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Das Vermaechtnis des Inka

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Der Rote blickte in die angedeutete Richtung und antwortete in zwar gebrochenem aber doch geläufigem Spanisch:

»Holá, ein Weißer bei unsrer Quelle, bei unserm Escondite (Versteck)! Er hat es entdeckt und gräbt es auf. Vaya! Auf, und hin zu ihm!«

Er wollte sein Pferd antreiben; der Weiße aber ergriff seinen Arm und sagte:

»Halt, nicht so eilig! Laß uns ihn vorher beobachten. Er kann uns nicht entgehen. Er ist ja allein, ein einzelner.«

»Ob er allein ist oder ob sich viele bei ihm befinden, das ist mir gleich. Ihr nennt mich el Brazo valiente (der »tapfere Arm«); ich bin der Kriegshäuptling der Abipones und fürchte mich vor keinem Feinde.«

»Ich weiß es. Meine Worte enthielten keine Zweifel über deine Tapferkeit. Wer mag dieser Mensch sein, welcher Werkzeuge zum Graben bei sich führt, und durch welchen Verrat hat er Euer Almacen de polvora (Pulvermagazin) entdeckt? Er ist übrigens nicht allein hier; er hat Gesellschaft bei sich, denn ich zähle fünf Pferde, welche dort am Wasser weiden.«

»Quedo – still!« rief da Antonio Perillo. »Er ist von kleiner Gestalt und ganz rot gekleidet. Sollte es möglich sein? Wenn mich meine Augen nicht trügen, so machen wir einen höchst wichtigen Fang. Es ist der Oberst, der sich in Buenos Ayres für einen deutschen Gelehrten ausgab!«

»Demonio! Ist’s wahr?« fragte der ältere von Perillos Begleitern.

»Ich möchte es beschwören. Jetzt haben wir den Beweis, daß ich mich nicht irrte, daß es sich nicht um eine Aehnlichkeit, sondern um die vollste Identität handelt. Wie käme ein harmloser deutscher Bücherwurm an die geheime Pulverkammer, welche wir für unsre roten Verbündeten anlegten, damit sie im Augenblicke des Losschlagens die nötige Munition besitzen? Es ist der Oberst Glotino, dieser Schurke, der sich über alle unsere Wege schleicht. In Buenos Ayres traf ihn unsre Kugel nicht; hier aber soll sie ihn nicht fehlen!«

Er zog den Revolver drohend aus dem Gürtel.

»Still!« beruhigte ihn sein älterer Gefährte. »Keine Uebereilung! Wir dürfen ihn nicht töten; er muß uns sagen, was er in dieser Gegend will und wie er zur Kenntnis unsres Versteckes gelangt ist. Schießen wir ihn nieder, so sind wir ihn los, ja; aber behalten wir ihn lebend in unsern Händen, so haben wir in ihm einen Geisel, welcher uns vom größten Vorteile werden kann. Und wer kommt da drüben? Sind das nicht Reiter?«

Er deutete nach Süden, wo die fünf Punkte indessen größer und deutlicher geworden waren. Die Blicke der andern richteten sich dorthin. Antonio Perillo antwortete:

»Das kann kein andrer als der Hauptmann Pellejo sein, mit dem wir hier zusammentreffen wollen. Unsre List ist also gelungen. Er hat den Auftrag erhalten, die Grenze zu inspizieren, er, unser Kumpan! Man bestellt den Bock zum Gärtner. Wir bekommen dadurch die Grenze und alle Niederlassungen am Flusse in die Hand. Dadurch sind unsern roten Verbündeten, wenn der Augenblick des Handelns kommt, sämtliche Einfallspforten geöffnet. Er ist’s gewiß, ganz gewiß. Ich denke, wir überlassen es

nicht ihm, den Kerl dort zu fangen, sondern thun das selbst, noch ehe er herangekommen ist. Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin! Das ist der beste Augenblick. Wir umzingeln die Stelle. Vorwärts! Einige setzen sich augenblicklich in den Besitz der Pferde; dann gibt es kein Entrinnen für den Schurken.«

Der Trupp setzte sich in rasche Bewegung gegen das Pulvermagazin, welches Doktor Morgenstern für den Einbettungsort eines vorweltlichen Tieres gehalten.

Fritze hatte mit dem Chirurgen den Lehm, welcher den Boden der Höhle bildete, aufgegraben. Jeder Hieb oder Stoß, den die beiden thaten, war von einem dumpfen Tone begleitet, ein Beweis, daß es unter diesem Boden einen zweiten hohlen Raum gab. Als sie ungefähr einen Fuß tief gekommen waren, stießen sie zu ihrem Erstaunen auf starke Hölzer, aus abgeschnittenen Aesten gebildet, welche nebeneinander gelegt waren und die Träger des Lehmbodens bildeten. Sie zogen mehrere derselben heraus, und so entstand eine große Oeffnung, durch welche sie hinabblicken konnten. Sie sahen da unter sich eine weit größere Höhle als die obere gewesen war. Da standen oder lagen viele kleine, sorgfältig in geharztes Leder gehüllte Fässer und längliche, ebenso gegen die Feuchtigkeit geschützte Pakete. Fritze kniete nieder, um eins der letzteren herauszulangen; es war schwer, so daß der Chirurg ihm helfen mußte. Als sie es oben hatten, zerschnitt Fritze die Riemen, mit denen es zusammengebunden war; es enthielt – Gewehre, sehr wohlerhaltene Gewehre.

»Welche Ueberraschung!« rief er aus. »Das sind ja Flinten! So steht zu erwarten, daß die Fässer Pulver und Blei enthalten!« Und in deutscher Sprache fortfahrend, rief er dem draußen hastig arbeitenden Privatgelehrten zu:

»Herr Doktor, kommen Sie doch mal herein! Wir haben etwas sehr Kurioses jefunden.«

»Etwas Kurioses?« fragte der Angerufene. »Der Bauchschild einer Gigantochelonia ist etwas sehr Wichtiges, sehr Interessantes, aber doch nichts Kurioses. Habt Ihr ihn?«

»Den Schild leider nicht, sondern eine janz andre Art von Armatur. Haben Sie doch die Jewogenheit, verehrter Herr Doktor, uns mit Ihren jütigen Besuche zu bejlücken!«

Morgenstern legte die Hacke weg und folgte der Aufforderung. Das war der Augenblick, in welchem Antonio Perillo sagte: »Seht, der Halunke steigt hinab ins Magazin!«

»Schauen Sie her!« meinte Fritze. »Es hat vor der Sündflut auch schon Pulver und Flinten jegeben. Diese Entdeckung jeht doch wohl noch über Ihre Gijantochelonia. Haben Sie schon mal mit einem Herrn jesprochen, der Flinten im Diluvium jefunden hat?«

Der kleine Gelehrte machte ein ganz unbeschreibliches Gesicht. Sein Mund stand offen; seine Augen öffneten sich, so weit es möglich war, und seine Brauen stiegen hoch empor.

»Flinten? Flinten?« stotterte er. »Ja wahrhaftig, Flinten!

Das ist freilich ein Fall, welcher mir noch nicht vorgekommen ist, der sich aber jedenfalls erklären lassen muß. Es ist gewiß, daß es weder im Silurium oder gar vorher, noch in der nächstfolgenden Zeit Schießgewehre gegeben hat. Wenn diese Waffen sich hier unter dem Rückenschilde meiner Gigantochelonia vorfinden, so sind sie von menschlichen Individuen, welche höchst wahrscheinlich der geschichtlichen Zeit angehören, hergebracht worden. Diese Menschen haben keine zoopaläontologischen Kenntnisse gehabt, sonst hätten sie erkennen müssen, daß sie ihre nachsündflutlichen Waffen an einen vorsündflutlichen Ort brachten, dessen Bedeutung für die Verhältnisse urweltlicher —«

Er kam nicht weiter. Nahendes, starkes Pferdegetrappel brachte ihn aus der Urwelt in die Gegenwart zurück. Laute Stimmen ertönten, und als er den Kopf aus dem Loche steckte, um zu sehen, was draußen vorgehe, sah er, daß mehrere Indianer die Pferde ergriffen und andre die Waffen, welche er und seine beiden Begleiter abgelegt hatten, an sich nahmen. Zwei Weiße hielten ihm ihre Revolver entgegen, und einer von ihnen rief ihm in gebieterischem Tone zu:

»Kommen Sie mit Ihren Genossen heraus, Señor! Wir haben ein Wörtchen mit Ihnen zu reden. Aber versuchen Sie nicht etwa, sich zu wehren; das würde Ihren augenblicklichen Tod nach sich ziehen.«

»Antonio Perillo!« rief der Gelehrte aus, der den Sprechenden erkannte.

»Ja, ich bin es. Gehorchen Sie, und kommen Sie schnell, sonst zwingen Sie uns, Gewalt anzuwenden.«

»Der Gewalt bedarf es nicht. Ich habe ein gutes Gewissen und kann mich vor jedem Menschen sehen lassen.«

Er kam herausgestiegen und seine beiden Gefährten folgten ihm. Als Perillo den Chirurgen erblickte, rief er erstaunt aus:

»Der Camicero! Señor, was thun Sie denn hier in dieser Gesellschaft?«

»Ich führe die Herren nach dem Gran Chaco,« antwortete der Gefragte.

»Zu welchem Zwecke?«

»Um Tiere auszugraben.«

»Tiere? Ausgraben? Was denn für welche?«

»Vorsündflutliche Urtiere.«

»Das lassen Sie sich weiß machen? Señor Parmesan, ich habe Sie bisher als einen Menschen gekannt, der zwar seine Schrullen hat, sonst aber ungefährlich ist und ganz besonders sich niemals mit Politik befaßt. Heut aber lerne ich anders von Ihnen denken!«

»Politik? Was geht mich diese an! Ich bin Chirurg und habe vollständig genug an meiner Wissenschaft. Sie wissen ja, es ist mir keine Operation und kein Schnitt zu schwierig; ich säble alles herunter.«

»Diesmal aber scheinen Sie unter Säbel nicht Ihr Operiermesser, sondern einen wirklichen Degen zu verstehen. Sie wissen doch, daß Ihre Begleiter politisch höchst verdächtige, ja sogar gefährliche Menschen sind?«

»Gefährliche Menschen? Davon habe ich keine Ahnung;’ das ist nicht wahr. Diese Señores sind gelehrte Leute aus Deutschland; sie wollen Riesentiere ausgraben; mit der Politik aber haben sie nichts zu thun.«

»Wenn das wirklich Ihre Ueberzeugung ist, so sind Sie von ihnen getäuscht worden. Wir aber wissen besser, woran wir mit ihnen sind. Sie haben eine Rolle übernommen, welche ihnen leicht das Leben kosten kann. Glücklicherweise für uns ist sie jetzt ausgespielt, da wir diese so ehrenwerten Señores hier bei dem Diebstahle ertappt haben.«

»Diebstahl?« fuhr da Fritze auf. »Wir sind keine Diebe, wohl aber können wir Sie eines Verbrechens zeihen, welches noch schlimmer als Diebstahl ist.«

»So?« lachte Perillo höhnisch auf. »Welches Verbrechen meinen Sie denn?«

»Den Mord. Sie haben in Buenos Ayres meinen Herrn zu erschießen versucht!«

»So? Es dürfte Ihnen schwer werden, dies zu beweisen; wohl aber werden wir Ihnen den Beweis führen, daß Sie sich in Dinge eingelassen haben, durch welche Ihr Kopf in die größte Gefahr gebracht wird. Ich erkläre Ihnen beiden, daß Sie unsre Gefangenen sind.«

»Dazu haben Sie kein Recht. Oder gehören Sie etwa oft und manchmal zur Polizei?«

»Das geht Sie nichts an! Uebrigens gehört Ihre Angelegenheit nicht vor das Zivil- sondern vor das Kriegsgericht. Man wird Sie standrechtlich erschießen. Hier kommt der Offizier, welcher Sie ins Verhör nehmen wird.«

 

Er deutete auf die fünf Reiter, welche jetzt von Süden her am Platze angekommen waren, vier Kavalleristen, angeführt von dem Hauptmann, welcher Morgenstern und Fritze in Santa Fe erst bewirtet und dann fortgewiesen hatte. Dieser sprang vom Pferde, nickte den Indianern zu, reichte dem Stierkämpfer wie einem alten Freunde die Hand und gab sie dann auch dem Begleiter dieses letzteren, indem er sich sehr höflich verbeugte und in beinahe ehrerbietigem Tone sagte:

»Viel Ehre für mich, Señor Benito, den berühmtesten Gambusino (Goldsucher) des Landes wiederzusehen! Sie bemerken, daß ich Wort gehalten und mich zur rechten Zeit eingestellt habe. Aber welche Menschen finde ich bei Ihnen? Da ist ja der famose Deutsche, den ich wegen seiner großen Aehnlichkeit für den Obersten Glotino hielt und dann —«

»Hielt? Nur hielt?« unterbrach ihn der Angeredete, welcher bis jetzt noch nicht gesprochen hatte. »Lassen Sie sich durch die Verkleidung nicht irre machen! Er ist es wirklich. Wo haben Sie ihn gesehen?«

Kapitän Pellejo erzählte kurz die Begegnung in Santa Fé, worauf der als Gambusino bezeichnete achselzuckend meinte: »Da haben Sie ja den Beweis, daß wir es mit dem richtigen Glotino zu thun haben. In Buenos Ayres logierte er bei dem Bankier Salido, welcher als Anhänger des Generales Mitre bekannt ist; in Santa Fe geht er nach dem Cuartel, um die Besatzung desselben zu kontrollieren, und dann reitet er direkt hierher, um unser Magazin auszunehmen. Er wird uns zu sagen haben, wer ihm die Lage desselben verraten hat.«

»Mir hat niemand etwas verraten,« bemerkte da der kleine, rote Gelehrte. »Ich heiße Morgenstern und bin aus Deutschland. Wir wollen nach dem Gran Chaco, um vorweltliche Tiere auszugraben, und hier, wo wir Lager machten, entdeckte ich zufällig, lateinisch fortuito, die obere Schale einer vorsündflutlichen Riesenschildkröte, welcher ich den Namen Gigantochelonia gegeben habe.«

»Die Schale einer Schildkröte? Wo ist sie denn?«

»Hier doch,« antwortete der Kleine, indem er auf den vermeintlichen Panzer zeigte. »Sie werden doch zugeben, daß wir es hier mit dem Rückenschilde einer Riesenschildkröte zu thun haben!«

»Herr, halten Sie uns nicht für verrückt!« fuhr der Gambusino auf. »Sie wissen sehr genau, in welcher Weise man derartige heimliche Magazine anlegt und daß man die Waffen und das Pulver dadurch vor der Feuchtigkeit schützt, daß man dem Verstecke eine mit Harz durchdrängte Lehmdecke gibt. Halten Sie uns etwa für so dumm, zu glauben, daß Sie eine solche Decke für den Panzer einer Schildkröte angesehen haben?«

»Aber, Señor, das ist ja wirklich der Fall! Die Annahme, daß dies eine durchharzte Lehmdecke sei, beruht auf einem gewaltigen Irrtume. Ich bin Kenner und gebe Ihnen die Versicherung, daß wir es mit den Ueberresten einer ganz einzig dastehenden zoopaläontologischen Existenz zu thun haben. Darauf können Sie sich verlassen, lateinisch durch fidus ausgedrückt.«

»Verstellen Sie sich doch nicht auf eine so lächerliche Weise! Wir werden Ihnen ein Latein vorsagen, welches Sie wohl schwerlich nachsprechen können. – Señor Capitan, bemächtigen Sie sich dieser beiden sogenannten Deutschen! Der Carnicero ist ungefährlich; ihn wollen wir laufen lassen, da er, wenn wir ihn bei uns behielten, uns nur hinderlich sein würde. Er mag sein Pferd und seine Waffen nehmen und reiten, wohin es ihm beliebt.«

Nichts konnte dem Chirurgen lieber sein als diese Entscheidung. Er sattelte schnell sein Pferd, nahm seine Flinte und stieg auf, um davonzureiten. Aber wohin? Als er der Truppe aus den Augen war, hielt er an, um zu überlegen.

»Eine tolle Geschichte!« brummte er in den Bart. »Dieser deutsche Knochensucher soll der Oberst Glotino sein. Fällt ihm gar nicht ein! Er hat das Waffenversteck wirklich für das Lager eines uralten Tieres gehalten. Diese Kerls, welche uns überraschten, wollen sich mit den Indianern verbinden, um sich gegen die Regierung zu empören. Sie sind Halunken. Sie sprachen davon, den Deutschen töten zu wollen. Er ist ein guter Mensch, und ich möchte ihn retten. Aber wie?«

Er dachte nach, fuhr dann plötzlich aus seinem Sinnen auf und meinte zu sich selbst:

»Ich hab’s! Ich brauche ja nur dem Vater Jaguar nachzueilen und ihm zu erzählen, was geschehen ist. Seine Spur wird nicht mehr zu sehen sein, aber ich weiß ja die Richtung, die er eingeschlagen hat. Also schnell vorwärts!«

Er jagte mit seinem Pferde von dannen.

Drittes Kapitel: El Hijo del Inka

Ungefähr zwanzig Kilometer im Norden von der Stelle, an welcher sich das soeben Erzählte ereignete, liegt jenseits des Rio Salado die Laguna Tostado. Der schon erwähnte Monte impenetrabile, d. i. undurchdringliche Wald, schickt seine Ausläufer bis an das Ufer der Lagune. Er dehnt sich längs des Rio Salado in nordwestlicher Richtung aus und ist nur da zu durchqueren, wo durch irgend welche Einflüsse oder Zufälle eine natürliche Oeffnung entstanden ist. Diese Oeffnungen bilden die Ausfallspforten, durch welche die Indianer des Chaco ihre Raubzüge in das bewohnte Land unternehmen.

Am Nachmittage desselben Tages schritten zwei Personen langsam und wie suchend an dem Rande des Waldes hin. Die eine, welche voranschritt, war ein sehr alter Mann, dessen Gesicht so viele Falten und Fältchen hatte, daß man sie nicht zu zählen vermochte. Er schien nur aus Haut und Knochen zu bestehen, doch waren seine Bewegungen so kräftig und sicher, daß man ihn für viel jünger hätte halten mögen, als er wirklich war. Seine Kleidung bestand aus einer langen Hose von weichgegerbtem Leder und einem kurzen Hemde aus demselben Stoffe. Das letztere wurde über den Hüften von einem schmalen Gürtel zusammengehalten, in welchem ein Messer steckte. Die Füße staken in niedrigen, sandalenartigen Schuhen, denen man es ansah, daß er sie wohl selbst gefertigt hatte. Ein über der Schulter hängender Riemen trug ein großes Pulverhorn, einen ledernen Bleibeutel und eine eiserne Kugelform. Den Kopf trug der Alte unbedeckt oder viel

mehr nur bedeckt von dem dichten, langen, wie Silber glänzenden Haare, welches wie eine Mähne hinten bis zum Gürtel herniederhing. Von einem Barte aber war keine Spur zu sehen. Auf dem Rücken trug er eine Art Jagdtasche, welche aus dem Felle eines Silberlöwen gefertigt war, und in der Hand ein starkes, einläufiges Gewehr.

Die andere Person war ganz genau so gekleidet und bewaffnet wie dieser Mann, trug eine ganz gleiche Tasche auf dem Rücken und das Haar auch lang bis auf den Gürtel hinab, war ihm aber in andrer Beziehung um so mehr unähnlich. Dieser andre war nämlich ein Jüngling, welcher kaum achtzehn Jahre zählen mochte, nicht lang, aber stark und untersetzt gebaut und von einer auffallenden Gewandtheit in seinen Bewegungen. Sein Haar besaß die tiefste Schwärze; sein Gesicht war jugendlich frisch und vom Gehen jetzt leicht gerötet. Man mußte ihn ebenso wie den Alten für einen Indianer halten, und doch hätte man aus einigen Anzeichen schließen mögen, daß er kein solcher sei. Seine dunkeln Augen standen nicht schief gegen einander; die Backenknochen traten nicht hervor; die Lippen waren fein, und die kleine Nase hatte keineswegs die aufgeworfene Gestalt, welche den Nasen der Indianer Südamerikas eigen ist; sie besaß vielmehr eine edle Form, sie war schmal und leicht gekrümmt. Sein Gesicht war zwar jetzt von der Sonne verbrannt, hatte aber jedenfalls ursprünglich eine viel hellere als die gewöhnliche Indianerfarbe.

Beide schritten zwischen dem Wasser der Lagune und dem Waldesrande hin, um den letzteren mit scharfen Augen zu mustern. Da erhob der Jüngling die Hand, deutete vor sich hin und sagte im Kaltschakidialekte der Ketschuasprache:

»Schau, Anciano, dort scheint der Baum zu stehen. Ich weiß genau, daß es ein Ombu von dieser Größe war.«

Aus dem Umstande, daß der junge Mann sich dieser Sprache bediente, war mit Sicherheit zu schließen, daß seine Heimat nicht hier in dieser Gegend zu suchen sei. Der Ombu (Phytolacca dioeca) ist ein mächtiger Baum, dessen Blätter mit denjenigen des Maulbeerbaums große Aehnlichkeit haben. Das merkwürdigste an ihm ist sein Stamm, ein dicker Holzkörper vom Umfange einer mächtigen Eiche, der sich nach unten schnell ausdehnt und in gewaltige Wurzeläste teilt, die in Windungen eine Strecke über der Erde fortlaufen und erst dann in den Boden eindringen. Auf diese Wurzeln setzt man sich, wenn man den Schatten benutzen will, welchen die weit ausgebreitete Krone spendet. Aber dieser kolossale Stamm hat ein so lockeres Holz, daß es, wenn man hineinstößt, wie Zunder bricht. Darum ist der Ombu zu nichts zu gebrauchen, denn sein Holz ist nicht einmal zum Verbrennen tauglich. Man pflanzt ihn nur an, um einen Schattenspender zu haben.

»Du kannst recht haben, o Herr,« antwortete der Alte in derselben Sprache. »Der Ombu, unter welchem wir unsre Sachen vergruben, ehe wir die Gegenden der Spanier besuchten, hatte ganz dieselbe Gestalt wie dieser. Laß uns nachsehen!«

Der Alte nannte den jungen »Herr«, bei Indianern ein ganz und gar unmöglicher Brauch. Diese beiden Personen schienen in einem ganz eigentümlichen Verhältnisse zu einander zu stehen. Sie schritten auf den Ombu zu, blieben unter demselben halten und legten ihre Taschen und Gewehre ab. Dann untersuchte der Alte den Boden. Auf eine Stelle deutend, an welcher das Gras im Wachsen zurückgeblieben war, sagte er:

»Du hast richtig vermutet, Herr. Wir sind an Ort und Stelle. Weil wir damals den Rasen hier aufgruben, hat dem Grase die Ernährung gefehlt. Ich werde suchen. Hoffentlich hat niemand diesen Ort entdeckt.«

Er kniete nieder und zog das Messer, um die Erde aufzugraben. Der Jüngling wollte dasselbe thun; der Alte aber bat:

»Laß es mich allein thun, o Herr! Du bist zum Herrschen geschaffen, nicht aber zu dieser Arbeit eines Untergebenen.«

»Und dennoch helfe ich dir, lieber Anciano. Du weißt ja, ich thue es gern, denn du bist alt, und ich bin jung.«

Aber Anciano schob ihn mit dem Arme sanft zurück und antwortete:

»Alt? Ich bin noch nicht alt. Ich zähle erst ein einziges über hundert Jahre; meine Vorfahren aber sind viel, viel älter geworden.«

Während der Alte emsig grub, fuhr er fort:

»Ja, weit über hundert Jahre! Mein Vater zählte hundertzehn, mein Großvater hundertelf und dessen Vater gar hundertzwanzig. Und dessen Vorgänger war es, der deinen Urahnen aus der Hand der Spanier rettete, als sie den großen Inka Atahualpa ermordeten und seine ganze Familie ausrotten wollten. Haukaropora hieß dieser dein göttlicher Vorfahre, und denselben Namen hast du auch erhalten. Er war der jüngste Sohn von Atahualpa und in der Ferne geboren, so daß Pizarro, der Mörder, nichts von seinem Dasein wußte. Unser großes Reich wurde zerstört, mit dem Schwerte und dem Feuer, durch List, Betrug und Verrat. Man meint, die Inkas seien ausgestorben, aber du lebst, der letzte der Sonnensöhne, und es wird die Zeit kommen, in welcher du die Spanier bestrafen und dein Reich zurückerobern wirst.«

Haukaropora hatte sich in das Gras gestreckt und, den Kopf in die Hand gestützt, den Worten des Alten zugehört. Sein Gesicht hatte einen tief wehmütigen, ja melancholischen Ausdruck angenommen. Er seufzte auf und sagte, als Anciano jetzt schwieg:

»Das hast du mir schon so oft gesagt, aber ich glaube es nicht. Ich glaube dir alles, alles, nur dieses nicht.«

»Wie? Du glaubst nicht, daß du ein Inka, ein Sohn der Sonne bist?« fragte der Alte erstaunt.

»Das glaube ich, denn du hast es mir bewiesen, und ich

selbst fühle in mir etwas ganz Unbeschreibliches, was mir sagt, daß ich nicht so bin wie andre. Aber, daß das Reich meiner Ahnen wieder erstehen könne, das glaube ich nicht.«

Da richtete sich der Alte aus seiner gebückten Haltung auf und antwortete in feierlichem Tone-.

»Du sollst und mußt es aber glauben, denn es gibt eine Gerechtigkeit, welche jede Sünde, jede Missethat bestraft und dem Unschuldigen das wiedergibt, was ihm genommen wurde. Du wirst das Reich deiner Väter wieder aufrichten; ich sage es dir, und mein Wort ist immer wie ein Schwur. Kein Mensch ahnt, wer du bist, denn wir haben es geheim gehalten. Nur wenn wir allein sind, bedienen wir uns der Sprache unsrer Ahnen und ich nenne dich Herr. Wenn aber andre bei uns sind, bin ich ein armer Indianer, und du bist mein Enkelsohn. Es wird aber die Stunde schlagen, in welcher dieses Geheimnis gelüftet wird.«

»Aber ohne Erfolg, mein Vater! Ich hatte Lust, die Länder und Städte der Spanier kennen zu lernen, und du hast mich aus meiner Einsamkeit genommen und nach Osten geführt. Ich habe diese Städte, diese Pampas und ihre Bewohner gesehen, und nun wir zurückkehren, weiß ich, daß unsre Hoffnungen sich nie erfüllen werden.«

 

»Nie? Warum?«

»Weil sie zu mächtig und listig sind und wir keine Mittel besitzen, den Kampf mit ihnen siegreich aufzunehmen und auszuhalten.«

»Mächtig und listig!« lachte der Alte rauh auf. »Sie bethätigen ihre Macht, indem sie sich unter einander zerfleischen. Und ihre List ist nichts als Heimtücke, welche den eigenen Herrn vernichtet. Steht nicht das Land in immerwährender Empörung? Warte noch eine kleine Weile, dann wird man sich nach dem Erlöser sehnen, und der wirst du sein, o Herr.«

»Woher soll ich Soldaten nehmen, um zu siegen?«

»Alle roten Männer werden mit dir sein!«

»Und woher das Geld, welches ein Heerführer haben muß? Die Völker der Roten sind alle arm.«

»Aber du bist reich, reich wie kein andrer!«

»Ich? Reich?« fragte der Jüngling in ungläubigem Tone.,

»Ja reich, unendlich reich,« antwortete der Alte. Und indem er mit der flachen Hand auf seine Silberlöwentasche schlug, fuhr er fort.

»Hier steckt es, das Vermächtnis des Inka, dessen rechtmäßiger und einziger Erbe du bist. Seit dem Tode deines Vaters habe ich es bei mir herumgetragen, und zu seiner Zeit wird es von mir geöffnet werden. Doch schau, o Herr, die Grube ist geöffnet, und unsre Waffen kommen zum Vorschein.«

Er hatte die Erde ausgeworfen und nahm die Gegenstände, welche das Loch enthielt, heraus. Es waren zwei lederne Köcher, mit Pfeilen gefüllt, zwei lange Lanzen und zwei Bogen, von denen der eine ganz aus durchsichtigem Horn bestand und von fremder, eigenartiger Arbeit war. Zuletzt brachte er noch einen Streitkolben heraus, welcher eine schwarze Farbe hatte und aus gefirnißtem Eisen zu sein schien. Jeder erhielt einen Speer, einen Köcher und einen Bogen; der des jungen Inka war derjenige von Horn, welcher eine Länge von beinahe drei Ellen hatte. Dazu bekam er den Streitkolben, den er sich an den Gürtel hing, und zwar an der linken Seite, an der Stelle, an welcher man den Säbel zu tragen pflegt. Die Art und Weise, wie er dabei mit dem Kolben hantierte, ließ vermuten, daß derselbe von bedeutendem Gewichte sei.

Der Alte hatte sich erhoben, nickte dem Jünglinge ernst zu und sagte:

»Dieser Bogen und der Humantschuay sind die einzigen Gegenstände, welche von den Söhnen der Sonne auf dich übergegangen sind. Halte sie lieb und wert, o Herr! Du glaubtest vorhin, du seist arm; darum will ich dir etwas sagen, was ich dir bisher verschwiegen habe. Im Heere der Sonnensöhne trug jeder Obere, auch der Inka, außer den andern Waffen auch einen schweren, zackigen Streitkolben, Humantschuay genannt. Die gewöhnlichen Kämpfer hatten Streitäxte aus Bronze; der Streitkolben der Heerführer war aus Silber, derjenige des Inka aber aus purem, reinem Golde. Dieser Humantschuay, der hier an deiner Seite hängt, war die Waffe eines Inka; er besteht aus gediegenem Golde.«

»Aus Gold?« fragte der Jüngling erstaunt, indem er den Kolben aufnahm und betrachtete. »Er ist ja schwarz wie Eisen!«

»Weil er einen dünnen Ueberzug aus Lack besitzt. Eine goldflimmernde Waffe darfst du jetzt nicht sehen lassen. Später aber wird sie in deiner starken Hand deinen Kriegern voranleuchten. Sie ist bei der Flucht deines Ahnen gerettet worden. Wenn du bedenkst, wie schwer sie ist, wirst du er kennen, welchen Wert du in den Händen hast. Und ich bin überzeugt, daß noch ganz andre Reichtümer für dich verborgen liegen.«

»Mag er von Gold sein,« meinte der Jüngling kopfschüttelnd, »dieser Streitkolben; er wird jetzt keinem Feinde mehr gefährlich. Man hat ganz andre Waffen als damals. Was sind tausend Streitkolben gegen fünfzig Flinten oder eine einzige Kanone! Seit du drüben in Montevideo diese beiden Flinten gekauft hast, weiß ich, wie schwach unsre bisherigen Waffen waren.«

»Das glaube nicht! Der Klang des Pulvers verrät dich deinem Feinde; der Pfeil aber ist verschwiegen. Du tötest mit ihm viele Feinde, bevor man erkennt, wo du dich befindest. Jetzt aber komm, o Herr, damit wir bis zum Abend ein Wasser erreichen, an welchem wir unsern Durst zu stillen vermögen!«

Sie hatten, ehe sie vor Monaten die Wildnis verließen, ihre Waffen außer den Messern hier vergraben und befanden sich nun wieder im Besitze derselben. Da sie es nicht für nötig fanden, das Loch wieder zuzufüllen, ließen sie es offen und nahmen ihre vorhin unterbrochene Wanderung wieder auf. Pferde besaßen sie nicht; sie kehrten zu Fuße in ihre ferne Heimat zurück.

Die Lagune verlassend, marschierten sie am Waldesrande hin. Sie hatten viel zu tragen, was aber auf die Schnelligkeit ihrer Schritte von gar keinem Einflusse war. Der über hundert Jahre alte Greis schritt rüstig wie ein junger, dreißigjähriger Mann neben seinem Begleiter her. Er war von diesem Anciano genannt worden, ein spanisches Wort, welches der Alte, der Hochbetagte, der Greis bedeutet. Es ist übrigens bekannt, daß man bei den Indianern der Cordilleren oft Personen findet, welche über hundert Jahre zählen.

Da, wo die beiden jetzt gingen, entfernte sich der Wald vom Flusse, so daß zwischen beiden ein ziemlich breiter Campo blieb, in dessen niedrigem Grase leicht zu gehen war. Sie suchten sich eine der erwähnten natürlichen Oeffnungen im Walde, um eine andre Richtung einzuschlagen. Nach ungefähr einer Stunde gelangten sie an eine solche, welche gerade

nordwärts durch den Wald zu führen schien. Sie war schmal, höchstens vierzig Schritte breit. Sie folgten ihr.

Noch aber waren sie nicht weit vorwärts gekommen, als der Inka, welcher doch schärfere Augen als der Alte hatte, diesen plötzlich am Arme faßte und ihn schnell seitwärts unter die Bäume zog.

»Was ist’s? Was gibt’s?« fragte Anciano. »Hast du etwas gesehen? Vielleicht ein Tier, welches wir schießen können, um frisches Fleisch zu erhalten?«

»Nicht nur ein Tier, sondern viele habe ich gesehen,« antwortete der Gefragte.

»Wo?«

»Gerade vor uns in der Lichtung.«

»Welcher Art?«

»Pferde, und auch Menschen waren dabei.«

»Pferde und Menschen? Wer könnte das sein? Was wollen die hier? Wie viele waren es?«

»Das kann ich nicht sagen, da ich sie nur einen Augenblick lang sah und dann mich hier verstecken mußte.«

»Das hast du klug gemacht, o Herr. Wir befinden uns hier im Gebiete der Abipones, welche unsre Todfeinde sind; da können wir nicht vorsichtig genug sein. Was thaten sie? Ritten sie vor uns her oder auf uns zu?«

»Sie ritten nicht, sondern sie lagerten.«

»Dann werde ich mich hinschleichen, um sie zu beobachten.«

»Laß mich das thun, lieber Anciano! Es ist zu gefährlich, und du bist so alt.«

»Ich bin nicht zu alt, du aber bist zu jung dazu. Und wie könnte ich dich, Herr, einer solchen Gefahr überantworten!«

»So gehen wir beide!«

»Nein. Einer genügt; aber zwei sind zu viel.«

Sie stritten sich noch eine kurze Zeit, da jeder die Gefahr auf sich nehmen wollte; aber der Alte setzte in aller Liebe seinen Willen durch und entfernte sich, nachdem er dem Jünglinge angedeutet hatte, den Ort auf keinen Fall zu verlassen. Es dauerte wohl eine halbe Stunde, bevor er zurückkehrte; dann kam er geschlichen und meldete:

»Es sind wirklich Abipones. Ich zählte fünfzig Pferde und ebensoviele Leute.«

»Woher mögen diese Menschen die Pferde haben?«

»Gestohlen natürlich.«

»Wie waren sie bewaffnet?«

»Mit Lanzen, Bogen, Pfeilen und Blasrohren.«

»So haben sie Giftpfeile bei sich und man muß sich in acht nehmen. Was thun wir? Können wir vorüber?«

»Nein. Die Oeffnung des Waldes ist zu schmal.«

»So schleichen wir unter den Bäumen an ihnen vorbei.«

»Auch das geht nicht. Der Wald ist undurchdringlich. Die Schlingpflanzen bilden eine dichte Masse, durch welche man nicht gelangen kann. Schon jetzt war es mir unmöglich, wenigstens am Saume hin mich soweit anzuschleichen, daß ich die Leute sehen und genau zählen konnte.«

»So kommen wir also gar nicht weiter vorwärts?«