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Die Sklavenkarawane

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Spotte immerhin! Ich bin glücklicher als du. Wenn du einst über es Ssireth, die Brücke des Todes, gehst, werden die Seelen der heute Ermordeten dich in die grausigste Tiefe ziehen, und weder Allah noch dein Prophet wird sich dein erbarmen. Mir graut vor dir!«

»Du bist sehr aufrichtig. Eigentlich sollte ich dich dafür bestrafen, aber mein Herz ist heiter gestimmt, und so will ich dir verzeihen. Ich will dir sogar den Beweis einer Güte geben, zu welcher ich mich sonst nur schwer zu verstehen pflege. Ihr werdet ermüdet sein und der Ruhe bedürfen. Die Schebah verhindert euch, zu schlafen. Ich will sie euch abnehmen lassen und hoffe, daß ihr mir für diese Gnade danken werdet.«

Er gab einigen seiner Leute den betreffenden Befehl. Diese nahmen den beiden die Gabeln vom Halse, doch erstreckte sich die gewährte Erleichterung nicht so weit, wie Schwarz vermutet hatte. Er mußte sich vielmehr mit dem Rücken auf die Schebah legen und wurde mit derselben so zusammengebunden, daß er lang ausgestreckt am Boden lag und sich nicht bewegen konnte. Dem Emir erging es ebenso. Dann mußte sich ein Soldat zwischen sie setzen, um sie während der Nacht zu bewachen.

Diese Nacht war die schrecklichste, welche Schwarz jemals erlebt hatte. Er vermochte kein Auge zuzuthun, und wenn er die Lider je einmal schloß, so führte die aufgeregte Phantasie die erlebten Scenen an seinem Inneren vorüber. Die wenigen Stunden bis zum Morgen wurden ihm zur Ewigkeit, und er war unendlich froh, als der erste Schimmer des Tages die Sterne erbleichen ließ.

Aber wenn er der Ansicht gewesen war, daß der Tag ihn weniger Grausamkeiten werde sehen lassen als die Nacht, so hatte er sich geirrt.

Zunächst verrichteten die Sklavenjäger ihr Morgengebet. Dann wurde die Fahne aufgesteckt, und der Fakir las, an derselben stehend, die Sure des Sieges vor. Hierauf wurden mehrere Rinder und viele Schafe geschlachtet, um als Festspeise verzehrt zu werden. Die Gefangenen mußten die Orte angeben, wo ihre Matmurah und Siebah lagen.

Unter Matmurah versteht man große, tiefe Gruben, in denen die Durrah aufbewahrt zu werden pflegt. Siebah sind kleine, auf Steinen errichtete und gut zugedeckte cylindrische Bauten, welche dem gleichen Zwecke dienen.

Man schaffte ganze Haufen von Durrah herbei, welche die gefangenen Frauen mahlen mußten, um dann Kisrah daraus zu backen und Merissah zu bereiten. Für Abd el Mot, die Unteroffiziere und einige Soldaten, welche sich besonders ausgezeichnet hatten, wurde Mararah gebraten.

Diese gilt im ganzen Sudan als großer Leckerbissen und wird aus der Leber, den Gedärmen und der Galle bereitet. Diese letztere Zuthat läßt es ganz selbstverständlich erscheinen, daß die Mararah einem Europäer unmöglich munden kann.

Während diese Vorbereitungen getroffen wurden, ereignete sich etwas, was Schwarz mit Schauder erfüllte. Die Gefangenen sollten natürlich nach der Seribah Abu el Mots transportiert werden. Kleinere Kinder waren dabei hinderlich und unbequem. Darum gab Abd el Mot den Befehl, alle Kinder, welche das Alter von vier Jahren noch nicht erreicht hatten, zu töten. Die Aufregung, welche dieses Gebot bei den unglücklichen Müttern hervorbrachte, läßt sich gar nicht beschreiben. Sie wollten die Kinder nicht hergeben; sie wehrten sich wie die Löwinnen, doch vergeblich. Man bezwang sie mit der Peitsche. Als dieses unmenschliche Morden gethan war, wurde die übrige Menschenbeute in der bekannten Weise aneinander gebunden, und dann erst ordnete sich die ganze Kolonne zum Abzug. Vorher kam aber Abd el Mot zu dem Emir und dem Deutschen, welche noch auf der Schebah an der Erde lagen, und sagte:

»So macht man es mit dem schwarzen Fleische, welches man nicht gebrauchen kann. Ihr werdet mir zugeben, daß dies sehr klug gehandelt heißt.«

»Du bist ein Satan!« antwortete Schwarz in höchstem Zorn.

»Schimpfe und denke nicht, daß ich stets guter Laune bin.«

»Stände ich mit freien Gliedern vor dir, so wollte ich dir zeigen, in welcher Laune ich mich jetzt befinde!«

»Was würdest du thun?«

»Ich erwürgte dich! Ich sage dir, der Augenblick, welcher mir die Freiheit wiedergibt, ist zugleich der Augenblick deines Todes!«

»Drohe und belle immerhin, du Hund!« lachte der Sklavenjäger höhnisch. »Du wirst die Freiheit nicht wieder verkosten. Jetzt schone ich dich, sind wir aber auf der Seribah angekommen, so werde ich euch meine Rache in einer Weise fühlen lassen, daß euch die Verdammnis der Hölle dagegen als Seligkeit erscheint!«

Die Waka‘a en nahr

Als der »Vater des Storches« zu seinem Boote zurückgekehrt war, hatte er nicht mit dem Aufbruche gesäumt. Die Sterne leuchteten hell genug, die Stromfahrt trotz der Nacht wagen zu lassen. Das Boot wurde losgebunden und nach der Mitte des Flusses gesteuert, wo sich die Niam-niam kräftig in die Ruder legten. Sie hatten, während sie auf den Grauen warteten, gegessen und sich ausgeruht, so daß das Boot unter dem Drucke ihrer muskulösen Arme mit der Schnelligkeit eines Fisches abwärts schoß, von der kundigen Hand des »Sohnes des Geheimnisses« gesteuert.

Diese Leute waren an das südliche Klima und die hiesigen Verhältnisse gewöhnt; sie konnten selbst außergewöhnliche Anstrengungen vertragen. Anders ist es mit dem Fremden, dem die Sorge für seine Gesundheit die möglichste Schonung seiner Kräfte gebietet. Darum hüllte Pfotenhauer sich in seine Decke und legte sich im Vorderteile des Fahrzeuges nieder, um einige Stunden zu schlafen.

Er kannte den eigentümlichen Reiz, welchen die nächtliche Scenerie des gewaltigen Stromes gewährt, genug, um sich diesen Genuß für heute einmal versagen zu können. Sein Schlaf war tief und lang, denn als er erwachte, stand die Sonne schon hoch über dem Walde von Dalebpalmen, welcher am rechten Ufer stand, in dessen Nähe der »Sohn des Geheimnisses« jetzt steuerte, und als er die Uhr zog, sah er zu seinem Staunen, daß er bis morgens zehn Uhr geschlafen hatte.

Die Niam-niam arbeiteten jetzt in der Weise, daß nur die Hälfte von ihnen ruderte, um von den andern, wenn diese ausgeruht hatten, abgelöst zu werden. Übrigens hatte das Wasser hier einen so bedeutenden Fall, daß es, um schnell zu fahren, keiner anstrengenden Nachhilfe mittels der Ruder bedurfte.

Zum Essen brauchte man keiner besonderen Pause; wer essen wollte, der aß, wenn er von der Arbeit abgelöst worden war. Getrunken wurde sehr einfach aus dem Flusse, und so suchte man das Ufer während des ganzen Tages gar nicht auf, bis man am späten Nachmittag durch einen Umstand dazu gezwungen wurde, welcher den Insassen des Bootes beinahe gefährlich geworden wäre.

Man näherte sich einer scharfen Krümmung des Flusses. Der konvex vorspringende Rand des rechten Ufers machte, daß man nicht sah, was jenseits dieser Krümmung lag und geschah. Da stand der Steuermann von seinem Platze auf, hielt die Hand muschelförmig an das Ohr, lauschte einige Augenblicke nach vorn und sagte dann:

»Schu haida! Rina – was höre ich! Einen Gesang!«

»Wo? Auf dem Flusse?«

»Ja. Es kommen Menschen. Wer mag das sein? Doch nicht etwa Abu el Mot mit seinen Schiffen!«

»Wir dürfen uns nicht sehen lassen. Also rasch ans Ufer!«

»An welches?«

»An das linke, denn dort ist Schilf, in dem wir uns verbergen können; hier am rechten aber gibt es wenig davon.«

Der »Sohn des Geheimnisses« gehorchte und steuerte nach links. Als das Boot so weit hinüber war, daß man um die Krümmung blicken konnte, nahm der Graue sein Fernrohr zur Hand. Kaum hatte er es angesetzt, so rief er erschrocken:

»Schnell zurück, zurück nach rechts, sonst werden wir entdeckt! Ich sehe zwei Schiffe, aber auch Menschen, welche am Ufer laufen.«

Sofort riß der Steuermann das Ruder auf die andre Seite, und die Schwarzen legten sich so mächtig in die Riemen, daß das Boot eine so scharfe Wendung machte, daß es fast gekentert wäre.

»Leute am Ufer?« fragte der »Sohn des Geheimnisses« – »Lagen die Schiffe denn vor Anker?«

»Nein. sie fuhren. Ich habe die Segel gesehen.«

»Dann haben sie das Liban am Maste, um schneller vorwärts zu kommen. Wenn es zwei Schiffe sind, so gehören sie Abu el Mot. Ich war sehr unvorsichtig, daß ich deinem Befehle, nach links zu steuern, gehorchte. Ich hörte die Leute singen. Das thun sie nur, wenn sie am Liban ziehen oder mit den Mitarah arbeiten. Zum Glück hat hier rechts das Wasser eine Gras- und Omm Sufahinsel angeschwemmt, welche uns verbergen wird.«

Er steuerte das Boot scharf mitten in diese Insel hinein und ließ dann den Anker fallen. Das war, so weit man sehen konnte, am rechten Ufer der einzige Ort, welcher Schutz gewähren konnte. Aber diese Insel war so niedrig, daß die Männer sich in das Boot legen mußten, um nicht gesehen zu werden.

Der Deutsche mußte das scharfe Gehör des jungen Steuermanns bewundern, denn er selbst hatte nichts von einem Gesange vernommen. Er hörte selbst jetzt noch keinen Ton, obgleich der Jüngling behauptete, das Singen jetzt sogar deutlicher als vorher zu vernehmen.

Bald jedoch drangen die Töne auch in Pfotenhauers Ohr. Es waren die zwei Silben heh – lih, heh – lih, welche immerfort wiederholt wurden. »Heh« fiel auf den Grundton und »lih« auf die kleine Terz; die Tonart war also Moll.

Dann aber war eine längere Melodie, ein Lied zu hören, welches mehrere Strophen hatte. Die Worte der ersten waren noch undeutlich; bei der zweiten aber hatten sich die Schiffe schon so weit genähert, daß man den Gesang verstehen konnte. Der Deutsche vernahm die vier Verse:

»Gerebd el beled, gered laoda,

Tered ab schora a loba hamoda.

Ja Rabb, sber t‘adil taraqu,

De gib nau mah moktaf rafiqu.«

Man sieht, daß diese Verse sich reimen. Ins Deutsche übersetzt, lauten sie:

»Immer näher der Heimat.

Singen und freuen wir uns herzlich,

O Gott, gib gute Fahrt,

 

Wind und den Ruderern Kraft!«

Jetzt kam das erste Schiff um die Krümmung. Es war ein Sandal und hatte volle Segel an den zwei Masten. Vom Vordermast ging das Zugseil nach dem jenseitigen Ufer, an dem man etwa ein Dutzend Männer sah, welche sich vorgespannt hatten. Hinten neben dem Steuermann standen zwei Personen, welche sehr in die Augen fielen, eine sehr lange und sehr dürre, in arabische Tracht gekleidete Gestalt und neben derselben ein Mann, dessen Kleidung aus drei Stücken bestand. Das erste war eine Art Badehose, welche kaum bis an das Knie reichte, das zweite ein Pantherfell, welches ihm hinten von den Schultern niederhing, und das dritte eine sehr hohe, zuckerhutförmige Kopfbedeckung, welche ganz mit Kaurimuscheln bedeckt war und von deren Spitze bunte Glasperlen herabhingen. Sein Gesicht war nicht ganz negerschwarz.

»Der Lange ist Abu el Mot,« sagte der »Sohn des Geheimnisses«.

»Ist er es?« antwortete der Graue. »Diesen Kerl muß ich mir genau betrachten.«

Er legte sein Fernrohr auf den Rand des Bootes und richtete es nach dem berüchtigten Sklavenjäger. Dann fuhr er fort:

»Er hat freilich ganz das Aussehen des Todes. Dieser Mensch ist ein wahres Gerippe. Wer mag der andre sein, welcher neben ihm steht?«

»Er ist ein Beng-did der Nuehr, denn bei ihnen dürfen nur die Anführer solche Mützen tragen. Siehst du die Schwarzen, welche mit den Stoßstangen arbeiten und dabei singen? Das sind Nuehr. Ich ersehe das aus der Art und Weise, wie sie ihr Haar tragen.«

»So kommt dieser Abu el Mot viel eher, als ich dachte. Wie weit haben wir noch bis zur Seribah Madunga?«

»Wir werden sie gerade mit Sonnenuntergang erreichen. Sie liegt am rechten Ufer des Stromes; darum hat Abu el Mot sich an das linke gehalten. Wären wir nicht so schnell umgekehrt, so hätten diese Leute uns jetzt schon entdeckt. Weil ihnen die Lebensmittel fehlen, beeilen sie sich sehr und verlassen sich nicht bloß auf den Wind.«

Dieser war dem Sandal günstig, denn er kam aus Nord. Die Stoßstangen vermehrten die Geschwindigkeit des Fahrzeuges so, daß die Leute, welche am Ufer am Seile zogen, Trab laufen mußten.

Als der Sandal vorüber war, erschien das zweite Schiff, ein etwas kleinerer Noqer, welcher auch unter vollen Segeln ging und überdies vom Ufer aus am Seile gezogen wurde. Sein Deck war von Nuehrs gefüllt.

Das Lied war zu Ende; man hörte wieder das einfache heh lih, heh – lih, welches desto leiser wurde, je weiter sich die beiden Schiffe aufwärts entfernten. Doch erst nach einer Viertelstunde hatten sie eine so genügende Strecke zurückgelegt, daß der »Sohn des Geheimnisses« sagen konnte:

»Jetzt kann man uns nicht mehr sehen. Es war mir doch bange, als sie vorüberkamen. Allah sei Dank, daß wir nicht entdeckt worden sind!«

»Pah! Was hätte uns geschehen können!« meinte der Graue.

»Zu Sklaven hätte man uns gemacht.«

»Auch mich?«

»Uns sicher.«

»Wir hätten uns gewehrt.«

»Wahrscheinlich ohne Erfolg. Deine Waffen sind vortrefflich, aber wir wären doch zu schwach gegen diese Übermacht gewesen. Besser ist es auf jeden Fall, daß wir gar nicht gesehen worden sind. Jetzt wollen wir fort.«

Der Anker wurde aufgenommen, und dann nahm das Boot die unterbrochene Fahrt wieder auf. Die Ruderer strengten ihre Kräfte doppelt an, um die versäumte Zeit einzubringen.

Als die Sonne hinter dem linken Ufer des Stromes und den dort stehenden Bäumen verschwunden war, zeigte es sich, daß der Steuermann ganz richtig geschätzt hatte. Man sah am rechten Ufer eine breite Mischrah, unter welchem Worte man eine Landestelle für Schiffe, eine Tränkstelle für die Herden und zugleich einen Weg versteht, welcher vom hohen Ufer herab nach dem Flusse führt.

»Das ist die Seribah,« sagte der »Sohn des Geheimnisses«.

»Das?« fragte der Graue, indem er den Platz betrachtete. »Man sieht doch nichts von ihr!«

»Weil sie nicht am Wasser, sondern auf dem Thaharah liegt. Ich kenne den Herrn, welchem sie gehört, und weiß, daß er uns willkommen heißen wird.«

Er steuerte das Boot nach der Mischrah und legte an derselben an. Man ließ den Anker fallen und befestigte das Fahrzeug außerdem an einen der Pfähle, welche zu diesem Zwecke eingerammt waren. Ein zur Seribah gehöriger Kahn lag nicht am Ufer. Man pflegt die Boote innerhalb der Umzäunung aufzubewahren, damit sie nicht weggeführt werden können.

Pfotenhauer glaubte, daß seine Ankunft von der Niederlassung gar nicht bemerkt worden sei; aber er irrte sich, denn kaum war er ausgestiegen, so scholl es hinter einem nahen Gebüsch hervor:

»Halt, nicht weiter! Wer seid ihr?«

Er blickte nach der Stelle hin und sah einige Flintenläufe durch die Zweige auf sich gerichtet. Seine Nase schwang sich sofort nach der entgegengesetzten Seite des Gesichtes, als wolle sie es verhüten, von einer Kugel getroffen zu werden.

»Thut die Flinten weg!« antwortete er. »Wir kommen nicht in feindlicher Absicht.«

»Woher kommt ihr?« lautete die weitere Frage, ohne daß ein Mensch sich sehen ließ. »Antwortet, oder ich muß schießen!«

Die Stimme des verborgenen Sprechers klang eigentümlich schnarrend, als ob er die Laute alle hinten am Gaumen bilde. Der »Sohn des Geheimnisses« hatte sich noch im Boote zu schaffen gemacht. Jetzt stieg er als der Letzte aus und rief als Antwort nach dem Busche hin:

»Du kannst es glauben, daß wir Freunde sind. Ich erkenne dich an deiner Stimme, el Schachar. Komm nur hervor!«

»Dieser junge Mensch kennt meinen Namen,« erklang es wieder, »folglich habe ich nichts zu befürchten. Wir kommen.«

Das Gesträuch teilte sich, und es erschien ein alter, graubärtiger Mensch, der eine lange Flinte in der Hand hielt. Ihm folgten drei andre. Sie waren Weiße, aber ganz so spärlich bekleidet, wie die Neger es gewöhnlich sind.

»Woher kennst du mich denn?« fragte er, indem er näher kam.

»Das wirst du dir gleich selbst sagen, wenn du mich genauer anschaust.«

»So? Ich habe dich noch nie – —« er hielt inne, betrachtete den Jüngling noch einmal und fuhr dann fort: »Solltest du der Knabe sein, welcher damals so gern Abd el Mot kennen lernen wollte?«

»Ja, der bin ich.«

»Allah! Bist du wirklich der Junge, welcher besser schiessen konnte als ich? Dann hast du dich sehr zu deinem Vorteile verändert. Als ich dich nicht wiedersah, glaubte ich, dir sei bei Abd el Mot ein Unglück zugestoßen. Ich habe mich also geirrt, und das freut mich sehr. Sei mir willkommen!«

Er reichte dem jungen Manne freundlich die Hand. Dieser schüttelte ihm die seinige und fragte:

»Ist der Herr der Seribah daheim?«

»Nein. Er ist hinüber nach Jau geritten, um Pulver zu holen. Darum hat er mir selbst die Bewachung der Mischrah anvertraut. Du weißt, daß er sich auf mich verlassen kann.«

»Ja, du bist der älteste Askari dieser Seribah. Sahst du zwei Schiffe vorübersegeln?«

»Wir sahen sie, haben sie aber nicht angesprochen.«

»Weißt du, wer sich auf denselben befand?«

»Nein. Sie hielten sich hart an das andre Ufer, und der Fluß ist hier so breit, daß man wohl die Schiffe, nicht aber die Menschen, welche sich darauf befinden, sehen kann.«

»Es war Abu el Mot.«

»Dieser? Der Schetan mag ihn fressen! Wäre er näher vorübergekommen, so hätte ich ihm eine Kugel gegeben. Wer aber ist denn dieser fremde Mann, und was will er hier?«

Er deutete auf Pfotenhauer.

»Er ist ein väterlicher Freund von mir,« antwortete der Steuermann, »und wünscht einige Tage hier bleiben zu dürfen, um Bekannte zu erwarten, welche ihn hier abholen wollen.«

»Er wird willkommen sein. Führe ihn hinauf in die Seribah zum Lieutenant, welcher während der Abwesenheit des Herrn das Kommando führt! Das Boot könnt ihr hier lassen. Ich werde es bewachen.«

Der »Sohn des Geheimnisses« wandte sich wie einer, welcher den Weg genau kennt, der Mischrah zu und forderte den Grauen auf, ihm zu folgen. Die Niam-niam kamen schweigend hinterdrein.

Es hatte früher hier Wald gegeben, doch war er so gelichtet worden, daß er diesen Namen nicht mehr verdiente. Das Ufer war ziemlich steil und sehr hoch, doch verursachte der Aufstieg keine Beschwerde, denn der Weg war von täglich nach dem Flusse zur Tränke geführten Herden breit ausgetreten.

Als Pfotenhauer oben ankam, sah er die Seribah vor sich liegen. Sie war von größerem Umfange als diejenige Abu el Mots und besaß etwas, was hier eine große Seltenheit genannt werden mußte, nämlich ein aus Stämmen und Brettern errichtetes Türmchen, um welches eine schmale Galerie führte. Das war das Minaret der Seribah.

Vor dem Thore, welches durch die starke Umzäunung führte, stand ein Wachtposten, welcher die Ankömmlinge eintreten ließ, ohne eine Frage auszusprechen. Jetzt konnte man die zahlreichen Tokuls sehen, aus denen diese Niederlassung bestand. Zwischen den Hütten herrschte ein reges, kriegerisches Leben. Es sah aus, als ob man sich hier zu einem Kriegszuge rüste.

Rechts und links von dem Minaret stand je ein größerer Tokul, nach welchem der »Sohn des Geheimnisses« seine Schritte lenkte, ohne auf die neugierigen Blicke zu achten, mit denen er von den Bewohnern der Seribah angeschaut wurde.

»Rechts wohnt der Herr und links der Lieutenant,« erklärte er dem Deutschen. »Da der erstere nicht anwesend ist, müssen wir uns dem letzteren melden.«

Sie hatten den links liegenden Tokul noch nicht ganz erreicht, als der Herr desselben aus der Thür trat. Er sah überrascht auf, als er die Nahenden erblickte; kaum aber hatte er den Jüngling gesehen, so rief er aus:

»Knabe, du bist es? Du lässest dich wieder einmal sehen! Wir glaubten dich verloren. Sei willkommen, und sage, wen du uns bringst! Das sind Niam-niam. Soll ich sie zu Sklaven machen?«

Er war vielleicht noch älter als der »Schnarcher«, welcher unten am Flusse Wache stand. Auch er schüttelte dem Jünglinge die Hand; dieser antwortete:

»Sie sind meine Brüder, denn ich wohne bei ihnen. Ich komme, um dir diesen fremden Effendi zu empfehlen, welcher für einige Tage dein Gast sein möchte.«

Er deutete auf den Deutschen. Der Lieutenant reichte auch diesem die Hand und sagte:

»Wer du auch bist, ich heiße dich willkommen, da dich dieser Knabe zu mir bringt. Er mag deine Niam-niam zu unsern Negern führen, bei denen sie sich wohlbefinden werden. Dir aber will ich den Tokul anweisen, welcher für unsre Besucher bestimmt ist. Folge mir!«

Er brachte den Grauen nach einer Hütte, deren Bestimmung man ihr bereits von außen anmerkte, denn sie war sorgfältiger gebaut und sah viel sauberer aus als die andern Bauwerke, obgleich sie aus dem gleichen Materiale bestand. Das Innere entsprach dem Äußeren. Der Boden war mit Fellen belegt, und auf der sich rundum ziehenden Erhöhung, welche als Sitz und Schlafstätte diente, lagen weiche Decken. In der Mitte hing eine Lampe herab, und in der Wand waren sogar einige Fensteröffnungen angebracht.

»Dieses Haus ist dein,« sagte der Lieutenant. »Mache es dir bequem! Ich gehe, dir einen Diener zu senden, welcher den Befehl erhält, dir alles zu bringen, was du bedarfst. Wenn du ausgeruht hast, werde ich dich besuchen.«

Pfotenhauer konnte mit diesem Empfange sehr zufrieden sein. Er hatte ein eigenes Haus bekommen, ohne nach seinem Namen und seinen Absichten gefragt zu werden.

Als der Lieutenant den Tokul verlassen hatte, ertönte draußen der weithin hörbare Ton des Klangbrettes, und dann erscholl die Stimme des Ausrufers:

»Eilt zum Gebete! El Mogreb ist da, denn die Sonne will im Westen verschwinden. Es ist nur ein Gott, und Mohammed ist sein Prophet. Bezeuget, daß es nur diesen einen gibt! Allah akbar, Allah hu akbar!«

Der Deutsche trat an das Fenster und erblickte den Ausrufer auf der Galerie des Türmchens. Unten lagen die Leute auf den Knieen, um zu beten. Er konnte von seinem Fenster aus in gerader Richtung bis nach dem Thore sehen, durch welches er gekommen war. Eben als der Ausrufer seinen Spruch begonnen hatte, waren dort mehrere Männer erschienen, von denen anzunehmen war, daß sie nicht zu der Seribah gehörten. Auch sie waren auf die Kniee gesunken. Nach dem Gebete erhoben sie sich wieder und schritten auf den Tokul des Lieutenants zu.

Sie waren Soldaten, aber nicht etwa Asaker einer Seribah, sondern wirkliche Soldaten, denn sie trugen, nur einen ausgenommen, die Uniform des Vicekönigs. Der Voranschreitende war Offizier. Er trug die Abzeichen eines Kolarghasi. Neben ihm ging ein kleiner Kerl, welcher auch in eine Uniform gekleidet war, aber in was für eine! Er hatte nämlich eine blaue Hose an, deren Beine nur das Knie erreichten. Darüber trug er einen uralten, roten, englischen Militärfrack, auf dessen Achseln mächtige wollene, französische Epauletten befestigt waren. Um den Kopf war eine Art Turban geschlungen, von dem lange Federn herabhingen. Da der Frack vorn weit auseinander ging, sah man, daß dieser Mann weder eine Weste noch ein Hemd hatte. Um die Taille ging ein Ledergurt, in welchem zwei Pistolen und ein Messer steckten; auch hingen mehrere Beutel an demselben, welche wohl verschiedene notwendige Kleinigkeiten enthielten. In der Hand trug er ein altes, schweres Gewehr, welches von ungewöhnlich großem Kaliber war.

 

Dieser Mann trat mit dem Offizier bei dem Lieutenant ein. Die vier Soldaten, welche mit ihnen gekommen waren, blieben vor der Thür stehen.

Das war es, was der Graue bei dem schnell scheidenden Tageslichte hatte sehen können; dann wurde es dunkel, und ein Neger kam herein, um die Lampe anzubrennen und zu melden, daß er der verheißene Diener sei. Er entfernte sich wieder, um gleich darauf dem Gaste einen Krug voll Merissah und einige neugebackene Fladenbrote zu bringen.

Kurze Zeit später kam der »Sohn des Geheimnisses« zu dem Deutschen, um zu erfahren, ob es ihm in seiner Wohnung gefalle.

»Ganz gut,« antwortete dieser. »Wo wohnst denn du?«

»In dem Tokul des ‚Schnarchers‘, welcher sich sehr darüber freuen wird, mich bei sich zu finden, wenn er abgelöst worden ist.«

»Ich war ganz erstaunt, zu hören, daß ihr einander kennt. Du warst schon hier?«

»Wie du gehört hast, ja.«

»Wie lange?«

»Mehrere Monate.«

»Wann?«

»Vor vier Jahren.«

»Was wolltest du hier?«

»Herr, das ist ein Geheimnis.«

»So! Ich hörte, daß es sich dabei um Abd el Mot gehandelt hat. Du hast also ihn und Abu el Mot schon früher gekannt?«

»Ja, Effendi.«

»Ohne mir ein Wort davon zu sagen!«

»Zürne mir nicht! Es ist das eine Sache, von welcher ich nicht spreche.«

»Ich beabsichtige keineswegs, in deine Geheimnisse zu dringen. Aber sage mir nur das Eine, ob du damals allein oder in Begleitung hieher gekommen bist!«

»Auch hiervon spreche ich nicht gern.«

»Gut! Hast du die Fremden gesehen, welche vorhin gekommen sind?«

»Ja. Ich war dabei, als der Lieutenant mit ihnen sprach. Der Offizier ist mit einer Dahabiëh bis in die Nähe der Seribah gekommen und hat angefragt, ob er unten an der Mischrah Anker werfen darf.«

»Woher kommt er?«

»Stromaufwärts. Er fragte, ob der Lieutenant nicht wisse, ob Abu el Mot auf seiner Seribah angekommen sei.«

»Hast du nicht gefragt, ob dieser Offizier vielleicht Reisende auf seinem Schiffe habe?«

»Nein. Er sprach mit dem Befehlshaber, nicht aber mit mir.«

»Es ist doch leicht möglich, daß sich der Bruder meines Gefährten auf dieser Dahabiëh befindet. Ich werde zu dem Hauptmann gehen, um ihn zu fragen.«

»Er ist nicht mehr hier, sondern mit seinen Soldaten wieder fort, um das Schiff herbeizuholen.«

»So muß ich warten, bis er zurückkehrt.«

»Das ist nicht notwendig, denn sein Begleiter, welcher das Kleid eines Babral trägt, ist hier geblieben. Soll ich ihn zu dir senden?«

»Ja, hole ihn!«

Der »Sohn des Geheimnisses« ging, und bald darauf trat der Rotbefrackte ein. Sein Gesicht war voller Pockennarben, und vielleicht war es eine Folge dieser Krankheit, daß sein Bart nur aus wenigen Haaren bestand, welche er aber steif gummiert hatte, daß sie wie Borsten nach den Seiten standen. Er verbeugte sich auf orientalische Weise und sagte:

»Ich höre, daß du ein Effendi bist und mich sprechen willst. Was hast du mir zu sagen?«

»Ich wollte gern wissen, woher die Dahabiëh kommt, auf welcher du gefahren bist.«

»Sie kommt von Faschodah herauf.«

»Ah! Hast du dich gleich von Faschodah aus auf diesem Schiffe befunden?«

»Ja.«

»Wer sind die Passagiere?«

»Lauter Soldaten.«

»Sind keine Civilisten dabei?«

»Einige.«

»Wer sind diese Leute?«

»Vor allen Dingen ich!«

»Du bist also nicht Soldat?«

»Nein.«

»Trägst aber doch Uniform?«

»Weil es mir so beliebt, und weil meine Reise eine kriegerische ist.«

»Willst du mir deinen Namen sagen?«

»Meinen eigentlichen Namen würdest du nicht aussprechen können. Gewöhnlich werde ich Abu el Hadascht scharin, ‚Vater der elf Haare‘, genannt. Bei mir befindet sich mein Kamerad Abu Dihk, der ‚Vater des Gelächters‘.«

»Weiter niemand?«

»Noch einer, ein großer Gelehrter und Effendi, dessen Freund und Adjutant ich bin.«

»Wie heißt er?«

»Abu ‚l arba ijun, ‚Vater der vier Augen‘.«

»Der vier Augen. So trägt er wohl eine Brille?«

»Ja.«

»Wo will er hin?«

»Zu den Niam-niam, und vorher nach der Seribah, welche Abu el Mot gehört.«

Bisher hatte der Deutsche gesessen; jetzt sprang er auf und rief:

»Er ist ein Fremder, ein Deutscher, und heißt Schwarz?«

»Das ist er, und so heißt er, ja. Kennst du ihn?«

»Nein; aber ich kenne seinen Bruder, der ihm entgegengefahren ist. Also er ist da; er ist hier; er wird mit der Dahabiëh kommen?«

»So ist es. Ich werde jetzt hinunter zur Mischrah gehen, um ihn zu empfangen.«

»Ich begleite dich. Ich muß dort sein, wenn er aussteigt. Ich muß ihn begrüßen!«

»So komm! Deine Begleitung ist mir nicht unangenehm.«

Er sagte das in dem Tone eines Gönners, welcher sich in guter Stimmung befindet. Pfotenhauer nahm das ruhig hin. Sie verließen den Tokul und auch die Seribah, ohne von dem Thorposten angehalten zu werden, und schritten zum Strom hinab. Dort stand der »Schnarcher« noch mit seinen Leuten. Das Boot, mit welchem der Deutsche gekommen war, lag am Ufer. Da es bequeme Sitze bot, setzten sich die beiden hinein.

»Also du bist sein Freund und Adjutant! Seit wann denn?« fragte der Graue.

»Seit Faschodah. Wir lernten uns in der Wüste kennen, wo wir zwei Löwen töteten und die Homr besiegten, welche uns überfallen wollten. Er ist ein außerordentlich tapferer und gelehrter Mann.«

»Das weiß ich.«

»Und er thut nichts ohne mich!« fügte der Kleine wichtig hinzu.

»So! Dann seid ihr wohl recht vertraut miteinander?«

»Außerordentlich! Wie zwei Brüder! Das versteht sich auch ganz von selbst, da auch ich Gelehrter bin.«

»Du?«

»Ja, ich! Glaubst du das?«

»Ich glaube es, da du mir bis jetzt das Gegenteil noch nicht bewiesen hast.«

»Das wird auch nie bewiesen werden. Bei meinem Latein nehme ich es mit einem jeden auf.«

»Latein?« fragte Pfotenhauer erstaunt. »Wie kommst du auf dieses Wort?«

»Wort? Ich spreche ja die ganze lateinische Sprache!«

»Unmöglich! Wo hättest du das gelernt?«

»Bei dem berühmten Mathias Wagner, mit dem ich den ganzen Sudan bereist habe. Er war mein Landsmann.«

»Landsmann? Soviel ich weiß, war Wagner ein Ungar aus dem Eisenstädter Komitate!«

ÉDas stimmt. Auch ich bin ein Magyar, aus Nagy Mihaly bei Ungvar. Doktor Schwarz ist ganz glücklich, in dieser abgelegenen Welt mit mir deutsch sprechen zu können.«

»Was, du sprichst auch deutsch?«

»Ausgezeichnet!«

»Wirklich, wirklich? Das freut mich ungemein, denn ich bin auch ein Deutscher!«

Der »Vater der elf Haare« fuhr freudig erschrocken auf und rief, indem er sich sofort der deutschen Sprache bediente:

»Was? Wie? Ein Deutsches seinte Sie?«

»Ja, freilich!« antwortete der Graue in derselben Sprache.

»Woher?«

»Aus Bayern.«

»O, das seinte schön, das seinte gut! Ich warrr geweste auch in Land, bayrisches.«

»So! Das g‘freut mich halt außerordentlich, wann‘s meine Heimat kennen.«

»Ja, ich seinte gebliebte in München, wo ich hatt trunkte Bier, Sedlmeirisches; ich hatt dazu gegeßte Rettich, schwarzigen, und Würstel, senftigte.«

»Ja, a gutes Bier mit Rettich und auch Würstel, das ist bei uns zu haben; darauf versteht man sich bei uns in Bayern. Aber wann‘s aan Ungar sind, so heißen‘s doch nicht von Haus aus ‚Vater der elf Haare‘. Wie ist denn Ihr Name?«

»Ich heißte Uszkar Istvan. Und wie seinte Namen Ihriger?«

»Pfotenhauer. Aber, erlauben Sie, was sprechen Sie denn da für aan‘ Dialekt? So was hab‘ ich noch nie g‘hört.«

»Dialekt? Ich sprechte kein Deutsch, dialektiges, sondern ein Deutsch, reinheitlichtes.«

»So! Das möcht‘ ich wohl bezweifeln. Wann Ihr Latein auch ein so reines ist, so könnten‘s Ihna für Geld hören lassen.«

»Ja, das hätt‘ ich gekonnte. Ich sein geweste stets Philolog, erstaunlicher, und Pomolog, bedeutender!«

»Alle Wetter! Das also ist Ihr Latein? Was ist denn eigentlich Philologie?«

»Philologie seinte Wissenschaft von Baum, mit Äpfel und Birnen.«