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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ja, das ist das Einzige, was ich tun kann.«

»Uebrigens werde ich die Kameraden noch besonders auffordern, sich in acht zu nehmen, damit sie dich nicht treffen.«

»Wirst du mit ihnen reden?«

»Gewiß! Wer nicht bei der Teilung ist, läuft Gefahr, nichts zu bekommen. Jetzt ärgert es mich doppelt, daß mein Pferd tot ist. Nun bin ich gezwungen, den Weg zu Fuß zu machen.«

»Du kommst trotzdem zu spät.«

»Das glaube ich nicht. Ich bin ein sehr guter Läufer.«

»Aber unsere Pferde kannst du doch nicht einholen. «

»Meinst du denn, daß ich später aufbreche, als ihr? Wenn ich gegessen habe, mache ich mich sogleich auf die Beine.«

»Dann bist du allerdings schon vor uns dort.«

»Wenn es dem Deutschen nicht etwa einfällt, sehr zeitig mit seinen Gefährten in den Sattel zu steigen.«

»Daß sie das nicht tun, dafür will ich sorgen. Ich werde ihnen schon so viele Hindernisse in den Weg legen, daß sie nicht so schnell vorwärts kommen. Nötigenfalls verirre ich mich. Freilich müssen wir befürchten, daß sie Verdacht schöpfen, wenn sie am Morgen bemerken, daß du schon fort bist.«

»Es wird sich doch wohl eine befriedigende Ausrede finden lassen – — «

Jetzt kam mir doch der Rauch sehr stark in die Nase, daß ich den Kopf zurückziehen und ein wenig zur Seite treten mußte. Als ich dann wieder hineinsah, bemerkte ich, daß Junak aufgestanden war. Nun war es mit dem Lauschen zu Ende, denn er hätte mich beim ersten Blick nach dem Fenster sehen müssen. Darum kehrte ich zu den Gefährten zurück und setzte mich leise bei ihnen nieder.

Während ich nun sann, kam mir der Gedanke, gleich jetzt aufzubrechen; aber ich verwarf ihn wieder. Wir kannten ja die Gegend nicht, und der Konakdschi machte jedenfalls seine Worte wahr, uns so lange in der Irre herumzuführen, bis er annehmen konnte, daß der Kohlenhändler an seinem Ziel angekommen sei. Darum war es jedenfalls besser, noch zu bleiben. Junak hatte die für uns gefährliche Stelle so genau beschrieben, daß sie meiner Aufmerksamkeit nicht entgehen konnte. Ich hoffte, ein Mittel zu finden, die Gefahr zu vermeiden.

Als ich dann von Halef abgelöst wurde, erzählte ich ihm, was ich erlauscht und beschlossen hatte, und er stimmte mir vollständig bei.

»Auch ich werde lauschen, Sihdi,« meinte er. »Vielleicht höre ich noch etwas Wichtiges.«

»Unterlaß das lieber! Ich habe genug gehört, und wenn du ertappt wirst, haben wir den Schaden. Sie brauchen nicht zu wissen, daß einer von uns wacht.«

Es war wohl bereits nach zwei Uhr gewesen, als wir uns zur Ruhe legten; folglich war es nach sechs Uhr, als wir von Omar, welcher die letzte Wache hatte, geweckt wurden.

Wir gingen an den Bach, um uns zu waschen, und wollten dann in das Haus. Es war verschlossen. Auf unser Klopfen kam die Frau und öffnete.

»Wo ist unser Führer?« fragte ich.

»Hier in der Stube. Er schläft noch.«

»So werde ich ihn wecken.«

Der Mann lag auf den Lumpen, welche das Lager des Mübarek gebildet hatten, und stellte sich schlafend. Als ich ihm einige derbe Stöße gab, fuhr er empor, gähnte, starrte mich wie schlaftrunken an und sagte:

»Du, Herr? Warum weckst du mich schon?«

»Weil wir aufbrechen wollen.«

»Wie ist die Uhr?«

»Halb sieben.«

»Erst! Da können wir noch eine ganze Stunde schlafen.«

»Wir könnten sogar noch einen ganzen Tag schlafen, aber wir werden es nicht tun.«

»Es ist ja nicht so eilig.«

»Nein; aber ich liebe es, in der Morgenfrische zu reiten. Wasche dich, damit du munter wirst!«

»Waschen?« fragte er erstaunt. »Daß ich dumm wäre! So frühes Waschen ist sehr schädlich.«

»Wo ist Junak?« fragte ich.

»Ist er denn nicht da?«

Er blickte suchend umher. Die Alte berichtete:

»Mein Mann ist nach Glogovik gegangen.«

»Woher wir kommen? Warum hat er sich denn nicht von uns verabschiedet?«

»Weil er euch nicht stören wollte.«

»So! Was will er denn dort tun?«

»Er will Salz kaufen. Wir brauchen es, um das Fleisch hier einzupökeln.«

Sie zeigte auf die Stücke des Bären, welche in der Ecke lagen und allerdings ein höchst unappetitliches Aussehen hatten.

»Hattet ihr denn kein Salz im Hause?«

»So viel nicht.«

»Nun, so war die Sache doch nicht so eilig, daß er unser Erwachen nicht abwarten konnte. Ich glaube übrigens, Ibali liegt viel näher. Warum ist er denn nach Glogovik gegangen?«

»In Ibali gibt es kein Salz.«

»So ist es ein sehr trauriges Nest. Aber euer Schaden ist es doch, daß er fort ist. Ich habe ihn noch nicht bezahlt.«

»Du wirst das Geld mir geben!«

»Nein, ich zahle nur dem Wirt. Uebrigens sage mir einmal, wofür ich dich bezahlen soll.«

»Wir haben euch doch beherbergt!«

»Wir haben im Freien geschlafen. Dafür zahle ich nichts. Also, Konakdschi, wir brechen auf.«

»Ich muß erst essen,« erklärte er.

»So iß, aber schnell!«

Er machte sich ein Feuer und briet sich ein Stück Bärenfleisch, welches er halb gar verschlang. Indessen sattelten wir. Der Bärenschinken wurde mit den drei übrig gebliebenen Tatzen in eine Decke gewickelt, und Osko nahm diesen Pack hinter sich auf das Pferd. Nun war der Führer fertig geworden, und wir brachen auf.

Die Frau wollte uns nicht ohne Bezahlung ziehen lassen. Sie zeterte, daß wir sie betrügen wollten. Aber Halef zog die Peitsche und knallte ihr dieselbe so nahe an ihrem Gesicht vorbei, daß sie heulend in das Haus sprang und die Türe hinter sich verriegelte. Durch das Fenster aber sandte sie uns eine Strafpredigt nach, und noch lange hörten wir ihre gellende Stimme hinter uns erschallen.

Es kam uns nicht auf einige Piaster an; aber diese Leute trachteten uns nach dem Leben. Es wäre eine Verrücktheit gewesen, das, was wir hier genossen hatten, nämlich gar nichts, auch noch zu bezahlen.

– — —

Drittes Kapitel: In der Teufelsschlucht

Ein wunderbar schöner Herbstmorgen war es, frisch und duftig, als wir den Schauplatz unseres nächtlichen Abenteuers, an welchem der alte Mübarek ein so schreckliches Ende gefunden hatte, verließen. Wir ritten zunächst zwischen sanften Höhen dahin, daß man denken konnte, man befände sich im Thüringer Wald. Aber hinter diesen Bergen ragten schroffe Felsenmassen empor, finster wie drohende Giganten, und nach Verlauf einer Stunde war es ganz so, als ob wir uns durch die Schluchten der Pyrenäen bewegten.

Einen freien Ausblick gab es gar nicht. Der dunkle Wald hatte uns umfangen; er war fast als Urwald zu betrachten, aber was für ein Urwald!

Es gibt mehrere Arten des Urwaldes. Der unberührte Wald der Tropen, der dichte, nach Moder duftende Wald Litauens, der hehre, lichte Urwald des amerikanischen Westens, die natürlichen, gradlinigen und wie vom Gärtner angelegten Parks von Texas, sie sind alle sehr verschieden voneinander. Dieser Wald des Schar Dagh war mit keinem der genannten Urwälder zu vergleichen. Man dachte unwillkürlich an untergangene Kulturen, über welche nun der Tod seine Waldesschatten wirft.

Nach vielleicht drei Stunden senkte sich der Boden steil abwärts, und wir hatten ein breites Quertal zu durchschneiden, dessen anderer Rand fast senkrecht emporstieg.

Das war eine wahre Felsenmauer, scheinbar ununterbrochen sich stundenweit von Nord nach Süd ziehend. In Rissen und auf Vorsprüngen hatten gewaltige Fichten und Tannen Raum für ihre Wurzeln gefunden, und ganz hoch oben auf der Zinne dieser Mauer lag der dunkle Forst wie eine nur handbreit hohe schwarze Leiste.

Die Sohle dieses Tales aber war mit dem herrlichsten Gras bewachsen, so daß ich vorschlug, wenigstens eine Viertelstunde hier zu rasten, damit die Pferde in diesem Grün ein Weilchen schwelgen könnten.

Unser Führer erklärte sich schnell einverstanden und sprang sogleich vom Pferd. Durch diesen Aufenthalt mußte sich ja der Vorsprung, welchen der Kohlenhändler haben wollte, vergrößern. Der gute Mann dachte nicht, daß ich mehr noch um dieses Junak als um des Grases willen hier aus dem Sattel stieg.

Es gab da einen ziemlich bedeutenden Bach. Nur einzelnes dünnes Gesträuch stand an seinem Ufer. Gleich als wir unter den Bäumen des diesseitigen Talrandes hervorgekommen waren und nun die freie Talsohle vor uns hatten, sah ich eine Linie, welche grad von dem Punkt, an welchem wir uns befanden, quer durch das Gras nach dem Ufer führte.

Diese Linie war jedenfalls die Fährte des Kohlenhändlers. Er hatte uns also doch für so dumm gehalten, daß diese Spur nicht unsern Verdacht zu erregen vermöchte.

Das Wasser stand von gestern her noch ziemlich hoch in dem Bett, welches eine muldenförmige Gestalt haben mußte, da die Ufer nicht tief zu sein, sondern flach zu verlaufen schienen. Der Rasen war weich, und darum vermutete ich, wenigstens dort am Wasser einen deutlichen Fußabdruck zu finden.

Der Konakdschi beachtete diese Fährte gar nicht. Er setzte sich nieder, zog seinen alten, weithin stinkenden Tschibuk hervor, stopfte ihn und setzte den Tabak in Brand. Aber was für Tabak! Dieses Kraut war nichts weniger als das schnell verduftende Kraut von Latakia. Dem Geruch nach schien es aus Kartoffel – und Gurkenschalen und abgeschnittenen Fingernägeln zu bestehen. Denke man sich dazu einen Menschen, der sich durch das Waschen zu erkälten fürchtet, und eine Nacht in der durchräucherten Bude Junaks und auf dem verpesteten Sterbelager des Mübarek zugebracht hat, so wird man es sehr erklärlich finden, daß ich mich nicht an seiner Seite niederließ.

»Halef,« – fragte ich so laut, daß der Konakdschi es hörte, – »was ist das wohl für ein Strich, welcher hier durch das Gras geht?«

»Das ist eine Fährte, Sihdi,« antwortete der Gefragte, stolz darauf, die von mir erworbenen Kenntnisse auskramen zu dürfen.

»Von einem Tier oder von einem Menschen?«

»Um das entscheiden zu können, muß ich sie mir genau betrachten.«

 

Er ging, die Augen scharf auf die Fährte gerichtet, mehrere Schritte auf derselben fort und sagte dann kopfschüttelnd:

»Effendi, das kann ein Mensch, aber auch ein Tier gewesen sein.«

»So! Um das zu wissen, braucht man sie gar nicht anzusehen. Natürlich ist es ein Mensch oder ein Tier gewesen. Oder ist es etwa möglich, daß zum Beispiel der Palast des Großherrn in Konstantinopel hier spazieren gegangen ist?«

»Willst du meiner spotten? Ich wette, daß es auch dir unmöglich ist, zu bestimmen, wer es gewesen ist. Komm selbst her!«

»Um das zu bestimmen, brauche ich gar nicht hinzukommen. Hier ist ein Mensch barfuß gegangen.«

»Wie willst du das beweisen?«

»Sehr leicht. Kann diese Fährte von einem vierbeinigen Geschöpf getreten sein?«

»Allerdings nicht.«

»Also ist's ein Mensch oder ein zweibeiniges Tier, ein Vogel gewesen. War dieser Vogel groß oder klein?«

»Groß natürlich.«

»Welches ist der größte Vogel, welcher hier gegangen sein könnte?«

»Das würde der Lejlek (* Storch.) sein.«

»Richtig! Der Lejlek aber geht langsam und bedächtig. Er hebt ein Bein nach dem andern hoch auf und macht gravitätische Schritte. Man müßte die einzelnen Schritte erkennen. Ist dies hier der Fall?«

»Nein. Derjenige, welcher hier ging, hat keine Stapfen gemacht, sondern mit jedem Bein eine immerwährende Linie durch das Gras gezogen.«

»Ganz recht. Die Fährte besteht nicht aus einzelnen Fußeindrücken, sondern aus einer ununterbrochenen Doppellinie. Die Beine des Storches sind höchstens fingerdick; diese Linien aber sind breiter als die Spanne einer Menschenhand. Ist es also möglich, daß selbst der größte hiesige Vogel, der Storch, hier gegangen sein kann?«

»Nein, Sihdi, es ist gewiß ein Mensch gewesen.«

»Nun weiter! Du selbst behauptest, keine Fußeindrücke gesehen zu haben. Je älter die Fährte ist, desto vertrockneter muß das abgeknickte und niedergetretene Gras sein. Es ist aber kein einzelner Halm auch nur welk geworden. Was ist daraus zu schließen?«

»Daß die Fährte noch sehr jung ist.«

»Gewiß. Man müßte also unbedingt die Fußeindrücke sehen. Woran liegt es wohl, daß man sie dennoch nicht sieht?«

»Das kann ich leider nicht sagen.«

»Nun, das liegt teils an der Schnelligkeit, mit welcher dieser Mann gegangen ist, und andernteils an der Weichheit seines Fußes. Er hat Eile gehabt und ist mehr mit den Zehen als mit der Ferse aufgetreten. Stiefel und Schuhe haben harte Sohlen, welche eine scharfe Fährte machen. Da diese Schärfe fehlt, so hat der Mann keine Fußbekleidung getragen; er ist barfuß gewesen. Willst du das nun einsehen?«

»Wenn du es in dieser Weise erklärst, muß ich dir recht geben.«

»Jawohl habe ich recht. Wer mag nun wohl dieser eilige und barfüßige Mann gewesen sein? Konakdschi, ist dieser Wald bewohnt?«

»Nein, kein Mensch wohnt da,« antwortete der Gefragte.

»So vermute ich, daß der Kohlenhändler Junak eine ganz falsche Richtung eingeschlagen hat. Er wird aus Versehen nicht nach Glogovik, sondern nach dem Scheïtan kajaji, nach dem Teufelsfelsen, kommen.«

»Herr, was denkst du! Ein solcher Irrtum kann bei ihm gar nicht vorkommen.«

»Nun, so tat er es mit Absicht. Er hat unterwegs geglaubt, sein Salz an keinem andern Ort kaufen zu können.«

»Ganz gewiß nicht. Wäret ihr nicht im Schlaf gewesen, so hättet ihr ihn fortgehen sehen.«

»Nun, Hadschi Halef Omar hat mir gesagt, daß während der Nacht ein Mann aus dem Hause getreten und hinter demselben verschwunden sei. Nach welcher Richtung er sich aber gewendet habe, das hat Halef nicht unterscheiden können.«

»Das wird freilich Junak gewesen sein, denn er ging, als es noch dunkel war, um nicht spät am Tage zurückzukehren.«

»So hat er in der Dunkelheit sich geirrt und ist anstatt nach links nach rechts gegangen. Vielleicht ist das mit Absicht geschehen, und da ich aus der Spur erkenne, daß er große Eile gehabt hat, so mag er wohl den Wunsch hegen, unser Kommen bei dem Köhler sobald wie möglich anzumelden.«

»Du machst dir da ganz sonderbare Gedanken, Effendi,« sagte der Konakdschi in großer Verlegenheit. »Was geht es Junak an, daß wir bei dem Köhler ausruhen wollen?«

»Ich begreife es freilich auch nicht.«

»So wirst du zugestehen, daß er es unmöglich gewesen sein kann.«

»Ich behaupte ganz im Gegenteil, daß er es war. Ich werde es dir sogar beweisen.«

»Das ist unmöglich. Etwa aus den Spuren?«

»Ja.«

»Die können dir, wie ich zu meinem Erstaunen gesehen habe, wohl sagen, daß ein Mensch hier gegangen sei, nicht aber, wer dieser Mensch gewesen ist.«

»Sie sagen es mir sogleich sehr deutlich. Erhebe dich, und komm einmal mit.«

Ich schritt nach dem Ufer des Flüßchens, und die Andern folgten. Da, wo der Mann in das Wasser gegangen war, hatte er langsam und vorsichtig mit den Füßen getastet. Der Grund des Wassers war am Ufer weich; man sah weder Sand noch Steine auf demselben. Desto deutlicher aber erkannte man die Spuren der Füße in dem klaren, hier anderthalb Fuß tiefen Wasser.

»Sieh her, Konakdschi!« sagte ich. »Erblickst du die deutlichen Fußstapfen unter dem Wasser?«

»Ja, Effendi. Und ich sehe auch, daß du ganz richtig vermutet hast: der Mann ist barfuß gewesen.«

»Vergleiche doch einmal die Spuren der beiden Füße miteinander. Findest du keinen Unterschied?«

»Nein.«

»Nun, glücklicherweise haben sich die Zehen scharf eingetreten. Vergleiche nochmals! Zähle sie!«

Er bückte sich nieder, wohl aber nicht um zu zählen, sondern um sein Gesicht nicht sehen zu lassen. Er befand sich in bedeutender Verlegenheit.

»Was sehe ich!« rief der Hadschi. »Dieser Mann hat am linken Fuße nur vier Zehen gehabt! Sihdi, es ist Junak gewesen und kein anderer.«

Der Führer hatte seine Verlegenheit bemeistert und erhob sich wieder, indem er sagte:

»Kann nicht auch ein anderer eine Zehe verloren haben?«

»Gewiß,« antwortete ich, »aber ein sehr eigentümlicher Zufall müßte es doch genannt werden. Welche Absicht verfolgt dieser Junak damit, daß er uns täuscht?«

»Er ist es ja gar nicht!«

»Nun, um seinetwillen will ich das hoffen. Wenn er etwa irgend eine Hinterlist plant, so wird er Salpeter anstatt des Salzes bekommen, vielleicht auch noch Schwefel und Holzkohle dazu. Weißt du, was das bedeutet?«

»Ja, aber ich verstehe dich dennoch nicht. Aus diesen drei Stoffen wird Barut (* Schießpulver.) gemacht. Meinst du das?«

»Gewiß, und wenn sich dabei ganz zufälliger Weise noch ein rundes Stück Blei befindet, so kann es sich sehr leicht ereignen, daß er, der jedenfalls nach dem Teufelsfelsen will, auch wirklich in die Hölle fährt. Ist dieses Wasser tief?«

»Nein. Die Pferde brauchen nicht zu schwimmen. Man kann ganz gut mit aufgestreiften Hosen hindurch. Wollen wir wieder aufbrechen?«

»Ja; es ist bereits mehr als eine Viertelstunde vergangen. Wohin führt dann jenseits des Wassers der Weg?«

»Siehst du den dunklen, senkrechten Strich, welcher sich da drüben an der Felswand befindet?«

»Ja.«

»Das ist die Oeffnung einer schmalen Schlucht. Sie wird die Teufelsschlucht genannt, weil sie zum Teufelsfelsen führt. Da hinein reiten wir.«

»Und wie lange dauert es, bevor wir zu dem Felsen kommen?«

»Mehr als eine halbe Stunde. Du wirst staunen über die Felsenmassen, welche sich zu beiden Seiten der Schlucht befinden. In dieser engen Spalte kommt man sich vor wie ein kleiner Wurm zwischen himmelhohen Mauern.«

»Und führt denn kein anderer Weg nach West?«

»Nein, es gibt nur diesen einen.«

»So sind wir gezwungen, ihm zu folgen. Vorher aber will ich doch einmal versuchen, die Spuren derjenigen zu finden, welchen wir nachreiten. Im Gras sind sie nicht mehr vorhanden, weil es sich seit gestern wieder aufgerichtet hat; aber im seichten Flußwasser sind sie vielleicht noch zu erkennen.«

Meine Vermutung hatte mich nicht getäuscht. Nur wenig weiter aufwärts waren die fünf Pferde in das Wasser gegangen. Ein weiteres Suchen hatte keinen Zweck, und so durchkreuzten wir denn das Flüßchen und hielten dann auf den Eingang der Schlucht zu.

Er hatte nur diejenige Breite, welche zwei Reitern gestattete, sich nebeneinander zu halten. Später traten die Felswände weiter zurück.

Das war eine erschreckliche kompakte Felsenmasse, ein ungeheurer, mehrere hundert Fuß hoher Würfel plutonischen Gesteines, in welchen eine unterirdische Gewalt diesen Spalt mitten hindurch gerissen hatte. Wenn man emporblickte, schien es, als ob die Wände sich mit ihren oberen Rändern vereinigten. Es war weder rechts, noch links möglich, an ihnen empor zu kommen. Sie waren nackt, und nur hier und da gab es eine Stelle, an welcher ein Strauch oder ein einzelner Baum ein Plätzchen für die Bedürfnisse seines Fortkommens gefunden hatte.

»Glaubst du nun, daß der Scheïtan diesen Riß mit seiner Faust geschlagen hat?« fragte unser Führer.

»Ja, es ist ein höllischer Weg. Man möchte sich zusammenducken wie ein kleines Insekt, über welchem der hungrige Vogel schwebt. Rasch vorwärts!«

Der Konakdschi hatte sich bisher in unserer Mitte gehalten. Jetzt strebte er, voran zu kommen. Um diesen Zweck zu erreichen, drängte er sich an Halef und Osko vorüber, welche vor uns ritten.

Dies ließ mich vermuten, daß wir uns der Stelle näherten, welche für uns verhängnisvoll werden sollte. Er wollte der Vorderste sein, um sein beabsichtigtes Manöver mit dem Pferd ausführen zu können.

Und plötzlich kam uns ein helles Wasser entgegen, ganz seicht und schmal, welches hart an der Seite des Weges floß und in einem Loch der Felsenwand verschwand. Und zugleich bemerkten wir, daß oben die Wände noch weiter auseinander rückten. Uns zur Linken wich der Fels um eine ziemlich breite Stufe zurück, welche mit Busch und Baum bewachsen war; aber hinaufkommen konnte man hier unmöglich. Diese Stufe hatte ungefähr die Höhe von fünfzig Fuß, und der Kohlenhändler hatte gesagt, daß man fünfzig bis sechzig Schritt im Wasser hinaufzusteigen habe. Dieser Felsenabsatz war also jedenfalls gemeint gewesen.

Ich hatte bereits vor unserm Aufbruch, als wir die Pferde sattelten, den Gefährten gesagt, wie sie sich verhalten sollten. Auch sie merkten dem Terrain an, daß wir uns in der Nähe der betreffenden Stelle befanden. Sie warfen mir heimlich fragende Blicke zu, und ich nickte zustimmend.

Das kleine Bergwässerchen floß uns still entgegen; bald aber hörten wir lautes Plätschern. Wir erreichten die Stelle, an welcher es aus der Höhe kam. Es hatte eine Ader weicheren Gesteins tief ausgefressen und einen Ritz gebildet, in welchem es von Stufe zu Stufe herunterrieselte.

Das war die richtige Stelle. Der aus – und herabgespülte feine Steingrus hatte sich zu beiden Seiten angehäuft und mit der Zeit die Eigenschaft erhalten, Pflanzen zu ernähren. Da gab es allerlei Kräuter und Stauden, welche die Kühle und das Wasser lieben, auch Farren, an welchen diese Gegend überhaupt sehr reich zu sein schien. Ungefähr in doppelter Reiterhöhe war eine dieser Farrenstauden halb ausgerissen worden. Ich hielt mein Pferd an und blickte hinauf.

»Kommt doch!« forderte uns der Konakdschi auf, da auch die Gefährten gehalten hatten.

»Warte einen Augenblick!« sagte ich. »Komm einmal zurück! Ich möchte dir etwas Ueberraschendes zeigen.«

Er kam herbei.

»Du mußt absteigen,« forderte ich ihn auf, indem ich den Sattel verließ.

»Warum?«

»Du kannst es dann besser sehen.«

»Aber wir versäumen unsere Zeit!«

»Du hast es ja heute noch niemals so notwendig gehabt. Das scheint ein sehr geheimnisvolles Wasser zu sein.«

»Wie so?« fragte er neugierig und ahnungslos.

Ich stand am Fuß der kleinen Kaskade und betrachtete die unteren Stufen derselben. Er sprang ab und trat zu mir. Auch die Andern stiegen von den Pferden.

»Sieh dir da oben dieses Farrenkraut an! Fällt es dir nicht auf, daß es ausgerissen ist?«

»Nein, gar nicht.«

»Ich meine, es ist jemand da hinaufgestiegen, hat sich dabei an der Pflanze festhalten wollen und sie aus der Erde gerissen.«

»Der Sturm wird es gewesen sein.«

»Der Sturm? Hier, wo wir uns im Innern der Erde befinden, hat es niemals Sturm oder auch nur Wind gegeben. Nein, es ist ein Mensch gewesen.«

»Was geht uns das an?«

»Sehr viel sogar, denn es war ein Bekannter von uns.«

»Unmöglich! Wer denn?«

»Junak.«

Er verfärbte sich, als ich diesen Namen nannte.

»Effendi, was hast du nur mit Junak? Er ist ja nach Glogovik!«

»Nein, er ist da oben. Hier unten, wo das Wasser den Weg erreicht, hat sich der Spülsand angehäuft. Dieser Junak ist ein sehr unvorsichtiger Bursche. Wenn er uns wissen läßt, daß er nach Glogovik gegangen sei, darf er doch nicht so dumm sein, mit seinen nackten Füßen diesen Sand zu berühren. Er weiß ja, daß ich heute nacht die fehlende Zehe vermißt habe, und hier siehst du ganz den nämlichen vierzehigen Fußstapfen wie vorhin da unten am Ufer des Baches. Er ist da hinauf. Was will er oben?«

 

»Effendi, er ist es nicht!« versicherte der Führer in ängstlichem Ton. »Reiten wir weiter!«

»Erst muß ich mich überzeugen, wer recht hat, du oder ich. Ich werde da hinaufsteigen, um mir den Mann einmal zu betrachten.«

»Herr, du kannst stürzen und dabei Hals und Beine brechen.«

»Ich klettere sehr gut, und der Hadschi wird mich begleiten. Ich hoffe, es glücklich zu überstehen. Viel gefährlicher scheint es mir, weiter zu reiten.«

»Warum?«

»Nun, ich vermute, daß da oben sich Leute befinden, Leute mit Czakans und Schleudern. Das ist gefährlich.«

»Allah!« rief er erschrocken.

»Und da vor uns krümmt sich der Weg und – — «

»Wie kannst du das wissen? Man sieht es doch noch gar nicht!«

»Ich vermute es. Eine solche Stelle ist für jeden gefährlich, welcher unten daherreitet, während man oben auf ihn lauert. Daher werde ich jetzt hinaufsteigen, um Umschau zu halten.«

Er war aschfahl geworden und sprach beinahe stammelnd:

»Ich kann deine Gedanken wirklich nicht begreifen!«

»Sie sind sehr leicht zu erklären. Und damit du mir keinen Strich durch meine Rechnung machst, ersuche ich dich, von diesem Augenblick an nur ganz leise zu sprechen.«

»Herr!« fuhr er auf, seiner Angst den Ausdruck des Zornes gebend.

»Bemühe dich nicht! Wir haben vor dir keine Angst, denn du hast keine Waffen mehr.«

Mit einem raschen Griff hatte ich ihm Pistole und Messer aus dem Gürtel gezogen. Sein Gewehr hing am Sattel. Und zugleich packten Osko und Omar ihn so fest von hinten, daß er sich nicht rühren konnte. Er wollte schreien, unterließ es aber, denn ich setzte ihm sein eigenes Messer auf die Brust und drohte:

»Sage ein einziges lautes Wort, so ersteche ich dich! Dir soll nicht das Mindeste geschehen, wenn du dich still verhältst. Du weißt, daß ich dir nicht traue. Fügst du dich jetzt in unsern Willen, so wird vielleicht unser Mißtrauen schwinden. Wir werden dich binden, und Osko und Omar halten Wache bei dir, bis ich mit Halef zurückkehre. Dann wird sich finden, was mit dir geschieht. Wirst du laut, so erstechen sie dich; gehorchst du aber, so erhältst du deine Waffen zurück und wirst unser Begleiter sein wie vorher.«

Er wollte Einspruch erheben, aber sogleich saß ihm Oskos Messerspitze wieder auf der Brust. Das brachte ihn zum Schweigen. Er wurde gebunden und mußte sich niedersetzen.

»Ihr wißt, was ihr zu tun habt,« sagte ich zu den beiden Zurückbleibenden. »Achtet darauf, daß die Pferde sich ruhig verhalten. Der Weg ist so eng, daß ihr ihn gut verteidigen könnt. Kein Mensch darf ohne euren Willen vorüber. Und sollte ja etwas Unvorhergesehenes geschehen, so werden wir beim ersten eurer Schüsse herbeieilen. Wenn aber ihr uns schießen hört, so bleibt ihr ruhig unten, denn ihr habt für uns nichts zu befürchten.«

Es war ein unendlich grimmiger Blick, den der Konakdschi mir zuwarf, als ich jetzt mich anschickte, emporzusteigen. Halef folgte.

Etwas anstrengend war der Weg, aber gar nicht gefährlich. Das Wässerchen war ganz seicht, und die ausgewaschenen Stufen hatten eine so geringe Höhe und folgten einander so schnell, daß man wie auf einer nur ein wenig schlüpfrigen Treppe emporstieg.

Junak hatte recht: fünfzig bis sechzig Schritte hatten wir getan, als wir oben anlangten. Die Felsenstufe, auf welcher wir uns jetzt befanden, hatte hier eine Breite von wenig über hundert Schritten. Die Fläche war verwittert und trug einen nach und nach angesammelten Humusboden von beträchtlicher Tiefe. Da standen Laub – und Nadelbäume und dazwischen allerlei Buschwerk so dicht, wie wir es uns nur wünschen konnten. Es wurde dadurch möglich, anzuschleichen, ohne daß wir bemerkt werden konnten.

»Was nun?« flüsterte Halef.

»Wir schleichen vorwärts. Junak sagte, daß man auf dieser Felsenstufe ungefähr hundertfünfzig Schritte zu gehen habe, um an die Krümmung zu gelangen. Dort befinden sie sich ganz sicher. Dennoch wollen wir schon hier jede mögliche Vorsicht anwenden. Halte du dich stets hinter mir!«

»Es ist möglich, daß Einer hier vorn postiert ist, um unser Nahen zu beobachten.«

»In diesem Falle säße er sicher ganz vorn an der Felsenkante. Wenn wir uns weiter links, also rückwärts von ihm halten, kann er uns weder sehen noch hören. Sollte dennoch zufällig Einer auf uns treffen, so machen wir ihn mit den Händen unschädlich, indem wir möglichst jedes Geräusch vermeiden. Ich habe zu diesem Zweck einige Riemen eingesteckt.«

»Du weißt, daß auch ich stets solche bei mir habe; sie sind oft schnell vonnöten.«

»Nur wenn wir es mit Mehreren zu tun bekommen, greifen wir nach den Gewehren. Ich werde nur notgedrungen schießen, und selbst dann wollen wir nicht töten. Ein Schuß in das Knie wirft den grimmigsten Feind zu Boden. Also vorwärts!«

Wir huschten voran und gaben uns Mühe, wenige Zweige zu berühren. Es war unsere Absicht, uns mehr links zu halten, aber wir waren noch nicht sehr weit gekommen, so hörten wir rechts von uns ein Geräusch, welches uns zum Stehen brachte.

»Was mag das sein?« flüsterte Halef.

»Da wetzt einer sein Messer auf dem Stein. Welch eine Unvorsichtigkeit von ihm!«

»Er ahnt ja nicht, daß wir auf den Gedanken kommen können, hier heraufzusteigen. Gehen wir vorüber?«

»Nein. Wir müssen wissen, wer es ist. Lege dich auf die Erde. Wir dürfen jetzt nur kriechen.«

Wir schoben uns der Stelle entgegen, von welcher wir das Wetzen vernommen hatten, und gelangten bald in die Nähe der Felsenkante. Dort saß . – Suef, der Spion, auf Posten und wetzte sein Messer mit einem Eifer an dem scharfen Gestein], als würde ihm diese Arbeit mit silbernen Piastern bezahlt. Er hatte uns den Rücken zugekehrt.

Jedenfalls sollte er nach uns ausschauen; aber er hatte just diejenige Stelle gewählt, von welcher aus er uns erst dann bemerken konnte, wenn wir uns fast unter ihm befanden. Freilich, wären wir nur wenige Schritte weiter geritten, so hätte er uns gesehen.

»Was tun?« fragte Halef. »Lassen wir ihn ruhig sitzen?«

»O nein! Hier steht Moos am Boden. Nimm eine gute Handvoll! Ich werde ihn hinten so beim Genick fassen, daß er den Mund aufsperren muß, ohne schreien zu können. Dann steckst du ihm das Moos hinein. Ich krieche voran. Sobald ich bis auf Manneslänge zu ihm gekommen bin, kannst du dich erheben und auf ihn losspringen.«

Langsam und leise krochen wir unter den Büschen auf Suef zu. Gar nicht weit hinter ihm stand ein Baum, welchen ich als Deckung nahm, so daß der Stamm desselben sich genau zwischen mir und ihm befand.

Jetzt erreichte ich den Baum. Noch zwei Sekunden, und ich war dem Späher so weit, wie erwähnt, nahe gekommen. Hinter mir richtete sich Halef auf, zum Sprung bereit. Aber der Kleine war ein Wüstensohn, nicht ein Indianer: er trat auf einen herabgefallenen dürren Zweig – dieser knackte, und Suef fuhr mit dem Gesicht nach uns herum.

Kein Maler vermag es, den Ausdruck des starren Entsetzens wiederzugeben, welchen die Züge des Spions annahmen, als er uns erblickte. Er wollte schreien, aber er hätte wohl keinen Ton hervorgebracht, auch wenn ihm von mir die Zeit dazu gelassen worden. Ich hatte mich augenblicklich zu ihm hingeschnellt und ihm die beiden Hände um den Hals gelegt. Er strampelte mit den Armen und Beinen und öffnete den Mund weit, um nach Luft zu schnappen. Im Nu war Halef da und steckte ihm das Moos zwischen die Zähne. Ich hielt noch eine Weile fest. Die Bewegungen ließen nach, und als ich nun die Hände von ihm nahm, war er besinnungslos.

Ich hob ihn auf und trug ihn fort, zwischen die Büsche hinein. Sein Messer war ihm entfallen, die Flinte hatte neben ihm gelegen. Wo er sie her hatte, wußte ich nicht. Halef brachte beides nach.

Wir lehnten ihn sitzend an einen Baumstamm und banden ihn so an denselben, daß dieser von seinen nach rückwärts gebogenen Armen umfangen wurde. Dann banden wir ihm noch den mehrfach zusammengelegten Zipfel seines Gewandes auf den Mund, damit es ihm unmöglich wäre, das Moos mit der Zunge herauszustoßen. Wir mußten ihm das Schreien verleiden.

»So!« kicherte Halef leise. »Der ist sehr gut versorgt. Was nun weiter, Sihdi?«