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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Eigentlich trat man durch die Türe sofort in das große Verkehrszimmer, doch war eine Rutenwand vorgestellt worden, um diesen Raum gegen den direkten Zug zu schützen. Noch hinter derselben stehend, hörte ich Halef in strengstem Ton sagen:

»Ich verbiete dir, dich des Nachts draußen herum zu treiben, während so glorreiche Männer, wie wir sind, hier stehen, um mit dir zu sprechen. Du bist der Wirt dieses armseligen Konak und hast deine Gäste zu bedienen, damit sie sich wohl befinden zwischen deinen drei oder vier morschen Pfählen. Wenn du diese deine Pflicht versäumst, so werde ich sie nachdrücklich dir zum Bewußtsein bringen. Wo kommst du her?«

»Ich war draußen, um heimlich zu beobachten, wohin sich die Männer wenden würden, welche vorhin so ruchlos über dich hergefallen sind,« antwortete der Wirt, welcher natürlich sofort in das Haus zurückgekehrt war.

Nun trat ich bis an den Rand der Scheidewand vor und blickte in die Stube. Da lagen fünf oder sechs Personen gebunden am Boden, von Osko und Omar bewacht, welche sich auf ihre Gewehre stützten. Daneben stand Halef, mit herausgedrückter Brust, in majestätischer Haltung, und vor ihm der Wirt in demütiger Stellung, und neben demselben eine alte Frau, welche mehrere Stricke in den Händen hielt. Der kleine Hadschi befand sich wieder einmal in der ihm so willkommenen Lage, sich das Ansehen eines bedeutenden Mannes zu geben.

»So!« sagte er. »Jetzt nennst du es ruchlos; vorher aber hattest du deine Freude daran.«

»Das war Verstellung, Herr. Ich mußte so tun, um die Schurken nicht noch mehr zu erzürnen. Im Stillen jedoch war ich fest entschlossen, alles zu wagen, um dich aus ihren Händen zu befreien.«

»Das klingt sehr schön. Du willst wohl damit sagen, daß du nicht ihr Verbündeter bist?«

»Ich kenne sie gar nicht.«

»Und doch nanntest du sie alle bei ihren Namen!«

»Die wußte ich, weil sie sich bei denselben nannten. Ich freue mich, daß die Sache so gut abgelaufen ist.«

»O, sie ist noch lange nicht abgelaufen, sondern sie wird erst richtig beginnen, soweit es nämlich dich betrifft. Ueber deine Schuld oder Unschuld zu entscheiden, verträgt sich nicht mit meiner Würde. Ich mag mit Leuten deines Gelichters gar nicht in Berührung kommen und werde den Effendi beauftragen, dich ins Verhör zu nehmen und mir dann Bericht zu erstatten. Von seinem Entschluß und von meiner Genehmigung wird es dann abhängen, was mit euch geschehen soll. Einstweilen wirst du dich binden lassen, damit wir von deiner liebevollen Anhänglichkeit überzeugt sein können.«

»Binden? – Warum?«

»Ich habe es dir soeben gesagt: damit du nicht auf den Gedanken kommen kannst, plötzlich eine Vergnügungsreise zu unternehmen. Hier steht dein Weib, die freundliche Gefährtin deiner Tage. Sie hat sich bereit finden lassen, diesen Andern hier die Schlingen anzulegen, und sie wird nun auch dir mit Vergnügen den Strick, welcher eigentlich um deinen Hals gehört, um die Hände und Füße binden. Dann werden wir beraten, wie es möglich sei, die Einquartierung unterzubringen, welche draußen auf uns wartet. Ich befürchte, daß diese Räume nicht ausreichend sind für die Aufnahme so vieler Soldaten. Strecke also deiner liebevollen Houri die Hände hin, damit sie dieselben miteinander vereinige!«

»Herr, ich habe doch nichts verschuldet! Ich kann nicht dulden – — «

»Schweig!« unterbrach ihn Halef. »Was du dulden willst oder nicht, das geht mich gar nichts an. Jetzt habe ich hier zu befehlen, und wenn du nicht augenblicklich gehorchst, so bekommst du Hiebe.«

Er hob die Peitsche empor. Vorhin hatte ich sie mit seinen Pistolen und dem Messer auf dem Tisch liegen sehen, denn er war entwaffnet worden, hatte aber diese Gegenstände wieder an sich genommen. Osko und Omar stießen die Gewehre drohend auf den Boden, und der Wirt streckte seiner Frau die Hände hin, um sich dieselben binden zu lassen. Dann mußte er sich zur Erde legen, worauf ihm auch die Füße gefesselt wurden.

»So ist's recht, du Wonne meines Lebens!« belobte Halef die Alte. »Du hast das gute Teil erwählt, indem du dich entschlossest, mir ohne Murren zu gehorchen. Darum sollen deine Hände und Füße von keinem Strick berührt werden, sondern du sollst deine Fittiche frei schwingen können über das Haus, welches Allah mit deiner Lieblichkeit beglückte. Nur versuche ja nicht, die Fesseln dieser Leute zu berühren, denn das würde Folgen nach sich ziehen, durch welche die Zartheit deiner Vorzüge leicht beschädigt werden könnte. Setze dich in die Ecke dort, und ruhe in stiller Beschaulichkeit von den Mühseligkeiten deiner irdischen Laufbahn aus. Wir werden indessen eine amtliche Beratung abhalten, ob wir euer Haus in die Luft sprengen oder durch das Feuer verzehren lassen.«

Sie gehorchte, sich langsam in die Ecke schleichend, und Halef wendete sich nun der Türe zu, jedenfalls um nach mir zu forschen. Als ich jetzt vortrat und er mich erblickte, fiel es ihm gar nicht ein, ein Wort der Entschuldigung seiner Unvorsichtigkeit zu sagen oder wenigstens durch die Miene zu zeigen, daß er einsehe, gefehlt zu haben, sondern er meldete mir in höchst wichtigem Ton:

»Du kommst, Effendi, um dich nach den Ergebnissen unsers glorreichen Feldzuges zu erkundigen. Da sieh her: sie liegen vor dir auf der Erde und sind bereit, Leben oder Tod aus unsern Händen zu empfangen.«

»Komm heraus!«

Ich sagte das so kurz und gemessen, daß sein Gesicht sich sogleich bedeutend in die Länge zog. Er folgte mir hinaus vor das Haus.

»Halef,« wendete ich mich dort an ihn, »ich habe dich herausgerufen, um dich nicht vor den Leuten zu beschämen, denen gegenüber du den Herrscher spielst, und hoffe, daß du diese Rücksichtsnahme anerkennst.«

»Effendi,« antwortete er bescheiden, »ich erkenne sie an; aber du wirst auch mir zugeben, daß ich meine Sache ausgezeichnet gemacht habe.«

»Nein, das kann ich gar nicht sagen. Du hast eigenmächtig gehandelt und unsere Gegner dadurch vertrieben, was mir einen Strich durch meine Rechnung machte. Willst du denn nicht endlich einmal einsehen, daß du stets den Kürzern ziehst, wenn du gegen meine Wünsche und Warnungen handelst? Du bist mit einem blauen Auge weggekommen, weil wir dich zur rechten Zeit gerettet haben. Doch es ist geschehen, und es nützt nun nichts, Vorwürfe anzuhäufen. Erzähle mir also den Verlauf deines berühmten Unternehmens.«

»Hm!« brummte er kleinlaut. »Der Verlauf war ein sehr schneller. Unser Wirt hatte das Haus beschrieben, und ich wußte also, wo die Leute zu suchen seien. Ich schlich mich herbei und blickte durch das Astloch. Da sah ich sie alle sitzen, den Mübarek ausgenommen. Sie unterhielten sich sehr angelegentlich, aber ich konnte nur hier und da ein einzelnes Wort verstehen. Das genügte mir nicht, und darum beschloß ich, in die Schlafstube nebenan, deren Laden offen stand, zu steigen.«

»Du erwartetest, daß sich niemand in derselben befinden werde?«

»Sehr natürlich!«

»Das ist keineswegs sehr natürlich. Frage die Gefährten; sie werden dir bestätigen, daß ich mit großer Bestimmtheit behauptet habe, der kranke Mübarek liege in der Stube.«

»Ja, davon habe ich leider nichts gehört, sonst hätte ich mich gehütet, so mit beiden Füßen zugleich in diese häßliche Pfütze zu springen. Ich habe mich dabei ganz leidlich vollgespritzt; das muß ich ja zugeben. Es war gar nicht angenehm. Und als gar Barud el Amasat das Messer über mir zückte, um mir mit demselben den Mund zu öffnen, da hatte ich ein Gefühl, ein Gefühl, hm, als ob mir so recht hübsch langsam das Rückgrat aus dem Leibe gezogen würde. Es gibt in diesem Erdenleben Augenblicke, in denen man sich nicht ganz so behaglich fühlt, wie man es wünschen möchte. Ich hielt die Kammer für leer, war aber trotzdem so vorsichtig, erst eine Weile an dem offenen Laden zu horchen, ob vielleicht etwas zu vernehmen sei. Da sich nichts regte, stieg ich durch das Fenster ein und ließ mich innen recht vorsichtig und leise hinab. Ich bekam auch ganz glücklich, ohne ein Geräusch verursacht zu haben, den Boden unter die Füße und wollte nun nach der Scheidewand schlüpfen, hinter welcher sich die Burschen befanden, die ich belauschen wollte. Aber die Unverständigkeit des Schicksals legt dem besten Menschen Hindernisse in den Weg, und grad dann und da, wann und wo er sie am wenigsten braucht. Ich stolperte über einen Körper, der mir im Weg lag. Ob der Kerl geschlafen hat oder nicht, das kann ich nicht sagen; aber er hatte mich ruhig einsteigen lassen und keinen Laut von sich gegeben. Jetzt faßte er mich am Bein und brüllte, als ob er sämtliche Tote des Erdkreises aufwecken wolle. Ich stürzte, aber nicht gleich, zu Boden, denn ich griff in die Luft, um mich an irgend etwas fest zuhalten, und erwischte ein Brett, welches nicht genügend an die Wand befestigt war. Ich riß es mit allem, was darauf stand, herab und fiel dann hin. Da gab es einen fürchterlichen Lärm. Die Kerle sprangen aus der Stube herbei, und ehe ich mich aufraffen konnte, hatten sie mich fest gepackt. Der Wirt holte schnell zwei Leinen herbei, und ich wurde gebunden, in die Stube geschleppt und ausgefragt. Ich sollte sagen, wer und was du seist, und habe ihnen gestanden, daß – — «

»Daß ich ein indischer Königssohn bin und mir hier eine Frau suche. Das habe ich gehört, du unverbesserlicher Flunkerer. Jetzt wollen wir wieder in die Stube gehen.«

»Willst du denn nicht erfahren, was ich getan habe, nachdem ich von den Fesseln befreit war?«

»Das kann ich mir selbst sagen. Du glaubtest, ich sei in Gefahr und hast Osko und Omar veranlaßt, gegen meinen Befehl zu handeln. Ihr seid aus dem Fenster gestiegen und habt euch eine Strecke vom Hause entfernt, um Soldaten zu spielen.«

»Ja, aber das habe ich nicht ohne guten Grund getan. Ich habe einmal das Anschleichen nach deiner Art und Weise versucht. Ich legte mich auf die Erde und kroch nach der Ecke, denn ich erfuhr, daß du dich dorthin begeben hattest. Dort standen die Kerle. Ich kam so nahe an sie, daß ich sie flüstern hörte, wenn ich auch nicht die Worte verstehen konnte. Das vermehrte meine Besorgnis, und so beeilten wir uns, die Soldaten aufmarschieren zu lassen. Wir stampften im Takt den Boden, und Osko und Omar stießen dazu ihre Kolben kräftig auf. Unser Wirt, der Schäfer, half auch mit.«

 

»Wo befindet er sich jetzt?«

»Ich habe ihn nach Hause geschickt. Er ist der Nachbar des Konakdschi und soll von diesem nicht gesehen werden, um nicht später unter dessen Feindschaft und Rache zu leiden.«

»Das ist noch das Klügste, was du heute abend getan hast.«

»War es denn nicht auch klug, daß wir, als der Weg frei war, in das Haus gingen und die alte Wirtin zwangen, alle ihre Leute zu binden?«

»Ich kann nicht sagen, daß du da als Ausbund von Weisheit gehandelt hast.«

»Diesen Leuten gehört nicht mehr. Ich sage dir, sie sind alle mit unsern Feinden einverstanden.«

»Das weiß ich und darum werde ich sie wenigstens für heute Nacht unschädlich machen; sie würden sonst sofort den Entflohenen einen Boten nachsenden. Komm also herein!«

Wir kehrten in die Stube zurück, wo der Wirt, wie sein Gesichtsausdruck mich vermuten ließ, meinem Erscheinen mit Bangigkeit entgegengesehen hatte.

Halef mochte vielleicht meinen, die Leute hätten erraten, daß ich vorhin beabsichtigte, ihm eine Rüge zu erteilen. Um sein Ansehen zu behaupten, trat der unverbesserliche Prahlhans zu dem Wirt und sagte:

»Der Kriegsrat, welchen wir draußen gehalten haben, ist beendet. Ich bin mit dem Entschluß unsers weisen Effendi einverstanden, und so werdet ihr jetzt euer Schicksal aus seiner Hand empfangen.«

Am liebsten hätte ich ihm eine kleine Ohrfeige verabreicht; er verließ sich doch allzu sehr auf meine Zuneigung. Ich begnügte mich, ihm einen zornigen Blick zuzuwerfen, und nahm den Wirt ins Verhör, dessen Ergebnis ein negatives war. Er leugnete jegliches Einverständnis mit den Entflohenen kurz weg.

»Herr, ich bin unschuldig,« beteuerte er. »Frage mein Weib und auch meine Leute, sie werden dir genau dasselbe sagen.«

»Natürlich, denn sie sind ja instruiert. Gibt es in deinem Hause einen Raum, in welchem man etwas fest und sicher verschließen kann?«

»Ja, das würde der Keller hinter uns sein. Die Türe ist dort in der Ecke, wo meine Frau sitzt.«

Der Fußboden bestand aus festgestampftem Lehm. Der Teil desselben aber, auf welchem die Frau saß, war mit einer Bretterdiele belegt, und da gab es eine mit einem wirklichen Schloß versehene Falltüre. Die Wirtin hatte den Schlüssel in der Tasche, sie mußte ihn hergeben, und ich öffnete. Eine Leiter führte hinab. Ich nahm das Licht, stieg hinunter und sah einen ziemlich großen, viereckigen Raum, in welchem allerlei Feldfrüchte lagen. Ich kehrte wieder nach oben zurück und ließ dem Wirt die Stricke abnehmen.

»Steig hinab!« gebot ich ihm.

»Was soll ich da unten tun?«

»Wir werden eine Kellerversammlung veranstalten, weil man da unten am ungestörtesten beraten kann.«

Als er noch zögerte, zog Halef die Peitsche aus dem Gürtel. Jetzt bequemte sich der Wirt zum Hinabsteigen. Die Andern mußten ihm alle auch folgen, nachdem wir sie von den Fesseln befreit hatten. Zuletzt stieg die Frau hinab, und wir zogen die Leiter empor. Dann wurden die in der Schlafstube befindlichen Kissen und Decken herbei geholt und ihnen hinabgeworfen, und endlich erklärte ich ihnen:

»Jetzt könnt ihr die Beratung da unten beginnen. Ihr mögt also überlegen, ob ihr mir bis morgen früh alles aufrichtig gestehen wollt. Und damit es euch nicht einfällt, den Beratungsraum auf irgend eine Weise zu verlassen, will ich euch sagen, daß wir hier auf der Türe wachen werden.«

Sie hatten sich bisher schweigsam verhalten; nun aber protestierten sie laut; doch wir schnitten den Einspruch ab, indem wir die Türe zuwarfen und verschlossen. Den Schlüssel steckte ich ein. Halef und Osko blieben als Wachen da.

Mit Omar kehrte ich ins Haus des Schäfers zurück, der in großer Neugierde auf uns gewartet hatte. Er erfuhr so viel, als wir für angemessen hielten, ihm anzuvertrauen; dann begaben wir uns zur Ruhe.

Nach der Anstrengung in den letzten Tagen war unser Schlaf so tief, daß wir wohl erst am späten Vormittag aufgewacht wären. Doch hatte ich unsern Wirt gebeten, uns bei Tagesanbruch zu wecken.

Als wir dann nach dem Konak gingen, fanden wir die Türe von innen verriegelt. Halef und Osko schliefen noch, und wir mußten klopfen. Sie hatten sich ein Lager aus Heu und Stroh auf der Kellertüre bereitet und teilten uns mit, daß die Gefangenen sich sehr ruhig verhalten hätten. Als die Kellertüre geöffnet und die Leiter hinabgegeben worden war, stieg der Konakdschi mit den Seinen herauf. Die Gesichter, welche wir zu sehen bekamen, waren wirklich zum Malen. Es stand auf allen der intensivste Grimm geschrieben, obwohl Jeder und Jede sich zu beherrschen suchte. Der Wirt wollte mit Vorwürfen und Verteidigungen beginnen; ich schnitt ihm aber die Rede durch die Worte ab:

»Wir haben nur mit dir zu verhandeln; komm in die hintere Stube. Die Andern mögen sich an ihr Tagewerk begeben.«

Diese Andern waren im nächsten Augenblick verschwunden. Als wir dann in der Stube saßen, stand der Konakdschi mit einem Armensündergesicht vor uns.

»Du hast während der ganzen Nacht Zeit gehabt, nachzudenken, ob du uns ein offenes Geständnis ablegen willst,« begann ich. »Wir erwarten deine Antwort.«

»Herr,« meinte er, »ich habe gar nicht nötig gehabt, nachzudenken. Ich kann doch nichts weiter sagen, als daß ich unschuldig bin.«

Nun erging er sich in den einzelnen Vorfällen der verflossenen Nacht und wußte denselben die beste Seite für sich abzugewinnen. Er hatte während der Nacht seine Verteidigung reiflich überlegt und führte sie nun mit Geschick durch. Um ihn zu täuschen, sagte ich endlich:

»Wie mir jetzt scheint, haben wir dich allerdings ohne Grund im Verdacht gehabt und ich bin erbötig, dir jede angemessene Genugtuung zu geben.«

»Herr, ich verlange nichts. Es genügt mir, zu hören, daß du mich für einen ehrlichen Mann hältst. Du bist hier fremd im Lande und kennst die Verhältnisse desselben nicht. Da ist es kein Wunder, wenn du einen solchen Fehler begehst. Auch deine Leute sind nicht von hier, wie es scheint. Da wäre es sehr geraten, dir für deine Weiterreise einen Mann zu nehmen, wenigstens von Zeit zu Zeit, auf welchen du dich in solchen Lagen vollständig verlassen könntest.«

Aha! Jetzt war er bei dem beabsichtigten Thema angekommen. Ich ging auf dasselbe ein, indem ich antwortete:

»Du hast recht. Ein zuverlässiger Führer ist viel wert. Aber eben weil ich ein Fremder bin, ist es nicht geraten, mir einen solchen zu nehmen.«

»Warum?«

»Weil ich die Leute nicht kenne. Wie leicht könnte ich einen Menschen anwerben, der mein Vertrauen nicht verdient!«

»Das ist freilich wahr.«

»Wüßtest du einen zuverlässigen Führer für mich?«

»Vielleicht. Ich müßte natürlich erfahren, wohin ihr wollt.«

»Nach Kakandelen.«

Das war nicht wahr, aber ich hatte meine Absicht, so zu sagen. Er machte auch sogleich ein enttäuschtes Gesicht und sagte rasch:

»Das hätte ich nicht erwartet, Herr.«

»Warum nicht?«

»Weil ich gestern hörte, daß ihr nach einer ganz andern Richtung reiten wolltet.«

»Welche wäre das?«

»Hinter den fünf Reitern her.«

»Ah so! Aber wer hat es dir gesagt?«

»Sie haben es erwähnt, als sie von euch sprachen. Sie sagten, ihr hättet sie schon seit langer Zeit verfolgt.«

»Das gebe ich zu; aber es ist nicht meine Absicht, es länger zu tun.«

»So mußt du einen sehr triftigen Grund haben, Herr, dich so plötzlich anders zu entschließen?« fragte er in vertraulichstem Ton.

»Ich bin es müde geworden,« erwiderte ich, »hinter Leuten herzulaufen, welche mir doch immer wieder entgehen. Man kommt dabei in Unannehmlichkeiten und begeht Fehler, die man nicht verantworten kann. Das hast du ja wohl selbst erfahren.«

»O, von gestern wollen wir ja gar nicht mehr sprechen. Was geschehen ist, das ist vergessen und vergeben. Diese fünf Männer müssen dich doch tief beleidigt haben?«

»Außerordentlich.«

»Nun, da du ihnen schon so lange gefolgt bist, so wäre es Torheit, wenn du jetzt von ihnen ablassen wolltest, eben jetzt, wo es gewiß ist, daß du dich ihrer bemächtigen könntest, wenn du nur ernstlich wolltest.«

»Woher weißt du das?«

»Ich schließe es aus dem, was ich von ihnen erlauschte. Du weißt doch wohl, wohin sie reiten wollen?«

»Woher sollte ich das wissen? Eben diese Unkenntnis ist ein Grund, auf die weitere Verfolgung zu verzichten. Sie sind mir gestern abermals entkommen, ich weiß nicht, wohin. Nun muß ich suchen, forschen und mich erkundigen, und bevor ich etwas Gewisses erfahre, sind sie längst über alle Berge. Da kehre ich lieber wieder um.«

Jetzt nahm er eine geheimnisvolle Miene an und sagte:

»Du wirst jetzt erfahren, daß ich nicht rachsüchtig bin, Effendi. Ich werde dir einen großen Dienst erweisen, indem ich dir sage, wo du diese Leute treffen kannst.«

»Ah, du weißt es! Wohin sind sie denn geritten?«

»Von hier nach Glogovik. Sie fragten mich, wie weit es bis dorthin sei, und ich habe ihnen den Weg beschreiben müssen.«

»Das ist ja prächtig!« rief ich erfreut. »Diese Nachricht ist mir freilich höchst wichtig. Da reiten wir heute noch nach Glogovik. Aber ob wir dort erfahren, wohin sie weiter geritten sind?«

»Danach brauchst du dort gar nicht zu fragen, weil ich es schon weiß.«

»So sind sie doch ganz außerordentlich mitteilsam gegen dich gewesen!«

»O nein; ich habe alles nur erlauscht.«

»Desto besser, denn da brauche ich nicht zu denken, daß sie dich absichtlich täuschen wollten. Also, wohin trachten sie?«

»Nach Fandina. Dieser Ort liegt jenseits des Drin. Dort wollen sie einige Zeit verweilen, und da kannst du dich ihrer bemächtigen.«

Es war mir klar, daß diese Richtung nach Fandina erlogen sei; dennoch sagte ich:

»Ist dir vielleicht der Weg von Glogovik nach Fandina bekannt?«

»Sehr gut sogar. Ich stamme aus jener Gegend. Ihr kommt durch höchst interessante Gegenden, zum Beispiel zu dem berühmten Teufelsfelsen.«

»Warum führt er diesen Namen?«

»Du bist ein Christ und wirst also wissen, daß Isa Ben Mariam (* Jesus.) von dem Scheïtan versucht wurde. Diesem gelang sein Vorhaben nicht, er machte sich von dannen und hielt seine erste Rast an jenem Felsen. Voll des höllischen Grimmes schlug er in seinem Zorn mit der Faust auf den Berg, daß die gewaltige Felsenmasse mitten auseinander borst. Durch die dadurch entstandene Spalte führt jetzt der Weg, auf welchem ihr reiten müßt.«

»Das ist Sage?«

»Nein, es ist die Wahrheit. Darum wird jener Felsen der Felsen des Teufels genannt.«

»So bin ich neugierig, ihn zu sehen.«

»Sodann kommst du in dichten Wald, wo zwischen Felsen die berühmte Dschewahiri maghara (** Juwelenhöhle.) liegt.«

»Was hat es mit ihr für eine Bewandtnis?«

»Eine Fee liebte einen Sterblichen. Der Herr des Feenreiches hatte Mitleid mit den Qualen ihrer Liebe und erlaubte ihr, dem Geliebten anzugehören, doch müsse sie auf ihre Vorzüge verzichten, menschliches Wesen annehmen und auch sterben. Sie willigte ein und durfte nun zur Erde nieder; auch wurde ihr erlaubt, alle ihre Juwelen mitzunehmen. Aber als sie zur Erde kam, war ihr inzwischen der Geliebte untreu geworden, und aus Gram darüber zog sie sich in jene Höhle zurück, in welcher sie ihre Juwelen verstreute, um sich dann in Tränen aufzulösen. Wer in jene Höhle kommt und kein schweres Verbrechen auf dem Gewissen hat, der findet einen jener Steine. Viele, sehr viele sind arm hineingegangen und reich herausgekommen, denn die Juwelen der Fee sind von sonst nirgends gesehener Größe und Reinheit.«

Er betrachtete mich forschend von der Seite, um zu sehen, welchen Eindruck die Sage auf mich mache. Das also war die Lockspeise, mit welcher er dem Köhler seine Opfer in die Hände lieferte! Wenn man den Aberglauben der dortigen Bevölkerung in Betracht zieht, erstaunt man wohl nicht darüber, daß sich selbst reiche Leute gefunden hatten, welche sich durch diese alberne Geschichte verlocken ließen.

Mit besonderer Betonung fügte nun der Wirt hinzu:

»Ich selbst kenne einige Männer, welche solche köstliche Steine gefunden haben.«

»Du nicht auch?« fragte ich.

»Nein, denn ich fand keinen Edelstein, weil ich bereits zu alt war. Man darf nämlich nicht über vierzig Jahre alt sein.«

»So hat die Fee die jungen Männer den alten vorgezogen! Du hättest also eher suchen sollen.«

»Da wußte ich noch nichts von der Höhle; du aber hättest noch Zeit – du bist jung.«

»Pah! Ich bin reich – ich habe vielleicht so viel Geld bei mir, daß ich mir einen solchen Diamanten kaufen kann.«

 

Ich sah ihm scheinbar unbefangen in das Gesicht und bemerkte, daß er die Farbe wechselte. Wollte er mich mit Diamanten ködern, so steckte ich ihm Gold an meine Angel. Anbeißen würden wir beide; das war vorauszusehen. Er wollte mich in die Höhle und ich wollte ihn mit mir zu dem Köhler locken.

»So reich bist du!« rief er erstaunt. »Ja, das konnte ich mir denken. Ist doch allein dein Pferd mehr wert als alles, was mir gehört. Aber einen Diamanten der Fee zu finden, das müßte dich trotzdem auch locken.«

»Freilich lockt es mich. Aber ich weiß doch nicht, wo die Höhle liegt. Vielleicht könntest du es mir beschreiben.«

»Das wäre nicht hinreichend. Du mußt Scharka, den Köhler, aufsuchen, welcher dich hinführen wird.«

»Was ist das für ein Mann?«

»Ein sehr frommer, einsamer Kohlenbrenner, welcher für ein kleines Bakschisch die Fremden in der Höhle umherführt.«

Und der Wirt gab sich außerordentlich Mühe, mich für diese Höhle zu begeistern. Ich tat, als ob ich ihm jedes Wort glaubte, und bat ihn, mir den Weg nach Glogovik zu beschreiben, und er erbot sich, einen seiner Knechte als Führer mitzugeben.

»Aber weiß er denn auch den Weg von Glogovik nach dem Felsen des Teufels und nach der Höhle der Juwelen?« fragte ich.

»Nein; er ist noch niemals dort gewesen.«

Auf dem Gesicht des Wirtes lag ein Ausdruck der Erwartung, der Spannung, welchen ich gar wohl verstand. Ich hatte von einer so großen Summe gesprochen, welche ich bei mir trüge. Sollte der Köhler dieses Geld allein bekommen oder sollte es zwischen ihm und unsern fünf Gegnern geteilt werden, ohne daß er, der Wirt, der uns ihnen doch in die Hände lieferte, etwas bekam? Und wurde er mit einem Teile bedacht, dann jedenfalls nur mit einer Kleinigkeit. War es nicht vielleicht für ihn möglich, alles zu bekommen?

Das ging ihm im Kopf herum. Was ich gewünscht hatte, das hatte ich erreicht; er trug das Verlangen, selbst unser Führer zu sein, wollte sich uns aber nicht anbieten. Ich machte ihm die Sache leicht, indem ich sagte:

»Das tut mir leid. Ich möchte nicht so oft mit dem Führer wechseln. Wer weiß, ob ich in Glogovik jemanden finde, welcher mich nach Fandina bringen kann! Lieber wäre mir also jemand, der von hier aus die ganze Strecke kennt.«

»Hm! Das ist nicht leicht. Wie viel würdest du zahlen?«

»Ich gebe gern zweihundert bis zweihundertfünfzig Piaster, samt der Beköstigung natürlich.«

»Nun, da würde ich selbst dich führen, Effendi, wenn du es mit mir versuchen willst!«

»Mit Freuden! Ich werde sogleich satteln lassen.«

»Wo hast du denn deine Pferde?«

»Drüben bei dem Schäfer, dem ich von seinem Sohn einen Gruß zu bringen hatte. Ich blieb bei ihm, weil ich wußte, daß meine Feinde sich bei dir befanden. Aber – da fällt mir ein: du sprachst von dem Werte meines Pferdes; ich weiß aber, daß du es noch gar nicht gesehen hast.«

»Die fünf Reiter erwähnten es und konnten es gar nicht genug rühmen.«

»Ja, sie haben es nicht allein auf mich, sondern auch auf meinen Rappen abgesehen. Dieses Gelüste aber müssen sie sich vergehen lassen. Sie bekommen weder mich, noch das Pferd, aber ich bekomme sie.«

Ich sagte diese prahlerischen Worte, um zu sehen, welche Miene er dabei machen würde. Es zuckte ihm um die Lippen, aber er bezwang doch das ironische Lächeln, welches hervorbrechen wollte, und sagte:

»Ich bin vollständig davon überzeugt. Was sind diese Burschen hier gegen euch!«

»Also mache dich fertig! In einer halben Stunde halten wir draußen an der Furt.«

Ich nickte ihm noch sehr wohlwollend zu, und dann gingen wir. Unterwegs sagte der kleine Hadschi:

»Sihdi, du magst es mir getrost glauben, daß mich der verbissene Grimm bald erwürgt hat. Ich hätte unmöglich so freundlich wie du mit dem Schurken sein können. Soll denn das so fortbestehen?«

»Einstweilen, ja. Wir müssen ihn sicher machen.«

»So unterhalte du dich mit ihm. Auf den Quell meiner Sprachfertigkeit aber muß er verzichten.«

Auch der brave Schäfer machte ein besorgtes Gesicht, als er hörte, wer an Stelle seines Knechtes, welchen er uns angeboten hatte, unser Führer sein sollte. Ich beruhigte ihn mit der Versicherung, daß der Wirt mir gar nichts anhaben könne.

Unser Abschied war herzlich.

Als wir an die Furt kamen, wartete der Wirt bereits dort. Er saß auf einem nicht üblen Pferd und war mit Messer, Pistolen und einer langen Flinte bewaffnet. Bevor unsere Pferde die Hufe ins Wasser setzten, wendete er sich gegen Osten, streckte die offene Hand aus und sagte:

»Allah sei bei uns vorwärts und rückwärts. Er lasse unser Vorhaben gelingen, Allah 'l Allah, Mohammed Rassuhl Allah!«

Das war die nackte Gotteslästerung! Allah sollte ihm bei der Ausführung des Raubmordes beistehen! Ich mußte unwillkürlich nach Halef blicken. Dieser preßte die Lippen aufeinander und zuckte mit der Hand nach der Peitsche; dann sagte er:

»Allah kennt den Ehrlichen und gibt seinem Werke Segen; der Ungerechte aber fährt zur Hölle!«

Der Ritt von hier nach Glogovik war fast genau so lang wie derjenige, welchen wir gestern zurückgelegt hatten; da es voraussichtlich keinen Aufenthalt wie am vorigen Tage gab, hofften wir, schon am Nachmittag dort anzukommen.

Gesprochen wurde wenig. Das Mißtrauen verschloß meinen Gefährten den Mund, und der Konakdschi machte keinen Versuch, ihre Einsilbigkeit zu brechen. Er mochte befürchten, durch ein unbedachtes Wort den Verdacht, welchen er eingeschlafen wähnte, wieder zu wecken.

Die Gegend war bergig, aber so wenig interessant, daß gar nichts über sie zu sagen ist. Erreichten wir ja einmal ein kleines Dorf, so widerte uns die Armseligkeit desselben so an, daß wir uns beeilten, hindurch zu kommen.

Glogovik liegt an dem früher berühmten Bergpfad, welcher in Toli Monastir beginnt und zwischen den Flüssen Treska und Drin fast grad nach Norden streicht und dann mit einer plötzlichen Wendung nach Osten in Kakandelen endet. Ich ließ mir sagen, daß dieser Weg jetzt kaum noch sichtbar sei.

Als wir Glogovik vor uns liegen sahen, hielt Halef sein Pferd an und überflog mit finsterem Blick die ärmlichen Hütten, in welche ein deutscher Bauer wohl schwerlich seine Kühe stecken würde. Auf einer Anhöhe stand eine kleine Kapelle – ein Zeichen, daß ein Teil der Einwohnerschaft oder auch die ganze Bevölkerung sich zum Christentum bekenne.

»O wehe!« sagte er. »Wollen wir etwa hier bleiben, Effendi?«

»Wohl nicht,« antwortete ich mit einem fragenden Blick auf den Führer. »Es ist ja erst zwei Stunden nach Mittag. Wir tränken die Pferde und reiten dann wieder vorwärts. Hoffentlich gibt es im Dorf ein Einkehrhaus?«

»Es ist eins da, aber es wird dir nicht genügen,« meinte der Konakdschi.

»Für unsern Zweck reicht es jedenfalls aus.«

Wir erreichten die ersten Häuser und sahen einen Kerl im Grase liegen, welcher, als er den Hufschlag unserer Pferde hörte, aufsprang und uns anstarrte. Er war der glückliche Besitzer eines Anzuges, um dessen Einfachheit ihn ein Papua hätte beneiden können. Eine Hose, aber was für eine! Das rechte Bein derselben reichte zwar bis auf den Knöchel herab, war aber auf beiden Seiten aufgeschlitzt und hatte buchstäblich Loch an Loch. Das linke Bein ging bereits unter der Hüfte seinem Ende entgegen und lief in eine ganz unbeschreibliche Garnierung von Fransen und Fäden aus. Das Hemd hatte keinen Kragen, keinen rechten und nur einen halben linken Aermel. Es war ihm höchst wahrscheinlich einmal abgerissen worden, nämlich der untere Teil, denn es reichte nur so weit herab, daß zwischen demselben und dem Hosenbund ein Streifen niemals gewaschener, lebendiger Menschenhaut zu sehen war. Auf dem Kopf trug dieser Dandy einen mächtigen Turban von einem Stoff, welchem ich die Marke »Scheuerhader« geben würde. Mehrere bunte Hahnenfedern wiegten sich würdevoll auf dieser Kopfbedeckung. Ausgerüstet war er mit einem alten, fast halbkreisförmig gekrümmten Säbel. Ob es nur die fürchterlich rostige Klinge der Waffe war, oder ob dieselbe in einer schwarzen Lederscheide steckte, das war nicht zu unterscheiden.