Tasuta

Das Vermaechtnis des Inka

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Er wollte diesen Vorsatz ausführen, doch der Chirurg hielt ihm die Arme noch immer fest und bat in flehendem Tone:

»Nein, nein, Señor! Ich ersuche Sie inständigst, mir den Gefallen zu thun. Ich lese sie Ihnen ab, und wenn alle an Ihnen hängen sollten!«

»Alle? Das fehlte noch! Ich habe genug an diesen da, und wenn–«

Er hielt inne und machte ein Gesicht, als ob er auf etwas lausche; dann schlug er sich mit den Händen kräftig gegen die Oberarme, die Schenkel und andre Körperteile und wetterte, im höchsten Grade ergrimmt:

»Ja, ich habe sie alle, alle! ich fühle es jetzt ganz deutlich!«

»Ich auch, ich auch!« rief Don Parmesan, von dem sich Fritze losgerissen hatte. Er fuhr sich mit der Hand unter das Gewand, um sich von der Anwesenheit der Blutegel, die er nun auch fühlte, zu überzeugen.

»Ich habe sie am ganzen Leibe sitzen!« fuhr Fritze fort.

»Ich auch, ich auch!«

»An den Armen, an den Beinen!«

»Ich ebenso!«

»Auf dem Rücken, auf dem Leibe!«

»Ich auch, ich auch!«

»Diese Bestien, diese Vampyrs! Ich zerschlage sie, ich zerquetsche sie alle, alle!«

Wieder schlug er sich wie wütend gegen alle seine Körperteile, um die an denselben sitzenden Blutegel auf diese Weise los zu werden.

Da fiel ihm Don Parmesan abermals in die Arme und schrie:

»Halten Sie ein! halten Sie ein! Sie ermorden die Egel ja; Sie zerquetschen sie; Sie schlagen sie tot. Halten Sie still! Ich nehme sie Ihnen so säuberlich ab, daß Sie Ihre Freude daran haben werden!«

»Still halten? Fällt mir gar nicht ein,« antwortete Fritze, sich gegen den Chirurgen wehrend. »Sterben müssen sie, elendiglich umkommen!«

»Nein, nein, und abermals nein! Haben Sie Erbarmen! Ich nehme sie alle ab. Sie wissen ja, ich säbele alles herunter! Und wenn einer oder einige nicht wollen, so lassen wir sie hängen, bis sie satt sind; dann fallen sie freiwillig und ganz von selber ab.«

»Bis sie satt sind? So lange soll ich warten? Soll ich mich verbluten, Sie Ungeheuer? Soll ich Ihrer Würmer wegen mein Leben auf das Spiel setzen? Fort mit Ihnen! Packen Sie sich! Lassen Sie los, sonst!«

»Señor, Euer Gnaden, vergessen Sie nicht, daß jede Wissenschaft ihre Opfer fordert. Haben Sie die Güte und —«

»Fort, sage ich! Opfer fordert! Sie sind toll, wahnsinnig! Ihrer Egelwissenschaft zulieb opfere ich mich noch lange nicht!«

Es gelang ihm endlich, sich loszureißen. Don Parmesan faßte ihn aber wieder. Sie zerrten hin und her; sie stolperten über die Flaschen und fielen zu Boden. Der eine wollte sich von dem andern befreien, und dieser wollte nicht loslassen; so kam es, daß sie sich überkugelten, sich hin- und herwälzten, sich einmal halb aufrichteten und doch wieder niederzerrten. Dabei schimpfte Fritze in allen Tonarten auf den Chirurgen, und dieser bat ebenso in allen Tonarten um Mitleid für die Wissenschaft und die Blutegel. Der Kampf war kein gefährlicher; er war geradezu komisch zu nennen. Die Argentinier lachten, was sie nur lachen konnten; Doktor Morgenstern hatte wohl Lust, seinem Diener beizustehen, da er aber bemerkte, daß es sich nur um ein lächerliches Zerren und Ringen handelte, sah er davon ab. Der alte Anciano und der Inka standen zwar mit ernsten Gesichtern dabei, doch sah man es ihren lachenden Augen an, daß sie nur mit Anstrengung ihre indianische Würde zu bewahren vermochten. Und was endlich den Vater Jaguar betraf, so warf er zwar diesem schlimmen EI Picaro einen strafenden Blick zu, auch wußte er, daß ein einziges Wort von ihm genüge, dem Ringen ein Ende zu machen, aber er sprach dieses Wort doch nicht aus, weil es gar zu komisch war, daß der »Don«, um seine Blutegel zu retten, einen Kampf herbeigeführt hatte, durch welchen dieselben gerade vernichtet werden mußten. Sie wurden ja alle zerquetscht und zerdrückt. Endlich aber, als die beiden gerade im Begriff standen, in das Wasser der Quelle zu kollern, griff Hammer doch zu, zog sie mit starken Armen von der Erde empor, riß sie auseinander und sagte in gebietendem Tone:

»Jetzt mag es zu Ende sein, Señores, Sie thun sich sonst wirklich noch Schaden und laufen Gefahr, aus dem Scherze Ernst zu machen.«

»Scherz?« fragte Fritze. »Den habe ich ja gar nicht machen wollen! Es ist mein völliger Ernst gewesen, gleich von Anfang an!«

»Beherrschen Sie sich! Die Sache ist doch eher spaß- als ernsthaft zu nennen.«

»Spaßhaft? Soll ich es einen Spaß nennen, daß dieser Señor, der “Alles heruntersäbelt”, fünfhundert Blutegel mit sich schleppt, um sie mir bei nachtschlafender Zeit auf den Leib zu setzen?«

»Fünfhundert?« rief Don Parmesan. »Neunzig sind es gewesen, nicht mehr als neunzig. Es waren grade nur dreißig in jeder Flasche!«

»Ist das etwa nicht genug? Neunzig, sage neunzig Blutegel sitzen mir auf der Haut. Sie nagen an meinem Leben; sie entleeren meine Adern; sie trinken den kostbaren Saft meines deutschen Blutes! Rechne ich auf jeden ein halbes Pfund, so habe ich in dieser Nacht fünfundvierzig Pfund Blut verloren!«

»Der Mensch hat ja nicht mehr als zehn Pfund Blut, lateinisch Sanguis genannt,« fiel Morgenstern belehrend ein.

»Ja, zehn Pfund lateinisches Sanguis!« fuhr Fritze zornig auf. »Ich aber stamme vom Rummelsburger See, und dort hat das Blut ein ganz andres Gewicht. Wer gibt mir das Quantum, welches ich verloren habe, wieder?«

»Ich, ich!« antwortete der Chirurg sofort und in höchst zuversichtlichem Tone. »Ich gebe Ihnen alles zurück, ja nicht nur alles, sondern noch weit mehr, als Sie verloren haben.«

»So? Wie wollen Sie das machen?«

»Nichts ist leichter als das. Es ist mehr Blut, als wir dazu brauchen, vorhanden. Wir schießen einige Krokodile tot, und da können Sie so viel trinken, wie Sie wollen.«

Der Mann hatte dies im vollsten Ernste gesprochen, dennoch brachen alle in lautes Gelächter aus, nur Fritze nicht. Dieser schrie ihn vielmehr zornig an:

»Was war das, was Sie mir zumuten? Krokodilsblut soll ich trinken? Soll ich Euer Gnaden mit diesen meinen Fäusten beweisen, daß dies kein Trank für eine deutsche Kehle ist?«

Er wollte den andern wieder packen; der Vater Jaguar aber hielt ihn zurück, indem er freundlich mahnte:

»Bitte, nicht neue Thätlichkeiten. Kommen Sie beide mit mir dort hinter das Gesträuch! Dort wollen wir einmal nachsehen, welchen Schaden die Tiere angerichtet haben.«

»Gut, sehen wir nach!« willigte Fritze ein. »Sie werden da erkennen, daß ich nicht nur angezapft, sondern geradezu verzapft worden bin, wie ein Bierfaß, welches nicht mehr läuft.«

»Ja, sehen wir nach!« stimmte auch der Chirurg bei. »Aber sehen wir nicht nach, welchen Schaden meine Blutegel bei ihm verursacht haben, sondern welchen er unter ihnen angerichtet hat!«

Die drei entfernten sich und verschwanden hinter den Büschen. Bald waren laute Ausrufe zu hören; dann kam Fritze plötzlich mit entblößtem Oberleibe aus dem Gesträuch herbeigerannt und rief erbost:

»Señores, sehen Sie mich an! Bin ich noch ein Mensch? Oder bin ich eine Haut, welche ein Blutegelhändler als Musterkarte vorzeigen kann?«

Man hätte diese letztere Frage wohl bejahen mögen, denn so weit man seine »Haut« zu sehen vermochte, war dieselbe von noch blutenden Saugwunden und zerquetschten Egeln bedeckt. Und der Chirurg kam ihm mit ebenso entblößtem Oberkörper nachgesprungen und schrie:

»Sie sind alle hin, alle, alle! Es ist kein einziger am Leben geblieben. Sehen Sie mich und diesen Mörder an, Señores! Ich hätte sie ihm und mir mit der größten Kunstfertigkeit abgenommen. Er brauchte ihnen nur zu erlauben, sich vollzusaugen. Er aber hat sie erschlagen und sich mit mir so lange im Grase gewälzt, bis auch der allerletzte zerdrückt und zerquetscht worden ist. Wer ersetzt mir nun meine Egel?«

»Und wer mir mein Blut?« fragte Fritze.

»Niemand; dann sind Sie quitt miteinander,« antwortete Hammer, der ihnen langsam nachgegangen kam.

»Das nennen Sie quitt?« entgegnete Kiesewetter. »Ist nicht ein Tropfen meines Blutes tausendmal mehr wert als zehntausend solche Würmer? Und wer reinigt mich? Wer wäscht mich ab? Wer macht mich aus dieser Musterkarte wieder zu einem Menschen?«

»Don Parmesan.«

»Das will ich gelten lassen; das ist das erste gescheite Wort, welches in dieser Angelegenheit gesprochen worden ist!«

»Und wer aber säubert mich?« fragte der Chirurg dagegen.

»Ich,« antwortete EI Picaro freiwillig. »Ich thue es aus Mitleid um die lieben Tiere, die so mitten in ihrem schönsten Lebensgenusse haben sterben müssen.«

»Hüte dich, daß ich dich nicht auch mitten aus deinem jetzigen Genusse reiße!« warnte ihn der Vater Jaguar. »Es scheint, daß auch du in vollster Wonne schwelgst.«

Jetzt erklärten sich auch noch andre bereit, bei der Prozedur behilflich zu sein. Die beiden »An- und Abgezapften« wurden an das Wasser gestellt und gehörig eingeweicht und abgerieben. Was sie dabei fühlten, behielten sie für sich, doch wurde es durch ihre schmerzlich bewegten Mienen genugsam verraten. Als es zu Ende war, meinte Fritze, nun endlich einmal lachend:

»Danke, Señores! Die lebhaften Empfindungen, welche Sie mir soeben bereiteten, haben mich überzeugt, daß ich wenigstens noch nicht ganz tot bin und noch Hoffnung haben darf, mich meines Daseins auch fernerhin zu erfreuen. Wer in dieser Weise zu fühlen vermag, der stirbt noch lange nicht. Don Parmesan, reichen Sie mir Ihre Hand! Wir haben miteinander gelitten und wollen uns versöhnen. Ein andres Mal aber lassen Sie Ihre Egels nur dann gegen mich los, wenn ich an einer Geschwulst oder Entzündung laboriere. Hätten Sie Ihre Flaschen besser zugebunden, so wären wir verschont geblieben.«

»Ich konnte sie nicht besser zubinden, als es geschehen ist,« antwortete der Angeklagte, indem er ihm die Hand schüttelte. »Wie es gekommen ist, daß die Tiere heraus –«

Er hielt inne. Er hatte bei diesen Worten den Blick zufällig auf die Flaschen gerichtet. Vorhin hatte er in der Eile nur bemerkt, daß sie keine Egel mehr enthielten; jetzt aber sah er, daß der Verschluß noch da war. Er hob sie auf, betrachtete sie und fuhr dann in erstauntem Tone fort:

 

»Was ist denn das? Sie sind ja genau noch so fest verschlossen, wie ich sie zugebunden habe! Oder sind etwa Löcher darin? Das Wasser ist ja auch heraus!«

Er nahm sie von allen Seiten in Augenschein und schüttelte den Kopf, als er nicht das kleinste Löchlein zu bemerken vermochte.

»Wundern Sie sich nicht, Señor,« sagte EI Picaro. »Die Sache ist sehr einfach.«

»Einfach? Wie denn?«

»Das finden Sie nicht? Der erste Egel, welcher heraus ist, hat die Flasche aufgemacht, und der letzte hat sie, wie ganz in der Ordnung war, wieder zugebunden.«

Alle lachten. Der Chirurg sah den Sprecher nachdenklich an; dann blitzte es wie ein Erkennen über sein Gesicht, und er fragte:

»Sind vielleicht Sie dieser letzte Egel gewesen, Señor? Ihnen ist es wohl zuzutrauen, daß Sie eine Flasche gut zuzubinden verstehen! Hoffentlich erfahre ich bald mehr über diese Angelegenheit, und dann werden Sie mir Genugthuung geben müssen!«

»Sehr gern, Don Parmesan, aber nur jetzt noch nicht, denn, wie ich sehe, sattelt der Jaguar schon sein Pferd. Er will aufbrechen, und so haben wir leider zu nichts anderm Zeit.«

Es war, wie er sagte. Hammer rüstete sich zum Antritte der Weiterreise, und die andern mußten dasselbe thun. Dieser Ritt verlief genau so wie der vorhergehende. Man übernachtete des Abends in einsamer, sandiger Gegend und kam am nächsten Mittag an der Fuente gemela an.

Dieser Ort hatte, wie bereits erwähnt, seinen Namen daher, daß dort zwei Quellen nahe beieinander entsprangen, um dann bald ihr Wasser zu vereinigen; es war eine »Zwillingsquelle«, welche nach dem Zusammenfließen einen kleinen Bach bildete, der seinen Lauf nach einem See von wunderbar klarem, reinem Spiegel nahm. Dieser See war von beinahe kreisrunder Gestalt und konnte einen Durchmesser von wohl tausend Schritten haben.

Man merkte hier, daß man in nordwestlicher Richtung geritten war und sich also dem Aequator um einige Grade genähert hatte, denn die Umgebung des Sees zeigte schon eine mehr tropische Vegetation. Die Ufer waren von Tacuarasrohren umsäumt, welche eine Höhe von bis zu zehn Meter besaßen. Daran schloß sich eine Laurelenwaldung, in welcher einzelne Cribobäume eine angenehme Unterbrechung bewirkten. Sogar Caranday-Palmen waren schon zu sehen, und weiter zurück, wo der Boden weniger Feuchtigkeit besaß, konnte man die phantastischen Gestalten baumhoher Aloes erblicken. Dazwischen stand das Gras so hoch und dicht, daß es den Pferden bis an die Leiber reichte. Verschiedene Vögel, besonders Kolibris, bevölkerten die Zweige; im Grase gewahrte man die Fährten vierfüßiger Tiere, und an den See brauchte man nur zu treten, um zu sehen, daß sein Wasser reich an Fischen war.

»Hier brauchen wir nicht nur Fische zu essen,« meinte Geronimo, indem er auf die Fährte eines Hirsches deutete. »Vielleicht gelingt es uns, einen bessern Braten zu schießen.«

»Diese Fährte sagt uns, daß die Wüste zu Ende ist,« antwortete der Vater Jaguar, »denn der hiesige Hirsch geht nie weit über Wüstenland. Aber sie mahnt uns auch zur Vorsicht.

Wo es solches Wild gibt, da kann man auch leicht größeren Raubtieren begegnen, die wir aber« – fügte er lächelnd hinzu – »keineswegs fürchten. Seit Buenos Ayres habe ich keinen Jaguar gesehen, und der dort in der Arena war ein feiger Bursche.«

Man entsattelte die Pferde und gab sie zum Weiden frei. Dann wurden zwei Abteilungen gebildet, deren größere dem Fischfange obliegen sollte, während die kleinere mit Hammer ging, um nach dem Waffendepot zu suchen, welches hier wahrscheinlich auch vorhanden war. Gerade die große Ueppigkeit der Vegetation erleichterte die Nachforschung. Auf dem Verstecke war sie jedenfalls nicht vorhanden, und so kam es, daß dasselbe sehr bald gefunden wurde, obgleich die Oase, welche der See mit seiner grünen Umgebung in der Wüste bildete, weit größer war, als diejenigen, in denen man bisher gelagert hatte. Die heimliche Niederlage wurde in der bereits beschriebenen Weise geöffnet, ihrer Vorräte beraubt und dann wieder zugemacht.

Nun hatte man drei solche Arsenale entleert, und die Waffen und Munitionsvorräte, welche man infolgedessen jetzt besaß, konnten nur auf die unbequemste

Weise noch weiter mitgeführt werden. Es mußte den Pferden schwer fallen, das alles nebst den Reitern zu tragen. Wenigstens war an einen Ritt von derselben Schnelligkeit wie bisher nicht mehr zu denken.

Der heutige Fischzug war auch ein ergiebiger, doch wurden nur die größten und besten Fische den Netzen entnommen; die andern gab man in den See zurück, da man von nun an auch auf andres Fleisch rechnen konnte. In dieser Beziehung von den andern befragt, erklärte der Vater Jaguar:

»Es fliegen hier zahlreiche Kolibris, welche gewöhnt sind, von Blüte zu Blüte zu gaukeln. Sie unternehmen zwar im Herbste und Frühlinge weitere Reisen, fliegen da aber nur durch Gegenden, in denen sie Nahrung finden. Außer diesen Vögeln gibt es hier Vierfüßler, welche selten oder nie in die Wüste gehen und sich meist in dichten Waldungen aufhalten. Aus diesem Grunde steht zu erwarten, daß wir das öde Sandland hinter uns haben. Wenn auch nicht sofort Waldland folgt, so dürfen wir wenigstens auf grasigen und wohl gar blühenden Campo rechnen. Señor Morgenstern und Kiesewetter haben von unsern Feinden gehört, daß man über die Fisch, – Blutegel, – Krokodils- und Zwillingsquelle muß, um nach dem Palmensee zu gelangen. Wir haben diesen See also jetzt vor uns, und da aus den vorhin angeführten Gründen uns Waldland nahe liegt, so ist daraus zweierlei zu schließen, nämlich erstens, daß wir nicht anderthalbe Tagereise mehr brauchen, um den Palmensee zu erreichen, und zweitens, daß derselbe sich nicht im offenen Lande, sondern im Walde befindet.«

»Dann heißt es, doppelt Achtung geben und vorsichtiger sein als bisher,« antwortete Geronimo.

»Warum das?« fragte EI Picaro. »Meinst du etwa, daß wir wieder Blutegel finden werden?«

»Laß den Scherz! Wir haben Veranlassung ernst zu sein. Du hast doch gehört, daß Kapitän Pellejo die Soldaten nach dem Palmensee beordert hat. Vielleicht befinden sie sich schon dort, wenn wir kommen. Entdecken wir sie aber nicht zur rechten Zeit, so können wir von ihnen ganz unversehens überfallen werden.«

»Wären sie schon dort, so hätten wir das allerdings zu befürchten,« fiel der Vater Jaguar ein; »ich bin aber überzeugt, daß sie noch nicht angekommen sind.«

»Aus welchem Grunde?«

»Weil sie zu weit haben.«

»Das glaube ich nicht. Wenigstens haben sie nicht weiter als wir. Seit dem Zusammentreffen an der Fischquelle sind nun fünf Tage vergangen. Diese Zeit reicht sehr gut aus, um von Matara, Cachipampa oder gar Miravilla nach der Gegend zu kommen, in welcher unsrer Vermutung nach der Palmensee zu suchen ist.«

»Ganz richtig! Aber du mußt bedenken, daß dies nicht die einzigen Orte sind, von woher wir Soldaten zu erwarten haben. In Cruz grande und ganz besonders in Candelaria stehen auch welche, und diese haben einen längeren Weg zurückzulegen als derjenige ist, den wir glücklicherweise bereits hinter uns haben.«

»So kommen diese vielleicht später; die andern aber, die ich vorhin nannte, sind schon da.«

»Nein, eine solche Disposition trifft kein Offizier. Es wird dem Kapitän nicht einfallen, in einer so einsamen Gegend, welche noch dazu in der Nähe der feindlichen Grenze liegt, die einen auf die andern warten zu lassen. Er hat jedenfalls die Ausmarschbefehle so gegeben, daß die einzelnen Trupps, welche übrigens nur aus wenigen Mann bestehen können, zu gleicher Zeit am Versammlungsorte eintreffen. Aus den fernliegenden Garnisonen rückt man eher, aus den näherliegenden aber später.«

»Hm! Du triffst immer das Richtige und hast jedenfalls auch diesmal recht. Also brauchen wir noch keine Sorge zu haben.«

»O doch! Wir haben bisher nur von den Soldaten gesprochen. Die fürchte ich am wenigsten. Unter einer Garnison verstehe ich etwas ganz andres, als was man am Rio Salado darunter versteht. Du hast da Orte, deren Besatzung nicht zehn, ja oft nur fünf Köpfe zählt. Wir haben wohl kaum dreißig Mann zu erwarten, und mit diesen werden wir auf alle Fälle leicht fertig. Ich denke aber auch an die Indianer. Wer gibt uns die Gewißheit, daß diese nicht schon am Palmensee versammelt sind? Ich bin überzeugt, daß sie die Weißen erwarten, um von ihnen die versprochenen Gewehre zu bekommen. Vielleicht gehen sie ihnen sogar entgegen, um ihnen die Last, welche Pulver und Blei, Messer, Beile und Flinten bilden, noch eher abzunehmen.«

»Carlos, das ist wahr! Wir müssen gewärtig sein, heute und hier schon ihren Besuch zu empfangen.«

»Wir müssen wenigstens mit dieser Möglichkeit rechnen. Daher habe ich unser Lager hier am nördlichen Ufer des Wassers aufgeschlagen, während das südliche, wie ich weiß, dazu viel geeigneter wäre. Auch dürfen wir heute abend keine Feuer anzünden; sie könnten uns verraten. Die Fische müssen schon jetzt am Tage gebacken werden, und zwar bei kleinen Feuern, welche keinen dichten Rauch erzeugen.«

»Und doch dürfte alle diese Vorsicht vergeblich sein, denn ich meine, daß die Roten dennoch gerade hierher kommen würden.«

»Warum?«

»Sehr einfach darum, weil die Quellen sich auf dieser Seite befinden. Dem Trinkwasser geht doch jeder nach.«

»Sehr wahr; aber ich habe vergessen, zu sagen, daß drüben am andern Ufer sich eine noch viel größere Quelle befindet. Der Ort hat seinen Namen zwar von dieser Zwillingsquelle, die jenseitige aber wird öfters aufgesucht, weil sie viel bequemer liegt und sich an ihren Ufern ein Grasplatz erstreckt, an welchem bedeutend mehr Menschen lagern können als hier.«

»Zugegeben! Aber, Carlos, wir müssen alles überlegen. Hier auf unsrer Seite befindet sich der Ort, an welchem die Waffen versteckt waren; also werden die Roten unbedingt hierher kommen.«

»Nein. Die Weißen werden sich gehütet haben, ihnen vorher mitzuteilen, wo die Magazine zu suchen sind. Höchstens weiß der Häuptling davon. Und gerade damit das Versteck auch nicht durch Zufall entdeckt werde, steht zu erwarten, daß die Indianer gegebenenfalls von ihren jetzigen Verbündeten an das andre Ufer beordert worden sind.«

»Da kann ich dir nicht unrecht geben. Doch was war das jetzt? Habt ihr es gehört?«

Man hatte ein kurzes, scharfes, dreifaches Klingen gehört, und in demselben Momente war alle Anwesenden ein ganz eigentümliches Gefühl angekommen, einem leichten Schüttelfroste ähnlich, der nicht länger als eine Sekunde anhielt.

»Die Aria,« antwortete der Vater Jaguar, indem er nach seinem Nacken griff und dabei versuchte, ob er den Hals drehen und den Kopf frei bewegen könne.

»Die Aria,« stimmten die andern bei. Auch sie machten dieselben Bewegungen mit der Hand nach dem Nacken, mit dem Halse und dem Kopfe.

Was ist die Aria? Niemand vermag es genau zu sagen. Sie tritt meist folgendermaßen auf: Man sitzt bei einem Glase Wein oder bei einer Tasse Thee; die Flasche oder Kanne steht dabei. Da überkommt die Anwesenden jener kurze, gar nicht unangenehme Schüttelfrost; zugleich erklingen Flasche und Glas, Kanne und Tasse. Sieht man nach, so sind sie zerbrochen, ohne daß jemand sie angerührt hat. Tiere, welche vorher geschwitzt haben, werden für längere Zeit an den Gliedern steif, und auch Menschen können für mehrere Tage ein steifes Genick davontragen. Das ist die Aria, eine elektrische Erscheinung, wie manche Forscher und Reisende sagen. Wen sie trifft, der pflegt sich sofort zu überzeugen, ob er den Nacken noch zu bewegen vermag.

Woher aber war hier der scharfe, kurze Klang gekommen? Man forschte danach. Don Parmesan hatte die Flaschen, in denen die Blutegel gesteckt hatten, nicht wieder abgegeben, sondern sie in seiner Satteltasche mit sich geführt. Der Sattel lag neben ihm, und als er die Tasche öffnete und nach den Flaschen griff, zeigte es sich, daß sie mitten entzwei gebrochen waren. Das war glücklicherweise der einzige Schaden, den die Aria angerichtet hatte, denn kein Nacken war steif geworden.

Doktor Morgenstern hatte von dieser Erscheinung noch nichts gehört und erkundigte sich darum bei dem Vater Jaguar nach ihr. Dieser antwortete achselzuckend:

»Ich kann Ihnen leider mit keiner Erklärung dienen. Die Sache ist mir selbst auch unbegreiflich. Ich habe aber die Erfahrung gemacht, daß die Aria in dieser Jahreszeit oft plötzlichen und starken Regen mit sich bringt.«

Er blickte bei diesen Worten gegen den Himmel, welcher vollständig hell und wolkenlos war und nicht im mindesten so aussah, als ob er heute noch Nässe senden wolle. Kein Lüftchen regte sich und die Oberfläche des Sees lag so ruhig und unbewegt wie festes Krystall vor den Augen da.

 

Jetzt nun wurden alle Vorbereitungen getroffen, welche nötig waren, wenn der Abend und die Nacht ohne Feuer zugebracht werden sollte. Man aß sich tüchtig satt und streckte sich dann im Grase aus, um zu ruhen. Andre saßen in Gruppen beisammen, um sich zu unterhalten, wobei EI Picaro wie gewöhnlich die Hauptrolle spielte.

Abseits von allen andern saß Anton Engelhardt mit dem jungen Inka. Beide kannten sich nur seit wenigen Tagen, hatten einander aber doch schon herzlich lieb gewonnen. Der äußere Grund lag wohl in dem Umstande, daß Anton dem Inka so freundlich entgegengekommen war und ihm sein Pferd angeboten hatte; die innere, eigentliche Ursache aber bestand jedenfalls in der Verschiedenheit ihrer seelischen Eigenschaften, welche einander ergänzten.

Anton war warmblütig, leicht erregt, rasch und aufrichtig; auf seinem Gesichte lag immerwährend der Ausdruck herzlicher Zufriedenheit. Das Wesen des Peruaners aber war still, ernst, bedächtig, zurückhaltend, und die Schwermut, welche sich seinen jugendlich schönen Zügen aufgeprägt hatte, wich keinen Augenblick aus denselben. So waren sie also vollständig verschieden veranlagt, und die Verschiedenheit zieht bekanntlich an.

Sie waren seit dem ersten Abende stets nebeneinander geritten und hatten sich auch an den Lagerplätzen zusammengehalten. Da war natürlich viel gesprochen worden; aber die Kosten der Unterhaltung hatte zumeist Anton getragen. Er hatte von allem, was er besaß, kannte und wußte, erzählt und nach und nach sein ganzes Herz ausgeschüttet. Von Haukaropora aber hatte er noch nichts erfahren. Dieser hörte schweigend zu, ließ nur hier oder da eine kurze Frage, eine einsilbige Antwort hören; aber wer ihn beobachtete, der sah, daß aus seinem dunkeln, tiefgründigen Auge nicht selten ein freundlicher, ja warmer Blick zu seinem jungen deutschen Gefährten hinüberflog.

Wovon sie jetzt wieder miteinander sprachen, das war eigentlich das immer wiederkehrende Hauptthema aller ihrer Gespräche gewesen, nämlich der Vater Jaguar. Anton erblickte in diesem Manne einen Helden ohnegleichen und wünschte sehnlichst, ihm einst ähnlich werden zu können. Auch Hauka sprach mit der größten Hochachtung, ja Verehrung von ihm, konnte aber leider die Neugierde Antons, welcher gern etwas aus dem früheren Leben des riesenhaften Mannes erfahren hätte, nicht befriedigen.

»Aber du hast ihn ja viel eher gekannt,« sagte der deutsche Knabe, »und mußt also von ihm erzählen können!«

Sie nannten sich nämlich seit der Krokodilsquelle Du.

»Ich kann nichts sagen,« antwortete der Inka. »Wenn er kam, hat er mit dem Vater gesprochen und nicht mit mir. Und wenn die Alten und Erfahrenen sprechen, so müssen die jungen, Unerfahrenen von fern stehen. So ist es bei uns Gebot.«

»Bei euch? Zu welchem Volke oder Stamme gehörst du denn eigentlich?«

»Zu keinem.«

»Aber du mußt doch einer Nation angehören!«

»Mein Stamm ist untergegangen. Wir leben mit einigen armen Familien hoch oben in den Bergen, wo der Kondor schreit.«

»Da wächst kein Baum, kein Strauch. Wie könnt ihr leben?«

»Wir trinken Wasser und essen das Fleisch der wilden Tiere, welche wir mit Lebensgefahr erlegen.«

»So seid ihr Helden, mit denen ich wohl tauschen möchte. Erzähle mir von eurem Leben, euren Thaten!«

»Von dem Leben und den Thaten der Meinigen?« Er legte die Hand an die Stirn und blickte düster vor sich nieder. Dann antwortete er weiter: »Vielleicht, doch nein, ganz gewiß erzähle ich dir einmal davon; aber nicht heute, nicht jetzt. Du kommst ja mit in unsre Berge. Dann wirst du nicht nur hören, sondern auch sehen.«

Er stand auf und entfernte sich, um unter den Bäumen zu verschwinden. Die Fragen Antons hatten ihn an seiner wunden Stelle getroffen. Er kehrte erst zurück, als es zu dunkeln begann, und streckte sich, als man sich zur Ruhe legte, wie gewöhnlich neben Anton nieder. Dieser hatte lange darüber nachgedacht, womit er den Freund betrübt haben könne, und schlief darüber ein. Wie lange er geschlafen hatte, wußte er nicht, als er von einer Hand, die ihn leise schüttelte, aufgeweckt wurde. Der Inka war es; er flüsterte ihm in das Ohr:

»Still! Sprich nicht laut! Du hast gewünscht, ein Held wie der Vater Jaguar zu sein. Ich möchte dir Gelegenheit zu einer That geben. Willst du mir folgen?«

»Wohin?«

»Davon nachher. Laß deine Waffen hier und nimm nur das Messer und die Bolas mit! Schleich tief im Grase hinter mir, damit die Wächter uns nicht sehen!«

Anton sah, daß Hauka auf allen Vieren von der Lagerstätte fortkroch, und folgte ihm in derselben Weise. In den letzten Nächten hatten die Sterne geschienen; heute aber war der Himmel dunkel. Da der Neumond kurz vorüber war, herrschte hier unten eine fast vollständige Finsternis. Man konnte kaum zehn Schritte weit sehen, und selbst der See, welcher am Tage so rein und hell geglänzt hatte, lag jetzt wie ein düsteres Geheimnis zu ihrer linken Hand. Sie schlichen langsam und unhörbar am Schilfrande hin, bis Hauka sich aufrichtete und, mit noch immer leiser Stimme, sagte:

»Jetzt sind wir über die Wachen hinaus und können richtig gehen. Ich weiß, du hast Mut und wirst dich freuen, daß ich dich geweckt habe. Schau einmal scharf über den See. Siehst du etwas?«

»Nein,« antwortete Anton, welcher seine Augen vergeblich anstrengte.

»Oder riechst du etwas?«

»Auch nicht.«

»Anciano und ich, wir leben mit dem Kondor in den Kordilleren; darum haben wir die Sinne des Adlers erhalten. Da drüben jenseits des Wassers lagern Leute.«

»Wie kannst du das wissen?«

»Ich rieche den Rauch und sehe den Schein des Feuers. Ein Weißer sieht und riecht das nicht. Eigentlich sollte ich es den Erfahrenen melden, aber weil du wünschest, eine That zu thun, so habe ich sie nicht geweckt und es auch unterlassen, den Wächtern Meldung zu machen.«

»Und was willst du jetzt thun?« fragte der junge deutsche Peruaner.

.»Zunächst will ich hinüber, um zu sehen, wer diese Leute sind und was sie hierhergeführt hat. Dann wird es sich zeigen, ob ich still zurückkehre oder mich von den Umständen zu irgend einer Handlung bewegen lasse.«

»Meinst du, daß dir dieses letztere erlaubt wäre? Wie leicht könntest du etwas thun, was der Vater Jaguar dann nicht billigen würde.«

Da legte ihm der Inka die Hand auf die Achsel und sagte in nachdrücklichem Tone:

»Ich bin hier im Lande geboren und kenne es genau. Du brauchst keine Sorge zu haben, daß ich etwas Unrechtes thun werde. Gehst du mit, oder willst du hier bleiben? In diesem letzteren Falle bleibe auch ich und melde dem Vater Jaguar, was ich beobachtet habe. Ich will ja nur hinüber, um dir Gelegenheit zu geben, zu beweisen, daß du ein mutiger Jüngling bist.«

»Natürlich gehe ich mit, ganz natürlich! Ich fragte nur so, weil ich glaubte, zu jung zu sein, um so selbständig handeln zu können.«

So komm und gib mir deine Hand, damit ich dich führe, denn ich glaube, daß meine Augen in der Dunkelheit schärfer als die deinigen sind.«

Er nahm ihn bei der Hand und schritt mit ihm langsam weiter. Das war nicht leicht, denn es ging zwischen Büschen und unter Bäumen hin. Dann hörte der Wald plötzlich auf, und das Ufer lag baumlos vor ihnen. Haukaropora blieb nachdenklich stehen, überlegte eine kleine Weile und sagte dann:

»Das ist eine Lücke in dem Gürtel, welcher sich als Waldstreifen um das Wasser legt. Dieser Gürtel ist schmal. Gehen wir innerhalb desselben vorwärts, so befinden wir uns stets in der Finsternis, welche unter den Bäumen herrscht, was uns sehr aufhalten muß. Darum denke ich, es ist besser, wenn wir uns weiter rechts halten, um an dem Rande dieses Gürtels hinzugehen. Da können wir viel schneller laufen und haben den freien Himmel über uns, welcher zwar auch dunkel ist, aber doch nicht so finster wie die Wipfel der Bäume.«

»Aber werden wir da den Ort finden, wo die Leute sind, welche wir suchen?« warf Anton Engelhardt bedenklich ein.