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Das Vermaechtnis des Inka

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»Wissen Euer Gnaden noch nicht, daß die rote Farbe diese halbwilden Rinder reizt? Wer rot gekleidet ist, soll sich hüten, einem Toro nahe zu kommen.«

»Meinen Sie? Meines Wissens ist es nur vom Puter wissenschaftlich festgestellt, daß er gegen diese schöne Farbe idiosynkrasiert. Aber daß auch das Rind, Bos auf lateinisch, denselben Widerwillen besitzt, ist wohl hie und da geäußert, aber noch von keinem Zoologen mit unumstößlichen Beispielen belegt worden. Da ich nun Zoolog bin und hier eine so vortreffliche Gelegenheit finde, mir hier den Stoff zu einer gelehrten Abhandlung über dieses Thema zu sammeln, so würde es eine Sünde gegen die Wissenschaft sein, wenn ich meine roten Kleidungsstücke ablegen wollte.«

»Aber Sie begeben sich in Gefahr, Señor!«

»Der echte Jünger der Wissenschaft darf, wenn es gilt, ein Problem zu lösen, nicht fragen, ob eine Gefahr damit ver-

bunden ist. Ich bleibe also angekleidet, wie ich bin.«

»Ick ooch,« stimmte Fritze bei. »Da ich der Diener eines Zoologen bin, darf mir selbst der größte Ochse nichts andres als nur ein Gegenstand dieser edlen Wissenschaft sein.«

Der Majordomus hatte jedenfalls seine eigenen Gedanken, hielt es aber nicht für nötig, auch seinerseits eine Warnung auszusprechen, die doch auch ohne Erfolg gewesen wäre. Man ging hinaus. Der Haupteingang des Corrals war zu, doch gab es neben demselben eine kleine, schmale Oeffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte; diese benutzten die drei Gäste, um in den Corral zu kommen. Der Majordomus blieb außerhalb desselben.

Der Rodeo, wie man das Zusammentreiben einer Herde in die Corrals nennt, war im vollsten Gange. Die Masse der Rinder hielt eingeschüchtert im hintern Teile des umzäunten Platzes; das Jungvieh aber, welches gezeichnet werden sollte, jagte, von den Gauchos verfolgt, auf dem freien Raume umher. Jedes Rind, welchem die Marke aufgebrannt werden sollte, mußte eingefangen und so gefesselt werden, daß es keinen Widerstand zu leisten vermochte. Dazu gehörten, wie es hier auf dieser Estancia gehandhabt wurde, fünf Gauchos. Andre waren beschäftigt, ein Feuer zu unterhalten, in welchem die Stempel glühend gemacht wurden.

Der ganze Vorgang ging folgendermaßen vor sich: Das betreffende Rind wurde zunächst von den übrigen geschieden. Während es dann über den Platz rannte, jagte ihm ein Gaucho nach, um ihm den Lasso über den Kopf zu werfen. Die Schlinge zog sich stets mit unfehlbarer Sicherheit um den Hals zusammen, benahm dem Tiere den Atem und riß es nieder. Sofort waren die vier andern Gauchos bei der Hand, um ihre Schlingen um die Beine zu werfen. Die Pferde, auf denen diese fünf Reiter saßen, und an deren Sattelknöpfe die Enden der Lassos befestigt waren, kannten das, was sie zu thun hatten, sehr genau; sie zogen, jedes in der betreffenden Richtung, die Lassos straff an, wodurch die Beine des Rindes scharf ausgestreckt wurden, und in diesem Augenblicke sprang ein sechster Gaucho mit dem glühenden Stempel herbei, um ihn dem Tiere auf den linken Oberschenkel zu drücken. War dies geschehen, so ließ man es frei; es sprang auf, rannte, vor Schmerz und Aufregung brüllend, einige Male hin und her und kehrte dann zur Herde zurück, um sich in derselben zu verstecken.

Diese Prozedur lief nicht immer glatt ab. Zuweilen saß ein Lasso nicht an der gewünschten Stelle fest; das Tier konnte sich also bewegen und sich wehren. Dann war Hilfe oder doppelte Anstrengung notwendig, und das ging nicht ohne Rufen und Schreien, ohne Scenen ab, bei denen es einem Europäer hätte angst und bange werden mögen. Das gequälte Rind sträubte sich brüllend; die andern stimmten ein und stoben schnaubend auseinander, um auf dem Platze umherzujagen, bis sie von den Gauchos mit hochgeschwungenen Lassos und Bolas wieder zusammengetrieben wurden. Da kam es vor, daß ein widerspenstiger Ochse sich zur Wehr setzte und der angegriffene Reiter sich nur durch Aufbietung aller seiner Geschicklichkeit zu retten vermochte.

»Dat ist allerdings hochinteressant,« sagte Fritze nach einer solchen Scene zu seinem Herrn. »Ick habe doch auch schon zu Pferde jesessen, aber sonne Jelenkigkeit, wie hier erforderlich ist, kann ick nicht aufweisen. Ick bin überzogen, daß dat erste beste Rind mir über den Haufen rennen würde, Ihnen nicht auch, Herr Doktor?«

»Mit mathematischer Gewißheit kann ich diese Frage nicht beantworten,« meinte bedachtsam der Doktor. »Ich habe noch keine Erfahrungen darüber, und man soll, wie die Wissenschaft lehrt, nur das behaupten, was man beweisen kann. Uebrigens liegt mir an dem Beweise, daß ich umgerannt würde, bedeutend weniger als an demjenigen, daß der Wiederkäuer, welchen wir mit dem Worte Rind bezeichnen, wirklich einen so großen Widerwillen gegen die rote Farbe hat, wie vorhin behauptet wurde. Ich hoffe, du wirst mir behilflich sein, einen darauf bezüglichen Versuch anzustellen.«

»Sehr jerne, wenn es nämlich ohne zerbrochene Gliedmaßen jeschehen kann.«

»Ohne allen Zweifel!«

»So? Denken Sie doch an den Büffel beim Stierjefecht!«

»Das war ein Bison americanus, während wir es hier mit einfachen argentinischen Rindern zu thun haben. Ich beabsichtige eine Probe zu machen, und zwar eine Doppelprobe. Wir sind beide rot gekleidet; ich nähere mich einem Ochsen, und du bemühst dich, an eine Kuh zu kommen. Auf diese Weise erfahren wir nicht nur, ob das Rind im allgemeinen die betreffende Abneigung besitzt, sondern es wird zugleich auch die besondere und sehr wichtige Frage beantwortet, bei welchem Genus diese Aversion bedeutender ist, ob beim Genus masculinum oder bei dem Genus femininum.«

»Jut, aber wenn ick nun jrad an den bösern Genus jerate!«

»Das steht nicht zu erwarten, da ich den Ochsen auf mich nehmen werde und jede Eigenschaft, also voraussichtlich auch dieser Widerwille, beim männlichen Geschlechte schärfer ausgeprägt ist, als beim weiblichen, welches ja bekanntermaßen stets die schwächere Hälfte bildet. Also, bist du bereit?«

»Ja, ick will mir Ihnen zu Jefallen für diese zoologische Frage interessieren.«

»Es ist nicht eigentlich eine allgemein zoologische, sondern eine besonders zoopsychologische.«

»Dat ist eins und dasselbe. Ob ick zoologisch oder zoopsychologisch niederjerannt werde, bleibt sich gleich. Beides ist gleich unanjenehm, soll aber für Ihnen jewagt werden.«

»So nimm du die Kuh, welche eben jetzt gebrannt wird.«

Er zeigte auf das Tier, welches eben jetzt gefesselt an der Erde lag, um die Marke zu erhalten. Die beiden Deutschen hatten bisher an der Umzäunung und hinter den Gauchos gestanden, welche das Feuer unterhalten mußten, und dies war wohl der Grund, weshalb den Tieren die rote Farbe ihrer Kleidung noch nicht aufgefallen war. Fritze folgte der Auf-

forderung seines Herrn und ging schnell nach der Stelle, wo die Kuh soeben von ihren Fesseln befreit wurde. Als die Gauchos dies sahen, riefen sie ihm von mehreren Seiten zu:

»Arredro, arredro! Que demencia, que locura – zurück, zurück! Welch ein Wahnsinn, welch eine Verrücktheit!«

Er ließ sich nicht aufhalten und ging weiter. Eben löste sich der letzte Lasso und zwar vom Halse der Kuh. Sie sprang auf und wendete sich zur Flucht. Da fiel ihr Auge auf den unvorsichtigen Deutschen. Durch die rote Farbe seines Anzuges gereizt, senkte sie den Kopf zum Angriffe; aber die Behandlung, welche sie vor wenigen Augenblicken erfahren hatte, übte doch noch eine einschüchternde Wirkung; das Tier stand einige Augenblicke mit gesenkten Hörnern, warf dann den Kopf empor und rannte davon.

»Welch ein Glück!« ertönte es von den Lippen der Gauchos. »Eilen Sie zurück, eilen Sie, Señor! Bleiben Sie dort am Zaune! Wissen Sie denn nicht, daß die rote Farbe diesen Tieren zuwider ist?«

»Ich wußte es nicht genau und wollte deshalb versuchen, ob es wahr ist,« antwortete er, indem er langsam zurückkehrte.

»Versuchen Sie es nicht noch einmal; es könnte Ihnen nicht wieder so glücken, wie das jetzt der Fall war!«

Aus ihren Worten sprach nicht nur die Besorgnis um ihn, sondern auch der Unwille darüber, daß er es ohne ihre Erlaubnis gewagt hatte, sich der Kuh zu nähern, um sie zu reizen. Er wäre von ihnen wohl weiter zurechtgewiesen worden, wenn sie Zeit gehabt hätten, sich länger mit ihm zu beschäftigen. Er aber trat siegesfroh zu Morgenstern und sagte:

»Nun, sind Sie mit mich zufrieden? Die Probe ist, denke ich, jenügend ausjefallen.«

»Allerdings,« nickte der Doktor. »Die Kuh wollte auf Sie losgehen, besann sich aber eines andern. Es ist daraus mit Sicherheit zu schließen, daß ihr die rote Farbe unangenehm war, doch nicht in einem Grade, der sie zum wirklichen Angriffe, lateinisch Aggressio geheißen, veranlaßt hätte. Wir haben es also bei diesem Genus femininum mit einer Abneigung geringen Grades zu thun, und ich werde mir nun ein Masculinum suchen, um einen vergleichenden Beweis erbringen zu können.«

Während dieser kurzen Unterhaltung waren einige Gauchos in die Herde eingedrungen, um wieder ein Stück zwischen ihre Lassos zu nehmen. Die Färse, auf welche sie es abgesehen hatten, hielt ganz in der Nähe des alten Bullen, welcher als erster in den Corral gegangen war. Er hatte sich bisher ruhig verhalten; als aber jetzt die Riemen so nahe bei ihm geschwungen wurden, glaubte er, es sei auf ihn abgesehen, brach mit Gewalt aus dem Rebaño (Herde) und galoppierte brüllend über den freien Platz gerade auf das Feuer zu. Die dort befindlichen Gauchos warfen die Arme in die Luft und schrieen ihm entgegen, um ihn dadurch zur Umkehr zu bewegen. Er blieb auch wirklich kurz vor ihnen halten und glotzte sie mit stieren Augen an. Einer riß einen Brand aus dem Feuer und warf ihm denselben an den Kopf; da drehte sich der Stier um, jedenfalls um zurückzukehren, hielt aber schon bei halber Wendung inne und ließ ein zorniges Brummen hören.

Die Ursache dazu hatte ihm Morgenstern gegeben, welcher ihm entgegengetreten war und jetzt kaum vier Schritte entfernt vor ihm stand.

 

»Lugar, lugar – auf die Seite, auf die Seite!« schrieen die Gauchos.

Der Bulle drang nämlich mit einem ganz plötzlichen Sprunge auf den kleinen Gelehrten ein, und es war für diesen ein Glück, daß er den Warnungsrufen augenblicklich Folge leistete und eine schnelle Wendung nach rechts machte, denn nur dadurch entging er den Hörnern des Tieres, welches an seiner linken Seite vorüberschoß, sich aber rasch umwendete, um ihn wieder anzunehmen.

»Lugar, lugar!« riefen die Gauchos von neuem. Dabei sprengten die Reiter heran, um die Aufmerksamkeit des Angreifers von dem Deutschen ab, und auf sich zu lenken.

Morgenstern wich abermals glücklich aus, doch ging die ihn bedrohende Hornspitze nicht weiter als drei Zoll an ihm vorüber. Erst jetzt blitzte in ihm die Einsicht auf, daß er sich in eine große Gefahr begeben habe, und die Sorge um sein Leben gab ihm einen ebenso plötzlichen wie eigenartigen Gedanken ein. Er konnte sich nur retten, wenn es ihm gelang, den gefährlichen Hörnern auszuweichen; der Ochse hatte die Hörner vorn, und so war also nur hinter ihm Sicherheit zu finden. Dieser Gedanke wurde von dem kleinen Männchen ebenso schnell ausgeführt, wie er gekommen war: Morgenstern sprang hinter dem Ochsen drein. Dieser wendete sich wieder um und sah seinen Gegner nicht mehr stehen, wo er gestanden hatte, bemerkte ihn aber hinter sich. Sich abermals umdrehend, suchte er ihn zu erreichen; aber der Gelehrte war behend und machte die Schwenkung mit, um hinter dem Feinde zu bleiben. Dies wiederholte sich mehrere Male, und zwar so schnell, daß die Gauchos ihre Bolas und Lassos nicht anwenden konnten, ohne den Deutschen zu gefährden. Aber diese Schnelligkeit verschlimmerte seine Lage; er fühlte, daß er derselben nicht gewachsen sei und bald ermüden werde. Gab es denn gar keine Rettung, keinen Halt? Gewiß gab es einen Halt, ganz nahe da vor ihm! Er griff mit beiden Händen zu und hielt sich an dem Schwanz des Ochsen fest. Solange er da hängen blieb, konnten ihn die Hörner nicht erreichen.

Als der Stier sich da ergriffen fühlte, wo ihn noch niemals eine solche Realinjurie getroffen hatte, blieb er zunächst einige Sekunden lang in sprachlosem Erstaunen stehen; dann sprang er mit beiden Hinterbeinen zur Seite, um das Anhängsel abzuschleudern, was ihm aber nicht gelang, da Morgenstern auf Tod und Leben festhielt. Hierdurch an allen seinen Einsichten, Kenntnissen und Erfahrungen erst recht irre geworden, hielt der verblüffte Bulle es für das klügste, die Partie vollständig aufzugeben, selbst wenn der Schwanz dabei verloren gehen sollte. Er ließ ein klägliches Brüllen hören und rannte spornstreichs seiner Herde zu.

Hatten die Gauchos erst gebrüllt, was die Lungen nur hergaben, um das Tier von dem Gelehrten abzuhalten, so lachten sie jetzt ebensosehr über den Anblick, der sich ihnen bot. Der Stier schien vor Entsetzen ganz außer sich zu sein; er machte die tollsten, bockbeinigsten Sprünge, bald nach rechts und bald nach links den Hinterkörper werfend. Man hörte seinem Gebrüll die Angst, welche er empfand, ganz deutlich an. In dieser Weise hatte noch kein Gaucho einen Ochsen brüllen hören. Morgenstern hielt fest. Er konnte nicht so schnell laufen wie sein Vordermann, verlor infolgedessen die Erde unter den Füßen und wurde fortgeschleift, bis seine Kräfte nachließen und er den Schwanz losließ, was einen Purzelbaum zur Folge hatte, wie er ihn so ungeheuer wohl noch nie im Leben geschlagen hatte.

Da erreichte das Gelächter der Gauchos eine Stärke, daß man hätte meinen mögen,

es sei eine ganze Armee in Lachkrampf gefallen, wodurch die Angst des Bullen derart vergrößert wurde, daß er wie ein Pfeil zwischen seinesgleichen hinein- und hindurchfuhr, bis er die hinterste Ecke erreichte, wo er schnaubend stehen blieb und da jedenfalls das stille Gelübde that, niemals wieder mit einem Zoologen aus Jüterbogk anzubinden.

Morgenstern war ganz ohne alle Verletzung davongekommen. Er erhob sich vom Boden, befühlte einige seiner Gliedmaßen und kehrte dann langsam dahin zurück, wo er vorhin gestanden hatte. Die Gauchos kamen, noch immer lachend, herbei, um ihm zu gratulieren. Derjenige aber von ihnen, der die Reisenden bei ihrer Ankunft angeredet und nach dem Wohnhause geführt hatte – er mochte wohl der Oberpeon sein – sagte sehr ernst:

»Sie sind im höchsten Grade unvorsichtig gewesen, Señores, und scheinen selbst jetzt noch nicht zu wissen, daß Sie Ihr Leben auf das Spiel gesetzt haben. Wie kommen Sie, und zwar beide, denn eigentlich dazu, sich in dieser Weise an die Rinder zu wagen?«

»Infolge eines zoopsychologischen Problems,« antwortete Morgenstern.

»Diese Worte verstehe ich nicht.«

»Ich wollte erfahren, ob die rote Farbe wirklich im stande ist, diese Familie der Wiederkäuer so in Zorn zu bringen.«

»Ah! Und deshalb wagten Sie Ihr Leben? Das konnten Sie billiger haben. Hätten Sie uns gefragt, so wären wir gern bereit gewesen, Ihnen alle Auskunft zu erteilen.«

»Sind Sie Zoolog?«

»Nein; ich bin Gaucho.«

»So hätte Ihre Aussage mir nicht genügen können. Hier gelten nur anerkannte Autoritäten.«

»Señor, wenn ich auch nicht zu den Autoritäten zähle, so bin ich doch jedenfalls ein Caballero!« meinte der Mann beleidigt. »Glauben Sie, daß ich Sie belügen würde?«

»Nein. Sie würden mir sagen, was Sie für wahr halten; aber das kann doch kein Grund sein, Ihre Ansicht als eine wissenschaftliche Wahrheit einzuführen. Eine solche Wahrheit kann nur von Fachmännern festgestellt werden.«

»Ich bin kein Gelehrter und will nicht annehmen, daß Sie mich beleidigen wollen, denn Sie sind unser Gast. Sie sind jedenfalls Fachmann, und es freut mich, daß Sie nun auf Grund eigener Erfahrung eine Wahrheit, die wir längst kannten, feststellen können. Aber Ihre Unvorsichtigkeit hat auch uns in Gefahr gebracht. Das sehen Sie wohl ein?«

»Wieso Sie in Gefahr?«

»So wissen Sie wohl gar nicht, was eine Estampeda ist?«

»Nein.«

»Eine Estampeda ist eine durchbrechende, durchgehende, aufgeregte, fliehende Pferde- oder Rinderherde. Infolge Ihrer Unvorsichtigkeit konnten wir alle sehr leicht unter die Hufe gestampft werden. Hoffentlich geben Sie mir wenigstens in dieser Beziehung recht und haben die Güte, dafür zu sorgen, daß weder Sie selbst noch wir durch Ihre roten Anzüge wieder in Verlegenheit gebracht werden.«

Er wendete sich ab, und die andern Gauchos folgten diesem Beispiele. Sie fühlten sich beleidigt, daß ihr Anführer nicht als »Autorität« anerkannt worden war. Die beiden Deutschen verstanden den ihnen gegebenen Wink und entfernten sich durch die Lücke aus dem Corral. Draußen vor der Umzäunung meinte Fritze:

»Dat jing jrad wie im Cuartel von Santa Fe. Nicht?«

»Wieso?«

»Wir sind herausjeworfen worden, hier moralisch und dort auf unmoralische Weise. Ick muß sagen, daß unser Ritt sehr jut anfängt. Wir haben noch nicht mal Pferde und sind gleich am ersten Tage zweimal ex jeliefert worden. Wenn dat in diese Weise fortjeht, so werden wir aus dem Gran Chaco jeworfen, aus Peru jestoßen, aus Amerika jeschmissen und sitzen dann im jroßen Ozean, wat man dat Stille Weltmeer nennt, und warten dort, bis wir durch eine neue Sündflut als vorjeschichtliche Walfische herausjebuddelt werden. Man hat unsre Ambition beschädigt; wir aber besitzen wenigstens den Trost, daß die wissenschaftliche Wahrheit festjestellt worden ist: Der Puter ärjert sich nicht alleine über die rote Farbe.«

»Ja,« nickte der Doktor. »Ich werde der Akademie der Wissenschaften eine Abhandlung über diesen Gegenstand einsenden. Es ist nun heutigestags unwiderleglich bewiesen, daß die Rinder einen Widerwillen gegen die rote Farbe haben.«

»Und zwar beide Jeschlechter.«

»Allerdings, aber doch in verschiedenem Grade. Das Masculinum war empfindlicher als das Femininum. Du wurdest nicht angegriffen, während der Stier mich in eine beinahe unkomfortable Lage brachte.«

»Aber woher denn diese Aversion gejen diese Farbe, welche jrade meine Lieblingsfarbe ist?«

»Das läßt sich jetzt nicht sagen. Die Thatsache ist festgestellt; den Gründen muß man noch nachspüren. Ob es vielleicht darin liegt, daß die roten Farbenstrahlen im Sonnenspektrum durch das Prisma am schwächsten gebrochen werden? Die roten Strahlen schwingen in einer Sekunde nur fünfhundert Billionen mal.«

»Sollte dat dem Bullen aufjefallen sind?«

»Von dieser Zahl hat er höchst wahrscheinlich keine Vorstellung. Aber wenn z. B. das Violett in der Sekunde achthundert Billionen Schwingungen macht, so ergibt das einen Unterschied von dreihundert Billionen, welcher so groß ist, daß er selbst auch dem Auge eines Wiederkäuers wohl aufzufallen vermag. Doch bedarf das jedenfalls noch der Aufklärung. Ich habe meinen nächsten Zweck erreicht und dabei zugleich eine Entdeckung gemacht, über welche jeder Menageriebesitzer in Entzücken geraten wird, wenn ich sie veröffentliche.«

»So? Welche denn?«

»Wie selbst das wildeste Tier sofort zu bändigen ist. Man hängt sich einfach an den Schwanz desselben. Die Situation ist zwar nicht übermäßig bequem, doch wird das einen Tierbändiger nicht hindern, meinem Beispiele zu folgen; ich bin überzeugt, daß es jeder wenigstens einmal versuchen wird.«

»Hm! Dat ist nun sonne Sache! Ick möchte mir zum Beispiel nicht an den Schwanz eines Löwen oder einer Riesenschlange hängen.«

»Es kommt auf den Versuch an, und ich bin der Wissenschaft zuliebe jederzeit bereit, ihn zu machen. Das Sprichwort sagt so wahr: Probieren geht über studieren.«

»Wat mir betrifft, so möchte ick diese Anjelejenheit doch weit lieber in einem Buch studieren, als mit so ‘nem indischen Königstiger.«

Sie waren während dieses gelehrten Gespräches langsam weitergegangen und hatten nicht bemerkt, daß der Chirurg ihnen gefolgt war. Jetzt holte er sie ein und sagte:

»Señores, die Gauchos sind sehr

erzürnt auf Sie. Ich warnte, doch Sie achteten meiner Worte nicht und kamen in Gefahr. Leider aber ließ der Bulle sich ins Bockshorn jagen.«

»Leider?« fragte Morgenstern verwundert.

»Ja, leider! Denn wenn er nicht so erschrocken wäre, hätte ich Gelegenheit gehabt, Ihnen meine Kunst zu zeigen.«

»Wieso?«

»Er hätte Sie entweder aufgespießt oder Ihnen einige Knochen zerbrochen. Wie glücklich hätte es mich gemacht, Euer Gnaden beweisen zu können, daß ich ein Meister in der Behandlung jeder Art von Wunden und Knochenbrüchen bin. Ich ziehe den längsten Splitter heraus, ohne daß die Blutung sich vergrößert. Ich bin in jedem Augenblicke zur subtilsten Operation bereit. Was sagen Sie zum Beispiel zur Exstirpation der Nasenknochen?«

»Der Nasenknochen?« fragte Fritze, indem er unwillkürlich und schnell an seine Nase griff. »Hoffentlich haben Sie es nicht auf mein Gesicht abgesehen. Exstirpieren Sie wen und was und wo und wann Sie wollen, aber mich lassen Sie in Ruhe! Sie sind ja ein ganz gefährlicher Mensch! Uns, die wir Ihre Freunde sind oder wenigstens werden sollen, wünschen Sie zerstoßene Leiber und zerbrochene Knochen! Ist so etwas erhört? Das ist eine Unhöflichkeit, welche Ihnen nicht zur Ehre gereicht, Señor.«

»Was das betrifft, Señor Federico (Friedrich), so haben Sie mir keine Vorwürfe zu machen, denn auch Sie sind unhöflich gewesen, nämlich gegen die Gauchos. Man sagt keinem Caballero, daß er nicht Fachmann sei. Das hat die Caballeros so beleidigt, daß Sie von ihnen kein Entgegenkommen zu erwarten haben. Sie werden das bemerken; doch sprechen wir nicht weiter über diesen Gegenstand; gehen wir lieber nach dem Corral der Pferde, um zu sehen, welche Art von Tieren wir da zu kaufen bekommen werden.«

Der Corral war leer. Um die Pferde zu sehen, mußten sie hinaus auf den Camp gehen, wo dieselben weideten. Die Estancia gehörte, wie bereits gesagt, nicht zu den größeren, und dennoch war es erstaunlich, welch eine Menge des Weideviehes es hier gab.

Das Hauptprodukt der La Plata-Staaten ist das Vieh; die Estancieros züchten Pferde, Rinder und Schafe. Das europäische Pferd wurde 1536 durch Mendoza, das Schaf 1550 aus Peru und das Rind 1553 von Brasilien her eingeführt. Nur selten reitet man eine Stunde lang durch das Land, ohne ganze Majados (Herden) dieser Tiere zu erblicken. Man rechnet, daß eine Quadratlegua 20000 Schafe oder 300 Stück Hornvieh, welch letzteres sich in guten Jahren um bis 800 Stück vermehrt, zu ernähren vermöge.

Den Schafen wird, der Wolle wegen, das bessere Weideland überlassen; ihnen widmet man einige Sorgfalt. Um die Pferde und Rinder kümmert man sich weniger. Sie stehen unter der Aufsicht von Gauchos und Hunden, und der Besitzer nimmt nur dann Notiz von ihnen, wenn sie entweder gezeichnet oder verkauft werden sollen. Für eine Stute zahlt man höchstens 16, für ein gutes Reitpferd nicht mehr als 6o Mark. Ein Stück Hornvieh, welches nach dem Saladero verkauft wird, kostet meist weniger als 50 Mark. Saladeros sind große Schlachthäuser, in denen die Rinder in Massen

 

getötet werden. Das Wort leitet sich von dem spanischen salar, einsalzen, ab. In diesen Etablissements werden die Häute eingesalzen und ungeheuere Talgmengen gewonnen. Einer der berühmtesten Saladeros ist derjenige zu Fray Bentos, wo Liebigscher Fleischextrakt gewonnen wird. Man schlachtet da täglich bis 900 Stück Rinder und zerkleinert die Muskeln mit Maschinen, von denen jede in der Stunde das Fleisch von 200 Ochsen zerschneidet. Das gesamte Fleisch eines Ochsen liefert nur drei Kilogramm Extrakt.

Als die drei Männer sich überzeugt hatten, daß es hier bessere Pferde gab als im Gasthofe zu Santa Fé, kehrten sie nach der Estancia zurück. Dort war man indessen mit dem Zeichnen der Rinder fertig geworden; der Corral wurde geöffnet und die Tiere stürmten, froh, der Gefangenschaft entronnen zu sein, in das Freie. Zwei hatte man zurückgehalten, um sie zu schlachten. Die Reisenden näherten sich, um zuzusehen, in welcher Weise dies geschah.

Der Anblick, welcher sich ihnen bot, war ein höchst widerwärtiger. Die Kühe ahnten, was ihnen bevorstand und brüllten vor Angst. Sie wurden, um ihr Blut zu erhitzen, weil nach der Meinung der Gauchos das Fleisch dann besser schmeckt, eine Zeitlang im Corral umhergehetzt und dann ganz in der oben beschriebenen Weise, als ob sie gezeichnet werden sollten, mit Hilfe der Lassos niedergerissen. Nachdem ihnen einfach die Gurgel durchschnitten worden war, warfen sich die rohen Menschen auf die noch lebenden und vor Schmerz sich bäumenden und mit den Beinen um sich arbeitenden Tiere und schnitten ihnen ganze, lange Stücke rauchenden und zuckenden Fleisches mitsamt der Haut aus den Leibern. Das Todesröcheln, welches sich aus den offenen Gurgeln drängte, war, verbunden mit den gierigen Zurufen der Gauchos, für ein zivilisiertes Ohr nicht anzuhören. Morgenstern ging mit Fritz davon. Der Chirurg aber blieb und zog sein Messer, um sich auch eine Portion zu nehmen. Das unmenschliche Schauspiel war ihm etwas Gewohntes.

Der Gaucho spießt dieses Fleisch an Hölzer oder gleich an sein Messer und hält es über das Feuer, um die angebratene Seite in den Mund zu stecken, den Bissen unter der Nase abzuschneiden und es dann weiter zu braten. Asado nennt er dieses noch im Blute geröstete Fleisch. Sitzt aber gar noch die Haut (cuero) daran, so bildet der Braten seine allergrößte Delikatesse und wird Asado con cuero, Asado mit der Haut genannt.

Bald brannten die Feuer, an denen die Gauchos und andern Bediensteten saßen, um ihr Lieblingsgericht zu verzehren. Um die beiden Deutschen kümmerten sie sich nicht, ganz so, wie der Chirurg gesagt hatte. Dieser aber leistete ihnen bei ihrem Mahle und bei ihrer Unterhaltung Gesellschaft, obgleich sie ihn nicht etwa mit großer Hochachtung behandelten. Seine Versessenheit auf die Chirurgie hinderte ihn, zu bemerken, daß sie mehr ironisch, als ernsthaft mit ihm verkehrten.

Doktor Morgenstern wäre ganz verlassen gewesen, wenn der Majordomus es nicht für seine Pflicht gehalten hätte, sich seiner anzunehmen. Er widmete ihm einige freie Viertelstunden und sorgte dafür, daß es nicht an Speise und Trank gebrach.

So verging der Tag, und der Abend kam, mit ihm der Estanziero, der sich sofort bereit erklärte, fünf Pferde zu dem landläufigen Preise zu verkaufen. Er war erfreut, Europäer bei sich zu finden, von denen wenigstens der eine so kurze Zeit im Lande weilte, daß er über die jüngsten Ereignisse von drüben zu berichten vermochte. Die Gauchos saßen draußen bei ihren Feuern, aßen immer noch oder wenigstens schon wieder, denn so ein Mensch vermag ungeheuere Mengen Fleisch zu verzehren, und füllten die Pausen mit kräftigen Scherzen, leidenschaftlichen Erzählungen und patriotischen Liedern, welche sie mit ihren Guitarren begleiteten. Es gibt selten einen Gaucho, der nicht eine Guitarre besitzt.

Der Estanziero hatte bei seiner Ankunft

von ihnen erfahren, was im Corral geschehen war, und schon da den Kopf dazu geschüttelt, daß ein Mensch es wagen könne, mit einem Bullen anzubinden, um sich zu überzeugen, ob derselbe zur roten Farbe gleichgültig sei oder nicht. Nun erkannte er im Laufe der Unterhaltung mehr und mehr, daß Morgenstern ein Original und zugleich ein seelenguter Mensch sei, der nur an sein besonderes Fach denke, von dem gewöhnlichen Leben und dessen Anforderungen wenig oder gar nichts verstehe und überall eher hinpasse, als in die Pampas oder gar in den Gran Chaco, wo der Reisende während des Tages und der Nacht von vielfältigen Gefahren umgeben ist. Darum sagte er endlich, nachdem alle seine teilnehmenden Fragen beantwortet worden waren:

»Aber, liebster Señor, meinen Sie denn wirklich, daß Sie Ihre Zwecke erreichen, ohne in der Wildnis umzukommen? Sie haben keine Ahnung dessen, was Sie im Gran Chaco und in den Cordilleras erwartet.«

»Was das betrifft, so weiß ich sehr wohl, woran ich bin,« antwortete der Gelehrte. »Ich habe ja das Buch Excursion au Rio Salado et dans le Chaco, par Amédée Jacques gelesen.«

»Ich kenne dieses Buch nicht und brauche es nicht zu kennen, denn ich weiß, daß das Lesen eines Buches einen Menschen, selbst den gelehrtesten, noch lange nicht befähigt, die Entbehrungen und Gefahren zu bestehen, welche Ihrer warten. Oder meinen Sie, daß Sie sich auf diesen sogenannten Don Parmesan verlassen können?«

»Warum nicht? Er ist doch ein gelehrter Mann.«

»Ein Narr ist er, weiter nichts!«

»Aber doch ein bedeutender Chirurg?«

»Fällt ihm nicht ein. Die Chirurgie ist sein fixer Gedanke. Dieser Señor hat noch keinem Menschen ein Haar oder einen Fingernagel gekürzt, obgleich er einen Sack voll chirurgischer Instrumente im Lande herumschleppt.«

»Also nur eine fixe Idee? Sollte man so etwas denken!«

»Warum nicht. Es gibt viele Menschen, welche an einer solchen Monomanie laborieren, ohne, wie es scheint, eine Ahnung davon zu haben, daß sie krank sind. Ich habe da zum Beispiel einen kennen gelernt, der sich mit der fixen Idee herumträgt, nach Knochen von Tieren zu suchen, welche vor Tausenden von Jahren gelebt haben. Hätte Noah geglaubt, daß diese Kreaturen etwas wert seien, so hätte er sie ganz gewiß mit in seine Arche aufgenommen.«

»Señor, das ist keine fixe Idee, sondern der Mann ist jedenfalls ein sehr kluger Kopf, ein Zoopaläontolog, gerade wie ich!« rief Morgenstern begeistert. »Lebt der Mann hier?«

»Jetzt, ja.«

»Wo denn, wo? Karin ich ihn vielleicht kennen lernen?«

»Kennen lernen? Das ist gar nicht nötig. Sie kennen ihn längst, denn Sie sind es selbst.«

»Ich? Ah! Oh!« dehnte der Gelehrte, indem er den Mund weit offen ließ. »Mich meinen Sie, mich? So leide ich nach Ihrer Ansicht also an einer fixen, an einer krankhaften Idee?«

»Allerdings. Nehmen Sie es mir nicht übel, Señor; aber es ist so, es ist wirklich so. Was können Ihnen die vorweltlichen Eidechsen nützen?«

»Was sie mir nützen können? Oh, eine einzige solche Eidechse, lateinisch Lacerta genannt, kann mich zum berühmten Manne machen.«

»Das verstehe ich nicht, will es aber glauben. Doch was hilft Ihnen eine Berühmtheit, welche Sie gar nicht erreichen können, weil Sie unterwegs umkommen werden?«

»Umkommen? Halten Sie denn das für so gewiß und sicher, indubitatus, wie der Lateiner sagen würde?«

»Ja, denn Sie sorgen sich um diese vorweltlichen Geschöpfe, aber nicht um Ihr Wohlergehen. Wie ich vernehme, sind Sie zu einer solchen Reise, wie die ist, welche Sie jetzt beabsichtigen, ja gar nicht ausgerüstet.«

»O doch! Ich besitze Waffen, Bücher, Hacken und Schaufeln. Und die Pferde, welche mir nötig sind, werden Sie mir verkaufen. Außerdem ist Señor Parmesan bei mir, der den Chaco kennt.«