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Die Sklavenkarawane

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Der andre trug graue Zeugschuhe, graue Strümpfe, eine graue, sehr weite und sehr kurze Hose, eine graue Weste, eine graue Jacke und einen grauen Turban. Grau war auch der Shawl, den er sich um die Hüfte geschlungen hatte. An ihm schien alles grau zu sein, selbst die Augen, die Gesichtsfarbe, das lange, bis auf die Brust herabhängende Halstuch und das dichte Haupthaar, welches unter dem Turban hervor bis zum Rücken niederfiel. Das Sonderbarste an ihm aber war seine Nase, eine Nase, wie man sie nur einmal im Leben, und auch das kaum, zu sehen bekommt.



Diese Nase war unbedingt ein sogenannter »Riecher«. Sie war entsetzlich lang, entsetzlich gerade und entsetzlich schmal und lief in eine förmlich lebensgefährliche scharfe Spitze aus. Sie glich dem Schnabel eines Storches, nur daß dieser nicht von grauer Farbe ist. Wer in Faschodah Gelegenheit gehabt hatte, den »Sohn der Treue« von Abu Laklak, dem »Vater des Storches« sprechen zu hören, der mußte hier unbedingt auf den Gedanken kommen, diesen Mann vor sich zu haben. Die beiden Weißen musterten mit Kennerblicken die Oberfläche des hier sehr breiten Flusses. Nichts entging ihren Augen, und besonders war der Graue wie elektrisiert, wenn irgend ein Vogel sich aus dem Schilfe erhob oder von einem Ufer nach dem andern kreuzte. Dabei ließen sie die Unterhaltung keinen Augenblick ruhen. Sie bedienten sich der deutschen Sprache, Schwarz des reinen Hochdeutsch, der Graue aber eines sehr kräftigen und dabei doch zutraulichen Dialektes, welcher irgendwo zwischen dem Thüringerwald, Böhmerwald, Innsbruck, dem Algäu und der württembergischen Grenze zu Hause sein mußte.



»Da gebe ich dir vollständig recht, lieber Doktor,« sagte Schwarz. »Wir haben daheim noch eine ganz falsche Vorstellung von diesen Sudanvölkern. Um sie kennen zu lernen, muß man zu ihnen kommen.«



»So gefallens dir gut, he?« fragte der Graue.



»Gar nicht übel.«



»Auch wanns Menschen fressen?«



»Auch dann, wenn sie nur mich nicht fressen. Sie haben gar keine Vorstellung von der Abscheulichkeit dieses Genusses; sie muß ihnen erst beigebracht werden. Nach geschlagener Schlacht verzehren sie die getöteten Feinde und behaupten dabei, es sei sehr gleichgültig, ob man dieselben in den Magen, oder in die Erde begräbt.«



»Na, mein G‘schmack wär‘ das schon nit. Ich will doch lieber in der Erden liegen, mit einer hübschen Kapellen drauf, als im Magen eines solchen Kannibalen!«



»Ich auch, lieber Doktor. Du mußt aber wohl unterscheiden zwischen – —«



»Halt!« unterbrach ihn der Graue, indem er seine Nase wie ganz aus eigener, völlig selbständiger Initiative auf und nieder senkte. »Wannst mich nochmals Doktor nennst, so bekommst halt sogleich eine Waatschen, daß‘t denkst, deine paar Knöcherln halten Kaffeevisit! Du bist auch Doktor, aber nenn‘ ich dich so? Wozu die Komplimenten zwischen Leutln, die Brüderschaft trunken haben, wenn auch bloß in dera Merissah, die mir g‘stohlen werden kann, nämlich aber nur dann, wenn ich einen guten Spatenbräu dagegen hab‘. Du weißt doch, wie ich heiß‘?«



»Allerdings,« lächelte Schwarz.



»Na also! In dera g‘lehrten Welt bin ich als Herr Doktor Ignatius Pfotenhauer bekannt. Daheim, wo ich z‘Haus bin, nennens mich nur den Vogel-Nazi, weil ich nun einmal eine ganz b‘sondere Liebhaberei hab‘ für alles was da fleugt, aber nit kreucht. Hier z‘Land heißens mich gar Abu el Laklak, den Vater des Storches, wegen meiner Nase, die mir aber ebensowenig feil ist, wie dir die deinige. Nachhero, weil ich dich einfach Sepp nenne, weil dein Vorname Joseph ist, so kannst mir auch die Lieb‘ und Güt‘ erweisen, mich Nazi, oder Naz, zu heißen, was bedeutend kürzer ist als Ignatius, mit vier Silben. Hast‘s verstanden?«



»Sehr wohl! Hoffentlich verspreche ich mich nicht wieder.«



»Das möcht‘ ich mir halt ausg‘beten haben! Weißt, ich bin einmal ein b‘sonderer Kerl, und so – – halt, siehst ihn fliegen?«



»Wen? Wo?«



Der Graue war eifrig aufgesprungen und rief erregt, indem er mit der Hand nach aufwärts deutete:



»Dort – hier – da kommt er g‘flogen! Kennst ihn schon?«



»Ja. Es ist ein Perlvogel, Trachyphonus margaritatus.«



»Richtig! Hast‘s schon g‘wußt. Weg ist er!« stimmte der Graue bei, indem er sich wieder niedersetzte. »Aber weißt auch wie die Eing‘bornen ihn nennen?«



»Noch nicht.«



»Da hast wieder aan‘ Beweis, daß sie gar gute und auch g‘spaßige Beobachter sind; sie benennen ihn und sie nach der Stimme, wanns schreien. Er schreit nämlich: bescherrrretu, bescherrrretu! Weißt, was das in dera hiesigen Sprachen bedeutet?«



»Ja, hast dein Kleid zerrissen, hast dein Kleid zerrissen!«



»Richtig! Das Weibchen sieht nämlich dunkel aus, und hat weiße Flecken drauf, was grad so ausschaut, als ob sie Löcher in dera Toiletten hätt‘. Sie aber antwortet ihm hernach: baksi-ki, bak-si-ki! Was heißt das?«



»Näh‘s zusammen, näh‘s zusammen!«



»Auch das ist richtig. Wann der Volksmund mit solcher Naivität von denen Vögeln spricht, so möcht‘ man diese Leutln nur schwer für Menschenfresser halten.«



»Man bezeichnet die Niam-niam als solche. Aber ich habe nichts davon bemerken können.«



»Weils halt wissen, daß wir solchen Schmaus verabscheuen, drum lassens gar nix merken davon. Dennoch sind wir vollständig sicher bei ihnen. Sie thun uns alles mögliche z‘lieb‘. Das muß man anerkennen. Sie jagen Tag und Nacht, um mir Vögel zu bringen. Ich hab‘ sonst in Jahreszeit nit so viel g‘sammelt, wie jetzt in aan‘ einzigen Monat.«



»Das wird wieder ein umfangreiches, gelehrtes Werk geben, nicht?«



»Ja, ich werd‘ schon was zusammenschreiben. Es hat noch keinen ‚geben, der sich um die hiesige Vogelwelt groß kümmert hat. Diese Lück‘ möcht‘ ich ausfüllen.«



»Du bist der geeignete Mann dazu. Woher kommt denn eigentlich deine große Vorliebe für die Vogelwelt? Hat sie einen besonderen Grund?«



»Daß ich nit wüßt! Und woher‘s kommen ist? Hm! An meiner Wiegen hat man mir‘s freilich nit g‘sungen, daß ich mich mal so auf die Ornithologie verinteressieren würd‘, und fünfzehn Jahre später auch noch nicht. Ich selber hab‘ auch nit dran gedacht, und erinnere mich noch heute mit Schreck an das erste ornithologische Abenteuer, das ich damals erlebte.«



»Was war das?«



»Das war – nun, dir kann ich‘s ja erzählen; sonst aber red‘ ich nimmer gern davon – das war, da ich als Gymnasiast in der Quart g‘sessen bin. Der Professor für die Naturgeschicht‘ hat mich nit gern g‘habt, weil ich ihn in meiner Dummheiten immer nach Dingen g‘fragt hab‘, die kein Mensch beantworten kann.«



»Das kommt in diesem Alter häufig vor, ist aber meist ein Beweis von regem Wissensdrang.«



»Wissensdrang? Der Professor hat‘s halt immer Voreiligkeit und Neugierd‘ g‘nannt, und nur auf eine G‘legenheiten gesonnen, es mir heimzugeben. Das war zum Osterexamen. Ich hab‘ a neues Vorhemd ang‘legt, und den neuen blauseidenen Schlips drumrum, und nachhero g‘meint, daß ich mit diesem Staat das Examen schon b‘stehen muß. Es ist auch ganz leidlich ‚gangen, bis hin zu dera Naturg‘schicht‘n. Die Fragen wurden reihum g‘richtet; als ich dran komm, erheb‘ ich mich, und was wird mich da der Professor fragen, he?«



»Nun, was denn?«



»Warum die Vögel Federn haben.«



»Ja, da hat er dir‘s freilich heimzahlen wollen. Was hast du ihm denn geantwortet?«



»Was ich g‘antwortet hab‘? Nun, zunächst hab‘ ich mir denkt, daß er – – halt, dort sitzt er! Siehst du ihn?«



Er war wieder aufgesprungen und deutete erregt nach dem Ufer, wobei seine Nase sich zur Seite bog, als ob sie sich ganz speciell für diese Gegend interessiere.



»Wer? Wo?« fragte Schwarz.



»Dort oben auf dem Sunutbaume, ganz auf der Spitze.«



»Ach so, ein Flußadler, Haliaetus vocifer, ein prachtvolles Tier!«



»Das ist er. Die Eingeborenen nennen ihn Abu Lundsch. Er frißt fast ausschließlich Fische, und weißt, wie die Leut‘ hier sein Geschrei verdolmetschen?«



»Nein.«



»Sef, Charif, jakull hut, hut. Wie heißt das auf deutsch?«



»Im Sef und Charif verzehre ich Fische.«



»Richtig! Auch hier hast wieder aan Zeichen von liebevoller Beobachtung der Natur. Die Negern sind gar nit so stupid und verständnisarm, wie man sie beschreibt. Wenn ich an deiner Stell‘ wär‘, so thät ich a Buch zu ihrer Ehrenrettung verfassen.«



»Das wird vielleicht geschehen, wenn ich die Zeit dazu finde.«



Jetzt wurde die Aufmerksamkeit der beiden auf den Steurer gelenkt, welcher ein kurzes Kommandowort aussprach, worauf die Schwarzen ihre Ruder einzogen.



»Wollen wir landen?« fragte ihn Schwarz, natürlich nicht in deutscher Sprache.



»Nein, Effendi,« antwortete er. »Hier landet man nie sofort, sondern man legt den Kahn erst für einige Zeit in das Schilf, um zu erspähen, ob sich keine Feinde am Lande befinden.«



»Und das willst du thun? Warum fahren wir nicht weiter?«



»Weil wir sonst zu weit an die Seribah Omm et Timsah kommen, wo Abd el Mot wohnt. Sieht er uns, so macht er uns zu Sklaven.«



»Das sollte er versuchen!«



»Er würde es nicht nur versuchen, sondern wirklich thun. Ihr beide seid kühne und kluge Männer, und wir verstehen auch unsre Waffen zu gebrauchen; aber er hat über fünfhundert Sklavenjäger bei sich, die wir nicht überwinden können. Wir würden dreißig oder vierzig, vielleicht auch noch mehr töten, von den übrigen aber erdrückt werden.«



Das klang so ruhig, klar und überlegt. Der Jüngling war gewiß seinen Jahren vorausgeschritten.



»So meinst du, daß wir nur des Nachts vorüberfahren können?« fragte Schwarz.



»Ja.«



»Aber das können wir doch auch am Tage thun. Wir rudern schnell und nehmen das Segel dazu.«



»Niemand kann wissen, wie der Wind in einer Stunde weht. Kommt er uns entgegen, so würde das Segel uns nur hindern, und auf die Ruder darf man sich nicht verlassen. Abd el Mot hat ein Schiff im Flusse liegen, welches er zwar geheim hält, aber ich weiß es doch. Er kann von seinem Ufer aus den Fluß aufwärts weit überblicken. Er würde uns also sehr zeitig bemerken, und braucht dann nur das Schiff nach der Mitte des Flusses zu steuern und die Trommel schlagen zu lassen, um uns sicher zu bekommen. Nein, wir müssen hier anlegen und die Nacht abwarten, dann können wir die gefährliche Stelle passieren.«

 



»Er kann uns auch dann zufällig bemerken.«



»Wenn wir Schilf und Zweige quer über das Boot legen, wird man es für eine losgerissene schwimmende Grasinsel halten. Erlaubst du also, daß ich gegen das Ufer steure?«



»Ja, thue es.«



Das Boot trieb mit dem Strome dem linken Ufer zu, fuhr an der bereits genannten, auf der Schlammbank lagernden Grasinsel vorüber, und gewann sodann den Rand des spitzen Feldes von Omm Lufah und Schilf, welches auch schon erwähnt wurde. Dort ließ man den eisernen, scharfen Bongoanker nieder, welcher sofort im Grunde festgriff und das Boot zum Stehen brachte.



Vom linken Ufer, in dessen Nähe es lag, konnte man es unmöglich sehen, weil das sehr hohe und dichte Rohr dazwischen stand. Das rechte Ufer war zwar weit entfernt, aber ein sehr scharfes Auge hätte es doch vielleicht zu erkennen vermocht; darum schnitten die Neger so viel Schilf und Rohr ab, um es vollständig in eine kleine Insel verwandeln zu können, welcher man es nicht ansah, daß der Grund derselben in einem vor Anker liegenden Kahne bestand.



Gesprochen wurde nur leise; dabei strengte man das Gehör an, um sich kein Geräusch am Ufer entgehen zu lassen. Man hatte die Maskierung des Bootes noch nicht beendet, da drangen unverständliche Laute herbei, welche einer menschlichen Stimme anzugehören schienen. Die Insassen des Bootes lauschten mit angestrengtester Aufmerksamkeit, bei sich selbst jedes Geräusch vermeidend.



Der junge Dumandschi erhob sich von seinem Sitze, um besser hören zu können.



»Es sind zwei Neger, welche dort am Ufer sprechen, nicht weit abwärts von uns,« sagte er leise.



»Woher weißt du das?« fragte Schwarz.



»Ich verstand nur wenige Worte, welche der Sprache der Belanda angehören, die nur von Schwarzen gesprochen wird.«



»Was sprachen sie?«



»Das weiß ich nicht. Die Worte gehörten mehreren Sätzen an. Rettung – sterben – Sklavenjäger, das habe ich gehört.«



»Ach! Vielleicht sind es verfolgte Sklaven.«



»Dann sind sie gewiß Abd el Mot entsprungen.«



»So müssen wir sie retten. Wir nehmen sie in unser Boot auf.«



»Das müssen wir uns vorher überlegen, Effendi. Ich bin bereit, jeden verfolgten Menschen zu retten, vorher aber muß ich überzeugt sein, daß ich mich damit nicht dem gewissen Tode in die Arme werfe. Gefahr kann ja dabei sein, vor ihr schrecke ich nicht zurück; aber einem sichern und voraussichtlichen Tode weihe ich mich nicht, denn dann wäre ja auch der, den ich retten will, mit verloren.«



»Du sprichst wie ein gelehrter und erfahrener Mann.«



»Spotte nur, aber gib mir recht. Horch!«



Man hörte jetzt wütendes Hundegebell und rufende Menschenstimmen.



»Scheitan! Da läuft einer, und weiter vorn der andre, wenn ich mich nicht irre. Schnell nach, schnell nach!« klang es deutlich herüber.



Das war der Ausruf Abd el Mots, als er Lobo erblickte. Dann folgte wütendes Hundegeheul und durcheinander brüllende Männerstimmen.



»Laß doch den Hund los!« rief jemand.



»Zwei Sklaven sind es, welche verfolgt werden!« sagte Schwarz. »Wir müssen sie retten!«



Er griff nach seiner Büchse. Auch der Graue nahm sein Gewehr und stimmte bei:



»Schießen wir die Halunken nieder!«



»Still, still,« bat der Steuermann. »Es scheinen der Verfolger gar viele zu sein, und jedenfalls gehören sie zu Abu el Mot. Wollen wir uns ihnen zeigen, ohne die Neger retten zu können? Das würde unklug sein. Und ehe wir den Kahn vom Anker losbringen und das Ufer erreichen, kommen wir zu spät, weil die Jagd schon vorüber ist. Horch! Ein Schrei. Da starb einer. Er sprang in das Wasser. Lebt er noch, so holen ihn die Krokodile!«



Er trat auf die Steuerbank; die andern stellten sich auf die Ruderbänke, um über das maskierende Schilf hinwegsehen zu können. In diesem Augenblicke kam Lobo um die Spitze des Schilffeldes geschwommen. Der Steuermann schob das Rohr mit den beiden Armen auseinander, um von ihm gesehen zu werden und winkte ihm. Lobo stutzte. Das war der Augenblick, an welchem seine Verfolger sagten, er müsse etwas gesehen haben. Der Schuß Abd el Mots fiel.



»Schnell, schnell – die Krokodile!« rief der Steuermann dem Neger zu.



Dieser sah einen Menschen scheinbar oberhalb des Wassers stehen. Seine Kräfte verdoppelten sich, und er schnellte sich mit einigen starken Stößen herbei. Schon ergriff er mit den Händen den Rand des Bootes, und mehrere Arme streckten sich aus, ihn hereinzuziehen; da warnte einer der Ruderer, welcher zufällig einen Blick hinaus auf den freien Strom und nach der Grasinsel geworfen hatte:



»Et Timsah, et Timsah, amal, amal – das Krokodil, das Krokodil, macht, macht!«



Glücklicherweise war der Mann so vorsichtig gewesen, nicht in lautem Tone zu sprechen.



»Von welcher Seite?« fragte der Steuermann schnell.



»Links«, antwortete der Ruderer.



»Schnell alle auf diese Seite nach links, sonst wirft es das Boot um!«



Lobo wurde förmlich emporgerissen; aber schon war das Tier da – ein gewaltiger Stoß gegen die linke Bootswand hätten die Insassen rechts gestanden, so wäre das Fahrzeug umgeworfen worden; so aber widerstand ihr Gewicht dem Stoße des gierigen Tieres – Lobos Unterschenkel geriet doch noch zwischen die vordern Zähne desselben, aber noch ehe es den Rachen vollständig schließen konnte, wurde er ihnen entrissen. Der Neger stieß einen lauten Schmerzensschrei aus, den seine Verfolger für seinen Todesschrei hielten, und flog herein in das Boot, doppelt blutend, nämlich am Arme, wo ihn der Hund gepackt hatte, und am Beine, von welchem ein ganzes Stück der Wade fehlte. Er schloß die Augen. Es war über seine Kräfte gegangen, und eine Ohnmacht nahm ihn in ihre mitleidigen Arme.



»Ist er tot?« fragte Schwarz.



»Nein,« antwortete der Graue, welcher sich neben den Neger niedergekniet hatte, um ihn zu untersuchen. »Ein Biß in den Arm, ein Stück Fleisch aus dem Beine und Bewußtlosigkeit, das ist alles.«



»Still,« sprach der Steuerer. »Man spricht am Ufer.«



Sie horchten und vernahmen die Worte, welche dort gesprochen wurden. Sie hörten sogar die Schritte der sich dann Entfernenden.



»Einer ist gerettet, Gott sei Dank!« sagte Schwarz. »Aber der andre wird in ihre Hände fallen. Wie können wir das verhüten?«



»Wir brauchen es nicht zu verhüten,« antwortete der junge, kluge und umsichtige Steuermann. »Sie werden ihn nicht fangen.«



»Wie kannst du das behaupten?«



»Weil ich ihre Worte gehört habe. Sie haben zwei Hunde verloren. Dieser Neger hat ganz sicher einen getötet, denn er hält selbst jetzt noch das Messer fest in der Hand. Gäbe es noch ein Tier bei den Verfolgern, so wäre er nicht entkommen, sondern zerfleischt worden; auch wäre ihm der Hund gewiß ins Wasser nachgesprungen, um ihn festzuhalten. Gekämpft hat er mit so einem Negerfänger, das zeigt hier die Wunde an seinem Arme. Aus dem allen schließe ich mit Sicherheit, daß es dort am Ufer keinen Hund mehr gibt. Wie wollen sie da den andern Flüchtling finden, da der Wald viele Stunden lang ist, und sie seine Fährte nicht riechen können!«



»Du scheinst recht zu haben.«



»Ich glaube nicht, daß ich mich täusche. Warten wir hier also in unsrer Sicherheit ganz ruhig ab, was noch geschieht; dann werden wir wissen, was wir zu thun haben.«



Die beiden Deutschen mußten diesen Sudanesen aufrichtig bewundern. Er machte trotz seiner Jugend den Eindruck eines gereiften Denkvermögens, fast hätte man sagen können, den Eindruck von Überlegenheit. Dabei waren seine Bewegungen und Gesten so ruhig und sicher, wie seine Art, sich auszudrücken.



Der Graue hielt dem besinnungslosen Neger ein Riechfläschchen an die Nase. Das wirkte. Lobo begann sich zu bewegen.



»Tolo – halte den – – Stamm fest,« flüsterte er, doch ohne die Augen zu öffnen.



Selbst jetzt, noch in halber Ohnmacht, war er nur auf die Rettung seines Freundes bedacht! Pfotenhauer ließ das flüchtige Salz noch einmal wirken; da öffnete der Neger die Lider. Sein noch verschleierter Blick fiel in das männlich schöne, wohlwollend ernste Gesicht Schwarz‘. Er schloß die Augen wieder und sagte lächelnd:



»Tolo – du lebst – und ich bin bei – – bei dem guten Schech über – – über den Sternen!«



»Er meint jedenfalls Gott,« sagte Schwarz. »Ob er ein Christ ist?«



»Christ oder Heide; er ist Mensch, und es soll ihm geholfen werden,« antwortete der Graue.



Er hob den Bugsitz empor, unter welchem sich ein Kasten mit Medikamenten und Verbandzeug befand und begann die beiden Wunden kunstgerecht zu verbinden, wobei ihm Schwarz mit gleicher Geschicklichkeit half.



In den oberen Nilgegenden werden selbst leichte Wunden, wenn sie eine Vernachlässigung finden, leicht lebensgefährlich. Das erhöht die Sterblichkeit dieser unter der Kriegs- und Mordlust ihrer Nachbarn leidenden Völker bedeutend.



Die Krokodilszähne hatten Fleischfetzen zurückgelassen, welche mit dem Messer entfernt werden mußten. Das konnte nur unter Schmerzen geschehen, infolge deren Lobo erwachte. Er sah sich im Kreise um.



»Weiße Männer und Sandeh!« sagte er, die Niam-niam an ihrer eigenartigen Haartracht erkennend. »Das sind keine Sklavenjäger!«



»Nein, wir sind keine,« beruhigte ihn Schwarz. »Du bist unter Freunden.«



»So – so ist Lobo nicht – gestorben?«



»Du lebst. Da draußen liegt das Ufer, von welchem aus du in das Wasser gesprungen bist.«



»Das ist ein – – ein Boot! Ja, ihr habt Lobo hereingezogen. Lobo besinnt sich jetzt. Ihr seid gute Leute. Aber wo ist Tolo?«



»Er wird auch gerettet sein, denn sie haben ihn sicher nicht gefunden.«



»Dann gleich, schnell zu den Bäumen gehen, wo er sich befindet!«



Er wollte aufspringen, aber die schmerzenden Wunden hinderten ihn daran; sie waren noch nicht einmal vollständig verbunden. Das Schicksal seines Gefährten bereitete ihm solche Sorge, daß er kaum beruhigt werden konnte; doch sah er ein, daß man nur sein Bestes wolle, und er sich fügen müsse. Während sein Verband vollends ausgeführt wurde, wobei er männlich die Schmerzen verbiß, mußte er erzählen, was geschehen war. Rührend war es dabei, ihn von dem guten Schech über den Sternen, von dessen Sohn, der für die Menschen gestorben sei, und auch von sich selbst, daß er sich für seinen Freund dem Tode geweiht hätte, erzählen zu hören. Als er geendet hatte, sagte Schwarz:



»Also Abu el Mot ist nicht auf seiner Seribah, aber nach derselben unterwegs? Das macht mich für meinen Bruder bange. Und Abd el Mot ist auch schon aufgebrochen? Da steht die Seribah fast verwaist da!«



»Man läßt stets fünfzig Mann daselbst zurück,« bemerkte Lobo.



»Die können uns nicht bange machen. Wir haben nun nicht nötig, den Abend zu erwarten und können noch am Tage weiterfahren.«



»So will Lobo heraus aus eurem Boote. Er muß bei Tolo sein!«



»Du? Du kannst nicht heraus. Du vermagst ja nicht einmal zu stehen, viel weniger zu gehen. Du mußt dich äußerst ruhig verhalten, wenn die Wunden sich nicht entzünden und lebensgefährlich werden sollen. Darum werden wir dich bei uns behalten und erst dann entlassen, wenn du vollständig geheilt sein wirst.«



»Das ist unmöglich! Lobo muß bei Tolo sein. Wo ist dieser?«



»Beruhige dich! Er ist gerettet. Du sagst, daß der Subakh und Lubahnbaum da rechts am Ufer stehen. Dorthin sind eure Verfolger nicht zurückgekehrt. Wir werden nach ihm suchen.«



»Er muß gefunden werden, denn er soll nach Ombula eilen, um die Leute dort zu warnen, da Lobo nicht mehr gehen kann!«



»Ich werde das Ufer betreten, um zu sehen, ob die Sklavenjäger noch da sind,« erklärte der Steuermann.



»Wir gehen alle; wir rudern das Boot die kurze Strecke hin,« antwortete der »Vater des Storches«.



»Das wäre unvorsichtig. Das Boot darf erst dann landen, wenn wir wissen, daß die Araber fort sind. Ich begebe mich allein hinüber.«



»So müßtest du schwimmen und würdest von den Krokodilen erfaßt werden.«



»Nein. Ich mache mir aus Schilf und Rohr schnell ein Kelek, auf welchem ich hinüberfahre. Das greift kein Krokodil an, wenn es nicht allzu klein ist. Ist es so groß, daß ich vollständig darauf Platz finde und kein Teil meines Körpers über den Rand weg in das Wasser ragt, so wird keins dieser Tiere sich um mich bekümmern.«



Er trieb mittels des Steuers das Boot etwas tiefer in das Schilfdickicht hinein und begann dann, Rohr für das Floß zu schneiden. Die Ruderer halfen ihm.



»Aber wenn sie noch da sind, kannst du leicht gesehen werden, und dann bist du verloren, denn entweder töten sie dich, oder sie machen dich zum Sklaven und führen dich fort,« warnte Schwarz.

 



»Sie werden keins von beiden thun,« antwortete der mutige Knabe. »Ich verstehe es, sie zu beobachten, ohne daß sie mich bemerken.«



Die Neger entwickelten eine große Fertigkeit im schnellen Flechten einer hinlänglich großen und dicken Matte, unter welche starke Schilfbündel befestigt wurden, die mehr als nur einen Menschen getragen hätten. Der junge Steuermann bestieg dieses Floß; er nahm ein Ruder mit, um es lenken zu können.



Er vermied es, aufwärts nach der Spitze des Schilffeldes zu rudern. Dort war Lobo in das Wasser gesprungen, und es stand zu erwarten, daß die Sklavenjäger, falls sie noch anwesend waren, ihre Aufmerksamkeit auf diese Stelle gerichtet hielten. Er gebrauchte vielmehr das Ruder einstweilen nur als Steuer. Auf dem Floße kniend, ließ er dasselbe geräuschlos abwärts gleiten, bis er eine Stelle erreichte, welche frei vom Schilfe war und ihm erlaubte, das Floß an das Ufer zu treiben.



Die Zurückbleibenden waren nicht ohne Sorge um ihn. Sie hätten sein Wagnis lieber selbst unternommen, mußten sich aber sagen, daß es für ihn nicht so groß sei, wie es für sie gewesen wäre. Im Falle eines Angriffs konnte er sich viel mehr auf ihre Hilfe, als sie sich auf diejenige ihrer afrikanischen Begleiter verlassen. Schwarz sagte in deutscher Sprache zu dem Grauen:



»Ein wackerer, kleiner Kerl! Beim geringsten Zeichen, daß ihm ein Unfall droht, heben wir den Anker und eilen ihm zur Hilfe!«



»Das versteht sich ganz von selbst,« stimmte der Genosse bei. »Der Junge ist mir ebenso lieb g‘worden wie dir. Er hat so was Appartes, so was Vornehmes an sich. Möcht‘ wissen, was für ein Landsmann er ist. Ein Niam-niam g‘wiß nit. Dazu passen seine G‘sichtszüg‘ und auch die Hautfarben nit.«



»Auch ich werde nicht klug. Einmal möchte ich ihn für einen Mulatten, das andre Mal für einen Somali halten. Wenn ich ihn nach seiner Abkunft gefragt habe, wußte er mir stets auszuweichen.«



»Mir auch. Nit mal die Niam-niam, bei denen er doch wie ein Stammesgenosse lebt, wissen zu sagen, wo seine Heimat liegt. Er scheint sich also auch ihnen gegenüber in das G‘heimnis g‘hüllt zu haben. Aber daß sie ihn Abd es Sirr nennen, das läßt vermuten, daß sie seine Abkunft für eine arabische halten.«



»Dann wäre er also Mulatte, denn ein reiner Araber ist er nicht. Mir scheint, er hat Schreckliches erlebt. Er lacht nie; höchstens sieht man einmal ein kurzes, leises Lächeln auf seinen Lippen. Hast du ihn jemals spielen und tollen sehen wie andre seinesgleichen bei den Niam-niam?«



»Nie.«



»Ich auch nicht. Der finstere Ernst, den er stets zeigt, läßt vermuten, daß er die Erinnerung eines tragischen Ereignisses, unter welchem seine junge Seele schwer gelitten haben muß, in sich bewahrt. Den wenigen religiösen Übungen nach, die man bei ihm beobachtet, ist er Mohammedaner. Hast du ihn einmal beten hören?«



»Im Gebet gesehen hab‘ ich ihn bereits, g‘hört aber noch nit. Er betet nit zu den vorg‘schriebenen Zeiten, sondern nur dann, wann er meint, nit g‘sehen und beobachtet zu werden.«



»Ich habe ihn zweimal belauscht. Er betete die Fathha; hinter den beiden Worten Weltenherr und Allerbarmer fügte er die gar nicht in diese Sure gehörenden Ausdrücke ‚Mir itakam und Sabit el meglis hinzu. Das deutet darauf, daß er sich mit einer Rache trägt.«



»Das hab‘ auch ich schon gedacht. Wann er glaubt allein zu sein, so brütet er finster vor sich hin und ballt und dreht dabei die Fäust‘, als ob er einen da hätt‘, den er erwürgen wollt‘. Dabei verdreht er die Augen und knirscht mit den Zähnen, daß man schier meinen möcht‘, er – – – halt, schau mal! Da kommens g‘flogen! Kennst sie auch bereits?«



Er war aufgesprungen, und deutete erregt auf eine Vogelschar, welche quer über den Fluß geflogen kam. Indem er mit den Augen dem Fluge derselben folgte, bewegte sich auch seine lange Nase von der rechten nach der linken Wange, als ob sie für sich ebenso diese genaue Beobachtung machen wolle.



»Ja, ich kenne sie,« antwortete Schwarz. »Es sind Bienenfresser, Merops caeruleo cephalus. Herrliche Vögel! Siehst du ihr prachtvolles Gefieder in der Sonne wie lauter Smaragde und Rubine funkeln?«



»Natürlich schau ich das gerade so wie du. Weißt auch ihren hiesigen Namen?«



»Ja. Man nennt sie Dschurull.«



»Warum?«



»Weil ihre Stimme gerade wie diese zwei Silben klingt.«



»Hast recht; bist kein übler Vogelkenner. Jetzt sinds weg, in die Bäum‘ hinein.« Er setzte sich wieder nieder, wobei seine Nase sich in ihre ordnungsmäßige Lage zurückbegab, und fuhr fort: »In Europa gibt‘s nur a einzige Art des Bienenfressers, Merops apiaster, mit weißer Stirn, blauem Augenstreif, blaugelbem Kinn, meerblauer Brust und grünblauen Handschwingen. Ich thu mich gerade für diese Vögerl außerordentlich verinteressieren, weil so a Merops der erste Vogel war, den ich ‚zeichnet und dann wieder auf den Rücken g‘malt erhalten hab.«



»So? Von wem?«



»Vom Professor‘n der Naturg‘schichten. Ich hatt‘ mir von ihm a Buch ausg‘borgt, in dem ein Bienenfresser in Holzschnitt abg‘bildet war. Es hat mich verdrossen, daß er so schwarz ausg‘schaut hat; darum nahm ich schnell den Malkasten her und hab‘ das Bild so bunt ang‘strichen, daß dabei die Farben fast ausgang‘n sind. Nachher hat der Professor das entdeckt und mich mit in seine Stub‘ g‘nommen, wo er mir mit dem Lineal den Merops so nachhaltig auf den Rücken koloriert hat, daß mir darüber das G‘sicht und G‘hör vergangen ist. Dieses Konterfei konnt‘ ich zwar nicht sehen, weil‘s eben auf dem Rücken war, aber so grün und blau wie der Merops ist‘s sicher g‘wesen, und g‘fühlt hab‘ ich‘s noch wochenlang. Dieser Professor hat überhaupt einen g‘heimen Blitz auf mich g‘habt, weil ich ihn immer nach Dingen g‘fragt hab‘, die er nit beantworten konnt‘. Dafür hat er mich dann im Examen tüchtig ausg‘wischt. Hab‘ ich‘s dir vielleicht schon verzählt?«



»Nein,« antwortete Schwarz sehr ernst.



»Nun, ich sprech gar nie davon, dir aber kann ich‘s schon mal sagen. Das war, als ich in der Quart‘ g‘sessen bin. Weil‘s Examen ‚geben hat, hab‘ ich ein reines Chemisetten umg‘bunden und dazu den neuen, schönen Schlips um den Hals, denn ich hab‘ denkt, daß es mir, so trefflich herausg‘putzt, gar nit fehlen kann. Aber es ist halt anders kommen. Nämlich als ich an die Reihe kam und deshalb aufg‘standen bin, um die Frag‘ in schuldiger Ehrfurcht entgegen zu nehmen, was hat der Professorn da g‘sagt?«



»Nun, was?«



»Warum die Vögel Federn haben, hat er mich g‘fragt.«



»Das war freilich für dich eine heikle Sache. Was hast du geantwortet?«



»Was ich für eine Antworten geben hab‘? Nun, zunächst hab‘ ich die Augen zug‘drückt und g‘wartet, ob mir vielleichten ein Einfall kommen will, und sodann, als keiner ‚kommen ist, hab‘ ich – – —«



»Abd es Sirr!« rief in diesem Augenblick einer der Ruderer, den Grauen unterbrechend, indem er mit der Hand flußaufwärts deutete.



Der Steuerer kehrte zurück. Er hatte sein Floß am Ufer aufwärts geschafft und kam nun auf demselben um die Spitze des Schilffeldes und auf das Boot zu getrieben. Als er dasselbe erreicht und sich hineingeschwungen hatte, meldete er:



»Der Wald ist leer; ich habe keinen Feind gesehen.«



»Auch Tolo nicht?« fragte Lobo besorgt.



»Nein; aber wir werden nun nach ihm suchen und ihn gewiß finden. Ich ging bis vor die Bäume hinaus und sah Reiter, welche sich über die Chala entfernten.«



»In welcher Richtung?« fragte Schwarz.



»Zwischen Süd und West.«



»So sind sie fort. Hoffentlich befindet sich Tolo nicht als Gefangener bei ihnen. Wir wollen sofort an das Ufer und nach ihm forschen.«



Der Anker wurde aufgewunden und das Boot an das Land gerudert. Lobo konnte nicht den Führer machen, da ihn seine Wunde am Gehen verhinderte. Er blieb also bei den beiden Schwarzen, welche zur Bewachung des Fahrzeuges zurückgelassen wurden, beschrieb aber den Ort, an welchem der Subakh- und der Lubahnbaum stand, so genau, daß die Suchenden nicht fehlgehen konnten.



Schwarz ha