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Der Oelprinz

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Das ging dem Kantor so nahe, daß er den Gedanken daran nicht wieder los wurde. Er konnte, als gegessen worden war und man sich zur Ruhe gelegt hatte, nicht einschlafen. Er fragte sich, auf welche Weise es möglich sei, Frank zu versöhnen, und da kam ihm eine Idee, die er für ganz vorzüglich hielt, obgleich er auf eine unklugere gar nicht hätte kommen können. Frank hatte über Durst geklagt und drei Mark für ein paar Schlucke Wasser zahlen wollen. Wie nun, wenn er ihm den Durst stillte? Das mußte ihn doch sicher rühren, zumal das Herbeischaffen des Wassers nicht nur schwierig, sondern auch wohl nicht ganz gefahrlos war. Unten im Thale war der Fluß, und er, der Kantor, hatte einen ledernen Trinkbecher. Aber es war jedenfalls verboten, da hinabzusteigen. Wenn er es thun wollte, mußte es heimlich geschehen. Er richtete sich halb auf und lauschte, Sie schliefen alle außer Dick Stone, welcher jetzt die Wache hatte; er befand sich in diesem Augenblicke bei den Pferden.

Der Emeritus hatte den Sattel als Kopfkissen unter sich liegen. In der Satteltasche steckte der Becher. Er nahm denselben heraus und kroch leise fort, zwischen die Bäume hinein. Was er beabsichtigte, that er aus zwei Gründen, nämlich Franks wegen und sodann weil er selbst auch einmal »ein Held des Westens« sein wollte. Der Gedanke, da hinunter zu den Feinden zu steigen und Wasser heraufzuholen, mutete ihn stolz an. Wie würde man sich wundern, wenn er ihn glücklich ausführte. Glücklich? Konnte er überhaupt unglücklich sein? Gewiß nicht, wenn er nur die nötige Vorsicht beobachtete.

Er kroch also weiter und weiter, bis er dachte, daß Dick Stone ihn nun weder mehr hören noch sehen könne. Da erhob er sich und tastete sich fort. Da ging der ebene Boden zu Ende; der Wald senkte sich in das Thal hinab. Nun begannen erst die Schwierigkeiten. Er drehte sich um und begann hinabzuklettern, verkehrt, auf allen Vieren, mit den vorsichtig tastenden Füßen voran. Das ging langsam, außerordentlich langsam. Er konnte erst dann einen Fuß weitersetzen, wenn er vorher mit dem andern den Boden untersucht hatte. Es gab scharfe Steine und dornige Ranken, an denen er sich die Hände verletzte. Er achtete nicht darauf. Je weiter er kam, desto mehr wuchs seine Begierde, das Unternehmen zu Ende zu bringen. Zuweilen verlor er den Halt unter den Füßen und rutschte streckenweit hinab. Das geschah natürlich nicht ohne Geräusch; er aber hörte vor lauter Eifer das Rollen der losgetretenen Steine und das Knicken und Knacken der brechenden Zweige gar nicht.

Jetzt sah der Emeritus die Lagerfeuer leuchten; er glaubte, das Spiel bereits gewonnen zu haben, und hastete weiter und weiter. Er kam den Feuern immer näher und näher. Er sah nicht, daß man dort aufmerksam wurde, daß fünf oder sechs Indianer, welche das Geräusch hörten, aufsprangen und ihm entgegenhuschten. Sie blieben dann stehen und warteten. Er atmete so laut, daß sie es ganz deutlich hören konnten.

»Uff!« flüsterte einer von ihnen. »Das ist kein Tier, sondern ein Mensch!«

»Ob mehrere?« fragte ein andrer.

»Nein, nur einer. Ergreifen wir ihn, ohne ihn zu töten!«

Jetzt war er ganz nahe bei ihnen. Sie bückten sich

nieder, um ihn gegen die Feuer vor ihre Augen zu bekommen. Sie sahen ihn; sie überzeugten sich, daß er allein war, und streckten nun die Hände nach ihm aus. Als er sich so plötzlich ergriffen fühlte, erschrak er in der Weise, daß er keinen Laut hervorbrachte, obgleich er schreien wollte. Man rief ihm einige Worte zu, die er aber nicht verstand; desto besser aber verstand er die Sprache der Messer, deren Spitzen ihm, wie er fühlte, auf die Brust gesetzt wurden. Es fiel ihm gar nicht ein, sich zu wehren; er folgte, als er fortgezogen wurde, ohne allen Widerstand. Man kann sich denken, welches Aufsehen sein Erscheinen im Lager erregte; aber dieses Aufsehen war kein lärmendes. Ein Weißer hatte sich herbeigeschlichen und war ergriffen worden. Er konnte nicht allein hier in der Gegend sein; er mußte Gefährten bei sich haben, die sich in der Nähe befanden; man mußte also jeden Lärm vermeiden.

Es hatte sich sofort ein Kreis von Roten um ihn gebildet; keiner von ihnen sprach ein Wort. Bei ihm, in der Mitte dieses Kreises, stand Mokaschi, der Häuptling. Dieser that vor allen Dingen das, was ein jeder umsichtige Anführer thun mußte: er schickte einige Späher aus, welche die Umgebung des Lagers absuchen mußten. Dann fragte er den Gefangenen nach seinem Namen und seinen Absichten. Der Kantor verstand kein Wort und sagte, was er sagen zu müssen glaubte, in deutscher Sprache. Da meinte der Häuptling:

»Er kennt unsre Sprache nicht, und wir verstehen die seinige nicht. Wir wollen ihn den drei gefangenen Bleichgesichtern zeigen, vielleicht ist er ihnen bekannt.«

Der Kreis öffnete sich und der Emeritus wurde nach dem Feuer geführt, an welchem die Gefangenen lagerten. Als diese ihn erblickten, rief Poller überrascht aus.-

»Der deutsche Kantor! Der verrückte Kerl! Dieser hirnverbrannte Mensch muß aus dem Pueblo, wo er gefangen war, entkommen sein!«

Er hatte das in einem Gemisch von Englisch und Indianisch gesagt, welches der Kantor nicht verstand. Doch bemerkte dieser, daß die Worte ihm galten, er erkannte den einstigen Führer der Auswandererkarawane und sagte in deutscher Sprache, deren Poller mächtig war:

»Hallo! Das ist ja unser Wegweiser, der Dux, wie wir Komponisten sagen! Und gar mit gefesselten Extremitäten! Herr Poller, wie sind Sie denn in diese fatale Lage gekommen? Ich freue mich natürlich außerordentlich, Sie wiederzusehen.«

»Diese Kerls haben uns gefangen genommen,« antwortete der Gefragte, natürlich deutsch.

Da aber fiel der Häuptling schnell und in drohendem Tone ein:

»Ihr sollt nicht reden, was ich nicht verstehe! Wollt ihr etwa unsre Messer in die Leiber haben? Kennst du diesen Mann?«

»Ja.«

»Wer ist er?«

»Ein Mann aus Deutschland.«

»Deutschland? Ist dies das Land, in welchem Old Shatterhand geboren wurde?«

»Ja.«

»So ist er wohl auch ein berühmter Jäger?«

»Nein. Er versteht es nicht, eine Waffe zu führen. Er will Musik machen und singen. Er ist verrückt.«

Darauf hin betrachtete der Häuptling den Kantor mit viel weniger feindseligen Augen. Es gibt wilde Völkerschaften, welche die Wahnsinnigen nicht nur nicht bedauern oder gar verachten, sondern ihnen sogar Verehrung zollen. Sie sind der Ansicht, daß ein Geist, ein überirdisches Wesen von dem Irren Besitz ergriffen habe. Auch mehrere Stämme der Indianer huldigen dieser Anschauung und wagen es nicht, sich an einem Wahnsinnigen, selbst wenn er zu einem feindlichen Volke gehört, zu vergreifen. Darum erkundigte sich der Häuptling weiter:

»Weißt du es genau, daß dieser Mann nicht mehr bei seinen Sinnen ist?«

»Sehr genau,« antwortete Poller, welchem der Gedanke kam, daß er daraus vielleicht Vorteil ziehen könne. »Ich bin ja lange Zeit mit ihm und seinen Begleitern geritten.«

»Wer waren diese?«

»Auch Deutsche, welche herübergekommen sind, sich Land zu kaufen, welches den roten Männern gehört.«

»Das hat ihnen der böse Geist eingegeben; denn wenn sie Land kaufen, so wird es uns gestohlen, und nicht wir, sondern die Länderdiebe bekommen das Geld. Jeder, der in diese Gegend kommt, um Land zu kaufen, ist unser Feind. Will dieser Mann auch welches haben?«

»Nein. Er will die roten Männer und Helden kennen lernen und dann in sein Vaterland zurückkehren, um Lieder über sie zu singen.«

»So ist er uns ja gar nicht gefährlich. Ich werde ihm erlauben, zu singen, so viel er will. Wo aber sind seine Begleiter?«

»Ich weiß es nicht.«

»So frage ihn!«

»Das kann ich nicht.«

»Warum?«

»Weil du uns verboten hast, zu sprechen, was du nicht verstehst. Er redet nur die Sprache seines Landes; in dieser also müßte ich mit ihm reden, und dann bekäme ich, wie du gesagt hast, eure Messer in den Leib.«

»Wenn dies wahr ist, so mußt du freilich in seiner Sprache mit ihm reden; ich erlaube es dir.«

»Daran thust du wohl; denn ich vermute, daß du dann sehr wichtige Dinge durch mich erfahren wirst.«

»Welche Dinge?«

»Die Auswanderer, zu denen er gehört, sind nicht allein. Es sind berühmte Jäger bei ihnen, welche sich vielleicht hier in der Nähe befinden. Sie müssen da sein, denn ich könnte nicht begreifen, wie er, der nichts versteht und wahnsinnig ist, ganz allein hierherkommen könnte.«

»Uff! Berühmte Jäger! Meinst du etwa Bleichgesichter?«

»Ja.«

»Welche?«

»Sam Hawkens, Dick Stone, Will Parker, Droll, Hobble-Frank und vielleicht auch noch andre.«

»Uff, uff, uff! Das sind lauter berühmte Namen. Diese Männer sind zwar nie unsre Feinde gewesen, aber jetzt, wo der Tomahawk des Krieges ausgegraben ist, muß man zehnfach vorsichtig sein, Ich will wissen, wo sie sich befinden. Aber hüte dich, mir eine Lüge zu sagen! Sobald eine Unwahrheit aus deinem Munde kommt, seid ihr verloren.«

»Sorge nicht! Du hast uns feindlich behandelt; aber ich werde dir trotzdem beweisen, daß wir eure Freunde sind. Ich kann dir diesen Beweis sogar schon jetzt gleich liefern, indem ich dir sage, daß wir uns bemüht haben, diese weißen Krieger für euch unschädlich zu machen.«

»Wie könntet ihr dies angefangen haben?«

»Wir haben sie in das Pueblo des Häuptlings Ka Maku gelockt.«

»Uff! Ka Maku ist unser Bruder. Sind sie zu ihm gekommen?«

»Ja. Er hat sie alle gefangen genommen, die weißen Jäger, die Auswanderer und ihre Frauen und Kinder.«

»Auch diesen wahnsinnigen Mann hier?«

»Ja.«

»Und jetzt befindet er sich bei uns! Er kann den weiten Weg unmöglich allein gemacht haben. Ich muß wissen, welche Leute bei ihm sind und wo sich dieselben in diesem Augenblicke befinden.«

»Soll ich ihn fragen?«

»Ja. Doch hüte dich, mich betrügen zu wollen! Was du mir auch sagen magst, ich werde dir kein Wort eher glauben, als bis ich mich von der Wahrheit desselben überzeugt habe.«

 

Nun wendete sich Poller an den Kantor und forderte ihn auf zu erzählen.

Nach einigem Widerstreben berichtete dieser, ohne daran zu denken, wie Poller gehandelt hatte und daß er ihn als Feind zu betrachten habe. Der frühere Führer der Auswanderer hörte mit Staunen von Old Shatterhand und Winnetou. Die Erzählung des Emeritus wurde von dem Häuptling unterbrochen, welcher mißtrauisch war und das lange Zwiegespräch, von welchem er kein Wort verstand, nicht dulden wollte. Poller aber beruhigte ihn mit der Versicherung:

»Ich erfahre da Dinge, welche für dich sehr wichtig sind. Ich muß diesen Verrückten ausfragen, was lange Zeit erfordert, weil sein Verstand nicht mehr ganz bei ihm ist. Laß mich also nur sprechen; du wirst dann später sehen, daß ich jetzt als Freund von euch handle.«

Endlich war der Kantor mit seiner Erzählung fertig; Poller wußte alles und wendete sich an den Häuptling:

»Das Wichtigste sollst du gleich zuerst erfahren: Da oben auf der Höhe befinden sich die zwei berühmtesten Männer des wilden Westens. Wirst du erraten, wen ich meine?«

»Etwa Old Shatterhand?«

»Ja.«

»Und Winnetou, der Häuptling der Apachen?«

»Auch dieser.«

»Uff, uff! Du redest die Wahrheit?«

»Es ist so, wie ich sage. Sie sind gekommen, euch zu überfallen.«

»Da werden sie sterben müssen. Woher kommen sie, wo stecken sie, und wie viele Leute sind bei ihnen?«

Poller gab ihm genaue Auskunft, denn es fiel ihm gar nicht ein, den Häuptling zu belügen und irre zu führen. Er rechnete auf die Dankbarkeit der Roten. Die hervorragendsten Krieger derselben standen in der Nähe und hörten Pollers Worte. Als dieser mit seinen Mitteilungen zu Ende war, blickte der Häuptling eine Zeit lang sinnend vor sich nieder und sagte dann, zu den Indianern gewendet:

»Meine Brüder haben gehört, was dieses Bleichgesicht gesprochen hat. Aber die Zungen der Weißen haben zwei Spitzen, von denen die eine mit Trug und die andre mit Falschheit endet. Wir müssen uns überzeugen, ob unsre Ohren die Wahrheit oder die Lüge vernommen haben. Es mögen also Kundschafter, die ich jetzt auswählen werde, zur Höhe steigen.«

Er ging von Feuer zu Feuer, um die Krieger zu bezeichnen, welche er für befähigt hielt, Leute wie Winnetou und Old Shatterhand zu beschleichen; dann sah man diese, nur mit ihren Messern bewaffnet, sich vorsichtig entfernen. Hierauf kam der Häuptling zu Poller zurück und sagte, auf den Kantor zeigend:

»Da dieses Bleichgesicht von einem Geiste, welcher nichts verlangt, als singen zu dürfen, besessen ist, so soll ihm von uns nichts Böses geschehen. Er wird ungefesselt hin und her gehen können, wie es ihm beliebt; aber sobald es ihm einfallen sollte, zu entfliehen, bekommt er eine Kugel. Sag’ ihm das!«

Poller gehorchte natürlich. Als der Emeritus es hörte, sagte er in triumphierendem Tone:

»Sehen Sie, daß ich recht hatte? Für einen jünger der Kunst gibt es keine Gefahr; die Musen beschützen mich. Merken Sie sich, daß wir Komponisten keine gewöhnlichen Menschen sind!«

Poller ärgerte sich über dieses große Selbstbewußtsein und antwortete also:

»Von Ihren Musen kann hier keine Rede sein. Ja, Sie stehen unter einem besondern Schutze, aber unter einem ganz andern.«

»So? Unter welchem denn?«

»Unter dem der Verrücktheit.«

»Ver – – rückt – – heit?« dehnte der Musikbeflissene. »Darf ich fragen, wie Sie das meinen?«

»Warum nicht? Kein Indianer thut einem Wahnsinnigen etwas zu leide; darum können Sie hier fast ganz frei spazieren gehen.«

»Wahnsinnig? Spazieren gehen? Sie wollen doch nicht etwa sagen, daß – – —«

Er sah dabei Poller starr in das Gesicht.

»Ja, grad das will ich sagen,« nickte dieser.

»Daß – – daß ich für wahnsinnig gehalten werde?«

»Gewiß, ganz gewiß ist das der Fall!«

»Wie, was? Ist das möglich? Diese roten Leute halten mich für wahnsinnig!«

»Ja, für verrückt, für vollständig verrückt.«

»Aber warum denn, aus welchem Grunde denn?«

»Weil sie nicht begreifen können, daß ein vernünftiger Mensch über das Meer und nach dem wilden Westen gehen kann, nur um über die Leute, welche er da sieht, Musik zu machen.«

»Musik zu machen? Bitte sehr, Herr Poller; Sie bedienen sich da eines vollständig falschen Ausdruckes. “Musik macht” ein Bierfiedler oder Leierkastenmann; ich aber bin Komponist; ich werde eine Heldenoper von zwölf Akten komponieren, und Sie werden die Ehre haben, in derselben auch mit vorzukommen.«

»Danke sehr, und bitte, mich dabei auszulassen! Uebrigens haben die Indsmen gar nicht so sehr unrecht; denn wenn ich aufrichtig sein will, so muß ich Ihnen sagen, daß Sie allerdings einen Klapps zu haben scheinen, und zwar einen nicht sehr kleinen.«

»Wie? Meinen Sie das wirklich?«

»Ja; aber Sie brauchen es mir nicht übel zu nehmen, denn bei den Indianern ist es eine Ehre, für verrückt gehalten zu werden.«

»Danke für die Ehre; danke sehr! Lieber will ich doch wie Sie gefesselt an der Erde liegen, aber für einen vernünftigen Menschen gehalten werden. Sagen Sie das dem Häuptling!«

»Fällt mir nicht ein. Der Umstand, daß Sie sich frei bewegen dürfen, kann uns von außerordentlichem Nutzen sein. Mißbrauchen Sie ihn aber nicht und kommen Sie ja nicht auf den Gedanken, sich zu entfernen! Man würde Sie auf der Stelle töten.«

»Pah! Das fällt keinem Menschen ein. ich stehe unter dem Schutze der Kunst.«

»Lassen Sie doch, zum Kuckuck, Ihre Kunst aus dem Spiele! Denken Sie von sich meinetwegen, was Sie wollen; aber denken Sie dabei auch an diejenigen, denen Sie nützlich sein können! Sehen Sie, wie der Häuptling nach uns sieht, wie er uns beobachtet? Wir dürfen nicht zu viel miteinander reden, sonst schöpft er Verdacht. Passen Sie später ein wenig auf mich auf. Wenn ich Ihnen winke, so habe ich Ihnen etwas mitzuteilen. Da nähern Sie sich mir so unbefangen wie möglich, sehen mich gar nicht an und bleiben in meiner Nähe stehen, bis Sie gehört haben, was ich Ihnen mitteilen will. Es wird das von großem Nutzen für Ihre Freunde sein. Wollen Sie das?«

»Ganz gern, Herr Poller. Wir Jünger der Kunst leben zwar in höhern Regionen und gehören später der Nachwelt und der Geschichte an; aber ich bin keineswegs stolz darauf, und wenn ich im gewöhnlichen Leben einem Menschen nützlich sein kann, so weigere ich mich keinesfalls, von meiner Höhe herniederzusteigen.«

Poller wäre am liebsten recht grob geworden, hielt es aber für geraten, sich zu beherrschen und sagte:

»Man hat Sie entwaffnet; sehen Sie doch zu, heimlich, recht heimlich zu einem Messer zu kommen! Ich hoffe doch, daß Sie pfiffig genug sind, mir diesen Wunsch zu erfüllen?«

»Pfiffig? Na, und ob! Ein Komponist ohne Pfiffigkeit ist eine absolute Unmöglichkeit. Wozu aber wollen Sie denn das Messer haben?«

Diese Frage war nun freilich kein Beweis von Pfiffigkeit, das hätte Poller ihm gar zu gern gesagt; aber er befürchtete, ihn damit zu beleidigen und gab ihm also die Auskunft:

»Um mich und Ihre Gefährten zu befreien.«

»Die sind doch nicht gefangen!«

»Das weiß ich sehr wohl; aber man weiß doch nicht, was geschehen kann. Ich habe dem Häuptling vollständig falsch berichtet, dennoch kann der kleinste Zufall seine Späher auf die richtige Spur bringen. Dann ist es sehr leicht möglich, daß Ihre Freunde ergriffen werden,

wenn nicht etwas noch Schlimmeres geschieht. In diesem Falle würden sie nur dadurch zu retten sein, daß Sie mir heimlich ein Messer verschaffen. Ihnen zu erklären, wozu ich es haben will, dazu fehlt jetzt die Zeit. Wir dürfen nicht länger miteinander sprechen. Also wollen Sie?«

»Ja. Wenn ich meinen Freunden damit nutzen kann, soll es mir nicht darauf ankommen, einmal den Spitzbuben zu machen, indem ich den Roten ein Messer stehle.«

Poller hatte recht gehabt, denn der Häuptling stand jetzt von dem Platze, an welchem er saß, auf, und kam herbei, die beiden auseinander zu treiben. Doch wurde seine Aufmerksamkeit abgelenkt, weil eben jetzt die Kundschafter zurückkehrten. Sie meldeten ihm, daß sich alles genau so verhalte, wie Poller sagte.

»Das ist sein Glück!« meinte er. »Hätte er mich belogen, so wäre er noch in dieser Nacht getötet worden. Er hat die Bleichgesichter verraten und wird meinen, daß ich ihm dafür gnädig sein werde; da aber irrt er sich, denn ein Verräter ist schlimmer als der schlimmste Feind.«

Er ließ sich das, was die Späher erkundet hatten, auf das genaueste beschreiben und sagte dann:

»Wir werden sie im Schlafe überraschen und also wohl nicht mit ihnen zu kämpfen brauchen. Zwei Krieger von uns auf einen von ihnen, auf Winnetou aber drei und auf Old Shatterhand vier; drei auch für den Posten, welcher Wache hält, damit er schnell und sicher überwältigt wird. Wir nehmen nicht die Gewehre, sondern nur die Messer und Tomahawks mit und Riemen dazu, die Gefangenen zu binden. So große und berühmte Krieger tötet man nicht, denn es ist ein großer Ruhm für uns, sie gefangen zu den Unsrigen zu bringen, und eine noch viel größere Schande für sie, in unsre Hände gefallen zu sein, ohne gekämpft und eine Wunde erhalten zu haben.«

Er suchte sich die zuverlässigsten und stärksten seiner Leute aus und brach mit ihnen auf. Der Mond stand über dem Thale; sein bleicher, matter Schein drang aber nicht durch die Wipfel der Bäume, unter und zwischen denen die Schar der auserwählten Roten jetzt verschwand, um lautlos und in der vorsichtigsten Weise den Bergeshang hinaufzuklettern.

Oben herrschte die tiefste Ruhe. Schi-So hatte bis vor kurzem Wache gestanden und war von Droll abgelöst worden. Der letztere ging, um nach dem anstrengenden Ritte wach zu bleiben, leisen Schrittes und langsam hin und her. Die andern schliefen alle fest, außer dem Hobble-Frank. Dieser hatte einen aufregenden Traum, in welchem er sich mit dem Kantor zankte, und zwar in einer solchen Weise, daß er sich auf ihn stürzte, um ihn zu packen. Darüber wachte er auf. Er öffnete die Augen, sah den bleichen Mond über sich und war froh, daß der Streit nur ein Traum und keine Wirklichkeit gewesen war. Er drehte sich auf die andre Seite, um nach dem Emeritus zu sehen, welcher sich nicht weit von ihm niedergelassen hatte – – er war nicht

mehr da. Sollte er sein Lager nach einer andern Stelle verlegt haben? Das war unwahrscheinlich. Frank setzte sich auf und blickte umher; er sah ihn nicht. Er zählte die Schläfer; es fehlte einer. Da weckte der Hobble seinen Nachbar, was zufälligerweise Sam Hawkens war, und flüsterte ihm zu:

»Nimm’s nich übel, Sam, daß ich dich aus dem Schlafe kompensiere; ich sehe den Kantor nich. Wo mag er sein? Soll ich die andern wecken?«

Sam gähnte ein wenig und antwortete dann ebenso leise:

»Wecken? Nein, der Schlaf ist allen nötig. Da du mich nun doch geweckt hast und selbst auch munter bist, wollen wir die Sache allein abmachen. Der unvorsichtige Mann wird wieder mal eine Strecke fortgelaufen sein, um sich im stillen an seiner berühmten Oper zu zermartern. Komm, wollen ihn suchen!«

»In welcher Richtung?«

»Hier in den Wald und den Abhang hinunter, wo die Roten kampieren, hat er sich jedenfalls nicht gewagt.«

»Nee, er is jedenfalls da links in die Ebene hinausfiltriert, um den Mondschein aus der Despektive anzusingen. Nach dieser Seite wollen wir gehn. Nehmen wir die Gewehre mit? Brauchen werden wir sie schwerlich.«

»Brauchen oder nicht brauchen, ein Westmann läßt sein Gewehr nie liegen, ich nehme meine Liddy auf jeden Fall.«

Ehe sie sich entfernten, erkundigten sie sich bei Droll, welcher nun auch bemerkte, daß der Emeritus fehlte, und versicherte:

»Er muß schon fort sein, ehe ich meinen Posten angetreten habe; macht, daß ihr ihn findet, sonst kann’s leicht eene Dummheet geben.«

»Werden ihn schon bringen, wenn ich mich nicht irre,« nickte Sam. »Wenn wir einen Halbkreis gehen, müssen wir unbedingt auf seine Spur kommen. Der Mond scheint zwar nicht hell, aber ich denke, daß wir sie dennoch bemerken werden – soll ihm diesmal schlecht ergehen, wenn wir ihn erst haben.«

Hawkens und Frank gingen eine Strecke westwärts am Waldessaume hin, um dann ostwärts einen Halbkreis zurückzuschlagen, dessen Mittelpunkt das Lager war. Sie waren gezwungen, tief gebückt zu gehen, um die Spur erkennen zu können. Da sie den Gesuchten nicht sehen konnten, nahmen sie an, daß er sich ziemlich weit entfernt hatte.

Droll folgte ihnen mit seinen Blicken, bis er sie nicht mehr sah; er war besorgt wegen des unvorsichtigen Kantors und lenkte also unwillkürlich die Schärfe seiner Sinne in die Ebene hinaus und stand auch so, daß er derselben das Gesicht zukehrte. Daher sah er nicht, daß jetzt drei Indianer aus dem Waldessaume hervortraten und sich mit unhörbaren Schritten nach ihm hinbewegten. Plötzlich fühlte er zwei Hände an seinem Halse. Er wollte rufen, brachte aber nur ein kurzes Röcheln hervor; dann streckte ihn ein Hieb mit dem stumpfen Tomahawk besinnungslos zu Boden.

 

Sam Hawkens und der Hobble hatten wohl zwei Drittel ihres Weges zurückgelegt, ohne eine Spur des Gesuchten zu finden, da vernahmen sie plötzlich einen lauten Kriegsschrei von Winnetou, und nur einen Augenblick später erklang die Stimme Old Shatterhands:

»Wacht auf, der Feind ist – – —«

Weiter kam er nicht; die Worte endeten in einem Gurgeln, welches bis zu ihnen drang.

»Herrgott, nun sind wir überfallen worden! Schnell hin!« rief Frank und machte eine Drehung, um sich nach dem Lager zurückzuwenden. Da wurde er von Sam ergriffen und zurückgehalten.

»Bist du toll?« raunte ihm dieser mit unterdrückter Stimme zu. »Horch! Es ist schon vorbei. Wir können nichts mehr thun.«

Es ertönte jetzt ein vielstimmiges indianisches Siegesgeheul. Der Hobble-Frank versuchte, sich loszureißen und rief:

»Ich muß aber hin, ich muß! Wollen wir unsre Freunde abmurksen lassen, ohne ihnen beizuschtehen?«

»Leise, leise, du Unglücksrabe!« ermahnte Sam. »Ich sage dir, daß wir ihnen nur nützen können, wenn wir nicht hingehen. Es hat gar keinen Kampf gegeben; sie sind im Schlafe überfallen worden; das kann uns beruhigen.«

»Beruhigen? Bist du denn bei Troste und Verschtand? Daß unsre Kameraden überfallen worden sind, das soll uns beruhigen? Soll ich ihnen nich zu Hilfe kommen? Laß mich los, sonst kannst du eene Kugel durch deine Phrenologie kriegen!«

Er rang mit Sam; dieser hielt ihn aber fest und belehrte ihn:

»Bedenke den Mondschein! Die Feinde sehen uns doch kommen und schießen uns nieder, ehe wir für unsre Kameraden auch nur einen Finger rühren können. Es ist ihnen nichts geschehen, grad weil sie im Schlafe überrumpelt worden sind; sie liegen gefesselt dort bei einander, und wenn wir es klug anfangen, können wir sie wahrscheinlich retten.«

»Retten? Das läßt sich eher hören. Ich gebe mein Leben hin, sie wieder frei zu machen!«

»Das ist hoffentlich gar nicht notwendig. Jetzt freut es mich, daß du mich geweckt hast, um den Kantor zu suchen. Wäre dies nicht geschehen, so lägen wir auch mit bei den Gefährten, an Händen und Füßen gebunden. So aber sind wir frei, und wie ich den alten Sam Hawkens kenne, wird er nicht eher ruhen, als bis sie wieder losgekommen sind, wenn ich mich nicht irre, hihihihi!«

Der Hobble war noch nicht überzeugt. Er befand sich in großer Aufregung und stand, nach dem Lager hinhorchend, mit vorgebeugtem Oberkörper da, wie bereit, augenblicklich fortzurennen. Darum hielt Hawkens ihn noch immer fest und redete auf ihn ein, bis Frank sich endlich beruhigte. Sam zog ihn dann mit sich fort. Am Walde angekommen, schlichen sie im Dunkel desselben längs des Randes hin; aber sie waren noch nicht weit gekommen, so blieben sie stehen, denn es erscholl ein sehr lauter Ruf.

»Ustah arku etente – kommt herauf, ihr Männer!«

»Halt, wir müssen stehen bleiben,« flüsterte Hawkens. »Die Leute, welche der Häuptling ruft, werden da am Abhang heraufkommen, und wir stoßen mit ihnen zusammen, wenn wir weitergehen. Horch!«

Die Stimme des Anführers war bis hinab in das Thal gedrungen. Bald hörte man das Rollen von Steinen, das Brechen und Knacken von Zweigen und das Geräusch von vielen kletternden Fußtritten. Die so plötzlich Ueberfallenen und Ueberwundenen sollten hinab in das Thal geschafft werden, wozu mehr Indianer erforderlich waren, als sich oben befanden. Um solche Leute, wie hier gefangen genommen worden waren, zu transportieren, genügten fünfzig oder sechzig Krieger nicht. Es mußten doch auch alle ihnen abgenommenen Sachen und ihre Pferde hinabgeschafft werden.

Nun gab es ein Gewirr von befehlenden, fragenden, antwortenden Stimmen; dann hörten die beiden Lauscher Huftritte und Menschenschritte näherkommen. Sie sahen einen langen Zug von Menschen und Pferden vorübergehen; da er vom Monde beleuchtet wurde, konnten sie die einzelnen Gestalten deutlich unterscheiden. Ihre Freunde waren alle an den Händen und Füßen gefesselt, an den letzteren so, daß sie kurze Schritte machen konnten; keiner außer dem Kantor fehlte. Winnetou ging ebenso wie Old Shatterhand zwischen vier stämmigen Indianern.

Als dieser Zug vorüber war, drohte der Hobble mit der Faust hinter ihm her und knirschte:

»Wenn ich nur könnte, wie ich wollte, da riß ich diese roten Halunken in Schtücke, daß sie wie Sägeschpähne durch alle Lüfte flögen! Aber ich werde ihnen schon noch een Licht darüber offschtecken, was der Hobble-Frank zu bedeuten hat, wenn sein Grimm zornig und sein Zorn grimmig geworden is! Da sind sie hin, und wir schtehen hier wie zwee zerbrochene Regenschirme oder als ob uns die Filzschuhe an die Beene gewachsen wären! Wollen wir ihnen denn nich nach?«

»Nein.«

»Warum denn nich?«

»Weil das ein Umweg wäre. Sie mußten sich zum Transporte der Gefangenen den bequemsten Weg auswählen, sind darum längs der Höhe hin und werden dann an einer geeigneten Stelle hinuntergehen. Wir aber schleichen uns den Abhang hier hinab, da, wo sie heraufgekommen sind.«

»Und nachher?«

»Nachher werden wir ja sehen, was wir thun können.«

»Schön, also vorwärts, Sam! Es juckt mich in allen Fingern, die Kerls bei der Parabel festzunehmen.«

Sie stiegen langsam und vorsichtig geraden Weges in das Thal hinab. Als sie unten angekommen waren, wurde ihnen das Anschleichen durch die brennenden Feuer erleichtert, nach denen sie sich richten konnten. Sie bewegten sich ein wenig oberhalb des Indianerlagers hin, bis sie an eine Stelle kamen, wo zwei hohe, flache und dünne Felsenstücke so gegeneinander lagen, daß sie eine Art Feldhütte oder ein Dach bildeten, unter welchem leidlich Platz für zwei Personen war. Vorn standen einige kleine Koniferen, deren niedrige Zweige den Eingang fast ganz verdeckten. Sie krochen hinein und legten sich so, daß sie sich mit den Köpfen unter den Bäumchen befanden und zwischen den Stämmen derselben hervorblicken konnten.

Als sie es sich so bequem wie möglich gemacht hatten, stieß Frank seinen Gefährten an und flüsterte ihm zu:

»Siehst du, daß sich meine große Komprimationsgabe nich geirrt hat! Dort sitzt der Pflaumentoffel am Feuer. Er is es also wirklich gewesen, der uns verraten hat, dieser zwölfaktige Emeritikus!«

»Ja, du hast recht gehabt; er ist es wirklich gewesen.«

»Aber er scheint nich gefangen zu sein. Warum haben sie ihn nich gefesselt?«

»Das ist auch mir unbegreiflich.«

»Siehst du, wer dort liegt?«

»Ah, der Oelprinz! Und die beeden andern werden Buttler und Poller sein.«

Außerdem konnten die beiden etwa hundertfünfzig Indianer zählen; also waren ebensoviele nach oben gestiegen, um die Weißen festzunehmen und dann herabzuschaffen. Am Flusse schliefen oder grasten die Pferde; sie waren abgezäumt, und man hatte die Sättel in mehrere Haufen zusammengelegt. Jetzt waren die lagernden Roten aufgesprungen; sie blickten erwartungsvoll thalaufwärts. Von dorther erscholl ein Jubelgeheul, und sie beantworteten es. Der oben erwähnte Zug näherte sich dem Lager.

Erst erschien ein kleiner Trupp von Roten; dann kamen Old Shatterhand und Winnetou mit ihren acht Wächtern. Diesen beiden Männern sah man es nicht an, daß sie sich gefangen oder gar gedemütigt fühlen müßten. Ihre Haltung war stolz und aufrecht, und mit freien, offenen Blicken musterten sie den Platz und die Personen, welche an den Feuern standen öder lagen. Auch den andern Westmännern sah man keine Niedergeschlagenheit an; die deutschen Auswanderer jedoch blickten ängstlich um sich her, und noch niedergedrückter sahen ihre Frauen aus, welche alle Mühe hatten, das Weinen der Kinder zu unterdrücken. Eine Ausnahme machte Frau Rosalie Ebersbach, welche auch gebunden war, aber in ihren Fesseln stolz einherschritt und mit geradezu herausfordernder Miene um sich blickte.

Dem Kantor mochte jetzt doch endlich ein Licht über den Fehler aufgehen, den er begangen hatte; sobald er die Situation einigermaßen übersah, trat er auf Old Shatterhand zu und sagte —