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Der Oelprinz

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»Ihr braucht keine Sorge zu haben, Sir. Ihr werdet die Anweisung zurückerhalten.«

»Wirklich?« fragte Rollins erfreut. »Auf welche Weise?«

»Durch mich.«

»Durch Euch? Wollt Ihr sie ihm etwa abnehmen?«

»Ja.«

»Wie wollt Ihr denn an ihn kommen? Ihr wißt doch, daß er sich in den Händen der Nijoras befindet.«

»Ich bin ein Navajo; die Nijoras sind jetzt unsre Feinde; sie haben acht Navajokrieger gefangen genommen, deren Bruder ich bin; ich habe die Pflicht, alles zu versuchen, diese Gefangenen zu befreien. Da gerät auch der Oelprinz in meine Hand. Ich nehme ihm die Anweisung ab und gebe sie Euch.«

Der Bankier sah den jungen Indianer, welcher mit einer solchen Bestimmtheit und Sicherheit sprach, erstaunt an und fragte ihn:

»Die Navajos wollt Ihr befreien, mein kleiner Sir? Wißt Ihr denn die Zahl der Nijoras?«

»Es sind nur dreißig.«

»Nur?! Und Ihr, Ihr allein wollt es mit ihnen aufnehmen?«

»Ich fürchte mich nicht vor ihnen. Uebrigens werde ich gar nicht allein sein. Ich suche die Krieger meines Stammes auf.«

»Wißt Ihr denn, wo diese sich befinden?«

»Sie sind hier. Es gibt acht Navajospäher; daraus ist zu schließen, daß unsre Krieger nicht fern von hier zu suchen sind.«

»Aber ehe Ihr sie findet, vergeht die Zeit und die Nijoras werden indessen entkommen!«

»Die entkommen nicht, « fiel da Old Shatterhand ein. »Wir sind ja hier. Was sagt mein Bruder Winnetou zu meinem Entschlusse?«

Er hatte diesen Entschluß noch mit keinem Worte bezeichnet, dennoch antwortete der Apache, ihn erratend, sofort:

»Er ist gut. Wir werden den Nijoras folgen, die Navajos befreien und dem Oelprinzen den Zettel abnehmen.«

»Danke Euch, danke Euch!« rief Rollins jubelnd aus. »Wenn Ihr dies sagt, so ist es gewiß, daß ich die Anweisung zurückerhalte und also mein Geld rette. Aber wann brechen wir auf? Natürlich sofort, meine Herren?«

»Sobald wie möglich,« antwortete Old Shatterhand. »Erst wollen wir uns diese Höhle auch einmal ansehen, und dann wird Winnetou mich nach der Stelle im Walde führen, wo die Nijoras mit ihren Gefangenen gelagert haben.«

Nun erst wurde das Innere der Höhle untersucht. Sie war keine künstlich hergestellte, sondern eine natürliche, ausgewaschen durch die vom Hochwalde durch den Felsen sickernde Feuchtigkeit, welche von hier aus ihren Abfluß in den See gefunden hatte. Daher der Sand und Steingrus, welcher in einem schmalen Streifen von der Höhle aus nach dem »finstern Wasser« führte. Man fand vierzig leere Petroleumfässer, einige Hacken und ein Beil, weiter nichts. Zwei der Fässer wurden zerschlagen; ihre Trümmer sollten mitgenommen werden, weil sie ein vorzügliches Feuermaterial lieferten, falls man in eine Gegend kam, wo kein Holz zu finden war.

Dann gingen Winnetou und Old Shatterhand fort, um die Lagerstätte der Nijoras zu untersuchen. Die andern lagerten sich in das Gras, um auf die Rückkehr dieser beiden zu warten. Sie bildeten da verschiedene kleine Gruppen, so wie die einzelnen sich gerade zusammenfanden. Bei allen war das Thema des Gespräches eines und dasselbe: die Erlebnisse der letzten Tage und daß man die Rettung aller nur Old Shatterhand und Winnetou zu verdanken hätte. Das Lob dieser beiden Männer floß von allen Lippen.

Besonders wußte der Hobble-Frank von ihnen zu erzählen. Er saß bei den deutschen Auswanderern und erzählte in seiner drastischen Weise einige Episoden aus seinem Zusammenleben mit Old Shatterhand und Winnetou. Der Kantor hörte mit großer Aufmerksamkeit zu und benützte eine Pause, welche Frank machte, zu der Bemerkung:

»Das ist es, was ich brauche! Solche Thaten will ich auf die Bühne bringen; die geben den Effekt, welchen ich beabsichtige! Aber es gibt eine Schwierigkeit dabei, die zu überwinden Sie mir vielleicht helfen können, Herr Franke.«

»Was für eene is das denn? Ich liebe nämlich grad die Schwierigkeeten. Für so was Leichtes kann ich mich nich gut kondensieren. Was aber schwer is, was Mühe macht und Anschtrengung kostet, das is zu jeder Zeit mein Lieblingsfach gewesen. Darum habe ich es schtets mehr mit den geistig offwärtsschtrebenden, als mit den körperlich abwärtsgerichteten Wissenschaften und Künsten gehalten. Also wenden Sie sich getrost an mich, Herr Kantor emeriticus! Ich bin der richtige Mann und Held für Sie. Was meenen Sie für eene Schwierigkeet? Ich werde sie mit der größten Leichtigkeet und Kohäsion beseitigen.«

»Hm! Haben Sie vielleicht einmal Old Shatterhand oder Winnetou singen hören?«

»Singen? Nee!«

»Aber diese beiden Männer können doch singen? Oder meinen Sie nicht?«

»Ob sie singen können! Was das für eene indigoflammierte Frage is! Schämen Sie sich denn nich, so was zu denken oder gar so alluvialisch auszuschprechen? Ich sage Ihnen, diese zwee beeden Männer könnes alles, mag es heeßen, wie es will, also ooch singen.«

»Werden Sie nur nicht so grob, Herr Franke! Ich habe es ja nicht bös gemeint. Was denken Sie, würde Old Shatterhand vielleicht einmal singen, wenn ich ihn darum bäte?«

»Hm!« brummte Frank, indem er ein zweifelndes Gesicht machte.

»Und Winnetou?«

»Der off alle Fälle nich. Er is in allen Sachen groß, und so bin ich überzeugt, daß er ooch een ganz bedeutender Sänger und Koloraturierer is; aber wenn ich offen schprechen soll, so kann ich ihn mir gar nich singend vorschtellen.«

»Wirklich nicht?«

»Nee. Denken Sie sich doch ‘mal diesen berühmten Häuptling mit geschpreizten Beenen und weit offgeschnapptem Munde im Konzertsaale schtehend und die schkandinavische Arie singend: “Guter Mond, du gehst so schtille hinter Nachbars Birnboom hin!” Können Sie ihn sich off diese Weise ausmalen?«

»Was Sie da sagen, ist nicht ganz ohne. Aber die Indianer singen doch jedenfalls auch!«

»Natürlich. Ich habe schon verschiedene singen hören.«

»Wie klang es denn? Was sangen sie? War es einstimmig oder mehrstimmig? Es ist mir sehr wichtig, das von Ihnen zu erfahren.«

»Hören Sie, das is nu wieder so eene epileptische Frage! Wenn eener singt, so is es doch allemal eenschtimmig. Oder denken Sie etwas, daß een eenzelner Mann achtschtimmig singen kann? Und wenn zwölfe singen, so is es zwölfschtimmig; das muß doch jeder Schangdarm einsehen. Wie es geklungen hat, wollen Sie wissen? Na, nich ganz so wie bei den großen Komponisten Mozart, Galvani und Correggio. Es is nich leicht, es zu beschreiben. Denken Sie sich eenen großen Schmiedeblasebalg, in welchem een Eisbär, een Truthahn und drei junge Schweine schtecken; fangen Sie an, den Balg zu ziehen und zu drücken, dann werden Sie wahrscheinlich etwas zu hören bekommen, was grad so klingt wie eene echte, indianische Zivilschtandsoperette. Haben Sie mich verschtanden?«

»Jawohl. Ihr Beispiel ist ja deutlich genug.«

»Na, was wollen Sie denn mit Old Shatterhand und Winnetou? Warum sollen diese singen?«

»Weil ich wissen möchte, was für Stimmen sie haben.«

»Gute Schtimmen natürlich, sehr schöne Schtimmen sogar. Denn das Gegenteel davon zu denken, das wäre eene Beleidigung für sie.«

»Ob gut oder nicht, das meine ich nicht. Ich wollte wissen, ob sie Tenor, Bariton oder Baß singen.«

»Müssen Sie das denn so notwendig wissen?«

»Ja. Sie sollen doch die Haupthelden meiner Oper sein; also muß ich ihre Stimmlage wissen.«

»Unsinn! Ihre Schtimmlage! Die Schtimme liegt allemal in der Kehle. Wo soll sie denn sonst liegen? Ich habe noch keenen Menschen gesehen, der mit dem Magen oder mit den Ellbogen gesungen hat. Das sollten Sie doch wissen, wenn Sie eene zwölfaktige Oper komprimieren wollen. Und ooch das muß ich an Ihnen rügen, daß Sie das vorher wissen wollen. Das is doch gar nich notwendig. Old Shatterhand und Winnetou sollen offtreten und singen; gut; warten Sie das eenfach ab, so werden Sie gleich hören, ob sie Tenor, Baß oder Bariton singen. Es is doch gar nich notwendig, sich schon vorher darum zu kümmern.«

»Sie irren sich! Ich habe doch das, was gesungen werden soll, vorher zu komponieren!«

»Natürlich! Das is ja Ihre Schuldigkeet als Komponist.«

»Also muß ich doch wissen, ob ich den Gesang in den Baß oder den Tenor legen soll.«

»Legen Sie ihn in die Partitur; da gehört er hin! Der Kapellmeester wird ihn nachher finden, wenn er sich off Musik verschteht, was ich doch hoffen will.«

»Aber,« erklärte der Kantor eifrig, »eben bevor ich an der Partitur arbeite, muß ich doch wissen, in welcher Stimmlage – —«

»So lassen Sie mich doch mit Ihrer Schtimmlage in Ruhe!« unterbrach ihn Frank, zornig werdend. »Ich habe doch schon gesagt, daß die in der Gurgel liegt! Sie besitzen doch ooch so eene Art von Menschenverschtand; also is es doch eegentlich gar nich notwendig, daß Sie sich das zweemal sagen lassen. Merken Sie sich das, daß die wahre Weisheet nie wiederholt zu werden braucht!«

Der Kantor öffnete den Mund zu einer Gegenrede; darum fuhr Frank sehr schnell fort.

»Schweigen Sie! Lassen Sie mich ausschprechen! Der Rat, den ich Ihnen gebe, is ausgezeichnet und wird Ihnen sehr viel Zeit, Sorge und Arbeit erschparen. Komprimieren Sie immer Ihre Heldenoper; um Baß oder Tenor brauchen Sie sich dabei gar nich zu kümmern, denn wenn der Vorhang offgezogen wird und die Darschteller zu singen anfangen, wird es sich ganz von selber zeigen, ob sie für den Tenor geeignet, oder zum Kontrabaß geboren worden sind. Es muß doch jedenfalls nur den Sängern ihre Sache sein, ob sie hoch oder niedrig singen wollen.

Ich wenigstens ließe mir keenen Tenor vorschreiben, wenn ich eenen Violonbaß in der Gurgel hätte. Das können Sie mir glooben. Ich bin der richtige Mann, der das beurteelen kann, denn als ich damals in Moritzburg als Forschtgehilfe differierte, bin ich Mitglied des dortigen Gesangvereins gewesen und habe sogar den Vertrauensposten animiert, allemal nach der Uebungsschtunde die Notenbücher und den Taktschtock einzuschließen, was doch ‘was zu bedeuten hat.«

 

Hobble-Frank wäre in seiner eifrigen Rede gern fortgefahren; aber da kehrten Winnetou und Old Shatterhand zurück, und der letztere gebot den Lagernden, sich zum Aufbruche zu rüsten; er teilte den Westmännern mit:

»Wir sind den Spuren der Nijoras eine Strecke weit gefolgt. Sie scheinen nach dem Chellyflusse zu wollen, was uns sehr lieb sein muß, da derselbe auch in unsrer Richtung liegt.«

Als dann alle aufgestiegen waren, setzte sich der Trupp in Bewegung. Den Eingang der Höhle wieder zuzuschütten, hätte keinen Zweck gehabt; man ließ sie offen.

Nachdem man die Schlucht passiert hatte, lenkte Winnetou, welcher an der Spitze ritt, nach dem Walde, in welchem die Nijoras die Nacht zugebracht hatten. Man kam auf ihre Fährte; sie führte zur Höhe empor und dann jenseits in ein langes Thal hinab, welches auf eine ebene Savanne mündete, welche eine solche Ausdehnung besaß, daß man ihre Grenzen nicht sehen konnte. Die Spur der Indianer führte in schnurgerader Richtung in diese Ebene hinein.

Hier brauchte man nicht besorgt zu sein, unerwartet auf Feinde zu treffen, denn es wäre jede Annäherung schon von weitem zu bemerken gewesen. Darum duldeten es die beiden Führer, daß ihre Gefährten sich ganz nach ihrem Belieben bewegten und sich laut miteinander unterhielten.

Der Kantor war durch die Auskunft, um welche er den Hobble-Frank gebeten hatte, nicht befriedigt worden; darum machte er sich an die Seite desselben und fragte:

»Herr Franke, würden Sie mir einen Gefallen erweisen?«

»Warum denn nich? Aber was für eenen denn?«

»Ich habe bemerkt, daß Sie bei Old Shatterhand gut stehen. Ihnen erfüllt er vielleicht den Wunsch, mit welchem er mich abweisen würde.«

»So? Wenn Sie das denken, da haben Sie das Richtige getroffen. Ich erfreue mich der ganz besondern Freundschaft und Egalität dieses berühmten Mannes.«

»Dann ersuchen Sie ihn doch einmal, ein Lied zu singen, und wenn es auch nur eine einzige Strophe wäre! Wollen Sie das?«

»Nee, lieber Freund, ich will nich!«

»Nicht? Warum nicht?«

»Ich will ihn bitten, sich bei eenem Grizzlybären schlafen zu legen oder eenen wilden Büffel bei den Hörnern anzufassen; das würde er thun, denn er is der Mann dazu. Aber singen? Nee, das kann ich ihm nich zumuten; da würde er mich schön heimleuchten, hörnse ‘mal. Versuchen Sie es selber; ich will mir da die Finger nich verbrennen. Uebrigens, Sie reden nur immer von der Musik Ihrer Oper, aber nich von dem Texte dazu. Haben Sie den schon?«

»Nein.«

»Na, da is aber keene Zeit zu verlieren. Wenden Sie sich schleunigst an eenen Dichter, der das nötige Talent besitzt!«

»Ich gedenke selbst den Text fertig zu bringen.«

»So? Sie selber?« fragte Frank, indem er ihn mit einem kurzen Seitenblicke maß. &”Haben Sie denn die Wissenschaft vom richtigen Verschmaße schtudiert? Können Sie die Helden, welche Sie aus den Kulissen schieben wollen, in die eenzelnen Zeilen und Wörter zerlegen, daß sie sich ooch richtig reimen?«

»Ich hoffe es. Uebrigens würde ich hier vergeblich nach einem Dichter suchen.«

»So? I der tausend! Sie denken also wohl, es is keener da?«

»Ja.«

»Hören Sie, da geben Sie sich eener optischen Täuschung hin, die ich Ihnen kurieren muß. Es is nämlich een Dichter unter uns.«

»Wirklich?«

»Ja. Und was für eener!«

»Wer denn?«

»Das erraten Sie nich?«

»Nein.«

»Hm, Sie können mir leid thun! Sie brauchen ihn bloß anzublicken, um ihm sofort anzusehen, daß er eene höchst seltene dichterische Formation im Kopfe trägt. Seine geistig edlen und melodisch delikaten Gesichtszüge beweisen das.«

Der Kantor ließ seinen Blick prüfend von einem Reiter zum andern schweifen und erkundigte sich dann:

»Wen meinen Sie denn?«

Da wies Frank mit dem Zeigefinger auf sich selbst und ließ mit bedeutender Wucht das eine kleine Wörtchen hören.

»Mich.«

»Ah, sich selbst meinen Sie? Sie können dichten?«

»Und aber wie!«

»Unglaublich!«

»Ach was, unglooblich! Ich kann alles! Das müssen Sie doch nu endlich bald bemerken! Sagen Sie mir een Wort, so mache ich sofort zwanzig Reime droff! In höchstens zwee oder drei Schtunden dichte ich Ihnen eenen Operntext zusammen, der sich gewaschen hat. Ich beherrsche meine Mutterschprache in eener so konsumierten Weise, daß die Reime nur so nach allen Seiten fliegen. Wenn Sie daran zweifeln, gebe ich Ihnen die Erloobnis, mich zu prüfen.«

»Sie zu prüfen? Das würden Sie mir übel nehmen.«

»Fällt mir gar nich ein! Wie kann der Löwe oder der Adler dem Schperling etwas übel nehmen! Ich bin überhaupt nich übelnehmisch, wie sich bei meinem edlen Charakterbild von selber verschteht. Also schtellen Sie mir eene Offgabe; sagen Sie mir getrost, was ich dichten soll. Es fällt mir gar nich ein, Sie deshalb tot zu beißen.«

»Nun wohl, machen wir einen Versuch. Denken Sie sich den ersten Akt meiner Oper. Der Vorhang rollt auf; man erblickt einen großen Urwald; in der Mitte desselben liegt Winnetou am Boden und bewegt sich leise fort, um einen Feind zu beschleichen. Was würden Sie ihn dabei singen lassen?«

»Singen? Gar nischt natürlich!«

»Nichts? Warum? Er muß doch etwas singen. Wenn der Vorhang aufgeht, will das Publikum doch etwas hören!«

»Da wäre dieses Publikum schöne dumm! Winnetou – eenen Feind beschleichen – und dazu singen! Sehen Sie denn nich ein, daß der Feind das hören und also ausreißen würde?«

»Ja, hier im wilden Westen, Aber wir reden doch von der Bühne. Er muß singen, unbedingt singen!«

»Na, wenn er wirklich muß, wenn es so unbedingt notwendig is, daß er seine Schtimme erschallen läßt, so mag er also meinetwegen singen.«

»Aber welche Worte? Das Publikum kennt ihn noch nicht; sein Gesang muß also sagen, wer er ist.«

»Schön! Bin schon fertig. Er kriecht also an der Erde hin und singt dazu:

Ich bin der große Winnetou, In Amerika geboren, Habe Oogen, aber nu! Rechts und links zwee scharfe Ohren, Krieche off dem Bauch im Grase, Rieche alles mit der Nase.«

Als er diese Reime deklamiert hatte, richtete er auf den Kantor einen triumphierenden Blick, als ob er nun die höchste Anerkennung erwarte. Als der Emeritus aber schwieg, fragte er:

»Na, was sagen Sie dazu? Sind Sie erschtaunt oder nich?«

»Nicht,« gestand der Gefragte.

»Nich? Ich hoffe doch, daß Sie das, was Sie gehört haben, hochachtungsvoll zu schätzen wissen? Geben Sie Ihr Urteil ab!«

»Ich würde Sie kränken!«

»Nee. Es gibt keen Geschöpf unter mir, welches mich kränken könnte. Ich schwebe geistreich oben drüber!«

»Gut, so sollen Sie erfahren, daß Sie Knüttelverse gemacht haben. Daß Winnetou in Amerika geboren ist, daß er Augen hat, daß er alles mit der Nase, nicht aber mit den Ohren riecht, daß diese letzteren sich links und rechts an seinem Kopfe befinden, daß er nicht auf dem Rücken, sondern auf dem Bauche kriecht – – das ist ja so selbstverständlich, daß man es gar nicht zu sagen und noch viel weniger zu singen braucht. Also bitte, machen Sie einen andern Reim!«

Als der Hobble dieses Urteil hörte, wurden seine Augen immer größer, seine Brauen stiegen empor; er räusperte sich, als ob er glaube, nicht richtig gehört zu haben, öffnete dann den Mund und brach los —

»Was sagen Sie da? Was haben Sie geschprochen? Was für Zeug hätte ich gemacht? Knüttelversche meenen Sie?«

»Ja; so pflegt man solche Verse zu nennen, Herr Franke,« antwortete der Kantor unbefangen.

»Knüttelversche, Knüttelversche! Hat man schon jemals so ‘was gehört! Ich, der berühmte Prairiejäger, Westmann und Hobble-Frank habe Knüttelversche gemacht! Da hört denn doch alles und verschiedenes off! Das hat mir noch keen Mensch gesagt, keen eenziger Mensch! Erscht fordern Sie mich off, zu sagen, wer Winnetou is und was er will, und als ich es dann sage, sagen Sie, es wäre überflüssig gewesen, das zu sagen! Ich aber sage Ihnen, daß Sie sich sagen mögen, daß Sie selber überflüssig sind, een ganz überflüssiger Mensch! Warum sind Sie nich mehr im Amte? Weil Sie überflüssig sind, een abgeschiedener und vorübergeschwundener Emeritikus. Ich aber befinde mich noch mitten in meinem Berufe als Prairiejäger, als Mitarbeiter des berühmten Schtuttgarter “Guten Kameraden” also als anerkannter Litterat und permutierter Operndichter. Schteigen Sie also vom Pferde und lösen Sie mir die Riemen meiner Schuhe off, Sie unglücklicher Harfenist und zwölf Akte langer Pauken, – Saiten- und Triangelschpieler! Ich sollte Ihnen eegentlich eene Schtrafrede halten, off griechisch eene Philippine genannt, daß Ihnen alle Ohren wackeln, halte dies aber tief unter meiner kalcinierten Würde und Behendigkeet. Darum will ich schweigen und wortlos den Schtaub von meinen Füßen bürschten, was so viel zu bedeuten hat, daß ich Ihnen meine Freundschaft und Identität offkündige, Ihnen den legierten Reichstagsabschied gebe und mich fernerhin nur in solchen Regionen bewegen werde, wo der Luftballon meines Gedankenfluges von Ihrem Ooge weder erreicht noch akklimatisiert werden kann. Leben Sie also wohl für das gegenwärtige irdische Dasein! Ich wohne für Sie von jetzt an im Lande der seligen Geister und olympischen Schpielkameraden, an die Sie nie nich herankommen können!«

Er gab seinem Pferde die Sporen und galoppierte davon, in die Savanne hinein.

»Halt, Frank, wo willste hin?« rief Droll ihm nach.

»Ueber euern geistigen Horizont hinaus,« antwortete er zurück.

»Da halte dich nur fest und fall’drüben nich über den Horizont hinab!«

Der kleine, zornige Kerl wäre wohl noch weiter fortgeritten, wenn ihm nicht Old Shatterhand befehlend zugerufen hätte, zurückzukehren. Er gehorchte und machte sich an Drolls Seite.

»Was war denn los?« fragte dieser. »Du machst ja een ganz rabiates Gesicht. Hast du dich wieder ‘mal geärgert?«

»Schweig! Empöre dich nich gegen meine Nachsicht und renitente Duldsamkeet! Ich bin off eene Weise verkannt worden, daß mir alle meine Haare ins Gebirge schteigen.«

»Von wem?«

»Vom frühern Kantorei- und Orgelschpieler.«

»Er hat dich beleidigt?«

»Im höchsten Grade nach Reaumur, Pestalozzi, Gall und Fahrenheit!«

»Womit?«

»Das brauchst du nich zu wissen. Bekümmere dich um deine eegne Häuslichkeet und laß mich und meine inkapabeln Schtaatsbürgerrechte ungeschoren!«

Droll lachte leise vor sich hin und schwieg. Er sah ein, daß es am besten sei, den Hobble seinem Zorne, der immer bald zu verrauchen pflegte, ruhig zu überlassen.

Die Savanne, auf welcher sie ritten, nahm kein Ende, oder vielmehr die Ebene; denn wenn man unter Savanne ein Grasland versteht, so hatte man sie schon nach einer Stunde hinter sich; das Gras und mit ihm jede andre Vegetation war verschwunden, und der Boden bestand meist aus hartem Fels, auf welchem kein Gewächs zu leben vermochte. Man befand sich auf dem Plateau des Koloradoflusses, welches an diesem und seinen Nebenflüssen in steile Schluchten und Canons abfällt.

Hier mußte man sehr scharfe Augen besitzen, wenn man die Spur der Nijoras nicht verlieren wollte. Es war wirklich außerordentlich und wurde von den übrigen auch bewundert, mit welcher Sicherheit Winnetou, der an der Spitze ritt, Zeichen fand und deutete, welche keiner der übrigen Reiter, Old Shatterhand natürlich ausgenommen, zu entdecken vermochte.

Um die Mitte des Tages wurde der Frauen und Kinder wegen Halt gemacht. Man gönnte ihnen eine Ruhe von zwei Stunden; dann ging es wieder vorwärts, bis gegen Abend der Apache anhielt und wieder von dem Pferde stieg. Old Shatterhand that dasselbe.

»Warum hier halten?« fragte Sam Hawkens. »Wollen wir an dieser öden Stelle, die sich gar nicht dazu eignet, die Nacht verbringen?«

»Nein,« antwortete der Apache. »Die Vorsicht gebietet uns, hier zu warten, bis es dunkel ist.«

»Warum?«

»Weil wir nur noch eine halbe Stunde bis zum Chelly zu reiten haben. Dort gibt es Wald, in welchem die Nijoras wahrscheinlich kampieren werden. Da die Gegend eben ist, würden sie uns kommen sehen und sich verstecken, um uns zu überfallen. Darum müssen wir warten, bis es Nacht geworden ist und sie uns nicht bemerken können.«

»Aber dann können wir auch sie nicht sehen!«

»Wir werden sie finden, wenn nicht heut, so morgen ganz gewiß.«

Die andern stiegen nun auch ab und lagerten sich im Kreise. Am nördlichen Horizonte sah man einige Geier schweben. Sie zogen sehr enge Kreise. Old Shatterhand machte auf diese Vögel aufmerksam und sagte:

»Wo Geier sind, gibt es entweder Aas oder sonstiges Futter. Sie fliegen nicht fort, sondern bleiben an derselben Stelle; es gibt also dort Beute für sie. Ich vermute, daß die Nijoras dort ihr Lager haben.«

»Mein weißer Bruder hat es erraten,« stimmte Winnetou bei. »Diese Vögel zeigen uns den Weg. Wir werden das Lager noch heut beschleichen.«

 

»Müssen dabei aber sehr vorsichtig sein. Diese dreißig Nijoras haben den weiten Weg von dem Gloomy-water bis zum Chelly in einer Tour zurückgelegt. Wenn Kundschafter dies thun, weiß man, was es zu bedeuten hat: Sie sind dahin zurückgekehrt, von wo sie ausgegangen sind. Ich vermute also, daß dort am Chelly alle Krieger des Nijorastammes versammelt sind, um den Zug gegen die Navajos zu beginnen.«

»Dann wären ihnen die Gefangenen abgeliefert worden,« meinte Hawkens, »und es wäre nun doppelt schwer und gefährlich, sie zu befreien.«

»Sie werden frei,« sagte Winnetou in seiner bestimmten Weise; »nur darf auf unsrer Seite keine Unvorsichtigkeit vorkommen.«

Als es soweit war, daß man nach einer Viertelstunde die Dämmerung erwarten konnte, wurde weiter geritten. Noch ehe es zu dunkeln begann, sah man, daß der Horizont sich im Norden wie ein schwarzer Strich abzeichnete.

»Das ist der Wald des Chellyflusses,« erklärte Old Shatterhand. »Bleibt hier halten! Ich werde allein weiterreiten, bis ich ihn durch mein Fernrohr absuchen kann. Ein einzelner Reiter kann von dort aus nicht so leicht bemerkt werden wie ein ganzer Trupp.«

Er trabte fort und hielt dann an. Man sah, daß er sein Rohr nach dem Walde richtete. Dann kehrte er zurück und sagte.

»Ihr müßt wissen, daß der Chellyfluß jetzt Wasser hat. Er fließt da, wohin wir wollen, in einem tiefen Thale. Die steilen Seiten desselben tragen Wald; da aber die verdunstende Feuchtigkeit nur in dem Thale, nicht über dasselbe hinaus zu wirken vermag, reicht dieser Wald nur bis zum Rande des Thales herauf, nicht aber in die Ebene hinein. Er bildet oben einen sehr schmalen Saum, den ich mit meinem Fernrohre ab- gesucht habe. Wenn die Nijoras da oben lagerten, hätte ich sie sehen müssen. Sie werden sich also unten in der Tiefe, am Flusse, befinden. Reiten wir also vorwärts!«

Die Dämmerung ist in jenen Gegenden sehr kurz; es wurde schnell dunkel, und nun konnte man sicher sein, vom Rande des Flußthales aus nicht gesehen zu werden. Nur eine kleine Viertelstunde später hörte man an den Huftritten der Pferde, daß der Boden grasig geworden war, und gleich darauf erreichte man den Saum des Waldes. Hier wurde angehalten und abgestiegen.

Ein Feuer anzubrennen, davon konnte keine Rede sein. Man mußte der Nähe der Indianer wegen im Dunkeln und zugleich so fern von ihnen bleiben, daß, falls vielleicht ein Pferd wieherte, sie dies nicht hören konnten. Dazu war natürlich notwendig, zu wissen, an welcher Stelle sie sich befanden. Old Shatterhand und Winnetou waren überzeugt, gar nicht fern von der Gegend zu sein, über welcher die Geier geschwebt hatten; die Indianer mußten also ziemlich nahe sein. Die beiden Genannten gingen fort, um zu rekognoszieren. Sie drangen in den Wald ein, und es verging weit über eine halbe Stunde, ehe einer von ihnen, nämlich Old Shatterhand, zurückkehrte.

»Wir befinden uns gerade an der richtigen Stelle; es ist wirklich zu loben, mit welchem Scharfsinne der Apache uns geleitet hat. Der Rand des Waldes ist hier kaum dreißig Schritte breit; dann steigt er in das Thal hinab. Wir sind ziemlich weit hinuntergestiegen, was bei dieser Dunkelheit keine leichte Sache war, und sahen dann Feuer; wir zählten drei, doch ist es möglich, daß noch mehrere brennen, welche wir nicht sehen konnten. Aus dieser Zahl der Feuer ist zu schließen, daß sich nicht nur die dreißig Kundschafter, sondern alle Kriegsmannschaften der Nijoras da unten befinden. Wir werden, wenn wir den Gefangenen loshelfen wollen, einen schweren Stand haben.«

»Und wo ist Winnetou?« fragte Sam.

»Ich kehrte zurück, um euch Bericht zu erstatten. Wenn wir beide länger fortblieben, konntet ihr euch leicht beunruhigen. Der Apache ist vollends hinunter, um sich genau umzusehen. Ich denke, daß wir ihn vor Verlauf einer Stunde nicht zurückerwarten können. Das Terrain ist sehr schwierig, und ein Lager zu umschleichen, in welchem so viele Feuer brennen, das erfordert große Behutsamkeit und lange Zeit.«

Es zeigte sich, daß er noch zu wenig gesagt hatte, denn es vergingen fast zwei volle Stunden, bis der Apache sich wieder sehen ließ. Er setzte sich zu Old Shatterhand nieder und sagte:

»Winnetou hat außer den drei Feuern noch zwei weitere gesehen; es sind also fünf, an denen wohl über dreihundert Nijoras lagern.«

»Also ganz, wie wir dachten. Wer ist der Anführer? Hast du ihn entdeckt?«

»Ja. Es ist Mokaschi, den du auch kennst.«

»Der “Büffel”, ein Krieger, den ich achte. Wenn wir als Freunde kämen, würde er uns gewiß nicht feindlich empfangen.«

»Da wir die Gefangenen befreien wollen, sind wir seine Feinde und dürfen uns nicht vor ihm und seinen Leuten sehen lassen. Mein Auge hat die Gefangenen erblickt.«

»Alle?«

»Ja, acht Navajos und die drei Bleichgesichter. Sie liegen an einem der Feuer und sind von einem doppelten Kreise von Kriegern umgeben.«

»O wehe! Da ist es schwer, sie herauszuholen!«

».Es ist nicht nur schwer, sondern geradezu unmöglich. Wir können heut nichts thun, sondern müssen warten bis morgen.«

»Ich stimme meinem roten Bruder bei. Es wäre Tollheit, unser Leben zu wagen, wenn der Erfolg so außerordentlich unsicher ist.«

»Erlaubt mir, zu sagen, daß ich diesen Entschluß nicht begreife,« sprach Hawkens. »Meint ihr, daß wir morgen mehr erreichen werden als heut?«

»Gewiß.«

»Inwiefern? Die Aussichten werden da auch nicht besser sein als heut.«

»O doch.«

»Meint ihr? In welcher Weise könnte das sein?«

»Ihr habt doch mit uns die Ansicht, daß die Nijoras gegen die Navajos ziehen wollen?«

»Natürlich!«

»Glaubt Ihr, daß sie sich da mit den elf Gefangenen belästigen werden?«

»Hm! Es ist freilich nicht anzunehmen, daß sie diese mit sich schleppen werden.«

»Also! Sie lassen sie unter Bewachung zurück. Wir warten dies ab und haben dann viel leichteres Spiel als heut.«

»Das leuchtet mir freilich ein. Daran habe ich gar nicht gedacht, wenn ich mich nicht irre. Wenn man aber nur wüßte, wann sie fortreiten werden.«

»Ich vermute, morgen.«

»Das wäre gut. Wenn sie aber noch da bleiben, kommen wir in die Gefahr, von ihnen entdeckt zu werden.«

»Das müssen wir riskieren.«

»Freilich; aber das ist viel leichter gesagt als gethan. Es gibt hier oben kein Wasser. Die Pferde haben darunter weniger zu leiden, da sie Gras finden. Aber wir! Am Gloomy-water konnten wir nicht trinken, des Oeles wegen; heut hat es während des ganzen Rittes auch keinen Tropfen gegeben. Wenn wir auch morgen nicht trinken können, so wird es mir um die Ladies und um die Kinder bang; von uns selbst will ich da gar nicht sprechen.«

»O, von uns muß grad ooch geschprochen werden, « fiel da der Hobble-Frank ein. »Wir sind einstweilen noch keene unschterblichen Seelen, sondern Menschen, deren Schterblichkeet een erwiesenes Faktotum is. jedes schterbliche Wesen aber muß Wasser haben, und ich geschtehe der Wahrheet gemäß ein, ich habe eenen solchen Durscht, daß ich für een paar Schlucke Wasser oder een Glas Lagerbier gern drei Mark bezahlen würde.«

Da konnte sich der Kantor nicht enthalten, ihm in bedauerndem Tone zu versichern:

»Das thut mir außerordentlich leid, Herr Franke. Wenn ich Wasser hätte, würde ich es gern mit Ihnen teilen.«

Er war ein sehr gutmütiger Mensch und er bereute es schon seit langem, den Hobble-Frank heut geärgert zu haben. Diesem aber, der nicht weniger gutmütig war, erging es ebenso. Er sagte sich im stillen, daß er eigentlich doch wohl zu grob gegen den Kantor gewesen sei; er war also versöhnlich gestimmt, hielt es aber nicht für seiner Würde gemäß, dies merken zu lassen, und antwortete also auf die Versicherung des Emeritus:

»Wissen Sie denn, ob ich es von Ihnen annehmen würde?«

»Ich hoffe es!«

»Hoffen Sie das nich! So groß mein Durscht is, mein Charakter is noch viel größer. Wenn Sie mir das ganze Weltmeer hierher brächten, ich rührte doch keenen Tropfen an. Wissen Sie, mit den “Knüttelverschen” haben Sie sich ihren besten Freund vor den Kopp geschtoßen. Das is een sehr schwerer Verlust für Sie, und Sie können die feste, pekuniäre Ueberzeugung haben, daß ich Ihnen für Ihr ganzes Leben unersetzlich bleiben werde. Es is traurig für Sie, aber wahr, und ich kann Ihnen beim besten Willen nich helfen.«