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Der blaurote Methusalem

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Rechtvaardige hemel, is deze vrouw dick, zeer onfeilbaar dick – gerechter Himmel, ist diese Frau dick, ganz unfehlbar dick!«

Wenn Mijnheer van Aardappelenbosch so in Ekstase geriet, so kann man sich wohl denken, daß der Durchmesser dieser Dame so ziemlich gleich ihrer Höhe war. Sie näherte sich mit großem Erfolge der Kugelform.

Ihr Haar war mit Hilfe vieler Nadeln, in denen Diamanten glänzten, in eine schmetterlingsähnliche Form gesteckt. Ihr Körper wurde bis zum Boden herab von kostbarer Seide umwallt. Ihre Hände waren tief in den weiten, bis über die Kniee reichenden Aermeln verborgen, und um ihren Hals hing eine schwere, goldene Kette, an welcher mehrere Amulette befestigt waren.

Das kleine Gesichtchen war nach der Sitte vornehmer Chinesinnen dick mit Bleiweiß und Zinnober bestrichen, was den Zügen eine maskenartige Unbeweglichkeit und Starrheit erteilte, von welcher die kleinen, schief geschlitzten Aeuglein eine sehr bewegliche Ausnahme machten.

»Tsching, tsching, tsching, tsching, kia tschu!« grüßte sie mit ihrem dünnen, durchdringenden aber sehr freundlich klingenden Kinderstimmchen.

Kia tschu heißt »meine Herren«.

Den Kapitän überkam eine außerordentlich galante Regung. Er als derjenige, welcher von allen das feinste Chinesisch sprach, mußte auf jeden Fall jetzt das Wort ergreifen und dem lieben Wesen etwas Zartes sagen. Darum trat er zwei Schritte vor, verbeugte sich außerordentlich tief, hustete einmal, zweimal und begann:

»Gnädige Frau Chinesing! Mein Herz ist wonnangvoll berührt von Ihrer holdong Liebangswürdigkeit. Zwar bing ich unverheiratingt, aber ich weiß das Glück zu schätzung, eine Gatting dieses Mandarengs so liebreich vor Augang zu habung. Ich muß Ihneng mein Komplimangt machong und empfehle uns alle Ihreng Wohlwollung! Tsching, tsching und abermals tsching!«

Sie hatte kein Wort außer dem letzten dreimaligen Tsching verstanden. Sie erriet, daß er sie begrüßte und ihr irgend etwas Angenehmes gesagt hatte. Darum lächelte sie ihn dankbar an und gab ihm durch ein freundliches Nicken zu erkennen, daß sie mit seiner Aufführung nicht unzufrieden sei. Er trat wieder zurück und flüsterte dem Dicken zu:

»Eine feine Frau, bei meiner Seele! Spricht ein außerordentlich regelrechtes Chinesisch! Hat jedes Wort verstanden! Allen Respekt!«

Jetzt wendete sie sich an den Methusalem.

»Sie sind der Retter meines Herrn,« sagte sie zu ihm. »Ohne Sie lebte er nicht mehr und ich würde dann vor Leid gestorben sein. Ich danke Ihnen.«

Sie schob aus dem Aermel ein kleines, bleiches Kinderhändchen hervor, um es ihm zu geben. Degenfeld ergriff erst ihren seidenen Aermel und mit demselben ihre Hand, damit dieselbe nicht direkt von der seinigen berührt werde, zog dann das mit der Seide bedeckte Händchen an seine Lippen und antwortete:

»Tsui-schin put tui!«

Diese vier Silben schließen alles ein, wodurch ein Chinese seine Demut auszudrücken vermag. Wörtlich lauten sie: »Ich Sünder darf nicht antworten.«

Daß er ihre Hand nicht berührte, war ein Beweis großer Hochachtung und Ehrerbietung, den sie dadurch belohnte, daß sie auch den andern das Händchen bot. Sie folgten dem Beispiele des Methusalem und bemühten sich, einen gleich eleganten Handkuß fertig zu bringen, was dem Mijnheer nicht allzu gut gelang, da beide so dick waren, daß sie sich nur gerade so mit den Händen erreichen konnten.

Während der Mandarin seine Gemahlin dann höflich nach ihrem Zimmer begleitete, rief der Dicke:

»Goede god, was dat eene vrouw! Moet die ontzettend veel gegeten hebben – guter Gott, war das eine Frau! Muß die entsetzlich viel gegessen haben!«

Damit hatte er sein scharfsinnigstes Urteil abgegeben. Der Gottfried wollte eine verbessernde Bemerkung machen, wurde aber unterbrochen. Es ließ sich draußen ein ganz eigenartiger, sich nähernder Lärm vernehmen. Man hörte die schmetternden und doch dumpfen Töne mehrerer Gongs, welche entsetzlich disharmonierten, und dazwischen rufende oder schreiende Männerstimmen.

Der Mandarin kam zurück und sagte:

»Hören Sie es? Es muß ein großes Unglück oder ein großes Verbrechen geschehen sein. Die Wächter verkünden es. Lassen Sie hören!«

Er öffnete ein Fenster. Der Lärm war jetzt vor dem Hause. Die Gongs schrillten in die Ohren, und eine heisere Stimme machte etwas, was selbst der Methusalem nicht verstand, in halb singendem und halb heulendem Tone bekannt.

»Welch ein Verbrechen!« rief der Mandarin, welcher diese Art des Ausschreiens gewohnt war und die Worte also verstanden hatte. »So etwas ist in Kuang-tschéu-fu noch nie geschehen!«

»Was ist‘s?« fragte Degenfeld, welcher aber wohl wußte, um was es sich handelte.

»Aus dem Pek-thian-tschu-fan sind zwei Götter geraubt worden.«

»Heute?«

»Vor kurzer Zeit. Beim Beginne des Siüt-schi sind sie noch da gewesen. jetzt aber vermißt man sie. Zwei Menschen, welche eine Sänfte draußen stehen hatten, sind als Thäter verdächtig. Der Ausrufer beschreibt sie.«

Die Gefährten warfen ihre forschenden Blicke schnell auf den Methusalem. Sie ahnten, daß es sich um die beiden Männer handle, welche er belauscht hatte. Er that, als ob er ihre Blicke nicht bemerke, und sagte:

»Götter rauben! Das sollte man nicht für möglich halten! Kann so etwas denn wirklich geschehen?«

»Es ist geschehen, folglich kann es geschehen,« antwortete der Tong-tschi. »Hoffentlich entdeckt man die Tempelschänder, und dann wehe ihnen! Man wird alle Gassen, Straßen und Plätze mit Polizei und Militär besetzen, so daß keine Ratte hindurch kann. Wenn die Thäter sich nicht bereits aus der Stadt geflüchtet haben, so sind sie verloren.«

»Aber zu welchem Zwecke könnten Menschen sich an Göttern vergreifen?«

»Das wissen Sie nicht? Das ahnen Sie auch nicht?«

»Nein.«

»Um Glück zu haben, um reich zu werden. Wer so einen Gott ins Haus zu bringen vermag, dem muß derselbe natürlich dienen. Aber sie sind nicht für einen, sondern für alle da. Darum werden sie in den Tempeln aufgestellt, damit ein jeder zu ihnen kann, um ihnen seine Bitten vorzutragen. Wer aber – was gibt es?«

Diese letztere barsche Frage galt einem Diener, welcher eingetreten war.

»Hohe Exzellenz,« antwortete dieser, »der ganz unwürdige Juwelier Wing-kan bittet in tiefster Demut eine Meldung machen zu dürfen.«

»Der? Er mag heimgehen; ich habe nichts mit ihm zu schaffen.«

»Er sagte, daß es sehr notwendig sei, daß es unserer Exzellenz den größten Nutzen bringen werde.«

Man verspreche einem Chinesen einen Vorteil, so wird er sofort bereit sein, die Hand nach demselben auszustrecken! Der Tong-tschi machte keine Ausnahme.

»Laß ihn herein!« befahl er. »Aber sage ihm vorher, daß ich ihm die Finger und Zehen zusammenpressen lasse, wenn er mich ohne Grund belästigt hat!«

Der Genannte trat ein, senkte den Kopf fast bis zum Boden herab und blieb in dieser Stellung an der Thüre stehen.

»Was willst du so spät?« fuhr der Beamte ihn an.

»Allmächtiger Kuan-fu,« antwortete der Gefragte im Tone knechtischer Furchtsamkeit, »ich muß in die Strahlen Ihrer Sonne eilen, weil kein Sing-kuan in unserer Gasse residiert.«

»Sing-kuan? So ist es eine Kriminalangelegenheit?«

»Ja.«

»Was habe denn ich mit solchen Sachen zu thun! Ich sehe, daß ich dich einsperren lassen muß.«

»Ihre leuchtende Gnade wird mir die Freiheit lassen, wenn sie erfährt, daß es sich um die gestohlenen Götter handelt.«

Der Mandarin hatte sich auf einen Stuhl gesetzt, da es mit seiner Würde nicht zu vereinigen gewesen wäre, wenn er stehend mit diesem Manne gesprochen hätte. Jetzt aber sprang er auf und rief:

»Um diese Götter? Richte dich empor, und sprich frei und schnell zu mir. Was weißt du über diese hochwichtige Angelegenheit?«

»Ich glaube den Mann zu kennen, bei dem die Geraubten sich befinden.«

»Du? Wer ist es?«

»Hu-tsin, mein Nachbar.«

Die Brauen des Tong-tschi zogen sich finster und drohend zusammen.

»Der? Dein Feind?« fragte er. »Dieser Mann ist ehrlich und kein Dieb. Von ihm könntest du lernen, zu sein, wie man sein muß. Er stiehlt nicht; am allerwenigsten aber raubt er Götter! Weißt du, was du thust, wenn du ihn einer solchen That beschuldigst?«

»Ich weiß es; aber ich habe ihn noch nicht beschuldigt, sondern nur eine Vermutung ausgesprochen.«

»Nun, warum vermutest du, daß er der Thäter ist? Aber hüte dich, ein Wort mehr zu sagen, als du verantworten kannst! Du bist nicht der Mann, mit dem ich Nachsicht haben würde!«

Der Juwelier nahm diese harten Worte demütig hin und sagte:

»Ich will niemand anklagen und niemand beschuldigen; aber ich halte es für meine Pflicht, Ihrer Erleuchtung zu sagen, was ich gesehen habe.«

»Nun, was?«

»Ich hatte heut am Tage viel gearbeitet, darum ging ich, als der Abend anbrach, in den Garten, um mich zu erholen und frische Luft zu atmen. Ich stand an der Mauer. Es war schon dunkel; dennoch sah ich zwei Männer kommen, welche einen Palankin trugen und an dem Garten meines Nachbars hielten. Sie gaben ein Zeichen, und er antwortete ihnen, denn er hatte auf sie gewartet. Ich sah, daß sie zwei schwere Gegenstände aus der Sänfte nahmen und über die Mauer hoben. Dann stiegen sie nach und gruben mit ihm ein Loch, in welches sie die Gegenstände vergruben. Ich schlich mich hin, denn das Treiben dieser Leute kam mir verdächtig vor. Als ich über die Mauer blickte, erkannte ich, daß es Figuren seien. Sie legten dieselben in das Loch und machten es wieder zu. Die beiden Männer sprangen über den Zaun; Hu-tsin aber blieb noch in seinem Garten. Das ist‘s, was ich gesehen habe.«

»Himmel! Ist es möglich!« rief der Mandarin. »Eine Sänfte mit zwei Männern, zwei Figuren, gerade um diese Zeit! Das stimmt ja alles sehr genau! Sollte Hu-tsin doch ein Verbrecher sein?«

»Ich kann das nicht beantworten. Ich habe nur erzählt, was ich gesehen habe.«

 

»Was thatest du dann?«

»Ich überlegte. Hu-tsin mußte etwas Verbotenes vorhaben, weil alles so heimlich geschah. Sollte ich ihn anzeigen, den ehrlichen Hu-tsin, und mich in Gefahr bringen? Ich wußte keinen Rat und begab mich darum zu dem anderen Nachbar, dem ich alles erzählte. Da hörten wir ausrufen, daß zwei Götter gestohlen worden seien, und nun wußte ich auf einmal, wer die beiden Figuren gewesen waren. Ich sah ein, daß ich reden müsse. Auch der Nachbar trieb mich zu Ihrer Mächtigkeit zu eilen, um derselben diese Mitteilung zu machen.«

Der Mandarin schritt erregt auf und ab und rief dabei:

»Hu-tsin, Hu-tsin! Hätte ich mich in ihm so sehr geirrt! Mensch, du hast mir doch die Wahrheit gesagt?«

»Ihre Herrlichkeit mag mich zu Tode prügeln lassen, wenn ein einziges Wort erfunden ist.«

»Das würde ich auch thun; darauf kannst du dich verlassen! Hast du dir die Stelle gemerkt, an welcher das Loch gegraben worden ist?«

»Ganz genau.«

»Und kannst du es mir zeigen?«

»Ja.«

»Du wirst mich augenblicklich zu Hu-tsin begleiten. Aber wehe dir, wenn ich dich bei einer Lüge ertappe! Wehe dir, wenn du dir diese Geschichte nur ausgesonnen hast, um deinem Nachbar Schaden zu bereiten! Du hättest die Summe der Qualen von zehn Menschen, welche zu Tode gemartert werden, zu erleiden!«

Wing-kan verbeugte sich und antwortete im zuversichtlichsten Tone:

»Ich bin zu allem bereit. Mein Gewissen ist rein und mein Herz gerecht. Meine Seele sträubt sich dagegen, daß der Heuchler gerade durch mich entlarvt werden soll, aber ich folge dem Gebote der hohen Religion.«

»So warte hier; ich komme gleich zurück!«

Er wollte fort, kehrte aber unter der Thür wieder um, kam auf den Methusalem zu und fragte ihn.

»Sie sind ein großer Gelehrter Ihres Landes. Haben Sie auch die Gesetze der Gerechtigkeit studiert?«

»Ja.«

»So sollen Sie erfahren, wie man es bei uns versteht, den Verbrecher zu ergreifen und zu bestrafen. Wollen Sie mich jetzt begleiten?«

Nichts konnte dem Methusalem willkommener sein als diese Frage. Als er sie bejahend beantwortete, bestimmte der Tong-tschi:

»Gut, Sie gehen also mit, und Ihre Gefährten ebenso. Ich werde nach Polizisten oder Soldaten senden.«

Er ging hinaus.

Der Juwelier fand erst jetzt Zeit, den Anwesenden seine Aufmerksamkeit zu schenken. Er musterte sie mit frech neugierigen Blicken, rümpfte, wohl über ihre ungewöhnlichen Erscheinungen, die breite Stumpfnase und trat dann zu Turnerstick, um ihn zu fragen:

»Tsche-sié sing-song-tschin – diese Leute sind wohl Schauspieler?«

»Sing-song« heißt nämlich Theater, Schauspiel. Da die Schauspieler zur unehrbaren Klasse gehören, lag in dieser Frage eine Beleidigung. Er hatte den Kapitän gefragt, wohl weil er diesen infolge seiner Kleidung für den Vornehmsten hielt. Turnerstick verstand ihn nicht und antwortete:

»Willst du die Güte habeng, den Mund zu haltung, Spitzbubing! Wir habeng mit dir nichts zu schaffang.«

Der Juwelier verstand kein Wort, erkannte aber aus der abwehrenden Handbewegung des Kapitäns, daß dieser ihn abgewiesen habe und sagte in stolzem Tone:

»Tsen-kam ni yen, ni tuan-schan ye sing-song-tschin – wie dürfte ich mit dir reden, du bist sicherlich auch ein Schauspieler!«

»Wat hat er jesagt?« fragte Gottfried von Bouillon, dem der Ausdruck, in welchem diese Worte gesprochen worden waren, nicht gefallen hatte.

»Er hält uns für Schauspieler, welche hier dem Schinder gleich geachtet werden,« antwortete Methusalem.

»Potztausend! Hätte ich mein Fagott mit da, so wollte ich ihm eine Quadrille ins Jesicht blasen, die sich jewaschen haben sollte. Soll ich ihm eins auf die Hühneraugen widmen?«

»Nein. Laßt ihn! Er ist nicht wert, daß wir ihm überhaupt antworten.«

»Dat ist wahr, und es widerstrebt meinem Standesjefühl als Wichsier, mir mit ihm zu verunreinigen. Der Löwe darf sich nicht mit dem Ijel abjeben. Lassen wir ihn also seitwärts liejen. Er wird ja sehr bald erfahren, wat wir von ihm denken.«

Der Tong-tschi trat wieder herein, und bald folgten ihm mehrere bewaffnete Polizisten mit kegelförmigen Mützen. Sie sind fast die einzigen, welche noch diese von der altchinesischen Tracht übrig gebliebene, von den Tataren verdrängte Kopfbedeckung tragen.

Nun wurde aufgebrochen. Unten stand ein Peloton Soldaten, mit Luntenflinten bewaffnet und auf der Brust und dem Rücken je einen schildförmigen Einsatz, auf welchem das Wort »Ping«, d. i. »Soldat«, zu lesen war.

Der Mandarin mußte auch diese wenigen Schritte der Würde seines Standes angemessen zurücklegen. Voran schritten vier Läufer. Dann kam er in seiner Staatssänfte, hinter ihm seine Gäste auch in Sänften, dann der Ankläger, von den Polizisten umgeben, und schließlich die Soldaten, bei denen aber von einem Gleichschritte keine Rede war. Sie hielten ihre Gewehre ganz wie es ihnen paßte und liefen dabei nach Belieben durcheinander. Vor dem Hause Hu-tsins wurde angehalten. Die Herrschaften stiegen nicht eher aus den Sänften, als bis geöffnet worden war.

Die Straße war nicht erleuchtet, und doch war es ziemlich hell, denn es befanden sich viele Leute, welche Laternen trugen, auf derselben. Zwar dürfen nur Bevorzugte aus einer Gasse in die andere; aber die Bewohner aus einer und derselben Straße dürfen auch des Abends unter gewissen Umständen miteinander verkehren. Nur ist jeder einzelne angewiesen, eine Papier- oder sonstige Laterne bei sich zu tragen.

Ueberhaupt ist die Beaufsichtigung der Bevölkerung in China eine sehr weit durchgeführte. Es gibt Beamte, welche für eine gewisse Anzahl von Straßen und für alles, was in denselben passiert, verantwortlich sind. Unter ihnen stehen die »Straßenhäupter«, deren jeder eine einzelne Straße beaufsichtigt, welche wieder in verschiedenen Abteilungen von »Häuserhäuptern« bewacht wird. Unter diesem stehen dann die Familienväter, welche alles, was in ihrer Familie geschieht, zu verantworten haben.

Wird ein Verbrechen begangen, so wird die ganze Familie des Verbrechers, das betreffende »Häuserhaupt«, das »Straßenhaupt« und unter Umständen auch das Haupt des betreffenden Stadtteiles mit in Strafe gezogen.

Die Kunde, daß zwei Götter geraubt worden seien, hatte viele Leute auf die Straße gelockt, wo sie in stillen Gruppen beisammenstanden, um die entsetzliche Neuigkeit leise zu besprechen. Die Häuserhäupter standen dabei, um sorglich darüber zu wachen, daß ja weder Lärm noch Unordnung entstehe.

Hu-tsin hatte vom Methusalem genaue Anweisung erhalten, wie er sich verhalten solle. Er wußte, daß der Tong-tschi kommen werde, und hatte denselben hinter seiner verschlossenen Thür erwartet. Kaum war das Klopfen erschollen, so öffnete er dieselbe.

Er war so klug, sich zu stellen, als ob er in hohem Maße erstaunt über den Besuch des Mandarins sei, verbeugte sich bis zum Boden nieder und fragte im Tone tiefster Unterwürfigkeit nach der Veranlassung desselben.

»Du wirst es erfahren,« antwortete der Beamte. »Jetzt mach vor allen Dingen Platz und hole deine unwürdige, übel riechende Familie herbei!«

Zwei der Polizisten ergriffen den Juwelier beim Zopfe und zerrten ihn hinaus. Der Mandarin begab sich beim Scheine der mitgebrachten Papierlaternen nach dem Garten, wohin ihm die andern folgten.

Bald brachten die Polizisten den Mann wieder. Er hatte seine Frau, seine Kinder und Dienerschaft bei sich. Er selbst blieb in tief gebeugter Haltung stehen; seine Angehörigen warfen sich auf die Kniee nieder und blieben in dieser Stellung vor dem Beamten liegen. Dieser wandte sich im strengsten Tone an den Angeklagten:

»Weißt du, weshalb wir kommen?«

»Meine große Niedrigkeit ahnt nicht, aus welchem Grunde Ihr Glanz mein dunkles Haus erleuchtet,« antwortete der Gefragte.

»Das lügst du! Standest du nicht an deiner Thür, als wir kamen?«

»Ja.«

»Was hast du da zu stehen? Dein böses Gewissen hat dich hingetrieben.«

»Ich hörte, daß viele Leute auf der Gasse seien, und wollte nachsehen, was sie da treiben. Da aber kam Ihre hohe Gerechtigkeit, um bei mir abzusteigen.«

»Ja, meine hohe Gerechtigkeit! Das hast du ganz richtig gesagt. Dieser Gerechtigkeit wirst du verfallen. Weißt du denn, weshalb sich so viele Menschen auf der Straße befinden?«

»Ich vermute es.«

»Nun?«

»Wegen den beiden Göttern, welche geraubt worden sind.«

»Woher weißt du, daß diese That geschehen ist?«

»Wir hörten den Ausrufer, welcher es bekannt machte.«

»Nur daher weißt du es? Hast du es nicht schon vorher auf eine andere Weise erfahren?«

»Nein.«

»Das ist eine Lüge, für welche ich die dich treffende Strafe verschärfen werde. Du hast von dem Raube gewußt, noch bevor überhaupt ein anderer etwas davon erfuhr, denn du selbst bist der Räuber!«

Ein guter Inquirent hütet sich bekanntlich, dem Inquisiten das Verbrechen in dieser Weise auf den Kopf zu sagen. Er versucht vielmehr, denselben mit einem Netze von scheinbar unwesentlichen Fragen zu umgeben, aus welchem dann, wenn die letzte Masche zugezogen ist, der Angeschuldigte nicht zu entrinnen vermag. Eine solche ins Gesicht geschleuderte Behauptung aber kann die Ueberführung des Verbrechers leicht zur Unmöglichkeit machen. – Hu-tsin stellte sich erschreckt und antwortete:

»Was waren das für Worte! Was sagt Ihre Herrlichkeit! Ich soll es sein, welcher die Götter geraubt hat, ich, der ich der gläubigste und eifrigste Anhänger des großen und heiligen Unterrichtes bin? Welch eine Anschuldigung! Ich kann beweisen, daß ich von früh bis jetzt meinen Laden, meine Wohnung nicht verlassen habe!«

»Das kannst du beweisen, ja; aber du hast zwei Männer mit der That beauftragt, welche dir die geraubten Götter dann gebracht haben!«

»Ich? Ehrwürdigster Herr, ich weiß nichts davon!«

»Lüge nicht! Du hast die Götter in deinem Garten vergraben lassen!«

»Wer hat das gesagt? Wer will das behaupten?«

»Wing-kan, dein Nachbar, welcher alles gesehen hat und nun als Ankläger hier vor dir steht.«

»Dieser? Meine demütige Bewunderung Ihrer hohen Würde wagt es, Ihnen zu sagen, daß dieser Mann bekanntlich mein Feind ist. Er hat dieses Märchen erdacht, um mich in Schaden zu bringen.«

»Es ist kein Märchen, sondern die Wahrheit. Willst du leugnen, daß du nach Einbruch der Dunkelheit in deinem Garten gewesen bist?«

»Nein; das leugne ich nicht.«

»Siehst du, daß ich dich sofort überführen werde! Was hast du da vergraben?«

»Nichts, das ich wüßte, nichts!«

»Hast du nicht mit zwei Männern gesprochen, welche die beiden Götter in einer Sänfte gebracht haben?«

»Nein.«

»Das ist abermals Lüge, wie ich dir sogleich beweisen werde. Weißt du, mit welcher Strafe der Raub eines Gottes geahndet wird?«

»Ja, mit dem Tode.«

»Dieser Strafe bist du verfallen, und nicht du allein, sondern deine Familie mit dir. Auch die Häupter dieser Straße und deiner Abteilung derselben werden sich zu verantworten haben, weil ihre Wachsamkeit eine so unzureichende war, daß eine solche That hier geschehen konnte. Ich weiß genau, wo du die Götter versteckt hast, und werde jetzt nachgraben lassen.«

»Ihre Erhabenheit mag dies thun; ich will und kann es nicht verhindern. Meine Unschuld wird dann an den Tag kommen.«

Er sagte das im Tone der größten Ueberzeugung. Der Mandarin kannte ihn als einen ehrlichen Mann; er hatte nur schwer an seine Schuld glauben können. Er sah ihm forschend in das Gesicht und sagte dann:

»Dein Ruf ist bisher gut und unbefleckt gewesen; darum möchte ich deinen Versicherungen gern Glauben schenken. Doch wehe dir, wenn wir die Götter bei dir finden! Wing-kan hat alles gesehen. Er weiß, wo du die Heiligen vergraben hast, und wird uns jetzt die Stelle zeigen. Laß die zum Graben nötigen Werkzeuge herbeibringen!«

Sie wurden gebracht und untersucht. Hu-tsin war so vorsichtig gewesen, sie sorgfältig zu reinigen. Es haftete ihnen keine Spur des Schmutzes an, den man an ihnen zu sehen erwartete. Sie waren im Gegenteile so blank und rein, daß der Mandarin kopfschüttelnd sagte:

»Die sind heut nicht im Gebrauch gewesen. Hast du noch andere?«

»Nein.«

»So haben wohl die Diebe ihre eigenen Werkzeuge mitgehabt. Vorwärts, Wing-kan, zeige uns den Ort!«

Der Genannte schritt eiligst voran. Er war vollständig überzeugt, daß sein Anschlag gelingen werde. Bei der betreffenden Stelle angekommen, blieb er stehen, nahm einem der Polizisten die Laterne aus der Hand, ließ das Licht derselben zur Erde fallen und sagte in triumphierendem Tone:

»Hier ist es! Ihre Erhabenheit wird bemerken, daß hier vor ganz kurzer Zeit gegraben worden ist. Man suche nach!«

»Ja, man suche nach!« befahl der Mandarin. »Jetzt wird es sich entscheiden, welchen von euch beiden ich bestrafen zu lassen habe, ihn als Götterdieb oder dich als Verleumder gegen ihn und Lügner gegen die Obrigkeit.«

 

Es wurde ein Halbkreis um die an der Mauer liegende Stelle gebildet, und zwei Polizisten griffen zu Spaten und Schaufel, um die Nachgrabung zu beginnen.

Wing-kan war seiner Sache ganz gewiß, wie man aus seiner zuversichtlichen Miene ersehen konnte; aber auch Hu-tsin zeigte keine Spur von Angst. Aber sehr bald war in dem Gesicht des ersteren eine Veränderung zu bemerken, welche immer größer wurde, je tiefer die Polizisten in die Erde kamen.

Die beiden Figuren waren nur oberflächlich eingescharrt worden. jetzt besaß das Loch bereits eine Tiefe von zwei Ellen, und noch war nichts von ihnen zu sehen. Der Methusalem trat herzu, blickte hinab und sagte dann:

»Hier können die Götter nicht vergraben worden sein. An der Oberfläche war die Erde weich, wie bei jedem Beete; nun aber ist sie hart und fest, was nicht der Fall wäre, wenn man vor kurzem hier gegraben hätte.«

»Das ist richtig,« stimmte der Mandarin bei. »Weißt du ganz gewiß, daß diese Stelle es gewesen ist?«

Diese Frage war an Wing-kan gerichtet. Sein Gesicht hatte alle Farbe verloren, und er stierte mit dem Ausdrucke des Entsetzens in das leere Loch.

»Ja, es war hier,« stieß er hervor.

»Aber du siehst doch, daß die Götter nicht vorhanden sind.«

»So sind sie indessen entfernt worden!«

»Das wird dir niemand glauben. Wer einen Raub in die Erde versteckt, gräbt ihn nicht einige Minuten später schon wieder aus. Vielleicht hast du dich geirrt, und die Stelle ist anderswo.«

»Nein, sie ist hier; ich weiß es ganz gewiß!«

»Dann ist es erwiesen, daß du gelogen hast, um deinen ehrlichen Nachbar zu verderben!«

»Nein, nein! Ich habe die Wahrheit gesagt. Ich habe ganz genau gesehen, daß die Götter hier eingegraben wurden.«

»Lüge nicht! Ich kenne dich! Du bist ein Verleumder. Von Hu-tsin aber weiß jeder Mensch, daß er ein ehrlicher Mann ist!«

»Ja, der bin ich,« bemerkte der Genannte, indem er vortrat. »Ich habe bis jetzt geschwiegen, weil ich es nicht für möglich hielt, daß jemand gar so schlecht sein könne. Nun aber will ich sprechen. Ihre Gnade wird meine Worte anhören!«

»Sprich!« befahl der Mandarin. »Was hast du zu sagen?«

»Ich hatte heute viel gearbeitet und wollte mich, als ich den Laden schloß und es dunkel geworden war, im Garten erholen. Indem ich – — – «

»Du fängst ja ganz genau so an wie er,« unterbrach ihn der Mandarin. »Das sind fast dieselben Worte, welche ich von ihm hörte. Sprich weiter!«

»Indem ich still an meiner Mauer stand und die frische, reine Luft genoß, sah ich trotz der Dunkelheit zwei Männer kommen, welche eine Sänfte trugen.«

»Genau so wie er, ganz genau! Weiter!«

»Sie hielten an der Mauer seines Gartens an,« fuhr Hu-tsin fort, »nahmen zwei schwere Gegenstände aus der Sänfte und warfen dieselben zu ihm herein.«

»Das ist nicht wahr! Das ist Lüge!« rief Wing-kan aus. »Was er erzählt, das ist an seiner eigenen Mauer und in seinem eigenen Garten geschehen!«

»Schweig!« donnerte der Mandarin ihn an. »Ich habe deine Lügen gehört und will nun auch hören, was Hu-tsin zu sagen hat. Du antwortest nur, wenn ich frage! Wir haben hier nichts gefunden, also ist es erwiesen, daß du gelogen hast. Fahre fort, Hu-tsin!«

Der Genannte erzählte weiter:

»Die beiden Männer, deren Gesichter ich nicht erkennen konnte, schafften die Sänfte zur Seite, wo sie jetzt noch stehen wird. Dann kamen sie zurück und stiegen in den Garten des Nachbars, welcher sie wohl erwartet hatte, denn ich hörte seine Stimme; er sprach mit ihnen. Dann vernahm ich das Geräusch einer Hacke oder eines Spatens. Man machte ein Loch; man wollte also etwas vergraben. Ich lauschte lange Zeit, bis das Geräusch verschollen war. Dann hörte ich einen Riegel und eine Thür gehen; Wing-kan kehrte in sein Haus zurück. Ich war überzeugt, daß nun auch die zwei Männer sich entfernen würden. Ich hörte auch, daß sie zur Mauer kamen, um über dieselbe hinauszuspringen. Da aber geschah etwas, was ich noch nie gehört habe und was mich in größten Schreck versetzte.«

»Was?« fragte der Mandarin.

»Es ertönten zwei gewaltige Stimmen miteinander. Ich konnte nicht genau unterscheiden, ob sie aus der Luft oder aus der Erde kamen; aber ich hörte ganz deutlich die Worte: »Halt, zurück, ihr Buben! Ihr habt uns entweiht. Ihr hieltet uns für tote Wesen; wir aber besitzen Leben über Leben und halten euch fest, bis der Rächer kommt, um euch an der Stätte eurer That zu ergreifen!« Darauf hörte ich ein Geräusch, wie wenn jemand mit Gewalt fortgeschleppt und auf der Erde hingeschleift wird; ein kurzes, ängstliches Wimmern folgte, und dann war es still.«

»Zwei Stimmen?« fragte der Mandarin. »So waren also außer den beiden Sänftenmännern noch andere Leute da?«

»Leute? Menschen? O Herr, das waren keine menschlichen Stimmen! Das waren entweder über- oder unterirdische Worte. So können nur Geister oder Götter sprechen. Es war entsetzlich anzuhören!«

Der Mandarin sah nachdenklich zur Erde. Er war jedenfalls überzeugt, daß Götzenbilder nicht sprechen können, aber er durfte das nicht wissen lassen; er mußte sich den Anschein geben, als ob er an solche Wunder glaube. Höchst wahrscheinlich stieg in ihm ein Verdacht gegen Hu-tsin auf, doch sagte er in salbungsvollem Tone.

»Die Ueberirdischen sind voller Macht; was ist die Schwäche der Menschen gegen sie! Was hast du dann weiter noch gesehen oder gehört?«

»Im Garten des Nachbars keinen Laut mehr. Ich stand stumm und entsetzt. Ich wußte nicht, was ich denken sollte. Dann hörte ich den Schall des Gong auf der Gasse und die laute Stimme des Ausrufers. Ich konnte aber die Worte nicht verstehen. Darum kehrte ich in das Haus zurück, um die Meinen zu fragen, was verkündigt worden sei. Ich erfuhr, daß zwei Götter geraubt worden sind und wurde vom Entsetzen gepackt. Sollten es diese sein, welche man zu Wing-kan gebracht und deren Stimme ich gehört hatte? In diesem Falle war ich verpflichtet, schnell Anzeige zu erstatten.«

»Warum hast du das nicht sofort gethan?« fragte der Mandarin.

»Weil ich doch eigentlich nicht genau wußte, was im Garten des Nachbars geschehen war. Ich hatte nicht sehen können, welche Gegenstände über die Mauer geworfen worden waren. Ich konnte also nicht sagen, daß es die Götter gewesen seien. Jedermann weiß, daß Wing-kan mir feindlich gesinnt ist. Meine Anzeige konnte also leicht als Racheakt erscheinen. Ich beriet mich also mit meiner Familie und wollte dann auf die Gasse gehen, um Genaueres zu erfahren. Ich hatte die Absicht, nachzusehen, ob noch Menschen draußen seien. Eben wollte ich öffnen, so wurde geklopft, und als ich die Thür aufmachte, da trat Ihre Hoheit herein und beschuldigte mich, die Götter geraubt zu haben. Wing-kan hat mich dieser That verdächtigt, und nun erst ist es mir gewiß, daß die beiden Gegenstände, welche ihm in den Garten gebracht wurden, die gestohlenen Götter gewesen sind.«

Als er geendet hatte, trat eine kurze Pause ein, welche zuerst von Wing-kan unterbrochen wurde. Dieser rief, obgleich er von dem Mandarin zum Schweigen aufgefordert worden war, in zornigem Tone:

»Welch eine Niederträchtigkeit! Er will die Schuld seiner That auf mich wälzen! Wir alle haben gesehen, daß die Erde hier aufgelockert war, und daß man also vor kurzem hier gegraben hat!«

Dieses Argument war so richtig, daß der Mandarin es unterließ, ihm abermals das Wort zu verbieten.

»Er wird die Götter ausgegraben und an einem anderen Orte versteckt haben,« fuhr Wing-kan fort. »Ihre Hochwürdigkeit wird vielleicht den Befehl erteilen, sorgfältig nachzuforschen und dann bin ich überzeugt, daß der Raub gefunden wird.«

»Ich werde thun, was mir beliebt, nicht aber das, was dir gefällt,« entgegnete der Tong-tschi. »Es wird sich sofort zeigen, wem ich glauben darf, dir oder ihm. Sagtest du nicht, daß die beiden Sänftenträger sich entfernt hätten?«

»Ja.«

»Hu-tsin aber behauptet, daß sie noch hier sind. Man sehe nach, ob die Sänfte zu finden ist!«

Einige Polizisten stiegen über die Gartenmauer, um zu suchen. Nach Verlauf von nur einigen Minuten hatten sie den Palankin gefunden und brachten ihn bis an die Mauer, um ihn da stehen zu lassen, selbst aber wieder in den Garten zurückzusteigen.