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Am Rio de la Plata

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»Machen wir einen Versuch?«

»Er könnte nicht gelingen. Denken Sie nur, daß ich jeden Schritt Ihrer Riesenstiefel hören müßte, selbst wenn Sie noch so leise aufzutreten suchten.«

»Warten Sie es ab! Wir haben zwar keine ägyptische Finsternis, aber Abend ist es doch und leidlich dunkel. Ich werde mich nach jener Ecke, da rechts, entfernen. Sie legen Ihren Hut hier neben sich auf die Stelle, an welcher ich jetzt sitze. Ich komme und hole ihn, ohne daß Sie es bemerken.«

»Ja, thun Sie es! Aber fertig bringen Sie es nicht.«

»Ich bringe es, obgleich sich der Hut viel leichter holen läßt, wenn der Besitzer nichts davon weiß. Ich mache aber natürlich die Bedingung, daß Sie ihn nicht festhalten.«

»Das versteht sich!«

»Sobald Sie merken, daß ich da bin und ihn wegnehme, sagen Sie es; aber nach dem Hute dürfen Sie dabei nicht greifen. Von dem Augenblicke meiner Entfernung an bis zum Ende des Versuches dürfen Sie ihn nicht berühren. Sobald Sie aber merken, daß ich da bin, sagen Sie es, und ich habe verloren.«

»Gut! Die Sache ist interessant. Ich werde natürlich aufpassen wie eine Eule auf die Fledermäuse.«

Er saß zu meiner Rechten. Ich stand auf, und er legte seinen Hut auf meinen Platz. Es war so dunkel, daß er ihn nicht sehen konnte. Der Mond kam erst später. Der Hut lag ihm zur Linken, und ich ging nach der Ecke, welche zu seiner rechten Hand lag. Also mußte ich an ihm vorüber, wenn ich den Hut holen wollte. Das sagte er sich, und darum war er sicher, daß er mich ertappen werde. Ich aber war ganz anderer Meinung. Ich ging zwar mit lauten Schritten nach rechts hin, mußte aber von seiner linken Seite herkommen, um den Hut zu erhalten. Darum war ich gezwungen, einen Umweg zu machen und mich am Thore vorüber und den Zaun entlang nach der linken Ecke schleichen. Dies that ich denn auch, indem ich mich lang am Boden ausstreckte und nur auf den Fingern und Fußspitzen ging. Das war ganz leicht. Der Boden war sandig und feucht; es gab nicht das geringste Geräusch.

Um ihn nun zu täuschen, als ob ich wirklich von rechts komme, und um seine ganze Aufmerksamkeit dorthin zu lenken, nahm ich alle drei oder vier Schritte ein Sandsteinchen auf und warf es nach dieser Richtung. Er hörte das und freute sich darauf, mich abfassen zu können, denn er glaubte, daß mein Heranschleichen dieses Geräusch verursache. Auf diese Weise erreichte ich seine linke Seite und kam an die Bank. Ich hätte den Hut nehmen können, machte mir aber das Vergnügen, noch einige Steinchen über ihn weg zu werfen. Er drehte sich ganz nach der rechten Seite, denn er glaubte mich nahe. Das gab mir Gelegenheit, den Hut zu ergreifen und mich wieder auf den Platz zu setzen, den ich vorher eingenommen hatte. Er lauschte angestrengt, doch ließ sich nichts mehr hören.

»Sie warten wohl immer noch auf mich?« fragte ich.

Er fuhr ganz erschrocken herum.

»Ist es möglich! Sie sind da? Ich hörte doch nichts!«

Ich beschrieb ihm, wie ich es gemacht hatte, behielt aber dabei seinen Hut in der Hand und schlang mir den Lasso von der Hüfte los. Während ich sprach, band ich das eine Ende des letzteren an das Hutband fest.

»Ja, wenn Sie es in dieser Weise gemacht haben!« meinte er. »Da bringe ich es auch fertig!«

»Jetzt bin ich es, welcher zweifelt. Mich würden Sie nicht täuschen.«

»O doch!«

»Nein. Ich würde das Geräusch eines geworfenen Sandkornes von demjenigen eines Menschenschrittes sofort unterscheiden. Uebrigens wirkt jede List dadurch, daß nur der sie kennt, welcher sie ausübt. Darum ist man im Leben der Wildnis gezwungen, stets neue Listen zu entdecken.«

»Mit einer zweiten würden Sie mich nicht täuschen.«

»Wollen wir es versuchen, Frater Hilario?«

»Ja, ich bitte Sie darum.«

»Nun gut. Aber passen Sie genau auf!«

»Daran soll es nicht fehlen. Wenn Sie auch jetzt Erfolg haben, gebe ich zu, daß Sie der beste Jäger sind, den ich gesehen habe.«

»Schön. Hier ist Ihr Hut. Ich stehe auf und lege ihn wieder an dieselbe Stelle, an welcher er vorhin lag und ich jetzt gesessen habe. Wollen Sie sich überzeugen, daß er da liegt!«

Ich hatte den Hut wirklich hingelegt und trat vier oder fünf Schritte von der Bank zurück, indem ich aber den Lasso in der Hand behielt.

»Er liegt da,« sagte er, ohne sich zu rühren.

»Ueberzeugen Sie sich besser, denn Sie sehen ihn ja nicht. Fühlen Sie danach!«

Er that es.

»Ja, hier liegt er. Es ist gewiß.«

Es war gewagt von mir, ihn nach dem Hute greifen zu lassen. Wenn er den Lasso berührte, war der Streich verraten. Glücklicherweise geschah dies nicht.

»Passen Sie also auf!« fuhr ich fort. »Ich werde wieder nach derselben Ecke rechts gehen. Sie berühren den Hut nicht, fassen aber sofort nach mir, wenn ich denselben nehmen will. Verstanden?«

Ich sagte das geflissentlich laut und hustete dabei einigemal, damit er nicht hören sollte, daß ich während des Sprechens den Hut von der Bank weg und zu mir herüberzog.

»Keine Sorge!« sagte er. »Werde schon aufpassen. Geben Sie sich nur Mühe!«

Ich ging lauten Schrittes nach der Ecke, band den Hut los, stäubte ihn ab und schlang mir den Lasso wieder um die Hüften. Dann legte ich mich auf den Boden und kroch nach der Bank. Jetzt war er ganz überzeugt, daß ich ebenso wie vorhin von der linken Seite kommen werde. Daher richtete er seine ganze Aufmerksamkeit nach dieser Seite. Ich erreichte die Bank und richtete mich neben ihm auf. Mich an die Wand lehnend, zog ich eine Cigarre hervor, strich ein Zündholz an und sagte:

»Jetzt kann ich wieder rauchen, denn den Hut habe ich.«

»Wirklich!« rief er und griff nach der Stelle, von welcher der Hut verschwunden war.

»Ja, da sitzt er auf meinem Kopfe. Hier haben Sie ihn wieder, Frater Hilario.«

»Unbegreiflich! Ich schaute nach links, und da stehen Sie rechts. Aber wie ist denn das zugegangen?«

»Das mag einstweilen mein Geheimnis bleiben. Sie sehen, daß es sehr leicht möglich ist, sich Ihnen zu nähern und Ihnen sogar den Hut zu nehmen, ohne daß Sie es bemerken. Glauben Sie nun, was Sie vorhin bezweifelten, nämlich, daß ich mich in nächtlicher Finsternis von draußen hereinmachen und neben Sie setzen würde, ohne daß Sie es bemerken?«

»Ja, jetzt glaube ich es.«

»Nun werden Sie wohl auch meiner Ansicht sein, daß ich mich schwerlich von Ihren Indianern überlisten lassen würde. Ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich mich auf den wilden Chaco freue, besonders da ich ihn und seine Indianer an Ihrer Seite kennen lernen soll.«

»Sind auch die andern verlässige Leute?«

»Ich kenne sie nicht und habe sie noch nicht prüfen können. Als Yerbateros sind sie jedenfalls tüchtig.«

»Hm! Sie sagten vorhin, daß sie zu anderen Zwecken nach jener Gegend wollten, und ich weiß nicht, ob das Können eines Yerbatero diesen Zwecken gewachsen ist.«

»Ich verstehe, Bruder Hilario! Der Zweck, welchen sie verfolgen, soll geheim gehalten werden. Aber Sie werden uns begleiten und doch bald erraten, um was es sich handelt. Sie wollen einen berühmten Sendador aufsuchen, um mit ihm in die Cordillera zu gehen und nach vermauerten und versenkten Schätzen zu suchen.«

»Und Sie gehen mit?«

»Ja. Ich soll, sozusagen, den Ingenieur dieses Unternehmens machen.«

»Worin sollen diese Schätze bestehen?«

»Aus Gefäßen, Schmucksachen und ähnlichen Dingen aus der Inkazeit.«

»Weiß man die Orte?«

»Man hat Pläne derselben.«

»Von wem?«

»Der Sendador hat sie von einem Padre geerbt, welcher unterwegs in der Cordillera gestorben ist.«

Er hatte ruhig gefragt und ich ihm auch unbefangen geantwortet. Ich wußte ja nicht, ob er von dem Kranken erfahren hatte, daß auch ich von der Angelegenheit wisse. Jetzt sagte er:

»Wollen nicht Versteckens spielen! Sie wissen, daß mir diese Angelegenheit nicht unbekannt ist?«

»Ich denke es mir. Der Kranke hat sich Ihnen jedenfalls anvertraut.«

»Ich kann darauf jetzt nicht antworten. Doch werde ich zu einer gewissen Zeit und unter gewissen Verhältnissen und Umständen sprechen. Ich bin entschlossen, mit den Yerbateros zu reisen. Ich muß diesen Sendador sehen. Doch warne ich Sie, den ersteren und am allerwenigsten dem letzteren etwas ahnen zu lassen. Mein Weg hätte mich für dieses Mal über Santa Fé und Santiago nach Tucuman geführt. Es ist mir kein Opfer, ein wenig nach links und in den Gran Chaco abzuschweifen. Wir brechen frühzeitig auf, und ich bekomme da gleich Gelegenheit, die fünf andem Männer kennen zu lernen, mit denen wir reisen werden. Jetzt möchte ich einmal nach dem Kranken schauen.«

Dieser schlief noch immer. Er schlief auch noch, als wir das Abendbrot eingenommen hatten; den Priester konnten wir erst nachts erwarten. Dann saßen wir ernst beieinander und sprachen von der Heimat, an welcher das Herz des Deutschen selbst dann noch hängt, wenn er sich eine Existenz in der Ferne gegründet hat. Gegen Mitternacht hörten wir seinen leisen Ruf. Der Frater ging hinaus zu ihm und holte dann das Ehepaar. Ich hörte eine Zeit lang den unterdrückten Ton ihrer Stimmen. Dann wurde es still. Später kamen sie zu mir zurück, die beiden weinend und der Bruder mit dem Gesichte eines Heiligen.

»Er ist entschlafen, ehe der Priester kam,« sagte er. »Requiescat in pace! Er ging von uns voller Vertrauen auf die Gnade des Allbarmherzigen. Leben heißt kämpfen; sterben heißt siegen. Preis sei Gott, der uns den Sieg verliehen hat durch Jesum Christum, unsern göttlichen Heiland!«

Die Trauer um den Toten war tief und aufrichtig; doch trat die profane Notwendigkeit in ihre Rechte. Es war nicht mehr so zeitig, wie wir aufzubrechen beschlossen hatten. Bürgli machte uns den Vorschlag, nicht unsere Pferde, sondern zwei der seinigen zu nehmen. Der Frater wollte bei dem Begräbnisse zugegen sein, und auch ich wurde gebeten, teilzunehmen. Da konnten wir die Pferde zurückbringen. Bürgli wollte den Geistlichen bitten, einen Tag bei ihm zu verweilen. Unterdessen hatten die unseren ausgeruht und waren größeren Anstrengungen sofort gewachsen. Natürlich gingen wir gern auf dieses Anerbieten ein, und der Abschied war ein zwar sehr herzlicher, aber kurzer, da wir ja sehr bald wiederkommen wollten. Wir ritten nur ganz kurze Zeit auf dem Wege, auf welchem ich mit Monteso als Gefangener gekommen war. Die Bolamänner hatten so viel wie möglich alle im geraden Wege liegenden Siedelungen vermieden und waren aus diesem Grunde oft zu Umwegen gezwungen gewesen. Wir aber hatten das nicht nötig.

 

Bruder Hilario kannte die Gegend sehr genau. Er wußte alle Terrainschwierigkeiten zu vermeiden, und da wir die geradeste Richtung einschlugen, ritten wir zwei volle Stunden weniger, als ich mit den Kavalleristen gebraucht hatte.

Es war nicht viel über die Mittagszeit, als wir die Estanzia del Yerbatero erreichten. Dort sprangen wir von den Pferden, übergaben dieselben den Peons und gingen in das Haus. Droben im Empfangszimmer fanden wir einen Herrn, welcher uns fragend entgegenblickte. Seine Züge waren denjenigen des Yerbatero so ähnlich, daß ich in ihm sogleich Sennor Monteso, den Haziendero erkannte.

»Willkommen, Sennores!« sagte er, indem er uns musternd betrachtete. »Aus Ihrer ledernen Kleidung, von welcher man mir gesagt hat, muß ich vermuten, daß Sie der deutsche Herr sind, mit welchem mein Bruder fortgeritten ist?«

»Der bin ich,« antwortete ich. »Und dieser Herr ist Frater Hilario. Wo ist denn Ihr Bruder?«

»Er ist doch bei Ihnen,« entgegnete er erstaunt. »Ich kam gestern am Nachmittage von meiner Reise zurück und fand meine Frau in Besorgnis um Sie. Und diese Besorgnis hat sich natürlich bis jetzt gesteigert.«

»Aber er ist doch bereits gestern gegen Abend von dem Rancho nach hier aufgebrochen!«

»Er ist nicht angekommen,« sagte er. »Sollte ihm gar ein Unglück widerfahren sein?«

»Wenn er nicht zurückgekehrt ist, so muß man allerdings auf einen Unfall schließen,« meinte ich betroffen. »Vielleicht haben die Bolamänner ihm wieder aufgelauert und ihn abermals gefangen genommen!«

»Bolamänner? Ah! Da Sie beide gar bis zum gestrigen Abende nicht da waren und man auch von dem Offiziere und seinen Kavalleristen nichts hörte, so zog ich natürlich Erkundigungen ein. Einige meiner Gauchos sagten mir, daß sich eine beträchtliche Reiterschar habe sehen lassen. Ueber den Zweck der Anwesenheit dieser Leute konnte ich aber nichts erfahren. Sie sind ebensoschnell verschwunden, wie sie gekommen waren.«

»Sie kamen, um mir und Ihrem Bruder aufzulauern. Man nahm uns schon einmal gefangen.«

»Dios! Ist das möglich?«

»Man sollte es freilich für unmöglich halten. Man bemächtigte sich unser so schnell, daß an einen Widerstand gar nicht zu denken war. Uebrigens zählten sie über fünfzig Reiter, waren uns also weit überlegen.«

»Sennor, Sie sehen mich im höchsten Grade erstaunt, ja sogar erschrocken. Sie scheinen sich in großer Gefahr befunden zu haben, welche meinen Bruder auch jetzt noch umfängt. Kommen Sie schnell zu meiner Frau! Sie müssen erzählen, was geschehen ist. Die Damen haben so viel und gut von Ihnen gesprochen. Es sollte mir leid thun, wenn mein Haus Ihnen Unheil gebracht hätte.«

»Darüber kann ich Sie beruhigen, Sennor. Ihr Haus und dessen Bewohner tragen nicht Schuld an dem, was geschehen ist. Es ist wohl nur auf meine Person abgesehen gewesen, und Ihr Bruder hat mit leiden müssen, weil er sich bei mir befunden hat.«

»So kommen Sie schnell, damit wir erfahren, was sich ereignet hat!«

Er führte uns zu den Damen, welche natürlich eben solche Besorgnis zeigten, als sie hörten, daß Monteso sich eigentlich längst hier befinden müsse.

Ich erzählte, was geschehen war, und man folgte meinem Berichte mit dem allergrößten Interesse. Man konnte nur zweierlei vermuten. Entweder war er von den Bolamännern wieder ergriffen worden, oder es lag ein anderweitiger Unfall vor. Ich neigte mich der ersteren Ansicht zu, während der Frater die letztere verteidigte.

»Die Kavalleristen sind über den Fluß hinüber, wie wir uns überzeugt haben. Das hätten sie nicht gethan, wenn sie noch einen Streich beabsichtigt hätten,« sagte er.

»Sie haben uns nur täuschen wollen,« entgegnete ich. »Wären sie am diesseitigen Ufer geblieben, so hätten wir erraten, daß es uns gelte, und der Yerbatero wäre vorsichtiger gewesen. Als sie sahen, daß wir uns wirklich täuschen ließen, daß wir sie nicht weiter beobachteten, kehrten sie über den Fluß zurück und legten sich in den Hinterhalt.«

»Aber Sie geben doch zu, daß es eigentlich nur auf Sie abgesehen gewesen ist! Was haben sie also mit Monteso zu schaffen?«

»Sie glaubten natürlich, daß ich mich bei ihm befinden werde. Der Hinterhalt war einmal gelegt, und so mußten sie sich mit dem halben Erfolge zufrieden geben.«

»Wollen Sie wohl die Güte haben, mir diese Leute einmal zu beschreiben!« forderte mich der Estanziero auf. »Sie haben das bisher unterlassen.«

Ich folgte seiner Aufforderung.

»Von einem Major haben Sie erzählt,« fuhr er fort. »Konnten Sie den Namen desselben nicht erfahren?«

»Ja. Habe ich denselben noch nicht genannt? Dieser famose Offizier hieß Cadera.«

»Cadera! Da weiß ich nun freilich, woran ich bin. Dieser Cadera ist ein gefürchteter Parteigänger, welcher bereits einigemal über den Fluß herübergekommen ist, um sich Pferde zu holen. Gestern erfuhr ich auf meiner Reise, daß er sich wieder diesseits der Grenze befinde und daß man nach ihm fahndet. Er ist es gewesen und kein anderer!«

»Das habe ich ihm in das Gesicht gesagt,« meinte der Bruder. »Er bestritt es aber.«

»Hätten Sie den Menschen nicht frei gelassen!«

»So hätte auch Ihr Bruder gefangen bleiben müssen!«

»Sie haben ihn doch wieder ergriffen. Uebrigens, so lange sich Cadera in Ihrer Gewalt befand, konnten seine Leute meinem Bruder nichts Böses thun. Jetzt befindet er sich aber wieder in ihren Händen, ohne daß wir den Major als Geisel besitzen.«

»Welch ein Unglück!« klagte die Sennora. »Sie werden ihn töten.«

»Das befürchte ich nicht,« tröstete der Estanziero. »Entweder zwingen sie ihn, in ihren Reihen Soldat zu werden, nur aus reiner Bosheit, oder sie fordern ihm für seine Freiheit eine Summe Geldes ab.«

»Ich glaube das letztere,« stimmte der Frater bei. »Töten werden sie ihn nicht. Und ein widerwilliger Soldat bringt mehr Schaden als Nutzen. Das werden sie sich wohl sagen. Wie ich höre, ist Ihr Bruder reich. Auch sie wissen das. Der Lieutenant hat es hier erfahren. Darum glaube ich, daß sie eine bedeutende Summe von ihm fordern werden.«

»Erpressung, Räuberei! Ich werde auf der Stelle nach Montevideo reisen, damit unsere Regierung sofort in Buenos Ayres vorstellig werde!«

»Meinen Sie nicht, daß dies ein für Ihren Bruder gefährlicher Schritt sein wird?« fragte ich ihn. »Ehe Sie nach Montevideo kommen, von dort aus die Reklamation nach Buenos Ayres geht und dann nach langen Nachforschungen die Schuldigen gefunden werden, haben die Bolamänner längst ihre Absichten erreicht. Bedenken Sie, was Ihr Bruder indessen zu leiden haben würde.«

»Das ist wahr. Sie meinen also, wir folgen den Bolaleuten nach?«

»Ja. Wir verfolgen sie so lange, bis sich uns die Gelegenheit bietet, ihn zu befreien. Ob durch Güte, List oder Gewalt, das werden die Umstände ergeben.«

»Ich kann Ihnen freilich nicht unrecht geben. Lassen Sie uns also sofort aufbrechen. Ich werde allen meinen Gauchos, welche abkommen können, Befehl erteilen, schleunigst sich zu rüsten!«

Er wollte fort.

»Halt, Sennor!« hielt ich ihn zurück. »Noch sind wir nicht so weit.«

»Aber wir dürfen doch keinen Augenblick verlieren!«

»Das ist richtig; aber zunächst ist das Ueberlegen weit notwendiger, als das Reiten. Wir müssen wissen, was wir wollen, und dürfen dabei weder zu viel, noch zu wenig thun. Beabsichtigen Sie etwa, selbst mitzureiten?«

»Welche Frage! Ganz natürlich!«

»Aber Ihre Anwesenheit ist hier wohl nötig? Sind Ihre Damen einverstanden?«

Beide erklärten, daß es eine Pflicht sei, den Bruder zu retten. Sie sagten sich zwar, daß mit diesem Unternehmen vielleicht Gefahren verbunden seien, und darum ließen sie ihn nur widerstrebend fort, aber die Pflicht stehe doch höher als die Rücksicht auf die gehegten Befürchtungen.

»Sie sehen, daß es nun gar nichts weiter zu überlegen giebt,« sagte der Estanziero. »Wir reiten eben, und zwar sofort.«

»Noch nicht. Wir müssen uns anders als zu einem gewöhnlichen Ritte ausrüsten. Wir dürfen uns nicht wegen der Nahrung aufzuhalten haben, müssen also einen Speisevorrat mitnehmen, welcher für mehrere Tage ausreicht, und die besten Pferde.«

»Dafür wird schleunigst gesorgt werden.«

»Viel Geld, um Ihren Bruder loszukaufen, im Falle es nicht gelingt, ihn auf andere Weise zu befreien.«

»Ich werde mich mit demselben versehen. Nun aber sind wir fertig, und ich will den Gauchos sagen, daß – —«

»Bitte!« unterbrach ich ihn. »Haben Sie Gauchos, welche die Grenze kennen?«

»Nein.«

»So können wir sie nicht gebrauchen. Je mehr Leute wir mitnehmen, desto schwieriger wird unsere Aufgabe. Fünfzig bringen wir doch nicht zusammen, und so viele müßten wir doch haben, um den Bolamännem gleichzählig zu sein und sie offen anpacken zu können. Da dieses letztere nicht möglich ist, so sind wir auf List angewiesen. Sind wir zahlreich, so werden wir leicht bemerkt. Darum, je weniger Leute, desto besser.«

»Ich gebe Ihnen vollständig recht,« sagte der Frater, »Gewalt möchte ich vermeiden. Blut soll nicht fließen. Wenige, aber tüchtige Männer werden mehr erreichen, als eine große Schar, welche die Aufmerksamkeit auf uns lenkt.«

»Sie sagen: auf uns lenkt?« fragte ihn der Estanziero. »Sie drücken sich so aus, als ob Sie sich uns anschließen wollten?«

»Jawohl reite ich mit!«

»Aber, bedenken Sie! So ein anstrengender und sogar gefährlicher Ritt und Ihr Stand —«

»Hindert mich der, ein guter Reiter zu sein?«

»Nein, gewiß nicht. Aber vielleicht müssen wir kämpfen!« »Nun gut, so kämpfen wir!«

Der Estanziero trat einen Schritt zurück und sah dem Bruder erstaunt in das Gesicht.

»Kämpfen? Sie selbst auch?« fragte er.

»Wer verbietet es mir? Soll ein Laienbruder, wenn er angegriffen wird, sein Leben nicht verteidigen dürfen? Soll er sich der Vergewaltigung und Ueberlistung anderer nicht kräftig erwehren dürfen?«

»Auf diese Fragen verstehe ich nicht zu antworten, Sennor. So wie Sie, gerade so würde der berühmte Frater Jaguar sich aussprechen.«

»Kennen Sie diesen?«

»Gesehen habe ich ihn noch nicht, desto mehr aber von ihm gehört. Er gehört eigentlich zu den Mönchen von Tucuman, befindet sich aber stets auf Reisen. Er geht zu den Indianern des Urwaldes, der Pampa und der Cordillera. Er fürchtet keine Gefahr; er greift den Jaguar mit dem Messer an und flieht vor keinem Bravomanne.

Man fürchtet ihn, obgleich er kein Blut vergießt, denn er steht jedem Bedrängten bei und besitzt eine ungeheure Körperkraft, die ihresgleichen sucht. Haben Sie, der Sie sein Kollege sind, noch nichts von ihm gehört?«

Der Frater antwortete lächelnd:

»Nur von Leuten, welche ihn noch nicht gesehen haben. Diejenigen, welche ihn kennen, pflegen zu mir nicht von ihm zu sprechen.«

»Sennor, sollte ich vielleicht ahnen, daß Sie selbst der Bruder Jaguar sind?«

»Ich bin es allerdings, den man so zu nennen pflegt.«

»Dann sind Sie mir zehnfach willkommen, und dann glaube ich auch gern, daß Sie sich uns anschließen wollen.«

»Ich reite nicht etwa mit aus purer Kampfes- oder Abenteuerlust, Sennor. Ihr Bruder will mit diesem Sennor und seinen Yerbateros nach dem Gran Chaco. Da ich dort auch zu thun habe, bat ich um die Genehmigung, mich anschließen zu dürfen. Sie wurde mir erteilt, und so habe ich mich als den Gefährten und Kameraden Ihres Bruders anzusehen und bin ihm zu Beistand verpflichtet. Töten werde ich keinen seiner Widersacher, denn Menschenblut, selbst das des ärgsten Feindes, darf meine Hände nicht beschmutzen; aber ich kenne den Grenzfluß genau und glaube also, Ihnen gute Dienste leisten zu können.«

»Ich danke Ihnen von Herzen. Uebrigens müssen wir auch mit dem Umstande rechnen, daß mein Bruder sich gar nicht bei den Bolamännern befindet, sondern unterwegs einen Unfall erlitten hat. Er kann vom Pferde gestürzt sein und nun auf einem Rancho liegen.«

Er hatte dies kaum gesagt, als ein Peon meldete, daß ein Reiter unten im Hofe sei, welcher mit dem Sennor sprechen wolle.

»Wer ist er?« fragte Monteso.

»Einer von den Kavalleristen, welche mit dem Lieutenant hier waren, um Pferde zu kaufen.«

»Führe ihn hierher!«

 

Wir blickten einander erstaunt an. Dieser Major Cadera sandte uns einen Boten! Zu welchem Zwecke?

»Jetzt werden wir hören, was geschehen ist!« sagte der Estanziero. »Ich bin im höchsten Grade gespannt darauf.«

»Ich würde Ihnen sehr dankbar für die Erlaubnis sein, an Ihrer Stelle mit ihm verhandeln zu dürfen,« sagte ich.

»Warum? Glauben Sie, daß mir das Geschick dazu fehlen würde?«

»O nein. Sie kennen ja die hiesigen Verhältnisse weit besser als ich; aber Sie sind der Bruder des Yerbatero, um den es sich handelt, und darum denke ich, daß ein anderer die Angelegenheit weit mehr objektiv in die Hand nehmen würde.«

»Sie mögen recht haben. Sprechen Sie an meiner Stelle mit dem Manne!«

Der Kerl kam herein. Es war einer der beiden, welche ich vor der Laube im Garten belauscht hatte. Jedenfalls war er der Ansicht gewesen, nur den Estanziero zu treffen. Als er den Frater und mich erblickte, nahm sein Gesicht einen weniger selbstbewußten Ausdruck an.

»Was wollen Sie?« fragte ich ihn.

»Von Ihnen nichts,« antwortete er trotzig. »Ich habe allein mit Sennor Monteso zu sprechen.«

»Er hat mich beauftragt, Sie an seiner Stelle zu empfangen.«

»So geben Sie ihm diesen Brief!«

Er zog ein Couvert aus der Tasche und reichte es mir. Der Name des Estanziero war mit Tinte darauf geschrieben. Ich reichte es dem letzteren hin. Er sah die Schrift und sagte:

»Von meinem Bruder. Ich kenne seine Schrift.«

Er öffnete das Couvert, las es und erbleichte. Er zog einen Bleistift aus der Tasche, schrieb eine kurze Bemerkung dazu und gab dann den Brief mir und dem Frater zu lesen. Der Inhalt lautete:

»Mein Bruder! Ich bin abermals in die Hände derjenigen gefallen, denen wir entgangen waren. Unterwegs trafen wir dann zufälliger- und unglücklicherweise auf José, welcher Santa Fé eher verlassen hat, als wir dachten. Auch er ist ergriffen worden. Sende durch den Ueberbringer dieses Briefes sofort 10000 Bolivianos, mit denen ich ein ausgezeichnetes Geschäft machen kann, wenn sie zeitig genug eintreffen. Kommen sie zu spät, so bringst du uns und dich in großen Kummer. Vertraue dem Boten, und frage ihn nicht aus. Lege ihm auch nichts in den Weg, denn dadurch würdest du uns in eine sehr üble Lage bringen. Es ist ihm sehr streng verboten worden, euch ein Wort zu sagen. Dein Bruder Mauricio.«

Unter diese Zeilen hatte der Estanziero geschrieben:

»Das von Josés Gefangennahme dürfen meine Damen nicht erfahren; sie würden erschrecken.«

Das war sehr richtig. Damit die Sennora den Brief nicht in die Hand bekommen oder von ihrem Manne fordern könne, steckte ich ihn in meine Tasche.

»Sie kennen den Inhalt dieses Schreibens?« wendete ich mich nun an den Ueberbringer desselben.

»Ja.«

»Was enthält es?«

»Die Aufforderung, an mich zehntausend Bolivianos zu zahlen.«

»Sind Sie allein hier?«

»Ja.«

Er gab diese Antwort schnell und ohne zu überlegen; ich sah es ihm dennoch an, daß er log.

»Sie sagen mir die Unwahrheit! Sie haben ja noch jemand mit!«

»Sie irren, Sennor!«

»Ich irre mich nicht. Ihr Gesicht sagt es mir und mein Verstand ebenso. Man konnte Sie nicht allein schicken. Man wußte nicht, wie Sie aufgenommen werden. Man gab Ihnen darum noch jemand mit, welcher, falls Ihnen hier etwas geschieht, sofort zurückeilt und den Major benachrichtigt.«

»Das ist nicht der Fall!« behauptete er.

»Werden sehen! Ich glaube Ihnen nicht. Wissen Sie, was Sennor Monteso mit dem Gelde thun will?«

»Nein.«

»Das ist wieder eine Lüge! Sie wissen ganz bestimmt, daß es das Lösegeld sein soll. Sie sind übrigens außerordentlich kühn, indem Sie nach der Estanzia del Yerbatero kommen. Wissen Sie nicht, was Sie hier erwarten muß?«

»Ja, eine freundliche Aufnahme.«

»Und wenn Sie sich nun irren?«

»So wird der Yerbatero es sehr zu beklagen haben. Wenn ich nicht bis zu einer bestimmten Zeit zurückkehre und das Geld mitbringe, dürften Sie ihn schwerlich wiedersehen. Er würde sich nach einer sehr entfernten Gegend begeben, aus welcher gewöhnlich niemand wiederkehrt.«

»Hm! Ich muß freilich zugeben, daß Sie die Macht in den Händen haben, das Geld zu erpressen. Aber, wer giebt uns die Sicherheit, daß Sie ehrlich handeln?«

»Der Major hat sein Ehrenwort gegeben, daß die Sennores entlassen werden, sobald ich das Geld bringe.«

»Ihr Major hat uns zweimal sein Wort gebrochen.

Ich glaube ihm nicht. Frißt der Fuchs zum erstenmal hier, so sehnt er sich nach Wiederholung. Geben wir die Summe, so wird vielleicht noch eine zweite verlangt.«

»Gewiß nicht.«

»Oder der Major meint es wirklich ehrlich. Wer aber giebt uns die Sicherheit, daß auch Sie es sind? Zehntausend Pesos aus Bolivien sind ein Reichtum für Sie. Wie nun, wenn Sie das Geld für sich behalten und gar nicht zum Major zurückkehren?«

»Sennor, ich bin kein Spitzbube!«

»So! Nun, Ihr Gesicht ist freilich nicht das eines Diebes, und ich möchte Ihnen Vertrauen schenken. Sie geben aber jedenfalls zu, daß diese Angelegenheit eine so wichtige ist, daß man die Entscheidung nicht in zwei Minuten treffen kann.«

»Darüber habe ich kein Urteil. Ich soll nicht lange warten.«

»So gehen Sie in die Küche, und lassen Sie sich etwas zu essen geben. Kommen Sie dann wieder, um den Bescheid zu hören. Ich werde mich für Ihre Forderung verwenden, denn ich sehe ein, das dies das beste ist.«

Ich rief den Peon herein, welcher draußen stand, und gab ihm den Befehl, den Fremden in die Küche zu führen, was auch gleich geschah. Zehntausend Bolivianos sind nach deutschem Gelde beinahe neunundzwanzig Tausend Mark. Darum war es sehr erklärlich, daß der Estanziero mich jetzt fragte:

»Wollen Sie mich wirklich bestimmen, ihm das Geld zu geben, Sennor?«

»Fällt mir gar nicht ein.«

»Dann kommt mein Bruder nicht frei!«

»Gerade darum kommt er frei. Wir wissen nun, daß er sich wirklich bei den Bolamännern befindet.«

»Aber wir wissen nicht, wo diese sind!«

»Wir werden es erfahren. Der Bote wird es sagen, darauf können Sie sich verlassen! Uebrigens ist er nicht allein da.«

»Denken Sie das wirklich?«

»Ja. Oder wollen Sie glauben, daß man diesem Menschen eine so große Summe anvertraut?«

»Das ist allerdings unwahrscheinlich!«

»Sehen Sie! Der Major legt dieses Geld jedenfalls nur in ganz sichere Hände. Selbst wenn der Bote ein ehrlicher Mann wäre, würde man ihn nicht so allein mit dem Gelde über den Camp reiten lassen. Er hat noch andere mit. Das ist entweder der Major selbst oder der Lieutenant, welcher uns so hübsch in die Falle lockte und damit dem Vorgesetzten bewies, daß er Vertrauen verdient. Ist‘s der erstere, so haben wir gewonnenes Spiel. Ist‘s der letztere, nun, so ergreifen wir ihn und zwingen ihn, uns den Weg zu den Bolamännern zu zeigen.«

»Sennor, das ist zu gefährlich! Man wird meinen Bruder umbringen!«

»O nein! Der Major wird ja gar nicht erfahren, was wir seinem Boten für einen Bescheid gegeben haben. Indem er auf denselben wartet, kommen wir selbst.«

»Aber, auch angenommen, daß Ihr Plan gut ist, wie erfahren wir, wo sich der eigentliche Bote befindet?«

»Dieser Kavallerist, welcher sich jetzt in der Küche befindet, wird es uns sagen. Haben Sie denn wirklich die verlangte Summe hier im Hause?«

»Glücklicherweise, ja. Ich hatte in den letzten Tagen Geld einkassiert.«

»Das werden wir aber diesem Kerl nicht sagen, Sennor. Er wird sofort glauben, daß Sie nicht so viel haben. Sie müssen zu einem Nachbar reiten, um sich das Fehlende geben zu lassen. Er wird bis zu Ihrer Rückkehr warten, aber nicht hier im Hause, sondern er wird zu den andern zurückkehren. Dabei folge ich ihm und entdecke das Versteck. Lassen Sie mir einen gestreiften Poncho und einen andern Hut besorgen. Auch ein Pferd wird gesattelt im Hofe bereit zu halten sein. Uebrigens ist es geraten, sich mehr auf das eigene Nachdenken, als auf die Aussagen dieser Leute zu verlassen. Der Mann wird, wenn er von hier fortreitet, nicht gleich die beabsichtigte Richtung einschlagen, sondern eine falsche. Ich werde mich nicht irre machen lassen.«

»Darf ich Sie begleiten, Sennor?«

»Eigentlich möchte ich Ihnen die Erfüllung dieses Wunsches versagen. Ihre Begleitung könnte mir meinen Plan verderben. Aber ich will trotzdem nichts dagegen haben, falls Sie mir versprechen, sich ganz nach meinen Wünschen zu richten.«