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Der Oelprinz

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Da blickte Wolf verwundert auf und fragte:

»Sie bringen den mit dem Worte Original zusammen?«

»Selbstverschtändlich!«

»Das ist ein Irrtum, Herr Franke!«

»Bitte, bewegen Sie sich ja nich in tiefern Luftschichten, während ich mit meiner Wissenschaft am höchsten Firmamente hinsegle! Ich kenne den Origines ganz genau – – —«

»Origenes wollen Sie sagen,« unterbrach ihn Wolf.

»Fällt mir nich im Troome ein!«

»Aber es heißt doch so, Origenes!«

»Das is eene ganz grundlose Vermutung Ihres irrtümlichen Gedankensystems. Origines war zur Zeit der babylonischen Gefangenschaft der berühmteste Brillenfabrikant und zugleich noch das berühmteste Original. Seit jener Zeit werden alle originale Menschen nach ihm benannt, ohne daß sie gerade ooch Brillenmacher oder Optikusse zu sein brauchen.«

»Ich glaube aber behaupten zu müssen, daß Origenes ein berühmter Kirchenlehrer gewesen ist. Es gab auch noch einen andern Origenes, welcher Philosoph war.«

»So? Gab es denn nich ooch noch eenen dritten Origines, der Velocipedist gewesen ist? Es is doch höchst eegentümlich, daß, sobald zwee Deutsche sich zum erschten Male treffen, allemal die gelehrten Reibereien losgehen! Das is wirklich nur bei den Deutschen der Fall, denn es is mir noch niemals vorgekommen, daß mir een Araber oder Chinese widersprochen hat. Die haben mich schtets reden lassen!«

»Gut, so werde ich dasselbe thun,« lachte Wolf.

»Das is sehr weise von Ihnen gehandelt, denn dadurch erschparen Sie sich wissenschaftliche Demütigungen, denen Ihr kindlicher Geist noch nich gewachsen is. Schpäter, wenn wir uns erscht ‘mal über die Schöpfung im allgemeenen und im besondern geeenigt haben werden, werde ich Ihnen een paar Bücher borgen, aus denen Sie die Anfangsgründe der diätetischen Weltanschauung kennen lernen können, wenn Sie Anlage dazu besitzen und sich die gehörige Mühe geben. Bis dahin aber wollen wir lieber von Dingen schprechen, welche nich so angreifend für Ihr sanftes Gehirn sind. Wenn Sie sich mit mir unterhalten wollen, so bin ich gar nich abgeneigt dazu, denn die wahre Bildung und Improvidenz beschteht darin, daß man sich mit Vergnügen zu dem geistig Schwächeren herunterläßt; aber da müssen wir een Thema suchen, wozu Ihr Nervensystem mehr heitere Minorität besitzt, als zu solchen hohen metallischen Konflikten.«

»Gut, Herr Franke,« lächelte Wolf. »Ist es Ihnen recht, wenn wir von dem reden, was uns am nächsten liegt, also von den Indianern?«

»Da schtimme ich bei, obwohl ich ooch da überzeugt bin, daß Sie mit Ihren Ansichten in die Käse fliegen.«

»In die Käse? Wieso oder warum?«

»Weil es Ihnen jedenfalls ooch da an der ausgedehnten Erfahrung und Expansation mangelt,«

»Expansion, meinen Sie?«

»Nee, ich meene Expansation. Sie müssen sich das een für alle Male merken, daß ich es schtets so meene, wie ich es sage. Wer es anders meent, der is keen Ehrenmann, ooch in Beziehung off die Fremdwörter nich!«

»Gut! Also Sie behaupten, daß es mir in Beziehung auf die Indianer an der Erfahrung mangelt?«

»Ja.«

»Ich weiß aber, daß ich mich schon weit länger im Westen befinde, als Sie.«

»Das thut nischt. Schtecken sie heut eenen fein dressierten arabischen Hengst in eenen Eselsschtall, so wird der Esel ooch denken oder gar sagen, er is länger da. Die Zeit thut’s nich, sondern der Geist, das is die Hauptsache. Sie sind nur körperlich hier gewesen; ich aber habe meinen ganzen Geist in die indianischen Verhältnisse versenkt, und zwar so tief, daß ich ihn beinahe nich wieder herausgebracht hätte.«

»Er wollte also darin stecken bleiben?«

»Unsinn! Mein Geist bleibt niemals schtecken! Nee, er wollte durch, ganz durch, mitten durch und off der andern Seite wieder ‘naus. Das wollte ich aber nich, weil ich doch nich wußte, wo ich da hingeraten würde. Ja, so is es; ich habe die Indianer förmlich schtudiert. Was für welche kennen denn Sie?«

»Alle Stämme, die hier in dieser Gegend wohnen.«

»Nur? Da reichen Sie mir mit Ihrer ganzen, langen Geschtalt nich ‘mal ‘rauf bis an meine Hosentasche. Ich bin bis hinauf zum Nationalpark gewesen, nämlich mit Old Shatterhand und Winnetou. Da haben wir ganz andre Schtudien machen können und ganz andre Indsmen kennen gelernt.«

»Ja, ich weiß es; ich habe es gehört. Sie haben es damals mit den Sioux zu thun gehabt.«

»Sogar mit den Ogallellah!«

»Die sind wohl schlimmer als die hiesigen Roten?«

»Schlimmer? Hm! Dieses Ausdruckes mag ich mich überhaupt nich bedienen. Für eenen tüchtigen Weißen is überhaupt keen Indianer schlimm; er haut sie alle in die Pfanne, wenn er nämlich wilde wird. Unsereenem gegenüber is es ganz gleich, ob’s een Apache oder een Comanche oder een Dakota is, sie sind doch alle weiter nischt als bloße Senfindianer.«

»Senfindianer? Wieso?«

»Das wissen Sie nich?«

»Nein.«

»Na, da sagen Sie nun nich mehr, daß Sie die Indianer kennen!«

»Aber, Herr Franke, von einem Senfindianer habe ich wirklich noch nichts gehört.«

»Nich? Da hört doch alles off! Es gibt nich nur eenen, sondern sogar zwee Senfindianer. Und da kennen Sie wirklich keenen davon?«

»Nein.«

»Weder den alten noch den jungen?«

»Nein. Vielleicht sind Sie so gut, mich aufzuklären.«

»Ja, ich will die Güte haben.«

»Wo leben denn diese beiden Senfindianer?«

»Das thut gar nischt zur Sache; es genügt für Sie, zu wissen, daß sie in Washington gewesen sind.«

»In Washington? So?«

»Ja, beim großen, weißen Vater. Sie wissen vielleicht, wer mit diesen Worten gemeent sein soll?«

»Ja. Die Indianer pflegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten den “großen, weißen Vater” zu nennen.«

»Richtig! Wie ich höre, sind Sie doch nich ohne alle Anlage zur Wissenschaft. Also diese beeden Indianer waren von ihrem Schtamme nach Washington gesandt worden, um dem großen, weißen Vater eenige Wünsche des Schtammes vorzutragen. Als Gesandtschaft mußten sie nobel und rücksichtsvoll behandelt werden, und darum wurden sie des Abends zum Supper, zum Abendessen beim Präsidenten eingeladen. Sie saßen da nebeneenander ganz unten an der Tafel, die fast zusammenbrach vor Flaschen, Schüsseln und Tellern, die darauf schtanden. Da gab’s Schpeisen, die sie im Leben noch nich gesehen, noch viel weniger aber gegessen hatten; dabei lagen die Messer, Gabeln und Löffel, und sie mußten achtgeben, wie sie sich dabei zu benehmen hatten. Da raunte der Alte dem jungen listig zu: “Mein junger Bruder mag mit mir offpassen, wovon die weißen Gäste am wenigsten nehmen; das ist die teuerste und köstlichste Schpeise; da langen wir tüchtig zu.”

»Sie gaben also acht und bemerkten, daß am allerwenigsten genommen wurde von einer braunen Schpeise, die auf silbernen Untersetzern in kleenen, feinen Gläsern schteckte. In jedem Gläschen gab es eenen kleenen Löffel, der aus Schildkrötenschale gemacht war. Da meente der Alte wieder zu dem Jungen: “In diesen Gläsern befindet sich das teuerste und köstlichste Gericht. Mein junger Bruder kann een solches Glas mit seiner Hand erreichen; er mag sich zuerst von der Schpeise nehmen.”

»Der junge Indianer zog sich das Glas herbei, nahm eenen gehäuften Löffel voll und rasch darauf noch eenen zweeten. Dabei blickte er sich um, ob man wohl bemerkt habe, daß er gleich zwee Löffel voll genommen hatte. Keen Mensch guckte her. Erscht nun begann er, die köstliche Schpeise mit der Zunge zu zerdrücken, und der Alte sah ihm dabei voller Schpannung in das Gesicht. Dieses Gesicht wurde nach und nach gelb, rot und blau, sogar grün, aber es blieb schtarr und unbewegt, denn een Indianer darf selbst bei den ärgsten Schmerzen nich mit der Wimper zucken. Die Oogen wurden schtarr und immer schtarrer und fingen an zu thränen, bis das Wasser schtromweise über die Backen runterlief. Da machte der junge Indsman eenen fürchterlichen, todesmutigen Schluck, und – hinunter war der Senf und es wurde ihm wieder besser, nur daß das Wasser noch immer in Schtrömen aus den Oogen lief. Darum fragte der alte Indsman neugierig: “Warum weint denn mein junger, roter Bruder?”

»Dieser hätte um alles in der Welt nich eingestanden, daß ihm die köstliche Schpeise so off die Nerven und an das Leben gegangen sei, und darum antwortete er: “Ich dachte eben daran, daß mein Vater vor fünf Jahren im Mississippi ertrunken is; darum weine ich.”

»Bei diesen Worten schob er dem Alten das Glas hin. Dieser hatte gesehen, wie schlau sein junger Bruder gewesen war, und machte es ebenso: er schob schnell hinter eenander zwee volle Löffel in den Mund und klappte ihn dann rasch zu. Aber dann gingen mit eenem Male die Lippen wieder auseenander und klappten auf und zu wie bei eenem Karpfen, der keene Luft bekommen kann oder wie wenn man eenen brennend heeßen Bissen in den Mund gesteckt hat und doch nich wieder herausnehmen kann. Dann zog es dem Alten die Schtirnhaut in die Höhe, und in der Gurgel quirlte es höchst verdächtig. Die Farbe seines Gesichtes veränderte sich wie bei eenem Chamäleon; der Schweeß sickerte aus allen Poren; die Oogen wurden rot und füllten sich mit eenem See von Thränen, welcher bald überlief und seine Fluten über die Backen herniedergoß. Das sah der junge und fragte ihn: “Warum weint mein alter, roter Bruder?”

»Da schluckte dieser mit Aufbietung seiner ganzen Willenskraft den Senf hinunter, holte tief und schtöhnend Atem und antwortete: “Ich weine darüber, daß du damals vor fünf Jahren nich ooch gleich mit ersoffen bist!”

»So, Herr Wolf, das is die berühmte Geschichte von den zwee Senfindianern, die Sie noch nich kennen. Ich hoffe, daß Sie nun überzeugt sind, daß ich Ihnen ooch in diesem Fache weit überlegen bin!«

Ein allgemeines Gelächter war die Folge, ein Gelächter, in welches er selbst sehr kräftig einstimmte und welches bei der nächtlichen Stille, die rundum herrschte, wohl eine Viertelstunde weit zu hören war. Darum durfte es kein Wunder genannt werden, als vom Wasser her eine laute Stimme erschallte, welche im indianischen Englisch rief:

 

»Haben die Bleichgesichter den Verstand verloren, oder sind sie Weiber geworden, daß sie sich nicht beherrschen können? Jeder Baum kann einen Feind verbergen, wenn man nicht daheim in seinem Zelte ist.«

Es war Nitsas-Ini, welcher kam, gefolgt von einigen seiner besten Krieger. Auch seine weiße Squaw brachte er mit, wohl deshalb, weil die Boten gesagt hatten, daß hier auch Frauen seien. Die Lagernden erhoben sich, ihn zu begrüßen. Er blieb vor ihrem geöffneten Kreise stehen und ließ, jedem einen scharfen, musternden Blick zuwerfend, sein Auge in die Runde geben. Als er Sam Hawkens sah, nahm sein ernstes Gesicht einen milderen Ausdruck an und er sagte, ihm die Hand reichend:

»Mein weißer Bruder Sam ist dabei? Dann weiß ich, daß diese laute Lustigkeit uns keinen Schaden bringen wird, denn Sam Hawkens läßt seine Stimme nicht hören, wenn ein Feind in der Nähe ist.«

Auch Dick Stone und Will Parker bekamen eine Hand, und dann wurden ihm die Namen der übrigen genannt. Von den Frauen nahm er nicht die geringste Notiz. Als ihm Adolf Wolf genannt wurde, legte er ihm die Hand auf den Kopf und sagte:

»Du bist der Freund meines Sohnes und der Neffe meines weißen Bruders. Sei willkommen unter den Zelten der Navajos! Du wirst wie ein Kind unsres Stammes sein.«

Beim Anblicke des Hobble-Frank, dessen Name ihm auch genannt wurde, lächelte er ein wenig und sagte.

»Mein Bruder Frank kennt alle Geheimnisse des Himmels und der Erde. Wir werden sehr viel von ihm lernen können.«

»Das ist wahr,« antwortete Frank sehr ernst. »Es freut mich, daß der große Häuptling der Navajos dies weiß und anerkennt; darum werde ich ihm meine ganze Wissenschaft zur Verfügung stellen.«

Darauf machte der Hobble der weißen Squaw eine Verbeugung und sprach, indem er sich seiner Muttersprache bediente:

»Verehrte Dame, ich preise mich sehr glücklich, Ihre ergebenste Bekanntschaft zu machen. Wenn ich wüßte, daß Sie noch nischt von mir gehört hätten, so würde ich so freundlich sein, mich Ihnen mit meinem ganzen Namen zu – – —«

»Ist nicht nötig, Herr Franke,« unterbrach sie ihn mit einem heiteren Lächeln. »Ich kenne Sie schon sehr genau.«

»Wohl aus den Erzählungen meines Freundes Old Shatterhand?«

»Ja. Auch Winnetou hat zuweilen von Ihnen gesprochen.«

»Freut mich ungemeen; trotzdem aber gebe ich Ihnen parlamentarisch zu bedenken, daß die richtige Wirklichkeet oder die wirkliche Richtigkeet niemals von eener bloßen Erzählung oder Beschreibung erreicht werden kann. Was Sie jetzt von mir wissen, das is, sozusagen, een kleenes Laternenlicht. Lassen Sie mich aber erscht acht Tage bei Ihnen sein, so wird Ihnen in mir eene Sonne leuchten, bei deren Schtrahlen alle Fixschterne erbleichen müssen. Erlooben Sie mir gehorsamst, Sie mit den hiesigen Herrschaften bekannt zu machen! Hier is vor allen Dingen unsre wackere Frau Rosalie Eberschbach. Nachher —«

Er wollte zu einer andern Person übergehen; aber Frau Rosalie schob ihn mit den Worten fort:

»Was man eenmal macht, das muß man ooch richtig machen. Verschtehn Se mich! Ich werde die Vorschtellung selber besorgen. Dazu brauchen wir keenen Herrn, der zwar gelehrt sein will, sich aber nich ‘mal eenen vollschtändigen Namen merken kann.«

»Na«, meinte er, »wollen Sie mir etwa gar zumuten, alle Ihre Namen herunterzuleiern, die Sie von der Wiege bis zum Grabe gehabt haben? Ich habe den richtigen genannt und der wird wohl genügen!«

»Genügen? I, was Sie nich sagen! Gewöhnlich genügt er, ja; aber bei eener Vorschtellung, wo off den Eindruck des erschten Oogenblicks so viel und alles ankommt, kann man nich ausführlich genug sein.«

Und sich zu der weißen Squaw wendend, fuhr sie fort:

»Also ich bin Frau Rosalie Eberschbach, geborene Morgenschtern, verwittwete Leiermüllern, aus Heimberg in Sachsen, und hier is Julius, mein zweeter Gatte und Schmiedemeester–«

In dieser Weise nannte sie die Namen aller Personen der vier Auswandrerfamilien und lud dann die Frau des Häuptlings ein, sich bei ihr niederzusetzen. Die Squaw folgte bereitwillig dieser Aufforderung und bald befanden sich die Damen in einer sehr angeregten Unterhaltung, welche aber auf die Bitte der Squaw leise geführt wurde, denn bei den Indianern haben die Frauen in Gegenwart der Männer zu schweigen, selbst wenn diese nicht sprechen.

Dieses letztere war hier zunächst auch der Fall. Der Häuptling hatte sich zu Sam Hawkens gesetzt und blickte lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen, finster vor sich hin. Die indianische Höflichkeit verbot den andern, sein Schweigen mit einem Worte zu brechen. Dann, nach ungefähr einer Viertelstunde, sagte er endlich:

»Mein Bruder Sam mag mir sagen, wohin Old Shatterhand mit Winnetou ist!«

»Sie sind hinter den Nijoras her, um, wenn es sich als notwendig erweisen würde, euch zu warnen.«

»So mag mir Sam erzählen, was geschehen ist!«

Hawkens kam dieser Aufforderung nach. Er unterrichtete den Häuptling von allem, ohne aber viel Worte zu machen. Als er geendet hatte, blickte Nitsas-Ini wieder eine Weile still vor sich hin und sagte dann:

»Morgen wird die Strafe kommen. Sind meine weißen Brüder bereit, uns zu helfen?«

»Ja,« antwortete Sam. »Eure Feinde sind unsre Feinde, und unsre Freunde mögen auch die eurigen sein!«

»Sie sind es. Wir wollen das Kalummet darauf rauchen.«

Er nahm die Friedenspfeife von der Schnur, mittelst welcher sie an seinem Halse hing, öffnete den Tabaksbeutel und stopfte sie. Als er sie in Brand gesetzt hatte, erhob er sich, blies den Rauch nach dem Himmel und nach der Erde, dann nach den vier Himmelsrichtungen und sagte:

»Alle Bleichgesichter, welche hier versammelt sind, sollen unsre Brüder und Schwestern sein. Ich spreche im Namen des ganzen Stammes der Navajos. Howgh!«

Er hätte eigentlich dem Gebrauche gemäß eine lange Rede halten sollen, aber die Umstände waren heut so, daß er es für besser hielt, so kurz wie möglich zu sein. Bei dem letzten indianischen Worte Howgh, welches eine Bekräftigung wie unser Amen bedeutet, gab er die Pfeife an Sam und setzte sich wieder nieder. Dieser stand auf, that dieselben sechs Züge und sagte:

»Ich rauche und spreche im Namen meiner weißen Brüder und Schwestern, die sich hier befinden. Wir wollen wie Söhne und Töchter der Navajos sein und im Kampf und Frieden bei Euch bleiben. Ich habe gesprochen. Howgh!«

Er setzte sich auch wieder nieder und reichte dem Häuptlinge die Pfeife, der sie nun nicht weiter gab, sondern bis zu Ende rauchte. Als sie ausgegangen war, hing er sie wieder an die Schnur und sagte:

»Morgen, noch ehe die Sonne hoch gestiegen ist, wird das Blut des Mörders und seiner beiden Begleiter fließen.«

»Denkst du, daß sie bis zu dieser Zeit hier angekommen sein werden?« fragte Sam.

»Sie werden hier sein.«

»Sie werden aber nicht offen geritten, sondern heimlich geschlichen kommen. Man wird gut aufpassen müssen, um sie zu sehen.«

»Ich werde ihnen zwei Männer entgegensenden, welche die Augen des Adlers haben; die werden es mir melden, wenn sie kommen und an welcher Stelle sie eintreffen.«

»Was das betrifft, so ist diese Stellung sehr leicht zu erraten.«

»Was meint mein Bruder Sam?«

»Sie werden natürlich eurer Fährte folgen und also an den Ort kommen, an welchem ihr jetzt lagert. Ihr braucht ihn nur zu verlassen und euch in der Nähe zu verstecken, so müssen sie in eure Hände fallen.«

»Mein Bruder hat sehr richtig gesprochen; aber dennoch werde ich ihnen die beiden Späher entgegensenden, damit sie mir ganz sicher sind und ich sie auf alle Fälle ergreife.«

»Aber wenn du nicht Zeit dazu hast?«

»Wer könnte mich hindern?«

»Die Nijoras.«

»Die werden mich nicht hindern, sondern mir im Gegenteile förderlich sein, die Mörder zu ergreifen. Sie sind nach unserm Lager; sie finden dieses verlassen und werden uns folgen. Sie haben also die Mörder vor sich, die wir hinter uns haben. Sie bringen sie uns zugetrieben.«

»Wenn du dich nicht irrst, soll es mich freuen.«

»Ich irre mich nicht, Was könnten die Nijoras anders thun, als uns folgen?«

»Old Shatterhand schien diese Ansicht nicht zu haben.«

»Und doch ist er fort, um uns zu warnen?«

»Das hat er vielleicht nur vorgeschützt, um nicht das Richtige sagen zu müssen.«

Der Häuptling schien einige Augenblicke über das Gehörte nachdenken zu müssen und fragte sodann, aber mit unterdrückter Stimme, da ihm sein Scharfsinn das Richtige beinahe ahnen ließ:

»Glaubt er vielleicht, daß die Nijoras nicht direkt nach unserm Lager sind?«

»Es schien fast so, « antwortete Sam ebenso leise.

»Dann könnten sie es nur auf andre abgesehen haben?«

»Ja.«

»Auf euch?«

»Ich vermute es. Gesagt hat Old Shatterhand nichts.«

»Er hat geschwiegen, weil unter meinen weißen Brüdern Leute sind, welche Angst bekommen hätten.«

»Das vermute ich.«

Wolf war auch wieder mitgekommen. Er hatte, da er auch neben dem Häuptling saß, die letzten leisen Sätze gehört und gab jetzt seine entgegengesetzte Meinung zu hören:

»Was Ihr da gesagt habt, halte ich für grundfalsch. Es wird den Nijoras nicht einfallen, ihre Zeit damit zu verschwenden, daß sie euch abfassen, nachdem ihr ihnen schon vorher entkommen seid und sie sich sagen müssen, daß ihr euch in acht nehmen werdet. Das einzig Richtige, was sie thun können und auch thun werden, ist, daß sie erst uns angreifen, die wir stärker sind, als ihr seid, und erst dann, wenn sie uns besiegt haben, euch vornehmen.«

»Diese Ansicht hat ihre volle Berechtigung, wenn ich mich nicht irre,« sagte Hawkens; »aber wir befinden uns in ihrem Rücken, und es ist eine alte, bewährte Regel, daß man sich stets und vor allen Dingen den Rücken freihalten soll.«

»Ich habe aber schon bereits gesagt, daß Old Shatterhand und Winnetou gar nicht wissen werden, woran sie sind. Sie befinden sich jenseits der Nijoras, die sie überholt haben, um uns zu warnen. Nun sind wir fort und da ist guter Rat für sie schwer.«

Er hatte, um seiner Ansicht mehr Nachdruck zu geben, lauter als vorher gesprochen, so daß alle seine Worte hören konnten. Daher kam es, daß Sams darauf folgende Entgegnung unwillkürlicher auch vernehmbarer wurde:

»Und ich wiederhole, was ich euch bereits gesagt habe: Für Winnetou und Old Shatterhand ist niemals guter Rat schwer. Sie wissen stets, was sie zu thun haben. Ich habe noch keinen von ihnen jemals im Zweifel darüber gesehen, was im nächsten Augenblicke geschehen soll.«

»Aber es gibt dennoch Augenblicke, in denen der Verstand des Klügsten nicht ausreichen will!«

»Für diese beiden nicht. Sie werden auch heute ganz genau gewußt haben, warum sie uns voranritten und warum wir hier lagern sollen.«

Da ertönte eine tiefe, männliche Stimme unter den nächsten Bäumen hervor:

»Recht so, Sam Hawkens! Man soll die Ehre und den guten Namen seiner Kameraden stets verfechten. Wir haben allerdings sehr wohl gewußt, was wir thaten und warum wir es thaten.«

Old Shatterhand war es, der diese Worte gesprochen hatte. Er kam jetzt herbei, schüttelte den Navajos allen, auch Wolf und der weißen Frau die Hände und sagte dann zu dem Häuptlinge:

»Warum haben meine Brüder keine Posten ausgestellt? Es war zwar nichts zu befürchten, weil ich mit Winnetou vorangewesen bin, aber man soll diese Vorsicht nie versäumen.«

Er that nicht im geringsten verwundert darüber, daß die Navajos sich hier anstatt in ihrem früheren Lager befanden. Und ebenso gleichgültig that Nitsas-Ini. Er wußte, daß Old Shatterhand seinen Sohn Schi-So mitgenommen hatte. Er brachte ihn aber nicht wieder. Warum? Er hätte gern gefragt. Sein Vaterherz sehnte sich nach dem Kinde; aber er durfte als Krieger und gar Häuptling sich dies nicht merken lassen.

Die weiße Squaw war, als sie Old Shatterhand sah, aufgesprungen. Sie wagte es nicht, eine Frage an ihn zu richten. Aber – wo war ihr Sohn? Mit dem Instinkte der Liebe wendete sie sich nach der Richtung, aus welcher der große Jäger gekommen war. Ihr Auge versuchte, die Dunkelheit zu durchdringen; dann eilte sie mit dem lauten, jubelnden Ausrufe: »Schi-So, mein Stern!« zwischen den nächsten Bäumen hinein.

Die Anwesenden harrten still, ohne ein Wort zu sprechen. Der Häuptling saß mit unbeweglichem Angesichte da, als ob er eine steinerne Statue sei. Da, vielleicht nach zehn Minuten, hörte man leichte Schritte aus dem Dunkel kommen. Die Squaw brachte ihren Sohn an der Hand geführt. Als sie mit ihm in den Kreis des Lichtes getreten war, ließ sie diese Hand los und setzte sich ruhig wieder an ihren Platz. Dem Herzen war Genüge geschehen, still, ohne laute Worte und Ausrufe, doch mit nicht weniger Zärtlichkeit; nun aber mußte dem indianischen Stolze auch Rechnung getragen werden.

 

Schi-So ging zu seinem Vater und reichte ihm die Hand entgegen. Der Häuptling sah seinen Sohn kommen; er erblickte die jugendkräftige Gestalt, das frische Gesicht, die intelligenten Züge, die gewandten Bewegungen. Einen Augenblick lang, aber auch nur einen einzigen Augenblick, leuchteten seine Augen in stolzer Freude auf; dann war sein Gesicht wieder so unbeweglich wie vorher; er ergriff nicht die dargereichte Hand des Sohnes, sondern that, als ob er ihn gar nicht sähe. Schi-So wendete sich um und setzte sich dann neben Adolf Wolf nieder. Es fiel ihm gar nicht ein, sich gekränkt zu fühlen. Er wußte, wie sehr sein Vater ihn liebte; er kannte die indianischen Anstandsregeln und bereute es, seinem Vater die Hand angeboten zu haben. Er hatte dies gethan, weil er aus Europa kam; nach der Sitte seiner Heimat war es nicht erlaubt. Er war ein Knabe und durfte in Gegenwart von Männern nichts thun, was in der gegenwärtigen Lage nicht unbedingt nötig war.

Old Shatterhand hatte diese Scene mit einem Lächeln der Befriedigung betrachtet. Er wußte, daß in dieser Familie mehr Liebe und Glück wohnte, als in mancher vornehmen, weißen, deren Glieder in Gegenwart andrer sich Aufmerksamkeiten und Zärtlichkeiten erweisen, aber dann, wenn sie sich unbeobachtet wissen, einander wie Hund und Katze behandeln. Jetzt wurde er von dem Häuptlinge gefragt:

»Mein Bruder Old Shatterhand war in unserm früheren Lager?«

»Nein. Wäre ich dort gewesen, so könnte ich jetzt noch nicht wieder hier sein. Aber der Oelprinz war mit Buttler und Poller dort?«

»Ja.«

»Ihr habt ihnen Waffen und Munition gegeben?«

»Ja.«

»Sie haben gesagt, sie seien mit uns geritten, mit uns von den Nijoras ergriffen worden, aber so glücklich gewesen, zu entkommen?«

»So ist es. Woher weiß mein Bruder dies alles? Hat er vielleicht mit diesen drei Mördern gesprochen?«

»Nein,« lächelte Old Shatterhand. »Was ich soeben sagte, vermutete ich. Diese Mörder brauchten Waffen; sie mußten also zu euch, denn weiter war niemand da, von dem sie welche erhalten konnten. Um euch gutwillig zu machen, mußten sie euch belügen und euch sagen, daß sie Begleiter und Beschützer von Schi-So gewesen seien. Das ist ja alles so selbstverständlich, daß ein jedes Kind es sich denken kann. Und selbst wenn ich Zeit gehabt hätte, so wäre es mir nicht eingefallen, nach eurem früheren Lagerplatze zu reiten, denn ich erfuhr gegen Abend, daß ihr ihn verlassen hattet.«

»Von wem?«

»Von meinen Augen.«

»Uff! So hast du uns gesehen?«

»Ja. Ich saß diesseits des Flusses auf einem hohen Baum, um nach den Nijoras auszuschauen, und sah euch am jenseitigen Ufer aufwärts gezogen kommen.«

»So haben die Nijoras uns vielleicht auch gesehen?«

»Nein.«

»Weißt du das genau?«

»Ja.«

»Von wem?«

»Von ihnen selbst. Sie haben es gesagt, und ich hörte es, denn ich habe sie belauscht. Schi-So war mit uns; er hielt die Pferde, während Winnetou und ich uns an die Feinde schlichen. Ich bin mit Schi-So zurückgekehrt, um meinen weißen Brüdern Nachricht zu geben und meine roten Brüder aufzusuchen; Winnetou aber blieb zurück, um die Feinde auch weiter zu beobachten. Ich bin sehr erfreut darüber, daß ich meinen Bruder Nitsas-Ini hier finde und die Krieger der Navajos nicht aufzusuchen brauche.«

»Auch ich freue mich sehr, meinen Bruder Shatterhand nach so langer Trennung wiederzusehen. Die Feinde werden morgen in unsre Hände fallen.«

»Das ist auch meine Ansicht, obgleich ich weiß, daß diejenige meines Bruders auf einer falschen Voraussetzung beruht.«

»Old Shatterhand irrt sich! Ich denke ganz dasselbe wie er.«

»Unmöglich.«

»Nein. Die Nijoras werden unsern Lagerplatz verlassen finden und unsern Spuren folgen.«

»Die Nijoras werden zunächst nicht nach euerm Lagerplatze reiten, sondern uns überfallen. Sie ahnen nicht, daß die Krieger der Navajos ihr Lager verlassen haben.«

»Uff! Meine weißen Brüder sollen überfallen werden?«

»Ja.«

»Wo?«

»Sie denken, daß wir ihnen folgen, um die Navajos aufzusuchen, und haben sich am Winterwasser festgesetzt, um uns dort ganz unerwartet einzuschließen.«

»Am Winterwasser? Dieser Plan ist sehr klug von ihnen ausgesonnen, denn es gibt keinen Platz, der sich so gut zu einem Ueberfalle eignet, wie dieser. Meine Brüder werden ihn vermeiden?«

»Wir werden im Gegenteile hingehen.«

»Und kämpfen?«

»Ja. Vielleicht aber ist ein Kampf gar nicht notwendig. Es ist möglich, daß sich die Nijoras ohne allen Kampf ergeben müssen.«

»Uff! Wie sollte das möglich sein?«

»Die Krieger der Navajos werden uns dabei helfen. Das denke ich doch!«

»Wenn du es wünschest, werden wir es thun. Aber wir wollten die Feinde jenseits des Flusses an unserm heutigen Lagerplatze erwarten.«

»Ich weiß nicht, wo ihr lagert; aber das Winterwasser eignet sich für unsern Zweck jedenfalls viel besser.«

»Mein Bruder hat recht. Wir werden mit ihm nach dem Winterwasser gehen. Aber wie sollen wir nun den Oelprinzen und seine beiden Mordgesellen erwischen?«

»Ihr wollt sie fangen?« fragte Old Shatterhand, auf dessen Gesicht jetzt ein leichter Ausdruck des Erstaunens zu sehen war, eine außerordentliche Seltenheit bei diesem Manne, dessen Divinationsgabe Sam Hawkens noch vor kurzem so gerühmt hatte.

»Ja,« antwortete der Häuptling.

»Aber ihr habt sie doch mit Gewehren und Munition ausgerüstet!«

»Weil sie uns belogen.«

»Und sie ungehindert ziehen lassen!«

»Weil ich ihnen mein Wort darauf gegeben hatte.«

»Ah, jetzt errate ich! Du wußtest ja noch nicht, daß der Oelprinz deine beiden Kundschafter ermordet hat!«

»Nein, das wußte ich nicht.«

»Hast es aber nun von meinen Gefährten erfahren?«

»Du hast es erraten.«

»Und nun willst du ihnen nach, um den Tod der Kundschafter zu rächen?«

»Rächen will und muß ich ihn, aber ich brauche sie nicht zu verfolgen, denn sie kommen uns nach.«

»Wirklich? Sonderbar! Sie sollten doch froh sein, euch und uns entkommen zu sein!«

Da fiel Wolf schnell ein, indem er ein höchst befriedigtes und selbstbewußtes Gesicht zeigte:

»Ja, wenn sie die Unterschrift, die Anweisung noch hätten!«

»Besitzen sie die nicht mehr?«

»Nein. Ich habe sie ihnen abgenommen und behalten.«

»Ah! Wie ist das zugegangen?«

Wolf erzählte es und fügte dann hinzu:

»Wir haben sie dann beobachten lassen und erfahren, daß sie uns folgen, Wir wollten sie, um ganz sicher zu gehen, morgen erwarten und ihnen zwei Späher entgegenschicken.«

»Hm! Das ist nicht ungefährlich. Sie werden ganz von selbst kommen. Durch Späher aber könnt ihr sie leicht vertreiben.«

»Das ist richtig, und ich hätte auch von den Kundschaftern abgesehen,« sagte der Häuptling. »Aber wann denkst du, daß wir morgen nach dem Winterwasser aufbrechen müssen?«

»Wenn der Tag beginnt.«

»Da sind sie noch nicht da. Du siehst also ein, daß wir einige Leute zurücklassen müssen.«

»Leider ja. Ich würde das am liebsten selbst übernehmen, aber ich bin nicht zu entbehren. Wolf und du ganz ebenso. Es geht also nicht anders; wir müssen Späher zurücklassen. Aber suche ja die besten, listigsten und zuverlässigsten Leute dazu aus!«

»Das werde ich thun. Du brauchst keine Sorge zu haben.«

»Sag ihnen, daß sie sie lieber niederschießen als entkommen lassen sollen; ich hasse das Blutvergießen, aber diese Mörder sind wie wilde Tiere; sie werden sich an unsre Fersen heften, um, wenn sie das Papier nicht wieder bekommen, sich blutig an uns zu rächen. Aber noch eins.– Ich vermisse den Kantor. Wo ist er?«

»Bei mir im Lager. Er war von hier entflohen und eine große Strecke flußabwärts gegangen. Dort sang er und machte großen Lärm. Ich sandte einige Krieger über den Fluß, welche ihn fangen und herüberschaffen mußten.«

»Dieser unvorsichtige und unverbesserliche Mensch! Er muß wirklich angebunden werden!«

»Vergib es ihm! Durch sein Lärmen und Schreien habe ich euch gefunden.«

»Das ist keine Entschuldigung für seine Thorheit. Er hat uns schon viel Schaden gemacht.«

»Er hat den Verstand nicht am richtigen Platze.«