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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Jetzt kommt er noch nicht, und Rih ist kein Köhlerpferd. Ich glaube sogar, ich könnte es dem Rappen überlassen, ganz allein mit dem Bären fertig zu werden. Ein solches Rassetier verhält sich ganz anders als ein gewöhnlicher Gaul. Wir können unsere Tiere getrost noch weiden lassen. Kommt der Bär wirklich, so kommt er frühestens zwei Stunden vor Mitternacht. Um aber nichts zu versäumen, werden wir draußen ein Feuer anzünden, an welchem wir uns niederlassen. Da haben wir die Pferde vor Augen und können ihnen mit unseren Gewehren sofort zu Hilfe kommen. Uebrigens wird das Feuer weithin leuchten und den Bären abhalten, auch bei der Lockspeise seinen Besuch zu früh zu machen. Jetzt handelt es sich um das Pferdefleisch.«

Der Kohlenhändler ging sehr gern auf meine Absicht ein. Für ihn war die Hauptsache, daß das Raubtier getötet werde. Er löste diejenigen Teile des Pferdes, auf welche er es abgesehen hatte, von den Knochen. Dann blieb noch immer genug für den Bären übrig. Für diesen Rest verlangte er dreißig Piaster, also nicht ganz sechs Mark, welche ich ihm gern zahlte.

Draußen an der Giebelmauer des Hauses lag eine ansehnliche Menge von Brennholz aufgeschichtet. Ich kaufte es dem Wirt für zehn Piaster ab und ließ unweit der Haustüre, welche nach der Waldzunge hin lag, ein großes Feuer anmachen, das bis zu unserem Aufbruch zur Jagd unterhalten werden sollte. Es leuchtete weit genug, so daß wir unsere in der Nähe des Hauses weidenden Pferde sehen und bewachen konnten. Osko blieb da zurück, während wir Andern uns nun zunächst nach der Wohnstube begaben. Ich wollte den Mübarek sehen.

Wir hatten, während wir draußen beschäftigt waren, sein ununterbrochenes Klagen gehört. Er bot einen schrecklichen Anblick. Seine verzerrten Züge, seine blutunterlaufenen Augen, der Gischt, welcher ihm vor dem Mund stand, die Flüche und Verwünschungen, welche er ausstieß, und der von ihm ausströmende üble Geruch wirkten so abstoßend, daß es mir große Ueberwindung kostete, vor ihm niederzuknien, um seine Wunde zu untersuchen.

Der Verband war ihm nur sehr nachlässig und von ungeschickten Händen wieder angelegt worden. Als ich denselben entfernen wollte und infolgedessen seinen Arm berührte, brüllte er vor Schmerzen wie ein wildes Tier und bäumte sich gegen mich auf. Er hielt mich für den Scheïtan, welcher ihn zerreißen wolle, wehrte mich mit dem unverletzten Arm von sich ab und bat mich um Gnade und um die Erlaubnis, zur Erde zurückkehren zu können. Er versprach mir als Lösegeld Tausende von Menschen, welche er ermorden wolle, um mir ihre Seelen zur Hölle zu senden.

Das Fieber gab ihm solche augenblickliche Kraft, daß ich Gewalt anwenden mußte. Es gehörten drei Personen dazu, um ihn zu halten, damit ich ihm die Lappen von den Wunden wickeln konnte. Da sah ich denn sofort, daß Rettung gar nicht möglich sei. Selbst eine Amputation des verletzten Gliedes wäre hier zu spät gekommen. Ich legte auch seine Schulter bloß, indem ich den Kaftan aufschnitt. Der Brand, die zersetzende Fäulnis, war bereits eingetreten, und die ekelhafte Jauche verbreitete einen Verwesungsgeruch, welcher entsetzlich war.

Hier konnte man nichts tun, als ihm Wasser geben, nach welchem er schrie. Das überließen wir der Frau. Es war wie ein Wunder, daß dieser Mensch den Ritt bis hierher hatte aushalten können. Wir standen schaudernd bei ihm und gedachten nicht mehr seiner Feindseligkeit, sondern nur des grausigen Endes, welches er sich selbst bereitet hatte. Der Konakdschi sagte:

»Herr, wäre es nicht besser, wir töteten ihn? Es wäre die größte Wohltat, welche wir ihm erweisen könnten.«

»Das meine ich auch,« antwortete ich; »aber wir haben kein Recht dazu. Noch hat er kein Wort der Reue gesprochen; er will vielmehr den Teufel durch die Verheißung grausiger Mordtaten bestechen. Daraus können wir entnehmen, welche schwarze Seele in diesem lebendig verwesenden Körper wohnt. Vielleicht gibt ihm Gott noch einmal das Bewußtsein zurück und damit die letzte Gelegenheit, seine Sünden zu bekennen. Uebrigens sind seine Qualen nicht unverdient, und – was ihr nicht übersehen dürft – er liegt vor euch als abschreckendes, warnendes Beispiel, dessen deutliche und ergreifende Sprache zwar an uns alle, ganz besonders aber an euch gerichtet ist, an dich, Konakdschi, an Junak und auch an Guszka, dessen Frau.«

»An uns?« fragte der Erstgenannte verlegen. »Weshalb denn?«

»Ich will euch nur sagen: Wer auf den Pfaden dieses Mannes wandelt, der läuft Gefahr, zu demselben schrecklichen Ende zu gelangen. Ich habe noch niemals einen Gottlosen glücklich gesehen.«

»So meinst du, dieser fromme Mann sei gottlos gewesen?«

»Ja, und du weißt sehr gut, daß ich recht habe.«

»Aber er hat stets für heilig gegolten. Warum hat Allah ihn nicht eher gestraft?«

»Weil Allah gnädig und langmütig ist und selbst dem härtesten Sünder Zeit zur Umkehr und Besserung gibt. Aber Allah sieht nur eine Weile zu, und wird die Zeit der Barmherzigkeit nicht benützt, so bricht sein Strafgericht um so schrecklicher herein. In dem Lande meiner Heimat gibt es ein Sprichwort, welches lautet:

Allah dejirmenler jawasch öjütirler,

Lakin korkurlu jufka öjütirler.

(* Gottes Mühlen mahlen langsam,

Mahlen aber schrecklich klein.)

Dieses Wort gilt auch für euch. Es trägt für den Sünder eine furchtbare Wahrheit in sich. Ich wünsche, daß ihr dieselbe erkennt und nach ihr handelt. Tut ihr das nicht, so werdet ihr ebenso wie der Mübarek dem Strafgericht verfallen.«

»Herr, mir gelten deine Worte nicht,« lachte der Konakdschi. »Ich bin dein Freund und habe mit dem Alten nichts zu schaffen. Allah kennt meine Gerechtigkeit und weiß, daß ich keine Strafe verdiene. Und auch dieser Mann, der Kohlenhändler, und seine Frau sind ehrliche Leute. Du hast uns eine Rede gehalten, die wir nicht auf uns zu beziehen brauchen. Jeder Mensch sollte sich um seine eigenen Fehler bekümmern.«

Da er sich seiner bösen Absichten gegen uns sehr wohl bewußt war, so konnten diese Worte nur als eine Frechheit bezeichnet werden. Halef griff auch nach der Stelle seines Gürtels, an welcher sich die Peitsche befand. Ich gab ihm aber einen abwehrenden Wink und antwortete dem Konakdschi:

»Du hast recht, denn wir alle sind Sünder, und ein jeder Mensch hat seine Fehler. Dennoch ist es Pflicht, den Nächsten zu warnen, wenn er sich in eine Gefahr begibt, in welcher er leicht umkommen kann. Und es gibt keine größere Gefahr als diejenige, mit der Langmut und Barmherzigkeit Allahs sein Spiel zu treiben. Ich habe diese meine Pflicht getan, und es ist nun eure Sache, meiner Warnung Gehör zu schenken oder nicht. Wir sind hier fertig und wollen nun das Fleisch nach der Stelle tragen, an welcher das Pferd überfallen ward.«

Wir begaben uns in den Schuppen. Das Gerippe des Pferdes hielt noch zusammen, und wir konnten es gleich im ganzen tragen. Halef und der Kohlenmann faßten vorn an, ich trug hinten, und dann marschierten wir ab. In der Nähe des Platzes angekommen, gebot ich, die Last niederzulegen. An dem schweren Geripp hing wohl noch ein voller Zentner Fleisch. Das Fell hatte der Wirt schon abgezogen.

Ich gebot, unsere Sohlen recht fest an dem Fleische hin und her zu reiben, damit der Bär nicht unsere frischen Spuren wittere. Der Fleischgeruch mußte seine Nase irreführen. Dann ging es weiter.

Als wir die Stelle erreichten, sah ich, daß sie außerordentlich gut für unsern Zweck geeignet war. Ich erkannte trotz des abendlichen Dunkels die Einzelheiten der Oertlichkeit, da ich sie in einem Halbkreise so umschritt, daß sie zwischen mir und dem helllodernden Feuer lag und sich also alle Umrisse gegen dasselbe abzeichneten.

Die sehr scharf vortretende Zunge des Waldes endete in einer schroff felsigen Spitze, von welcher schwere, quaderartige Massen abgestürzt waren. Diese lagen zerstreut unten umher. Zwischen ihnen war das tote Pferd aufgefunden worden. Wir hatten es genau an demselben Punkt wieder hingelegt, und wenn wir uns im richtigen Wind hinter eins der Felsstücke legten, so konnte uns das Raubtier, falls es wirklich kam, gar nicht entgehen.

Dem Kohlenhändler war es an diesem Ort nicht geheuer, und er ging alsbald davon. Wir folgten ihm langsam nach.

»Der Kerl will nicht gefressen werden,« lachte Halef. »Jetzt im Dunkeln könnte ihm das vielleicht passieren, aber ich wette, wenn der Bär ihn am Tage sähe, so würde er den Kopf schütteln und sagen: du bist mir zu schmutzig! Sihdi, du winktest mir nach dem Päckchen, welches er in der Hand hatte?«

»Ja. Weißt du, was es enthielt?«

»Natürlich! Ich erkannte sogleich den Lappen, welchen die Besitzerin des Fischtranes um das Geräucherte gewickelt hatte. Ich hatte ihn samt der Wurst weggeworfen. Sollte er auch die Wurst gefunden haben?«

»Höchst wahrscheinlich, denn das, was der Lappen enthielt, hatte ganz die Form einer Wurst.«

»So mag er sie essen und die Fortsetzung meiner Qual empfinden! Ich wollte, ich könnte ihm dabei zusehen; es sollte mir eine Augenweide sein.«

»Dieses Vergnügen wirst du vielleicht haben. Weil er diesen Fund gemacht hat, so schließe ich daraus, daß er sich dort befand, wo du die Wurst weggeworfen hast. Was hatte er dort zu suchen? Sein Weib sagte, er sei fortgegangen, um die Fährte des Bären zu entdecken; das ist aber nicht wahr. Er hat erfahren, daß wir kommen werden, und seine Ungeduld trieb ihn, uns entgegenzugehen. Er muß also an unserm Eintreffen ein Interesse haben, zumal er denken mußte, daß wir während seiner Abwesenheit den Mübarek, welchen wir doch nicht sehen sollten, viel leichter entdecken könnten, als wenn er persönlich anwesend wäre. Das läßt mich vermuten, daß ihm von der Beute, welche die Schurken bei unserer Ermordung machen wollen, ein Teil zugesichert ist.«

»Da soll er sich den Mund abwischen, ohne gegessen und getrunken zu haben. Ich sage dir, Sihdi, daß wir viel zu glimpflich mit diesen Leuten verfahren. Erschießen sollten wir sie; die Menschheit würde uns Dank dafür wissen. «

 

»Du weißt, wie ich darüber denke. Ich habe ja auch geschossen. Der Mübarek wird an meinen beiden Kugeln sterben. Aus dem Hinterhalt töte ich sie nicht. Das wäre Mord. Aber wenn sie uns so angreifen, daß unser Leben bedroht ist, dann verteidigen wir uns mit allen Mitteln.«

Wir kamen bei dem Feuer an, um welches sich mittlerweile die Andern gelagert hatten. Der Konakdschi hatte zwei Gabeläste in die Erde gesteckt und war nun damit beschäftigt, ein großes Stück Pferdefleisch an einen dritten Ast zu schieben, welcher die Stelle des Bratspießes vertreten sollte. Wenn er glaubte, bei diesem Braten uns als Gäste zu bekommen, so mußte er verzichten. Glücklicherweise hatten wir noch einen kleinen Speisevorrat bei uns, welcher für diesen Abend leidlich ausreichte.

Als der Kohlenhändler uns essen sah, bekam er solchen Appetit, daß er das Garwerden des Pferdebratens nicht erwarten konnte. Er ging in das Haus und brachte seine Frau und – das ominöse Päckchen herbei. Beide setzten sich nebeneinander an das Feuer. Er wickelte den Lappen auf, und richtig, die Wurst war darin mit Ausnahme der Düte. Er teilte die Wurst, aber sehr ungleich; seine Frau bekam den kleinen und er nahm den großen Teil. Von dem Konakdschi befragt, woher er die Wurst habe, erklärte er, sie von einer seiner Handelsfuhren mitgebracht zu haben. Er durfte sie essen, weil er kein Mohammedaner war. Und die beiden aßen denn auch mit größtem Behagen. Halef sah ihnen aufmerksam zu. Er hätte gern eine Bemerkung gemacht, aber er durfte ja nichts sagen.

Aus dem Hause erschallte das immerwährende Aechzen und Wimmern des Mübarek, untermischt mit einzelnen schrillen Angstschreien. Es klang, als ob ein Mensch auf der Folter läge. Seine Verbündeten machten sich nichts daraus. Ich forderte das Weib auf, wieder einmal nach ihm zu sehen und ihm Wasser zu geben; aber eben war der Braten fertig geworden, und so weigerte sie sich, meinem Wunsch nachzukommen. Darum stand ich selbst auf, um es zu tun.

Grad als ich mich erhob, ließ der Kranke ein so entsetzliches Gebrüll hören, daß es mich eiskalt überlief. Ich wollte zu ihm hineineilen, aber da erschien er auch bereits unter der Türe und schrie:

»Hilfe! Hilfe! Es brennt! Ich stehe in Flammen!«

Er stürzte auf uns zu. Die Aufregung des Fiebers spottete der Schwachheit seiner Kräfte. Schon nach einigen Schritten blieb er stehen, stierte das Feuer an und brüllte entsetzt:

»Auch hier Flammen! Ueberall Flammen, hier, da, dort! Und in mir brennt's auch, brennt's, brennt's! Hilfe! Hilfe!«

Er warf den unverletzten Arm in die Luft und fiel dann schwer zu Boden, wo er leise, aber herzbrechend fortwimmerte.

Wir hoben ihn auf, um ihn wieder in die Stube zu tragen, hatten aber Mühe, ihn fassen zu können, denn er hielt uns für böse Geister und wehrte sich verzweifelt gegen uns. Als wir ihn drinnen auf das Lager legten, war er matt geworden und schloß die Augen.

Aber bald begann er von neuem, und zwar so, daß es kaum auszuhalten war. Erst nach langer Zeit wurde es still, und ich ging hinein, um nach ihm zu sehen. Er lag im Finstern; darum brannte ich einen Span an und leuchtete ihm in das Gesicht.

Seine Augen waren groß auf mich gerichtet. Er hatte die Besinnung wieder erhalten und erkannte mich.

»Hund!« zischte er mich an. »Bist du also doch gekommen? Allah verfluche dich!«

»Mübarek,« sagte ich ernst, »denke an deinen Zustand. Bevor die Sonne sich erhebt, stehst du vor dem ewigen Richter. Kannst du deine Sünden zählen? Gehe in dich, und bitte Allah um Gnade und Barmherzigkeit!«

»Teufel! Du bist mein Mörder. Aber ich will nicht sterben; ich will nicht! Dich, dich, dich will ich sterben sehen!«

Ich kniete ganz nahe bei ihm, mit dem Wassertopf in der Hand, aus welchem ich ihn hatte erquicken wollen. Er tat einen schnellen Griff und riß mir das Messer aus dem Gürtel. Ebenso schnell stieß er zu. Er hätte mich in die Brust getroffen, wenn ich den Stoß nicht mit dem tönernen Topf pariert hätte. Im nächsten Augenblick hatte ich ihm das Messer wieder entrissen.

»Mübarek, du bist wirklich ein entsetzlicher Mensch. Noch im letzten Augenblick willst du deine Seele mit einer Bluttat mehr belasten. Wie kannst du – — «

»Schweig!« unterbrach er mich brüllend. »Warum habe ich das Fieber! Warum bin ich so schwach, daß ich mir die Waffe wieder entringen lassen muß! Höre, was ich dir jetzt sagen werde!«

Er richtete sich langsam empor. Seine Augen funkelten wie die eines Panthers. Ich trat unwillkürlich zurück.

»Fürchtest du dich vor mir?« hohnlachte er. »O, es ist auch fürchterlich, mich zum Feind zu haben! . – Allah, Allah, da brennt es schon wieder! Ich sehe das Feuer kommen. Es naht, es naht; es brennt – brennt!«

Er sank nieder und heulte weiter. Sein Bewußtsein schwand, und das Fieber überwältigte ihn abermals. Der Geruch in der Stube war unerträglich. Ich atmete tief auf, als ich mich wieder draußen in der frischen Luft befand, aber nicht allein dieses Geruches wegen.

Wer einen Menschen in dieser Weise hat sterben sehen, der kann das nie vergessen. Noch heute überläuft mich ein Grauen, wenn ich an jenen Abend denke. Was ist der Mensch, der es wagt, sich gegen Gottes Gesetze aufzubäumen? – —

Meine Uhr zeigte jetzt genau die zehnte Stunde. Da der Türke die Stunden von dem Augenblick des Sonnenunterganges zählt, welcher an diesem Tage auf halb acht fiel, so war es nach dortiger Zeitrechnung halb drei Uhr. Wir tränkten die Pferde im Bache und führten sie dann in den Schuppen.

»Herr, wo sollen denn wir bleiben, ich, mein Weib und der Konakdschi?« fragte der Wirt.

»Geht zu den Pferden hinein,« antwortete ich.

»Nein, nein! Du hast doch selbst gesagt, daß der Bär möglicherweise den Schuppen aufsuchen kann. Wir werden uns in die Stube begeben; aber wenn der Bär kommt, so flüchten wir uns unter das Dach und ziehen die Leiter empor. Den Mübarek mag er immer fressen.«

Was der Mann Leiter nannte, war ein Balken, in welchen man Kerben eingeschnitten hatte. Derselbe lehnte in der Stube, über welcher sich eine Lage von losen Stangen befand, von denen die Decke gebildet wurde.

Wir löschten das Feuer aus, und nun hatten die Drei nichts Eiligeres zu tun, als sich in die Stube zu flüchten. Osko und Omar begaben sich in den Schuppen zu den Pferden, nachdem ich ihnen erklärt hatte, wie sie sich verhalten sollten.

Dann brach ich mit Halef auf. Dieser hatte sich vorher sorgfältig überzeugt, daß ihm sein Gewehr nicht versagen werde. Ich nahm nur die Büchse mit; der Stutzen konnte mir einem solchen Bären gegenüber nichts nützen.

»Jetzt sollte der Kerl schon dort sein, wenn wir kommen,« meinte Halef. »Es ist so finster, daß wir ihn erst sehen würden, wenn wir vor ihm ständen.«

»Eben darum dürfen wir jetzt nicht in gerader Linie gehen. Die Luft streicht von hier hinüber, und er müßte uns unbedingt riechen. Wir machen einen Umweg, indem wir einen Bogen schlagen, so daß wir dann so ziemlich aus der entgegengesetzten Richtung kommen.«

Das taten wir. Als wir uns nachher der betreffenden Stelle näherten, geschah das mit der größten Vorsicht, weil der Bär sich nicht nur bereits dort befinden, sondern auch grad von derselben Seite kommen konnte, aus welcher wir uns heranschlichen.

Wir hielten die Gewehre schußbereit und blieben zuweilen stehen, um zu horchen. Wenn er sich bereits bei dem Pferdegeripp befand, so mußte sein Schmatzen und das Krachen der Knochen zu hören sein. Aber es war kein anderer Laut zu vernehmen, als das leise Rauschen der Winde in den Kronen der Bäume.

Endlich waren wir so nahe, daß wir, um eine Ecke blickend, den Kadaver sehen konnten. Es war kein Bär dabei. Nun kletterten wir auf ein großes Felsenstück in der Nähe. Es hatte doppelte Manneshöhe und gewährte uns Schutz gegen einen direkten Angriff des Raubtieres. Der Stein war dicht mit Moos bewachsen und bot eine ganz behagliche Unterlage. Wir legten uns nebeneinander hin und warteten nun – nicht der Dinge, sondern des Dinges, welches da kommen sollte.

»Sihdi,« flüsterte Halef mir zu, »wäre es denn nicht besser, wir hätten uns getrennt?«

»Freilich; wir könnten da den Bären von zwei Seiten nehmen.«

»So wollen wir es doch tun!«

»Nein, denn du unterschätzest die Gefahr, und das ist stets ein Fehler. Dein Selbstvertrauen kann dich leicht verleiten, eine Unvorsichtigkeit zu begehen. Vor allen Dingen verlange ich, daß du nur dann schießest, wenn ich es dir erlaube.«

»So willst du vor mir schießen?«

»Ja, weil meine Kugel das Fell sicher durchdringt, während dies bei der deinigen sehr zweifelhaft ist.«

»Das tut mir sehr leid, Sihdi, denn ich wollte es sein, der ihn erlegt. Welch ein Ruhm kann es für mich sein, wenn ich meiner Hanneh, der herrlichsten der Frauen, erzähle, daß du das Tier getötet hast? Ich will ihr sagen können, daß er durch meine Kugel fiel.«

»Das wirst du vielleicht können, denn es steht zu erwarten, daß eine einzige Kugel nicht genügt. Dringt sie dem Bären nicht sofort ins Leben, so kommt er sicher hierher, um uns anzugreifen. Dann lassen wir ihn ganze nahe heran, und wenn er sich an dem Stein aufrichtet, um ihn zu erklettern, kannst du ihm mit aller Gemütlichkeit deine Kugel in den Rachen oder gar in das Auge geben.«

»Das sagst du nur, um mich zu trösten. Ich weiß aber, daß du ihn schon mit dem ersten Schuß erlegen wirst. Wann hätte ich dich einmal einen Fehlschuß tun sehen!«

»Ja, fehlen werde ich nicht, aber ich zweifle sehr, daß ich die richtige Stelle treffe. Wir haben von hier aus ein schlechtes Zielen.«

»Das denke ich nicht. Das Pferd liegt ja kaum fünfzehn Schritte von uns!«

»Dennoch können wir die Umrisse des Bären nicht deutlich erkennen, weil wir von oben herab gegen den dunkeln Boden blicken. Lägen wir unten am Boden, so würde sich sein Körper besser von der Erde abzeichnen. Wäre ich allein, so länge ich ganz gewiß unten im Gras.«

»So hast du meinetwegen dich hier herauf gemacht?«

»Ja, zu deiner Sicherheit.«

»Oho! Wenn es sein muß, nehme ich diesen Bären beim Schwanz und zwinge ihn, rückwärts mit mir spazieren zu gehen.«

»Eben diese Dreistigkeit ist es, welche mich beunruhigt. Es könnte leicht kommen, daß der Bär allerdings einen Spaziergang unternimmt, aber mit dem Hadschi Halef Omar im Rachen. Also, schieße ja nicht vor mir! Und nun wollen wir schweigen! Wenn wir sprechen, können wir seine Annäherung nicht bemerken.«

»Von weitem wirst du ihn überhaupt nicht bemerken können,« meinte Halef. »Raubtiere pflegen leise zu gehen. Ich weiß nicht, ob der Bär die Gewohnheit des Löwen hat, welcher in seiner stolzen Furchtlosigkeit sein Nahen bereits aus weiter Ferne durch lautes Brüllen verkündet.«

»Was das betrifft, so hat der Bär nicht ein solch aufrichtiges Gemüt. Er verhält sich überaus schweigsam. Nur wenn er sich einmal bei ungeheurer Laune befindet, oder wenn ihn irgend etwas verdrießt, läßt er ein vergnügtes oder mürrisches Brummen hören.«

»So kann er gar nicht brüllen?«

»O doch, obgleich seine Stimmwerkzeuge nicht zur Hervorbringung der Töne eines Löwen eingerichtet sind. Wenn er sich in höchster Wut befindet, stößt er auch eine Art von Brüllen aus, welches um so schrecklicher klingt, als es ihm sonst nicht eigen ist. Uebrigens ist grad der stille Grimm, mit welchem ein gereizter Bär sich zu rächen sucht, fürchterlicher, als die Wut anderer Raubtiere. Wollen hoffen, dies heute nicht zu erfahren.«

Von jetzt an wurde nicht mehr gesprochen. Wir horchten lautlos in die Nacht hinaus. Die Luft rauschte über den Wald dahin. Das klang wie das Rauschen eines entfernten Wasserfalles. Da dieses Geräusch in ganz gleicher Stärke und ununterbrochen währte, so war es sehr leicht, jeden anderen fremdartigen Laut von demselben zu unterscheiden.

Unsere Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt. Die Uhr, deren Zeiger ich mit der Fingerspitze befühlte, sagte mir, daß es bereits Mitternacht sei.

»Er kommt gar nicht,« flüsterte Halef. »Wir haben uns vergebens gefreut. Ich werde wohl niemals – — «

Er hielt inne, denn er hatte, wie ich, das Geräusch eines rollenden Steines gehört. Wir lauschten angestrengt.

»Sihdi, da fiel ein Stein herab,« flüsterte der Hadschi. »Aber der Bär ist es nicht, sonst müßten wir doch mehrere Steine fallen hören.«

»O nein. Das Fallen dieses einen Steins hat ihn vorsichtiger gemacht. Zwar kann es auch irgend ein anderes Tier sein, aber ich glaube doch, daß er es ist. Jedenfalls werde ich ihn riechen, bevor ich ihn sehe.«

»Ist das möglich?«

»Für den Geübten allerdings. Wilde Tiere haben einen eigenen, scharfen Geruch an sich. Beim Bären ist derselbe freilich lange nicht so stark, wie beim Löwen, Tiger und Panther, aber bemerken werde ich ihn doch. Horch!«

 

Es klang wie das Knacken eines Astes von rechts herüber. Das Tier kam den steilen Abhang der Waldzunge herab. Und jetzt roch ich ihn wirklich. Wer Raubtiere nur im Käfig gesehen hat, dem fiel wohl stets die häßliche Ausdünstung auf, welche sie verbreiten, besonders die großen katzenartigen. Wenn sich das Tier aber in der Freiheit befindet, so ist der Geruch viel, viel stärker. Scharf, stechend, wie der Geruch von Melissengeist oder Opodeldok, fährt er in die empfindliche Nase und ist schon von fern zu bemerken, wohlgemerkt, immer von einem geübten Geruchsorgan. Dieser »wilde« Duft wehte mir jetzt entgegen.

»Riechst du ihn?« flüsterte ich Halef zu.

»Nein,« antwortete dieser, indem er sorgsam nach rechts und nach links schnüffelte.

»Er kommt – ich rieche ihn bereits.«

»So ist deine Nase seelenvoller als die meinige. Ah, nun soll er einen Gruß bekommen, über welchen er staunen wird.«

Halef knackte die Hähne seines Gewehres auf.

»Keine Voreiligkeit!« warnte ich. »Du sollst unbedingt erst nach mir schießen, verstanden! Wenn du nicht gehorchst, wirst du mich ernstlich zornig machen. Du bist imstande, mir das Tier zu vertreiben.«

Er antwortete nicht, aber ich hörte seinen Atem vernehmbar gehen. Es war um die Ruhe des Hadschi geschehen – das Jagdfieber hatte ihn ergriffen.

Jetzt vernahmen wir ein leises Brummen, fast so, wie wenn ein Kater schnurrt, und gleich darauf bemerkten wir, daß ein großer, dunkler Gegenstand sich dem Pferdeaas näherte.

»Ist er das, ist er das?« raunte mir Halef ins Ohr.

Sein Atem flog.

»Ja, er ist es.«

»So schieße! Schieße doch endlich!«

»Nur Geduld. Du scheinst ja zu zittern?«

»Ja, Herr, es hat mich ergriffen, so ganz eigenartig. Ich gestehe dir, daß ich zittere, aber nicht aus Angst.«

»Ich weiß das; ich kenne es.«

»So schieße doch endlich, schieße, auf daß auch ich dran komme!«

»Beherrsche dich, Kleiner! Ich schieße nicht eher, als bis er mir ein gutes Ziel bietet. Wir haben Zeit. Der Bär frißt nicht wie der Löwe. Er ist ein Leckermaul und verzehrt sein Mahl in möglichster Behaglichkeit. Er nimmt die Stücke vorweg, welche ihm am delikatesten erscheinen, und schiebt das weniger Schmackhafte zur Seite, um sich erst später darüber her zu machen. Dieser Kerl wird wahrscheinlich stundenlang bei der Tafel bleiben, um sich nicht etwa durch hastig verschluckte Bissen den Magen zu verderben. Dann trollt er links hinüber zum Wasser, um einen tüchtigen Trunk zu tun, und sich erst nachher zu Bett zu begeben.«

»Aber so stundenlang können wir doch nicht warten!«

»Das ist auch gar nicht meine Absicht. Ich will nur warten, bis er sich einmal aufrichtet. Er tut das während des Essens gern. Er richtet sich zwischen den einzelnen Gängen auf den Hinterpranken empor und putzt sich mit den Vordertatzen das Maul. Da werden wir ihn deutlicher erkennen, als jetzt. Vorher ist es ganz unmöglich, auf ihn zu schießen. Wir könnten gar keine größere Dummheit begehen, denn du kannst seinen Körper durchaus nicht von demjenigen des Pferdes und von dem dunklen Erdboden unterscheiden.«

»O doch, o doch! Ich sehe ihn so deutlich, daß ich schießen werde.«

Er rutschte unruhig hin und her und legte nun gar sein Gewehr an die Wange.

»Weg mit der Flinte!« raunte ich ihm zornig zu. Er nahm das Gewehr ab, aber er war so erregt, daß er keinen Augenblick ruhig zu liegen vermochte, und er hätte unsere Anwesenheit gewiß dadurch verraten, wenn der Stein nicht dick mit Moos bewachsen gewesen wäre.

Dem Bären schien sein Mahl sehr gut zu munden. Er schlürfte und schmatzte, wie ein schlecht erzogenes Kind an seiner Suppenschüssel. Freilich sind es nicht immer Kinder, an denen man ein solches rücksichtsloses Betragen zu rügen hat. Man setze sich nur an die Table d'hote eines Gasthofes, so wird man genug solcher Bären schlürfen und schmatzen hören.

Petz war wirklich ein Feinschmecker. Er zerkrachte zur Abwechslung dann und wann eine Röhre, und wir hörten ihn ganz deutlich das Mark aus derselben ziehen.

Jetzt trat eine Pause ein. Er brummte behaglich – er schlug die Tatzen in das Fleisch, jedenfalls um sich durch das Tastgefühl von der verschiedenen Güte der einzelnen Stücke zu überzeugen. Dann richtete er sich empor.

Bevor er zum Festsitzen kam, ließ er sich einigemale wieder niederfallen. Der Indianer sagt, wenn der Bär sich während einer solchen Zwischenpause aufrichtet: »Er horcht in den Magen hinab.« Der Augenblick dieses Horchens ist der geeignetste zum Schuß. Ich legte an.

Nun war die Gestalt des Tieres leicht zu erkennen. Der Bär war, wie wir richtig vermutet hatten, ein riesiger Kerl. Wären seine Gesellschaftskreise so weit in der sozialen Bildung vorgeschritten, um dergleichen Vereine zu haben, so hätte er getrost darauf rechnen können, die Ehrenmitgliedschaft irgend eines Athletikklub zu erlangen. Aber trotz der Deutlichkeit, mit welcher er sich uns jetzt präsentierte, legte ich die Büchse wieder ab.

»Allah, Allah! Schieß doch, schieß!« fuhr Halef mit fast lauter Stimme mich an.

»Leise, leise! Er hört dich sonst!«

»Aber warum schießest du nicht?«

»Siehst du denn nicht, daß er uns den Rücken zukehrt?«

»Was schadet das?«

»Der Schuß ist mir nicht sicher genug. Der Bär äugt nach dem Hause hinüber. Sollte er unsere Pferde wittern? Sehr leicht möglich. Er hat sich von dem Mahl da abgewendet. Das ist bedenklich. Wir müssen warten, bis er sich wieder herumdreht; dann . – — tausend Donner! Was fällt dir ein!«

Diesen Zornesruf stieß ich laut hervor. Der Hadschi hatte seine Ungeduld nicht mehr zu zügeln vermocht; er hatte so schnell, daß ich es nicht hindern konnte, angelegt und den Schuß abgegeben. Den zweiten schickte er sofort nach, aber nur unsinnigerweise, denn die soeben noch aufgerichtete Gestalt des Tieres war nicht mehr zu sehen.

Ohne auf den Ausbruch meines Zornes zu achten, sprang der Kleine auf, schwang das abgeschossene Gewehr in der Luft und schrie:

»Nusret, Safer, ölmisch dir, müteweffa dir – Sieg, Triumph, er ist tot, er ist hinüber!«

Ich langte empor, packte ihn beim Gürtel und riß ihn nieder.

»Willst du schweigen, Unglücksrabe! Du hast den Bär verscheucht.«

»Verscheucht?« rief er, indem er sich von meinem Griff zu befreien suchte. »Erlegt habe ich ihn, überwunden ist er. Ich sehe ihn ja liegen.«

Und sich gewaltsam von mir losreißend, sprang er wieder auf und schrie mit aller Macht seiner Stimme:

»Omar, Osko, hört die Wonne, hört die Seligkeit! Vernehmt den Ruf eures Freundes und achtet auf die Trompetentöne meiner Herrlichkeit! Ich habe den Bären erschossen, ich habe ihn versammelt zu seinen Vätern und Großonkeln, ich, Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abas Ibn Had – — «

Er konnte nicht weiter, denn ich war nun auch aufgesprungen, packte ihn hinten beim Genick und drückte ihn nieder. Ich war wirklich sehr zornig und hatte infolgedessen so fest zugegriffen, daß er unter meiner Hand wie ein Gliedermännchen zusammenknickte.

»Wenn du noch einen Laut von dir gibst, bekommst du meine Faust, du Besitzer eines unglückseligen Schafgehirns!« drohte ich. »Bleibe hier oben, und lade schnell deine beiden Gewehrläufe wieder. Ich will sehen, ob die Beute noch für uns zu retten ist.«

Bei diesen Worten sprang ich, ohne auf meinen noch nicht ganz festen Fuß zu achten, von dem Stein herab. Da unten duckte ich mich schnell wieder, zog das Messer locker und legte die Büchse an. War der Bär noch da, so nahm er mich jedenfalls auf der Stelle an. Von oben herab klang der eiserne Ladstock des Hadschi, unten aber blieb alles ruhig. Es war nichts zu hören und nichts zu sehen. Nur so viel nahm ich wahr, daß der Bär sich nicht mehr bei dem Kadaver befand.

Dennoch war die größte Vorsicht geboten. Seinem Alter war die Schlauheit zuzutrauen, sich nicht direkt auf mich loszustürzen, sondern heimlich um den Stein herumzuschleichen. Das wäre gefährlich für mich gewesen, denn wenn er um die Ecke kam, so trafen wir so eng zusammen, daß er mich mit den Pranken greifen konnte. Darum entfernte ich mich einige Schritte vom Felsen, nach der Seite hin, so daß ich diesen und zugleich den Kadaver im Auge behielt.