Tasuta

Die Sklavenkarawane

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Es war im Walde kein Laut zu hören; nur vom jenseitigen Ufer klang das »Nuk-nuk, kur-nuk« eines Pfauenkranichs herüber. Doch als sie die erwähnten Bäume erreichten, hörten sie ein leises, leises Wimmern in der Luft. Es kam aus den dichten Zweigen, deren Belaubung die Gestalt des Obensitzenden nicht zu erkennen erlaubte.

»Tolo, bist du da oben?« fragte Schwarz.

Es erfolgte keine Antwort, doch wurde das Wimmern lauter. Da die Wiederholung der Frage denselben Erfolg hatte, schwang Schwarz sich auf den untersten Ast und kletterte dann weiter hinauf. Er sah den Schwarzen über sich sitzen, die Arme krampfhaft um den Stamm geschlungen.

»Wir suchen dich; komm herab!« rief er ihm zu.

Der arme Mensch schrie wie in höchster Todesgefahr auf und antwortete:

»Tolo tot machen, immer Tolo tot machen, aber nur Lobo leben lassen. Lobo ist gut, hat Tolo retten wollen!«

»Ihr seid beide gerettet. Komm herab; es geschieht dir nichts. Wir sind deine Freunde und werden dich beschützen.«

»Das ist nicht wahr. Du bist weiß; du bist ein Araber, ein Sklavenjäger; du gehörst zu Abd el Mot!«

»Nein, ich bin sogar sein Feind. Ich meine es gut mit dir; ich will dich retten. Komm mit mir herab!«

»Tolo kann nicht klettern; Tolo ist jetzt viel zu schwach dazu.«

»So werden wir dir helfen.«

Der Schwarze war durch die Anstrengung der Flucht und die darauf folgende große Angst um seinen Freund so ermattet, daß er sich wirklich kaum mehr festzuhalten vermochte. Schwarz rief zwei Niam-niam zu sich herauf und dann gelang es der vereinten Kraft der drei Männer, den armen Menschen vom Baume auf die Erde zu schaffen.

Er sah noch immer nicht ein, daß er gerettet sei. Er wollte es trotz aller Versicherung nicht glauben und wimmerte unaufhörlich fort. Er konnte kaum gehen und mußte unterstützt werden, als man jetzt zu dem Boote zurückkehrte. Am Ufer angekommen, sah er Lobo auf der Ruderbank liegen. Einen lauten Schrei der Freude ausstoßend, brach er bewußtlos zusammen. Er mußte in den Kahn getragen werden.

Lobo war außer sich vor Entzücken, als er sah, daß sein Freund gerettet sei. Zugleich aber verursachte ihm die Bewußtlosigkeit desselben große Sorge. Die beiden Deutschen beruhigten ihn durch die Versicherung, daß Tolo bald wieder erwachen werde.

Dies geschah allerdings in sehr kurzer Zeit; der Schwarze erwachte, aber die Besinnung war ihm nicht zurückgekehrt. Er wand sich hin und her, stöhnte und wimmerte, und bat unausgesetzt um Gnade für seinen Freund Lobo. Die Gefangenschaft, die Anstrengung der Flucht und die Aufregung während der Verfolgung hatten ihn so angegriffen, daß seine Kräfte nun zu Ende waren. Der Arzneikasten mußte wieder geöffnet werden; der Neger erhielt ein beruhigendes Mittel, worauf er in Schlaf verfiel. Er wurde neben Lobo gebettet, welcher die Ruderbank verlassen mußte, und in der Mitte des Bootes einen Lagerplatz erhielt.

Jetzt wurde über das, was vorzunehmen sei, eine Beratung gehalten. Lobo drang darauf, daß ein Bote zu den Bewohnern des Dorfes Ombula gesendet werde, um diese vor den Sklavenjägern zu warnen. Er selbst konnte nicht gehen, Tolo ebensowenig. Von den Niam-niam wollte sich keiner dazu verstehen, den gefährlichen Auftrag zu übernehmen, sie kannten den Weg nach Ombula nicht und hatten überhaupt keine Lust, das Risiko zu übernehmen, unterwegs in Gefangenschaft und Sklaverei zu geraten. So blieben nur die beiden Deutschen übrig. Abd es Sirr, der »Sohn des Geheimnisses«, hörte den Verhandlungen zu, ohne ein Wort zu sagen. Er war überhaupt ein schweigsamer Mensch, und pflegte nur dann zu sprechen, wenn er gefragt wurde, oder wenn er es für nötig hielt.

»Was ist da zu thun?« fragte Schwarz in deutscher Sprache. »Die Sorge für unsre eigene Sicherheit verbietet, uns mit dieser Angelegenheit zu befassen; aber die Menschen- und Christenpflicht gebietet das Gegenteil. Sollen wir ein ganzes großes Dorf, welches wir retten können, der Vernichtung anheimfallen lassen? Was sagst du dazu, Doktor?«

Die Nase des Grauen stieg mit ihrer Spitze in die Höhe, als ob sie mit ihren beiden weiten Löchern den Sprecher zornig anblicken wolle; die Augenbrauen zogen sich finster zusammen, und dann erklang es im unwilligsten Tone:

»Weißt, wannst mich in dera Wildnis nochmal Doktor schimpfst, so hau ich dir a Backpfeifen ins Fenster, daß alle Scheiben entzwei gehen, du Malefizbub, du! Ich sag‘ Sepp zu dir, folglich hast du mich Naz zu nennen, und wann dir das nit g‘fallt, so kannst gehen, wohin d‘ willst! Verstanden?«

»Entschuldige noch dieses Mal; es soll nicht wieder geschehen!« lachte Schwarz.

»Das will ich mir ausg‘beten haben. Man muß jedem seine Ehr‘ geben; aber unter Freunden bedarf es keiner Titel und Komplimenten. Oder willst die Brüderschaft, die wir g‘macht haben, etwa wieder aufheben?«

»Das kann mir nicht einfallen!«

»Schön! Wärst auch übel dabei wegkommen, denn ich hätt‘ dich von nun an nicht wiederum Sie, sondern blos nur Er genannt. Und was nun dieses Ombula betrifft, so werd‘ ich mal nachschauen, ob ich es auf dera Karten find‘. Ich weiß nur, daß es im Gebiet der Belandaneger liegt.«

Er zog eine alte, vielgebrauchte und abgegriffene Karte aus der Tasche, faltete sie auseinander, breitete sie auf seine Kniee aus und begann sie zu studieren, wobei sich seine Nase so eifrig von einer Seite nach der andern bewegte, als ob sie die Absicht habe, den Ort noch eher zu entdecken, als der Name desselben von den Augen erblickt wurde.

»Steht nicht da,« sagte Pfotenhauer nach einer Weile, indem er die Karte wieder zusammenlegte und in die Tasche steckte. »Die Belanda wohnen zwischen den Bongo und den Niam-niam, also südwestlich von hier, wohl gegen die Pambisaberge hin; aber wo das Dorf Ombula steht, davon find‘ ich auf dera Karten nix und in meinem Kopf noch viel weniger.«

»Pambisa!« rief Lobo, welcher zwar kein Wort der deutschen Rede verstanden, aber diesen Namen herausgehört hatte. »Dort ist Ombula.«

»Also dort?« antwortete Schwarz. »Wie weit von hier?«

»Drei Tagereisen von der Seribah Omm et Timsah.«

»Also zwei und eine halbe von hier aus. Eine Warnung unsrerseits würde zu spät kommen. Die Sklavenjäger haben Reittiere, wir aber nicht. Wollte einer von uns diesen Weg machen, so müßte er gehen, und sie würden also vor ihm dort sein.«

»Nein,« sagte der Steuerer, indem er sich zum erstenmal in dieser Angelegenheit hören ließ. »Man kann doch noch eher hinkommen, als die Araber.«

»In welcher Weise?«

»Auf einem schnellen Reitkamele.«

»Aber wir haben doch keins.«

»Das Volk der Dschur besitzt in dieser Jahreszeit Kamele. Ich kenne ein Dschurdorf, welches westlich von der Seribah Omm et Timsah liegt. Wenn wir es aufsuchen, können wir ein Kamel, oder auch mehrere kaufen, oder geliehen bekommen.«

»Liegt dieses Dorf weit von der Seribah?«

»Nein. Die Bewohner sind von Abu el Mot bezwungen worden; sie müssen ihm dienen, er bezahlt sie dafür; aber wenn sie können, ohne daß es verraten wird, sind sie sehr gern bereit, ihn in Schaden zu bringen.«

»Würden sie wohl dazu zu bringen sein, aus ihrer Mitte einen Boten nach Ombula zu senden?«

»Nein, denn sie befinden sich mit den Bewohnern des Belandalandes in Feindschaft. Sie würden sich von dir bezahlen lassen, und den Boten auch wirklich vor deinen Augen absenden; aber er würde gewiß sehr bald umkehren. Wir sind gezwungen, einen von uns zu senden. Ich hätte mich dazu bereit erklärt, aber ich muß im Boote bleiben, da keiner von euch den Fluß kennt, und also steuern könnte.«

»So kommen nur wir beide in die engere Wahl,« sagte Schwarz zu dem Grauen. »Meinst du, daß wir uns mit dieser Angelegenheit befassen?«

»Natürlich! Erstens ist es unsre Pflicht, den Bedrohten zu helfen, und zweitens wird es mir eine wahre Passion sein, diesem Abd el Mot eine Nase zu drehen, die fast noch größer ist, als die meinige. Ich werde also schauen, daß ich ein Kamel bekomme, und dann nach Ombula reiten.«

»Das kann ich nicht zugeben. Ich habe dieselbe Verpflichtung, wie du. Die Sache ist außerordentlich gefährlich, und so mache ich den Vorschlag, daß wir losen.«

»Hab‘ nix dagegen. Gefahr gibt‘s hier überall. Ob ich mit dem Boote deinem Brudern entgegenfahr‘, oder ob ich nach Ombula reit‘, das ist schnuppe; denn hier wie dort kann‘s einem ans Leben gehen.«

»So nehmen wir zwei Stücke Schilf, ein langes und ein kurzes, und dann —«

»Nein!« fiel ihm Pfotenhauer in die Rede. »Wir selbst wollen das Los nit machen. Die Vögel mögen zwischen uns entscheiden. Paß auf, wann wieder einer über den Fluß kommt. Fliegt er von drüben herüber, so gilt‘s für dich; fliegt er aber von hier hinüber, so mußt du die Botschaft übernehmen. Soll‘s so gelten?«

»Ja, ich bin einverstanden. Zugleich wollen wir die unterbrochene Fahrt wieder aufnehmen, damit wir sobald als möglich das Dorf der Dschur erreichen.«

Die Niam-niam erhielten den Befehl, zu den Rudern zu greifen. Auch wurden sie aufgefordert, auf die Vögel aufzupassen. Der »Sohn des Geheimnisses« erklärte:

»Da nur fünfzig Männer in der Seribah zurückzubleiben pflegen, so brauchen wir uns nicht zu fürchten. Wir können uns sehen lassen und ganz offen vorüberrudern. Dann legen wir am linken Ufer unterhalb der Seribah an, verbergen das Boot im Schilfe, und ich führe euch zu dem Dorfe, dessen Schech ich kenne.«

Er steuerte das Boot nach der offenen Mitte des Stromes, und dann flog es, von den Rudern getrieben, wie ein Pfeil den Fluß hinab.

Die Arznei hatte gewirkt. Tolo lag im tiefen Schlaf, und auch Lobo schloß die Augen und schlief ein. Er wußte, daß jemand seine Landsleute warnen werde und fühlte sich nun von der Sorge frei, welche ihn so schwer bedrückt hatte.

Die beiden Deutschen saßen still am Bug des Fahrzeuges. Die bevorstehende Trennung sollte nur eine kurze sein, konnte aber auch eine lebenslängliche werden. Der »Vater des Storches« arbeitete innerlich; das war seinem Gesichte abzunehmen, welches sich von Minute zu Minute in andre Falten legte. Die Nase war unausgesetzt thätig. Bald blickte sie nach rechts und bald nach links, bald hob und bald senkte sie sich. Er half mit der Hand nach, schob sie herüber und hinüber, räusperte sich, schluckte und knurrte leise vor sich hin und sagte endlich:

 

»Wann‘s einem so zu Herzen geht, da mag der Teuxel Schlittschuh fahren! Wir müssen bald aus‘nander, und keiner weiß, ob er seinen guten Kameraden jemals wiederschaut. Aber was soll man machen? Ich würd‘ mich für den Schuldigen halten, wenn diese Schwarzen getötet oder in die Sklaverei geschleppt würden, ohne daß wir den Versuch g‘macht hätten, sie zu warnen.«

»Mir ergeht es ebenso. Übrigens darf man sich die Sache nicht so gefährlich vorstellen. Es reitet einer von uns nach Süden, und gibt sich Mühe, unterwegs nicht in feindliche Berührung zu kommen. Das ist doch nicht allzu schwer.«

»Nein. Doch wenn die Mühe vergebens ist, und er kommt doch mit Feinden zusammen, so ist er allein und wird ausg‘löscht, ohne daß der andre ihm helfen kann. Ich wollt‘, das Los thät‘ mich treffen. Lieber will doch ich derjenige sein, den es trifft.«

»Nimm es doch nicht so schwer, alter Freund!«

»Schweig! Wann ich einen lieb hab‘, so seh‘ ich ihn nicht gern einer Gefahr entgegengehen, in der ich ihm nit beistehen kann. Das kannst dir doch denken, und – – halt, schaust sie? Da kommen‘s g‘flogen!«

Er war aufgesprungen und deutete nach dem jenseitigen Ufer, von welchem eine ganze Schar schreiender und kreischender Vögel herübergeflogen kam. Seine ausgestreckte Hand folgte der Richtung ihres Fluges, und seine Nase, welche sich erhoben hatte, that ihrerseits ganz dasselbe.

»Kennst sie?« fragte er.

»Ja. Es sind Sporenkibitze, Hoplopterus spinosus.«

»Richtig! Du bist gar kein übler Vogelkenner. Es ist selten, daß sie um diese Zeit so hoch in die Luft gehen. Jedenfalls sind‘s da drüben von einem Nilpferd aufg‘scheucht worden. Weißt auch, wie sie hier zu Lande heißen?«

»Siksak.«

»Und warum?«

»Weil sie so schreien.«

»Hast recht. Dieses Sik-sak, sik-sak, wann man‘s am Morgen aus hundert Schnäbeln hört, klingt grad so, als ob der Fuchs seinen Namenstag feiert. Jetzt sind‘s herüber und im Schilf verschwunden, wo sie im Morast nach Schnecken suchen.«

Da er die Vögel nicht mehr sah, setzte er sich wieder nieder und fuhr fort:

»Ich will hoffen, daß wir im Dorf der Dschur wirklich a schnelles Kamel bekommen. Der von uns, den es trifft, hat sich für sechs Tag‘ mit Proviant zu versehen. Der andre aber hat zu warten und auf deinen Bruder aufzupassen. Aber wo soll er das thun? In der Nähe von der Seribah Omm et Timsah kann er es nicht thun.«

»Nein, das kannst du nicht, weil die Besatzung der Seribah dich nicht sehen darf,« antwortete Schwarz, indem er leise lächelte. »Du wirst vielmehr weiter hinab bis nach der Seribah Madunga fahren, deren Bewohner unser Steuermann kennt. Er sagte, daß wir dort gut aufgenommen würden. An dieser Seribah muß mein Bruder vorüberkommen; du kannst ihn gar nicht fehlen, falls er eher kommt, als ich von Ombula zurückkehre.«

»Du?« fragte der Graue erstaunt.

»Ja, ich!«

»Du willst nach Ombula? Nit ich soll hin? Wer hat denn das g‘sagt?«

»Du selbst hast es so angeordnet.«

»Ich? Ist mir im ganzen Leben gar nit eing‘fallen!«

»Oho! Wer hat denn bestimmt, daß der Flug der Vögel entscheiden soll?«

»Ich.«

»Nun, er hat doch entschieden!«

»Davon weiß ich nix. Willst mir wohl ‚was weiß machen? Denkst wohl, daß ich so a Firlfax bin, der – – —«

Er hielt inne, machte den Mund weit auf und starrte den Gefährten eine ganze Weile sprachlos an. Die Spitze seiner Nase hob sich auch empor, als ob sie ebenso betroffen sei wie ihr Herr. Dann platzte er los:

»Meiner Seel‘, daran hab‘ ich ja gar nit mehr g‘dacht! Die Sporenkiebitz‘ sind doch übers Wasser g‘flogen!«

»Na, also! Und in welcher Richtung?«

»Von drüben herüber.«

»Also bin ich es, auf den das Los gefallen ist. Das gibst du doch zu?«

»Ich muß wohl. Aber dieses nixnutzige G‘sindel hätt‘ auch was Bessers thun können, als da herüber zu kommen. Wär‘ mir die Flint‘ zur Hand g‘west, so hätt‘ ich sie alle mit‘nander derschossen! Wollen wir nit lieber nochmal losen?«

»Nein. Ich bin für den Ritt bestimmt und werde ihn also ausführen.«

»So mag sich von heute an kein Kiebitz mehr vor mir sehen lassen, sonst knall ich ihm eins auf den Frack, daß ihm der Atem vergeht! Wer hätt‘ denken können, daß das Los dich treffen thät!«

»Warum sollte es dich leichter als mich treffen?«

»Weil ich‘s so schlau darauf ang‘fangen hab‘.«

»Wieso?«

»Ich hab‘ g‘sagt, wann der Vogel von hier hinüberfliegt, so soll ich g‘meint sein. Ich hab‘ mir natürlich g‘dacht, daß wir auf unsrer Seiten hier mit dem Boote die Vögel aufstören werden.«

»Dann hast du dich freilich verrechnet, denn ein aufgestörter Vogel wird nicht über unser Boot hinweg nach dem fernen rechten Ufer fliegen, sondern vielmehr das nahe, linke aufsuchen.«

»Dann darf‘s nix gelten, weil meine Dummheit schuld ist, daß dich‘s ‚troffen hat.«

»Nein, lieber Freund, es gilt. Gib dir keine Mühe! Sie würde unbedingt vergeblich sein.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»So lang mal her und gib mir aane Ohrfeigen, aber a tüchtige! Ich hab‘s verdient. Wann dir was Böses g‘schieht, so werd‘ ich nie im Leben wieder Ruhe finden! Aber so ist‘s! Man denkt wunder wie g‘scheit man ist, und daß man den Sack bei allen vier Zipfeln hat, und doch macht man Fehler, die kein Schulbub‘ größer machen kann.«

Er senkte den Kopf und zog die graue Bedeckung desselben so tief in die Stirn, daß man von seinem Gesichte nur die Nase sah. Aus der fortwährenden Bewegung, in welcher sich dieselbe befand, war zu schließen, daß er sich mit allerhand reuevollen Gedanken beschäftigte, denen er aber keinen Ausdruck gab. Er blieb von jetzt an in beharrliches Schweigen versenkt und erhob selbst dann den Kopf nicht, wenn eine Schar von Vögeln über ihn dahin rauschte. Das war das sicherste Zeichen, daß er ungewöhnlich tief in sich versunken sei.

Der Strom floß rasch, und die muskulösen Arme der Neger setzten die Ruder so kräftig in Bewegung, daß es schien, als ob die Ufer an dem Boote vorüber förmlich aufwärts flögen. Dabei veränderte sich die Scenerie nicht im mindesten. Drüben, zur rechten Hand, sah man nur Schilf und wildes Zuckerrohr, während am linken Ufer der Wald ununterbrochen folgte.

So verging die Zeit. Die Sonne hatte den Zenith längst hinter sich und warf bereits die Schatten der Bäume über die Flut. Da lenkte der Steuerer das Boot mehr dem rechten Ufer zu. Schwarz bemerkte das und fragte ihn nach der Ursache.

»Die Seribah Omm et Timsah ist nahe,« antwortete der Jüngling. »Wenn wir unbemerkt vorüberkommen wollen, müssen wir uns möglichst nahe an das jenseitige Ufer halten.«

Jetzt erhob der Graue den Kopf zum erstenmal wieder, um sich die gefährliche Gegend zu betrachten. Da schien seine Nase sofort einen Grund zu ganz besonderer Thätigkeit zu finden. Sie bewegte sich nach allen möglichen Richtungen und schnüffelte die Luft mit hörbarem Geräusche ein.

»Was gibt‘s? Riechst du etwas?« fragte Schwarz.

»Ja. Du nicht?« antwortete Pfotenhauer.

»Nein. Ich bemerke nicht das Geringste, was mir auffallen könnte. Auch die Neger arbeiten nur mit den Armen und nicht mit den Nasen. Die deinige wird sich also wohl im Irrtum befinden.«

»Was? Wie meinst? Meine Nasen soll sich täuschen? Du, da kennst sie schlecht! Die nimmt mehr Luft ein, als ihr alle mit ‚nander. Auf sie kann ich mich verlassen.«

»Nun, was riechst du denn?«

»Es riecht nach Brand.«

»Schwerlich! Ich merke nichts.«

»Ja, du! Was willst auch merken mit deinem Naserl, was man kaum mit dem Fernrohre derkennen kann!«

»Vielleicht hat dort am Ufer irgendwer ein Feuer angemacht, um sich einen Vogel, einen Fisch oder sonst etwas zu braten?«

»Nein, das ist kein Braten; das riecht versengt, verbrannt, nach Holz und Lehm und Stein, wie wann ein Haus ang‘steckt worden ist. Ich wett‘ auf meinen Kopf, daß da drüben links aan Gebäud‘ verbrannt ist.«

Auch Schwarz spürte jetzt den Geruch, die Niam-niam wurden aufmerksam. Der Steuerer erhob sich auf seinem Platze, wendete das Gesicht dem linken Ufer zu, sog die Luft laut ein und sagte dann:

»Es brennt auf der Seribah Omm et Timsah. Anderswo kann es nicht sein. Es ist ein großer Brand, denn der Rauch steigt so hoch auf, daß er dort über den Bäumen liegt.«

Er deutete mit der Hand nach der betreffenden Stelle, an welcher man den Rauch dick über die Wipfel steigen sah. Die Schwarzen zogen die Ruder ein, so daß das Boot nur mit dem Strome trieb, und sahen den »Sohn des Geheimnisses« an, erwartend, was er thun oder befehlen werde. Er prüfte mit scharfen Sinnen die Gegend, die Luft, den Geruch und meinte dann:

»Die ganze Seribah brennt. Das ist nur dann möglich, wenn man sie mit Absicht angezündet hat. Bricht in einem einzelnen Tokul Feuer aus, so liegt der Fluß nahe genug, es schnell zu löschen. Die Weißen haben sie vielleicht ganz verlassen, um weiter im Süden eine neue anzulegen. Wir müssen Lobo fragen.«

Der Neger wurde geweckt. Als er erfuhr, was man von ihm wissen wollte, war er sehr erstaunt. Er erklärte, ebenso wie der fest schlafende Tolo nichts davon zu wissen, daß man die Absicht gehabt habe, die Seribah ganz zu verlassen und gar niederzubrennen. Und doch blieb der Steuermann bei seiner Behauptung, daß die ganze Seribah brenne. Er meinte, daß man alle Veranlassung habe, so vorsichtig wie möglich zu sein. Darum ließ er das Boot an ein Schilfdickicht treiben und dort festlegen. Es wurde da Rohr geschnitten, um das Fahrzeug so zu maskieren, daß man es vom Ufer aus für eine kleine schwimmende Insel halten mußte. Dann wurde die Fahrt fortgesetzt, aber so, daß das Boot nur mit dem Strome trieb und von dem Steuer in der Richtung erhalten wurde.

Je weiter man kam, desto schärfer wurde der brandige Geruch. Die Leute saßen still auf ihren Bänken und beobachteten das linke Ufer, indem sie durch das Schilf blickten, welches rund um das Boot angebunden war. Als man dem Herde des Feuers nahe gekommen war, deutete der »Sohn des Geheimnisses« hinüber und sagte:

»Dort hinter den Bäumen liegt die Seribah! Seht ihr den dicken Qualm, welcher da aufsteigt? Das ist nicht von einer einzigen Hütte, sondern die ganze Niederlassung hat in Flammen gestanden. Die Reste derselben, welche aus Erde bestehen, qualmen noch. Und auf dem Flusse hat es auch gebrannt. Seht ihr die Stelle in der Nähe des Ufers, wo das Schilf schwarz aussieht und der Rauch noch aufsteigt?«

»Der Fluß kann doch nicht brennen,« entgegnete der Graue.

»Der Fluß nicht, aber das Schiff, der Noqer, welcher da verborgen lag. Auch er ist angesteckt worden. Das können nur Feinde gethan haben. Sollte man die Seribah überfallen haben?«

»Das müßte ganz unerwartet geschehen sein!«

»So etwas geschieht stets unerwartet. Der Feind braucht gar nicht stark gewesen zu sein, da die Seribah nur noch fünfzig Verteidiger hatte. Vielleicht sind es gar die Dschur gewesen, zu denen wir wollen. Wir müssen unbedingt erfahren, was sich ereignet hat.«

»Aber direkt fahren wir nicht hinüber,« warnte Schwarz.

»Nein. Wir treiben so weit abwärts bis wir nicht mehr bemerkt werden, und legen dann im dichten Rohre an.«

Es war wirklich der Gestank von verbranntem Mauerwerk, welcher hier auf dem Flusse lag. Die beiden Deutschen mußten also die Ansicht des jungen Steuermannes zu der ihrigen machen. Voller Erwartung harrten sie des Augenblickes, an welchem sie das Ufer erreichen würden.

Dies geschah nach kurzer Zeit. Abd es Sirr lenkte das Boot nun nach rechts, dem Lande entgegen. Dort, wo er es erreichte, stand die Omm Sufah wie ein Maisfeld so dick und hoch im Wasser und bis an das Ufer heran. Das Boot wurde, ohne daß man den Anker fallen ließ, mit Hilfe eines starken Palmseiles an den Stamm eines Baumes gebunden. Die Sehwarzen durften es nicht verlassen und der Steuermann sagte ihnen, was sie thun sollten, falls sie von Fremden oder gar Feinden entdeckt würden. In diesem Falle sollten sie sofort vom Ufer stoßen, die Mitte des Stromes gewinnen und sich da abwärts treiben lassen, bis er ihnen vom Ufer aus, an welchem er dem Laufe des Bootes folgen wolle, ein Zeichen zum Landen gebe.

Dann stieg er mit den beiden Deutschen aus, sich nur mit dem Spieße und der Wurfkeule bewaffnend. Die Weißen nahmen ihre geladenen Gewehre, Schwarz auch sein Fernrohr mit. Sie stiegen zwischen den nicht dicht stehenden Bäumen am Ufer empor und schritten vorsichtig durch den schmalen Wald bis an den Rand desselben. Bis hierher hatten sie nichts Verdächtiges bemerkt.

 

Nun sahen sie die Ebene vor sich liegen, die ihnen einen weiten Ausblick erlaubte. Sie befanden sich im Norden der Seribah, welche als ein großer, qualmender Trümmerhaufe vor ihnen lag, und zwar so nahe, daß sie dieselbe in fünf Minuten erreichen konnten. Ein lebendes Wesen war nicht zu sehen; selbst die Vögel waren von den Flammen und dem spätern Geruche des Brandes verscheucht worden.

Die drei Personen schritten näher, sich immer unter den Bäumen haltend und von Stamm zu Stamm vorsichtig auslugend, ob nicht etwa ein feindliches Wesen vor ihnen verborgen sei. Die Umzäunung war vollständig niedergebrannt. Bald konnte man das Innere der Seribah überblicken. Da wo eine Hütte gestanden hatte, lag jetzt ein rauchender Erdhaufen, und zwischen diesen Haufen bewegten sich, wie erst jetzt zu erkennen war, dunkle Gestalten.

»Es sind Menschen da!« sagte der Steuermann. »Wer sind sie? Bewohner der Seribah können es nicht sein. Wüßte ich nur, ob sich Weiße bei ihnen befinden.«

»Das werde ich gleich erfahren,« antwortete Schwarz, indem er sein Fernrohr auszog. Als er mit Hilfe desselben den Platz genau betrachtet hatte, fuhr er fort: »Ich sehe nur Schwarze; auch sind ihrer nicht viele; ich zähle kaum zwanzig.«

»Sind diese Leute bewaffnet?«

»Sie haben Stangen, mit denen sie in den Trümmern herumstöbern.«

»Sie werden für sich holen wollen, was zu retten ist. Wie sind sie gekleidet?«

»Keiner trägt mehr als nur den Schurz um die Lenden. Das Haar liegt wie ein Kranz um den Kopf.«

»Dann sind es Dschur, also Freunde von mir. Ich werde mich an sie schleichen. Irre ich mich und werde ich überfallen, so werde ich laut den Namen Abu Laklak rufen. Dann kommt ihr, mir zu helfen. Eure Gewehre sind mehr als genug, sie alle zurückzutreiben.«

Er legte sich auf die Erde nieder und kroch vorwärts, in den langen Aschenstreifen hinein, welcher die frühere Umzäunung bezeichnete. Dann sahen sie ihn hinter einem Trümmerhaufen verschwinden. Sie hielten ihre Gewehre bereit, um, falls er rufen werde, ihm sofort zur Hilfe zu eilen. Minuten vergingen. Dann sah Schwarz durch das Fernrohr, daß die Leute alle sich an einer Stelle versammelten. Zu dem Haufen, der sich dort bildete, traten zwei Männer, welche er bisher noch nicht gesehen hatte. Beide trugen graue Haïks. Der eine war ein Schwarzer, der andre schien kein Neger zu sein.

Nach einiger Zeit löste sich der erstere mit einem Begleiter von der Gruppe und kam mit demselben schnellen Schrittes auf die Gegend zu, in welcher die Deutschen standen.

»Sie kommen zu uns,« erklärte Schwarz seinem Gefährten.

»Doch nit in feindlicher Absicht?« fragte dieser.

»Nein. Den einen halte ich für den Anführer der Schwarzen; der andre ist unser Steuermann.«

»So haben wir nix zu befürchten. Ich bin neugierig, mit welcher Art von Menschen wir es zu thun haben werden. Wann‘s Leute vom Stamme der Dschur sind, so werd‘ ich‘s loben.«

Die beiden waren jetzt so nahe gekommen, daß man ihre Gesichter deutlich sehen konnte. Der »Sohn des Geheimnisses« lächelte sehr befriedigt. Der andre war ein dicker Neger, dessen wohlgenährtes Gesicht vor Freundlichkeit glänzte. Er hob schon von weitem die Hände empor, legte sie zusammen und bewegte sie grüßend auf und nieder. Dann blieb er gar stehen, verbeugte sich bis zur Erde nieder und rief:

»Salam, Salam aleïk! Ich heiße euch willkommen! Allah gibt mir große Gnade, indem er euch zu mir sendet. Ich und mein Haus, mein ganzer Stamm mit allen seinen Kriegern steht zu eurer Verfügung.«

»Das ist freilich nicht ernstlich zu nehmen,« meinte der Graue leise. »Dieser Kerl weiß von Allah gewiß ebensowenig wie sein Kamel von der Sternkunde.«

Laut aber erwiderte er den Gruß mit großer Herzlichkeit, und Schwarz stimmte ein. Der Dicke kam darauf näher, verbeugte sich abermals und fuhr fort:

»Ich bin der Schech des Stammes der Dschur, welcher hier in der Nähe wohnt. Wir erblickten heute ein großes Feuer in der Gegend der Seribah und eilten herbei, den Weißen zu helfen. Als wir kamen, waren sie fort, und nun retten wir, was gerettet werden kann.«

»Wo sind sie hin?« fragte Schwarz.

»Allah weiß es, ich nicht.«

Der Mann war ein Heide, glaubte aber, in den beiden Mohammedaner vor sich zu sehen; darum bediente er sich des Wortes Allah.

»Kennst du die Bewohner der Seribah?« erkundigte sich Schwarz.

»Ich kenne sie alle.«

»Wann warst du zum letztenmal hier?«

»Gestern ist es ein Tag gewesen.«

»Was hattest du da zu thun?«

»Abd el Mot ließ mich kommen, um mit mir wegen der Reittiere zu verhandeln, welche ich ihm zu dem Zuge liefern mußte.«

»Wohin ging der Zug?«

»In das Land der Belanda.«

»Nach welchem Orte?«

»Das weiß ich nicht. Den Ort sagt er nie, so wenig wie Abu el Mot.«

»Wo befindet sich der letztere?«

»Im Lande der Homr, doch kehrt er bald zurück.«

»Bist du ein Freund von ihm?«

Der Schech zog den Mund von einem Ohre bis zum andern, was wohl ein diplomatisches Lächeln sein sollte, griff sich verlegen nach dem rund um seinen Kopf liegenden Haarwulste, welcher die Gestalt eines aufgeblasenen Luftkissens besaß, und antwortete:

»Herr, ein armer Mann muß der Freund aller großen Herren sein, wenn er nicht aufgefressen werden will. Auch dir diene ich gern, denn ich weiß, daß du mich gut bezahlen wirst.«

»Ob ich dich überhaupt bezahle, kommt nur auf deine Aufrichtigkeit an. Weißt du, wann Abd el Mot die Seribah verlassen hat?«

»Am frühen Morgen; ich mußte ihm meine Tiere bereits am Nachmittage vorher bringen.«

»Hat er eine Besatzung zurückgelassen?«

»Ja. Er thut das stets und sagte auch diesmal, daß er es thun werde.«

»Wo sind diese Leute?«

»Fort. Wohin, das weiß ich nicht,« wiederholte er.

»Wer hat die Seribah angebrannt?«

»Die Besatzung ist es gewesen. Sie wird sich empört haben, denn sie ist fort und hat alle Rinder und Schafe mit fortgenommen.«

»Ah! Ist es so! Dann ist also Abu el Mot ein armer Mann, wenn er zurückkehrt!«

»Er wird bald wieder reich sein, Herr. Als er ging, sagte er, daß er viele Krieger der Nuehr anwerben und mitbringen wolle, denn er werde bei den Niam-niam Sklaven fangen. Wenn er kommt und sieht, daß die fünfzig Männer die Seribah ausgeraubt und verbrannt haben, so wird er ihnen nachjagen, um sie zu töten und ihnen alles wieder abzunehmen.«

»Hat vielleicht Abd el Mot den Brand anbefohlen?«

»Nein, Herr, gewiß nicht, denn er ist dem Besitzer der Seribah treu.«

»So treu wie du!«

Er sah bei diesen Worten dem Negerhäuptling scharf in das fette Gesicht. Dieser verbeugte sich, lachte verlegen und antwortete:

»Herr, ich bin einem jeden treu, der mich gut bezahlt.«

»Womit lässest du dich bezahlen? Mit Zeug oder mit Rindern?«

»Mit beidem, aber der Abu Noktah ist mir noch lieber.«

»So ist es möglich, daß du einen oder mehrere von mir bekommst. Bist du mit den Belanda in Feindschaft?«

»Ja, Herr; die Blutrache ist zwischen ihnen und uns.«

»Aber du kennst den Weg nach ihren Dörfern?«

»Jeder Dschur kennt diese Wege.«

»Ich will nach Ombula. Kennst du es?«

»Ja. Es liegt an den Bergen, welche Pambisa genannt werden.«

»Hast du vielleicht einen Mann, welcher mich dorthin führen kann?«

»Jeder Dschur kann dich führen. Wenn du drei Abu Noktah bezahlst, will ich dir einen guten Führer geben.«

»Ich zahle sie, vorausgesetzt, daß der Mann seine Pflicht erfüllt.«

»Er wird sie gewiß erfüllen.«

»Nun gut! Er soll mich hin- und auch wieder zurückbringen. Ich zahle ihm freiwillig vier Abu Noktah, aber er bekommt sie erst dann, wenn wir zurückgekehrt sind.«

Da schlug der Mann die Hände zusammen und rief aus:

»Allah schütze dich, Herr! Was hast du für Gedanken! Du mußt sie sofort bezahlen!«

»Nein, das thue ich nicht.«

»Da werde ich sie ja nie erhalten!«

»Warum?«

»Weil du nie wiederkommen wirst. Die Belanda werden dich ermorden und den Führer auch. Darum wird dieser nur so weit mitgehen, als er seines Lebens sicher ist.«

»Ah, das ist sehr aufrichtig von dir! Ich werde also gar keinen Führer nehmen und du wirst keinen Abu Noktah bekommen.«