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Die Sklavenkarawane

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»Wer meinen Befehl nicht befolgt, muß sterben. Nun jetzt zu der Spur!«

Er führte den Hund nach der Stelle, an welcher die Neger gearbeitet hatten, und drückte ihm da den Kopf nieder, indem er ihm gebot:

»Dauwir, fattisch – such, such!«

Der Hund fuhr mit der Nase am Boden hin, sog, sich erhebend, die Luft ein und stieß ein kurzes, scharfes Bellen aus.

»Du hast es? So komm!«

Er ging mit ihm nach dem Schiffsrande, hob ihn in den Kahn, stieg selbst nach und gebot den beiden Wartenden, nun nach dem Hauptwege, den sie vorhin vermieden hatten, zu rudern.

Die zwei Untergebenen waren Zeugen des Todes ihres Kameraden gewesen, doch fühlten sie nicht das geringste Mitleid mit demselben. Derartige Bestrafungen eines Soldaten waren für sie ganz gewöhnliche Ereignisse.

Als sie am Ufer ausgestiegen waren, nahm Abd el Mot den Hund fest an die Leine und ließ ihn suchen. Das Tier stieß schon nach einigen Augenblicken jenen Laut aus, welcher sagen soll, daß es sich auf der Fährte befände, und drängte mit allen Kräften vorwärts.

»Jetzt haben wir den Anfang,« sagte der Araber. »Der Hund ist vortrefflich und wird die Spur nicht verlieren. Das Ende wird der Tod der beiden Burschen sein.«

Der Hund zog so stark an der Leine, daß sein Herr alle Kraft aufwenden mußte, sie sich nicht aus der Hand reißen zu lassen. Fast im Trabe ging es das steile Ufer hinauf, durch den schmalen Wald und dann genau nach der Stelle, in welcher sich das Loch in der Umzäunung befand. Erst wollte der Hund hindurchkriechen; aber er besann sich, wendete sich wieder zurück und stieg dann, laut bellend und sich kaum halten lassend, an der Leine empor, um nach der freien Ebene, wohin die Neger geflohen waren, durchzubrechen.

In der Seribah hatte man indessen alle Feuer wieder angeschürt, und der Schein derselben fiel auf das Loch, so daß dasselbe deutlich zu erkennen war.

»Hier haben sie sich hindurchgearbeitet,« sagte Abd el Mot. »Und hier sind sie auch wieder heraus. Während wir suchten, haben sie Vorsprung gewonnen; aber es soll ihnen nichts helfen. Wir werden sie schneller ereilen, als sie es vermuten können.«

Er schritt nach dem Haupteingange, wobei er Mühe hatte, den Widerstand des Hundes, welcher den Flüchtigen nach wollte, zu bemeistern. Dort standen sämtliche Bewohner der Seribah. Er teilte ihnen das Resultat seiner Nachforschung mit und gebot dann den Unteroffizieren, vorzutreten, um seine Befehle zu empfangen.

»Herr,« sagte der bereits erwähnte alte Feldwebel, »dein Wille muß der unsrige sein und wir dürfen es nicht wagen, dir etwas vorzuschreiben; aber ich meine, daß sofort so viele Männer, als Pferde da sind, mit dem Hunde aufbrechen müssen, um die Neger schnell einzuholen. Beeilen wir uns weniger, so entkommen sie vielleicht nach Ombula und benachrichtigen die Leute dort von unsrem beabsichtigten Überfall.«

»Deinem Alter will ich es verzeihen, daß du mir Vorschläge machst,« antwortete Abd el Mot in scharfem Tone; »ein andermal aber wartest du, bis ich dich frage! Das mit den Reitern habe ich schon beschlossen, ehe du daran denken konntest. Aber meinst du vielleicht, daß ich ihnen befehlen werde, nach hier zurückzukehren, wenn sie die Neger ergriffen haben? Dann müßten sie von neuem mit uns aufbrechen, und den Pferden, welche uns kostbar sind, dürfen wir eine solche Anstrengung nicht auferlegen. Die Ghasuah ist beschlossen; ob sie gleich jetzt beginnt oder erst am Morgen, das kann euch gleichgültig sein. Ich will beim Fang der Neger selbst zugegen sein. Ebenso notwendig aber ist meine Anwesenheit beim Aufbruche des Zuges von hier. Also rüstet euch! In einer Stunde muß jeder zum Abmarsche fertig sein. Du aber wirst zur Strafe dafür, daß du mir Gesetze vorschreiben wolltest, nicht an dem Zuge teilnehmen, sondern als Befehlshaber der fünfzig Mann, die ich zum Schutze der Seribah auslosen werde, hier zurückbleiben.«

Für einen Sklavenjäger, und gar einen Feldwebel derselben, konnte es gar keine größere Strafe geben. Natürlich muß, wenn eine Ghasuah unternommen wird, eine Abteilung zum Schutze der Seribah zurückbleiben. Diese Leute erhalten zwar ihre Löhnung, doch ist ihnen die Gelegenheit entzogen, sich beim Überfalle des betreffenden Negerdorfes privatim zu bereichern. Aus diesem Grunde will keiner zurückbleiben, und es ist also der Gebrauch, das Los entscheiden zu lassen, und zwar nicht nur in Beziehung auf die gewöhnlichen Soldaten, sondern auch hinsichtlich der Chargierten. Hier nun sollte der Feldwebel verzichten, ohne durch das Los dazu bestimmt worden zu sein. Das hielt er für eine Ungerechtigkeit, die er sich nicht gefallen zu lassen brauchte, zumal es gar nicht seine Absicht gewesen war, Abd el Mot einen Befehl zu erteilen. Er hatte sich infolge seines höheren Alters, seiner großen Erfahrung und seines Ranges nicht für unberechtigt gehalten, eine Meinung auszusprechen, welche nicht einmal mit derjenigen seines Vorgesetzten in Widerspruch gestanden hatte. Darum sagte er, doch in ganz ruhigem Tone:

»Herr, ich sage dir, und Allah ist mein Zeuge, daß ich dich nicht beleidigen wollte. Ich bin mir keiner Schuld bewußt und habe diese Strafe nicht verdient. Du kannst meine Wangen nicht dadurch mit Schamröte überziehen, daß du mich vor den Hundert, die mir untergeordnet sind, erniedrigst!«

»Schweig!« donnerte ihn Abd el Mot an. »Sind dir etwa die Gesetze, nach denen in jeder Seribah gehandelt wird, nicht bekannt? Ich kann dich töten, sobald du mir widersprichst!«

»Das wirst du nicht thun, denn du weißt recht gut, daß ich der erfahrenste und kühnste deiner Leute bin. Durch meinen Tod würdest du dich um den brauchbarsten Mann der Seribah bringen, was ein Schade für euch alle wäre. Und was Abu el Mot, der Herr und erste Kommandant, dazu sagen wurde, das weißt du nicht.«

Er hatte das zwar in bescheidenem Ton, doch mit gewissem Selbstbewußtsein gesprochen. Abd el Mot gab innerlich die Wahrheit des Gesagten zu, doch hielt er es nicht für rätlich, solche Worte zu dulden. Darum antwortete er:

»Zu töten brauche ich dich zwar nicht; aber ich kann dich bestrafen, ohne daß du uns deine Dienste entziehen darfst. Du bist von diesem Augenblicke an nicht mehr Tschausch, sondern gewöhnlicher Soldat und bleibst als Gefangener auf der Seribah zurück. Nun kann das Los darüber entscheiden, welcher Unteroffizier hier während unsrer Abwesenheit das Kommando erhält.«

Das Urteil brachte den alten Feldwebel um die bisher bewahrte Ruhe.

»Was?« rief er zornig aus. »Ich soll gemeiner Asaker werden und sogar gefangen sein? Das wird Allah wohl verhüten! Noch gibt es hier Leute, welche es mit mir halten und mich nicht verlassen werden!«

Er sah sich stolz und auffordernd im Kreise herum. Ein leises Murmeln, welches sich vernehmen ließ, schien seinen Worten recht zu geben. Da zog Abd el Mot seine beiden Pistolen hervor, spannte die Hähne und drohte:

»Die Kugel dem, der mir zu widerstreben wagt! Bedenkt, wenn ein Tschausch fällt, so rücken andre nach ihm auf. Wollt ihr euch dieses Avancement entgehen lassen? Soll ich diejenigen, welche ihm helfen wollen, auch in Ketten legen? Nehmt ihm den Säbel und die Pistole ab und bindet ihn!«

»Mich entwaffnen und binden?« schrie der Tschausch. »Lieber will ich sterben. Schieß also zu, wenn du —«

Er hielt inne. Er hatte den Säbel aus der Scheide gezogen und ihn drohend gezückt; aber es schien ihm plötzlich ein andrer Gedanke gekommen zu sein. Er senkte die Klinge, strich sich mit der linken Hand langsam über das bärtige Gesicht, vielleicht um den momentanen Ausdruck desselben nicht sehen zu lassen, und fuhr in ergebenem Tone fort:

»Verzeihe, Herr! Du hast recht, denn du bist der Vorgesetzte, und ich habe zu gehorchen. Mache mich immerhin zum gewöhnlichen Soldaten! Ich werde mich doch bald so auszeichnen, daß ich wieder aufwärts rücke. Allah ist groß und weiß am besten, was geschehen soll.«

Diese letzten Worte enthielten eine versteckte Drohung, was aber Abd el Mot nicht bemerkte. Er nahm dem Tschausch selbst die Waffen ab und sagte:

»Danke es deinem Alter und meiner Gnade, daß ich mit deiner Ergebung einverstanden bin! Du hast den Säbel gegen mich gezogen und bist also des Todes schuldig. Dennoch will ich dir verzeihen. Ich schenke dir das Leben; im übrigen bleibt es bei dem Urteile, welches ich ausgesprochen habe. Führt ihn in das Gefängnis und bindet ihn dort an, damit er nicht entfliehen kann!«

Dieser Befehl war an zwei Unteroffiziere gerichtet, welche sofort gehorchten. Sie nahmen den Tschausch zwischen sich, um ihn abzuführen, und er ging ohne Widerstreben mit ihnen. Die Hoffnung auf Avancement hatte ihre Wirkung auf die Leute nicht verfehlt.

Nun begaben sich alle nach dem Tokul des Befehlshabers, wo unter Anrufung des Propheten und aller heiligen Kalifen die Lose gezogen wurden. Die fünfzig Mann und der Unteroffizier, welche von denselben getroffen wurden, ergaben sich schweigend, aber innerlich zornig in ihr Schicksal, die übrigen rüsteten sich zum Aufbruche, nachdem der Fakir erklärt hatte:

»Ein jeder gläubige Moslem tritt jede Reise zur Zeit des heiligen Asr an. Nachdem es aber Allah gefallen hat, uns zu erlauben, schon am Morgen aufzubrechen, ist es keine Sünde gegen ihn, schon nach einer Stunde auszuziehen, da die Mitternacht vorüber und es dann auch schon Morgen ist. Sein Name sei gelobt!«

Es waren an dem beabsichtigten Zuge weit über vierhundert Personen beteiligt, welche in zwei Abteilungen zerfallen sollten. Die erste bestand aus denjenigen Leuten, welche mit den vorhandenen Pferden beritten gemacht werden konnten. Ihr sollte die Aufgabe zufallen, voranzueilen und die beiden Neger zu fangen, um dann auf die zweite Abteilung zu warten, welche teils auf Reitochsen, denen das Klima nichts anhaben kann, teils zu Fuß nachfolgen sollte. Den ersten Trupp befehligte Abd el Mot selbst. Das Kommando des zweiten sollte derjenige Unteroffizier führen, welcher in die Stelle des abgesetzten Feldwebels aufgerückt war.

 

Nach einer Stunde hielten die beiden Abteilungen vor der Seribah, vor ihnen der Fahnenträger mit der heiligen Barakha in der Hand. So unmenschlich der Zweck einer Ghasuah ist, so wird doch niemals eine solche unternommen, ohne daß man vorher um den Schutz und Segen Gottes bittet, ganz ähnlich wie man früher in den Kirchen mancher Küstenorte mit lauten Gebeten um einen »gesegneten Strand« bat. Der Fakir, der das Amt des Geistlichen und zugleich des Rechnungsführers verwaltete, stellte sich neben dem Fahnenträger vor der Front auf, erhob die beiden Arme und rief mit lauter Stimme:

»Hauehn aaleïna ia rabb, Salam aaleïna be barakkak – hilf uns, o Herr, begnadige uns mit deinem Segen!«

Diese Worte wurden von dem ganzen Corps unisono wiederholt. Der Fakir fuhr fort:

»Hafitsina ia mobarek ia daaim – segne uns, o Gesegneter, o Unsterblicher!«

Auch dies wurde einstimmig nachgesprochen. Der erste Ausruf war an Gott und der zweite an Mohammed gerichtet. Dann folgten die vor dem Gebete jeder Sure vorgeschriebenen Worte:

»Be issm lillahi er rahmaan er rahiim – im Namen des allbarmherzigen Gottes!«

Hierauf wurde die erste Sure des Korans, die heilige Fathha gebetet, worauf die hundertsechsunddreißigste Sure folgte, welche von Mohammed den Namen »Herz des Korans« erhielt und seitdem von jedem Moslem so genannt wird. Man betet sie im Angesichte jeder Gefahr, und man liest sie den Sterbenden, wenn sie in den letzten Zügen liegen, vor. Sie ist ziemlich lang; ihr Schluß lautet:

»Der Ungläubige bestreitet die Auferstehung; er stellt Bilder an Gottes Stelle und vergißt, daß er einen Schöpfer hat. Er spricht: ‚Wer soll den Gebeinen wieder Leben geben, wenn sie dünner Staub geworden sind?‘ Wir aber antworten: ‚Der wird sie wieder beleben, der sie auch zum erstenmal in das Dasein gerufen.‘ Sollte der, welcher Himmel und Erde geschaffen, nicht die Kraft besitzen, Tote wieder lebendig zu machen? Sicherlich, denn er ist ja der allweise Schöpfer. Sein Befehl ist, so er etwas will, daß er spricht: ‚Es werde!‘ und es ist. Darum Lob und Preis ihm, in dessen Hand die Herrschaft aller Dinge ist. Zu ihm kehret ihr einst zurück!«

Es dauerte sehr lange, ehe diese Sure vorgesprochen und nachgebetet worden war. Als die letzten Worte verklungen waren, hatte sich der Osten gelichtet und die ersten Strahlen der Sonne zuckten empor. Nun durfte man nicht eher fort, als bis el Fager, das für die Zeit des Sonnenaufgangs vorgeschriebene Morgengebet, gesprochen worden war. Dann erhoben sich die Knieenden, um abzuziehen.

Zuerst bestieg Abd el Mot mit den Seinigen die Pferde. Er ritt voran mit seinem Hunde, welcher mit langer Leine an den Sattelriemen gebunden war und die Spur mit Eifer wieder aufgenommen hatte. Die Reiter flogen wie im Sturmwinde gegen Süden.

Die zweite Abteilung folgte langsam, voran der Fahnenträger mit der jetzt in ein Tuch gewickelten Barakha. Sie nahmen mit Gewehrsalven Abschied, welche von der zurückbleibenden Besatzung erwidert wurden. Diese Salven sind stets scharf, wie man auch Trupps, denen man unterwegs begegnet, nur mit scharfen Schüssen begrüßt, eine Munitionsverschwendung, von welcher man nicht lassen mag, weil die Sitte es erfordert.

Die Besatzung blieb vor der Einfriedigung, bis die Fortziehenden nicht mehr zu sehen waren. Sie befand sich in einer keineswegs freundlichen Stimmung. Es entging ihr der zu erhoffende Raub, und sie hatte dafür nicht einmal das Bewußtsein, der Mühen des Marsches und der Gefahren des Kampfes enthoben zu sein. Arbeit gab es nun in der Seribah mehr als genug. Was vorher fünfhundert gethan hatten, das mußte nun von nur fünfzig geschehen, und auch Gefahr war jederzeit vorhanden, da Seriben, deren größter Besatzungsteil sich auf einem Sklavenzuge abwesend befindet, von den anwohnenden Völkern oft überfallen werden. Es gab also mehr als doppelte Arbeit und Wachsamkeit.

Daher war es gar kein Wunder, daß hie und da ein unwilliges Wort laut wurde, unwillig über die Ungerechtigkeit des Loses und unwillig auch über die allzu große Strenge des Befehlshabers. Dieser war nur Stellvertreter des eigentlichen Herrn, Abu el Mots, in dessen Abwesenheit er sich stets so gebärdete, als ob er größere Macht besitze, als eigentlich der Fall war. Darum war er nicht bloß gefürchtet, sondern, was viel schlimmer ist, auch unbeliebt und von den meisten gehaßt. Der alte Feldwebel hingegen verstand es besser, diejenigen, deren Rang er früher auch eingenommen hatte, richtig zu behandeln. Er war streng, doch nicht grausam; er hielt auf seine Würde, doch ohne sich zu überheben. Darum war er beliebt, und darum hatten vorhin, als er gefangen genommen werden sollte, viele leise zu murren gewagt.

Der mit zurückgebliebene Unteroffizier bemerkte gar wohl die Stimmung seiner Leute; er hörte auch ihre halblauten Worte, sagte aber nichts dagegen. Er selbst war außerordentlich ärgerlich. Er hatte sich von seiten des Feldwebels stets einer freundlichen Behandlung zu erfreuen gehabt; darum fühlte er Teilnahme mit demselben. Er war bei der Degradation des Alten ruhig geblieben, weil er gehofft hatte, in seine Stelle aufzurücken. Dies aber war nicht geschehen. Abd el Mot hatte ihm einen andern vorgezogen, obgleich er meinte, größeres Anrecht zu besitzen. Kein Wunder, daß er sich nun doppelt unzufrieden fühlte und mit den Ansichten seiner Untergebenen einstimmte, aber ohne es ihnen merken lassen zudürfen.

Er mußte schweigen, nahm sich aber vor, seinem Unmute gegen Abd el Mot dadurch Luft zu machen, daß er den Feldwebel so gut wie möglich behandelte und ihm seine Gefangenschaft nach Umständen erleichterte. Er ließ Kisrah backen und am Flusse Fische fangen, welche gebraten wurden. Jeder erhielt von diesen Gerüchten[Gerichten] sein Teil. Dann begab er sich mit einer tüchtigen Portion nach dem Tokul, welcher als Gefängnis diente.

Dieser bestand nicht etwa aus starken Steinmauern, um das Entweichen zu verhindern; o nein, man hatte sich die Sache viel leichter gemacht, indem ein doppelt mannstiefes Loch gegraben worden war, in welches man die Missethäter hinabließ. Darüber befand sich ein Schilfdach, aber nicht etwa zur Erleichterung für die Gefangenen, damit sie nicht von den glühenden Sonnenstrahlen der hochstehenden Sonne getroffen werden sollten, sondern aus Rücksicht auf die Schildwache, welche die Eingekerkerten zu beaufsichtigen hatte. Da dieses Loch niemals gereinigt worden war, so mußte der Aufenthalt in demselben als selbst des rohesten Menschen unwürdig bezeichnet werden.

Gegenwärtig befand sich der Feldwebel allein darin. Der Wächter ging, als er den Unteroffizier kommen sah, respektvoll zur Seite.

»Hier bringe ich dir ein Essen,« rief der letztere hinab. »Kisrah und gebratene Fische, was sonst kein Gefangener bekommt. Später lasse ich Merissah machen; da sollst du auch einen Topf voll bekommen.«

Der Feldwebel stand bis an die Knie in halb verwestem Unrat.

»Allah vergelte es dir,« antwortete er, »ich habe aber keinen Appetit.«

»So hebe es dir auf!«

»Wohin soll ich es thun? Ist das ein Ort, Speise aufzubewahren?«

»Zu diesem Zweck ist die Grube freilich nicht bestimmt. Soll ich dir das Gericht in eine Decke wickeln?«

»Ja, und – ich kenne dich. Allah hat dir ein gutes und dankbares Herz gegeben. Habe ich dich jemals streng behandelt?«

»Nein.«

»Kannst du mir vorwerfen, daß ich dich jemals beleidigt oder übervorteilt habe?«

»Das hast du nie.«

»So verdiene dir den Segen des Propheten, indem du mir eine Gnade erweisest!«

»Was soll ich thun?«

»Ziehe mich hinauf und erlaube mir, oben bei dir zu essen. Dann kannst du mich wieder herunterlassen.«

»Das darf ich nicht.«

»Wer kann es dir verbieten? Du bist doch jetzt der Herr der Seribah. Oder glaubst du, nicht thun zu dürfen, was dir beliebt?«

Der Buluk fühlte sich bei seiner Ehre angegriffen; darum antwortete er:

»Ich bin der Kommandant. Was ich will, das muß geschehen.«

»So mangelt es dir an gutem Willen. Das hätte ich nicht gedacht.«

»Es ist zu gefährlich. Wie leicht kannst du mir entfliehen!«

»Entfliehen? Das ist doch ganz unmöglich. Ich habe keine Waffen; du kannst mich sofort niederschießen. Und deine fünfzig Männer werden wohl hinreichend sein, mich an der Flucht zu hindern.«

»Das ist wahr,« meinte der Buluk nachdenklich.

»Auch darfst du nicht vergessen, daß ich nicht für immer hier stecke. Abu el Mot weiß meine Dienste zu schätzen, und wenn er zurückkehrt, werde ich sehr rasch wieder Feldwebel sein.«

»Das denke ich auch,« gab der Unteroffizier aufrichtig zu.

»Dann kann ich es dir vergelten, wenn du mir die Gefangenschaft jetzt ein wenig erleichterst. Ich denke also, daß du mir die kleine Bitte erfüllen wirst.«

»Gut, ich werde es wagen. Aber meine Pflicht muß ich thun, und du darfst es mir nicht übel nehmen, wenn ich der Schildwache befehle, sich bereit zu halten, dich sofort niederzuschießen, falls du dich mehr als zwei Schritte von dem Rande der Grube entfernst.«

»Thue es! Es ist deine Pflicht, und du thust sehr wohl daran, sie zu erfüllen.«

Während der Buluk zu dem Posten trat, um ihm den betreffenden Befehl zu erteilen, strich sich unten der Tschausch befriedigt über den Bart und murmelte:

»Das war nur die Probe, und er hat sie bestanden. Allah wird ihn erleuchten, auch auf meine ferneren Vorschläge einzugehen. Ich werde in dieses Loch nicht wieder zurückkehren, und dieser Abd el Mot, den Allah vernichten möge, wird keinen Feldwebel wieder zum gemeinen Soldaten erniedrigen!«

Jetzt erschien der Buluk wieder oben in Gemeinschaft des Postens. Sie ließen ein Seil herab, an welchem der Tschausch emporkletterte. Oben angekommen, setzte er sich nieder und machte sich sogleich über sein Essen her. Die Schildwache zog sich außer Hörweite zurück, hielt aber das Gewehr zum Schusse bereit. Der Unteroffizier setzte sich vor dem Gefangenen nieder, sah ihm mit Vergnügen zu, wie es ihm schmeckte, und sagte:

»So lange ich hier kommandiere, sollst du ebensoviel und ebensogut essen, wie bisher. Ich hoffe, daß du es mir danken wirst!«

»Das werde ich gewiß. Ich weiß, daß ich es kann, denn ich werde später selbst Herr einer großen Seribah sein und sehr einträgliche Sklavenzüge unternehmen.«

»Du?« fragte der Buluk erstaunt.

»Ja, ich!« nickte der andre.

»Hast du das Geld dazu?«

»Geld? Braucht man da Geld?«

»Viel, sehr viel Geld, großes Vermögen, so wie Abu el Mot es hat.«

»Hm! Meinst du, daß er dieses Vermögen stets besessen hat?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber ich weiß es. Ich diene ihm über noch einmal so lang als du und kenne seine ganze Vergangenheit.«

»So bist du der einzige. Niemand weiß genau, woher er stammt und was er war.«

»Ein Homr-Araber ist er, und sehr arm war er. Er befand sich als gewöhnlicher Soldat bei einem Sklavenjäger und brachte es da, gerade so wie ich, bis zum Tschausch.«

Das war die Unwahrheit, aber es lag in dem Plane des Alten, den Buluk durch diese erfundene Erzählung zu gewinnen.

»Arm war er?« meinte dieser. »Und auch nur erst Buluk und Tschausch, so wie du und ich?«

»Ja, nichts andres.«

»Aber wie brachte er es dann zu dieser großen Seribah?«

»Auf eine ebenso einfache wie leichte Weise. Sein Herr hatte ihn einmal sehr beleidigt und dafür schwor er ihm Rache. Als dann später der Herr eine Ghasuah unternahm, traf es sich, daß er Abu el Mot als Kommandant der Seribah zurückließ.«

»Also ganz mein jetziger Fall!«

»Ja. Aber du wirst nicht die Klugheit besitzen, welche Abu el Mot und sein Buluk damals entwickelt haben.«

»Er hatte auch einen Buluk bei sich?«

»Freilich. Du kennst ihn ja!«

»Ich? Ich weiß von nichts.«

»Ach so! Ich vergaß, daß du die Geschichte gar nicht kennst. Sein damaliger Buluk ist noch jetzt bei ihm, und zwar als zweiter Befehlshaber.«

»Etwa Abd el Mot?«

»Ja. Beide haben damals den Streich gespielt, welcher sie reich gemacht hat.«

»Was thaten sie?«

»Etwas, worauf eigentlich jeder Unteroffizier kommen kann, welcher zurückgelassen wird und auf die Beute verzichten muß. Sie warteten, bis der Herr fort war, plünderten die Seribah aus, brannten sie nieder und zogen mit dem vorhandenen Vieh und allem, was mitgenommen werden konnte, nach Süden, hierher, wo sie diese Seribah gründeten und das Geschäft für ihre eigene Rechnung begannen.«

»Allah ‚l Allah! Mein Verstand ist weg!« rief der Buluk aus, indem er den Mund aufriß und die Augen fast ebenso weit.

»Das ist sehr bedauerlich für dich,« bemerkte der Tschausch. »Wenn dein Verstand entflohen ist, so wirst du niemals reich werden.«

 

»Ich – reich? – Wer hat jemals daran gedacht!«

»Du nicht?«

»Nie! Wer soll sich das Unmögliche als möglich denken!«

»Allah ist allmächtig; ihm ist alles möglich, und wen er mit seiner Gnade beglücken will, der braucht nur zuzugreifen, falls er Hände hat. Du aber scheinst keine zu haben.«

»Ich – ich habe doch welche, zwei sogar!«

»Aber du gebrauchst sie nicht!«

»Soll ich etwa zugreifen?«

»Natürlich!«

»Jetzt?«

»Ja. Es wird sich dir nie wieder eine solche Gelegenheit bieten, schnell reich zu werden.«

Der Buluk erfüllte als Unteroffizier seine Pflichten zur Zufriedenheit; aber besonders glänzende Geistesgaben besaß er keineswegs. Er saß vor dem Tschausch, als ob er gelähmt sei, ihn groß und fast verständnislos anstarrend.

»Allah akbar!« stieß er langsam hervor. »Habe ich recht gehört? Ich soll es machen wie diese beiden?«

»Nicht du allein, sondern ich und du.«

»Das – ist doch – gar nicht auszudenken!«

»So gib dir Mühe, es zu begreifen! Aber versäume nicht die gute Zeit. Abu el Mot kann jeden Augenblick zurückkehren. Dann ist es zu spät, und die Gelegenheit wird niemals wieder vorhanden sein.«

»Sprichst du denn wirklich im Ernste?«

»Ich schwöre dir bei Allah und dem Propheten, daß ich nicht scherze.«

»Und du meinst, daß es wirklich auszuführen ist?«

»Ja, denn Abu el Mot und sein Buluk haben es auch fertig gebracht. Denke doch an alles, was sich hier befindet, an die Waffen und die viele Munition, an die Kleider und Gerätschaften, an die Handelsgegenstände und Vorräte, welche wir, wenn wir etwas davon kaufen, von unsrem armen Solde zehnfach teurer bezahlen müssen! Denke ferner an die Rinder, welche wir bewachen müssen. Überlege dir, welch einen Wert das alles hat! Weißt du, wieviel Elfenbein wir bei den Negern für eine einzige Kuh eintauschen können?«

»O, das weiß ich schon. In Chartum würden wir dreißig und noch mehr Kühe dafür bekommen.«

»Wir haben über dreihundert Rinder hier. Machten wir es so, wie Abu- und Hamd el Mot[Abd el Mot] es damals gemacht haben, so wären wir mit einem Schlage reiche Männer.«

»Das ist wahr; das ist wahr! Aber es würde eine Sünde sein!«

»Nein, sondern nur eine gerechte Strafe für die beiden. Denke nach! Man darf in solchen Fällen ja keine Zeit verlieren!«

Der Buluk hielt sich den Kopf mit beiden Händen, griff sich an die Nase, an die Brust und die Knie, um zu versuchen, ob er wirklich lebe und existiere, und rief dann aus:

»Allah begnadige mich mit seiner Erleuchtung! Mir ist‘s, als ob ich träume!«

»So wache auf, wache auf, bevor es zu spät wird!«

»Gedulde dich! Meine Seele findet sich nur schwer in eine so ungeheure Sache. Ich muß sie unterstützen.«

»Womit?«

»Ich will mir Tabak für meine Pfeife holen!«

»Auch ich habe einen Tschibuk hier am Halse hängen, aber keinen Tabak.«

»Ich bringe auch für dich welchen mit.«

Er stand auf und eilte fort. Schon war er weit entfernt, da erinnerte er sich an seine Pflicht. Er blieb stehen, drehte sich um und rief zurück:

»Du entfliehst doch nicht? Du hast es mir versprochen!«

»Ich bleibe!« antwortete der Tschausch.

»Bedenke wohl, daß dich die Kugel des Wächters sofort treffen würde, denn du bist mein Gefangener!«

»Ich halte mein Wort! Aber sage keinem, was du von mir gehört hast!«

»Nein; auch würde es mir wohl niemand glauben!«

Er ging weiter. Der Tschausch rührte sich nicht von seiner Stelle. Er hatte die Kisrah und die Fische verzehrt. Jetzt strich er sich mit beiden Händen den grauen Bart und murmelte vergnügte, leise Worte vor sich hin.

Bald kehrte der Buluk wieder. Er hatte seinen Tabakbeutel in der Hand, dem man es ansah, daß er nicht viel enthielt. Der Tabak ist in den Seriben ein teurer Artikel. Dennoch reichte er, als er sich niedergesetzt und seine Pfeife gestopft hatte, auch dem Tschausch hin. Dieser griff hinein, ließ den zu Mehl zerstoßenen und mit weniger wertvollen Pflanzenblättern vermischten Tabak durch die Finger gleiten, machte ein pfiffig bedauerndes Gesicht, begann auch seinen Tschibuk zu stopfen und fragte:

»Wem gehört dieser Tabak?«

»Mir,« antwortete der Buluk verwundert.

»Woher hast du ihn?«

»Hier gekauft natürlich!«

»So hast du vorhin allerdings ganz richtig gesprochen: Dein Verstand ist weg!«

»Wieso?« fragte der Buluk, indem er mit dem Stahle Feuer schlug.

»Hast du keinen andern und bessern Tabak?«

»Nein.«

»O Allah! Hat dir denn Abd el Mot nicht die ganze Seribah übergeben?«

»Ja.«

»Auch die Tukuls[Tokuls] mit den Vorräten?«

»Ja. Ich soll sie wohl verwahren. Es hängen Schlösser vor den Thüren.«

Während nämlich kein Tukul[Tokul] verschlossen ist, sind diejenigen, welche als Magazine benutzt werden, mit hölzernen Thüren und Vorlegeschlössern versehen.

»Aber die Schlüssel hast du doch?« fragte der Tschausch.

»Ja, sie sind mir übergeben worden.«

»So kannst du hinein, wo die Fässer mit dem köstlichsten Tabak stehen, den nur Abu el Mot und Abd el Mot rauchen, und dennoch begnügst du dich mit diesem letzten, schlechten Rest?«

Der Buluk öffnete wieder den Mund, starrte den andern eine ganze Weile an und fragte dann:

»Du meinst —?«

»Ja, ich meine!«

»Allah, wallah, tallah! Es wäre freilich schön, wenn ich meinen Beutel füllen könnte, ohne ihn später bezahlen zu müssen!«

»Nur Tabak? Alles, alles kannst du nehmen, ohne es zu bezahlen. Du vernichtest diese Seribah Omm et Timsah und legst eine andre an.«

»Wo?«

»Im Süden, wo die Waren teurer und die Sklaven billiger sind.«

»Das wäre bei den Niam-niam?«

»Ja. Dort sind geradezu glänzende Geschäfte zu machen.«

Der Buluk rieb sich an den Armen, an den Beinen, an allen Teilen seines Körpers. Es war ihm höchst unbehaglich zu Mute, und doch fühlte er sich dabei so wohl wie noch nie in seinem ganzen Leben. Er wäre gar zu gern reich geworden, aber nach längerem Nachdenken gestand er aufrichtig:

»Ja, wenn ich deinem Vorschlage folgte, so könnte ich sehr leicht eine Seribah gründen; aber – ich bin nicht klug genug dazu.«

»Du hast ja mich! Ich will doch Teilnehmer werden!«

»Ah ja! Das ist wahr!«

»Übrigens lernt sich so etwas ganz von selbst.«

»Meinst du?«

»Gewiß, du bist ja schon jetzt Kommandant einer ganzen Seribah!«

Da schlug sich der Buluk an die Brust und rief:

»Ja, das bin ich! Bei Allah, das bin ich! Wer das leugnen wollte, den würde ich peitschen lassen!«

»Wenn Abd el Mot dich zum Kommandanten gemacht hat, so weiß er gewiß, daß du der richtige Mann dazu bist. Er kennt dich also weit besser als du selbst.«

»Ja, er kennt mich; er kennt mich ganz genau! Er weiß, daß ich der richtige Mann dazu bin! Also du meinst —?«

»Ja, ich bin überzeugt, daß wir beide in kürzester Zeit die reichsten und berühmtesten Sklavenjäger sein würden.«

»Berühmt, das möchte ich werden,« nickte der Buluk.

»So folge mir! Ich habe dir den Weg dazu gezeigt. Und wenn du noch nicht wissen solltest, welche Vorteile dir erwachsen, falls du auf meinen Vorschlag eingehst, so will ich sie dir deutlich machen und erklären. Komm!«

»Wohin?« fragte der Buluk, als der Feldwebel würdevoll aufstand.

»Zu den Vorräten. Ich will sie dir zeigen und ihren Wert berechnen.«

»Ja, komm!« stimmte der Buluk eifrig bei. »Ich habe die Schlüssel in der Tasche und möchte wissen, wie reich wir sein würden.«

Er ergriff den Tschausch am Arme und führte ihn fort. Der Posten wagte natürlich nicht zu schießen, weil der jetzige Kommandant selbst seinen Gefangenen fortführte.

Die fünfzig Soldaten waren zerstreut, teils in der Seribah selbst, teils draußen bei den Herden beschäftigt. Einige von den ersteren sahen zu ihrem nicht geringen Erstaunen den Buluk mit dem Feldwebel, welchen sie im Gefängnisse wußten, gehen, doch sagten sie nichts. Es war ihnen ganz recht, daß der interimistische Gebieter nicht so streng verfuhr, als er eigentlich sollte. Erst als dieser sich mit seinem Begleiter beim ersten Vorratstukul[Vorratstokul] befand und die Thür desselben schon geöffnet hatte, fiel ihm ein, was er laut seiner Instruktion zu thun hatte.