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Der Oelprinz

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Märgi loetuks
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Darüber verging der Nachmittag. Es war Abend geworden, als endlich der erste Stein aus der Mauer fiel.

Der erste! Und wie viele waren noch zu entfernen! Und wie stand es mit den Gefangenen! Sie hatten hier Rast machen und sich erholen wollen; aber es war nach ihrer Ankunft nur Zeit zum Trinken, nicht zum Essen gewesen. Nun waren sie schon über einen Tag gefangen, ohne etwas genossen zu haben. Der Hunger und der Durst stellten sich ein. Das hatte bei den Erwachsenen jetzt noch nicht viel zu sagen, aber die Kinder verlangten nach Speise und nach Trank und konnten nicht leicht beruhigt werden.

Indem immer je zwei und zwei sich ablösten, wurde die ganze Nacht hindurch an dem Loche gearbeitet; es ging äußerst langsam vorwärts, weil die Mauer so stark und der Mörtel fast noch fester als der Stein war. Endlich war man hindurch; ein Stein fiel nach außen, Das kleine Loch, welches dadurch entstanden war, ließ den fahlen Schein des anbrechenden Morgens hereinfallen. Nun ging es rascher; noch eine halbe Stunde und das Loch war so weit, daß ein Mann hinauskriechen konnte.

»Gewonnen!« jubelte Frau Rosalie. »Dieses Loch is zwar keene bequeme Passage für eene anschtändige Dame, aber wenn es sich um die Freiheit handelt, krieche ich sogar durch eene Feueresse, wobei man sich doch schpäter wieder abwaschen kann. Jetzt vorwärts, meine Herren! Wer macht voran? Die Höflichkeet erfordert natürlich, daß wir Damen zu allererscht gerettet werden. Darum mache ich den Vorschlag, daß ich den Anfang mache.«

Sie bückte sich schon, um den Kopf in das Loch zu stecken; aber der Hobble-Frank zog sie zurück und sagte:

»Sind Sie denn nich recht gescheit, Madame Eberschbach? Was fällt Ihnen denn ein? Das is nischt für Weiber. Hier müssen die Herren der Schöpfung den Anfang machen.«

»Wer?« fragte sie. »Die Herren der Schöpfung? Zu denen rechnen Sie sich wohl ooch mit?«

»Natürlich!«

»Na, da thut mir aber die ganze liebe Schöpfung leed. Ich bin eene Dame, eene deutsche Dame vom zusammengeenten deutschen Kaiserreich. Und haben Sie etwa nicht gehört, daß man gegen Damen zuvorkommend sein soll?«

»Ja, das weeß ich sehr genau und bin es ooch schtets gewesen.«

»Das machen Sie mir nich weiß; verschtehn Se mich! Ich danke dafür, wenn eener, der so unhöflich is, sich ooch noch großartig eenen Herrn der Schöpfung nennt!«

»Aber ich verschtehe Sie nich, meine liebste, ergebenste Frau Eberschbach! Ich bin doch ganz und gar zuvorkommend gegen Sie!«

»I, was Sie nich sagen! Wieso denn eegentlich?«

»Weil ich Ihnen beim Hinauskriechen so pomäle zuvorkommen will. Is das denn nich zuvorkommend?«

»O – o – o! Ja, wenn Sie das in dieser Weise meenen, da wenden Sie das Wort ganz falsch an. Sie sollen zuvorkommend sein, indem Sie mich zuvorkommend sein lassen. Können Sie das denn nich begreifen?«

»Sogar sehr gut. Aber Sie machen’s doch ganz verkehrt!«

»Verkehrt? Wieso?«

»Na, das Loch da is doch wenigstens fünf Ellen hoch über der darunterliegenden Terrasse. Nich?«

»Jawohl.«

»Sie müssen also so hoch hinunterschpringen?«

»Natürlich!«

»Können Sie das?«

»Ich hoffe es. Wenn es sich um meine Freiheit und um mein Leben handelt, schpringe ich, so hoch oder so tief es is.«

»Mit dem Koppe voran?«

»Mit dem Koppe? Wie denn anders?«

»Na, wenn Sie mit dem Koppe fünf Ellen tief unten offfliegen, da schtoßen Sie ihn sich so weit in die Achseln hinein, daß er gar nich mehr zu sehen is. Man schpringt doch mit den Füßen, aber nich mit demjenigen Körperteele, in welchem der gesunde Menschenverschtand offbewahrt zu werden pflegt. Also muß man mit den Füßen voran durch dieses Loch kriechen!«

»Das is aber dennoch verkehrt. Ich habe doch die Oogen nich in den Füßen!«

»Sehr richtig, wenn Sie nich etwa die Hühneroogen meenen.«

»Und ich muß mich doch, wenn ich hinauskomme, erscht genau umsehen, ob niemand da is, der mir schaden kann! Dazu sind die Oogen notwendig, und also muß man mit dem Koppe zuerscht ins Loch.«

»Ooch das gebe ich zu. Dennoch werden Sie sofort einsehen, daß es höchst rücksichtsvoll von mir is, wenn ich vor Ihnen hinein will. Ich setze den Fall, die Indianer haben die Schteene fallen. hören, welche wir hinaus geschtoßen haben. Dann schtehen sie gewiß Wache und sehen unser Loch. Wenn nun der erschte kommt, der hinaus will, so geben sie ihm sicher eene Kugel, ganz gleich, ob er mit den Füßen oder mit dem Koppe zuerscht das Morgenlicht erblickt. Wenn Sie nun noch voran wollen, so habe ich nischt dagegen. Schaköng a song Hut!«

»Da danke ich freilich; da danke ich sehr! Ich bin eine Dame und als solche nich verpflichtet, für die Herren der Schöpfung den Kugelfang abzugeben.«

Sie trat jetzt außerordentlich schnell zurück. Aber Frank erhielt auch nicht die Erlaubnis, der erste zu sein, sondern Sam Hawkens nahm dieses gefährliche Vorrecht für sich in Anspruch. Er kroch, mit dem Kopfe voran, langsam, sehr langsam vorwärts. Als sein Auge die Mündung des Loches erreicht hatte, fuhr er schnell zurück, kam wieder herein und meldete:

»Wahrhaftig, es stehen mehrere Wachen unten auf der Plattform. Unser Loch ist also entdeckt worden.«

»Haben sie dich gesehen?« fragte Dick Stone.

»Nein.«

»Wie sind sie bewaffnet?«

»Mit Gewehren.«

»So schießen sie auf alle Fälle. Sie stehen unten auf der Plattform, auf welche wir springen müssen, und von uns kann immer nur einer hinaus. Wahrscheinlich wird das Loch nicht nur von ihnen, sondern auch von oben aus bewacht. Wollen einmal sehen.«

Er nahm seine lange Rifle, stülpte seine unaussprechliche und unbeschreibliche Kopfbedeckung auf die Mündung und schob den Lauf langsam so in das Loch, daß es draußen aussehen mußte, als ob ein Menschenkopf in der Oeffnung erscheine. Draußen ertönte ein Ruf, und zugleich fielen mehrere Schüsse. Er zog das Gewehr wieder herein, untersuchte die Kopfbedeckung genau und sagte:

»Zwei Kugeln sind hindurch, eine von unten und eine von oben. Was sagst du dazu, alter Sam?«

Es dauerte eine ganze Weile, ehe der Gefragte antwortete. Sie warteten alle mit großer Spannung auf seine Rede; dann endlich sagte er in einem Tone, welcher ziemlich niedergeschlagen klang:

»Es sind auch Wächter über uns, welche über die Kante unsrer Etage hinausblicken und das Loch beobachten. Ueber uns Wächter und unter uns Wächter; das ist schlimm, sehr schlimm!«

»Wir schießen sie weg!« meinte der Hobble wohlgemut.

»Versuch es doch!«

»Warum nich?«

»Ueberlege doch, bevor du sprichst. Kannst du diejenigen, welche auf unserm Dache liegen, wegschießen?«

»Nee. Daran hatte ich freilich nich gedacht; aber desto leichter diejenigen, welche draußen unter uns schtehen.«

»Wie willst du das anfangen?«

»Na, ich brauch’ doch bloß das Gewehr off sie zu richten und loszudrücken!«

»Das ist leichter gesagt als gethan. Das Loch ist so eng, daß du nur dann auf sie zielen kannst, wenn du das ganze Gewehr, die beiden Hände und den Kopf draußen hast. Aber ehe du dich in diese höchst gefährliche Lage bringst, hast du einige Kugeln im Kopfe.«

»Wetter! Das is richtig! Nu haben wir das schöne Loch und können doch nich’naus!«

»Leider, leider! Wir haben uns umsonst geplagt. Wir können weder durch die Decke noch durch die Mauer.«

»Dunner Sachsen! Is das wahr?« fragte Frau Rosalie.

»Es ist nur zu wahr,« erklärte Sam.

»Gibt es denn keenen andern Ausweg? Etwa hier durch den Fußboden?«

»Nein, denn es wird unter uns jedenfalls auch aufgepaßt.«

»Na, da schtehen die Ochsen ja gerade so am Berge wie vorher! Und das will sich Herren der Schöpfung nennen. Wenn ich een Mann wäre, ich wüßte gewiß, was ich thäte!«

»Nun, was?«

»Ja, das weeß ich eben nich, weil ich keen Mann, sondern eene Dame bin. Die Herren sind da, um uns zu schützen; verschtehn Sie mich? Nu thun Sie doch Ihre Pflicht! Ich hab’s ganz und gar nich nötig, mir den Kopp darüber zu zerbrechen, wie Sie mich aus dieser Gefangenschaft retten wollen. Aber ‘raus muß ich unbedingt, und so fordre ich Sie off, Ihre paar Sinne anzuschtrengen, um zu ermitteln, off welche Weise Sie mich retten können und sich dazu!«

Es trat eine lange Pause ein. Jeder und jede dachte nach, ob es denn keinen Weg der Rettung gebe; aber es erhob niemand die Stimme, um einen solchen zu verkünden. So verging eine halbe, eine ganze Stunde in trübem, peinlichem Schweigen. Da endlich hörte man Schi-So sagen:

»Das Denken und Grübeln bringt keinen Nutzen. Wir können nicht hinaus, denn wir müßten einzeln hinauskriechen und würden einzeln weggeschossen. Dennoch aber denke ich, daß wir gerettet werden.«

»Wie? Wie? Wodurch? Auf welche Weise?« erklang es um ihn her.

»Old Shatterhand und Winnetou wollen sich auf Forners Rancho treffen. Forner wird ihnen von uns sagen, und es ist gewiß, daß diese beiden berühmten Männer unsrer Spur folgen. Sie werden also hier nach dem Pueblo kommen.«

»Ja,« erklärte Sam mit einem tiefen Seufzer, »das ist die einzige Hoffnung, die wir noch haben können. Sie werden kommen; darauf möchte ich schwören, und wenn wir es bis dahin aushalten, werden wir gerettet werden.«

»Aber das sind doch nur zwee Menschen. Was können die gegen so viele Indianer ausrichten?« warf Frau Rosalie ein.

»Schweigen Sie unterthänigst!« wurde sie von dem Hobble aufgefordert. »Was verschtehen Sie von diesen beeden Helden, die meine Freunde und Gönner sind! Ich sage Ihnen: Und wenn tausend Rote uns bewachen, Old Shatterhand und Winnetou holen uns doch heraus, entweder mit List oder mit Gewalt, je nachdem es ihnen beliebt. Die haben noch ganz andre Sachen fertig gebracht. Wenn sie nur erscht unsre Schpur haben, nachher brauchen wir uns nich zu sorgen; sie holen uns heraus, und nich uns alleene!«

»Wen denn noch?«

»Ooch den Bankier, wenn er noch lebt.«

 

»Der wird wohl nicht mehr leben,« meinte Sam; »er nicht und sein Buchhalter nicht. Auf diese beiden war es wohl ganz besonders abgesehen, sonst hätte man sie nicht von uns getrennt.«

Er hatte recht, jedoch in andrer Art. Auf sie war es allerdings besonders abgesehen gewesen, doch nicht so, daß es, wenigstens von seiten des Häuptlings, ihr Leben galt. Sie waren entkommen und mit dem Oelprinzen, Buttler und Poller gegen Norden geritten, ohne anzuhalten, bis sie um die Mittagszeit in den Mogollonbergen den ersten Wald erreichten, der ihnen Schatten, Kühlung und Wasser bot. Da stiegen sie ab und setzten sich an einem Bache nieder, um auszuruhen und auch ihren Pferden Erholung zu gönnen. Hier war es, wo der Oelprinz sein Märchen erzählte, mit welchem er dem Bankier die Ereignisse des vergangenen Abends zu erklären versuchte, was ihm auch vollständig gelang. Rollins hielt ihn jetzt fest für einen Ehrenmann und freute sich auch darüber, in Buttler und Poller so brave und ehrenwerte Gefährten gefunden zu haben.

Als sie sich ausgeruht hatten, stiegen sie wieder auf und ritten weiter, bis sie gegen Abend eine Stelle fanden, welche sich sehr gut zum Lagerplatze für die Nacht eignete. Es gab da Wasser und genug dürres Holz, um ein Feuer die ganze Nacht zu unterhalten. Daß der Oelprinz, Buttler und Poller sehr reichlich mit Nahrungsmitteln versehen waren, die sie nur vom Pueblo mitgenommen haben konnten, das fiel weder Rollins noch Baumgarten auf. Als Poller das Feuer anbrannte, meinte Buttler im Tone leiser Besorgnis:

»Wir befinden uns in der Nähe des Gebietes der Nijoraindianer. Wäre es nicht vielleicht besser, auf das Feuer zu verzichten, welches uns verraten kann?«

»Es hat keine Gefahr,« erklärte der Oelprinz. »Ich stehe mit den Nijoras auf gutem Fuße.«

»Aber sie haben das Kriegsbeil ausgegraben!«

»Thut nichts. Mir sind sie selbst auf dem Kriegszuge nicht gefährlich.«

»Mag sein; aber sie wohnen nördlich von hier und die Gileños südlich; wir befinden uns also auf der Grenze zwischen beiden, und solche Grenzgebiete sind stets gefährlich, weil da etwaige Feindseligkeiten zuerst beginnen und zum Austrage gebracht werden. Da gibt es immer einzelne Herumtreiber, welche die gefährlichsten sind und weder Feind noch Freund schonen, wenn sie nur ihre Rechnung dabei finden.«

»Und ich sage dir, du kannst sicher sein, daß sich in dieser ganzen Gegend außer uns kein Mensch befindet. Und gerade diese Stelle liegt tief versteckt; ich glaube, ich

bin der einzige, der sie kennt, denn so oft ich auch hier war, bin ich doch niemals einem Menschen begegnet und habe auch nie die leiseste Spur von einem solchen gefunden. Wir befinden uns im weiten Umkreise ganz allein und können ruhig unser Feuer brennen lassen.«

Er war vollständig überzeugt, recht zu haben, und hatte doch nicht recht, denn es gab nordwärts von ihnen zwei Reiter, welche, ohne daß sie einander sahen, das gleiche Ziel zu verfolgen schienen, nämlich die Stelle, an welcher der Oelprinz mit seinen Begleitern lagerte.

Diese beiden Reiter waren vielleicht drei englische Meilen von diesem Lagerplatze und nur eine voneinander entfernt und hielten einer wie der andre nach Süden zu.

Der eine war ein Weißer und ritt einen prächtigen Rapphengst mit roten Nüstern und jenem Haarwirbel in der langen Mähne, welcher bei den Indianern als sicheres Kennzeichen vorzüglicher Eigenschaften gilt. Sattel und Riemenzeug waren von feiner, indianischer Arbeit. Dieser Mann war von nicht sehr hoher und nicht sehr breiter Gestalt, aber seine Sehnen schienen von Stahl und seine Muskeln von Eisen zu sein. Ein dunkelblonder Vollbart umrahmte sein sonnverbranntes, ernstes Gesicht. Er trug ausgefranste Leggins und ein ebenso an den Nähten ausgefranstes Jagdhemd, lange Stiefel, welche er bis über die Kniee emporgezogen hatte, und einen breitkrämpigen Filzhut, in dessen Schnur rundum die Ohrenspitzen des grauen Bären steckten. In dem breiten, aus einzelnen Riemen geflochtenen Gürtel, der rundum mit Patronen gefüllt zu sein schien, staken zwei Revolver und ein Bowiemesser. An ihm hingen außer mehreren Lederbeuteln zwei Paar Schraubenhufeisen und vier fast kreisrunde, dicke Stroh- oder Schilfgeflechte, welche mit Riemen und Schnallen versehen waren. Von der linken Schulter nach der rechten Hüfte trug er einen aus mehrfachen Riemen geflochtenen Lasso und um den Hals an einer starken Seidenschnur eine mit Kolibribälgen verzierte Friedenspfeife, in deren Kopf indianische Charaktere eingegraben waren. In der Rechten hielt er ein kurzläufiges Gewehr, dessen Schloß eine höchst eigentümliche Konstruktion besaß – es war ein fünfundzwanzigschüssiger Henrystutzen – und über seinem Rücken hing ein doppelläufiger Bärentöter von allerschwerstem Kaliber, wie es heutigen Tages keinen mehr gibt.

Der echte Prairiejäger gibt nichts auf Glanz und Sauberkeit; je mitgenommener er aussieht, desto größer die Ehre, denn desto mehr hat er mitgemacht. Er betrachtet einen jeden, der auf sein Aeußeres etwas hält, mit souveräner Geringschätzung; der allergrößte Greuel aber ist ihm ein blankgeputztes Gewehr. Nach seiner Ueberzeugung hat kein Westläufer die nötige Zeit, sich mit solchen Nebendingen abzugeben. Nun aber sah an diesem Manne alles so sauber aus, als sei er erst gestern von St. Louis aus nach dem Westen aufgebrochen. Seine Gewehre schienen vor kaum einer Stunde aus der Hand des Büchsenmachers hervorgegangen zu sein. Seine Stiefel waren makellos eingefettet und seine Sporen ohne die geringste Spur von Rost. Seinem Anzuge konnte keine Spur von Strapazen angesehen werden, und wahrhaftig, er hatte nicht nur sein Gesicht, sondern sogar seine Hände rein gewaschen! Es war wirklich gar nicht schwer, in ihm einen Sonntagsjäger zu vermuten.

Und allerdings, dieser Westmann war sehr, sehr oft von Leuten, die ihn nicht kannten und zum erstenmal sahen, seines saubern Aeußeren wegen für einen Sonntagsjäger gehalten worden. Sobald sie aber seinen Namen hörten, sahen sie ein, welch ein grundfalsches Urteil sie gefällt hatten, denn er war kein andrer als Old Shatterhand, der berühmteste, verwegenste und dabei doch bedächtigste Jäger des wilden Westens, der unerschütterliche Freund der roten Nation und zugleich der unerbittlichste Feind aller Bösewichter, deren es jenseits des Mississippi eine Menge gab und noch heute gibt.

Old Shatterhand war sein Kriegsname, abgeleitet von dem englischen Worte shatter, zerschmettern, niederschmettern. Er vergoß nämlich nur dann das Blut eines Feindes, wenn es unbedingt nötig war, und selbst dann tötete er nicht, sondern verwundete nur. Im Handgemenge pflegte er, dem man eine solche Körperkraft kaum ansah, den Gegner mit einem einzigen Hiebe gegen die Schläfe niederzuschmettern. Daher der Name, der ihm von den weißen und roten Jägern gegeben war.

Und der andre Reiter, welcher eine englische Meile westlich von ihm ritt, war ein Indianer; das Pferd, auf welchem er saß, glich ganz genau demjenigen von Old Shatterhand.

Es gibt Menschen, welche gleich im ersten Augenblick der Begegnung, noch ehe sie gesprochen haben, einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf uns machen. Ohne daß eine solche Person sich freundlich oder feindselig verhalten hat oder verhalten konnte, weil man sie eben zum erstenmal sieht, fühlt man sogleich und deutlich, ob man sie hassen oder lieben werde. Ein solcher Mensch schien dieser Indianer zu sein.

Er trug ein weißgegerbtes, mit roter, indianischer Stickerei verziertes Jagdhemd. Die Leggins waren aus demselben Stoffe gefertigt und mit dicken Fransen von Skalphaaren besetzt. Kein Fleck, keine noch so geringe Unsauberkeit war an Hemd oder Hose zu bemerken. Seine kleinen Füße steckten in mit Perlen gestickten Mokassins, welche mit Stachelschweinsborsten geschmückt waren. Um den Hals trug er einen kostbaren Medizinbeutel, die kunstvoll geschnitzte Friedenspfeife und eine dreifache Kette von den Krallen des grauen Bären, welche er mit größter Lebensgefahr dem grauen Bären, dem gefürchtetsten Raubtiere der Felsengebirge, abgenommen hatte. Um seine schlanke Taille schlang sich ein breiter Gürtel, welcher aus einer kostbaren Santillodecke bestand. Aus demselben schauten, wiederum so wie bei Old Shatterhand, die Griffe zweier Revolver und eines Skalpmessers hervor. Den Kopf trug er unbedeckt. Sein langes, dichtes, blauschwarzes Haar war in einen hohen, helmartigen Schopf geordnet und mit einer Klapperschlangenhaut durchflochten. Keine Adlerfeder, kein andres Unterscheidungszeichen schmückte diese Frisur, und doch sagte man sich gleich beim ersten

Blicke, daß dieser rote Krieger ein Häuptling, und zwar kein gewöhnlicher, sein müsse. Der Schnitt seines schönen, männlich ernsten Angesichtes konnte ein römischer genannt werden; die Backenknochen standen kaum merklich vor, die Lippen des vollständig bartlosen Gesichtes waren voll und doch fein geschwungen und die Hautfarbe zeigte ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch. Quer über dem Sattel hatte er ein Gewehr vor sich liegen, dessen Holzteile dicht mit silbernen Nägeln beschlagen waren.

Wäre ihm ein Westmann begegnet, der ihn noch nie gesehen hatte, er hätte ihn sofort an diesem Gewehre erkannt, welches der Gegenstand des Gespräches an Tausenden von Lagerfeuern gewesen war. Es gab im Westen drei Gewehre, an deren Berühmtheit kein viertes reichte; das waren Old Shatterhands Henrystutzen, sein Bärentöter und Winnetous Silberbüchse. Dieser rote Reiter war also Winnetou, der Häuptling der Apachen, überhaupt der berühmteste Häuptling des Westens, der treueste und aufopferndste Freund seiner Freunde und zugleich der gefürchtetste Gegner aller seiner Feinde.

Er ritt nicht nach unsrer Manier, sondern er hing vorn über auf seinem Pferde, als ob er das Reiten gar

nicht verstehe. Sein Blick schien müd und träumerisch unausgesetzt am Boden zu haften, aber wer ihn kannte, der wußte, daß seine Sinne von einer unvergleichlichen Schärfe waren und seinem Auge nichts, aber auch gar nichts entging.

Da plötzlich richtete er sich mitten im Reiten auf; ebenso schnell hatte er seine Silberbüchse angelegt und auf einen Baum gerichtet; der Schuß krachte; es war ein kurzer, scharfer, sonorer Knall. Er lenkte sein Pferd nach dem Baume, ganz an denselben heran, stieg mit den Füßen auf den Sattel, langte in eine Höhlung, welche sich in der Nähe des untersten Astes befand, und zog den Gegenstand hervor, nach welchem er geschossen hatte. Es war ein Tier von der Größe eines mittleren Hundes mit gelblich grauem Pelze, dessen Grannen schwarze Spitzen hatten; der Schwanz war halb so lang wie der Körper. Dieses Tier war ein Waschbär oder Schupp, bei den Amerikanern Coati oder Raccoon genannt, für jeden Jäger ein höchst willkommener Braten.

Kaum hatte er den Waschbären in der Hand, und noch waren seit seinem Schusse nicht zehn Sekunden vergangen, so ertönte östlich von ihm ein zweiter Schuß, welcher einen tiefen, eigentümlich schweren Fall hatte.

»Uff!« sagte der Indianer überrascht zu sich. »Akaya Selkhi-Lata!«

Dieser Ausruf in der Apachensprache heißt: »Dort ist Old Shatterhand!« Und sonderbar: Auch Old Shatterhand hatte scheinbar ganz gleichgültig und in sich versunken seinen Weg verfolgt, als der Schuß des Apachen fiel. Sofort hielt er sein Pferd an und sagte:

»Das war Winnetou, der Häuptling der Apachen! Ich kenne die Stimme seiner Silberbüchse.«

Er hatte diese Worte in deutscher Sprache gesagt, ein untrügliches Zeichen, daß er ein Deutscher war. Schnell nahm er seinen Bärentöter vor und gab den Schuß ab, an welchem Winnetou augenblicklich seinen Freund erkannte. Dem Europäer und auch jedem andern, der den Westen nicht betreten hat, scheint dies unmöglich zu sein; aber der erfahrene und geübte Westmann kennt die Stimme jedes ihm bekannten Gewehres; seine Sinne sind geschärft, weil von der Feinheit derselben hundertmal sein Leben abgehangen hat und noch abhängen wird. Wer sich diese Sinnesschärfe nicht anzueignen vermag, der geht verloren. Wie verschieden ist die menschliche Stimme! Man hört einen Bekannten unter Tausenden heraus. Und wie ist es z. B. mit dem Hundegebell? Erkennst du deinen Phylax, Cäsar, Ami oder Nero nicht sofort an der Stimme? So ist es auch mit den Gewehren. Ein jedes hat eine andre, seine eigene Stimme; das weiß und hört freilich nur derjenige, der ein Ohr dafür hat.

Als die beiden Schüsse, an denen die Freunde einander sich erkannten, gefallen waren, verließen sie ihre bisherige Richtung und ritten aufeinander zu, Old Shatterhand westlich und Winnetou östlich. Um den andern genau zu finden, schoß jeder noch einmal; dann trafen sie auf einer kleinen Lichtung zusammen, sprangen von den Pferden und umarmten und küßten einander.

»Wie freut sich meine Seele, meinen guten, weißen Bruder schon heut zu treffen!« sagte Winnetou. »Wir wollten erst übermorgen uns auf Forners Rancho finden. Mein Herz sehnte sich seit langer Zeit nach dir und meine Gedanken eilten dir viele Tagereisen weit entgegen.«

 

»Auch ich bin ganz glücklich, den besten und edelsten meiner Freunde bei mir zu haben,« erwiderte Old Shatterhand. »Ich habe an dich mit Sehnsucht gedacht; du hast mir gefehlt, seit ich von dir schied, und meine Seele ist nun stille, da ich dich vor mir sehe. Wie ist es meinem Bruder während dieser langen Zeit ergangen?«

»Die Sonne steigt und fällt wieder nieder; die Tage kommen und gehen; das Gras wächst und verdorrt; Winnetou aber ist derselbe geblieben. Hat mein weißer Bruder viel erlebt, seit ich ihn zum letzten Male sah?«

»Viel! Nicht jeder Tag ist schön, und unter den Blumen der Prairie gibt es manche giftige. Dieser Prairie gleicht die Vergangenheit. Aber auch ich bin noch der, der ich war. Wenn wir am Lagerfeuer sitzen, werden wir uns erzählen, was wir erlebt und erfahren haben. Weiß mein Bruder einen Platz, an dem es sich gut ruhen läßt?«

»Ja. Wenn wir noch eine Stunde reiten, kommen wir über ein kleines Wasser, in welches sich ein Seitenquell ergießt. Da, wo dieser Quell entspringt, ist der Ort von allen Seiten mit Gebüsch umgeben, durch welches kein Auge dringen kann. Dort dürfen wir ein Feuer haben, an welchem wir den Waschbär braten, den ich

soeben geschossen habe. Mein Bruder mag mit mir kommen!«

Sie ritten weiter unter den hohen, lichten Bäumen des Waldes hin. Es war hier ziemlich düster, denn die Sonne hatte sich, was man aber im Walde nicht bemerken konnte, dem Horizonte weit zugeneigt.

Als eine Stunde ziemlich vergangen war, erreichten sie das Wasser, den kleinen, schmalen Bach, von welchem Winnetou gesprochen hatte. Sie ritten über denselben hinüber und – —hielten sofort ihre Pferde an, denn sie erblickten im Grase einen Streif, eine niedergetretene Fährte, welche von links her kam und nach rechts am Wasser weiterführte. Beide stiegen ab, um die Spur zu betrachten und zu lesen, und beide richteten sich nach wenigen Augenblicken zu gleicher Zeit wieder auf. Sie waren im Spurenlesen gleich gut bewandert.

»Fünf Reiter,« sagte Old Shatterhand, »mit ziemlich müden Pferden.«

»Erst vor einigen Minuten hier vorübergekommen,« ergänzte Winnetou. »Werden nicht weit von hier Lager machen. Was beschließt Old Shatterhand?«

»Wir dürfen sie nicht unbeachtet lassen, sondern müssen sehen, wer sie sind. Mein Bruder wird wissen, daß der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist. Da muß man vorsichtig sein.«

Sie schritten nach einem dichten Gebüsch, welches in der Nähe stand, führten die Pferde hinein, um sie einstweilen zu verbergen, banden sie an und legten ihnen die Hände auf die Nasen. Das war das Zeichen für die indianisch dressierten Tiere, sich ruhig zu verhalten und nicht etwa durch ein lautes Schnauben zu verraten. Dann kehrten sie zu dem Wasser zurück und folgten der Spur mit langsamen, unhörbaren Schritten. Sie waren beide Meister im Anschleichen und benutzten jeden Baum, jeden Strauch, jede Biegung des Baches zur Deckung für sich.

Kaum waren sie fünf Minuten gegangen, so blieb Winnetou stehen und sog die Luft durch die Nase ein. Old Shatterhand that dasselbe und spürte Rauch.

»Sie befinden sich ganz in der Nähe und haben ein Feuer,« flüsterte er Winnetou zu. »Es müssen Weiße sein, denn ein Roter würde nicht die Unvorsichtigkeit begehen, einen Lagerplatz zu wählen, der nach der Windrichtung hin offen ist.«

Winnetou nickte und huschte weiter. Der Bach wand sich jetzt zwischen Bäumen hin, unter denen ziemlich hohe Büsche standen. Das gab eine herrliche Deckung für die beiden Jäger. Bald sahen sie das Feuer; es brannte hart am Wasser, und die Flamme stieg wohl mehrere Fuß empor. Das war eine Unvorsichtigkeit, die ein richtiger Westmann wohl nicht begangen hätte.

Der Boden des Waldes bestand hier aus weichem Moose, so daß die Schritte auch ungeübterer Leute, als Winnetou und Old Shatterhand waren, nicht gehört werden konnten. Vier Bäume, hinter denen das Feuer brannte, standen eng beisammen, und zwischen ihren Stämmen gab es Buschwerk; das bildete einen Schirm, hinter welchem die beiden Lauscher sich leicht verstecken konnten. Sie krochen vorsichtig heran und legten sich lang auf den Boden nieder, mit den Köpfen hart an den Büschen, durch deren blattlose Unterteile sie hindurchblicken konnten. Da sahen sie die fünf Männer ganz nahe vor sich. Das Feuer brannte ungefähr vier Schritte von den Bäumen entfernt. Diesseits desselben saßen der Oelprinz und Buttler, sein Bruder, mit den Rücken an die Stämme gelehnt, jenseits der Bankier und Baumgarten, sein Buchhalter; rechts davon war Poller beschäftigt, dürres Holz klein zu brechen und in die Flamme zu werfen. Sie mußten sich sehr sicher fühlen, denn sie hielten es nicht für nötig, bei dem Gespräch, welches sie führten, leise zu sprechen, vielmehr redeten sie so laut, daß man ihre Worte gewiß auf wenigstens zwanzig Schritte weit deutlich verstehen konnte, ein Umstand, welcher den beiden Lauschern nur lieb sein mußte.

»Ja, Mr. Rollins,« sagte der Oelprinz, »ich versichere Euch, daß das Geschäft, welches Ihr machen werdet, ein glänzendes, ein großartiges sein wird. Das Petroleum schwimmt dort gewiß einen Finger dick auf dem Wasser; es muß unterirdisch in großen Massen vorhanden sein. Wenn dies nicht der Fall wäre, so hätte ich es gar nicht entdeckt, denn der Ort liegt so versteckt und weltverlassen, daß ich wette, es ist noch nie der Fuß eines Menschenkindes hingekommen und es würde ihn auch in Jahrzehnten keiner betreten, obgleich der Chelly-Arm schon oft von Jägern und wohl noch mehr von Indianern besucht worden ist. Wie gesagt, ich wäre an dieser Stelle gewiß vorüber gegangen, wenn mich nicht der Oelgeruch aufmerksam gemacht hätte.«

»War dieser wirklich so stark?« fragte der Bankier.

»Sollte es meinen! Ich war wohl fast eine halbe Meile von der Stelle entfernt, und doch spürte meine Nase das Petroleum. Ihr könnt Euch also denken, in welchen Massen es vorhanden sein muß. Ich bin überzeugt, daß der Bohrer gar nicht tief in die Erde zu dringen braucht, um auf das unterirdische Oelbassin zu treffen. Heigh-day, muß das eine Fontaine geben, wenn es dann emporspringt! Wollen wir wetten, Sir, daß sie wenigstens hundert Fuß in die Höhe steigt?«

»Ich wette nie,« antwortete Rollins in ruhigem Tone, zu welchem er sich zwingen mußte, denn das Funkeln seiner Augen bewies, daß seine Begierde heftig erregt worden war; »aber ich will hoffen, daß alles wirklich so ist, wie Ihr sagt.«

»Kann es anders sein, Sir? Kann ich Euch belügen, da Ihr doch dann, wenn wir an Ort und Stelle kommen, den Betrug sofort erkennen würdet? Ich habe noch keinen einzigen Dollar von Euch verlangt, sondern Ihr bezahlt mich erst dann, wenn Ihr Euch überzeugt habt, daß ich Euch nicht täusche und der Handel ein ehrlicher ist. Ein Betrug könnte doch nur dann möglich sein, wenn ich die Bedingung stellte, vorher bezahlt zu werden.«

»Ja, Ihr habt da so gehandelt, daß ich Euch für einen ehrlichen Mann halten muß; das will ich gern zugeben.«

»Dazu kommt, daß Ihr mich nicht bar, sondern in Anweisungen auf San Francisco bezahlen werdet.«

»Ihr wollt doch hoffentlich nicht damit sagen, daß Ihr bezweifelt, daß diese Anweisungen in Frisco honoriert werden?«

»Fällt mir nicht ein! Ich weiß, daß Eure Unterschrift selbst für eine Million gut sein würde. Aber sagt mir doch einmal, ob Ihr diese Anweisungen bereits jetzt in der Tasche tragt!«

Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl bemerkt, daß er bei dieser Frage einen Ausdruck der Spannung auf seinem Gesichte nicht ganz zu unterdrücken vermochte. Sein Blick war mit schlecht verhehlter Begierde auf den Bankier gerichtet, und das hatte seinen guten Grund.

Der angebliche Petroleumfund war Schwindel; Rollins sollte getäuscht und nach der Zahlung mit seinem Buchhalter ermordet werden. Hätte er die Summe bar bei sich gehabt, so wäre sie ihm schon längst abgenommen worden, und er lebte nicht mehr. Trug er nun die fertig ausgestellten Anweisungen in seiner Tasche, so war das ebensogut wie bares Geld, und man brauchte sich mit ihm keinen Augenblick länger zu befassen. Eine Kugel in den Kopf, dem Buchhalter auch eine, und der Oelprinz befand sich so gut wie im Besitze des Geldes. Waren diese Papiere aber noch nicht fertig, so mußte die Komödie weiter- und bis zu Ende gespielt werden.