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Der blaurote Methusalem

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Aber dazu kam es gar nicht, denn der Gottfried sagte, als er die Sänften erblickte:

»Ich habe keine Lust, mir auf den Händen tragen zu lassen. Es jiebt ja keine Reise um die Welt, sondern es jeht nur hübsch von Haus zu Haus. Ich sehe jar nicht ein, warum wir auf unsern jewöhnlichen Festeinzug verzichten sollen. Jehen wir also nicht mit die Beine anderer Leute, sondern mit unseren eigenen! Nicht?«

»Mir ist es sehr recht,« antwortete der Blaurote.

»Soll ich die Pipe anzünden?«

»Ja.«

»Schön! Dat wird mehr Eindruck machen als dat ‚Laufen in die Sänfte‘, wie wir es in Hongkong von einem jewissen jemand jesehen haben.«

»Schweigen Sie!« gebot ihm Turnerstick. »Konnte ich denn dafür, daß der Fußboden unter mir flöten ging?«

»Nein. Aber dafür konnten Sie, dat jerade Sie sich in die Weltjejend befanden, wo die Sänfte flötete. Ich habe allen Respekt vor solchen Kastens. Also jehen wir lieber, als dat wir in den Palankins jegangen werden!«

Das geschah. Der kleine Zug setzte sich vor dem Hause in der schon oft erwähnten Weise und Reihenfolge in Bewegung, was auf die draußen Versammelten einen außerordentlichen Eindruck machte. Sie hatten die Mäuler ebensoweit offen wie die Schlitzaugen und wagten kein lautes Wort zu sprechen. Schweigend und in ehrfurchtsvoller Weise folgten sie den Fremden, um, als dieselben in das Häuschen des Mohammedaners getreten waren, sich vor demselben aufzustellen.

Das kleine Gebäude enthielt ein sehr sauber sich präsentierendes Vordergemach und einen kleineren Hinterraum, welcher zugleich Frauenstube und Küche zu sein schien. Von den weiblichen Bewohnern zeigte sich keine. Dies ist überhaupt chinesische Sitte, an welcher hier um so mehr festgehalten wurde, als der Besitzer des Hauses zum Islam übergetreten war.

Trotz dieses letzteren Umstandes zeigte der Hoei-hoei von den Gebräuchen, welche den Mohammedanern für die Mahlzeiten vorgeschrieben sind, nicht die geringste Spur. Es geschah alles in chinesischer Weise. Er nahm nicht mit an dem Tische Platz, sondern blieb stehen, um seine Gäste zu bedienen.

Es gab das Mahl eines armen Mannes, welcher einmal, wenn er einen Reichen bei sich bewirtet, einen tieferen Griff in seinen Beutel machen muß. Eine große Auswahl hatte das kleine Dorf nicht bieten können, und da die Zeit zur Zubereitung warmer Gerichte zu kurz gewesen war, so waren nur kalte Speisen aufgetragen worden.

Eine lebhafte Unterhaltung würzte das frugale Mahl. Der Wirt sah, daß seine Gäste mit ihm zufrieden seien, und war darüber so entzückt, daß er sich entschloß, den Beutel vollends für sie zu leeren. Er sagte:

»Gern hätte ich die hohen Herren besser bewirtet, aber es war mir nur eine sehr kurze Frist zur Vorbereitung gewährt. Doch wenn die hoch Willkommenen mein Haus heute abend abermals beehren wollen, so werden sie ein Mahl finden, welches ihrer würdiger ist.«

»Ja, wir werden kommen,« antwortete der Methusalem. »Aber ich stelle dabei eine Bedingung, welche Sie zu erfüllen haben.«

»Welche ist es?«

»Daß Sie alles aufbieten, dieses Mahl zu einem wirklichen Fest- und Freudenmahle zu machen.«

Da wurde dem guten Manne angst. Er blickte verlegen vor sich nieder und sagte dann:

»Herr, Sie wissen, daß ich arm bin, und ich weiß nicht, welche Ansprüche in Ihrem Lande an ein solches Festmahl gemacht werden. «

»Unsere Ansprüche werden befriedigt werden, trotzdem Sie arm sind. Wir werden mit dem Wirte des Einkehrhauses sprechen. Er soll alles, was wir essen und trinken werden, bei sich bereiten und zu Ihnen senden. Nur unter dieser Bedingung nehmen wir Ihre Einladung an.«

Man sah dem Hoei-hoei an, daß ihm ein Stein vom Herzen fiel. Er stimmte schleunigst zu. Noch größer aber als diese gehabte Verlegenheit war diejenige, welche ihm nach dem Essen von dem Methusalem bereitet wurde, denn dieser sagte:

» Wir sehen, daß wir Ihnen wirklich willkommen gewesen sind, und sagen Ihnen herzlichen Dank dafür. Bei solchen Gelegenheiten schreibt uns die Sitte unserer Heimat eine Höflichkeit vor, welche wir auch hier befolgen möchten, wenn Sie uns das erlauben.«

»Erlauben? O Herr, Sie haben doch nur zu befehlen, und ich werde gehorchen.«

»Wirklich?«

»Ja, augenblicklich.«

»Gut, ich verlasse mich auf Ihr Wort. Es ist nämlich bei uns Vorschrift, sich nach dem Mahle bei den Frauen und Töchtern des Hauses persönlich zu bedanken. Wollen Sie darum die drei Blumen Ihrer Familie ersuchen, uns durch ihr Erscheinen zu erfreuen, damit wir ihnen sagen können, welche Dankbarkeit und Ehrerbietung wir ihnen widmen!«

Der Schreck zuckte über das Gesicht des Wirtes.

»Herr, das nicht, nur das nicht!« bat er.

»Warum nicht?«

»Es ist gegen die hiesige Sitte.«

»Doch nicht, denn der mächtige Tong-tschi von Kuang-tschéu-fu hat uns auch seine Gemahlin zugeführt.«

»So ist es gegen die Satzung meines Glaubens.«

»Sind Ihre Damen auch mit zum Islam übergetreten?«

»Nein.«

»Nun, so ist auch dieser Grund nicht stichhaltig. Sie haben sich bis jetzt als wirklich gastfreundlich erwiesen. Wollen Sie diesen Ruhm vernichten und uns damit beleidigen, daß Sie uns diese Bitte abschlagen?«

Der Mann antwortete nicht sogleich. Er kämpfte mit sich selbst. Dann sagte er unter einem tiefen Atemzuge:

»Nein, mein Gebieter, beleidigen will ich Sie nicht. Lieber entschließe ich mich, gegen die Vorschriften unseres Landes zu handeln. Ich werde also die Frauen herbeibringen.«

Er entfernte sich in das hintere Gemach.

»Das hätten Sie nicht von ihm verlangen sollen,« sagte Liang-ssi im Tone sanften, bescheidenen Vorwurfs. »Es ist ganz und gar gegen die hiesigen Gewohnheiten.«

»Das weiß ich auch sehr gut,« lächelte der Methusalem.

»Und dennoch thaten Sie es?«

»Ja. Ich habe triftige Gründe dazu, denen Sie später ganz sicher Ihre Zustimmung erteilen werden.«

Diese kurze Wechselrede war in deutscher Sprache geführt und also von den anderen verstanden worden.

»Was soll denn geschehen?« fragte Turnerstick. »Was hätten Sie nicht thun sollen?«

»Ich habe verlangt, die weiblichen Bewohner dieses Hauses zu sehen, damit wir uns bei ihnen bedanken können.«

»Und ist das hier eine Sünde? Will er sie bringen?«

»Ja.«

»Dat is sehr hübsch,« meinte der Gottfried. »Wir werden uns gegen sie natürlich als jewandte Kavaliere benehmen. Nicht wahr, Mijnheer?«

»Ja. Ook ik word haar mijne komplimenten maken. Ik kan dat zeer fraai en bij uitstek maken – ja. Auch ich werde sie bekomplimentieren. Ich kann das sehr schön und ausgezeichnet machen.«

Es dauerte längere Zeit, bevor der Chinese wiederkehrte. Die Damen mußten ja ihre besten Gewänder anlegen. Endlich trat er mit ihnen ein und stellte sich an die Seite der Thür, um ihnen Platz zu geben.

Ihre Gesichter zeigten den chinesischen Schnitt und waren nach der Sitte der besseren Stände weiß und rot geschminkt. Die Augenbrauen hatten sie mit Hilfe des Pinsels und schwarzer Farbe so verlängert, daß sie über der Nasenwurzel zusammenliefen. Das Haar war durch Kämme und viele Nadeln hoch und fast in Form eines Schmetterlings gesteckt. Das Obergewand schloß eng am Halse an und fiel in weiten Falten bis auf den Boden herab. Die Hände waren tief in den Aermeln verborgen. Die Füße konnte man nicht sehen, aber verkrüppelt waren sie nicht, wie man aus dem Gange der Damen und ihrer Haltung ersehen konnte, obgleich sie nur wenige Schritte gemacht hatten.

Sie verneigten sich tief vor den Gästen, ohne aber ein Wort dazu zu sagen. Trotz der Schminke erkannte man die jugendlichen Züge der Töchter. Das Gesicht der Mutter zeigte deutliche Spuren des Grams und der Sorgen.

Die Anwesenden waren alle aufgestanden. Noch bevor Degenfeld zu Worte kam, trat Turnerstick vor, verbeugte sich möglichst chevaleresk und sagte:

»Myladies und Mademoiselles, wir fühleng uns außerordangtlich beglückt über Ihr Erscheinung. Wir habeng gegessing und getrunkeng und sagung hiermit – — – «

»Ik ook, ik ook,« unterbrach ihn der Mijnheer eifrig, indem auch er sich verneigte, soweit, seine Körperform dies zuließ. »Ook ik heb gegeten en gedronken.«

»Schweigen Sie und stören Sie mich nicht in meinem besten Chinesisch!« fuhr der Kapitän ihn mißmutig an.

Er wollte fortfahren, doch diesmal war der Methusalem schneller als er, indem er rasch das Wort ergriff, natürlich in chinesischer Sprache:

»Ich weiß, daß ich außerordentlich gegen die Sitte Ihrer Heimat verstoßen habe, als ich Sie zu sehen verlangte. Aber ich wollte Ihnen unsern Dank bringen und unsere Entschuldigung für die Sorgen, welche wir Ihnen bereitet haben. Außerdem aber gibt es noch einen zweiten Grund, welcher mich veranlaßt, persönlich mit Ihnen zu sprechen. Ich habe nämlich einen Brief an Sie abzugeben.«

Diese letzten Worte richtete er direkt an die Mutter, welche verwundert zu ihm aufschaute.

»Sie haben ein Recht, zu zweifeln,« fuhr er fort; »aber ich sage die Wahrheit. Ich habe wirklich einen Brief aus fernem Lande mitgebracht, welcher an Sie gerichtet ist.«

»Einen Brief? Von wem?« fragte sie.

»Von demjenigen, welchen Sie wohl schon längst verloren glaubten.«

Ihre Augen waren einige Zeitlang starr auf ihn gerichtet, dann stützte sie sich mit beiden Händen auf ihre Töchter und hauchte, die Wahrheit ahnend:

»Von meinem – meinem Gemahl und Herrn!«

»Ja,« antwortete der Methusalem. »Sind Sie stark genug, den Inhalt dieses Briefes zu hören? Bitte, setzen Sie sich!«

Er stellte ihr seinen Stuhl hin, auf welchem sie sofort Platz nahm. Diese Höflichkeit fand schnell zwei Nachahmer, welche zeigen wollten, daß auch sie gelernt hätten, zuvorkommend gegen Damen zu sein. Turnerstick schob seinen Stuhl der einen Tochter hin und sagte:

»Bitte, Fräulein, sich auch zu setzing! Lassong Sie sich angenehme Ruhe wünscheng!«

 

Und der Mijnheer trug den seinigen der andern Tochter hin, indem er mit seinem süßesten Lächeln bat:

»Mejuffrouw, ik bid, dat ook gij op eenen stoel zitten, op mijnen stoel. Ik geef u dezen stoel zeer gaerne. – Fräulein, ich bitte, daß auch Sie auf einem Stuhle sitzen, auf meinem Stuhle. Ich gebe Ihnen diesen Stuhl sehr gern.«

Die beiden Mädchen verstanden kein Wort von dem Gesagten, wußten aber natürlich, wie es gemeint war. Sie setzten sich zu beiden Seiten ihrer Mutter nieder, und die beiden galanten Salonherren traten höchst befriedigt zurück, wobei Turnerstick dem Dicken zuraunte:

»Prächtiges Mädchen, wirklich! Hat mich Wort für Wort verstanden. Es scheint, daß man in diesem Hause ein ausgezeichnetes Chinesisch spricht.«

Degenfeld hatte seine Brieftasche hervorgezogen und aus derselben ein Couvert genommen, welches den erwähnten, von Ye-kin-li geschriebenen Brief enthielt, für den Fall, daß seine Frau gefunden wurde. Auf seinem Gesichte war der Ausdruck freudigster Genugthuung zu lesen. Da in China selbst die Frauen höherer Stände nicht schreiben und lesen können, weil sie keinen Unterricht erhalten, gab er dem Hausherrn den Brief und sagte:

»Bitte, lesen Sie ihn vor!«

Der Mann besah das Couvert, welches unbeschrieben war, und fragte erwartungsvoll:

»Das soll ich öffnen?«

»Ja, bitte!«

»Und es ist wirklich ein Brief darin?«

»Gewiß!«

»An diese Frau?«

»Wie ich bereits sagte!«

»Sie müssen irren, Herr.«

»Nein; ich bin meiner Sache vollständig sicher. Hier ist ein Messer. Schneiden Sie den Umschlag auf!«

Der Mann ergriff das Messer, fragte aber, ehe er der Aufforderung Folge leistete:

»Und der Brief soll in Wahrheit von – von Ye-kin-li sein?«

»Ganz sicher. Ich war dabei, als er ihn in den Umschlag steckte, und habe vorher sogar den Brief lesen dürfen.«

Nun schnitt der Wirt das Couvert auf. Während der dadurch entstehenden Pause flüsterte Jin-tsian seinem Bruder zu:

»Von Ye-kin-li? Das ist doch unser Vater!«

»Wohl nur ein Mann, der denselben Namen trägt.«

»Aber diese Frau kommt mir so bekannt vor! Ich muß sie schon gesehen haben!«

»Mir auch. Es ist mir ganz —«

Er wurde unterbrochen, denn der Hausherr hatte den Brief aufgeschlagen, welcher natürlich in chinesischer Schrift und Sprache verfaßt war, und einen Blick auf die ersten Zeilen geworfen. Er rief mit lauter Stimme:

»O Allmacht der Vorsehung! O Güte des Himmels! O Allah, Allah! Es ist wirklich so; dieser hohe Herr hat die Wahrheit gesagt. Soll ich lesen?«

Er hatte diese Frage an die Frau gerichtet, welche sich in größter Aufregung befand. Sie zitterte am ganzen Körper; sie konnte kein lautes Ja hervorbringen; darum gab sie ihm nur durch ein Kopfnicken ihre Zustimmung zu erkennen. Er las:

»An Hao-keu, vom Geschlechte der Pang, aus dem Stamme Seng-ho, dem verschwundenen Weibe meiner Seele und der Mutter meiner verlorenen Söhne und Töchter – — – von Ye-kin-li, dem aus Tschin Entflohenen.«

Das war die Ueberschrift des Briefes. Der Vorleser kam nicht weiter; vier Schreie erschollen – — von den beiden Söhnen und den zwei Töchtern. Die Mutter hätte wohl auch einen Ruf des Entzückens ausgestoßen, aber sie konnte nicht, denn sie war ohnmächtig geworden.

Der wackere Methusalem hatte nicht daran gedacht, daß man zarten Frauen solche Nachrichten nicht so unvorbereitet geben darf. Die beiden Töchter schlangen ihre Arme um die Mutter und weinten.

»Es kam zu rasch; es ist zu viel für sie. Kommt heraus mit ihr in euer Gemach,« sagte der Hoei-hoei.

Er hob die Ohnmächtige in seinen Armen auf und trug sie hinaus. Die Mädchen folgten ihm. Die Söhne aber stürzten auf den Methusalem zu, und Liang-ssi fragte ihn in stürmischer Weise:

»Herr, der Brief ist von unserm Vater?«

»Ja,« antwortete der Gefragte.

»Und dieses Weib heißt Hao-keu?«

»So ist ihr Name.«

»Dann ist sie unsere Mutter?«

»Sie ist es. Und ihre Töchter sind Méi-pao und Sim-ming, Ihre Schwestern.«

»O Himmel, o Allmacht! Unsere Mutter und unsere Schwestern! Komm, Bruder, komm hinaus zu ihnen!«

Sie eilten ihren Anverwandten nach. Die anderen wußten nicht, was geschehen war. Degenfeld erklärte es ihnen mit kurzen Worten. Sein Bericht erfüllte sie mit großer Freude und tiefer Rührung, der sie in fröhlichen Worten Ausdruck gaben. Turnerstick meinte, indem er den Klemmer abnahm und sich die Augen wischte:

»Welch ein Wiederfinden! Welch eine Scene! Aber von Ihnen, Methusalem, war es sehr unrecht und hinterlistig, uns zu verschweigen, was Sie wußten. Auch wir waren ganz unvorbereitet; wie leicht konnten wir da aus lauter Rührung auch in Ohnmacht fallen!«

»Wenn auch dat nicht,« sagte der Gottfried, »denn ich bin kein Freund von Ohnmacht; überhaupt von allen Wörtern, welche in die erste Silbe mit ‚ohne‘ bejinnen, aberst dennoch bin ich ebenso unzufrieden mit Ihnen, oller Methusalem. Wenn Sie mir bei die Joldjeschichte zu Ihren Vertrauten machten, so konnten Sie mich auch in diese weitere Anjelegenheit einen jeheimnisvollen, vielsagenden Wink jeben. Es ist janz unverantwortlich, einen erwachsenen Menschen so mich nichts, dich nichts aus die eine Empfindung in die andere zu stürzen! Wie leicht kann da ein weiches Jemüt zu Schaden kommen. Man hat doch auch ein Herz! Nicht wahr, Mijnheer?«

»Ja,« antwortete der Dicke, welcher seine schottische Mütze in der Hand hielt und sich mit derselben die Zähren der Teilnahme aus den kleinen Aeuglein wischte. »Ik heb ook een hart, een mijn hart is goed, zeer goed. Ik moet snuiven en snuiten, dat deze menschen zich gekregen hebben. Ik ben daardoor zoo zwak geworden, dat ik zitten moet – ja, ich habe auch ein Herz, und mein Herz ist gut, sehr gut. Ich muß schnauben und schneuzen, daß diese Menschen sich bekommen haben. Ich bin dadurch so schwach geworden, daß ich sitzen muß.«

Er wollte sich niederlassen, aber der Methusalem sagte:

»Nicht wieder niedersetzen, Mijnheer! Unsere Gegenwart würde jetzt hier nur belästigen. Ueberlassen wir diese guten Leute vielmehr sich selbst, indem wir uns leise entfernen. Solche Scenen dürfen keine fremden Zeugen haben.«

»Schön, jehen wir!« stimmte der Gottfried bei. »Dat wird ihnen einen Beweis liefern, dat wir von diejeniger zartsinnige Noblesse sind, welche bei dergleichen Wiedersehen und sonstige Bejegnungen dat Zeichen einer juten Erziehung ist. Aberst die Pipe muß anjesteckt werden. Sie soll dat Freudenfeuer bedeuten, dat wir dem neubejründeten Glücke unserer Nebenmenschen bringen.«

Er that es nicht anders, der Methusalem mußte das Mundstück nehmen. Dann, als der Tabak glimmte, verließen sie das Haus, um sich nach dem Einkehrhause zurückzubegeben.

Noch immer standen viele Leute draußen, welche ihnen ehrerbietig Platz machten und sie so lange begleiteten, bis die Thür sich hinter ihnen geschlossen hatte.

Nun ließ der Methusalem den Wirt kommen, um bei demselben die für das Abendessen nötigen Bestellungen zu machen. Eben als sie beisammen standen und sich berieten, erschollen draußen laute Rufe, und die Menschen, welche vor dem Hause gestanden hatten, eilten davon, die Straße entlang.

»Was ist das? Was ruft man?« fragte Degenfeld den Wirt.

»Ich kann die Worte nicht genau verstehen. Es scheint jemand zu kommen, den die Leute kennen,« lautete die Antwort.

»So muß dieser jemand eine hier beliebte oder gar hervorragende Persönlichkeit sein?«

»Jedenfalls. Ich werde nachschauen.«

Er ging hinaus vor die Thür, kehrte aber sofort zurück und rief in freudigem Tone:

»Wissen Sie, wer da kommt, hoher Herr?«

»Natürlich nicht. Wer ist es?«

»Der T‘eu, der T‘eu, kein anderer als der T‘eu!«

»Ah! Der Bettlerkönig?«

»Ja, der Bettlerkönig. Da es schon spät am Tage ist, so wird er nicht weiter ziehen, sondern hier bei mir bleiben, was er stets thut, wenn er nach Ho-tsing-ting geht, um Herrn Sei-tei-nei zu besuchen.«

»Diesen besucht er?«

»Ja, und oft.«

»Was thut er dort?«

»Er kommt aus Liebe und Zuneigung, denn der Bettlerkönig und Herr Sei-tei-nei sind sehr gute Freunde. Aber ich muß hinaus, um ihn zu bewillkommnen!«

Er eilte fort.

Liang-ssi hatte nichts davon erwähnt, daß der Bettlerkönig das Etablissement des Onkels Daniel so oft besuche. Vielleicht war diese Unterlassung ganz ohne Absicht geschehen und nur eine Folge des reinen Zufalls.

Der Methusalem sagte seinen Gefährten, wen man da draußen erwarte, und sie traten mit ihm an das geöffnete Fenster, um diesen ebenso berühmten, wie einflußreichen Mann kommen zu sehen.

Die Stimmen der Nahenden wurden lauter und lauter. Man hörte Pferdegetrappel, und dann erschienen, vom Volke umgeben, zehn sehr gut bewaffnete Reiter, welche nichts weniger als den Eindruck von Bettlern machten. Ihre Pferde waren von einer besseren Rasse als diejenigen, welche der Methusalem während seines Aufenthaltes hier im Lande gesehen hatte, und ihrer Kleidung nach mußte man sie für sehr wohlhabende Leute halten.

Das Gewand des Vornehmsten unter ihnen war ausschließlich aus Seide gefertigt. Er trug einen kostbaren Degen, und das Zaumzeug seines Rosses war mit starkem Silber beschlagen. Er war vielleicht sechzig Jahre alt und hatte ein sehr würdevolles Aussehen, wozu der lange Schnurrbart, welcher ihm rechts und links in starken Flechten bis über die Brust herabreichte, viel beitrug. Er hatte keinen Knopf auf der Mütze, ein sicheres Zeichen, daß er kein Mandarin sei; doch war seine Erscheinung gewiß ebenso ehrfurchtgebietend wie diejenige eines hohen Beamten des Reiches.

Er schwang sich mit jugendlicher Leichtigkeit aus dem Sattel und schritt der Thür des Hauses zu, an welcher ihn der Wirt mit tiefen Verbeugungen empfing. Der T‘eu behandelte ihn nicht wie einen tiefer stehenden Mann, sondern in sehr leutseliger Weise, indem er, wie es zwischen Gleichberechtigten geschieht, seine Hände ineinander und dann, nachdem er sich verbeugt hatte, auf die beiden Achseln des Wirtes legte.

Welche Worte dabei gesprochen wurden, das konnte der Student nicht hören. Er war vom Fenster zurückgetreten und hatte mit seinen Gefährten auf einer der für die Gäste bestimmten Bänke Platz genommen. Bald darauf trat der Bettlerkönig mit seinen Begleitern ein.

Der Wirt hatte ihm jedenfalls schon draußen gesagt, daß vornehme und ausländische Gäste anwesend seien. Das war aus dem Blicke zu ersehen, mit dem er die Anwesenden musterte, und aus der tiefen Verneigung, mit welcher er sie begrüßte. Sie erhoben sich und verneigten sich ebenso.

»Ich komme, um diese Nacht bei Ihnen zu bleiben,« sagte er zum Wirt. »Sind die Stuben frei, welche wir gewöhnlich bewohnen?«

»Leider nicht, « antwortete der Gefragte verlegen. »Ich habe sie diesen huldvollen Herren gegeben, da mir Ihre Ankunft nicht bekannt war, hoher Beschützen«

»So werden wir in andern Räumen schlafen.«

Da bemerkte der Methusalem in zuvorkommender Weise:

»Das werden wir nicht zugeben. Der mächtige König der Armen und Notleidenden soll nicht unsertwegen auf die gewohnte Bequemlichkeit verzichten. Wir treten ihm sehr gern die Räume ab, welche er zu bewohnen pflegt.«

»Wissen Sie denn, wer ich bin?« fragte der König.

»Ich vernahm es soeben und habe auch schon längst gehört, welche Ehrerbietung man Ihnen zu zollen hat.«

»Nun, dann werden Sie wohl auch gehört haben, daß der T‘eu niemals die Gesetze der Höflichkeit verletzt. Sie kommen aus einem fernen Lande und dürfen erwarten, daß Sie überall auf das gastlichste aufgenommen werden. Es wäre ein Vergehen gegen die gute Sitte, wenn ich Ihr großmütiges Anerbieten mißbrauchte. Darum ersuche ich Sie, die Zimmer, welche für Sie bestimmt sind, zu behalten.«

»Aber gebietet nicht eben diese gute Sitte, daß jeder Jüngere vor dem Aelteren zurücktritt?«

»Ja, aber auch der Tiefere vor dem Höheren. Und der letztere sind doch Sie von uns beiden.«

»O nein, Sie sind König.«

»König der Armen und Elenden, was soviel wie nichts ist. Darf ich vielleicht Ihren glanzvollen Namen erfahren?«

»Unsere Namen sind auf diesem Kuan des Kaisers verzeichnet.«

Er gab ihm den Paß, welchen er von dem Tong-tschi erhalten hatte. Der T‘eu entfaltete denselben und verbeugte sich, als er das Siegel und die Unterschrift gesehen hatte, dreimal bis fast zum Boden herab. Dann las er die Namen. Als er damit zu Ende war, verbeugte er sich abermals, legte den Paß zusammen, gab ihn zurück und sagte:

»Das ist die höchste Empfehlung, welche einem Menschen bei uns werden kann. Dennoch wage ich es, Ihnen auch meine geringen Dienste anzubieten.«

»Diese Huld ist mir hochwillkommen, da ich weiß, daß die Freundlichkeit des mächtigen T‘eu oft mehr vermag als so ein Kuan.«

 

»Es ist wahr; es ist mir zuweilen möglich, jemand nützlich zu sein. Ihre glanzvollen Namen haben einen sehr fremden Klang. Nur ein einziger ist dabei, welcher unserer Sprache angehört, Liang-ssi. Welcher der hohen Herren trägt denselben?«

»Der Betreffende ist augenblicklich nicht hier, wird aber auch noch die Ehre haben, Ihnen seinen ehrfurchtsvollen Gruß zu sagen. Vielleicht kennen Sie ihn. Er steht im Dienste des Herrn Sei-tei-nei in Ho-tsing-ting.«

»Den kenne ich allerdings. Es ist ein sehr tüchtiger junger Mann, welcher sich viel auf Reisen befindet, die er im Interesse des Geschäfts seines Herrn unternimmt. Darum habe ich ihn nur ein einziges Mal bei demselben gesehen. Ich bin oft in Ho-tsing-ting, und der Besitzer der Feuerbrunnen ist mir ein lieber Freund. Er hat sich sehr um meine Untergebenen verdient gemacht, da er nur solche Arbeiter anstellt, welche sonst kein Unterkommen haben und ihm von mir empfohlen werden. Er steht infolgedessen unter meinem ganz besonderen Schutze, und ich werde niemals dulden, daß der Besitzer des Oelwerkes aus dem Grunde, daß er ein Ausländer ist, geschädigt wird. Sie sind also mit Liang-ssi gereist, willkommener Herr?«

»Ja. Wir kommen von Kuang-tschéu-fu und wollen morgen früh zu Sei-tei-nei.«

»Zu meinem Freunde? Verfolgen Sie bei diesem Besuche eine gewisse Absicht?«

»Ja. Ich will ihm den Sohn seines Bruders zuführen, den er eingeladen hat.«

»Wirklich? Ich weiß, daß er nach demselben geschrieben hat. Ist es dieser junge Herr, welcher neben Ihnen sitzt? Ich habe in dem Passe zu meiner Verwunderung den Namen Li-cha-la-da Sei-tei-nei gelesen.«

Der T‘eu konnte das »r« nicht aussprechen; er verwandelte es in ein »l«. Li-cha-la-da oder eigentlich Ri-cha-ra-da ist die chinesische Aussprechung des Namens Richard.

Als der Methusalem die Frage bejahte, begrüßte der Bettlerkönig den Gymnasiasten noch einmal besonders und versicherte ihn seines Schutzes, welcher ihm vielleicht von Vorteil sein könne.

»Daß dieser Schutz ein starker ist, haben wir bereits an uns erfahren,« sagte Degenfeld. »Wir befanden uns in großer Gefahr; unsere Feinde verwandelten sich aber sofort in Freunde, als wir ihnen bewiesen, daß Sie Ihre mächtigen Hände über uns halten.«

Der T‘eu machte eine Bewegung des Erstaunens und fragte:

»Wer waren diese Leute?«

»Die Kuei-tse. Sie begegneten uns unterwegs.«

»Das sind allerdings Leute, denen ein Bekenner des Buddha und überhaupt jeder Andersgläubige am besten aus dem Wege geht. Aber wie konnten Sie sich auf mich berufen? Wie konnten Sie, von denen ich nichts gewußt habe, ihnen beweisen, daß ich Ihr Beschützer bin? Mir selbst ist das ja unbekannt!«

»Ich zeigte ihnen diesen zweiten Kuan, welchen ich besitze.«

Er gab ihm den Schutzbrief in die Hand, und es war im höchsten Grade interessant, das Gesicht zu sehen, welches der T‘eu machte, als er denselben erblickte.

»Wie? Mein eigener Kuan!« rief er aus. »Und zwar ein Kuan erster Klasse, von denen ich nur sehr wenige ausgegeben habe! Ich ersehe aus dem nur mir kenntlichen Zeichen, daß es der Kuan meines Schwiegersohns in Kuang-tschéu-fu ist!«

»Sie meinen Hu-tsin, den Juwelier. Es gelang uns, ihm einen kleinen Dienst zu erweisen, und da er hörte, daß wir in das Innere des Landes gehen wollten, wo Beschwerden oder gar Gefahren unser warten konnten, so rüstete er uns mit diesem Kuan aus, von dessen Wert wir einen so überzeugenden Beweis erhalten haben.«

»Sie haben meinem Hu-tsin einen Dienst geleistet? Das kann kein gewöhnlicher gewesen sein, denn einer alltäglichen Gefälligkeit wegen würde er sich nicht von diesem Passe getrennt haben. Darf ich erfahren, was geschehen ist, und wie Sie mit ihm bekannt geworden sind? Soeben bringt man den Thee. Ich lade Sie demütig ein, denselben mit uns zu trinken. Dabei können wir von meinem Schwiegersohne sprechen.«

»Ich werde Ihnen gern von ihm erzählen, doch handelt es sich um ein Ereignis, welches wir in der Art zu einem glücklichen Ende führten, daß man nur im Vertrauen von demselben sprechen kann.«

»Das können Sie. Diese Männer sind meine Offiziere, meine Freunde, vor denen ich kein Geheimnis habe; sie können alles hören, was Sie zu sagen haben.«

Der Wirt hatte den schnell bereiteten Thee gebracht. Er hatte auch für jeden der fremden Gäste eine Tasse. Das entsprach der chinesischen Sitte. Es wurden noch Pfeifen bei ihm bestellt; Tabak hatten die Begleiter des T‘eu bei sich. Als die kleinen Täßchen geleert, und die Pfeifen in Brand gesteckt worden waren, begann der Methusalem zu erzählen.

Er hielt es für geraten, nicht bloß von der auf den Juwelier bezüglichen Episode zu sprechen, sondern er begann mit dem Auftrage, den er von Ye-kin-li erhalten hatte, und gab einen, wenn auch nur kurzen Bericht alles dessen, was sie bis hierher erlebt hatten.

Die Chinesen waren sehr aufmerksame Zuhörer. Als er geendet hatte, erhob sich der T‘eu, machte den Reisenden eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung, welchem Beispiele seine »Offiziere« sogleich folgten, und sagte im Tone der größten Hochachtung:

»Was wir jetzt vernommen haben, ist ein sicheres Zeugnis, daß in dem Vaterlande der aufrichtig bewunderten Herren Leute wohnen, welche außerordentlich kenntnisreich, kühn und umsichtig sind. Was Sie gethan haben, ist nicht nur des Lobes, sondern auch der Bewunderung wert, und der Scharfsinn, mit welchem Sie meinen Schwiegersohn gerettet haben, verpflichtet uns zur größten Dankbarkeit. Wir werden uns alle Mühe geben, unsre Erkenntlichkeit zu beweisen, und bitten um die huldreiche Genehmigung, den morgenden Ritt nach Ho-tsching-ting in Ihrer erlauchten Gesellschaft machen zu dürfen. Das Wiederfinden der Familienglieder Ihres achtungswürdigen Ye-kin-li hat uns mit großer Teilnahme erfüllt, welcher ich dadurch Ausdruck gebe, daß ich Sie ersuche, das Abendmahl nicht auf Ihre Kosten bereiten zu lassen, sondern bei demselben meine Gäste zu sein. Ich werde sogleich die dazu nötigen Vorbereitungen treffen.«

Der Methusalem erhob Einspruch dagegen, doch vergebens. Der Bettlerkönig begab sich selbst nach der Küche, um dort seine Befehle zu erteilen.

Während dieser Pause erkundigten sich die Gefährten nach dem Inhalte des Gespräches, und Degenfeld teilte ihnen denselben mit. Sie waren natürlich sehr erfreut darüber, sich die Freundschaft dieses Mannes erworben zu haben, und der Dicke sprach die ganz unerwartete Frage aus:

»Mijnheer Methusalem, zal deeze guede koning ook mij in zijne armen nemen – Herr Methusalem, wird dieser gute König auch mich in seine Arme nehmen?«

»Sie meinen, ob er auch Sie beschützen werde? Natürlich!«

»Dat is zeer goed, want hij zal mij helpen – das ist sehr gut, denn er soll mir helfen.«

»Wobei?«

»In gevalle dat ik het steenolie koop – im Falle, daß ich das Steinöl kaufe.«

»Sind Sie denn das gewillt?« fragte der Methusalem überrascht.

»Ik zal al Ho-tsing-ting koopen. De lucht is hier zonder voorbeeld goed. De lucht makt mij dik. Ik ben zoo dor, zoo in het geheel dor, en ik kan hier weder toe mijnen vleesch komen – ich werde ganz Ho-tsing-ting kaufen. Die Luft ist hier unvergleichlich gut. Die Luft macht mich dick. Ich bin so dürr, so ganz und gar dürr, und ich kann hier wieder zu meinem Fleische kommen.«

»Aber der Preis würde, wenn Onkel Daniel überhaupt verkaufen sollte, sehr hoch sein!«

»Dat zeg ik mij ook, maar ik heb Geld – das sage ich mir auch, aber ich habe Geld!«

»Ich glaube, daß Sie reich sind, doch sind die Zahlungsverhältnisse hier sehr unbequem.«

»Denkt gij, dat ik goud- en zilverstukken in mijnen broekzak heb? Zoo dom ben ik niet. Ik heb wissels, zeer goede wissels – denken Sie, daß ich Gold- und Silberstücke in meiner Hosentasche habe? So dumm bin ich nicht. Ich habe Wechsel, sehr gute Wechsel!«

»Auch das glaube ich Ihnen gern. Tragen Sie Ihren Wunsch dem Onkel vor, wenn wir zu ihm kommen!«

Jetzt trat der T‘eu wieder herein und machte dem kurzen Zwischengespräch ein Ende. Nach einiger Zeit kamen die beiden Brüder mit dem Hoei-hoei. Sie flossen von Dankesworten über, und es gelang dem Methusalem nicht, dieselben durch die Bemerkung abzuweisen, daß er eigentlich zu ihrem gegenwärtigen Glücke gar nichts beigetragen habe. In der Seligkeit, die Ihrigen gefunden zu haben, dachten sie an nichts anderes, auch nicht an das einstige Vermögen ihres Vaters. Sie hielten es für verloren.