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Der blaurote Methusalem

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»Dat was goed; dat was buitengewoon goed! Worden wij hier op den scheepe altijd zoo eten, ook morgen ochtend – das war gut; das war außerordentlich gut! Werden wir auf dem Schiffe stets so essen, auch morgen früh?«

Der Tausendfuß war indessen schnell vorwärts gekommen. Er fuhr jetzt an der Insel vorüber, welche von den Chinesen Lu-tsin und von den in Kanton wohnenden Europäern »das Paradies« genannt wird und in der Mythe des Landes eine bedeutende Rolle spielt.

Während des Essens waren die Kajüten zum Schlafen eingerichtet worden. Die Gäste bedurften der Ruhe. Bald drang das Schnarchen des Mijnheer wie das Aechzen und Stöhnen einer ganzen Schar Sterbender auf das Deck. Nur zwei blieben munter, die beiden Brüder, welche in einer kleinen, separaten Kabine saßen und einander ihre Erlebnisse erzählten.

Am Morgen waren der Methusalem und Richard Stein zuerst munter. Als sie auf das Deck traten, wurden sie von dem Ho-tschang mit großer Ehrfurcht begrüßt. Er führte sie zu einem Tische, auf welchem ihnen der Thee serviert wurde.

Der Tausendfuß hatte während der Nacht den Hauptfluß verlassen und war in den Pe-kiang eingebogen, zu deutsch Nordfluß, weil sein Lauf im allgemeinen fast schnurgerade von Norden nach Süden gerichtet ist.

Noch während des Frühstücks erschien der Steuereinnehmer. Er hatte ursprünglich nach Ing-te und weiter gewollt, erklärte aber, hier aussteigen zu müssen, um nach Se-hoei zu gehen. Der eigentliche Grund aber war jedenfalls der, daß er sich nicht mehr wohl auf dem Schiffe fühlte und nun lieber trachtete, eine andere Reisegelegenheit zu finden. Das Schiff legte seinetwegen an einem kleinen Orte an, wo er sich unter tiefen Verbeugungen empfahl.

Was den Scheu-pi betrifft, welcher der eigentliche Kommandant des Tausendfußes hätte sein sollen, so ließ er sich während der ganzen Fahrt nur dann einmal auf dem Verdecke sehen, wenn keiner von den Passagieren sich auf demselben befand. Es war, als ob er Angst vor ihnen habe, und der Methusalem erfuhr von dem Ho-tschang, daß der Offizier ein Opiumraucher sei und dem zehrenden Gifte seine Gesundheit und alle seine Energie geopfert habe.

Die Reisenden befanden sich am Tage fast stets auf dem Verdecke, um die Scenerie des Flusses zu betrachten, welche anfangs allerdings keine große Abwechslung bot. Das Land war eben, und der Pe-kiang floß zwischen ausgedehnten Reis- und anderen Feldern dahin, welche durch zahlreiche Kanäle bewässert wurden. Hie und da sah man die Hütten eines Dorfes am Ufer liegen oder man erblickte die Pagode einer fernen Ortschaft. Das war die einzige Abwechslung.

Erst später, als der Fluß die Sohle eines Thales füllte, an dessen Seiten sich Berge erhoben, bot die Gegend mehr Interesse. Man sah ganze Oerter und einzelne Häuschen an den Berglehnen liegen, welche sehr gut angebaut waren, da der Chinese es versteht, jedes Stück fruchtbaren Landes möglichst auszunutzen. Man hätte sich an die Elbe oder an den Rhein versetzt denken können. Nur die Schlösser und Burgruinen, auch die Weinpflanzungen fehlten.

Die Passagiere vermochten nicht zu begreifen, wie die Ruderer bei ihrer schweren Arbeit auszuhalten vermochten. Diese Leute waren bei ihrer schmalen Reiskost fast ohne Unterbrechung Tag und Nacht thätig. Nur in Ing-te gab es einen halbtägigen Aufenthalt, den die Reisenden dazu benützten, sich in der Stadt umzusehen. Sie kehrten aber sehr bald wieder nach dem Schiffe zurück, da die Belästigung durch die Bewohner eine ganz ungewöhnliche war. Man hatte hier noch niemals fremd gekleidete Leute gesehen und kaum waren die Passagiere an das Land gestiegen, so sahen sie sich von einer Menschenmenge umgeben, welche sich von Minute zu Minute in der Weise vergrößerte, daß schließlich anzunehmen war, es sei im ganzen Orte kein Mensch daheim geblieben.

Diese Leute verhielten sich nicht etwa feindselig, o nein; die Fremden wurden von ihnen mit außerordentlicher Hochachtung behandelt. Alle Köpfe und Rücken beugten sich vor ihnen; aber das Gedränge wurde schließlich so arg, daß an ein Fortkommen gar nicht zu denken war; man blieb geradezu stecken und die Rückkehr konnte nur Schritt um Schritt in höchster Langsamkeit bewerkstelligt werden.

Am fünften Tage gegen Abend wurde Schao-tscheu, eine Stadt zweiten Ranges, erreicht, welche am Südfuße des Nan-ling-Gebirges liegt, da, wo dasselbe in den Ta-yü-ling übergeht. Von da aus war der Fluß für den Tausendfuß nicht mehr schiffbar, und es mußte also von der Dschunke Abstand genommen werden.

Die Behandlung war eine sehr ehrfurchtsvolle und die Beköstigung eine ausgezeichnete gewesen. Die Reisenden wollten darum dankbar sein und boten dem Ho-tschang ein entsprechendes Geldgeschenk an. Er wies es aber zurück, indem er sich auf den strengen Befehl des Ho-po-so, kein Geschenk anzunehmen, berief. Er versicherte, daß dieser ihn bereits im voraus reichlich belohnt habe, und so verteilte der Methusalem die Summe unter die Matrosen, Soldaten und Ruderer. Obgleich jeder nach unseren Begriffen nur eine Kleinigkeit erhielt, waren diese anspruchslosen Leute über dieses unerwartete Kom-tscha so erfreut, daß sie sich an den Spender drängten, um ihm den Saum seines Studentenrockes zu küssen.

Der Methusalem erkundigte sich nach dem höchsten Beamten der Stadt. Dieser war ein Mandarin der fünften Klasse, in welche die Bürgermeister der Städte zweiten Ranges, die kaiserlichen Leibärzte, kaiserlichen Astronomen und alle Beamten gehören, welche zum Tragen der kristallenen Kugel auf der Mütze berechtigt sind. Er wollte sich direkt zu diesem tragen lassen und mietete zu diesem Zwecke die nötige Anzahl von Sänften.

Die Stadt war ein kleines Abbild von Kanton, nur daß der Fluß hier kleiner und die Umgegend eine bergige war. Es gab da ganz dieselbe Straßeneinrichtung, dieselben Häuser und Läden und – dieselbe neugierige Bevölkerung.

Die Träger hielten vor einem palastähnlichen Gebäude, doch stiegen die Reisenden nicht aus. Da der Methusalem sich in dem Besitze eines besonderen kaiserlichen Kuan befand, so wäre es gegen seine Würde gewesen, den Mandarin aufzusuchen. Liang-ssi wurde beordert, sich zu demselben zu begeben, um ihm die Ankunft so hoher Gäste zu melden. Er nahm den Kuan mit, um ihn dem Beamten vorzuzeigen.

Glücklicherweise befand sich derselbe zu Hause. Er kam herbeigeeilt, um die Angemeldeten mit unterwürfiger Höflichkeit zu begrüßen und ihnen sich und sein Haus zur Verfügung zu stellen.

Wie aber erstaunte er, als sie aus den Palankins stiegen! Ein so wie der Methusalem gekleideter Mensch schien ihm ein wahres Weltwunder zu sein. Er zog die Brauen so hoch, daß sie unter dem Rande seiner Mütze völlig verschwanden, und seine Züge kamen in eine geradezu unbeschreibliche Bewegung. Man sah es ihm an, daß er vor Erstaunen laut aufgeschrieen hätte, wenn dies mit der gebotenen Hochachtung vereinbar gewesen wäre.

Ebenso erging es den zahlreichen Bediensteten, welche mit ihm erschienen waren, jetzt hinter ihm standen und, die Köpfe tief zur Erde geneigt, sich leise Bemerkungen zuflüsterten.

»Na,« meinte der Gottfried in deutscher Sprache, »die sind mal janz paff über uns. Soll ich vielleicht die Pipe anbrennen, jeehrtester Methusalem? Jestopft ist sie schon.«

»Ja, brenne sie an,« antwortete der Gefragte. »Es ist zwar gegen die hiesige Sitte, aber gerade das dürfte die Hochachtung vergrößern, welche wir uns wünschen müssen.«

Der Gottfried machte Feuer, und der Methusalem nahm die Schlauchspitze in den Mund und sog aus Leibeskräften. Dann erst, als die Pfeife sich in »Schuß« befand, antwortete er in würdevoller Weise auf die Bewillkommnungsrede des Mandarinen.

Dieser verbeugte sich noch tiefer und lud die erlauchten Herrschaften ein, sich in das Haus zu bemühen. Der Neufundländer verstand die Armbewegung des Beamten sofort und wendete sich dem Thore zu, um langsamen Schrittes und in selbstbewußter Haltung voran zu schreiten. Hinter ihm kam der Methusalem, gefolgt von seinem Gottfried, welcher wie gewöhnlich die Pfeife und die Oboe trug. Beide verschmähten es, einen Blick auf die Bediensteten zu werfen, unter denen sich mehrere Mandarinen niederen Grades befanden. Turnerstick entfaltete seinen Fächer und der Mijnheer seinen Regenschirm; dann reichten sie sich die Hände und schritten, gefolgt von den beiden Brüdern, hinter Richard Stein her, welcher sich auch ein Ansehen gab, als ob er direkt aus der kaiserlichen Residenz Pe-king komme. Die Gewehre und anderen Effekten wurden nicht berührt, da diese Gegenstände von der Dienerschaft nachgebracht werden mußten.

Ein solches Verhalten war hier so ungewöhnlich oder vielmehr so einzig, daß der Mandarin gar nicht wußte, wie er sich dazu verhalten sollte. Hinter den Gästen herzuschreiten, das verbot ihm seine Würde. Vor ihnen, also vor dem Hunde herzugehen und dessen Führer zu sein, das vertrug sich ebensowenig mit seiner hohen Stellung. Daher versuchte er, hinter dem Tiere und vor dem Methusalem Platz zu finden. Da aber hielt der Neufundländer an, richtete sich auf und fletschte knurrend die Zähne. Der Mandarin erschrak und wich zurück, um nun doch hinter seinen Gästen herzugehen. Er schüttelte den Kopf und suchte voller Angst in seinem Gedächtnisse nach, ob in der chinesischen Litteratur der Sitten und Gebräuche ein Paragraph zu finden sei, welcher davon handle, wie man sich gegen eine Dschi-ngan, zu deutsch Hunde-Exzellenz zu verhalten habe.

Es ging durch einen breiten Flur und dann eine ebenso breite Treppe hinan. Da der Hund nicht wußte, ob er sich nach rechts oder nach links zu wenden habe, so blieb er stehen, und die Herren mit ihm. So erhielt der Mandarin Raum, vorzutreten und nach links zu zeigen, wo ein Diener soeben eine Thür öffnete und sich dann hinter derselben zur Erde warf.

Der Neufundländer verstand den Mandarinen abermals. Er wandte sich nach der angegebenen Richtung, schritt durch die Thür in das große Zimmer, welches als Empfangssaal zu dienen schien, sah sich dort kurz um und legte sich dann lang auf ein sophaähnliches Polstermöbel, welches mit gelber Seide überzogen war. Wäre das daheim geschehen, so würde er jedenfalls mit einigen Hieben bedacht worden sein. Hier aber that Degenfeld gar nicht, als ob er es bemerke. Er schritt vielmehr auf ein ähnliches Polster zu, deren mehrere rundum standen, und ließ sich gravitätisch auf dasselbe nieder, während der Gottfried sich als getreuer Schildknappe und Pfeifenträger hinter ihm aufstellte.

 

Die andern suchten sich ähnliche Plätze, so daß der Mandarin der einzige war, welcher stehen blieb. Er machte ein so verblüfftes Gesicht, daß seine Gäste Mühe hatten, ernst zu bleiben. Doch überwand er seine Verlegenheit leidlich gut und fragte dann, was zu den Befehlen der erleuchteten Herrschaften stehe.

Degenfeld that einen tüchtigen Zug aus der Pfeife und antwortete dann:

»Wir wollen über die Grenze nach der Provinz Hu-nan gehen und werden, bis wir die dazu nötigen Vorbereitungen getroffen haben, hier bei Ihnen wohnen. Hoffentlich kann ich dann später melden, daß wir Ihnen willkommen gewesen sind!«

Höchst wahrscheinlich war das Gegenteil der Fall, doch antwortete der Beamte in verbindlichstem Tone und unter einer tiefen Verbeugung:

»Meine Unwürdigkeit hat bereits gesagt, daß ich den gebietenden Herren mich und mein ganzes Haus zur Verfügung stelle. Jeder ihrer Befehle wird so schnell ausgeführt werden, als ob er über meine eigenen Lippen gegangen sei.«

»Das erwarte ich allerdings. Sie werden aus meinem Kuan ersehen haben, daß ich hier fremd bin, und mir nur die beste Auskunft erteilen. Auf welche Weise können Männer unseres Ranges nach Hu-nan reisen?«

»So hohe Herren haben die Wahl zwischen Pferden oder Palankins. Ich werde alles Nötige zur Verfügung stellen, gute Führer mitgeben und auch einem tapfern Tsing-wei gebieten, die ehrwürdigen Gönner zu begleiten und zu beschützen, bis sie sich jenseits der Grenze befinden und dort eine andere Bedeckung erhalten.«

»Eine solche militärische Begleitung entspricht allerdings unserem Range, doch möchte ich wissen, ob sie auch, von demselben abgesehen, nötig ist.«

»Wohl nicht. Aber ich habe gestern die Meldung erhalten, daß von Kwéi-tschou die Kuei-tse nach Hu-nan gekommen sind. Obgleich ich nicht glaube, daß sie sich bis an die Grenze unserer Provinz wagen, halte ich es doch für jeden, der nach Hu-nan gehen will, für besser, sich mit Waffen zu versehen.«

»Ich fürchte diese Kuei-tse nicht, doch mögen Ihre Soldaten uns begleiten. Welche Zeit brauchen Sie, uns gute Pferde zur Verfügung zu stellen?«

»Das kann sofort geschehen, wenn die ahnenreichen Herren heute noch aufbrechen wollen. Auch für Proviant und alles andere werde ich augenblicklich sorgen.«

Er sagte das mit einer Hast, aus welcher zu ersehen war, wie außerordentlich gern er den baldigen Abzug der Gäste gesehen hätte. Doch Degenfeld meinte:

»Solche Eile ist nicht nötig. Heute reisen wir nicht ab, doch morgen würde ich gern aufbrechen, wenn bis dahin alles beschafft werden kann.«

»Das soll es sein, hoher Herr. Ich werde den edlen Gebietern schon früh die nötigen Reit- und auch Lastpferde vorführen lassen. Und schon heute soll alles andere Nötige angeschafft werden. Wünschen die Inhaber der langen Stammbäume zusammen zu speisen, oder soll das Essen jedem einzelnen Abkömmling vorgelegt werden?«

»Wir bleiben in unserer Gesellschaft, bis wir uns zur Ruhe legen.«

»So werde ich den Wohlwollenden jetzt ihre Zimmer anweisen lassen. Dann können sie sich im Speisesaale versammeln. Nur muß ich fragen, welche Gerichte ich bereiten lassen soll.«

»Das stelle ich ganz in Ihr Belieben. Doch bitte ich, ein Verzeichnis der Speisen, welche wir erhalten, anfertigen zu lassen, auf daß ich es später vorlegen und damit beweisen kann, daß der Kuan des Himmelssohnes hier in Schao-tscheu geachtet wurde.«

Dies war ein diplomatischer Kniff des Studenten. Er erreichte damit jedenfalls ein sehr gutes Abendessen. Der Mandarin verbeugte sich zustimmend, wendete sich dann gegen das Sofa, auf welchem der Hund lag, verneigte sich auch in dieser Richtung und fragte:

»Soll ich der zwei Paar Füße habenden Excellenz auch ein besonderes Zimmer anweisen lassen?«

»Nein,« antwortete der Methusalem ernst, obgleich er lieber laut aufgelacht hätte. »Diese Excellenz ist mein Freund und wird bei mir wohnen und schlafen.«

»Aber welche Gerichte wird sie zu speisen belieben?«

»Sie wird mit an unserm Tische essen.«

»Vielleicht ist die Seele eines berühmten Ahnen in sie gefahren, denn sie hat eine Größe, wie ich ihresgleichen noch nie gesehen habe. Wahrscheinlich muß man der Excellenz ungewöhnliche Achtung erweisen?«

»Sie ist allerdings an ganz besondere Aufmerksamkeit gewöhnt und vermerkt es sehr übel, wenn man es an derselben mangeln läßt.«

»Sie soll mit mir zufrieden sein, denn ich werde für ihre Bequemlichkeit die größte Sorge tragen.«

Er entfernte sich rückwärts gehend bis zur Thür und verschwand dann durch dieselbe, nachdem er sich vor jedem einzelnen und auch vor dem Hunde verneigt hatte. Nach einigen Augenblicken traten so viele Diener ein, als Personen vorhanden waren; jeder derselben hatte den Auftrag, einem der Gäste sein Zimmer anzuweisen.

Der Methusalem wurde in eine wirklich prächtig eingerichtete Stube geführt, welche wohl nur für sehr vornehme Gäste eingerichtet war. Es befand sich nur ein Bett in derselben, aber bald brachten zwei dienstbare Geister noch ein zweites hereingetragen, in welchem wohl noch kein gewöhnlicher Mann geschlafen hatte. Auf Befragen, für wen dasselbe bestimmt sei, erklärte der eine:

»Der mit dem Schweife wedelnde Urahne soll in demselben schlafen, damit er sich nicht über den Herrn des Hauses zu beklagen habe.«

Die guten Leute waren außerordentlich bemüht, die beleidigenden Worte Dschi und Kiuen, welche Hund bedeuten, zu umschreiben, um dem Besitzer der zwei Paar Beine und des Schweifes ihre Achtung zu erweisen. Degenfeld nahm dies als ganz selbstverständlich hin. Ihm machte es ja keinen Schaden, wenn sein Liebling einmal Gelegenheit fand, in einem guten chinesischen Bette zu schlafen.

Als man ihm dann sein Gewehr brachte, wurde ihm gesagt, wo der Speisesaal zu finden sei. Er hatte bemerkt, daß man ihm und seinen Gefährten eine Reihe nebeneinander liegender Zimmer angewiesen habe. Er ging, um sie aufzusuchen, und fand sie bei dem Kapitän versammelt. Sie hatten es vorgezogen, beisammen zu sein. Jeder von ihnen hatte eine brennende Pfeife im Munde, und auf dem Tische stand eine große Porzellanschale, welche Tabak enthielt. Auf die Frage Methusalems erklärte Turnerstick:

»Meinen Sie etwa, daß Sie hier allein rauchen können? Wir sind gesonnen, uns ganz dasselbe Relief zu geben. Leider wurde ich nicht verstanden, als ich von der dienenden Kreatur Tabak verlangte. Man scheint hier ein schauderhaftes Chinesisch zu sprechen; aber Liang-ssi hat ihr endlich doch zum Verständnisse gebracht, was wir wollten. Wie gefällt es Ihnen in diesem Hause?«

»Ganz gut, obgleich wir nicht sehr willkommen sind, was ich dem Mandarinen allerdings nicht verdenken kann.«

»Pah! Wir zehren hier auf des Kaisers Unkosten, was mir freilich noch nicht passiert ist. Am meisten freue ich mich auf morgen. Ich kann Ihnen sagen, daß ich ein leidenschaftlicher Reiter bin. Darum war ich ganz entzückt, als Sie Pferde bestellten. Auch die andern können reiten; nur unser Mijnheer scheint nicht damit einverstanden zu sein.«

»Warum nicht, Mijnheer van Aardappelenbosch?«

Der Dicke faltete die Hände über dem Bauche, warf einen um Erbarmung flehenden Blick gen Himmel und antwortete:

»In gevalle dat ik ruiten moet, zoo sterf ik op het oogenblik – wenn ich reiten muß, so sterbe ich augenblicklich.«

»Warum denn?«

»Omdat ik niet ruiten kann – weil ich nicht reiten kann.«

»Pah! Sie lernen es!«

»Ik? Mijn God een Herr! Ik ben een oongelukkige nijlpaard – ich? Mein Gott und Herr! Ich bin ein unglückliches Nilpferd!«

»Unsinn! Man setzt sich in den Sattel, steckt die Füße in den Bügel und läßt das Pferd laufen.«

»O wee! Indien ik het paard loopen laat, zoo leg ik straks onden op der moeder aarde – o weh! Wenn ich das Pferd laufen lasse, so liege ich sofort unten auf der Mutter Erde!«

»Sie müssen es wenigstens versuchen.«

»Neen! Ik dank zeer! Ik wil niet onden zitten – Nein! Ich danke sehr! Ich will nicht unten sitzen!«

»Ich sage Ihnen aber, daß die hiesigen Pferde keine arabischen Renner sind!«

»En gesteld dat zij nijlpaarden zijn, ik kan niet ruiten, en ik wil niet ruiten, noch te voet noch te paard – und wenn sie Nilpferde sind, ich kann nicht reiten, und ich will nicht reiten, weder zu Fuße noch zu Pferde!«

Dabei blieb er. Als auch die andern in ihn drangen, wenigstens einen Versuch zu machen, rief er ganz erbost aus:

»Houdt den mond! Geen mensch brengt mij op een paard! Ik wil niet mijne armen, mijne beenen en mijn nek breken. Ik ben Mijnheer Willem van Aardappelenbosch en ruit van ambtswege op geenen paard, op geenen appe, op geenen olifant en ook op geenen ooievaar; ik ruit op geenen dier, uitgenomen op mijne muilen of op mijne laarzen – haltet den Mund! Kein Mensch bringt mich auf ein Pferd! Ich will nicht meine Arme, meine Beine und mein Genick brechen. Ich bin Mijnheer Willem van Aardappelenbosch und reite von Amts wegen auf keinem Pferde, auf keinem Affen, auf keinem Elefanten und auch auf keinem Storche; ich reite auf keinem Tiere, ausgenommen auf meinen Pantoffeln und auf meinen Stiefeln!«

Er warf bei dieser Versicherung die Arme so energisch um sich herum, daß man erkennen mußte, es sei ihm heiliger Ernst mit seinen Worten. Dabei standen dicke Schweißtropfen auf seiner Stirn, hervorgebracht von dem bloßen Gedanken, daß er reiten solle.

»Nun gut, so müssen Sie sich tragen lassen,« sagte Degenfeld.

»Ja,« nickte der Dicke befriedigt. »Ik neem twee Kulis, welke mij dragen moeten – ja, ich nehme zwei Kulis, welche mich tragen müssen.«

»Davon werden Sie absehen, da diese Träger auf die Dauer mit den Pferden nicht gleichen Schritt halten könnten. Wir müssen zu Ihrem Tragsessel zwei Pferde nehmen.«

»Hoe zal dat gemakt worden – wie soll das gemacht werden?«

»Ein Pferd geht hinten und das andere vorn, und die Tragstangen der Sänfte werden hüben und drüben an den Sätteln festgeschnallt.«

»Zoo kom ik betwixt de twee paarden? – so komme ich zwischen die zwei Pferde?«

»Ja.«

»Ik dank zeer! Dat vooran slat achten, en dat achten bijt voorn. Ik laat mij noch slaan noch bijten – ich danke sehr! Das voran schlägt nach hinten aus, und das hinten beißt vorn. Ich lasse mich weder schlagen noch beißen!«

»Aber Sie sitzen doch im Tragsessel, und kein Pferd kann Ihnen etwas thun!«

»Zoo! Ik zit in den Dragstoel? Dat is goed; da maak ik met – so? Ich sitze in dem Tragstuhle? Da mache ich mit!«

Da er nun überzeugt, daß weder das eine Pferd ihn schlagen, noch das andere ihn beißen konnte, so war er zufriedengestellt. Er war eben allezeit auf das Heil seines umfangreichen Körpers bedacht.

Noch waren alle beisammen, als ein Diener hereintrat und jedem einen Zettel überreichte, welcher eine halbe Elle breit und zwei Ellen lang war und eine Einladung zum Abendessen enthielt. Diese Zettel waren dann als Servietten oder Mundtücher zu benutzen.

Als sie dann den Speisesaal betraten, wurden sie von dem Mandarin empfangen, welcher sich in großer Gala befand. Er wies einem jeden seinen Platz an. Für die sieben Gäste waren acht Stühle vorhanden. Auf dem achten nahm nicht etwa der Hausherr Platz, sondern dieser letztere postierte sich an die eine Wand des Saales, um die Diener zu dirigieren, von denen jeder Gast seinen besonderen bekam.

Als sich alle gesetzt hatten, deutete der Mandarin auf den Hund und sagte:

»Soll der Urahne sich nicht auch setzen? Es ist ja ein Stuhl für ihn vorhanden.«

Degenfeld bemühte sich, ernst zu bleiben. Er gab dem Neufundländer einen Wink und dieser sprang sofort auf den leeren Stuhl und beschaute die schriftliche Einladung, welche sein Diener vor ihn hinlegte. Das sah so drollig aus, daß Turnerstick lachen wollte, was ihm aber von dem Methusalem mit einigen Worten verwiesen wurde.

Nun wurde der erste Gang aufgetragen, welcher aus einer delikaten Fischsuppe bestand. Der Hund beroch seinen Teller. Die beigefügten Gewürze waren seinem Instinkte, seiner Natur zuwider; darum wendete er sich ab; aber auf einen Wink und ein beigefügtes Wort seines Herrn überwand er sich und leckte gehorsam den Teller leer.

Ganz dasselbe geschah bei den übrigen Gängen. Der Neufundländer war wohlgezogen und hatte früher schon manches genießen müssen, was andere Hunde versagt hätten. Wenn ihm eine Speise nicht behagte, so sah er seinen Herrn an, und sobald dieser den Finger hob, fraß er sie auf.

 

In dieser Weise machte das Tier das ganze Nachtmahl mit durch und wurde dabei mit einem Eifer und einer Ehrerbietung bedient, als ob es den Rang eines hohen Mandarinen bekleide. Ob der Hausherr dieses Arrangement aus Ironie getroffen hatte, das war dem Methusalem sehr gleichgültig. Es wurde alles in ernster Würde verzehrt, ohne daß dabei jemand ein Wort der Unterhaltung hören ließ, und der Hund zeigte diese Würde in nicht geringerem Grade als seine menschlichen Mitgäste.

Am Schlusse des Mahles überreichte der Mandarin dem Methusalem das gewünschte Verzeichnis der Speisen und fragte dabei, ob er sich der Zufriedenheit seiner hohen Gäste erfreuen dürfe. Er erhielt eine bejahende Antwort, und das mit vollem Rechte. Dann bat er um die Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen, da er zu gering sei, mit seiner Anwesenheit die Erleuchteten belästigen zu dürfen. Es wurde ihm in gnädigen Worten erlaubt. Natürlich war er froh, von dem Zwange befreit zu sein, welchem er bei ihnen unterworfen war.

Nun gab es noch eine Art Wein, aus gegorenem Reis bereitet, welcher heiß präsentiert wurde. Es war kein wohlschmeckendes, sondern ein sehr fades Getränk, welchem die Gäste dadurch zu entgehen suchten, daß sie baldigst aufbrachen, um sich zur Ruhe zu begeben.

Daß der Mijnheer sich mit dem Essen sehr zufrieden zeigte, verstand sich ganz von selbst. Bald schnarchte er ebenso laut wie auf dem Tausendfuße.

Der Neufundländer hatte noch nie ein solches Lager gehabt wie heute. Er blickte seinen Herrn ganz verwundert an, als dieser ihn in das Bett kommandierte, säumte aber gar nicht, diesem Befehle Gehorsam zu leisten.

»Ja,« sagte der Gottfried, welcher dabei stand, »heut jeht‘s hoch her bei dich, denn du bist ein urahniger Jebieter mit vier Füße und einem Schweife. Aberst komm nur wieder nach Hause! Da schläfst du wie vorher bei mich auf dem Strohdeckel, und wenn du etwa von China träumst, so jibt es Hetzpeitsche ohne Schmorkartoffel. Jehab dir wohl, und verschlafe dir nicht, denn morjen fliegen wir zeitig aus dem Nest! Jute Nacht auch Sie, oller Methusalem! Ich habe noch die Pipe zu reinigen, damit wir morjen hier in Schao-tscheu keinen stänkerigen Eindruck machen.«

Er löschte die an der Decke hängende Laterne aus und ging. Noch war es zeitig am Morgen, als er wieder kam, um seinen Herrn zu wecken. Er meldete, daß sich unten im Hofe wohl ein Dutzend Pferde befänden, welche der Mandarin für seine Gäste requiriert habe, um dieselben sobald als möglich abreisen zu sehen.

Im Speisesaale wurde der Thee getrunken, und dann erschien der Hausherr, um die »Herren mit den langen Stammbäumen« zu ersuchen, sich in den Hof zu bemühen. Degenfeld zählte dort fünfzehn Pferde. Sechs waren zum Reiten und zwei zum Tragen des Palankin für den Mijnheer bestimmt. Den übrigen waren Packsättel aufgeschnallt.

Degenfeld untersuchte die Reitpferde. Es waren kleine, häßliche Tiere, die sich aber später als sehr munter und ausdauernd bewiesen. Das Zaumzeug war leidlich, doch zeigten die Sättel eine unbequeme Gestalt, und die Bügel waren schwer und unbeholfen. Dem konnte aber nicht abgeholfen werden.

Der Methusalem bestieg eins der Tiere, um es zu probieren. Von einem Durchreiten der Schule konnte keine Rede sein, weil es eben keine Schule besaß, doch gehorchte es ziemlich willig dem Zügel und dem Schenkeldrucke.

»Nun, wollen Sie nicht auch einmal probieren?« fragte Turnerstick den Dicken.

»Ik?« antwortete dieser, indem er alle zehn Finger abwehrend ausspreizte. »Ik niet, waarachtig niet – ich nicht, wahrhaftig nicht!«

Er kehrte, um ganz sicher zu sein, daß ein solches Ansinnen nicht wieder an ihn gestellt werden könne, schleunigst nach seinem Zimmer zurück.

Alles, was mitgenommen werden sollte, war schon verpackt. Das waren Speisen, einige Flaschen Raki und sodann vorzugsweise eine bedeutende Anzahl von Decken aus den verschiedensten Stoffen, mit deren Hilfe die Reisenden es sich in den Einkehrhäusern möglichst bequem machen sollten.

Dann führte der Mandarin seine Gäste vor das Haus, wo der Oberlieutenant mit zwanzig berittenen Soldaten hielt. Er trug auf der Brust einen Tuchfleck, welcher die Gestalt des Kriegstigers zeigte, hatte aber gar nicht etwa ein tigerartiges Aussehen. Von kleiner, dürftiger Gestalt, saß er auf einem ebenso dürftigen Rößlein, welches Lockenhaare wie ein Pudel hatte. Desto gewaltiger war der Sarras, welcher ihm von der Seite hing. Rechts und links blickten ihm zwei riesige Pistolen aus den Taschen, von denen aber zu vermuten war, daß sie die löbliche Eigenschaft besaßen, gerade dann nicht loszugehen, wenn geschossen werden sollte.

Ein ebenso unritterliches Aussehen hatten seine Kavalleristen. Sie waren verschieden gekleidet, und verschieden bewaffnet. Der eine hielt einen langen Spieß und der andere ein Gewehr in der Hand, dessen Lauf wie ein Korkzieher gewunden war. Der dritte hatte eine Mordwaffe, von welcher man nicht wußte, ob sie eine Armbrust oder eine Mausefalle sein solle. Der vierte trug eine Keule, aus welcher verrostete Nagelspitzen naiv schauten. Der fünfte hatte einen Bogen ohne Pfeile und der sechste einen Köcher, zu welchem aber der Bogen fehlte. In ähnlicher Weise waren auch die anderen armiert. Das Kriegerischeste an ihnen waren die martialischen Gesichter, welche sie schnitten und die Schrift, welche sie alle auf dem Rücken trugen. Dort stand nämlich geschrieben »Ping«, das ist »Soldat«.

»Alle Ober- und Unterjötter! Wat sind das für Leute?« fragte der Gottfried.

»Soldaten, Kavalleristen,« antwortete der Methusalem.

»Und die sollen mit uns?«

»Jawohl.«

»Weshalb denn?«

»Um uns zu beschützen.«

»Dat glaube ich nicht.«

»Weshalb denn sonst?«

»Wenn ich sie mich so betrachte, so scheint es mich, dat sie mit uns wollen, damit nicht sie uns, sondern wir ihnen beschützen sollen. Nicht?«

»Das letztere ist freilich wahrscheinlicher als das erstere.«

»Und wat bedeutet die baumwollene Schrift auf ihren Hinterfronten?«

»Soldat.«

»Ah, siehst du, wie du bist! Wat die Chinesigen doch für pfiffige Jungens sind!«

»Inwiefern?«

»Nun, dat ist doch leicht zu erkennen. Diese Soldaten brauchen nicht zu fechten und zu kämpfen. Es ist jar nicht nötig, dat sie ihr edles Leben wagen. Sie brauchen nur auszureißen und dem Feinde den Rücken zuzukehren. Dann liest er dat schreckliche Wort ‚Soldat‘ und wendet vor Angst auch um und jeht von dannen. So wird durch eine alljemeine Flucht der glänzendste Sieg jewonnen. Ich werde diese Erfindung mit nach Hause nehmen und sie in einem einjeschriebenen Brief an Moltke senden. Vielleicht blüht mich dafür der schwarze Adler erster Jüte mit Brillanten.«

»Ja, diese Leute werden uns mehr schaden als nützen; aber wir müssen sie mitnehmen. Unser Rang erfordert es.«

»Na, wat würde man in Berlin oder so da in Deutschland herum von unserm Range denken, wenn wir in solcher Jesellschaft anjelangt kämen!«

»Vielleicht würden wir als vagierende Zigeuner per Schub über die Grenze gebracht.«

»Und zwar, ohne dat man sich erst vorher die Mühe jäbe, uns nach unserem Impfschein zu fragen. O China, wie habe ich mich in dich jetäuscht! Wie hast du mir in meine Bejeisterung betrogen! Deine Köche will ich loben, aber deine Soldaten kannst du nur jetrost wieder in die Schachtel thun!«

Ganz entgegen diesem Urteile fragte der Mandarin in selbstbewußtem Tone Degenfeld:

»Hat der erleuchtete Gebieter in seinem Lande auch so tapfere Krieger?«

»Sind diese Leute denn tapfer?« fragte der Student.

»Ueber alle Maßen. Sie fürchten selbst den Tiger, das einhörnige Rhinoceros und den wild gewordenen Elefanten nicht.«