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Die Sklavenkarawane

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Schwarz hatte die angegebene Entfernung springend zurückgelegt. Er schlug einen Araber mit dem Gewehrkolben nieder und im nächsten Augenblicke einen zweiten. Zornige Flüche er schallten.

»Wer sind diese Teufel?« schrie Abu el Mot. »Drauf auf sie!«

»Rettet euch!« schrie ein andrer. »Wir sind vom Schech verraten!«

Er drängte zurück. Eben wollte Schwarz den dritten niederschlagen, um dann an den Anführer zu kommen. Zu gleicher Zeit holte der »Vater des Gelächters« gegen einen andern aus, welcher an Schwarz vorüberfloh. Er drang hinter diesem drein, glaubte, ihn mit dem Hiebe noch zu erreichen, erhielt aber dabei von einem weiteren Flüchtling einen Stoß und – – schlug dem Deutschen mit seinem halben Lanzenschaft so gegen das Ohr und die Schläfe, daß Schwarz zur Seite taumelte und fast ohne Besinnung niederfiel.

»Allah!« schrie der erschrockene Kleine. »Habe ich dich ermordet, Effendi?«

»Beinahe!« antwortete der Gefragte, indem er sich langsam und nur schwer erhob. »Laßt sie fliehen! Wir dürfen wegen den Homr nicht von hier fort!«

Es funkelte ihm vor den Augen, doch sah er die Leute der Gum fliehen. Er legte an und sandte ihnen zwei Kugeln nach. Dann konnte er nicht widerstehen. Es brauste ihm wie eine Brandung um die Ohren. Er lehnte sich an den Felsen und schloß die Augen.

Kein Dschelabi folgte den Fliehenden. Aber der Ungar rief, als er die Schüsse des Deutschen hörte:

»So ist‘s recht! Gebt ihnen eure Kugeln! Die meinige sollen sie auch haben.«

Er erhob seinen schweren Katil elfil und zielte auf den Flüchtling. Sein Schuß krachte, und der Mann stürzte nieder.

Die Dschelabi standen bei Schwarz, laut klagend über ihn.

»Was ist geschehen?« fragte der Slowak.

»Ich habe den Effendi erschlagen!« jammerte der »Vater des Gelächters«, indem er aus Verzweiflung das lustigste Gesicht der Welt machte.

»Bist du toll?«

»Nein. Ich wurde gestoßen.«

»Dummkopf! Du hast vor lauter Völkern und Dörfern, welche unter deinem Schädel stecken, nicht gesehen, wohin du schlugst! Effendi, Effendi, bist du tot?«

»Nein,« antwortete Schwarz, indem er die ihn überkommene Ohnmacht mit Anstrengung von sich abschüttelte und sein Gewehr, welches ihm entfallen war, aufhob.

»Allah sei Dank! Dieser ‚Vater der hintern Löwenhälfte‘ ist mit Blindheit geschlagen gewesen, und wir müssen – – —«

»Still!« gebot ihm der Deutsche. »Wir haben mehr zu thun. Ich sehe vier Teilnehmer der Gum hier liegen. Das ist weniger als ich dachte. Bindet sie! Wahrscheinlich sind sie nur betäubt.«

Er trat zur Felsenecke, von welcher aus er das Feuer sehen konnte. An demselben standen die Homr, welche nicht wußten, was sie denken sollten. Er nahm an, daß sie dort bleiben würden, bis sie von irgend einer Seite Aufklärung erhielten. Darum fuhr er fort:

»Bleibt hier! Vielleicht kann ich ein Kamel oder mehrere erbeuten.«

Er rannte fort, in der Richtung, in welcher die Araber geflohen waren. Er wußte, wo sie gelagert hatten. Auch ihre Kamele waren gefesselt gewesen, und da diese Tiere nicht schnell zum Aufstehen zu bringen sind, so mußten die Flüchtigen dort jedenfalls länger verweilen, als ihnen lieb war, da sie doch anzunehmen hatten, daß man sie verfolgen werde.

Sein zweites Gewehr hatte er über dem Rücken hängen; das erste lud er im Laufen. Dabei kam er an der Stelle vorüber, wo der von der Kugel des Slowaken Getroffene lag. Dieser regte sich nicht.

Hatte er vorhin, als er vorsichtig sein mußte, über eine Viertelstunde gebraucht, um an die Gum zu kommen, so ging es jetzt schneller. In weniger als zwei Minuten war er der Stelle nahe. Er sah die Gruppe der Männer, welche sich um die Kamele bemühten. Da blieb er stehen und schoß ein-, zweimal auf sie. Jeder von ihnen hatte vor allen Dingen sein eigenes Tier von den Fesseln befreit. Das sollte gerade auch mit den fünf übrigen Kamelen geschehen, als die beiden Schüsse krachten, von denen einer der Araber verwundet wurde.

»Fort!« schrie Abu el Mot, der sich unter den Entkommenen befand. »Laßt die Bestien liegen, denn die Schejatin sind hinter uns her!«

Und als Schwarz nun auch die beiden Schüsse seines andern Gewehres abgab, war kein Halten mehr. Die um fünf Menschen und Tiere verringerte Gum flog davon, in die Nacht hinein.

Schwarz näherte sich vorsichtig den Tieren, da leicht ein Feind hinter denselben sich versteckt haben konnte. Er überzeugte sich jedoch bald, daß dies nicht der Fall war. Die fünf Sättel lagen daneben, ebenso mehrere Kirban und Dattelsäcke.

Da nicht anzunehmen war, daß die Gum zurückkehren werde, so ließ der Deutsche die Tiere samt diesen Gegenständen liegen und eilte dem Felsen wieder zu. Die Folgen des Hiebes, den er kurz zuvor erhalten hatte, waren überwunden und sein Kopf wieder leicht und frei wie vorher.

Die Dschelabi standen bei den vier Gefesselten, welche sich noch nicht regten.

»Sind noch Stricke, Riemen oder Schnüre vorhanden?« fragte Schwarz.

»Genug, Herr,« antwortete der Slowak. »Ein Dschelabi hat deren stets in seinen Taschen.«

»So binden wir jetzt auch die Homr.«

»Wenn sie es sich gefallen lassen!«

»Versuchen wir es.«

Er ging wieder an die Ecke. Die Homr standen noch immer wartend am Feuer. Sie hatten die Schüsse und das Geschrei gehört und sagten sich, daß der Überfall nicht in der gewünschten und auch erwarteten Weise verlaufen sei; aber wie die Angelegenheit stand, das vermochten sie sich nicht zu sagen, da sie nicht hatten sehen können, was geschehen war. Nur das war ihnen gewiß, daß der Deutsche und die Dschelabi nicht geschlafen, sondern sich verteidigt hatten. Wer aber war da Sieger geblieben? Die Klugheit riet ihnen, sich entfernt zu halten und das Kommende abzuwarten.

Sie konnten nicht bis zur zweiten Lagerstätte, wo das Feuer nicht mehr brannte, sehen, doch war alle ihre Aufmerksamkeit nach dieser Gegend gerichtet. Da sahen sie den verhaßten Deutschen von dort herkommen. Er hatte seine Gewehre zurückgelassen. Seine Absicht war, sich zunächst des Schechs zu bemächtigen.

»Habt ihr das Schießen gehört?« fragte er in hastiger Weise.

»Ja,« antwortete der Schech. »Wer ist es gewesen, und was hat es gegeben?«

»Weiß ich es? Ich erwachte von dem Lärm und sah, daß die Dschelabi nicht mehr da waren. Ich suchte nach ihnen und hörte Schüsse im Osten von hier. Ihr seid wach gewesen und müßt also besser als ich wissen, was sich ereignet hat.«

»Nichts wissen wir, gar nichts, Effendi! Wir glaubten die Schüsse kämen aus euren Gewehren und es sei abermals ein Löwe erschienen.«

»Dann müßte er die Dschelabi mit Haut und Haar verschlungen haben, da sie vom Lagerplatze verschwunden sind. Nein, es muß etwas andres gegeben haben. Willst du nicht einmal mit mir nachsehen?«

»Ja, sogleich, ich komme mit.«

Es war gegen alle seine Wünsche, den Deutschen noch am Leben zu sehen. Wo waren die Dschelabi, und wo waren die Männer der Gum? Er brannte vor Begierde, es zu erfahren; darum ging er so bereitwillig auf den Vorschlag des Gelehrten ein.

Die beiden entfernten sich nach der erstgenannten Felsenecke hin. Als sie um dieselbe bogen, erblickte der Schech die Dschelabi, und es entfuhr ihm die unvorsichtige Frage.

»Da sind sie ja! Wo aber ist die Gum?«

»Die Gum?« antwortete Schwarz. »Du gibst also zu, von ihr zu wissen! Für so aufrichtig habe ich dich nicht gehalten.«

»Die Gum – Effendi – die Gum ist – ist – ist – ich habe – – —« stotterte er.

»Schon gut! Bindet ihn!«

Indem er diesen Befehl gab, faßte er ihn mit beiden Händen am Halse und drückte ihm die Kehle so zusammen, daß der Homr keinen Laut ausstoßen konnte. Es wurden demselben sofort Riemen um die Hände und Füße gebunden, worauf man ihn auf die Erde legte.

Jetzt rief Schwarz den erwartungsvoll am Feuer stehenden Homr zu:

»Suef el Abalik soll schnell hierher zum Schech kommen!«

Er kannte die Namen sämtlicher Homr und war überzeugt, daß der Genannte dem Rufe folgen werde. Damit derselbe nicht durch den Schech gewarnt werden könne, kniete der kleine Slowak bei dem letzteren nieder, setzte ihm die Spitze seines Messers auf die Brust und drohte:

»Gieb einen Laut von dir, so ersteche ich dich!«

Der Bedrohte wagte kaum zu atmen, und zwar nicht infolge dieser Drohung allein, sondern weit mehr noch vor Schreck über die Behandlung, welche ihm so unerwartet widerfahren war.

Suef kam. Mit ihm wurde kein überflüssiges Wort gewechselt, sondern Schwarz nahm ihn gleich, als er um die Ecke bog, bei der Gurgel. Er wurde zu Boden geworfen und gebunden. Ebenso erging es einem dritten, den Schwarz noch herbeirief.

Nun befanden sich nur noch drei Homr am Feuer, deren schnelle Überwältigung nicht schwierig war. Zwei Dschelabi blieben bei den Gefangenen. Mit den übrigen sechs ging Schwarz nach dem Feuer, wo je zwei von ihnen, ohne ein Wort zu sagen, einen Homr ergriffen. Dieselben waren so überrascht, daß sie fast gar nicht an Gegenwehr dachten. Einige zornige Fragen ihrerseits und einige kräftige Hiebe, welche sie vor die Köpfe erhielten, dann schlangen sich die Fesseln auch um ihre Arme und Beine.

Man ließ sie am Feuer liegen und schaffte dann die übrigen Homr nebst den vier Gumleuten herbei. Diese letzteren lebten, doch thaten sie, als ob sie noch betäubt seien; aber man sah, daß sie zuweilen die Augen ein wenig öffneten, um die Männer zu betrachten, denen sie in die Hände gefallen waren.

Nun schickte Schwarz drei Dschelabi ab, um den Verwundeten oder vielleicht auch Toten zu holen, welcher von der Kugel des Slowaken getroffen wurde. Als sie ihn daher brachten, zeigte es sich, daß er schwer verwundet war. Die Kugel hatte ihm den rechten Oberschenkelknochen zerschmettert, und Schwarz machte sich daran, das Bein so gut, wie die Umstände es erlaubten, zu verbinden.

Das alles geschah, ohne daß mehr als das Allernotwendigste gesprochen wurde. Die Gefangenen zumal zogen es vor, gar kein Wort hören zu lassen, wohl zumeist aus dem Grunde, weil der Schech sich schweigend verhielt.

 

Indem Schwarz das Lager in der Obhut der übrigen hinterließ, begab er sich nun mit vier Krämern nach dem Lagerplatze der Gum, um die Kamele und die bei denselben liegenden Gegenstände herbeizuholen. Als dies geschehen war, wurde einer der Dschelabi als Wache ausgestellt. Dies geschah, weil anzunehmen war, daß Abu el Mot sich wohl nicht allzu weit entfernt haben werde; er konnte wohl gar auf den Gedanken kommen, bezüglich seiner überwältigten Gefährten einen Befreiungsversuch zu unternehmen.

Als so alles Nötige geschehen war, setzten sich die Sieger um die Besiegten, und nun glaubte der Schech die Zeit sei gekommen, endlich ein Wort der Aufklärung zu verlangen.

»Allah ist unerforschlich; ihn darf kein Mensch fragen,« sagte er. »Von euch aber möchte ich erfahren, weshalb ihr mich und meine Leute überfallen und gebunden habt!«

»Das weißt du ebenso genau wie wir,« antwortete Schwarz.

»Nichts weiß ich, gar nichts!«

»Es geschieht euch viel weniger, als uns geschehen sollte. Wir sollten überfallen und getötet werden; ihr aber seid nur überfallen und gefesselt worden.«

»Wer hat euch töten wollen?«

»Die Gum, von welcher du selbst gesprochen hast.«

»Ich weiß nichts von ihr!«

»Lüge nicht! Mein Tod war längst beschlossen. Warum kamst du an unser Lager und hast meinen Arm ergriffen, um dich zu überzeugen, ob ich schlief? Wozu hattest du dann die Gum aufgesucht und die Männer derselben hierher geführt?«

»Allah akbar – Gott ist groß!« war alles, was der Schech darauf antwortete. Er wußte nun, daß man ihn überführen könne. Dennoch versuchte er, sich aufs Leugnen zu verlegen, indem er in fingiertem Zorne ausrief:

»Wer hat mich verleumdet? Wir sind deine Beschützer gewesen und müssen Dank erwarten. Anstatt dessen schlägst du uns in Banden und redest uns Übles nach. Wir sind freie Beni Arab. Wer hat euch Gewalt über uns gegeben? Und wer hat dich zum Richter über uns gesetzt? Ich fordere, daß du uns unverweilt die Freiheit wiedergibst!«

»Das kann ich nicht, eben weil nicht ich dein Richter bin. Dein Schicksal steht nicht in unsern Händen, sondern in der Hand des Mudir von Faschodah, dem wir dich morgen oder vielmehr heute übergeben werden.«

»Allah kerihm – Gott ist gnädig!« rief der Schech erschrocken. »Der Mudir ist aber unser Feind.«

»Er wird alle Veranlassung dazu haben, da er der Feind jedes Ungerechten ist. Seiner Hand wirst du nicht entgehen, selbst wenn du eure heilige Fathha und eure Sure Jesin betest. Macht ja keinen Versuch, euch zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen; er würde euch nichts nützen! Es werden weder Drohungen noch Bitten mich abhalten, euch dem Mudir zu überantworten. Er wird unsre Anklage und eure Verteidigung hören und dann sein Urteil sprechen.«

»Bedenkt, daß ihr der Rache des ganzen Stammes Homr verfallt!«

»Ich verachte den Stamm, dessen Schech sich feig verkriecht, wenn der Löwe brüllt, während arme Dschelabi den Mut haben, den ‚Herrn des Donners‘ zu töten.«

»So fürchte wenigstens Abu el Mot, den Gewaltigen!«

»Wie soll ich ihn fürchten, der vor mir davongelaufen ist! Er hat vor lauter Angst sogar vergessen, seine Kamele mitzunehmen. Gib dir keine Mühe!«

Der Schech gab sich noch weitere Mühe, Schwarz zu bewegen, die Gefangenen freizugeben, doch vergeblich. Er wendete sich endlich mit einem grimmigen Fluche ab. Keiner der andern hatte ein Wort gesprochen. Sie sahen die feste Entschlossenheit des Deutschen und fügten sich mit verhaltener Wut in ihre Lage. Jedenfalls hegten sie die Hoffnung, daß Abu el Mot kommen werde, sie zu befreien.

Diese Erwartung schien berechtigt zu sein, denn die ausgestellte Wache kam nach einiger Zeit herbei, um zu melden, daß sie eine Hyäne gesehen habe, welche aber vielleicht ein Mensch gewesen sei. Schwarz machte sich sogleich auf, dem Manne mit dem »Vater der elf Haare« zu folgen. Er führte sie an die betreffende Stelle, an welcher aber nichts mehr zu sehen war.

Schwarz entschloß sich, mit dem Ungar den Felsen in weitem Kreise zu umgehen. Indem sie das thaten, erblickten sie, als sie eine Strecke gegangen waren, wirklich eine tierartige Gestalt, welche sich zwischen ihnen und dem Felsen befand. Sie hatte ihre Aufmerksamkeit wahrscheinlich ganz auf den letzteren gerichtet und sah die beiden nicht, welche hinter ihr standen.

»Soll ich diese neugierige Dibb erschießen?« fragte Stephan, indem er das Gewehr erhob.

»Nein, denn es scheint auch mir, daß es ein Mensch ist, der auf Händen und Füßen geht, um einen etwaigen Wächter zu täuschen. Kriechen wir auf die Gestalt zu! Sie bewegt sich langsam nach der Ruine hin. Vielleicht blickt sie sich nicht um, bis wir nahe genug sind, sie zu ergreifen. Wäre es eine Hyäne, so würde sie uns schon gewittert haben.«

Sie legten sich auf die Erde, und da sie sich schneller als die geheimnisvolle Gestalt bewegten, so kamen sie ihr rasch näher. Es war ein Mensch, jedenfalls zu der Gum gehörig, welcher den lichten Haïk abgelegt hatte. Er ahnte keine Gefahr hinter sich und achtete nur auf den Felsen, den er zu gewinnen trachtete.

Die beiden kamen ihm bis auf zehn oder zwölf Schritte nahe. Da erhob sich der Ungar, sprang auf ihn zu und warf sich mit solcher Gewalt auf ihn, daß er über ihn hinwegstürzte und im Festhalten einen ganz regelrechten Purzelbaum schlug. Der Mann riß sich los, sprang auf, um zu entfliehen, lief aber dem Deutschen in die Hände, der ihn packte und ihm die Ellbogen rückwärts auf den Rücken zog.

»Eine Schnur zum Binden!« rief Schwarz dem Kleinen zu.

»Ich habe keine mehr,« antwortete derselbe, indem er aufstand.

»So zieh mir das Mendil aus der Tasche!«

Dies geschah. Der Mann versuchte zwar, sich zu wehren, aber das hatte bei der Riesenstärke des Deutschen keinen Erfolg. Er wurde an den Armen gebunden; die Beine ließ man ihm frei, da er nach dem Lager zu gehen hatte.

»Wer sendet dich?« fragte ihn Schwarz. Als er keine Antwort erhielt, setzte er ihm den Revolver an das Ohr und drohte: »Rede, oder ich schieße!«

»Abu el Mot,« stieß nun der Mann widerwillig hervor.

»Du solltest unser Lager auskundschaften?«

»Ja.«

»Wo befindet sich der Rest der Gum? Sage die Wahrheit, sonst ist es doch um dich geschehen! Ich werde mich überzeugen.«

»Südwärts von hier.«

»Wie weit?«

»Zehn Flintenschüsse.«

»Gut, vorwärts!«

Man kann sich die Wut der Homr denken, als sie den neuen Gefangenen erblickten. Ihre Hoffnung auf Rettung mußte bis auf ein Minimum verschwinden. Der Mann wurde gleichfalls an den Füßen gebunden und zu den andern gelegt.

Schwarz gab einen Schuß ab, den Abu el Mot gewiß hören mußte. Derselbe sollte denken, daß die Kugel seinem Späher gegolten habe. Dann brach er mit Hadschi Ali und dem Ungar, welche er für die Mutigsten hielt, auf, um nach der Gum zu suchen. Der »Vater des Gelächters« lieh sich dazu das Gewehr eines seiner Genossen.

Als sie, stracks nach Süden gehend, die angegebene Entfernung zurückgelegt und noch nichts gesehen hatten, schlugen sie einen rechten Winkel, und bald zeigte es sich, daß sie das Richtige getroffen hatten, denn während sie ohne Burnus gingen und also nur schwer gesehen werden konnten, sahen sie bald die Haïks der Araber schimmern.

Sie näherten sich denselben so viel wie möglich und schossen dann ihre Gewehre ab, weniger um sie zu treffen, als vielmehr, um sie in die Flucht zu jagen, was ihnen auch vollständig gelang.

»So! Die kommen nun nicht wieder!« lachte der Slowak.

»Und senden auch keinen Späher wieder aus,« stimmte Hadschi Ali bei, »denn wir würden denselben gewiß auch fangen. Allah ist uns gnädig gewesen, und wir haben über einen gefährlichen Feind gesiegt.«

»Du aber nicht, denn du hättest fast unsern besten Freund erschlagen,« antwortete der Ungar. »Auf dich werden keine Heldenlieder gedichtet.«

»Etwa auf dich, du Vater des größten Löwenmaules? Kennst du von all meinen Völkern und Dörfern nur ein einziges beim Namen?«

»Ich mag diese Namen gar nicht wissen, da sie die Augen so sehr trüben, daß man diesen Effendi für einen Räuber hält. Du hast noch niemals einen so großen Beweis deiner Klugheit gegeben wie vorhin, da du ihn fast erschlugst.«

»Haltet Frieden!« gebot der vor ihnen her schreitende Deutsche. »Auch du, Ibn el Dschidri, hast eine große Dummheit begangen.«

»Ich?« fragte der Slowak verwundert.

»Ja. Ihr habt nichts voreinander voraus.«

»Welche Dummheit sollte das gewesen sein?«

»Ich wollte Abu el Mot ergreifen; aber dadurch, daß du nicht auf meinen Befehl wartetest, sondern zu zeitig losbrachest, hast du es unmöglich gemacht. Du hättest die Leute noch einige Schritte weitergehen lassen sollen.«

»Mein Mut war zu groß, Effendi. Er ließ sich nicht mehr zügeln!«

»Nur derjenige Mut ist lobenswert, welcher sich mit Klugheit und Überlegung paart. Der Fehler Hadschi Alis hat nur mich getroffen, der deinige aber wird weit mehr Menschen schädigen. Viele Reisende und Hunderte von Sklaven werden deine Übereilung zu büßen haben. Hätte ich diesen Abu el Mot in meine Hände gebracht, so stand mit Gewißheit zu erwarten, daß der Mudir von Faschodah ihn für immer unschädlich machen werde.«

»Das ist freilich wahr, Effendi,« gestand der Kleine. »Meine Seele ist von Wehmut erfüllt und mein Herz von Reue über meine Ungeduld. Doch hoffe ich, daß du sie mir verzeihen werdest!«

»Das werde ich. Dafür erwarte ich aber, daß du nicht andern dann Vorwürfe machst, wenn du selbst welche verdienst.«

»O, diese Vorwürfe haben nicht viel zu bedeuten. Hadschi Ali ist mein bester Freund. Wir lieben uns innig; aber diese Liebe ist gerade dann am größten, wenn wir uns zanken und einander ärgern. Nicht wahr, du guter Vater des Gelächters?«

»Ja,« bestätigte Ali in vollstem Ernste, wobei er jedoch eine höchst lächerliche Grimasse zog. »Allah hat unsre Herzen verbunden, so daß sie wie ein einziges schlagen. Aber unsre Kenntnisse sind zu verschiedener Natur. Es gelingt uns nie, sie zu vereinigen. Bitten wir den Propheten, daß er es bald verbessere!«

Als die drei beim Lagerplatze erschienen, mußte den Gefangenen der letzte Rest ihrer Hoffnung auf Befreiung schwinden. Sie hatten die Schüsse gehört, und da sie den Deutschen mit seinen Begleitern so ruhig und unverletzt zurückkehren sahen, mußten sie dieselben für die Sieger in dem stattgefundenen Gefechte halten.

Schwarz stellte noch eine zweite Wache aus, obgleich er überzeugt war, daß Abu el Mot seinen Versuch nicht wiederholen werde. Die beiden Wachen hatten kein Opfer zu bringen, da nach der großen Aufregung, welche der Angriff erst der Löwen und dann der Gum hervorgerufen hatte, vom Schlafe gar keine Rede sein konnte. Übrigens war der Morgen nicht mehr fern, und man nahm sich vor, ihn unter Gesprächen und Erzählungen zu erwarten.

Da die Gefangenen nicht zu hören brauchten, was von ihnen gesprochen wurde, so schaffte man sie zur Seite, wo sie lautlos lagen wie bisher. Nur der Verwundete ließ zuweilen ein schmerzliches Stöhnen hören und dann sorgte Schwarz stets dafür, daß ihm das Bein mit Wasser gekühlt wurde.

Bei einer solchen Gelegenheit konnte der »Vater der vordern Löwenhälfte« es nicht unterlassen, dem Gelehrten einen neuen Beweis von der Größe seiner Kenntnisse zu geben, indem er in deutscher Sprache erzählte, und zwar auf die Verletzung des Gefangenen anspielend:

»So ein Bruch, beiniger, seinte gar nicht schlimm. Er wernte geheilt in Zeit, sehr kurze. Auch ich hab‘ schon einmal heilte einen solchente.«

»So? Wer war der Patient?« fragte Schwarz.

»Das seinte freilich kein Geschöpf, menschliches, sondern nur ein Kranker, voglicher, gewesente. Herrrr Wagner hatt geschießte ein Abu miah, hatt gelahmte Flügel, und Schroot gingte auch in Bein, linkiges, so daß Bein war vorzwei. Hab ich genommte Storch, verwundeten, gebundelnte fest mit Schnur, damit er sich nicht können bewegente, und ihm dann machte Schiene an Bein, mitleidiges. Dann hatt Storch immer stehente auf Bein andres, bis seinte geheilt Bein, trauriges. Herrrr Wagner hatte mich lobente dafür sehr und mich genannt einen Dramaturg, großartigen.«

»Wohl Chirurg?«

»Nein, Dramaturg!«

»Dann befinde ich mich im Irrtume. Was ist ein Dramaturg?«

»Das Wort ist aus Sprache, lateiniger, in der ich seinte Meister, unbestreitlichbarer, und heißt soviel wie ein Arzt, studiumtierter, welcher kann wieder machte zusammen alle Brüche, knochige.«

»So! Und was ist ein Chirurg?«

»Unter Chirurg verstehente man Leute, künstlerige, welche hatten gespielt und gesungte ‚Preziosa dir, dir folgen wir‘ oder auch ‚Leise, leise, frommte Weise, schwingte auf zum Sterntekreise‘. Wird geblaste Musik dazu und gegeigte Violin.«

 

»Und das thun wirklich die Chirurgen?«

»Ja. Ich selbst hatt es gesehen im Theater, Olmütziges, auf Wanderschaft, meiniger. Es seinte gewesen die Opern Preziosa, das Mädchen, zigeuneriges, und Freischütz oder Samiel, teuflischer.«

»Dann habe ich abermals eine Verwechselung zu konstatieren. Chirurg ist der Arzt dann, wenn er äußere Schäden, also auch Beinbrüche, durch äußere Mittel heilt. Ein Dramaturg aber ist ein Gelehrter, dessen Arbeiten sich zwar auf das Theater beziehen, der aber niemals selbst auftritt, wenigstens nicht in seiner Eigenschaft als Dramaturg; er ist Schauspiellehrer. Sie verwechseln die Bühne mit dem Krankenbette.«

»Das seinte doch kein Umtausch, irriger! Warum soll Bett, krankes, nicht auch vorkommte einmal auf Bühne, theateriger? Warum soll stets ich es sein geweste, welcher hatt gemacht Verwechstelung? Ich hab tragte im Kopf sehr viel Bildung, kenntnisserige!«

»Ja, wie der ‚Vater des Gelächters‘ seine Länder, Völker, Städte und Dörfer!«

»O nein! Dummheiten, seinige, sind nicht zu vergleichte mit Kenntnis meiniger. Ich habe auf Reisen, vielfältigen, sogar kennen lernte Nautik und Anthropologie.«

»So! Wirklich? Was verstehen Sie denn da unter Anthropologie?«

»Das seinte die Lehre von Meerwasser, salziges, und Schiffahrt, gesegelte und gedampfte.«

»Schön! Und was ist Nautik?«

»Nautik sein gewesente stets die Kenntnis von Mensch, zahmer und wilder, von Eskimo, thrangetrunkener, und Neger, menschengefressener.«

»Das ist schon wieder ein Versehen. Anthropologie ist Menschenkunde, und Nautik heißt Schiffahrtskunde.«

»So hab ich mich beschuldigente nur einer Umgetauschterung, kleiner und verzeihlicher. Das hat konnte leicht geschehente, weil Anthropologie also fährt auf Nautik, in Kajüte oder Zwischendeck, schiffiges. Sind gefahrte Sie schon auch auf Nilschiff, hiesigem?«

»Ja, sowohl auf Dahabiën als auch auf Sandals.«

»Aber wohl noch nicht auf Noqer, hier gebräuchlichter?«

»Nein.«

»So werdente Sie sehen Noqer in Faschodah, sobald wir seinte morgen dort ankommen.«

»Sind Sie dort bekannt?«

»Sehrrer, außerordlichente sehrrer! Ich bin gewesente dort schon oft!«

»Haben Sie den Mudir gesehen, dem ich mich vorstellen muß, und dem wir die Gefangenen übergeben wollen?«

»Ich hab begegente ihm auf Straße, öffentlicher. Sein Name seinte Ali Effendi, wird aber sehr oft auch Abu hamsah miah genennte.«

»Das habe ich gehört. Der frühere Mudir Ali Effendi el Kurdi wurde abgesetzt, weil er sich Unterschlagungen zu schulden kommen ließ. Der neue Mudir, welcher auch Ali Effendi heißt, soll sehr streng sein, besonders in Beziehung des Sklavenhandels. Sein Urteil soll, sobald er einen Schuldigen erwischt, fast stets auf fünfhundert Hiebe lauten, weshalb er gern der ‚Vater der Fünfhundert‘ genannt wird.«

»Ja. Wenn morgen wir übergebten ihm die Gum und die Homr, so erhaltente gewiß jeder von ihnen die Fünfhundert, gepfeffertige und gesalztigente.«

»Kann denn ein Mensch so viele Streiche auf die Fußsohlen aushalten?«

»Das kann ich nicht gewüßte, weil ich noch nicht hatt bekommte fünfhundert. Aber wenn sie werden gegebt auf Rücken, entblößigten, so muß sicher sterben Verbrecher, kriminellter. Aber horch! Was seinte das? Hat es nicht raschelte in Busch?«

Schwarz hatte es auch gehört. Er forderte die Dschelabi, welche auch laut miteinander sprachen, auf, zu horchen. Bei der nun eingetretenen Stille vernahm man ein ziemlich starkes Schnaufen und Schnobern, wie wenn ein Tier sich auf der Fährte nicht zurechtfinden kann.

»Allah beschütze uns!« schrie der Schech. »Das ist wieder ein Löwe! Er wird uns fressen, da wir nicht fliehen können, weil wir gebunden sind.«

»Schweig!« rief ihm der »Vater der elf Haare« zu. »Es ist höchstens ein junger Löwe. Ein alter wäre längst schon zwischen uns. Dieses junge Tier aber hat eine ungeübte Nase und wird, sobald es uns erblickt, es gar nicht wagen, zu uns zu kommen.«

»Ein Junges?« fragte Schwarz. »Das möchte ich fangen!«

»Wenn du es haben willst, so wollen wir versuchen, es in unsre Hände zu bekommen. Aber wir müssen dennoch vorsichtig sein, denn wir wissen nicht, wie alt es ist. Vielleicht ist es nur eine Hyäne, welche den Geruch des frischen Löwenfleisches wittert.«

»Ich werde nachsehen.«

Er nahm sein Gewehr und verließ das Feuer. Noch aber hatte er den Lichtkreis desselben nicht überschritten, so kam das Tier um die Ecke des Gebüsches. Es hatte ungefähr die Größe eines tüchtigen Pudelhundes, war also schon im stande, sich nachdrücklich zu wehren. Es floh nicht etwa, als es den Deutschen erblickte, sondern es legte sich glatt auf die Erde nieder und fauchte ihn wütend an, ohne aber zu wagen, auf ihn einzuspringen.

»Da ist das Tier!« rief Schwarz. »Decken her, schnell mehrere Decken her!«

Hadschi Ali und der Slowak, die beiden Einzigen, welche sich nicht fürchteten, folgten diesem Rufe möglichst schnell. Das Tier war schon zu groß zur feigen Flucht, wagte aber doch den Angriff nicht. Also blieb es liegen, indem es die glühenden Augen auf Schwarz gerichtet hielt. Diesem wäre es leicht gewesen, es durch eine Kugel zu töten, aber er wollte es lebendig haben. Er langte hinter sich, um die beiden Decken in Empfang zu nehmen, welche die Genannten brachten. Sie bestanden aus starkem, kamelhaarenem Stoffe, welcher, doppelt genommen, den Krallen und Zähnen des Tieres für kurze Zeit widerstehen konnte. Schwarz legte, die Augen unausgesetzt auf den Löwen gerichtet, die Decken aneinander, spannte sie aus und warf sie auf den jungen »Herrn mit dem dicken Kopfe«.

Dieser hatte keine Bewegung der Abwehr gemacht. Die plötzliche Verhüllung schien ihn zu erschrecken, denn er zögerte, sich zu befreien. Dadurch gewann Schwarz Zeit, sich auf ihn zu werfen und ihn mit dem Gewichte seines Körpers niederzuhalten.

Leicht wurde ihm das freilich nicht. Der Löwe entwickelte eine Muskelstärke, welche seiner Jugend kaum zugetraut werden konnte. Es gelang ihm wiederholt, sich halb aufzurichten, doch Schwarz drückte ihn wieder nieder, eifrig bemüht, dem Kopfe und den Tatzen auszuweichen.

»Stricke her, Stricke!« rief er den beiden Genossen zu.

Man hatte vieler Schnüren und Riemen bedurft, die Gefangenen zu fesseln; glücklicherweise aber ist jede Karawane stets reichlich mit Stricken und dergleichen versehen. Das Verlangte wurde rasch herbeigebracht, und es gelang den vereinten und natürlich sehr vorsichtigen Bemühungen der drei Männer, das sich aus allen Kräften sträubende Tier vollständig einzuwickeln und so fest mit den Stricken zu umwinden, daß es sich nicht mehr regen konnte.

»Hamdulillah – Preis sei Gott!« rief Hadschi Ali. »Wir haben den Würger der Herden nebst seiner Frau erschossen und nun auch seinen Sohn besiegt. Da liegt er in schmachvoller Ohnmacht; er kann nur knurren, aber nicht sich retten. Aaïb aaleïhu – Schande über ihn!«

»Allah sei Dank!« seufzte der Schech erleichtert auf. »Wir sind gerettet. Er ist gebunden und kann uns nun nicht fressen!«

»Dir wäre besser, er hätte dich verschlungen,« antwortete ihm der Ungar, »denn morgen überantworten wir dich dem Mudir, der dir fünfhundert geben lassen wird. Dann wirst du einsehen, daß die Zähne des Löwen gnädiger sind als die Peitsche der Gerechtigkeit.«

»Ich bin ein freier Ibn el Arab! Wer darf mich schlagen?« widersprach der Homr.

»Wie nennst du dich? Frei? Siehst und fühlst du denn nicht, daß du gefangen bist? Wer könnte uns hindern, dir so viele Schläge zu geben, wie uns beliebt? Du hättest es verdient; aber wir sind zu stolz, es zu thun. Doch morgen wird die Peitsche sich mit deiner Haut unterreden, bis du wünschen wirst, von dem Löwen zerrissen worden zu sein.«

Das gefangene Tier wurde am Feuer niedergelegt, wo es am besten bewacht werden konnte. Es lag wie tot und gab keinen Laut von sich.

»Der Löwe seinte Ihr Eigentum,« sagte der Slowak zu Schwarz. »Zwar hatten wir geholfte, aber Sie seinte es, der ihn vorrrrher gefangte hatt. Was werden Sie mit ihm machte?«