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Die Sklavenkarawane

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ich war der reichste und angesehenste Mann meines Stammes, der Anführer unsrer Krieger, und der Oberste im Rate der Weisen; ich pries mich glücklicher als alle, die ich kannte, und ich war es auch, bis derjenige kam, welcher mein Unglück verschuldete. Ich liebte mein Weib und mein einziges Kind, einen Sohn, dem wir den Namen Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr gaben. Da sandte – – —«

»Wie hieß dieser Knabe?« unterbrach der Deutsche ihn. »Mesuf et Tmeni Sawabi-Ilidschr? Warum hast du ihm diesen Namen gegeben?«

»Weil er nur vier Zehen an jedem Fuße hatte. Ich weiß nicht, ob das bei euch auch vorkommt; bei uns ist es selten.«

»Bei uns auch. Aber ich habe Personen gekannt, welchen Finger oder Zehen von der Geburt an fehlten, und auch einen Mann, der sechs Finger, also einen zu viel an jeder Hand hatte.«

»Die Finger meines Sohnes waren vollzählig, doch fehlte ihm die kleine Zehe an jedem Fuße; dafür aber hatte Allah ihm eine um so reichere Seele gegeben, denn er war das klügste Kind im ganzen Stamme. Als er noch nicht drei Jahre zählte, begab es sich, daß ein Baija‘l abid in unser Duar kam, um Sklaven zu verkaufen. Es waren Knaben und Mädchen, auch Frauen, lauter Neger, außer einem Knaben, welcher helle Haut, auch schlichtes Haar und keine Negerzüge besaß. Der Händler errichtete einen Markt bei uns, um seine Waren zu verkaufen, und aus der ganzen Gegend kamen die Beni el Arab herbei, mit ihm zu handeln. Der helle Knabe weinte stets, aber sprechen konnte er nicht, denn man hatte ihm die Zunge herausgeschnitten.«

»Entsetzlich! Wie alt war er?«

»Vielleicht vierzehn Jahre. Als der Händler eine Woche bei uns gewesen war, kam plötzlich ein Mann mit mehreren Begleitern aus Birket Fatma zu uns, und klagte den Händler an, ihm seinen Sohn gestohlen zu haben. Der Vater war der Spur des Schurken gefolgt, und so zu uns gekommen. Der Händler leugnete; er schwor bei Allah, den Mann gar nicht zu kennen. Da er unser Gast war, mußten wir ihn in Schutz nehmen; aber die Erzählung der Männer aus Birket Fatma klang so wahrhaftig, daß wir sie glauben mußten. Es wurde eine Beratung abgehalten, in welcher ich bestimmte, daß der Knabe, welcher eingesperrt gehalten wurde, dem Fremden vorgeführt werden solle. Dieser letztere erhielt den strengen Befehl, dabei ganz ruhig zu erscheinen, und kein Wort zu sagen. Der Knabe wurde gebracht. Als er den Fremden erblickte, stieß er Jubeltöne aus und sprang auf ihn zu, ihn zu umarmen und zu küssen. Auch die übrigen Männer aus Birket Fatma begrüßte er mit großer Freude. War das nicht ein Beweis, daß er der Sohn des Fremden sei?«

»Ganz gewiß!« antwortete Schwarz.

»Außerdem beschworen die Leute die Wahrheit ihrer Aussage. Der Händler hatte den Sohn eines gläubigen Moslem gestohlen und zum Sklaven gemacht, welches Verbrechen mit dem Tode bestraft wird. Sodann hatte er dem Knaben die Zunge geraubt, damit dieser ihn nicht verraten könne; darauf mußte eine weitere Strafe erfolgen. Die große Versammlung trat also wieder zusammen, um ihm das Urteil zu sprechen. Dieses lautete auf den Tod für den Raub. Für das Herausschneiden der Zunge sollte er täglich die Peitsche erhalten. Und für den Verlust seiner Sprache sollte der verstümmelte Knabe die Sklavenware des Verbrechers empfangen.«

»Wurde dieses Urteil vollstreckt?«

»Nur ein kleiner Teil desselben. Nach dem Gesetze mußte der Schuldige dem Vater des Knaben ausgeantwortet werden. Dies konnte erst nach einer Woche geschehen, denn er war unser Gast, als welcher er für vierzehn Tage in unserm Schutze stand. Darum sperrten wir ihn ein, um ihn nach sieben Tagen den Rächern auszuliefern; aber bis dahin sollte er an jedem Tage durchgepeitscht werden. Dies geschah zweimal unter meiner eigenen Aufsicht. Am dritten Morgen war er entflohen, ohne eine Spur zurückzulassen. Unsre Krieger bestiegen sofort ihre Pferde, um ihn zu verfolgen, aber sie kehrten alle zurück; ohne daß einer ihn gesehen hatte. Die Leute aus Birket Fatma kehrten mit dem Knaben und den Sklaven dorthin zurück, auf die Ausführung des Todesurteils hatten sie verzichten müssen.«

»Und dieses Ereignis steht im Zusammenhange mit dem Verluste deines Sohnes?«

»Ja. Nach wenigen Wochen brachte mir ein Bote aus Salamat einen Brief, welcher mit Ebrid Ben Lafsa, dem Namen des Sklavenhändlers, unterzeichnet war. Dieser Hund schrieb, er sei unschuldig verurteilt worden, und er werde sich an mir rächen, daß ich bis an mein Ende an den geraubten Knaben aus Birket Fatma denken solle. Einen Monat später war ich mit meinen Kriegern vom benachbarten Stamme zu einer großen Fantasia eingeladen. Kaum befanden wir uns dort, so kam uns ein Bote mit der Nachricht nach, daß mein Sohn verschwunden sei. Er war in der Nacht geraubt worden, und am Morgen hing an der Zeltstange ein Brief, in welchem Ebrid Ben Lafsa mir mitteilte, daß er sich meinen Knaben an Stelle des andern geholt habe, und daß ich das Kind im Leben nicht mehr erblicken solle.«

»Das ist ja teuflisch; das ist geradezu höllisch!« rief der Deutsche schaudernd aus.

»O, er schrieb außerdem, daß er meinen Sohn für die zweimaligen Schläge täglich peitschen, und ihm außerdem auch die Zunge nehmen werde. Ich war wie ein Wahnsinniger. Alle meine und auch die benachbarten Krieger streiften weit umher, um diesen Teufel zu ergreifen – vergeblich! Als wir nach Wochen zurückkehrten, lag mein Weib im Fieber, und da ich ihr den Sohn nicht brachte, starb sie nach wenigen Tagen. Als ich sie begraben hatte, that ich den Schwur, den du kennst. Ich gab meinen Sklaven die Freiheit, vertraute alle meine Habe meinem Bruder an und wanderte fort, um meinen Sohn zu suchen. Kein Negerfürst, der unter dem Chedive steht, darf einen weißen Sklaven kaufen; ich mußte also im Norden und Westen suchen. Darum wanderte ich nordwärts durch Wadai, durch die Wüste nach Borgu, wieder zurück nach Kanem und Bornu, nach Bagirmi und Adamaua. Ich frug und forschte an allen Orten, doch stets umsonst. Wenn ich einmal glaubte, die Spur entdeckt zu haben, grinste mir die Enttäuschung bald entgegen. Dann ging ich nach Osten, wo ich ganz Kordofan und Dar Fur durchsuchte; aber auch das war vergebens. Die Jahre schwanden, mein Herz lag im Blute, und mein Haar wurde grau. Der einzige Erfolg, der sich nur zeigte, war die nunmehrige Einsicht, daß ich dreizehn Jahre lang in falscher Richtung geforscht hatte. Ich wandte mich nun doch dem Süden zu, von Habesch aus bis zu den Galla und den größten Seen, dann zu den Völkern, die im Westen davon wohnen. Zwei Jahre sind seitdem vergangen. Ich lebte von der Jagd. Von den Leiden, die ich überstand, und den Gefahren brauche ich dir nicht zu erzählen. Seit mehreren Monaten durchforsche ich die Gegenden der vielen Wasser, aus denen sich der Bahr el Abiad bildet. Ich bin da als Sejad ifjal bekannt geworden, aber meinen Sohn werde ich auch hier nicht finden, ich habe darauf verzichtet, denn er wird seinen Leiden längst erlegen sein. Doch bitte ich Allah täglich um das eine, mich mit Ebrid Ben Lafsa, falls er noch lebt, zusammenzuführen. Sollte ich diesem hundertfachen Teufel begegnen, so siebenmal siebenmal wehe ihm! Die Hölle wird keine der Qualen haben, die er von meiner Hand erdulden soll!«

Diese letzten Worte hatte der unglückliche Vater in einer Weise durch die Zähne geknirscht, daß es seinen Nachbar schauderte; dann senkte er den Kopf und legte sein Gesicht in die Hände. Er fuhr fast erschrocken aus seinen düstern Gedanken auf, als Schwarz nach einiger Zeit in mildem Tone sagte:

»Allah ist allmächtig und allbarmherzig. Vielleicht hast du einst deine Sklaven hart behandelt, und da hat er dir zeigen wollen, welch ein unbeschreibliches und unendliches Herzeleid das Wort Sklaverei umfaßt.«

Der Araber stöhnte auf; dann seufzte er schwer:

»Ich war ein jähzorniger Gebieter. Mancher Schwarze ist unter meiner Peitsche gestorben; einigen habe ich die Hände abhauen, einem auch die Zunge nehmen lassen, weil er mich mit derselben beleidigte. Nach dem Verschwinden meines Sohnes kam die Reue über mich, und ich gab sie alle frei«

»So hat meine Vermutung mich nicht getäuscht. Alle Menschen, die weißen und die schwarzen, sind Gottes Kinder. Allah hielt Gericht über dich; nun er aber deine Reue gesehen, und deine Leiden gezählt hat, wird er Gnade walten lassen. Ich bin überzeugt, daß du deinen Sohn wiedersehen wirst, vielleicht schon bald.«

»Nie, nie!«

»Sprich nicht so! Warum willst du an Gottes Gnade verzweifeln? Bietet dein Glaube dir keine Versöhnung zwischen der göttlichen Liebe und dem reuigen Sünder? Du glaubst nicht an den großen Erlöser aller Menschen, welcher am Kreuze auch für dich gestorben ist, so sei wenigstens überzeugt, daß Allah alle deine Klagen, auch die jetzigen, vernommen hat, und daß seine Hilfe sich vielleicht schon unterwegs zu dir befindet.«

»Das ist undenkbar,« antwortete Bala Ibn. »Wollte er mir helfen, so hätte er es schon längst gethan.«

»Er allein weiß es, warum er es noch nicht that. Vielleicht hast du deine frühere Härte noch niemals so erkannt wie heute.«

Es fiel dem Araber sichtlich schwer, hierauf eine Antwort zu geben. Er sah eine Weile schweigend vor sich nieder und gestand dann:

»Niemand wagte es, mich darauf aufmerksam zu machen, und ich selbst war nicht ganz aufrichtig gegen mich. Du bist der erste, der mir in deutlichen Worten sagt, daß ich mich an meinen Sklaven versündigt habe, und gerade, daß du es bist, der Fremde, der Christ, der keine meiner früheren Grausamkeiten kennt, und den ich eigentlich als einen Giaur verachten sollte, das zeigt mir die Vergangenheit in ihrer ganzen blutigen Beleuchtung. Ich kann nie wieder gut machen, was ich that; ich verdiene es nicht, meinen Sohn wiederzufinden. Und doch würde ich mich im höchsten Himmel Allahs fühlen, wenn es mir vergönnt wäre, ihn noch einmal zu sehen, selbst wenn – – wenn ihm die Zunge fehlte, so daß er nicht einmal den Vaternamen lallen könnte!«

 

Er hatte mit tief ergreifender Innigkeit, mit einer wahren Inbrunst gesprochen. Der Deutsche legte ihm leuchtenden Auges und freudeglänzenden Angesichtes die Hand auf die Achsel und sagte:

»So ist es recht; so will Allah es hören, und nun darfst du die Überzeugung hegen, daß er den Wunsch deines Herzens erfüllen wird. Schon sehe ich die Erhörung nahen, und vielleicht wird sie dir dadurch zu teil, daß du dich mir so aufrichtig geoffenbaret hast.«

»Durch dich? Welch ein Wunder wäre das! Die Männer meines Stammes und befreundeter Stämme haben vergebens mit mir nach dem Verlorenen gesucht. Dann habe ich fünfzehn Jahre lang fast diesen ganzen Erdteil ohne Resultat durchforscht; tausend Einheimischen habe ich die Geschichte meiner Leiden erzählt, worauf sie ihre Mühe mit der meinigen vereinten, und trotzdem ist mir auch nicht der kleinste Hoffnungsschimmer geworden. Da habe ich dich, den Abendländer getroffen, der unsre Länder, unsre Völker und unsre Verhältnisse gar nicht kennt und sich erst so kurze Zeit hier befindet. Ich spreche zu dir von meinen Wünschen, weil du dich zufällig nach meinem Namen erkundigt hast, und dennoch solltest gerade du der Auserwählte sein, durch den mir Erhörung beschieden ist? Ich wiederhole, daß dies ein unbegreifliches Wunder wäre.«

»Es geschehen noch täglich Wunder, doch auf viel einfachere Weise, als sie früher zu geschehen pflegten. Wie nun, wenn ich deinen Sohn gesehen hätte, wenn ich ihm begegnet wäre? Kommt dir das so undenkbar vor?«

»Nein; aber es kann, es kann nicht sein!«

»So bist du dem Allerbarmer gegenüber ein Giaur, und ich bin der Gläubige. Willst du der Botschaft Allahs nur deshalb nicht glauben, weil ein Christ der Bote ist?«

Bala Ibn warf einen langen, forschenden Blick in das vor Genugthuung strahlende Gesicht des Deutschen; seine düstern Züge gewannen mehr und mehr Licht; seine Augen wurden größer und größer, und seine Stimme zitterte, als er sagte:

»Allah gibt den Tod; er sendet auch das Leben. Dein Gesicht sagt mir, daß du deine Worte nicht ohne Grund gesprochen hast. Vielleicht glaubst du, mir eine frohe Nachricht geben zu können; ich bin überzeugt, daß du dich irrest, daß es wieder eine jener Täuschungen ist, deren ich hunderte überwunden habe; aber rede, sprich! Kennst du eine Person, welche mein Sohn sein könnte?«

»Ja.«

»Wie alt ist er?«

»Ungefähr achtzehn Jahre.«

»Wo befindet er sich?«

»Er lebt bei den Niam-niam.«

»Wie heißt er?«

»Er wird Abd es Sirr, ‚Sohn des Geheimnisses‘ genannt; das ist ein Beweis, daß er von unbekannter Herkunft ist. Der Sohn des Fürsten der Niam-niam ist sein Busenfreund. Ich habe einst ein Gespräch dieser beiden belauscht und dabei bemerkt, daß dieser ‚Sohn des Geheimnisses‘, wenn kein andrer es hört, sich von seinem Freunde Mesuf nennen läßt.«

»Allah ist groß! Aber das wird nur ein Zufall sein.«

»Ich glaube nicht. Kommt der Name Mesuf so häufig vor?«

»Nein. Ich habe außer meinem Sohne keinen zweiten gefunden, der ihn führt.«

»Und ich hörte ihn bei jenem Gespräche zum ersten und heute von dir zum zweitenmal.«

»Von welcher Farbe ist der Jüngling?«

»Er ist vielleicht etwas dunkler als du in seinem Alter gewesen bist.«

»Das stimmt, das stimmt! Er mußte dunkler sein. Vielleicht ist es doch ein Strahl, der mir heute von dir in meine Dunkelheit geworfen wird. Aber die Hauptsache, die Hauptsache! Hast du die Füße dieses Jünglings gesehen?«

»Ja. Er hat nur vier Zehen an jedem Fuße; die beiden kleinen Zehen fehlen.«

»Gott ist groß; Gott ist barmherzig und gnädig!« rief der Araber fast überlaut. »Mein Herz gewinnt neues Leben, und ich habe ein Gefühl, als ob mein Haar in diesem Augenblicke wieder dunkel werden wolle. Ich möchte vor Wonne jauchzen, aber ich darf es nicht, denn wenn ich auch jetzt mich wieder irrte, so würde meine Kraft, es zu ertragen, vielleicht zu Ende sein. Ich darf es nicht wagen, mich mit Zuversicht an deine Worte zu hängen. Ich muß kalt und ruhig bleiben, um das, was du mir mitteilst, wie ein Fremder, den es gar nichts angeht, erwägen zu können. Ich muß alle möglichen Bedenken aufbringen, welche gegen deine Botschaft gefunden werden können.«

»Das sollst du auch. Du sollst ebenso genau erwägen wie ich. Wenn du Bedenken hast, so teile sie mir mit!«

»Ich werde es thun. Du hast mir gesagt, daß dieser Jüngling der Freund des Sohnes des Fürsten sei, daß er mit demselben gesprochen habe. Ich bin aber überzeugt, daß mein Sohn, falls er noch lebte, gar nicht sprechen könnte.«

»Wohl weil der Sklavenhändler dir damals gedroht hat, ihm auch die Zunge herauszuschneiden?«

»Ja.«

»Wahrscheinlich hat er es in der Absicht gethan, dein Leid dadurch zu vergrößern. Die Klugheit aber riet ihm, die Drohung nicht auszuführen. Früher gab es ja wohl Verhältnisse, welche einen stummen Sklaven als brauchbar erscheinen ließen; das ist aber heute nicht mehr der Fall. Ein Diener muß sprechen können, um im stande zu sein, alle Aufträge seines Herrn auszuführen. Einen Sklaven, welcher stumm, also nur in beschränkter Weise brauchbar ist, wird in der jetzigen Zeit nur selten jemand kaufen. Das wußte der Sklavenhändler. Folglich vermute ich, daß er deinen Sohn nicht verstümmelt hat.«

»Dagegen ist einzuwenden, daß er ihn aus Rachsucht, nicht aber des Geldgewinnes wegen, geraubt hat. Er mußte ihn stumm machen, um nicht von ihm verraten zu werden.«

»Ich wollte mich dieser Meinung anschließen, wenn der Knabe älter gewesen wäre. Und selbst in diesem Falle würde die Stummheit dem Händler keine genügende Sicherheit gewährt haben. Ein Stummer kann schreiben lernen und dann das, was er nicht mit dem Munde zu sagen vermag, zu Papiere bringen. Der Knabe war aber kaum drei Jahre alt. In diesem Alter genügen Monate, die bisherigen Eindrücke aus der Seele zu verdrängen. Der Sklavenhändler hat sich gewiß gesagt, daß der Knabe, wenn er in vollständig neue Verhältnisse komme, bald alles Bisherige vergessen werde.«

»Effendi, deine Einwürfe beglücken mich, obgleich ich aus ihnen entnehmen muß, daß der betreffende Jüngling sich der ersten Zeit seiner Kindheit und also auch seiner Eltern nicht mehr erinnern kann.«

»Was das betrifft, so bin ich nicht im stande, dir genaue Auskunft zu geben. Der ‚Sohn des Geheimnisses‘ spricht niemals von seiner Vergangenheit; aber ich weiß, daß er eine heimliche Rache im Herzen trägt, und vermute, daß sich dieselbe auf den Mann bezieht, der ihn geraubt hat.«

Der Araber saß längst nicht mehr an der Erde. Er war aufgesprungen, und auch Schwarz hatte sich aufgerichtet. Der erstere stand vor dem letzteren, welcher sein Glück, sein Leben von jedem Worte, welches er hört, abhängig weiß.

»Eine Rache, eine Rache also hat er!« sagte er. »Vielleicht hat er alles, alles vergessen, nur das eine nicht, daß er geraubt worden ist. Wie lange befindet er sich bei den Niam-niam? Kam er schon als Knabe zu ihnen?«

»Nein, sondern erst vor zwei Jahren. Er kam ganz allein und blieb da, ohne jemals mitzuteilen, wer er sei und woher er komme. Daher erhält er den Namen ‚Sohn des Geheimnisses‘.«

»Und was thut er bei diesen Schwarzen? Womit ernährt er sich?«

»Der Sohn des Fürsten war ihm im Walde begegnet und hatte ihn zu seinem Vater gebracht. Der fremde Knabe verstand mit den Waffen umzugehen und zeigte sich gleich in der ersten Zeit so mutig und überaus anstellig, daß der Fürst ihn in seine Leibwache aufnahm. In dieser Stellung befindet er sich so wohl, wie es unter solchen Verhältnissen nur möglich ist. Er hat sich die Zuneigung aller, die ihn kennen, schnell erobert. Er ist sehr schweigsam, aber meine Beobachtungen lassen mich vermuten, daß er trotz seiner Jugend ein viel bewegtes Leben hinter sich hat. Er kennt fast alle Völker vom Bahr el Abiad bis zu den großen Seen; er spricht mehrere ihrer Sprachen und Dialekte – —«

»Auch arabisch?« fiel der Jäger ein.

»Ja, auch arabisch. Ferner ist er in vielen Dingen geschickt, welche seinen jetzigen Genossen völlig unbekannt sind; kurz, er weiß soviel und ist so gewandt, daß ein jeder Niam-niam ihn beneiden würde, wenn er ihn nicht lieben müßte.«

»So ist er also ein guter Mensch und steht überhaupt nicht so tief wie ein gewöhnlicher Neger?« fragte Bala Ibn, indem zum erstenmal ein freudiges Lächeln über sein ernstes, hageres Gesicht glitt.

»Ja, sein Herz ist gut und rein,« antwortete Schwarz. »Er weiß, daß er den Schwarzen überlegen ist; dieses Bewußtsein spricht sich in seinem Wesen, in seiner ganzen Erscheinung aus, aber sein Stolz ist ein derartiger, daß er nicht verletzen kann. So oft ich ihn beobachtete, ist er mir vorgekommen wie ein junges, edles Roß, welches sich mit gewöhnlichen Pferden auf derselben Weide befindet. Es grast mit ihnen, es gehört zu ihnen, es verträgt sich mit ihnen, und doch sagt der erste Blick, den man auf dasselbe wirft, daß es einst einen schönern Sattel und einen vornehmern Reiter tragen werde, als die andern.«

»Allah, o Allah!« rief der Jäger, indem er die Hände faltete. »Wenn er mein Sohn wäre, wenn er es wirklich wäre! Ich muß zu den Niam-niam, um ihn zu sehen!«

»Du hast ihn schon gesehen.«

»Ich? Wo?« klang es erstaunt.

»Zwischen den Trümmern der Seribah Abu el Mots. Hast du den jungen Mann nicht bemerkt, der bei uns war, der allein zum Schech ging, um uns bei demselben anzumelden?«

»Ich habe ihn gesehen und großes Wohlgefallen an ihm gehabt. Als mein Auge auf ihn fiel, ging es wie ein fernes Licht in meinem Herzen auf, wie wenn ein verirrter Wanderer den Schein eines Lagerfeuers von weitem erblickt. Der also, der ist‘s, den du meinst. Oh Mohammed und alle ihr heiligen Kalifen! Der Jüngling ist in meiner Nähe gewesen, ich habe ihn gesehen, ich hörte seine Stimme und habe nicht geahnt, daß er vielleicht derjenige ist, den ich so lange Jahre hindurch mit Schmerzen suche! Wo befindet er sich jetzt? Wo ist er hin?«

»Nach der Seribah Madunga. Er ist der Steuermann meines Bootes.«

»So kennt er den Fluß? So sind ihm die Ufer und Länder desselben bekannt?«

»Sehr genau. Aber wie und bei welchen Gelegenheiten er sie kennen gelernt hat, davon spricht er nicht.«

»Er muß trotz seiner achtzehn Jahre ein außerordentlicher Charakter sein. Mein Herz klopft in freudiger und doch zugleich banger Erwartung, als ob es die Brust zersprengen wolle. Ich weiß, daß deine Leute in der Seribah auf dich warten sollen. Er wird bei ihnen bleiben, bis du kommst?«

»Natürlich! Ohne ihn könnte ich meine Reise nicht vollenden.«

»So gebe ich mein Suchen auf. Ich gehe jetzt mir dir nach Ombula, um die dortigen Leute zu warnen, und dann kehre ich in deiner Begleitung nach der Seribah Madunga zurück, um mit diesem ‚Sohne des Geheimnisses‘ zu sprechen. Ja, Herr, du hast recht gehabt, als du sagtest, man dürfe an der Gnade Allahs nicht verzweifeln, als du behauptetest, daß vielleicht gerade du es seiest, durch den mir Hoffnung werden könne. Ich fühle diese Hoffnung jetzt in mir. Ich bin plötzlich ein ganz andrer, ein ganz neuer Mensch geworden. Und das habe ich nächst Allah dir zu verdanken. Wir wollen Freunde sein. Wir wollen die Gefahren unsres Weges redlich miteinander teilen und uns in keiner Not verlassen. Sage mir, ob du mein Freund, mein Bruder sein willst?«

»Gern, herzlich gern! Hier hast du meine Hand darauf.« – Er reichte ihm die Hand entgegen. Der andre schlug ein und sagte:

»Da ist auch die meinige. Weißt du, mit welchen Worten man einen Bund auf Leben und Tod schließt? Mit den Worten ›es suhbi l‘ es suhbi, el umr la umr‹. Sage sie mir nach!«

Schwarz wiederholte diese Formel; dann schlang der Araber die Arme um ihn, küßte ihn und rief:

»Jetzt sind wir eins, eine einzige Person. Du bist ich, und ich bin du. Wehe dem Feinde, welcher dich oder mich beleidigt! Nun aber ist‘s genug der Aufregung. Setzen wir uns wieder nieder, und dann magst du mir alles erzählen, was du von dem ‚Sohne des Geheimnisses‘ weißt.«

Sie nahmen wieder am Feuer Platz, und Schwarz begann, den verlangten Bericht zu erstatten. Er mußte den Jüngling auf das Genaueste beschreiben und jedes Wort berichten, welches er mit demselben gesprochen hatte. Darüber verging eine lange Zeit, es wurde Mitternacht, und als dann der Stoff doch endlich ausgegangen war, mußte der Deutsche an die Ruhe denken, die ihm nach der Anstrengung der beiden Tage so nötig war.

»Schlafe in Allahs Namen!« sagte der Araber. »Ich werde wachen und dich nicht wecken. Nach dem, was ich von dir erfahren habe, ist es mir unmöglich, ein Auge zu schließen. Du wirst das begreifen und dich also nicht weigern, mich an deiner Seite wachen zu lassen.«

Schwarz sah ein, daß bei dem aufgeregten Manne an Schlaf unmöglich zu denken sei, darum ging er ohne Widerrede auf den Vorschlag ein, wickelte sich fest in seine Decke und schloß die Augen.

 

Die Nacht verging ohne jedwede Störung von außen her. Der Deutsche wurde nicht geweckt; er erwachte von selbst, als der Moslem bei Tagesanbruch laut seine Morgenandacht verrichtete. Die Feuer glimmten noch, und in der heißen Asche derselben wurden aus dem mitgebrachten Mehle eine Anzahl der landesüblichen Fladen gebacken, welche für den ganzen Tag ausreichten, zudem auch noch ein Stück der gestern gebratenen Gans übrig war.

Während der Araber diese Arbeit verrichtete, fütterte und tränkte Schwarz die Kamele. Dann wurde aufgebrochen.

Dem Elefantenjäger war keineswegs anzusehen, daß er die ganze Nacht nicht geschlafen hatte. Er sah fast jünger aus als gestern und behauptete, seit langen Jahren sich nicht so wohl befunden zu haben wie heute. Von so großem Einflusse ist der Gemütszustand eines Menschen auf seinen Körper!

Die beiden waren überzeugt, daß sie die Sklavenjäger um die Mittagszeit einholen würden. Es sollte aber anders kommen. Als sie den Maijeh hinter sich hatten, führte die Fährte, welcher sie folgten, wieder in die Nähe des Flusses. Dort stand ein dichter Wald, welcher zahlreiche Büsche als Vorposten in eine grasreiche Ebene sandte. Zwischen diesen Sträuchern schlängelte sich die Fährte hin.

Hier auf dem verhältnismäßig leichten Boden sah man deutlicher als bisher, aus wie vielen Spuren dieselbe bestand; sie wurde bedeutend breiter. Die vielen Rinder, welche die Brandstifter der Seribah mitgenommen hatten, waren hier, wo die Büsche ihnen Leckereien boten, schwer zusammenzuhalten gewesen.

Die beiden Männer ritten, sich laut unterhaltend, nebeneinander. Sie hatten keine Veranlassung, in dieser vermeintlichen Einsamkeit ihre Stimmen zu dämpfen. Eben hatten sie eine Stelle passiert, an welcher die Büsche enger zusammentraten, und wollten nun auf einen freieren Platz einlenken, als Schwarz, welcher für diese kurze Strecke vorangeritten war, sein Kamel plötzlich mit einem jähen Rucke anhielt, es schnell umlenkte, um wieder hinter das Gesträuch zu kommen, und dabei hastig, aber leise sagte:

»Alle Wetter! Einen Augenblick später, und wir wären entdeckt worden!«

»Von wem?« fragte Bala Ibn.

»Von Menschen, welche sich da draußen auf der Ebene befinden und ihre Herden weiden.«

»Schwarze?«

»Schwarze und Weiße.«

»Wer könnte das sein?«

»Werden es gleich sehen. Schauen wir uns diese Leute einmal aus dem Verborgenen an!«

Er ließ sein Kamel niederknieen und stieg ab. Der Araber that dasselbe. Hinter dem Gesträuch versteckt, blickten sie hinaus auf die vor ihnen liegende Scene.

Nach rechts hin, also nach West, dehnte sich eine weite, freie Ebene. Links, am Waldesrande, lagerten wohl gegen vierzig Menschen von allen Farben und in den verschiedensten Gewändern. Nahe bei sich hatten sie ihre Gewehre zusammengestellt. Gerade aus und nach rechts hin von den beiden heimlichen Beobachtern weideten zahlreiche Rinder nebst einigen Pferden und Kamelen. Unter den ersten Bäumen des Waldes lagen Waren aufgehäuft. Vielleicht zehn Männer befanden sich draußen vor den weidenden Tieren, um dieselben in Ordnung zu halten und sie zu verhindern, nach der Ebene auszubrechen. Hätte Schwarz sein Tier nur noch wenige Schritte machen lassen, so wäre er von diesen Leuten gesehen worden.

»Weißt du, wer diese Leute sind?« fragte er seinen Kameraden.

»Ja,« nickte dieser.

»Nun?«

»Die zurückgelassene Besatzung der Seribah, welche die letztere verbrannt und geplündert hat.«

»Das vermute ich auch. Aber ich kann nur nicht begreifen, wie diese Menschen es wagen können, sich hier festzusetzen. Ich kann mir überhaupt nicht sagen, aus welchem Grunde sie dieselbe Richtung wie Abd el Mot eingeschlagen haben. Sie müssen ihm doch in die Hände laufen.«

»Oder er ihnen!« bemerkte der Araber, indem er die Geste des Erstechens machte.

»Wie meinst du das?«

»Ich weiß nicht, ob ich mit meinen Gedanken das Richtige treffe. Ich habe bei den Dschur gehört, daß Abd el Mot bei seinen Untergebenen keine Beliebtheit besitzt, weil er grausam und ungerecht ist. Darum wird die Besatzung von ihm abgefallen sein. Aber außer diesen fünfzig Männern wird es noch viele andre geben, welche ebenso denken wie sie und ebenso wünschen, frei zu werden, wenn sie dabei auch noch einen anderweiten Vorteil finden. Auf diese Gleichgesinnten wird der alte Feldwebel, der Anführer der Empörer, rechnen. Was soll er mit den entführten Gütern und mit den fünfzig Mann thun? Er kann sie nur in dem Falle, daß er eine neue Seribah gründet, recht verwerten, und ich vermute, daß dies auch wirklich seine Absicht ist. Zum Sklavenjagen sind fünfzig Personen viel zu wenig; er muß sich also nach mehr Leuten umsehen. Woher will er sie nehmen, und wo kann er sie leichter finden, als bei seinen bisherigen Kameraden?«

»Da magst du freilich recht haben,« stimmte Schwarz bei.

»Nur auf diese Weise,« fuhr der Jäger fort, »läßt es sich erklären, daß er der Spur Abd el Mots gefolgt ist. Er will auf die Rückkehr seiner Gefährten warten und diese veranlassen, zu ihm überzugehen. Die meisten werden dies thun, denn er wird ihnen natürlich einen viel höheren Sold bieten, als sie bisher erhalten haben.«

»Und was wird mit Abd el Mot geschehen?«

»Wahrscheinlich wird man ihn ermorden und sich dabei all seines Eigentums bemächtigen. Bei alledem habe ich natürlich angenommen, daß der Überfall von Ombula gelingt.«

»Es ist schrecklich, welche Verhältnisse der Sklavenhandel im Gefolge hat. Der Mensch wird zum Ungeheuer!«

»Das habe ich eingesehen. Also ich bin überzeugt, daß diese Leute hier auf Abd el Mot warten, um ihn zu töten. Aber falls ihnen das gelingt, wird die Strafe auf dem Fuße folgen.«

»Inwiefern?«

»Denke an Abu el Mot, welcher nach zwei Tagen mit über dreihundert Nuehrs auf seiner Seribah ankommen wollte! Er wird dieselbe in Trümmern finden und bei den Dschur erfahren, was geschehen ist. Was wird er darauf thun?«

»Er wird den Empörern nach jagen.«

»Natürlich. Er findet sie hier, wo wir sie sehen, und wird sie alle niedermachen. So zerfleischen sich die Geier untereinander, wofür man Allah doch nur danken kann. Für uns aber ist es nicht angenehm, daß diese Menschen sich hier gelagert haben. Wir dürfen uns von ihnen natürlich nicht sehen lassen und sind also zu einem Umweg gezwungen, welcher viele Zeit erfordert.«

»Das ist leider wahr. Auf unsern Kamelen sind wir weithin sichtbar, zumal heute die Luft von einer außerordentlichen Reinheit ist. Wir müssen eine bedeutende Strecke zurück, um dann draußen auf der freien Ebene einen weiten Bogen zu reiten. Bevor wir die Spur Abd el Mots wieder erreichen, werden drei oder vier Stunden vergangen sein.«

»Weniger nicht. Aber wir können nicht anders. Laß uns aufbrechen, damit wir so wenig wie möglich Zeit verlieren.«

Sie stiegen wieder auf und kehrten so weit, als sie es für erforderlich hielten, zurück; dann ritten sie nach West, um hierauf nach Süden einzubiegen. Auf diese Weise gelangten sie in die offene Ebene, von wo aus sie den Wald, an welchem sich das Lager des Feldwebels befand, als einen dunkeln, langen Strich liegen sahen. Schwarz sah durch sein Fernrohr da hinüber und erkannte die weidenden Tiere und die bei denselben befindlichen Menschen. Mit dem bloßen Auge hätte er sie nicht erreichen können, also war es gewiß, daß auch er mit dem Araber von dorther nicht bemerkt wurde.

Später mußten die beiden Reiter ihre Richtung ändern, indem sie wieder ostwärts hielten, um auf die verlassene Fährte zurückzukommen. Als sie dieselbe erreichten, waren von dem Augenblicke an, an welchem sie das Lager vor sich gesehen hatten, vier und eine halbe Stunde vergangen; sie befanden sich aber nun höchstens drei Viertelwegsstunden jenseits dieses Lagers und hatten also fast vier volle Stunden verloren.