Nein. Sie ist eine Thüringerin aus der Gegend von Arnstadt,« lautete die Antwort.

»Das habe ich mir nicht gedacht. Ein Schweizer ist hier in der Banda oriental keine Seltenheit, aber daß ich hier am Rio Negro eine Thüringerin treffen würde, das konnte ich nicht erwarten, noch dazu eine Thüringerin, welche mir das Leben rettet!«

»O, so schlimm wird es nicht gewesen sein, Sennor!« meinte sie.

»Doch! Hätten die Bolas mein Pferd gelähmt, so wäre ich verloren gewesen. Man hätte mich erschossen.«

»Wegen Landesverrates?«

»Ja, und wegen Mordes. Zufälligerweise aber war ich derjenige, welcher ermordet werden sollte.«

»Zürnen Sie mir, wenn ich Sie bitte, uns Ihre Erlebnisse mitzuteilen?«

»O nein. Sie haben ein Recht, es zu erfahren.«

Ich erzählte, was ich in den wenigen Tagen erlebt hatte, von dem Augenblicke an, an welchem ich vom Schiff gegangen war, bis jetzt. Sie waren sehr aufmerksame Zuhörer. Als ich geendet hatte, sagte der Bruder:

»Eigentümlich! Es hat nicht ein jeder das Glück oder das Unglück, in so kurzer Zeit so viel zu erleben wie Sie, Sennor. Sie befinden sich wirklich in Lebensgefahr.«

»Wüßte ich nur, wer mir diese wütenden Bolamänner auf den Hals geschickt hat!«

»Vielleicht erfahren wir es noch.«

»Ich habe Rixio im Verdacht.«

»Ich auch. Uebrigens kann es Ihnen, da Sie so schnell weiter und sich hier nicht verweilen wollen, eigentlich gleichgültig sein, wem Sie diese gefährliche Belästigung zu verdanken haben. Die Hauptsache ist, daß Sie von derselben erlöst werden.«

»Das wird schwer fallen.«

»Ich hoffe, daß es mir gelingen wird.«

»Und ich denke, daß sie draußen warten werden, bis ich den Rancho verlasse.«

»So bleiben Sie hier, bis ihnen die Geduld ausgegangen ist!«

»Das wäre schön!« stimmte die Sennora bei. »Sie würden dadurch bei uns eine große Freude anrichten, trotzdem wir jetzt eine große Trauer im Hause haben.«

»Ja, den Sterbenden?« fragte ich.

Ihre Miene verdüsterte sich.

»Es ist ein Oheim von mir,« sagte sie leiser. »Hören Sie ihn nicht draußen in der andern Stube?«

Ich hatte wohl mehreremal ein unterdrücktes Aechzen und Stöhnen gehört, aber nicht darauf geachtet.

»Ist er sehr krank?« fragte ich.

»An Leib und Seele,« antwortete sie. »Leiblich kann er nicht genesen; es sind ihm wohl nur noch wenige Tage beschieden, vielleicht nur Stunden. Und doch ist die andere Krankheit noch schlimmer, denn er will den Arzt nicht zu sich lassen und von keiner Arznei etwas wissen.«

»Das ist freilich traurig. Ist er vielleicht ohne Glauben?«

»Das eigentlich nicht. Aber es scheint ihn etwas schwer zu drücken, irgend eine Schuld oder sonst eine Last, welche er vor seinem Tode von sich abwälzen möchte, ohne doch den Mut dazu zu haben. Er hat sich viel im Westen, im Gebirge umhergetrieben. Womit er sich da beschäftigte, wissen wir nicht genau. Er sagt, daß er nach vorsündflutlichen Tieren grabe. Dabei hat er sich ein kleines Vermögen gesammelt, mit welchem er für uns diesen Rancho kaufte. Er befindet sich fast das ganze Jahr in den Cordilleren und kommt nur hie und da einmal auf einige Wochen, um sich auszuruhen. Als er jetzt kam, es ist vor fast zwei Monaten, erschraken wir über sein Aussehen. Er glich einer Leiche. Von da an hat er seine Stube nicht mehr verlassen und ist wie das Abbild des Todes. Er weiß genau, daß er sterben muß.«

»So geben Sie sich alle Mühe, ihn dahin zu bringen, daß er sein Herz erleichtere! Es hängt die Seligkeit daran!«

»Sie haben recht, Sennor,« sagte der Bruder, indem er mir die Hand drückte. Er hielt inne, denn draußen vor dem Thore erhob sich ein wahrer Heidenskandal. Der Ranchero griff zu seinem Gewehre, welches an der Wand hing, aber der Frater sagte:

»Lassen Sie, Sennor Bürgli! Waffen werden wohl nicht nötig sein. Ich glaube, diese Leute bändigen zu können. Aber Sie können mit herauskommen.«

Wir gingen in den Hof, in welchem mein Pferd sich nicht mehr befand. Ein Peon hatte es nach der andern Seite des Hauses geführt, wo die auch von Kaktusgehegen eingeschlossene Pferdeweide sich befand. Sie war von außen ebenso unzugänglich, wie der für die Rinder bestimmte Platz, welcher vorhin erwähnt wurde. Man schlug gegen die Thüre, und zehn, zwanzig Stimmen brüllten um Einlaß. Der Bruder öffnete das Guckloch abermals; es wurde still, und ich hörte den Major wieder reden:

»Zum Teufel, wie lange sollen wir warten! Es ist viel mehr als eine halbe Stunde vergangen!«

»So reitet weiter, wenn ihr keine Zeit zum Warten habt!«

»Wir werden reiten, aber ohne den Deutschen nicht! Gebt ihn heraus!«

»Das thun wir nicht.«

»Mann Gottes, bekümmere dich nicht um irdische Dinge! Ich befinde mich auf dem Wege nach meiner Garnison. Ich werde dort erwartet und muß Sie allen Ernstes ersuchen, uns hier nicht aufzuhalten.«

»Kein Mensch hält euch auf, Sennor. Reitet fort, so schnell ihr könnt! Ihr thut uns und vielen andern damit einen großen Gefallen!«

»Ohne den Deutschen nicht!«

»Den bekommt ihr nicht. Er befindet sich unter meinem ganz speziellen Schutz!«

»Ich frage nicht nach diesem Schutz und erkenne ihn auch nicht an,« fuhr der Major fort. »Ich gebe Ihnen noch fünf Minuten Zeit. Ist bis dahin der Deutsche nicht ausgeliefert, so werdet Ihr sehen, daß wir uns ihn holen!«

»Ihr würdet nur in Euer Verderben rennen, Sennor!«

»Oho! Glaubt Ihr, daß er so sicher bei Euch ist, weil Sie ein Bruder sind? Das bilden Sie sich nicht ein. Ihre Amtswürde ist uns sehr gleichgültig. Wenn Sie uns widerstreben, so machen wir Sie ebenso nieder, wie jeden andern!«

»So machen Sie Ernst! Versuchen Sie es! Ich will Ihnen die Gelegenheit dazu geben.«

Er verschloß das Loch und griff nach den Riegeln. Die beiden schweren Balken flogen zurück, als ob sie Bleistifte seien. Der Frater mußte wahre Riesenkräfte besitzen. Dann öffnete er die beiden Flügel des Thores, so weit es möglich war. Wir konnten hinaussehen und die Kavalleristen herein. Wir sahen sie und sie uns.

»Dort steht der Hund, der mir den Säbel zerbrochen hat!« rief der Major. »Drauf, Leute!«

Er war ein ganz anderer geworden. Als ich sein Gefangener war, hatte er mich mit wirklicher Höflichkeit behandelt. Jetzt aber war er rücksichtslos. Er hatte seine Pistolen wieder gefunden. In jede Hand eine nehmend, schritt er auf den Frater zu. Seine Leute folgten ihm zögernd. Der Bruder stand mitten in der Thoröffnung, hoch aufgerichtet und stolz.

»Zurück!« gebot er.

Die Bolamänner blieben stehen; der Major aber gehorchte nicht; er schritt weiter.

»Zurück, oder – —!« wiederholte der Bruder, indem er den Arm gebieterisch erhob. Jetzt hielt auch der Offizier den Schritt an. Ich konnte das Gesicht des Bruders nicht sehen; es mußte in demselben ein Ausdruck liegen, welcher dem Major imponierte. Er getraute sich nicht, an ihm vorüberzugehen, doch rief er in zornigem Tone:

»Nun gut, ich will nicht ohne Erlaubnis ein fremdes Haus betreten. Da Sie mir aber den Deutschen nicht ausliefern wollen, so mag die Sache schnell zu Ende gehen. Die Exekution mag gleich jetzt und hier stattfinden.«

Er erhob den Arm, um mit der Pistole auf mich zu zielen.

»Halt! Nieder mit der Waffe!« donnerte der Frater ihn an.

Der Major erschrak wirklich vor dieser Stimme. Er ließ den Arm sinken, schien sich aber doch zu schämen, denn er richtete die Waffe von neuem auf mich und sagte:

»Pah! Ich lasse mir nichts befehlen, am allerwenigsten von einem Mönche. Dieser Deutsche soll zur Hölle fah – —«

Er kam nicht weiter, denn in demselben Augenblicke hatte er keine Pistole mehr. Der Bruder hatte sie ihm blitzschnell aus den Händen gerissen und warf sie in den Hof herein. Dann packte er den Major an beiden Armen, drückte sie ihm fest an den Leib, hob ihn empor und trug ihn wie eine Puppe herein. Neben der Thüre stand eine aus gestampfter Erde bestehende Bank. Auf diese steifte er den Offizier auf und fuhr ihn an:

»Hier bleibst du sitzen, Mann! Sobald du aufstehst, spreche ich noch anders mit dir!«

Er kehrte an das Thor zurück, machte es zu und schob die beiden Riegel vor, ohne daß einer der Kavalleristen es gewagt hätte, ihn daran zu hindern. Der Major saß gehorsam und bewegungslos da wie ein Kind. Jetzt hatte ich gesehen, worin die Macht des Fraters lag, nämlich in seinen Augen. Diese hatten einen Glanz angenommen und einen Blick gehabt, welche beide ganz unbeschreiblich waren. Der rätselhafte Mann trat jetzt wieder an die Bank heran und sagte, indem er die Arme über der Brust kreuzte:

 

»So, jetzt haben Sie Ihren Willen, Sennor. Sie haben Einlaß erhalten und sehen den, dessen Auslieferung Sie verlangen, neben mir stehen. Sagen Sie mir, was Sie mir zu sagen haben, denn ich habe nicht Zeit, lange mit Ihnen zu verhandeln!«

»Das geht mich nichts an!« knurrte der Major grimmig. »Ich bleibe hier im Rancho, so lange es mir gefällt.«

»Oder vielmehr, so lange es mir gefällt! Denn wenn ich Sie nicht mehr hier sehen will, so werfe ich Sie über die Mauer hinaus. Sehen Sie, ungefähr so!«

Er faßte ihn an den beiden Hüften, hob ihn empor und schwenkte ihn hin und her, daß der Mann voller Angst schrie:

»Dios mio! Wollen Sie mich denn schon jetzt hinauswerfen, Sennor? Da gehe ich doch lieber selber!«

»Wenn Sie das thun wollen, so beeile ich mich, Ihnen zu erklären, daß Sie weder bleiben können, so lange es Ihnen beliebt, noch gehen dürfen, sobald es Ihnen paßt. Seit ich Sie hierher auf diese Bank gesetzt habe, besitzen Sie keinen freien Willen mehr, da Sie unser Gefangener sind.«

Der Major starrte ihn erschrocken an, dann fuhr er von der Bank auf und rief:

»Was fällt Ihnen ein, mich für Ihren Gefangenen zu erklären! Welches Recht haben Sie dazu?«

»Dasselbe Recht, welches Sie hatten, diesen deutschen Sennor und seinen Gefährten gefangen zu nehmen, nämlich das Recht des Stärkeren. Ich füge hinzu, daß unser Recht eine weit bessere Begründung hat als das Ihrige.

Die beiden Sennores hatten Ihnen gar nichts gethan, als Sie sich derselben bemächtigten; Sie aber hatten uns mit Ihren Pistolen und sogar mit Einäscherung dieses Rancho bedroht, bevor ich Sie gefangen nahm.«

»Sennor, ich bin Major und werde nächstens Oberst sein!«

»Das ist mir völlig gleichgültig. Sie haben Ihre Uniform und Ihren Rang befleckt. Sie haben Privatpersonen ergriffen und eine derselben hinrichten wollen; Sie sind also Polizist und Henker in einer Person gewesen. Wenn Sie glauben, dies mit Ihrer militärischen Würde vereinbaren zu können, so muß ich dagegen andrer Meinung sein. Uebrigens flößt mir diese Würde nicht den geringsten Respekt ein, da Ihnen Ihr Säbel zerbrochen worden ist, was ja bekanntlich für die größte Beleidigung gilt, welche einem Offizier widerfahren kann.«

»Sennor!« brauste der Major auf, indem er die Hand ballte.

»Still! Mäßigen Sie sich, und setzen Sie sich gefälligst nieder! Sie dürfen nur dann, wenn ich Ihnen die Erlaubnis dazu erteile, sich von Ihrem Platze erheben, denn Sie haben keinen Willen mehr.«

Er drückte ihn wieder auf den Sitz nieder. Der Major wußte sichtlich nicht, ob er sich zornig oder nachgebend verhalten solle. Das erstere wäre unklug und das letztere gegen seine Ehre gewesen. Er machte überhaupt ganz und gar nicht den Eindruck eines „schneidigen“ Kavallerieoffiziers. Seine Beinkleider waren bis zum Sitze durchnäßt, und an dem Fracke fehlte das große Stück, welches ich ihm losgerissen hatte.

»Aber was haben Sie denn mit mir vor?« fragte er.

»Wir werden Sie wegen Bedrohung des Lebens eines Mitmenschen und ebenso wegen Bedrohung mit Brandstiftung zu einer diesen Verbrechen entsprechenden Strafe verurteilen.«

»Donnerwetter! Sie – mich?«

»Jawohl. Nebenbei gesagt, bitte ich Sie, ähnliche Wörter und Flüche, wie ich jetzt hörte, zu unterlassen! Sie sind das mir schuldig.«

»Aber was fällt Ihnen ein! Sie wollen sich zum Richter über mich setzen?«

»Gewiß! Warum etwa nicht?«

»Sie haben doch nicht das geringste Recht dazu!«

»Ich habe dazu wenigstens ganz dasselbe Recht, welches Sie sich anmaßten, als Sie heute ein Kriegsgericht konstituierten. Ich kenne die Rechtsverhältnisse dieses Landes und weiß sehr genau, daß Sie sich einen Uebergriff erlaubten. Ja, dieser Uebergriff war eigentlich eine Anmaßung, eine Gewaltthätigkeit, für welche Sie hart bestraft werden, falls die beiden Betreffenden Anzeige erstatten.«

»Sennor, vergessen Sie ja nicht, mit wem Sie reden! Ich habe Ihnen meinen Namen und Grad genannt!«

»Ich sage Ihnen aufrichtig, daß ich Ihnen keinen Glauben schenke.«

»Donnerw – — wollte sagen, ja, was wollte ich sagen? Was ich da hörte, das ist so stark, daß ich mich fragen möchte, ob ich es wirklich gehört habe!«

»So will ich es wiederholen: Ich glaube nicht, daß Sie derjenige sind, für den Sie sich ausgeben.«

»Sennor, wissen Sie, welch eine Beleidigung Sie da ausgesprochen haben?«

»Sehr wahrscheinlich ist es gar keine Beleidigung. Die Armee der Banda oriental zählt nicht nach Hunderttausenden. Sie ist nicht so stark, daß man die Zahl und Namen ihrer Stabsoffiziere nicht zu übersehen vermöchte.

Ich rühme mich, die Namen sämtlicher dieser Herren zu kennen; ein Major Cadera aber ist nicht dabei.«

»So sind Sie ungenügend unterrichtet!«

»Bitte, wenn ich mich einmal unterweisen lasse, so pflege ich das genügend zu thun. Wohl aber kenne ich einen Sennor Namens Enrico Cadera. Er ist ein argentinischer Parteigänger, von welchem mir erzählt wurde, daß er jetzt zu irgend einem noch unaufgeklärten Zwecke Truppen sammle. Er rekrutiert an den Ufern des Uruguayflusses und soll es sogar einigemale gewagt haben, das diesseitige Gebiet zu betreten. Sonderbarerweise haben dann allemal die Herdenbesitzer derjenigen Gegenden, welche er mit seinem Besuche beehrte, beträchtliche Verluste an Pferden erlitten, welche ihnen fortgetrieben worden sind.«

Es war ein etwas ängstlicher Blick, welchen der Major auf den Frater warf, als er sagte:

»Von diesem Manne habe ich noch nichts vernommen. Ich kenne ihn nicht.«

»Wie? Sie als Major sollten von einem solchen Parteigänger nichts gehört haben? Das wäre erstaunlich. Sind Sie wirklich Stabsoffizier, so müssen Sie unbedingt benachrichtigt worden sein, daß wegen dieses Enrico Cadera ein Truppenkommando an den Uruguay gesandt worden ist, um derartige Uebergriffe zurückzuweisen. Mein Zweifel an Ihrer Identität wird also immer größer. Ueberdies befürchte ich, Sie werden von der Veröffentlichung Ihrer heutigen Heldenthaten wenig Ruhm haben.«

»Desto größer wird die Strafe sein, welche man Ihnen diktieren wird! Es versteht sich ja ganz von selbst, daß ich Sie vor den Strafrichter bringe!«

»Dazu werde ich Ihnen behilflich sein. Ich bin entschlossen, einen Boten nach Mercedes zu senden, welcher die dort stehenden Truppen herbeiholt, damit ich von denselben arretiert werden kann. Da dies für Sie eine Genugthuung sein wird, welche ich Ihnen aufrichtig gönne, so werde ich Sie, wenn nötig mit Gewalt, veranlassen, bis zur Ankunft dieser Leute hier zu bleiben.«

Dem Major kam die Selbstbeherrschung abhanden. Man sah, daß er erschrak.

»Alle Teufel! Das werden Sie bleiben lassen!« rief er aus.

»Glauben etwa Sie, mich zwingen zu können, diesen meinen Vorsatz aufzugeben?«

»Ja. Nötigenfalls werden meine Leute diesen Rancho mit Gewalt stürmen, um mich zu befreien!«

»Sie wollen Gewalt anwenden, um von hier fortzukommen? Sie fürchten also die Ankunft unseres Militärs? Damit liefern Sie den unumstößlichen Beweis, daß meine vorhin ausgesprochene Vermutung richtig ist. Sie sind der Anführer von Freibeutern, deren Treiben ungesetzlich ist. Kommen Sie mit herein in die Stube! Ich werde sofort einen Boten absenden, und Sie haben die Güte, bis zur Rückkehr desselben hier zu verweilen.«

»Was muten Sie mir zu! Ich werde Ihnen zeigen, was ich zu thun beabsichtige oder nicht, und zwar gleich!«

Er schnellte von seinem Sitze auf und sprang nach der Stelle, an welcher seine beiden Pistolen lagen, welche der Bruder hereingeworfen hatte. Ich war darauf gefaßt gewesen, that einen Sprung, kam ihm zuvor und schleuderte ihn zurück, so daß er mit einem lauten Schlage auf die Bank flog. Das brachte ihn außer sich. Er fuhr schnell wieder auf, stieß einen grimmigen Fluch aus und wollte sich auf mich werfen. Aber der Frater faßte ihn wie vorher an den Armen, drückte ihm dieselben an den Leib und steifte ihn abermals auf die Bank zurück.