Tasuta

Am Rio de la Plata

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Keine Bewegung, Sennor!« raunte ich ihm drohend zu, »sonst stoße ich Ihnen das Messer in den Leib. Ah, Sie haben einen andern Rock an, da ich Ihnen den Frack verschimpfiert habe! Thut mir leid, nun auch den Rock nicht schonen zu können. Ich brauche ein Band zur Befestigung des Knebels.«

Ich riß ihm den Rockschoß ab und schnitt mit dem Messer einen Streifen daraus, den ich dem Offizier um den Mund band, damit er mit der Zunge nicht das Taschentuch herausstoßen könne.

Wie oft habe ich mich später darüber gewundert, daß der Mann nicht wenigstens den Versuch gemacht hat, mir davonzulaufen. Er brauchte nur auf das Floß zu springen, so wurde er von allen seinen Leuten gesehen. Freilich hätte ich es doch versucht, ihn herunterzureißen und mit ihm zu entkommen. So aber rührte er kein Glied, obgleich er nicht an den Beinen gebunden war. Es war ihm eben vor Schreck die ganze Geistesgegenwart und Thatkraft abhanden gekommen. Er stand wie ein willenloses Kind vor mir. Ich zog das Messer, faßte ihn am Arme und sagte:

»Nun vorwärts, Sennor! Und keine Weigerung! Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß Sie meine Klinge fühlen, sobald Sie einen Augenblick aufhören, mir zu gehorchen.«

Ich stieß ihn vorwärts. Nun erst kam ihm der Gedanke des Widerstandes. Er hielt den Schritt an.

»Allons, sonst steche ich!« drohte ich.

Ich schob wieder, aber er gehorchte nicht. Sogleich stach ich ihn in die Muskel des Oberarmes, die am wenigsten gefährliche Stelle. Man mag das Grausamkeit nennen, aber es handelte sich um mein Leben. Brachte ich ihn nicht so fort, wie ich wollte, so konnte es sehr leicht um mich selbst geschehen sein. Ehe ich mein Leben auf das Spiel setzte, nahm ich ihm lieber einige Tropfen seines Blutes, was ihm übrigens weder körperlich, noch moralisch etwas schaden konnte.

Das Mittel half. Er begann fast schneller zu laufen, als mir lieb war. Natürlich leitete ich ihn nicht nach der Halbinsel zu, sondern ich entfernte mich zunächst noch weiter von derselben, bis ich gute Deckung hatte, dann kehrte ich um. Ich konnte nicht wagen, allzuweit von ihr entfernt vorüber zu kommen, denn dort gab es Sumpf; ich mußte mich vielmehr so nahe wie möglich an sie halten. Da aber konnte mir der Säbel des Majors gefährlich werden, denn das Klirren desselben war weithin zu vernehmen. Ich schnitt ihn also von dem Riemen ab und legte ihn ins dichte Schilf. Dann ging es weiter.

Nur vierzig Schritte waren wir von den Posten entfernt, als wir parallel mit der Grundlinie der Halbinsel dahinschritten. Er schien Lust zu haben, einen Fluchtversuch zu wagen; aber ich nahm ihn fester und hielt ihm das Messer vor die Brust.

Der Duft des Fleisches, welches über den beiden Feuern gebraten wurde, drang zu mir herüber. Das konnte mich nicht irre leiten; desto aufmerksamer aber wurde ich auf den Ruf, den ich jetzt hörte:

»Holla, hier ist der Braten!«

Sollte etwa eben jetzt das Fleisch verteilt werden? Disciplin war bei den Leuten nicht zu erwarten. Vielleicht ließen sich die Wachen durch den Braten verlocken, ihre Posten zu verlassen. Wirklich! Alles lief nach den Feuern zu, die Posten auch. Einer von ihnen nahm sein Gewehr mit, die andern aber lehnten die ihrigen an die nächsten Bäume.

Sollte ich es wagen? Ich konnte einige Gefangene befreien, setzte aber dagegen mich selbst und den Major auf das Spiel.

In solchen Augenblicken gilt kein Zagen. Der Gedanke, den der erste Moment bringt, muß ausgeführt werden. Gewöhnlich ist er der richtige. Ich riß dem Major das Wehrgehänge vom Leibe, schnallte es ihm um die Unterschenkel und warf ihn zu Boden. Dann flog ich auf die Halbinsel zu.

Die ganz eng sich um die Feuer drängenden Leute warfen ihre Schatten hinter sich, und ich gelangte glücklich aus der vom Monde beschienenen Fläche in den dunkeln Bereich derselben. Nur zwei Männern konnte ich Hilfe bringen; die andern waren mir fern. Ihnen mit dem Messer die Riemen durchschneidend, forderte ich sie auf, mir schleunigst nachzurennen, und kehrte um.

Die zwei kamen hinter mir her, und wahrhaftig, sie hatten Flinten in der Hand. Sie waren so geistesgegenwärtig gewesen, die Gewehre der Wachen aufzunehmen.

»Heigh-day! Qué alagria!« sagte der eine von ihnen, als sie bei mir ankamen, in englischer und spanischer Sprache. »Das war brav! Ich sah Sie kommen. Rief dann dem Steuermanne zu, nach der alten Schlüsselbüchse zu greifen, die am Baume lehnte. Ist Rettung in großer Not. Wohin jetzt, Sir? Wer seid Ihr, und wohin gehört Ihr, Sennor?«

Diese Stimme mußte ich schon früher gehört haben; aber welchem Bekannten konnte ich hier an diesem Orte und unter diesen Umständen begegnen? Ich hatte auch keine Zeit, auf ihn zu achten. Ich sah nur, daß er einen Panamahut mit fürchterlich breiter Krämpe trug, unter welcher sein Gesicht verschwand, und antwortete ihm:

»Nur immer mir nach, und zwar schnell!«

Ich nahm mir nicht Zeit, dem Major den Säbelriemen aufzuschnallen; ich schnitt ihn einfach durch, riß den Mann in die Höhe und stieß ihn wieder vor mir her.

»Alle Teufel!« meinte der Breitkrempige. »Das ist der General dieser Spitzbuben! Da habt Ihr einen herrlichen Lachs gefangen. Werde ihn mit in den Hafen bugsieren!«

Er faßte den Major am andern Arme, und dann ging es mit verdoppelter Geschwindigkeit vorwärts, genau denselben Weg zurück, den ich gekommen war, bis wir das Versteck erreichten, in welchem die Gefährten auf mich warteten.

Da sie anstatt einen Mann vier Männer kommen sahen, schöpften sie Verdacht. Sie sprangen auf und griffen nach ihren Waffen.

»Bleiben Sie sitzen, Sennores!« rief ich ihnen zu. »Sie haben nichts zu befürchten. Ich bin es!«

»Sie? Gott sei Dank!« antwortete der Bruder, indem er mir entgegentrat. »Wir hatten bereits große Sorge um Sie. Wen bringen Sie denn da mit?«

»Zwei Gefangene, welche ich befreit, und einen Freien, den ich gefangen genommen habe.«

»Die beiden Fremden vom Floß!« rief der Indianer.

»Der Major!« rief der Bruder.

»Ja, der Major,« antwortete ich. »Ich habe den Sennor ersucht, Ihnen seinen Besuch zu machen, und da ich annehmen mußte, daß er nicht gleich dazu bereit sein werde, kam ich seinem Widerstande zuvor, indem ich ihn band.«

»So haben wir gewonnen; so haben wir gewonnen!« jubelte der Estanziero. »Nun müssen die Kerle meinen Bruder und meinen Sohn gegen diesen Mann auslösen!«

»Nicht so laut, Sennor!« bat ich. »Wir haben noch keine Veranlassung, wissen zu lassen, daß wir hier sind und wo wir uns verborgen haben. Ich vermute, daß man nach diesen drei Personen suchen wird. Hier könnte man uns leicht finden. Petro Aynas, haben Sie keinen Ort, wo wir die Nacht zubringen und ein Feuer brennen können, ohne gesehen zu werden?«

»Ich weiß einen. Kommen Sie! Wie freue ich mich, daß die Sache so glücklich abgelaufen ist!«

Er führte uns durch schilfige Stellen, über mooriges Grün, durch dichtes Gebüsch bis an einen Platz, wo wir zu unserer Ueberraschung unsere Pferde stehen sahen. Er hatte während meiner Abwesenheit über alles Aufklärung erhalten und also auch erfahren, daß wir bei seinem Weibe gewesen waren und ihr unsere Pferde übergeben hatten.

Der Platz war ausgezeichnet zum Lagern. Er wurde von Laubbäumen überdacht und ringsum von Büschen umgeben. Ein kleines Wasser floß dem Strome zu. Die lästigen Mücken konnten wir durch Feuer vertreiben, welches wir anzündeten.

Kaum hatte es begonnen, seinen Schein zu verbreiten, so that der Breitkrempige einen Sprung auf mich zu und schrie:

»Heavens! Ist es die Möglichkeit? Ihr seid es, Charley, Ihr? Kommt in meine Arme, in alle meine Arme! Schnell, schnell!«

Er riß den Hut vom Kopfe, so daß ich sein Gesicht erkennen konnte, schlang die Arme um mich und drückte mich an sich, als ob es seine Absicht sei, mich und sich zu gleicher Zeit zu zermalmen.

Man denke sich mein Erstaunen: Es war mein alter Turnerstick, mein alter Kapitän Frick Turnerstick, der originelle Seebär und Sprachkünstler, mein Gefährte in China und Bekannter schon von früher her! Meine Verwunderung war ebenso groß wie meine Freude über dieses so ganz unerwartete Wiedersehen, doch hatte ich augenblicklich keine Zeit, die vielen Fragen zu beantworten, mit denen er mich überschüttete, und bat ihn:

»Setzt Euch nieder, und wartet noch eine Weile, Capt‘n; dann sollt Ihr erfahren, was ich hier zu suchen habe. Wir müssen zunächst das thun, was uns der Augenblick gebietet.«

Er sah ein, daß ich recht hatte, und folgte meiner Weisung, obgleich ihm dies Ueberwindung kostete. Der Major war für uns die Hauptsache. Wir banden ihn in der Nähe des Feuers an einen Baumstamm. Als ich kurz erzählt hatte, wie es mir gelungen war, ihn gefangen zu nehmen, entfernte ich den Knebel aus seinem Munde, sagte ihm aber, daß er beim ersten lauten Hilferufe mein Messer bekommen werde.

»Sie haben sich bereits einmal in unseren Händen befunden,« fuhr ich dann fort. »Sie gelobten, auf alle Feindseligkeiten gegen uns zu verzichten, und wir schonten Sie. Sie haben Ihr Wort gebrochen, und von einer abermaligen Schonung kann also keine Rede sein. Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben. Petro Aynas, nehmen Sie ihm einmal alles heraus, was er in den Taschen bei sich trägt!«

»Schurke!« knirschte der Major dem Indianer zu, als dieser ihm die Taschen leerte.

Petro gab ihm eine tüchtige Ohrfeige und antwortete:

»Der Schurke bist nur du, Lügner! Jetzt weiß ich alles. Schimpfest du noch einmal, so schlage ich dir den Schädel entzwei.«

Der Major hatte eine Uhr, eine Brieftasche und einen Geldbeutel einstecken. Die Uhr gab ich ihm in die Tasche zurück. Den Beutel und die Brieftasche öffnete ich. Beide enthielten in Summa ungefähr achtzehntausend Papierthaler, was nicht ganz dreitausend Mark beträgt. Mein Entschluß bezüglich dieses Geldes war gefaßt. Ich fragte die Yerbateros:

»Könnten nicht zwei von Ihnen gleich nach der eingeäscherten Alqueria zurückreiten?«

 

»Warum?«

»Um dem Besitzer zwölftausend Papierthaler von dem Major Enrico Cadera zu überbringen als Entschädigung für den Schaden, welchen er mit seinen Leuten angerichtet hat.«

Alle fünf waren sofort bereit dazu.

»Losen Sie untereinander! Und zugleich sagen Sie dem alten Herrn, er soll schnell seine Gauchos senden, um die gestohlenen Pferde in Empfang zu nehmen.«

»Die haben wir ja bis jetzt noch gar nicht,« warf Monteso ein.

»Wir werden sie aber bekommen. Oder glauben Sie, daß ich diesen sogenannten Major freigebe, ohne daß er die Pferde zurückliefert?«

»Darüber ist erst Beschluß zu fassen!« sagte der Major zornig.

»Der ist bereits gefaßt, nämlich ich bin es, der ihn gefaßt hat, und das genügt, Sennor!«

»Nein, das genügt nicht. Ich habe da vor allen Dingen ein Wort zu sprechen.«

»Wenn ich es Ihnen verbiete, müssen Sie schweigen.«

»Noch sind keine Präliminarien verhandelt!«

»Was verstehen Sie von Präliminarien! Jedenfalls nicht mehr als der Frosch vom Zitherspielen. Gebärden Sie sich um aller Welt willen nicht etwa, als ob Sie klüger seien, oder mehr zu befehlen hätten, als wir! Das könnte Ihnen schlecht bekommen!«

»Sennor, ich bin Stabsoffizier unter Latorre!«

»Dann ist es eben zu Ihrem Unglück, daß es so ist, denn ich bin ein Gegner Latorres. Wenn Sie sich zu ihm bekennen, verschlimmern Sie nur Ihre Lage.«

»Ich weigere mich entschieden, auf einen Vergleich einzugehen!«

»Wir fragen weder nach dem, was Sie wollen, noch nach dem, was Sie nicht wollen. Wir thun, was uns beliebt.«

»Bedenken Sie, daß sich Geiseln in den Händen der Meinigen befinden!«

»Machen Sie sich nicht lächerlich! Was sind denn wohl Sie in unsern Händen? Glauben Sie, daß ich Sie beim Kragen genommen habe, um mit Ihnen Staat zu machen? Sie weisen jeden Vergleich von sich. Wie wollen Sie denn Ihre Freiheit wieder erlangen, wenn nicht durch einen Vergleich?«

»So bleiben die Montesos in Gefangenschaft und werden gar getötet!«

»Bilden Sie sich auch das nicht ein! Ich habe Sie ergriffen und dabei zugleich zwei Ihrer Gefangenen befreit. Denken Sie etwa, es falle mir schwer, auch die beiden Montesos zu befreien? Ich allein bringe das fertig. Und hier sind noch andere Männer, welche sich ebensowenig vor euch fürchten, wie ich.«

»Sie werden also eine Auswechslung der Gefangenen beantragen?«

»Jawohl, Sennor! Fällt es mir ein, Sie gegen den Yerbatero und dessen Neffen freizugeben, so werde ich es thun. Behebt es mir, diese beiden zu befreien und Ihnen dann eine Kugel durch den Kopf zu jagen, so werde ich auch das thun, und meine Gefährten werden vollständig mit mir einverstanden sein.«

»Streiten wir jetzt nicht darüber! Auf alle Fälle aber unterlassen Sie, sich an meinem Gelde zu vergreifen!«

»Ist es das Ihrige?«

»Ja.«

»Das erklären Sie hiermit vor allen diesen Zeugen?«

»Natürlich!«

»So bin ich befriedigt. Das Eigentum eines andern hätte ich nicht angegriffen, um den Schaden zu ersetzen, welchen Sie hervorgebracht haben. Da Sie aber fest erklären, daß das Geld Ihnen gehöre, so bestimme ich eben zwölftausend Papierthaler als Entschädigung für das niedergebrannte Haus und Inventar des Alquerio.«

»Oho! Sie haben mich um Erlaubnis zu fragen, und diese verweigere ich!«

»Haben auch Sie etwa um die Erlaubnis gefragt, die Alqueria niederzubrennen? Sie wäre Ihnen natürlich auch verweigert worden, und doch haben Sie es gethan.«

»Sennor, Sie bestehlen mich!«

»Nun gut, so bin ich ein ehrlicher Dieb, Sie aber ein ehrloser Brandstifter und Pferderäuber. Es bleiben Ihnen sechstausend Papierthaler übrig, welche ich Ihnen hiermit in die Tasche zurückstecke, ebenso wie Sie die Uhr zurückerhalten haben. Das ist ehrlich. Sie aber kaufen und schlachten Rinder und bezahlen sie nicht. Sie nehmen brave Menschen, die Ihnen nie etwas zuleid thaten, gefangen, um von den Angehörigen derselben ein Lösegeld zu erpressen!«

»Ein Lösegeld? Davon weiß ich kein Wort. Ich habe mich des Yerbatero bemächtigt, weil er mit Ihnen eines schweren Verbrechens bezichtigt ist. Ich würde mich auch Ihrer bemächtigen, wenn ich in der Lage dazu wäre. Von einem Lösegeld aber hat kein Mensch ein Wort gesprochen.«

»So! Sie führen Ihre Verteidigung so sprachselig, weil Sie glauben, wir seien eher zu Ihrer Verfolgung aufgebrochen, als Ihre Boten die Estanzia del Yerbatero erreichten.«

»Meine – Boten?« fragte er stockend.

»Ja, Ihr Lieutenant mit seinen beiden Begleitern.«

»Die sind auf der Estanzia gewesen?«

»Pah! Thun Sie doch nicht, als ob Sie nichts davon wüßten! Wie konnten Sie nur so dumm sein, einen solchen Schulbubenstreich zu begehen! Wir haben diese Kerle natürlich eingesperrt, so klug sie es auch angefangen zu haben vermeinten; sie sind geständig und sehen ihrer Bestrafung entgegen. Ihr Name wird dabei eine bedeutende Rolle spielen, und Ihre Person wahrscheinlich auch, denn ich habe große Lust, Sie einzuladen, mit uns nach der Estanzia del Yerbatero zu kommen. Dann schaffen wir Sie nach Montevideo, wo Sie Ihren famosen Comisario criminal ersuchen können, Ihre Verteidigung zu übernehmen.«

Er schwieg. Er sah sogar ruhig zu, als ich den beiden Yerbateros, welche das Los getroffen hatte, das Geld gab, mit welchem sie sogleich aufbrechen sollten.

Zwölftausend Papierthaler waren noch lange nicht zweitausend Mark. Mochte ich unrecht handeln oder nicht, mochte daraus werden, was da wollte, der alte Alquerio mußte und sollte das Geld bekommen. Die beiden Yerbateros entfernten sich mit ihren Pferden, und der Indianer übernahm es, sie so weit zu führen, bis das Sumpfland hinter ihnen lag und sie dann offenen Weg vor sich hatten. Der Mond leuchtete ihnen hell zu ihrem Ritte.

Der Major kochte vor Wut. Sein Blick schweifte von einem auf den andern. Wären diese Blicke Dolche gewesen, so hätten sie uns sicherlich getötet. Um ihn nicht so vor Augen haben zu müssen, wurde er vom Baume gelöst. Wir banden ihm die Füße auch zusammen und legten ihn dahin, wo er nicht gesehen werden, aber auch nichts von unserm Gespräch hören konnte. Doch waren wir so vorsichtig, ihn noch extra mit einem Riemen lose an einen Stamm zu binden. Er hätte sonst, indem er sich fortrollte, uns entkommen können. Nun wurden die Speisevorräte ausgepackt, und wir aßen. Daya, welche herbeikam, mußte sich auch zu uns setzen und mitessen.

Turnerstick hatte seinen Gefährten „Steuermann“ genannt; er saß mir gegenüber. Dieser lange, starke, breitschulterige Kerl war ein Seemann vom echtesten Schrot und Korn. Blond und blauäugig, wie er war, hatte ich große Lust, ihn für einen Friesen zu halten. Darum sagte ich in deutscher Sprache zu ihm:

»Wie haben denn eigentlich Sie bei Ihren Fäusten sich gefangen nehmen lassen können?«

»Ich?« antwortete er deutsch. »Was? Wie? Sie reden deutsch?«

»Ich bin ein Deutscher.«

»So will ich mich kielholen lassen, wenn ich das geahnt hätte! Ich bin ein Friese von der Nordsee her und heiße Hans Larsen.«

»Hätte nicht vermutet, hier in diesem Sumpfe einen Landsmann zu treffen!«

»Und herauszuangeln, nicht wahr, Herr! Und meine Fäuste – —«

Er hob sie empor und blickte sie wehmütig an. Ja, das waren Fäuste! Für diese Größe und Stärke hätte er keine passenden Glacéhandschuhe bekommen, denn Handschuhe Nummer sechsunddreißig werden meines Wissens in keiner Fabrik der Welt gefertigt. Er schüttelte den Kopf, sah mich betrübt an und fuhr dann fort:

»Herr, ja meine Fäuste, auf die halte ich große Stücke, denn ich brauche sie gar notwendig. Glauben Sie es mir oder nicht, mit diesen Fäusten schleppe ich einen Buganker zweimal längs der Reiling um das ganze Deck, und wo ich sie nur hinlege, ohne groß zuzuschlagen, da wächst weder Reseda noch Ranunkel wieder. Darum ist es jammerschade, daß ich sie heute nicht in Gebrauch nehmen konnte; ich kam nicht recht dazu, denn es ging alles zu schnell. Einige Beulen werde ich wohl gequetscht haben, doch sind sie jedenfalls von keiner Bedeutung. Wenn man sich nicht sehr in acht nimmt, so greift man diese zarten La Plataleute gleich durch und durch. Und geradezu zerdrücken wollte ich doch keinen.«

Er schob ein Stück Fleisch in den Mund, welches wenigstens ein viertel Pfund wog, schüttelte abermals den Kopf und kaute ruhig weiter. Die Bekanntschaft war gemacht; was sollte da sonst noch viel gesprochen werden? Turnerstick fragte mich:

»Gefällt er Euch, Charley?«

»Sehr!« nickte ich.

»Ist mein liebster Mate, der Larsen. Ein Kerl aus Eisen und Buttermilch, so fest und doch so zart von Gemüt. Nun aber sagt mir, wie es Euch seit unserer Trennung ergangen ist, und was Ihr eigentlich hier in dieser traurigen, dummen Gegend wollt!«

»Davon später, wenn‘s Euch beliebt, Kapt‘n. Für jetzt ist‘s von größerem Vorteil, zu wissen, wie Ihr dazu gekommen seid, der Gefangene dieser Leute zu werden.«

Er kratzte sich hinter dem Ohre, zog ein verlegenes Gesicht und antwortete.

»Grad so, wie mein „The wind“ in das Loch gekommen ist, was sie da unten in Buenos Ayres einen Hafen nennen – ohne eigentliche Absicht von mir. War nach Bahia in Ballast gekommen und erhielt Ladung nach Buenos Ayres – schlechter Hafen, dieser Froschteich! Wollte neue Ladung nehmen, wußte aber nicht, was. Hörte da von den Produkten von Rio Grande do Sul, welche auf dem Uruguay verschifft werden, kostbare Holzarten, Paraguaythee, Kupfer, Zink, Bergkrystalle, Achate, Jaspis und anderes. Wollte das selber sehen und machte mich per Dampfer nach da oben. Bin bis zum Salto Grande gekommen und habe Fracht bestellt. Wollte wieder hinab nach Buenos, hatte aber Lust, mir die Gegend etwas genauer zu betrachten, und setzte mich also mit meinem Mate auf das Floß, welches heute hier anlegte. Sind wohl fünf Tage lang auf demselben geschwommen, wie die Fliege auf dem Gurkenblatt.«

»Und hier wurdet ihr überfallen?«

»Well! Sogar sehr. Wir lagen in der Koje, was diese Leute hier zu Lande eine Cabanna, eine Bretterhütte nennen, als das Floß anlegte. Was ging uns das an? Wir rauchten ruhig weiter und blieben liegen, denn morgen schwammen wir wieder fort. Da erhob sich auf dem Vorderdeck, wollte sagen, auf dem Vorderteile des Flosses ein Heidenspektakel und eben als ich den Kopf aus dieser Cabanna stecken wollte, bekam ich einen Klapps auf denselben, daß ich ihn schleunigst zurückzog. War gar nicht überhöflich von diesen Leuten. Well! Dann krochen einige Kerle zu uns herein, welche sagten, wir dürften nicht weiter, wir müßten morgen und übermorgen hier vor Anker bleiben. Darauf gingen wir nicht ein, denn wir hatten das Passagegeld bezahlt, nicht aber sie. Sie wurden grob, und darum multiplizierten wir sie hinaus und krochen ihnen nach, um ihnen für den Klapps, den ich bekommen hatte, noch einen Extragrog zu geben. Aber alle Wetter, wir hatten geglaubt, es seien so zehn, fünfzehn oder zwanzig; aber Prosit die Mahlzeit, es waren über die fünfzig! Sie ließen uns gar nicht Zeit, ihre Gesichter einzeln auszuluven, sondern sie fielen gleich über uns her, bevor wir noch recht aus der Hütte waren. Wir bekamen keinen rechten Platz zum Zuschlagen und wurden von ihnen und mit ihnen nur so hin und her gewickelt, bis sie uns in ihren verteufelten Riemen hatten, was sie hier zu Lande Lasso oder Bola nennen. Aber einige Knüllen, Schrammen, Risse und sonstige Kleinigkeiten haben wir ihnen doch verehrt. Wir selbst sind mit heiler —Haut davongekommen. Dann strickte man uns förmlich in Riemen ein und schaffte uns auf die Landzunge, die man hier vielleicht das Vorgebirge der Prügeleien nennt. Dort wurden wir wenigstens von der Uebermasse der Riemen befreit und nur so an die Bäume gebunden, daß es Euch gelang, uns mit zwei Schnitten wieder flott zu machen. Werde Euch das nicht vergessen, Sir! War zwar keine gefährliche Situation, aber verteufelt unangenehm. «

»Wie steht es mit Eurem Eigentum? Hat man Euch in dieser Beziehung geschädigt?«

»Nein, obgleich man große Lust dazu zu haben schien. Aber Frick Turnerstick ist nicht dasjenige Mannskind, welches sich so leicht den Kopf barbieren läßt. Habe ihnen gar keine Haare gezeigt. Hatte im Beutel nur einige Papiere, welche sie in dieser gesegneten Gegend “Thalen” schimpfen. Das andere ist versteckt, ausgezeichnet versteckt, so daß ich selbst es nicht zu finden vermöchte, wenn ich nicht wüßte, wo es steckt. Die Thaler haben sie mir freilich abgenommen. Mögen sie immerhin behalten. Will sie ihnen gern als Almosen lassen. Aber, Sir, was hat nun zu geschehen? Bin zwar nicht sehr pressiert, möchte aber doch gern so bald wie möglich nach Buenos Ayres, und mich nicht in diesen Sumpf setzen, um das Fieber zu bekommen.«

»Hoffentlich könnt Ihr bereits morgen fort von hier.«

 

»Wird die Bande das Floß freigeben?«

»Ich denke es. Wenn sie es nicht gutwillig thut, werden wir sie dazu zwingen.«

»Wohl dadurch, daß Ihr nur unter dieser Bedingung den Major freigebt?«

»Ja.«

»Hm! Die Sache hat aber doch einen Haken. Gesetzt den Fall, Ihr gebt den Offizier frei und erhaltet dafür die Gefangenen heraus und die Erlaubnis für uns, mit dem Flosse in See zu stechen, so seid Ihr doch nicht eher sicher, als bis die Kerle fort sind, hinüber an das andere Ufer. Ist das richtig?«

»Ja.«

»Ihr müßt also dafür sorgen, sie so bald wie möglich los zu werden. Das kann aber eben nur mit Hilfe unseres Floßes geschehen. Ferner kalkuliere ich, daß auch dem Major daran liegen wird, schnell von hier zu verschwinden. Er wird dazu eben auch unser Floß benutzen wollen. Ich kann also die Sache betrachten, wie ich will, so kommt nur das heraus, daß die Bolamänner mit Hilfe unsers Floßes über den Fluß setzen. Dagegen aber muß ich Einsprache erheben.«

»Warum?«

»Weil diese Entscheidung mir großen Schaden machen würde. Es würde da einer von zwei Fällen eintreten. Entweder die Kerle fahren ohne mich über; dann ist das Floß für mich fort, denn es kann nicht wieder zurück.

Oder ich fahre mit Larsen gleich mit; dann falle ich den Kerlen in die Hände, und sie nehmen Rache an mir. Ich kann also auf keinen Fall zugeben, daß sie unser Floß benutzen. Das wird Euch freilich nicht sehr lieb sein.«

»Es wird sich wohl ein Ausweg finden lassen. Vielleicht kommt am Morgen ein anderes Floß vorüber, welches diese Leute benutzen können.«

»Das ginge wohl an. Oder – hm, ich glaube, es wird am besten sein, wenn ich es ihnen dennoch lasse und lieber hier warte, bis ein Dampfer thalwärts kommt. Es ist ja in diesem guten Lande Sitte, daß man nur vom Ufer aus zu winken braucht, um aufgenommen zu werden.«

»Das rate ich Euch an, Capt’n, denn durch diesen Entschluß vermeiden wir alle Unbequemlichkeiten für uns und jede Gefahr für Euch.«

»Richtig! Also mögen sie mit dem Floße abdämpfen; ich warte auf den nächsten Dampfer oder das nächste Schiff, welches mich aufnehmen wird. Wo aber wollt Ihr von hier hin, Sir?«

»Das kommt auf den Ausgang an, welchen das gegenwärtige Abenteuer nimmt. Ich kann nicht eher einen Entschluß fassen, als bis ich mit dem Yerbatero gesprochen habe, welcher jetzt noch gefangen ist.«

»Wollt Ihr nicht mit nach Buenos Ayres? Zwar ist der Hafen miserabel; aber wir könnten doch ein wenig beisammen sein, um über vergangene Zeiten zu sprechen.«

»Da hinab komme ich wohl nicht. Ich will nach einer ganz andern Richtung.«

»Wohin denn, wenn ich fragen darf?«

»Nach dem Gran Chaco und dann durch die Pampa hinüber nach Tucuman.«

»Hm!« brummte er dann nachdenklich. »Eigentlich beneide ich Euch, Sir. Habe mir oft gewünscht, auch einmal so einen Ritt durch diese Pampa zu machen, doch fehlt mir die Gelegenheit. Bevor die Ladung für meinen “Wind” beisammen ist, kann eine lange Zeit vergehen, die ich dazu benutzen könnte, einmal einen wilden Gaucho aus mir zu machen. Wenn ich nicht erst nach Buenos Ayres müßte, würde ich sagen, daß ich Euch begleite.«

»Versteht Ihr die Sprache des Landes?«

»Ausgezeichnet! Ich spreche überhaupt alle Sprachen, wie Ihr von früherher wißt. Reiten und Schießen kann ich auch; was verlangt Ihr mehr?«

Ich hatte keine Zeit, ihm zu antworten, denn jetzt kam der Indianer zurück und meldete, daß er die beiden Yerbateros durch das unsichere Gebiet des Sumpfes gebracht habe. Er teilte uns mit, daß er soeben auch sich nach der Halbinsel geschlichen und dort gesehen habe, daß man über das Verschwinden des Majors und der beiden Seeleute ganz bestürzt zu sein scheine und eifrig nach ihnen suche.

»Wird man dabei auch nach Ihrer Hütte kommen?« fragte ich ihn.

»Wahrscheinlich, Sennor.«

»Kann man auch hierherkommen?«

»Nein. Einem Fremden ist das des Nachts ganz unmöglich. Sogar am Tage würde er sich schwerlich hierherfinden, denn der Weg geht durch Wasserlachen, in welche sich niemand wagen darf.«

»So senden Sie Ihre Daya hin! Sie mag ihnen, falls sie kommen, sagen, daß die Gesuchten nicht dort gewesen sind.«

Petro Aynas folgte dieser Aufforderung. Seine Frau ging fort, kehrte aber bald wieder zurück und teilte uns mit, daß soeben einige der Leute bei der Hütte gewesen seien, um nach den Verschwundenen zu suchen. Sie hatten auch nach ihrem Manne gefragt und dabei merken lassen, daß sie ihm zu mißtrauen begannen. Er hatte sich, seit er mit uns zusammengetroffen war, nicht wieder bei ihnen sehen lassen, ein Umstand, welcher freilich ganz geeignet war, ihren Verdacht zu erregen. Aynas fragte, ob es nicht angezeigt sei, daß er sich einmal zu ihnen begebe; es werde ihm dabei nicht schwer fallen, ihre Nachforschungen von uns abzulenken. Darauf antwortete der Bruder an meiner Stelle:

»Nein, das würde überflüssig oder gar verkehrt sein. Warum soll die Aufmerksamkeit dieser Leute von uns abgelenkt werden, da doch soeben gesagt wurde, daß sie uns hier ganz unmöglich finden können? Und ist es nicht gerade notwendig, daß sie erfahren, was geschehen ist? Wir fürchten sie nicht und wollen ihnen dies dadurch zeigen, daß wir ihnen ihren Anführer finden helfen. Sind Sie nicht auch meiner Meinung, Sennor?«

Er richtete diese Frage an mich, und ich stimmte ihm mit den Worten bei:

»Ich gebe Ihnen vollständig recht. Wir wollen ihnen zu wissen thun, daß die Gesuchten sich in unserer Gewalt befinden. Nur fragt es sich, wer ihnen diese Mitteilung machen soll. Ich selbst erkläre mich bereit dazu.«

»Nein, das ist zu gefährlich für Sie.«

»Pah! Ich fürchte mich nicht!«

»Davon bin ich überzeugt; aber Sie dürfen sich nicht in Lebensgefahr bringen. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Man wird Sie festhalten; man wird Sie nicht zurücklassen. Dann ,Wird man sich bereit zeigen, Monteso und seinen Neffen gegen den Major auszuwechseln, und Sie bleiben gefangen.«

»Ich lasse mich aber nicht ergreifen!«

»Das heißt, wenn man versucht, dies zu thun, so wollen Sie sich wehren? Das ist es ja eben, was ich vermeiden will. Nein, Sie bleiben hier, Sennor. Ich weiß einen, welcher gehen kann, ohne daß ihm die geringste Gefahr droht.«

»Wer ist das?«

»Ich selbst bin es. Es wird niemand wagen, sich an dem Bruder Jaguar zu vergreifen. Davon dürfen Sie überzeugt sein, Sennor.«

»Sind Sie wirklich sicher, daß die Macht, welche Sie ausüben, ihre Wirkung nicht auch einmal versagen kann?«

»Es ist möglich, aber keineswegs wahrscheinlich. Und wenn ich mich irrte, so weiß ich, daß ich mich auf Sie verlassen kann. Hält man mich zurück, so ist das nicht so schlimm, wie wenn man Sie gefangen nimmt. Man trachtet nach Ihrer Person, aber nicht nach der meinigen.«

Er war, während er sprach, von seinem Platze aufgestanden, als ob er es für ganz außer allem Zweifel halte, daß er den gefährlichen Gang unternehmen werde. Ich wollte nicht einwilligen; aber er wußte die andern auf seine Seite zu bringen, so daß ich schließlich gezwungen war, ihm seinen Willen zu lassen.

»Nun gut, gehen Sie!« sagte ich ihm. »Aber ich werde Sie begleiten.«

»Unmöglich! Zu zweien zu kommen, wäre das schlimmste, was wir thun könnten!«

»Ich will nicht ganz mit hin. Ich bleibe an einer Stelle zurück, von welcher aus ich beobachten kann, was geschieht.«

»Gut, so begleiten Sie mich, so weit es Ihnen beliebt, aber nicht bis ganz mit zur Halbinsel! Und seien Sie so klug, ein Gewehr mitzunehmen!«

»Das würde im Gegenteile unklug sein. Ich darf mich beim Anschleichen nicht mit einem Gewehre schleppen, welches mich nur hindern würde. Die Revolver genügen vollständig. Nehmen Sie auch die Ihrigen mit?«

»Natürlich, obgleich es mir gar nicht einfällt, auf einen Menschen zu schießen. Schon der bloße Anblick zweier Revolver erweckt Respekt. Dazu kommt die heilige Scheu, welche ihnen mein Stand einflößt, und endlich giebt es für einen jeden, der von mir gehört hat, noch einen Grund, mir nicht feindlich zu nahe zu kommen.«