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Das Vermaechtnis des Inka

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»Nein. Wir müssen zurück und uns eine andre Oeffnung des Waldes suchen. Komm, o Herr!«

Sie gingen zurück, bis sie den Campo wieder erreichten, und schritten dann wieder in der vorigen Richtung am Walde hin. Dieser machte nach einiger Zeit einen Bogen nach Norden, den sie dadurch abschnitten, daß sie die dadurch entstehende halbkreisförmige Prairie geradeswegs überschritten. Die erste Hälfte des Nachmittages war vergangen, und die Sonne neigte sich stark dem westlichen Horizonte entgegen.

Indem sie über diese offene Prairie marschierten, erblickten sie plötzlich links von sich, also im Süden und dem Flusse zu, einen einzelnen Reiter, welcher in gestrecktem Galopp näher kam. Und zu gleicher Zeit bemerkten sie vor sich im Grase eine dunkle Linie, eine breite Spur, die nach Nordwest führte, und welcher dieser Reiter zu folgen schien. Sie blieben überlegend stehen.

»Was thun wir?« fragte der Inka. »Weichen wir ihm aus?«

»Das ist unmöglich,« meinte der Alte. »Er ist schneller als wir und würde uns einholen. Uebrigens brauchen wir uns vor einem einzelnen Mann doch nicht zu fürchten.«

»Auch nicht, wenn er zu den Abipones gehört?«

»Auch dann nicht; denn ehe er sie herbeiholen könnte, wären wir schon weit fort. Uebrigens glaube ich zu sehen, daß er ein Weißer ist.«

Der Reiter hatte natürlich auch sie gesehen und kam auf sie zu. Bei ihnen angekommen, hielt er sein Pferd an, grüßte und fragte in spanischer Sprache:

»Darf ich erfahren, Señores, woher Sie kommen?«

»Wir kommen vom Parana her,« antwortete Anciano höflich in derselben Sprache.

»Und wohin wollen Sie?«

»Durch den Gran Chaco hinauf in die Berge.«

»Wer sind Sie?«

»Wir sind Indianer, die zu keiner Partei gehören und mit den Weißen in Frieden leben.«

»Das freut mich. Ich bin Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Castelguardianta.«

»Ein sehr langer und wohl auch sehr vornehmer Name, Señor, nicht?«

»Ja. Ich stamme aus Altkastilien, wo meine Ahnen auf Burgen und Schlössern wohnten. Aber da Sie durch den Chaco und nach den Bergen wollen, so fällt mir ein – — gehören Sie etwa zur Gesellschaft des Vaters Jaguar?«

»Des Vaters Jaguar? Ist dieser berühmte Mann denn hier?«

»Allerdings. Ich suche ihn. Ich glaube, die Fährte, die Sie da vor sich sehen, ist die seinige. Also Sie gehören nicht zu ihm?«

»Nein; aber wir würden uns sehr freuen, wenn wir ihn treffen könnten; denn er würde uns gewiß erlauben, uns ihm anzuschließen. Also Sie meinen, daß dies seine Spur ist?«

»Ja. Wir hatten seine Fährte schon einmal, ritten aber nicht auf derselben fort, weil wir bei einem vorweltlichen Tiere halten blieben. Dann als ich die Fährte brauchte, war sie verschwunden. Nachher aber erreichte ich eine Stelle, wo der Vater Jaguar Halt gemacht haben muß, und von da aus ist die Spur wieder zu sehen.«

»So bitten wir, derselben mit Ihnen folgen zu können!«

»Gern, wenn Sie nicht zu langsam gehen. Ich habe nämlich Eile.«

»Wir gehen schnell.

»So kommen Sie!«

Er ritt in ziemlich schnellem Schritte weiter, und sie waren so gute Läufer, daß es ihnen nicht schwer wurde, sich an seiner Seite zu halten. Dabei meinte er, sie noch genauer als bisher betrachtend:

»Sie kennen meinen Namen und meine edle Abstammung, Señores. Darf ich nun auch wissen, wie ich Sie zu nennen habe?«

»Ich heiße Anciano, und der Name

meines Enkelsohnes ist Haukaropora. Wem dieser Name zu lang ist, der pflegt gewöhnlich nur Hauka zu sagen.«

»Das werde auch ich thun, denn es findet da eine Amputation der letzten drei Silben statt, und ich liebe solche Operationen. Ich bin nämlich Chirurg. Was sagen Sie zu einer operativen Entfernung der Kniescheibe? Wird der Patient dann noch gehen können?«

»Wohl schwerlich, Señor.«

»Schwerlich? Sehr leicht sogar, Señor Anciano. Man muß es nur richtig zu machen verstehen. Ein Schnitt zur rechten Zeit und in der richtigen Weise. Mir würde er sicher gelingen. Es wäre zwar eigentlich kein Schnitt, sondern eine Arbeit mit der Knochensäge; aber das schadet nichts, denn ich säble bekanntlich alles herunter!«

Der Alte strich sich das lange Haar aus der Stirn und sah den Sprecher mit einer gewissen Befangenheit an, da er nicht wußte, was er von dessen Worten denken und auf dieselben antworten solle. Der Chirurg bemerkte das und fragte:

»Sie glauben es vielleicht nicht? O, ich habe Operationen ausgeführt, bei denen es eine wahre Wonne war, die Knochensäge arbeiten zu hören! Was halten Sie vom Klumpfuße? Ist er durch eine Operation zu heilen?«

»Das kann ich leider nicht sagen, Señor.«

»Nicht Señor, sondern Don! Ein solcher Edelmann, wie ich bin, wird Don genannt. Sagen Sie also einfach Don Parmesan. Wie es scheint, kennen Euer Gnaden den Vater Jaguar?«

»Ja; ich habe ihn nicht nur schon gesehen, sondern auch mit ihm gesprochen.«

»Das ist mir lieb! Ich lerne also in Ihnen einen Bekannten von ihm kennen. Glauben Sie, daß er bereit sein wird, zwei deutsche Señores zu retten?«

»Deutsche? Was ist das?« »Leute aus Deutschland.« »Das kenne ich nicht.«

»Da scheint es mit Ihren geographischen Kenntnissen schlecht zu stehen, Señor Anciano. Deutschland ist ein Land, welches jenseits des Meeres liegt, westlich von Spanien, nördlich von Rußland, südlich von England und östlich von Italien. Da haben Sie seine Grenzen. Die Leute dort sind des Teufels darauf, Riesentiere auszugraben. Bei einem solchen Geschäft sind wir von den Abipones erwischt worden.«

»Von den Abipones? Wo war das?«

»Jenseits des Rio Salado, aber diesseits der Laguna Porongos.«

»Auch dort waren Abipones? Seltsam! Wie viele?« »Vielleicht fünfzig.« »Grad so viele, wie auch wir gesehen haben.« »Wo?« »Da hinter uns im Walde.«

»Das ist kein gutes Zeichen. Sollten diese Kerls etwa einen Einfall planen? Ich wünsche sehr, den Vater Jaguar zu finden, damit der lateinische Deutsche und sein Diener baldigst gerettet werden.«

Er erzählte den beiden in seiner Weise das erlebte Abenteuer. Dabei gelangten sie wieder in den Wald und wurden von der Fährte, welcher sie folgten, am Saume desselben hingeführt, bis er eine kleine Bucht bildete, vor welcher sie überrascht halten blieben, denn auf derselben grasten wohl über zwanzig Pferde, und ebensoviele Männer lagen in den verschiedensten Gruppierungen umher. Sie waren wohlbewaffnet und alle, ohne Ausnahme, ganz und gar in Leder gekleidet. Als sie die Ankömmlinge erblickten, sprangen sie auf, und einer, welcher von riesiger Gestalt war und einen dichten, grauen Bart trug, kam auf sie zu.

»Das ist der Vater Jaguar,« flüsterte Anciano dem Chirurgen zu.

Der Genannte bildete heute eine ganz andre Figur als in Buenos Ayres. Dort hatte er einen feinen Anzug nach französischem Schnitte getragen und auch schon so einen jeden mit seiner gewaltigen Figur imponiert. Hier aber in dem Lederanzuge und in den langen Stiefeln sah er noch ganz anders aus. Es war, als ob diese Gestalt gar nicht ohne dieses Habit gesehen werden dürfe. Er nahm zunächst keine Notiz von dem Chirurgen, sondern wendete sich an dessen Begleiter und rief sichtlich erfreut, indem er ihnen die Hände entgegenstreckte:

»Anciano und Hauka! Hier unten im Chaco! Was hat denn euch bewogen, von euern Bergen herabzusteigen, und welcher Zufall führt euch grade heut an diesen Ort?«

Sie drückten ihm die Hände, und Anciano antwortete:

»Davon später, Señor. Es gibt Notwendigeres zu besprechen. Sie sollen zwei gefangene Männer retten.«

»Wie? Zwei Gefangene retten? Das klingt ja sehr nach Abenteuer! Wer sind diese Leute?«

»Don Parmesan wird es Ihnen sagen.«

Der Vater Jaguar wendete sich jetzt dem Genannten zu. Seine Augenwinkel zogen sich ein wenig mißmutig zusammen, als er zu ihm sagte:

»Don Parmesan? Diesen Namen habe ich schon gehört, und ich denke, Sie auch schon gesehen zu haben. Werden Sie nicht zuweilen El Carnicero genannt?«

»Allerdings,« antwortete der Gefragte; »aber ich dulde es nicht, daß man mir

diesen Namen gibt. Ich bin der Doktor Parmesan Rui el Iberio de Sargunna y Cast – — – —«

»Schon gut!« unterbrach ihn der Vater Jaguar. »Sie wollen mir sagen, wer die Männer sind, welche meiner Hilfe bedürfen?«

»Es sind zwei deutsche Señores.«

»Deutsche? Ist’s möglich?«

»Ja. Sie wollten Ihnen nach, um im Chaco alte Tiere auszugraben. «

»Alte Tiere? Meinen Sie etwa vorweltliche?« fragte der Riese, indem er die Brauen in mißmutiger Erwartung höher zog.

»Ja, vorweltliche; das stimmt. Es war eine Gigantochelonia.«

»Diesen Namen habe ich noch nicht gehört; mein Latein sagt mir aber, daß es sich wahrscheinlich um eine Riesenschildkröte handelt.«

»Richtig, Señor! Bei der Schale der Kröte war es, wo wir erwischt wurden.«

»Wie hießen diese Deutschen?«

»Der Kukuk kann sich solche Namen merken! Einer war Doktor und der andre sein Diener.«

»Doktor Morgenstern?«

»Ja, ja, so klang es.«

»Und Fritze Kiesewetter?«

»Ganz recht, ganz recht! Kiese – — war’s, Kiese –!«

»Welche Menschen! Ich glaube, die sind mir von Buenos Ayres bis hierher nachgelaufen!«

»Das nicht; aber per Dampfer nachgefahren und dann von Santa Fé aus nachgeritten. Dieser Doktor Mor – Mor – oder wie er heißt, ist ein ganz lieber Señor, hat aber seine Schrullen. Er will nur von seinen Tierknochen hören und ist auf nichts andres zu bringen. Mit der Chirurgie zum Beispiel darf man ihm gar nicht kommen, und das ist doch das interessanteste Feld, welches es nur geben kann. Was sagen Sie wohl zu einer Operation des Zungenkrebses in Komplikation mit Nasenpolypen? Das müßte doch ein –«

»Lassen wir den Krebs und die Polypen!« fiel ihm der Vater Jaguar in die Rede. »Erzählen Sie mir in Kürze, was geschehen ist!«

Der Chirurg gehorchte dieser Aufforderung. Während er sprach, traten die Gefährten des Vater Jaguar herzu, um ihm zuzuhören. Es waren lauter kräftige Gestalten, denen man es ansah, daß sie schon manches erlebt hatten und wohl vor keiner Anstrengung und keiner Gefahr zurückschreckten. Die drei, welche mit ihm in Buenos Ayres gewesen waren, befanden sich auch dabei. Auch sie machten jetzt einen ganz andern Eindruck als damals, wo sie im Gesellschaftsanzuge steckten. Als Don Parmesan seinen Bericht beendet hatte, trat zunächst tiefe Stille ein. Keiner wollte reden, bevor der Anführer das Wort ergriffen hatte. Dieser sah eine kleine Weile nachdenklich vor sich nieder und fragte dann, sich direkt an einen seiner Gefährten wendend.

 

»Was meinst du dazu, Geronimo? Hast du dir die Sache schon zurechtgelegt?«

Dieser Geronimo war ein nicht zu hoher, aber sehr breitschulteriger Mann mit dichtem schwarzem Vollbarte und einer bedeutenden Habichtsnase. Er hätte für das Urbild eines Räuberhauptmanns genommen werden können, war aber ein sehr ehrlicher Kerl und der Liebling des Vater Jaguar, dessen Lehren und Unterweisungen er sich am meisten zu nutze gemacht hatte. Er zuckte leicht die Achsel und antwortete:

»Zunächst kommt es wohl darauf an, ob du denkst, daß wir diese unvorsichtigen Leute stecken lassen sollen oder nicht.«

»Sie müssen heraus aus der Falle, in welche sie geraten sind. Sie sind Landsleute von mir. Ich habe diesem Doktor Morgenstern wohl fünfzigmal gesagt, daß ich ihn nicht mitnehmen kann, und konnte unmöglich ahnen, daß er mir dennoch folgen werde. Eine kleine Strafe könnte ihm nichts schaden; aber befreien muß ich ihn, sonst kann ihm seine Aehnlichkeit mit dem Obersten, den ich noch nie gesehen, verhängnisvoll werden.«

»So fragt es sich, ob sich die Abipones noch dort befinden. Wäre dies der Fall, so ritten wir einfach hin.«

»Sie sind wohl nicht mehr dort,« fiel da der alte Anciano ein. »Die Señores müssen mir verzeihen, wenn ich mir diese Bemerkung erlaube. Ich habe Gründe dazu.«

Er erzählte von den Abipones, welche er gesehen hatte, und beschrieb die Stelle, wo er an sie geschlichen war.

»Befanden sich Weiße bei ihnen?« fragte der Vater Jaguar. »Nein.«

»Dennoch möchte ich überzeugt sein, daß die beiden Indianertrupps zusammengehören. Es handelt sich sehr wahrscheinlich um ein Pronunciamiento. Die Abipones sollen aufgewiegelt werden. Man hat Verstecke angelegt, um sie genügend bewaffnen zu können. Die Schutzdecke eines solchen Magazins hat der Doktor für das Rückenschild seiner wunderbaren Gigantochelonia gehalten. Selbst wenn man sich überzeugt, daß er nicht der Oberst ist, hat er so viel gesehen und erfahren, daß man sich leicht veranlaßt sehen kann, ihn schweigsam zu machen. Hier zu Lande gilt ein Menschenleben nichts, und das eines Ausländers noch weniger als dasjenige eines Inländers. Und also Antonio Perillo war dabei? Dieser Stierkämpfer und notorische Schurke ist also auch mit in die Revolte verwickelt. Ich habe ein Wort mit ihm zu reden. Der Hauptmann Pellejo ist ein Verräter. Und der dritte? Wer war er? Wie wurde er genannt?«

»Wie er heißt, das weiß ich nicht, denn sein Name blieb verschwiegen,« antwortete der Chirurg.

»Beschreiben Sie ihn mir.«

»Er war von langer und starker Gestalt, wenn auch nicht so sehr wie Sie, Señor Jaguar.«

»Alt oder jung?«

»Aelter als die andern.«

»Welche Rolle schien er zu spielen? Diejenige eines Untergebenen?«

»Nein, ganz und gar nicht. Er schien vielmehr der Vornehmste von allen zu sein. Er sprach so, als ob er es sei, der zu befehlen habe.«

»Was er ist, ein Offizier, ein Estanziero, ein Gaucho, das konnten Sie wohl nicht erraten?«

»Nein. Er sah ganz wie einer aus, der sich stets im Freien bewegt, wie ein Yerbatero, ein Cascarillero oder ein Garnbus – — —«

Er hielt inne und besann sich wie einer, dem etwas Wichtiges einfällt.

»Nun, was ist’s? Warum schweigen Sie? Wollten Sie Gambusino sagen?«

»Ja, ja, Gambusino. Da fällt mir doch noch ein, daß er von dem Kapitän der größte Gambusino genannt wurde.«

»Das ist schon etwas. Also ein Namen wurde aber nicht genannt?«

»Nein. Und wurde er genannt, so habe ich nicht darauf geachtet.«

»Der größte Gambusino!« fiel da Geronimo ein. »Sollte es etwa gar Benito Pajaro sein, der sich ja den größten Gambusino nennen läßt?«

»Möglich,« antwortete der Vater Jaguar. »Ich bin diesem Manne sonderbarerweise noch nicht begegnet, habe aber

gehört, daß er von langer und starker Gestalt ist. Nun, jedenfalls werden wir erfahren, mit wem wir es zu thun haben, denn ich bin sehr entschlossen, diesen Señores einen Strich durch ihre Rechnung zu machen. Sie wollen sich gegen Mitre empören, einen General, den ich achte und sehr wertschätze. Schon deshalb möchte ich ein Wort mit ihnen reden. Dazu kommt, daß sie sich an meinen Landsleuten vergriffen haben. Ich hoffe, ihr seid mit von der Partie und werdet mich nicht im Stiche lassen!«

»Nein, nein; das versteht sich ganz von selbst!« rief es im Kreise.

»So will ich euch sagen, wie ich mir die Sache denke. Die beiden Trupps gehören zusammen. Die Indianer, welche die Deutschen gefangen genommen haben, werden den andern Trupp aufsuchen, und zwar höchst wahrscheinlich noch heut. Sie werden alle da lagern, wo dieser unser Señor Anciano die Roten beobachtet hat, und die Gefangenen befinden sich natürlich bei ihnen. Wir reiten jetzt hin und kommen dort an, wenn es Abend geworden ist. Die Waldesöffnung wird trotz der Dunkelheit zu finden sein, und dann werden uns die Lagerfeuer als Führer dienen. Was wir thun werden, um die Gefangenen zu befreien, weiß ich jetzt noch nicht; aber wenn ich mich an sie geschlichen und sie beobachtet habe, wird sich leicht ergeben, in welcher Weise wir zu handeln haben. Also auf, zu den Pferden! Die Sonne berührt schon den Horizont, und in einer Viertelstunde ist es dunkel.«

Die Männer sattelten ihre Pferde. Anciano und Hauka waren zu Fuße gekommen; sie mußten also hinter zwei andern Reitern aufsteigen. Anton, der Neffe des Bankiers, hatte sofort eine Zuneigung zu dem jungen, hübschen Inka gewonnen; er kam zu ihm und sagte in der höflichen spanischen Weise:

»Señor, Sie werden gezwungen sein, zu zweien zu reiten. Darf ich Ihnen einen Sitz bei mir anbieten?«

Ueber das ernste Gesicht des Inka, auf welchem gewöhnlich der den südlichen Indianern eigentümliche wehmütige Zug zu beobachten war, glitt ein freundliches, dankbares Lächeln, und er antwortete:

»Ich werde Ihnen beschwerlich fallen, Señor, nehme aber Ihr Anerbieten an. Vielleicht ist es mir möglich, Ihnen einen andern Dienst zu erweisen. Ich heiße Hauka; wie darf ich Sie nennen?«

»Mein Name ist Antonio. Sie werden mir nicht lästig fallen; ich freue mich im Gegenteile darauf, mit Ihnen reiten zu dürfen. Sie werden wohl besser zu Pferde sitzen als ich; darum bitte ich Sie, mir den Sattel zu überlassen.«

Er stieg auf, und Hauka sprang hinter ihm flink auf das Pferd. Anciano leistete einem der andern Reiter Gesellschaft. Dann ging der Ritt an dem Rande des Waldes hin, ganz denselben Weg zurück, den die beiden gekommen waren. Die Sonne senkte sich hinter dem Horizonte hinab, und der kurzen Dämmerung folgte der Abend.

Der alte Anciano ritt mit seinem Sattelgefährten neben dem Vater Jaguar voran. Ihnen folgten Anton Engelhardt und der junge Inka mit Geronimo, dem Lieblinge des Vater Jaguar. Man bemühte sich, alles Geräusch zu vermeiden, und da der Boden weich und grasig war, so drang der Hufschlag nicht weit, und es war nur hie oder da das Schnauben eines Pferdes zu vernehmen. So ging es weiter und weiter, bis Anciano halten blieb und den Inka in spanischer Sprache, so daß die andern es verstehen konnten, mit unterdrückter Stimme fragte:

»Ich denke, wir müssen den Einschnitt sofort erreichen. Was meinst du, mein Sohn?«

“Eben wollte ich dich auf dasselbe aufmerksam machen, mein Vater,« antwortete der Gefragte. »Ich sehe trotz des Dunkels hier links einen hohen Laureliabaum, welcher mir auffiel, als wir aus dem Einschnitte kamen. Er ist nicht weit von dem letzteren entfernt.«

»So werden wir absteigen und die Pferde etwas zurückschaffen müssen. Ihr Schnauben könnte uns verraten, denn wir wissen nicht, ob die zweite Truppe, bei welcher sich die Gefangenen befinden, schon da ist oder erst noch ankommen wird.«

Diese Worte zeigten, daß der alte Indianer ein sehr um- und vorsichtiger Mann war, und da der Vater Jaguar keine Einwendung machte, so ritten die Männer eine kleine Strecke zurück und stiegen dann ab, um ihre Pferde an die den Waldesrand bildenden Bäume und Sträucher zu binden. Während dies geschah, hörte man die zwar leise, aber doch allen vernehmliche Stimme des Indianerknaben:

»Still, Señores! Ich höre etwas.«

Keiner bewegte sich. Der Inka lag auf der Erde, das Ohr fest auf dieselbe gelegt.

»Es kommen Reiter,« meldete er. »Sorgen Sie dafür, daß unsre Pferde nicht schnauben!«

Jeder trat zu seinem Tiere, um demselben die Nüstern mit der Hand zu bedecken. Ja, es kamen Reiter. Zunächst hörte man den im Grase dumpf klingenden Hufschlag ihrer Pferde; sodann vernahm man auch die Stimmen derer von ihnen, welche miteinander sprachen. Sie kamen von rechts, vom Flusse her und ritten dem Walde entgegen.

»Wirst du uns auch richtig führen, Brazo valiente?« hörte man jemand fragen. »Es ist kein Vergnügen, des Nachts eine schmale Lücke des Waldes zu suchen.«

»Das war Antonio Perillo,« flüsterte der Vater Jaguar seinem Geronimo zu. »Ich kenne seine Stimme.«

»Ich kenne jeden Pferdeschritt in dieser Gegend,« antwortete ein zweiter in gebrochenem, aber deutlichem Spanisch. »Wir sind genau in der Richtung. Eine hohe Laurelia steht da, wo der Wald sich trennt. Wir müssen sie sofort sehen.«

Jetzt waren die Reiter so nahe, daß sie, obgleich es ziemlich finster war, den Wald erkennen konnten.

»Da ist das Holz,« rief die zweite Stimme, »und da ist die Laurelia. Sie sehen, daß ich die Richtung gerade wie eine Schnur genommen habe. Einige Schritte nach rechts, und wir werden auf den Einschnitt treffen.«

Sie lenkten nach der angedeuteten Richtung und waren dann nicht mehr zu sehen und zu hören.

»Wie gut, daß wir nicht dort bei der Laurelia halten geblieben sind!« sagte Geronimo. »Sie hätten uns ertappt. Was thun wir jetzt?«

»Warten!« antwortete der Vater Jaguar. »Wir können nicht eher handeln, als bis der eine Trupp zu dem andern gestoßen ist und sie sich alle gelagert haben. Kanntest du die zweite Stimme, welche wir hörten?«

»Es war mir freilich so, als ob ich sie schon einmal vernommen hätte, aber ich weiß nicht, wo und von wem.«

»So will ich es dir sagen. Der, welcher Antonio Perillo antwortete und den Weg so genau kannte, war EI Brazo valiente, der “tapfere Arm”, der Häuptling der Abipones.«

»Caramba! Das ist wahr; jetzt besinne ich mich. Es war der “tapfere Arm”. Wir haben doch schon einige Male mit ihm gesprochen. Also er ist es, der die

Deutschen gefangen genommen hat! Er gibt sie nicht freiwillig heraus.«

»Nein. Früher waren wir mit ihm befreundet; da hätte er sie mir zuliebe losgelassen; jetzt aber wird es ihm nicht einfallen, dies zu thun.«

»So zwingen wir ihn!«

»Zunächst nicht zwingen, keine Gewalt anwenden. Wozu Blut vergießen, wenn uns die List viel leichter, viel sicherer und ohne alle Verluste zum Ziele zu führen vermag.«

»Ah! Also wieder eins deiner Kunststücke?« lachte Geronimo fröhlich auf.

»Ja. Du thust doch mit?«

»Natürlich! Frage doch nicht erst! Du weißt ja, wie gern ich dabei bin. Du meinst also, daß wir sie herausholen werden?«

»Wir werden wenigstens den Versuch machen. Es kommt ganz auf die Oertlichkeit an und auf die Art und Weise, wie sie lagern.«

»Und wenn es uns gelingt? Was dann?«

»Dann reiten wir ruhig weiter.«

»So! Denkst du nicht an das Pronunciamiento, an die Revolution, welche sie planen?«

»Die geht uns eigentlich nichts an.«

»O doch! Wir sind gute und treue Unterthanen unsres Präsidenten. Wollen wir ruhig zusehen, daß er abgesetzt, vielleicht gar getötet wird?«

»Dazu kann es nicht kommen. Ich weiß zwar nicht, wer an der Spitze dieser Meuterer steht, keinesfalls aber ist es ein Bursche, der es mit Mitre aufzunehmen vermag.«

»Möglich, sogar sehr wahrscheinlich; aber selbst den Fall gesetzt, daß die Empörung niedergedrückt wird, so steht es doch fest, daß sie vielen, vielen Menschen das Leben und das Eigentum kosten wird. Haben wir das dann nicht auf unsrem Gewissen?«

»Hm!« brummte der Vater Jaguar, welcher ganz der Meinung seines Gefährten war, diesen aber ein wenig warm werden lassen wollte. »Sollen wir, um andre zu retten, uns selbst in Gefahr begeben?«

»Natürlich! Das versteht sich ganz von selbst! Das ist unsre Pflicht und Schuldigkeit! Ich begreife dich nicht. Du fürchtest dich doch sonst vor keinem Menschen, und jetzt sprichst du von Gefahr! Als ob von einer großen, schrecklichen Gefahr die Rede sein könnte, wenn man sich zwischen diese Abipones schleicht, um ihnen in aller Stille zwei Gefangene abzunehmen. Und selbst wenn du recht hättest, verdienen diese Burschen eine Züchtigung dafür, daß sie sich ohne alles Recht an deinen Landsleuten vergriffen haben. Oder nicht?«

 

»Das gebe ich zu.«

»Also dürfen wir uns nicht so heimlich davonschleichen, sondern wir müssen ihnen eine scharfe Lehre geben.«

»Das kann doch nur dadurch geschehen, daß wir unsre Waffen brauchen?«

»Ja. Wir schießen einige von ihnen nieder.«

»Nein. Das thue ich nicht. Wenn es nicht unbedingt notwendig ist, töte ich keinen Menschen.«

»Das ist wieder eine jener Ansichten und Meinungen, welche du aus dem Norden mitgebracht hast. Es thut dir leid um die dortigen roten Völker, welche so elendiglich umkommen müssen. In Beziehung auf sie magst du recht haben, denn es ist wirklich schade um die tapfern, kühnen Männer, von denen du uns erzählt hast. Aber unsre südlichen Indianer besitzen diese Tugenden nicht; sie sind feig, mutlos und niederträchtig. Sie brechen aus ihren Wäldern hervor, um nächtlicherweise zu stehlen und die Schläfer zu ermorden. Finden sie aber Gegenwehr, oder werden sie gar selbst angegriffen, so rennen sie davon wie geprügelte Hunde. Leute, welche mit vergifteten Pfeilen schießen, kann man weder achten noch bemitleiden. Es juckt mich wirklich in den Händen, ihnen zu zeigen, was es heißt, sich mit dem Vater Jaguar und seinen Männern zu verfeinden.«

»Laß es jucken! Heute wollen wir froh sein, wenn es uns gelingt, die beiden unschuldigen Menschen frei zu machen. Ist das geschehen, so wollen wir sehen, was weiter zu thun sein wird.«

»Wie viele Leute nimmst du mit?«

»Zunächst nur dich. Die andern bleiben hier. Je weniger wir sind, desto schwerer werden wir bemerkt.«

Obgleich diese Unterhaltung so laut geführt worden war, daß alle diese letzte Bestimmung zu hören vermochten, fiel es doch keinem ein, sich gegen dieselbe aufzulehnen. Die Gesellschaft hatte zwar kein eigentliches Oberhaupt, und ein jeder besaß dasselbe Recht wie der andre, aber die Persönlichkeit des deutschen Riesen, der nicht nur körperlich, sondern auch geistig alle überragte, brachte dennoch den Eindruck vor, daß jeder ihn schweigend als den Führer, welchem man Gehorsam schuldete, anerkannte.

Also seine Leute erklärten sich durch ihr Schweigen mit seinen Worten einverstanden; aber ein andrer sprach dagegen, nämlich der alte Anciano. Er sagte:

»Señor, warum wollen Sie allein gehen? Nehmen Sie mich und meinen Enkelsohn mit! Sie kennen uns und wissen, daß wir Ihnen keinen Schaden bereiten werden.«

Der Vater Jaguar schwieg eine Weile überlegend; dann antwortete er:

»Ja, ich kenne Euch. Ihr versteht es, das wilde Lama zu beschleichen und den Kondor fast auf seinem Neste zu fangen. Zwar habe ich noch nicht gesehen, ob Ihr es auch vermögt, Euch einem Menschen unbemerkt zu nähern, aber es ist Nacht, und diese Abipones sind nicht so scharfsinnig wie die Sioux oder Apachen und Komantschen Nordamerikas. Sodann wißt ja gerade ihr beide, wo diese Menschen

lagern. Also wollen wir euch mitnehmen. Macht euch fertig!«

»Sollen wir unsre Flinten oder die Lanzen und Pfeile mitnehmen?«

»Nur die Messer. Schießen werden wir nicht, und zur Abwehr werden, falls uns einer anfällt, die Messer genügen.«

Die beiden Indianer legten ihre Waffen und auch die Silberlöwentaschen ab, um sich leichter und freier bewegen zu können.

»Und euer langes Haar?« meinte der Vater Jaguar. »Wir werden zwischen und unter Sträuchern, Dornen und Schlingpflanzen hinkriechen müssen. Da bleibt ihr hängen.«

»Wir wissen schon, was wir thun müssen, um nicht hängen zu bleiben.«

Er nahm sein langes, graues Haar halb rechts und halb links nach vorn und band es unter dem Kinn in einen Knoten zusammen. Der Inka that mit dem seinigen ebenso, und dann brachen sie auf.

Anciano ging voran. An der Laurelia angekommen, wendete er sich nach links, wo der Einschnitt den Wald teilte. Indem sie leise durch das Dunkel schritten, flüsterte der Inka dem Vater Jaguar zu:

»Señor, Sie denken, daß es Ihnen gelingen wird, diese Männer zu befreien?«

»Ja, wenn nicht jetzt durch List, dann später mit Gewalt.«

»Dann müssen wir uns auch noch etwas andres holen.«

»Was?«

»Pferde.«

»Dachte es, daß du das bringen würdest, du kleiner, listiger Held. Wir brauchen vier Pferde.«

»Ja. Für Ihre beiden Landsleute, für Anciano und für mich.«

»Ich hatte es mir natürlich auch schon vorgenommen, denn wenn wir nicht genug Pferde haben, sind wir in allem, was wir thun, gehindert.«

»So holen Sie mit Geronimo die Menschen, und ich nehme mit Anciano die Tiere!«

»Nicht so schnell! Jetzt läßt sich eine solche Einteilung noch nicht treffen. Wir müssen uns nach den Verhältnissen richten, welche wir vorfinden.«

Die beiden Weißen verstanden es, mit vollständig unhörbaren Schritten zu gehen, und was die zwei Indianer betraf, so hätte man, wenn das nicht ein sprachlicher Fehler gewesen wäre, sagen mögen, daß ihre Schritte noch unhörbarer seien.

Als sie eine Weile hintereinander hergegangen waren, tauchte Lichtschein vor ihnen auf. Sie mußten nun noch vorsichtiger als bisher sein und hielten sich so dicht am Rande des Einschnittes, daß sie im Schatten der Bäume unsichtbar blieben.

Es wurde bereits erwähnt, daß dieser Einschnitt eine nur geringe Breite besaß; aber da, woher der Lichtschein kam, buchtete er sich nach rechts aus und bildete eine Art kleiner Waldwiese, welche von sehr dicht stehenden Bäumen und Sträuchern umgeben war. Am Eingange zu dieser Wiese und im Hintergrunde rechts weideten die Pferde. Vorn links lagerten die Menschen an einigen Feuern, denn es war kühl geworden. Der Unterschied zwischen der Tages- und Nachttemperatur beträgt in jenen Gegenden oft bis fünfzehn, ja sogar zuweilen achtzehn Grad nach R6aumur.

Die vier Anschleicher hatten sich auf die Erde gelegt und krochen auf Händen und Füßen näher, jetzt nicht mehr Anciano, sondern der Vater Jaguar voran. Ihre von Sonne, Wind und Wetter dunkel gegerbte Kleidung stach nicht im mindesten von ihrer Umgebung ab; nur das lange, graue Haar des Alten hätte, wenn man in Nordamerika und auf einer Streife gegen die dortigen Indianer oder weißen Jäger gewesen wäre, zum Verräter werden können; aber die Leute, mit denen man es hier zu thun hatte, besaßen nicht so scharfe Augen.

Jetzt hatte man die Einbuchtung erreicht. Das nächst grasende Pferd stand kaum sechs Schritte von dem Vater Jaguar entfernt. Es mußte die Fremden sehen oder wenigstens riechen; es wedelte mit dem Schwanze und warf die Ohren hin und her, gab aber kein hörbares Zeichen der Unruhe, des Verdachtes oder gar der Warnung von sich.

»Dumme Geschöpfe!« flüsterte der Deutsche Geronimo zu. »Ein Komantschenpferd würde so laut schnauben und so auffällig zurückweichen, daß wir sicher entdeckt wären. Dennoch aber müßten diese Kerle es sehen, daß es den Schwanz und die Ohren in einer Weise bewegt, die auf etwas Ungewöhnliches schließen läßt. Wir werden leichtes Spiel haben.«

»Denke es auch,« antwortete der andre. »Siehst du, wie es steht?«

»Freilich! Die Feuer brennen ja so hell, daß man an jedem einen Ochsen braten könnte.«

Es war allerdings so hell, daß die kleine Lichtung wie am Tage vor den acht scharf ausschauenden Augen lag.

Die Abipones mochten gegen hundert Mann zählen. Sie waren teils mit Blasrohren, Lanzen, Bogen und Pfeilen, teils auch mit Gewehren bewaffnet. Diese letzteren stammten jedenfalls aus dem Versteck, in welchem Doktor Morgenstern seine berühmte Gigantochelonia gesucht hatte. Es gab sechs Feuer. An dem einen lagerten die Weißen und ein Indianer, an den anderen fünf die übrigen Roten. Die ersteren saßen so, daß man die Gesichter des Indianers, Antonio Perillos, des Hauptmanns Pellejo und zweier Soldaten sehen konnte. Die andern zwei Soldaten kehrten den Lauschern die Rücken zu, und der Gambusino saß nicht, sondern er hatte sich niedergelegt und den Hut tief in das Gesicht gezogen, um nicht von dem Scheine der Feuer geblendet zu werden. Diejenigen, welche zu dem schon vorher hier lagernden Trupp gehörten, mochten schon gegessen haben; die Neuangekommenen aber waren noch damit beschäftigt, das mitgebrachte harte Dürrfleisch mühsam mit den Zähnen zu verkleinern. Dabei unterhielten sie sich so laut, daß man jedes Wort hätte verstehen können, wenn nicht zu viele auf einmal gesprochen hätten.