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Der Oelprinz

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Märgi loetuks
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Er spielte hierbei mit seinem Henrystutzen in einer Weise, welche dem Häuptlinge Angst einflößte. Er kannte dieses Gewehr, das die Roten für ein Zaubergewehr hielten, ganz genau und wußte, was es zu bedeuten hatte, wenn Old Shatterhand es in so demonstrativer Weise in den Händen hielt. Darum erklärte er, freilich in einem nicht sehr frohen Tone:

»Meine berühmten Brüder wünschen es; so werden wir es denn auch thun.«

Er wäre am allerliebsten fortgeritten, wußte aber, daß er dies leider nicht wagen durfte. Sein Pferd war nicht so schnell wie die Kugeln Old Shatterhands und Winnetous. Er hatte zwar auch eine Flinte, seine drei Begleiter ebenso, aber den Gewehren dieser beiden Jäger gegenüber war das genau so, als ob er keine Waffen in der Hand hätte. Er stieg also von seinem Pferde, und seine Leute folgten diesem Beispiele. Man schritt, indem jeder sein Pferd führte, nach dem Felsen, wo man sich niedersetzte. Als dies geschehen war, nestelte Ka Maku seine Friedenspfeife von der Schnur los, mit welcher sie um seinen Hals hing, und sagte:

»Mein Tabaksbeutel ist leer; vielleicht besitzen meine großen Brüder Kinnikinnik (* Tabak mit Gemsblättern.), um das Calumet zu füllen?«

»Wir haben Tabak, soviel wir brauchen,« antwortete Old Shatterhand. »Aber ehe wir mit dir die Friedenspfeife rauchen und dann nach dem Pueblo gehen, um deine Gäste zu sein, möchte ich wissen, was für Krieger wir dort vorfinden werden.«

»Die meinigen.«

»Keine andern?«

»Nein.«

»Und doch wurde mir gesagt, daß du fremde Krieger bei dir beherbergst. Es ist Unfrieden ausgebrochen zwischen einigen Stämmen und zwischen den roten Männern und den Bleichgesichtern. Ka Maku wird begreifen, daß es da gilt, vorsichtig zu sein.«

»Wenn meine Brüder zu mir kommen, werden sie keinen fremden Krieger bei uns finden.«

»Und doch führte eine große Spur von Forners Rancho nach eurem Pueblo, wo sie aufhörte; von euch weg ist sie dann zu einer kleinen Fährte von nur fünf Männern geworden.«

Ka Maku erschrak, ließ sich aber nichts merken, und versicherte in bestimmtestem Ton:

»Da müssen sich meine Brüder irren. Ich weiß von keiner solchen Spur etwas.«

»Der Häuptling der Apachen und Old Shatterhand irren sich niemals wenn es sich um eine Fährte handelt. Sie zählen nicht nur die Eindrücke der Tiere und der Menschen ganz genau, sondern sie kennen auch die Namen der letzteren.«

»So kennen meine berühmten Brüder Namen, welche mir unbekannt sind.«

»Hättest du nie von Grinley, dem Oelprinzen, gehört?«

»Nie.«

»Das ist eine Lüge!«

Da griff der Häuptling nach dem Messer in seinem Gürtel und rief zornig aus:

»Will Old Shatterhand das Haupt eines tapfern Häuptlings beleidigen? Mein Messer würde ihm Antwort geben!«

Der weiße Jäger zuckte leicht die Achsel und antwortete.

»Warum begeht Ka Maku den großen Fehler, mir zu drohen? Er kennt mich doch und weiß also sehr genau, daß er meine Kugel im Kopf hätte, ehe die Spitze seines Messers mich erreichte, oder seine Hand die Flinte gegen mich richten könnte.«

Er hatte während dieser Worte mit einem schnellen Griffe seine beiden Revolver gezogen und hielt ihm die Mündungen derselben entgegen. Zugleich hatte auch Winnetou seine beiden Drehpistolen in den Händen und hielt sie den drei andern Roten vor, indem Old Shatterhand in ruhigem Tone weiter sprach:

»Ich versichere euch bei dem großen Manitou, den die roten Männern verehren, daß bei der leisesten Bewegung eurer Waffen die unsrigen blitzen und knallen werden! Old Shatterhand bricht nie sein Wort; das wißt ihr ebenso gut wie jeder andre Indianer! Ihr kennt diese kleinen Gewehre hier in meinen Händen, in denen zweimal sechs Schüsse stecken. Mein Bruder Winnetou wird euch jetzt eure Messer und Gewehre wegnehmen. Wer sich dagegen wehrt, ja, wer nur eine kleine Bewegung des Widerstandes macht, erhält sofort eine Kugel. Ich habe es gesagt, und es gilt, Howgh!«

Dieses letzte Wort ist eine indianische Bekräftigung. Old Shatterhand wollte mit demselben sagen, daß er gesonnen sei, seine Drohung unbedingt auszuführen. Sein Auge senkte sich mit gebieterischem Blicke in dasjenige des Häuptlings, welcher es nicht wagte, sich zu regen, als der Apache ihm das Messer und die Flinte wegnahm. Auch die drei andern regten sich nicht, als sie von Winnetou entwaffnet wurden. Nach

dem dies geschehen war, fuhr Old Shatterhand fort:

»Die roten Männer sehen, wie die Sache steht; sie befinden sich in unsrer Gewalt. Nur das Eingeständnis der Wahrheit kann sie retten. Ka Maku mag meine Fragen beantworten! Warum hat er einige Gefangene mit dem Oelprinzen vorsätzlich entfliehen lassen?«

»Es sind keine Gefangene bei uns gewesen,« zischte der Häuptling grimmig.

»Und auch jetzt befinden sich keine im Pueblo?«

»Nein.«

»Ka Maku lügt. Er müßte doch wohl wissen, daß Winnetou und Shatterhand nicht junge, unerfahrene Burschen sind, welche sich täuschen lassen. Wir wissen, daß Sam Hawkens, Parker und Stone sich bei euch befinden.«

Das zuckende Auge des Häuptlings verriet seinen Schreck, doch antwortete er nicht.

»Auch noch zwei andre weiße Krieger, Frank und Droll genannt, stecken bei euch. Dazu ein Häuptlingssohn der Navajos und sein junger, weißer Freund, auch noch vier andre weiße Männer nebst ihren Frauen und Kindern. Will Ka Maku dies eingestehen?«

»Kein Mensch ist da, kein einziger,« lautete die Antwort. »Bin ich ein elender, räudiger Hund, daß ich so mit mir sprechen lassen muß?«

»Pshaw! Ich werde noch ganz anders mit dir sprechen! Werden die drei andern roten Krieger vielleicht zugeben, was ihr Häuptling so unklug ist, zu leugnen?«

Diese Frage war an die Begleiter Ka Makus gerichtet.

»Er hat die Wahrheit gesagt,« antwortete einer von ihnen. »Es gibt keinen Gefangenen bei uns.«

»Ganz, wie ihr wollt. Wir werden nach dem Pueblo gehen, um nachzuforschen, und damit ihr uns nicht hindern könnt, werden wir euch binden. Winnetou wird mit Ka Maku den Anfang machen.«

Der Apache zog seine Riemen aus der Tasche. Da sprang Ka Maku auf und schrie wütend:

»Mich fesseln? Da soll –«

Er kam nicht weiter, denn er erhielt von Old Shatterhand, der ebenso rasch aufgeschnellt war, einen solchen Fausthieb gegen die Schläfe, daß er augenblicklich zusammenbrach und besinnungslos liegen blieb. Das war der Hieb, dem der berühmte Westmann seinen Namen zu verdanken hatte. Er wendete sich drohend zu den andern dreien:

»Da seht ihr, was es nützt, uns zu widerstehen! Soll ich euch ebenso an die Köpfe schlagen? Haltet still, wenn ihr gefesselt werdet, sonst ergeht es euch grad ebenso wie diesem hier!«

Der zürnende Jäger, welcher mit einem Schlage seiner Hand einen starken Mann zu fällen vermochte, machte einen solchen Eindruck, daß die drei Indianer sich fesseln ließen, ohne daß sie zu widerstreben wagten; dann wurde auch Ka Maku an Händen und Füßen gebunden. Es handelte sich hier um Puebloindianer, die seßhaft waren, die einen guten Teil ihres ursprünglichen Charakters verloren hatten. Hätten sie zu einer herumschweifenden, wilden Truppe gehört, so wäre ihr Verhalten wahrscheinlich ein andres gewesen.

Um ihre Pferde am Entlaufen zu verhindern, wurden sie mit den langen Zügeln an die Erde gepflockt. Dann mußte dafür gesorgt werden, daß die Gefangenen nicht im stande waren, sich von der Stelle zu bewegen oder gar sich trotz der gefesselten Hände gegenseitig Hilfe zu leisten. Ein selbst an Händen und Füßen gebundener Mensch kann, indem er sich fortwälzt, zu entfliehen versuchen, und niemand kann, wenn er gut gefesselt ist, sich selbst befreien, aber doch die Banden seiner Mitgefangenen aufknoten. Darum wurden die Flinten der vier Indianer tief in den Sand gegraben, weit von einander entfernt und dann an jede einer von ihnen so festgebunden, daß er unmöglich loskommen konnte.

Während dies geschah, kehrte dem Häuptling die Besinnung zurück. Als er sah, in welch einer hilflosen Lage er sich befand, knirschte er mit den Zähnen. Old Shatterhand hörte es und sagte:

»Ka Maku trägt selbst die Schuld, daß er in dieser Weise behandelt wird. Ich ersuche ihn noch einmal, die Wahrheit zu gestehen. Wenn er mir verspricht, die Gefangenen herauszugeben und alles, was ihnen gehört, soll er losgebunden werden.«

Der Angeredete spuckte aus und antwortete nicht, für Old Shatterhand eine Beleidigung, welche diesem ein mitleidiges Lächeln entlockte. Nachdem noch einmal sorgfältig nachgesehen worden war, daß es den Gefangenen ganz unmöglich sei, durch eigne Anstrengung loszukommen, bestiegen die beiden Freunde ihre Pferde und ritten fort, dem Pueblo entgegen.

Ka Maku warf ihnen haßerfüllte Blicke nach und sagte sich:

»Diese beiden Hunde waren meine Freunde, sind aber nun meine Feinde geworden. Sie irren sich. Sie glauben, die gefangenen Bleichgesichter befreien zu können, werden aber selbst ergriffen werden, da es ihnen nicht gelingen kann, unsren Wächter zu täuschen. Sie sind zwar Meister des Anschleichens, aber ein Pueblo kann nicht beschlichen werden. Auf keinen Fall werden wir hier lange liegen, denn wenn wir nicht bald zurückkehren, wird man Boten aussenden, welche uns suchen und bald finden werden.«

Darin täuschte sich Ka Maku freilich. Es fiel seinen Leuten gar nicht ein, nach ihm und seinen drei Gefährten wie nach verlorenen Kindern zu suchen. Daß sie nicht zurückkehrten, beunruhigte niemanden. Die Verfolgung der windesschnellen Antilope kann den Jäger weit, weit fortführen, und bricht darüber die Nacht herein, so kann er leicht Gründe haben, die Heimkehr auf den nächsten Morgen zu verschieben.

Da das Pueblo an der Südseite des Felsenberges lag, konnte es nur von dieser Seite her beobachtet werden, und weil Old Shatterhand und Winnetou von Norden, also aus der entgegengesetzten Richtung kamen, mußten sie einen Bogen reiten, wenn sie ihren Zweck erreichen wollten. Dabei waren sie zur allergrößten Vorsicht gezwungen, da zu jedem Augenblicke in ihrem Gesichtskreise ein Indianer erscheinen und sie ebenso gut sehen konnte, wie sie ihn.

 

Eben war die Sonne hinter dem Horizonte verschwunden, als sie den Berg und an seinem steilen Hange das Pueblo liegen sahen. Sie näherten sich demselben nicht ganz bis auf Augensichtweite; dann hielten sie ihre Pferde an, und Old Shatterhand zog sein Fernrohr hervor. Nachdem er einige Zeit durch dasselbe geblickt hatte, gab er es Winnetou. Dieser setzte es nach einer kurzen Weile ab und sagte:

»Die Gefangenen haben die Hände gerührt, hat mein Bruder das Loch gesehen, welches sich in der Mauer der zweiten Etage befindet?«

»Ja,« antwortete Old Shatterhand. »Sie haben es durchgebrochen, können aber nicht heraus, weil es bewacht wird. Vielleicht haben sie auch versucht, durch die Decke zu gelangen.«

»Das kann ihnen ebensowenig gelingen, denn auch da stehen die Wächter.«

»Jedenfalls werden, wenn es dunkel ist, Feuer angebrannt; das ist uns außerordentlich hinderlich. Wollen aber zunächst zufrieden sein, daß wir jetzt das Loch gesehen haben, denn nun wissen wir, unter welcher Terrasse die Gefangenen stecken. Unten lehnt eine Leiter an, jedenfalls für den Häuptling, wenn er zurückkehrt, Wie prächtig wäre es, wenn sie nicht emporgezogen würde!«

Sie stiegen ab und setzten sich nieder, um die Dunkelheit zu erwarten. Als dieselbe hereingebrochen war, sahen sie auf dem Pueblo einige Feuer aufflammen. Nun pflockten sie ihre Pferde an und schritten langsam dem Orte entgegen, an welchem es heut ein wahres Meisterstück auszuführen gab. Diese einzelnen zwei Männer wollten es, ob durch List oder Gewalt, mit der ganzen zahlreichen Besatzung des Pueblo aufnehmen!

Eigentlich war es für dieses kühne Unternehmen noch zu früh, und es wäre weit besser gewesen, wenn sie noch einige Stunden hätten warten können, bis die Indianer, welche jetzt noch alle wach waren, sich zur Ruhe gelegt hatten. Dann hätte es nur einige Wachen gegeben, welche zu überwältigen waren. Aber es gab verschiedene sehr triftige Gründe, die Ausführung des Vorhabens trotzdem nicht aufzuschieben. Erstens war zu bedenken, daß doch immerhin ein Umstand eintreten konnte, durch welchen der gefangene Häuptling mit seinen Begleitern befreit wurde. Es konnte einer seiner Leute unterwegs sein und ihn finden. Kam Ka Maku los und in das Pueblo, so war die Befreiung der in demselben eingeschlossenen Leute fast unmöglich. Zweitens konnte man nicht wissen, in welcher Lage sich diese Personen befanden und was ihnen drohte; eine Verzögerung konnte ihnen leicht verhängnisvoll werden. Und drittens fühlten die Roten über die verzögerte Rückkehr ihres Häuptlings jetzt noch keine Besorgnis; wahrscheinlich trat dies erst am morgenden Tage ein; aber es war auch möglich, daß man schon im Verlaufe des Abends sein Fortbleiben auffällig fand. In diesem Falle schickte man wohl Boten nach ihm aus und wartete auf die Rückkehr derselben. Das gab dann einen Zustand der Aufregung, der allgemeinen Wachsamkeit, welcher das Gelingen von Old Shatterhands und Winnetous Vorhaben vereiteln mußte. Darum war es auf alle Fälle besser, schon jetzt an die Ausführung desselben zu gehen.

Als sich diese beiden dem Pueblo weit genug genähert hatten, sagte Winnetou:

»Mein Bruder mag rechts gehen, und ich gehe links. In der Mitte, da wo die Leiter lag, treffen wir zusammen.«

Old Shatterhand verstand ihn; sie wollten erst das vor dem Pueblo liegende Terrain absuchen, ob dasselbe vielleicht bewacht werde oder überhaupt jemand von den Roten sich außerhalb der Niederlassung befand. Old Shatterhand folgte der Aufforderung seines Freundes und fand nichts, was ihm hätte auffallen können. Als er mit ihm zusammentraf, zeigte es sich, daß die Leiter, welche sie hatten liegen sehen, hinaufgezogen worden war.

»Uff!« sagte der Apache leise. »Sie ist fort. Kein andrer könnte hinauf.«

»Ja, kein andrer,« nickte Old Shatterhand. »Uns aber soll dies nicht abhalten, das unterste Dach zu erreichen. Vor allen Dingen aber müssen wir wissen, wie die Feinde sich verteilt haben, wo sie sich befinden.«

»Es brennen zwei Feuer.«

»Richtig. Das sind die Wachtfeuer. Eins auf der Terrasse, unter welcher die Gefangenen stecken, und eins auf der darunterliegenden Etage, um das Loch zu erleuchten, durch welches sie sich haben retten wollen. Dort stehen Posten, die ich gezählt habe: oben drei und unten drei. Wo aber sind die andern Indianer?«

»Im Innern der Stockwerke. Hat mein Bruder nicht gesehen, daß dort Licht ist?«

»Ja; die Eingangslöcher stehen offen, und der Lichtschein schlägt von innen heraus. Darnach zu urteilen, würden die Roten mit ihren Squaws und Kindern die oberen Etagen bewohnen, während die beiden unteren unbewohnt sind und wahrscheinlich zur Aufnahme der Vorräte dienen.«

»Mein Bruder hat recht geraten. Ich war vor einigen Jahren hier und habe mir das Innere des Pueblo angesehen.«

»Hm! Die damalige Anordnung kann verändert worden sein. Wir müssen vorsichtig verfahren. Es ist ein schöner Abend heut und wir dürfen getrost annehmen, daß nicht alle Indianer sich in den Wohnungen befinden; sehr wahrscheinlich liegen auch welche, ohne daß wir sie sehen können, auf den platten Dächern im Freien.«

»Wollen wir uns dadurch abhalten lassen?«

»Nein.«

»So stell dich auf die Mauer, damit ich auf deine Schultern steige!«

Old Shatterhand folgte dieser Aufforderung und der Apache schwang sich ihm auf die Achseln. Als er von da aus die Kante der untersten Plattform mit den Händen nicht erreichen konnte, flüsterte er dem Gefährten zu.

»Strecke die beiden Arme hoch, damit ich dir auf die Hände steigen kann!«

Old Shatterhand that dies und hielt den Häuptling mit solcher Leichtigkeit empor, als ob derselbe ein Kind von wenigen Jahren wäre.

»Es geht noch nicht,« sagte der Apache.

»Wieviel fehlt noch?« fragte Old Shatterhand.

»Drei Hände breit.«

»Schadet nichts. Deine Finger sind wie von Eisen. Wenn sie die Kante erreichen, wirst du dich festhalten, obgleich dies kein andrer vermöchte. Dann helfe ich mit meinem langen Bärentöter nach. Ich zähle bis drei und werfe dich in die Höhe; paß auf und greif schnell zu! Eins – zwei – drei —!«

Bei drei gab er dem Apachen einen kräftigen Schwung nach oben; dieser erreichte die Kante mit den Händen und hielt sich dort mit denselben wie mit eisernen Klammern fest. Schnell nahm Old Shatterhand seinen langen Bärentöter zur Hand und hielt ihn empor, um mit demselben einen Fuß Winnetous zu stützen. Dieser fand dadurch einen festen Punkt und schwang sich, da Old Shatterhand mit dem Gewehre kräftig nachschob, auf die Terrasse, wo er zunächst ganz still und unbeweglich liegen blieb, um zu lauschen, ob sich vielleicht jemand in der Nähe befinde, der ihn bemerkt habe oder sehen könne. Er lag eng zusammengekrümmt und sprungbereit, um sich sofort wie ein Panther auf denselben zu schnellen und ihn mit einem Griffe nach der Gurgel unfähig zu machen, einen Warnungsruf auszustoßen. Seine scharfen Augen überblickten die ganze Länge der Terrasse – es befand sich außer ihm kein Mensch auf derselben. Unweit von sich sah er das offene, viereckige Eingangsloch, welches hinab in das Erdgeschoß führte, und hart neben ihm lag die Leiter, welche heraufgezogen worden war.

Zunächst kroch er mit unhörbaren, schlangengleichen Bewegungen nach dem Loche und horchte hinab. Es führte eine Leiter hinunter und es war dunkel unten. Nichts regte sich; es schien niemand unten zu sein. Nun kroch er zur Leiter zurück und ließ sie zu Old Shatterhand hinab, so daß sie wieder, wie am Tage, an der Mauer lehnte und der Genannte heraufsteigen konnte. Als dieser Winnetou erreichte, legte er sich neben demselben nieder und fragte:

»Ist jemand unter uns?«

Daß jemand oben bei ihnen auf der Etage sei, das fragte er gar nicht, denn er sah gleich beim ersten Blicke, daß sie sich allein befanden.

»Ich habe nichts gehört,« antwortete Winnetou.

»Ziehen wir die Leiter wieder herauf?«

»Nein.«

»Richtig! Es könnte der Fall sein, daß wir fliehen müssen, und dann brauchen wir sie. Nun aber auf die nächste Etage.«

Zu derselben führte eine Leiter hinauf, weil nur die unterste weggenommen worden war. Aber diese Leiter durften sie nicht benutzen, denn sie lehnte an der Mitte der Etage, wo das unterste Feuer brannte, an dem die drei Wächter saßen, welche auf das von den Gefangenen durch die Mauer gebrochene Loch aufzupassen hatten. Von diesen hätten sie sofort bemerkt werden müssen, wenn sie auf dieser Leiter emporgestiegen wären.

Die Plattform über ihnen war vielleicht vier Schritte breit und achtzig Schritte lang. Das Feuer, welches in der Mitte brannte, war nach indianischer Weise nur klein und konnte also seinen Schein nicht bis an die Endpunkte der Terrasse werfen; dort war es also dunkel und dort mußten die beiden Befreier hinauf, entweder nach der rechten oder nach der linken Ecke des platten Daches. Sie entschlossen sich für das erstere, und zwar infolge eines Umstandes, der zwar sehr geringfügig, ihnen aber von großem Vorteile war. Andre Leute hätten diesen Umstand wohl gar nicht beachtet; diesen beiden erfahrenen und scharfsinnigen Leuten aber mußte alles, selbst das Geringste, zur Erreichung ihrer Zwecke und Absichten dienen.

Nämlich die drei indianischen Wächter saßen so an dem Feuer, daß zwei von ihnen ihre Gesichter dem Loche, welches sie zu bewachen hatten, zukehrten; der dritte kauerte links davon, so daß er den Lichtschein auf sich nahm und einen langen, dunklen Schatten nach dieser Seite der Plattform warf. Dieser Schatten ermöglichte es, sich ihnen zu nähern, ohne sofort bemerkt zu werden.

Sie zogen also die Leiter, weiche von der ersten Etage hinunter in das Erdgeschoß führte, hinauf und trugen sie nach dem linksseitigen Ende der Etage. Dies mußte mit außerordentlicher Vorsicht geschehen. Dort angekommen, legten sie sie an die Mauer der zweiten Etage und stiegen hinauf. Oben angelangt, blieben sie eine Zeitlang ebenso vorsichtig wie vorher liegen, um diese Plattform zu überblicken.

»Die Wächter sind allein.« flüsterte der Apache.

»Ja, und das ist gut,« meinte sein weißer Freund. »Dennoch ist die Sache außerordentlich schwer. Es gibt hier keine Deckung, weder Busch noch Baum, hinter welchen man sich verbergen könnte.«

»Aber Schatten!«

»Well! Doch das ist nicht hinreichend. Wir können höchstens bis auf zwanzig Schritte an sie heran, und wenn der Bursche, der den Schatten bildet, sich bewegt, so fällt das Licht auf uns und sie müssen uns noch viel eher bemerken.«

»Wir werden ihre Aufmerksamkeit nach der andern Seite richten.«

»Womit? Mit kleinen Steinchen?«

»Ja.«

»Schön! Wenn sie dumm genug sind, werden sie sich dadurch irre machen lassen. Dann aber heißt es, die zwanzig Schritte in zwei Augenblicken zurückzulegen. Ich schlage den, welcher uns den Rücken kehrt, sofort nieder; du nimmst den nächsten und ich den dritten.«

»Aber ja ohne das geringste Geräusch!« warnte Winnetou.

»Natürlich, denn sonst werden die drei Wächter auf der nächsten Etage aufmerksam. Selbst wenn uns das Anschleichen gelingt, braucht es nur einem dieser Roten einzufallen, von da oben herabzuschauen, so sieht er uns, und wir sind verraten. Was würden wir in diesem Falle thun?«

»Die drei hier niederschlagen und dann rasch hinauf zu den andern drei. Sind diese unschädlich gemacht, so besitzen wir den Eingang zu denen, die wir befreien wollen.«

»Aber es würde laut hergehen und das ganze Pueblo käme in Alarm.«

»Winnetou und Old Shatterhand würden sich trotzdem nicht fürchten. Wir löschten die Feuer aus und würden nicht gesehen; da könnte man nicht auf uns schießen.«

»Gut! Also jetzt Steinchen her!«

Es war von großem Vorteile für sie, daß Old Shatterhand diese Frage aufgeworfen hatte und sie zu einer Verständigung über dieselbe gekommen waren, denn es trat später wirklich der Umstand ein, daß sie gesehen wurden, und da konnten sie sofort im Einvernehmen handeln, ohne vorher die kostbare Zeit durch Fragen zu verlieren. Sie griffen auf der Plattform mit den Händen nach Steinchen umher und fanden schnell so viele, wie sie brauchten. Dann legten sie sich lang auf den Boden nieder und krochen auf die drei Wächter zu. Old Shatterhand hatte sehr genau taxiert: als sie noch ungefähr zwanzig Schritte von denselben entfernt waren, mußten sie anhalten. Winnetou erhob sich ein wenig und warf ein Steinchen über sie hinweg, so daß es jenseits von ihnen niederfiel. Das dadurch entstehende Geräusch wurde, so gering es war, von ihnen bemerkt, und sie wendeten ihre Gesichter nach rechts, um zu lauschen.

»Es gelingt,« flüsterte Old Shatterhand. »Sie sind dumm genug, ihre Aufmerksamkeit von dieser unsrer Seite abzuwenden.«

 

Winnetou warf noch einige Steinchen, was zur Folge hatte, daß die drei Wächter ein lebendes Wesen, vielleicht gar ein feindliches, rechts von sich vermuteten und scharf nach dorthin lauschten.

»Jetzt!« sagte Old Shatterhand leise.

Sie erhoben sich. Fünf, sechs weite, aber ganz leise und fast unhörbare Sprünge, und sie standen bei den dreien. Die Faust des starken weißen Jägers fuhr dem ersten so gegen den Kopf, daß er lautlos niedersank; im nächsten Augenblicke hatten sie den zweiten und dritten bei den Kehlen. Ein fester Druck, einige Hiebe an die Schläfen und auch diese waren besinnungslos. Sie wurden schnell gefesselt und bekamen Knebel zwischen die Zähne.

»Das ist geglückt!« flüsterte Old Shatterhand. »Nun schnell die Leiter an das Loch, unter welchem die Gefangenen stecken. Ich will mit ihnen reden; während dessen mag mein Bruder Winnetou die nächste Etage nicht aus den Augen lassen. Es könnte einer der dortigen Wächter an der Kante des Daches erscheinen.«

Er zog nun die Leiter, welche sie vorhin vermieden hatten, als sie sich auf der unteren Plattform befanden, herauf, lehnte sie neben dem Loche an die Mauer und stieg hinauf. Den Kopf in dieses Loch steckend, rief er hinein, aber so, daß nur die innen Befindlichen es hören konnten:

»Sam Hawkens, Dick Stone und Will Parker! Ist einer von euch da?«

Er lauschte und hörte drin eine Stimme:

»Horcht! Da draußen sprach jemand! Es ist ein Mensch am Loche.«

»Wahrscheinlich einer der roten Halunken!« meinte ein andrer. » Gebt ihm eine Kugel!«

»Unsinn!« fiel schnell ein dritter ein. »Ein Indianer wagt es nicht, seinen Schädel so schön herzuhalten, daß wir ihm das Lebenslicht ausblasen können, wenn ich mich nicht irre. Es muß ein andrer sein, einer, der uns retten will, vielleicht gar Old Shatterhand oder Winnetou. Macht mir Platz! Ich will an das Loch.«

Aus der Redensart »wenn ich mich nicht irre«, erkannte Old Shatterhand, wer der Sprecher war; darum fragte er:

»Sam Hawkens, seid Ihr da?«

»Will’s meinen,« antwortete es von innen. »Wer seid denn Ihr?«

»Old Shatterhand.«

»Heigh-day! Ist’s wahr?«

»Yes. Wollen euch herausholen.«

»Wollen? Die Mehrzahl? Also seid Ihr nicht allein?«

»Nein. Winnetou ist mit.«

»Noch jemand?«

»Wir sind allein.«

»Thank you! Haben mit großen Schmerzen auf Euch gewartet. Aber, Sir, seid Ihr denn auch wirklich Old Shatterhand? Oder heißt Ihr vielleicht Mr. Grinley, der Oelprinz?«

»Müßt mich doch an der Stimme erkennen, alter Sam!«

»Stimme hin und Stimme her! In diesem Loche klingt, zumal Ihr leise redet, eine Stimme wie die andre. Es wäre eine nette Geschichte, wenn wir Euch trauten und nachher hätte sich Old Shatterhand in den Oelprinzen verwandelt. So ein dummes Coon bin ich nicht. Gebt mir einen Beweis!«

»Welchen?«

»Habt Ihr Euern Henrystutzen bei Euch?«

»Ja.«

»So langt ihn einmal herein, damit ich ihn befühlen kann.«

»Hier ist er. Aber gebt ihn schnell wieder heraus, denn ich kann ihn jeden Augenblick gebrauchen müssen.«

Er schob das Gewehr ins Loch; es dauerte nur wenige Sekunden, so wurde es ihm zurückgegeben und Sam sagte:

»Es hat seine Richtigkeit; Ihr seid es, Sir. Gott sei Dank, daß Ihr kommt! Wir können nicht hinaus. Zwar ist Rettung möglich; aber es würde dabei einen heißen Kampf geben und wir möchten nicht Blut vergießen. Wie wollt Ihr uns herausbringen?«

»Könnt ihr nicht nach oben?«

»Nein; das Loch ist zu.«

»Habt ihr keine Leiter?«

»Die Schufte haben sie hinaufgezogen.«

»Und Waffen?«

»Die haben wir; man konnte sie uns nicht abnehmen. Werde Euch später erzählen, wie wir in diese himmelblaue Tinte geraten sind.«

»Müßt es freilich sehr geistreich angefangen haben; ist ein wahres Meisterstück von Leuten wie ihr seid! Wer ist alles drin?«

»Gute Bekannte von Euch: Ich, Stone, Parker, Droll, der Hobble-Frank und so weiter.«

»Auch Kinder?«

»Leider!«

»Well! So paßt genau auf, was ich Euch sage! Erst schiebt Ihr uns die Kinder heraus; aber sie dürfen keinen Laut von sich geben. Dann folgen die Damen, die hoffentlich auch still sind. Hierauf kommen diejenigen, welche den Westen nicht kennen und wenig Erfahrung besitzen. Es ist geraten, alle diese zuerst ins Freie zu bringen, damit sie schon heraus sind, wenn wir vielleicht entdeckt werden. Hier saßen drei Wächter, die wir überwältigt haben, Ueber euch sind auch drei, die uns leicht überraschen können. Wenn dies geschehen sollte, so muß ich schnell eingreifen: ich steig’ hinauf und schlage sie nieder. Gelingt mir dies, so öffne ich euch das Loch und gebe euch eine Leiter herab, an welcher diejenigen, die sich noch drin befinden, schnell zu mir hinaufsteigen und mich unterstützen können. Also, die Erfahrenen von euch bleiben bis zuletzt drin. Habt Ihr alles verstanden?«

»Alles.«

»So macht los! Ich warte hier, um zunächst die Kinder in Empfang zu nehmen.«

In kurzer Zeit erschien ein Knabe im Loche. Old Shatterhand zog ihn heraus und langte ihn Winnetou zu, welcher ihn ergriff und dicht an die Mauer stellte. So wurde es mit allen Kindern und dann auch mit den Frauen gemacht. Das war eine schwere Arbeit, bei welcher Old Shatterhand, auf der Leiter stehend, alle seine Kräfte anstrengen mußte. Als es bis hierher geglückt war und Sam Hawkens ihm meldete, daß nun die Männer, zunächst die deutschen Auswanderer, folgen würden, antwortete er:

»Die bedürfen, um die Leiter zu erreichen, meiner Hilfe nicht. Ich werde mich also entfernen, um die drei über euch befindlichen Wächter in die Augen zu nehmen.«

Er stieg zu Winnetou nieder, warf diesem einige leise, erklärende Worte zu und huschte dicht an der Mauer nach der linken Seite hin, wo die Leiter lag, an welcher sie auf diese Plattform gestiegen waren. Er zog sie herauf und lehnte sie an die nächste Etage, um da hinaufzusteigen.

Oben angekommen und das von dem Feuer erleuchtete Terrain musternd, sah er die großen Steine, welche auf den Deckel gelegt worden waren und diesen festhielten, so daß die Gefangenen nicht herausgekonnt hatten. Daneben lag die Leiter, welche von den Indianern, ehe sie den Deckel zuwarfen, emporgezogen worden war. Eine zweite Leiter führte zur nächsten Plattform empor. Die Wächter saßen so, daß zwei von ihnen ihm den Rücken zukehrten.

Old Shatterhand war auf dieses Dach gestiegen, um im Falle einer Entdeckung sofort bei der Hand zu sein. Im Falle es aber den Gefangenen bis auf den letzten Mann gelang, ins Freie zu kommen, wollte er hinabsteigen, ohne sich sehen zu lassen. So lag er still und wartete. Er rechnete nach, welche Zeit eine Person brauchte, um durch das Loch zu kriechen, und wie viele also schon heraus sein konnten. Eben sagte er sich, daß nun wohl schon der sechste an der Reihe sein werde, da ertönte eine schrille Frauenstimme laut durch die Nacht:

»Herrjesses, Kantor, schtürzen Sie doch nich off mich!«

Sofort sprangen die drei Wächter auf, traten an den Rand der Plattform und blickten hinab. Sie sahen die befreiten Weißen; sie sahen auch den Apachen, der hoch aufgerichtet am Feuer stand. Sie erkannten ihn, und einer von ihnen rief, so daß es über das ganze Pueblo schallte:

»Akhane, akhane, arku Winnetou, nonton, schis inteh!«

Diese Worte heißen zu deutsch: »Herbei, herbei; Winnetou, der Häuptling der Apachen ist da!«

Kaum war dieser Ruf erschollen, so ertönte es hinter ihnen ebensolaut:

»Und hier steht Old Shatterhand, um die Gefangenen zu befreien. Winnetou, nimm die beiden Burschen in Empfang!«

Der weiße Jäger war zu gleicher Zeit mit den Wächtern auf- und auf diese zugesprungen. Während er die angegebenen Worte rief, schlug er einen von ihnen nieder und stieß die beiden andern über die Kante der Plattform, an welcher sie standen, hinab, wo sie von den Untenstehenden in Empfang genommen wurden. Dann warf er zunächst die Leiter um, welche zur nächst höheren Etage führte, damit kein Roter von oben herunter könne. Hierauf wälzte er die zentnerschweren Steine von dem Deckel und nahm diesen weg; dann ließ er die Leiter in das Loch und rief in dasselbe hinab: