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Durch die Wuste

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Warum mußt du ihn behalten? Es steht dir zu jeder Zeit – —«

»Schweige,« unterbrach sie mich barsch. »Ich sage dir meine Gedanken, aber du sollst nicht mein Lehrer sein! Ich weiß selbst, was ich tue: ich werde mich rächen – rächen an allen, die mich beleidigt haben.«

»Und dennoch meinst du, daß die Religion der Liebe die richtige sei?«

»Ja; aber soll ich allein lieben und verzeihen? Sogar dafür, daß wir die heilige Stadt nicht betreten dürfen, werde ich mich rächen. Rate, wie?«

»Sage es!«

»Es ist dein heimlicher Wunsch, Mekka zu betreten?«

»Wer sagt dir das?«

»Ich selbst. Antworte mir!«

»Ich wünsche allerdings, die Stadt sehen zu können.«

»Das ist sehr gefährlich; aber ich will mich rächen und habe dich deshalb an diesen Ort geführt. – Würdest du die Gebräuche mitmachen, wenn du in Mekka wärest?«

»Es wäre mir lieb, dies vermeiden zu können.«

»Du willst deinen Glauben nicht beleidigen und tust recht daran. Gehe nach Mekka; ich werde hier auf dich warten!«

War dies nicht sonderbar? Sie wollte sich am Islam dadurch rächen, daß sie seine heiligste Stätte durch den Fuß eines Ungläubigen entweihen ließ. Als Missionär hätte ich hier eine Aufgabe lösen können – freilich nur mit großem Aufwande an Zeit und Mühe; als »Weltbummler« war mir dies unmöglich.

»Wo liegt Mekka?« fragte ich.

»Wenn du diesen Berg überschreitest, siehst du es im Tale liegen.«

»Warum soll ich gehen und nicht reiten?«

»Wenn du geritten kommst, wird man einen Pilger in dir vermuten und dich nicht unbeachtet lassen. Betrittst du aber zu Fuße die Stadt, so wird ein jeder meinen, daß du bereits dort gewesen seiest und nur einen Spaziergang gemacht habest.«

»Und du willst wirklich auf mich warten?«

»Ja.«

»Wie lange?«

»Eine Zeit, welche ihr Franken vier Stunden nennt.«

»Das ist sehr kurz.«

»Bedenke, daß du sehr leicht entdeckt werden kannst, wenn du lange verweilst. Du darfst nur einmal durch die Straßen gehen und die Kaaba sehen; das ist genug.«

Sie hatte recht. Es war doch gut gewesen, daß ich beschlossen hatte, mich von dem Augenblick leiten zu lassen. Ich erhob mich. Sie deutete auf meine Waffen und schüttelte den Kopf.

»Du gleichest ganz und gar einem Eingeborenen; aber trägt ein Araber solche Waffen? Laß deine Flinte hier, und nimm die meinige dafür.«

Da überflog mich im ersten Moment eine Art von Mißtrauen; aber ich hatte wirklich nicht den mindesten Grund, dasselbe festzuhalten. Daher vertauschte ich meine Büchse und stieg dann den Berg hinan. Als ich den Gipfel desselben erreichte, sah ich Mekka in der Entfernung von einer halben Stunde vor mir liegen, zwischen kahlen, unbelebten Höhen das Tal hinab. Ich unterschied die Citadelle Schebel Schad und die Minarehs einiger Moscheen. El Hamram, die Hauptmoschee, lag im südlichen Teile der Stadt.

Dorthin lenkte ich zunächst meine Schritte. Es war mir auf dem Wege zu Mute, wie einem Soldaten, der zwar schon bei einigen kleinen Treffen mitgefochten hat, plötzlich aber den Donner einer großen Schlacht dröhnen hört.

Ich gelangte glücklich in die Stadt. Da ich mir die Lage der Moschee gemerkt hatte, brauchte ich nicht zu fragen. Die Häuser, zwischen denen ich hinschritt, waren von Stein erbaut, und die Straße hatte man mit dem Sande der Wüste bestreut. Bereits nach kurzer Zeit stand ich vor dem großen Rechteck, welches das Beith-Allah bildet, und langsam ging ich um dasselbe herum. Die vier Seiten bestanden aus Säulenreihen und Kolonnaden, über denen sich sechs Minarehs erhoben. Ich zählte zweihundertvierzig Schritt in die Länge und zweihundertfünf in die Breite. Da ich mir das Aeußere erst nachher betrachten wollte, trat ich durch eines der Tore ein. In demselben saß ein Mekkaui[131], welcher mit kupfernen Flaschen handelte.

»Sallam aaleïkum!« grüßte ich ihn würdevoll. »Was kostet eine solche Kuleh?«

»Zwei Piaster.«

»Allah segne deine Söhne und die Söhne deiner Söhne, denn deine Preise sind billig. Hier hast du zwei Piaster, und hier nehme ich die Kuleh.«

Ich steckte die Flasche zu mir und trat zwischen den Säulen hindurch. Ich befand mich in der Nähe der Kanzel und zog meine Schuhe aus. Nun betrachtete ich mir das Innere des heiligen Hauses. Ziemlich in der Mitte stand die Kaaba. Da sie mit dem Kisua[132] vollständig bekleidet war, bot sie einen fremdartigen Anblick dar. Zu ihr führen sieben gepflasterte Wege, zwischen denen ebenso viele Grasplätze liegen. Neben der Kaaba bemerkte ich den heiligen Brunnen Zem-Zem, vor welchem mehrere Beamte an Pilger Wasser verteilten. Das ganze Heiligtum machte auf mich durchaus keinen heiligen Eindruck. Koffer— und Sänftenträger rannten mit ihren Lasten hin und her; öffentliche Schreiber saßen unter den Kolonnaden; ja sogar Obst— und Backwarenhändler waren zu sehen. Bei einem zufälligen Blick durch die Säulenreihen bemerkte ich ein Reitkamel, welches eben draußen niederkniete, um seinen Herrn absteigen zu lassen. Es war ein Tier von wundervoller Schönheit. Sein Besitzer kehrte mir den Rücken zu und winkte einen Diener der Moschee herbei, um bei dem Dschemmel zu bleiben. Dies bemerkte ich nur so im Vorübergehen, als ich zum Brunnen schritt. Ich wollte mir zunächst meine Flasche füllen lassen, mußte aber einige Zeit warten, bis die Reihe an mich kam. Ich gab dann ein kleines Geschenk, verschloß das Gefäß und steckte es zu mir. Jetzt drehte ich mich um und – stand keine zehn Schritt von Abu-Seïf.

Ein gewaltiger Schreck fuhr mir in die Glieder, doch lähmte er mir dieselben glücklicherweise nicht. In solchen Augenblicken denkt und beschließt der Mensch zehnfach schnell. Ohne auffällig zu fliehen, strebte ich mit meinen längsten Schritten den Säulen zu, außerhalb deren das Kamel des Abu-Seïf lag. Dieses Tier allein konnte mich retten. Es war eines jener fahlen Hedjihn, wie man sie am Dschammargebirge findet.

Meine Schuhe waren verloren; ich hatte keine Zeit, sie zu holen, denn schon hörte ich hinter mir den Ruf:

»Ein Giaur, ein Giaur! Fangt ihn, ihr Hüter des Heiligtumes!«

Die Wirkung, welche dieser Ruf hervorbrachte, war eine großartige. Ich hatte keine Zeit, mich umzusehen, aber ich hörte hinter mir das Getöse eines Wasserfalles, das Geheul eines Orkanes, das Stampfen und Trampeln einer nach Tausenden zählenden Büffelherde. Jetzt war es aus mit meinen gleichmäßigen Schritten. Ich schnellte vollends über den Platz hinüber, sprang zwischen den Säulen hindurch, die drei Stufen empor und stand vor dem Kamele, dessen Beine nicht gefesselt waren. Ein Fausthieb warf den Diener weit zur Seite, und im nächsten Augenblick saß ich im Sattel, den Revolver in der Hand. Aber – wird das Tier gehorchen?

»E – o – ah! E – o – ah!«

Gott sei Dank! Bei dem bekannten Ruf erhob sich das Hedjihn in zwei Rucken, und windschnell ging‘s nun dahin. Schüsse krachten hinter mir – nur vorwärts, vorwärts!

Wäre das Kamel eines jener halsstarrigen Tiere gewesen, welche man so oft findet, so war ich unbedingt verloren.

In weniger als drei Minuten befand ich mich außerhalb der Stadt, und erst dann wagte ich es, mich umzusehen, als ich beinahe die halbe Höhe des Berges hinter mir hatte. Da unten wimmelte es von Reitern, welche mich verfolgten. Die Muselmänner waren nämlich sofort in die nächsten Serais und Khans geeilt und hatten die dort vorhandenen Tiere bestiegen.

Wohin sollte ich mich wenden? Zur Tochter des Scheik, die dadurch verraten wurde? Und doch mußte ich sie warnen! Ich feuerte mein Tier durch unaufhörliche Zurufe an: seine Schnelligkeit war unvergleichlich. Oben auf der Höhe blickte ich noch einmal zurück und bemerkte, daß ich mich in Sicherheit befand. Ein einziger Reiter war mir verhältnismäßig nahe gekommen. Es war Abu-Seïf. Zufällig hatte er ein Pferd ergriffen, welches eine außerordentliche Schnelligkeit entwickelte.

Ich flog drüben den Abhang hinab. Die Tochter Maleks erspähte mich. Daß ich auf einem Kamele saß und in solcher Eile herbeigestürmt kam, dies ließ sie die Sachlage erraten. Sie schwang sich sofort auf ihr Kamel und nahm dasjenige, auf welchem ich vorher gesessen hatte, beim Halfter.

»Wer hat dich entdeckt?« rief sie mich in Hörweite an.

»Abu-Seïf.«

»Allah akbar! Verfolgt dich der Schurke?«

»Er ist mir ziemlich nahe.«

»Und viele andere?«

»Sie kommen zu spät.«

»So bleibe mir fern und fliehe immer gerade aus über Berg und Tal.«

»Warum?«

»Du sollst es sehen.«

»Ich muß erst zu dir. Gib mir meine Waffen!«

Im Vorüberreiten wechselten wir die Gewehre; dann versteckte sich die Wüstentochter hinter einem Felsenvorsprung, ohne mir zu folgen. Jetzt erriet ich ihr Vorhaben: sie wollte Abu-Seïf zwischen sich und mich bringen. Er erschien nach einigen Augenblicken oben auf der Höhe. Ich ließ mein Tier mit Absicht etwas langsamer gehen und bemerkte, daß er nun seinen Eifer verdoppelte. Während ich die nächste Bergeslehne erklimmte, galoppierte er drüben herab und quer über die Senkung herüber, ohne aus den Spuren zu bemerken, daß ich nicht allein da gewesen war. Als ich den Gipfel erreichte, sah ich auf der Höhe hinter mir bereits noch einige Verfolger, und tief unten hatte sich meine Gefährtin nun auch in Bewegung gesetzt. Ihr Vorhaben war ihr gelungen: Abu-Seïf befand sich zwischen uns; und da sie das zweite Kamel nicht mehr am Halfter führte, sondern frei nachlaufen ließ, so mußte er sie, wenn er sich umsah, für einen meiner Verfolger halten.

 

Für meine Person hatte ich nichts mehr zu befürchten, und da die andern Verfolger immer weiter zurückblieben, so war nur noch darauf zu achten, daß Abu-Seïf uns nicht entwischte. Ich suchte daher aus dem hügeligen Terrain heraus und in die Ebene zu kommen, doch in der Richtung, welche dem Lager der Ateïbeh entgegengesetzt war. Und zu gleicher Zeit zügelte ich mein Dschemmel immer mehr.

So dauerte der Ritt wohl gegen drei Viertelstunden, bis ich endlich die offene Wüste erreichte. Ich strebte in dieselbe hinein und richtete es so ein, daß sich Abu-Seïf immer außer Schußweite hinter mir befand. Jetzt erreichte auch die Tochter des Scheik den Fuß der Hügelkette, aber zu gleicher Zeit sah ich auf dem Kamme der letzten Höhe noch einen Verfolger erscheinen, der ein ausgezeichnetes Kamel reiten mußte; denn er kam uns anderen immer näher. Sein Tier war dem Pferde des Abu-Seïf weit überlegen.

Ich begann bereits Befürchtungen zu hegen, zwar nicht für mich, sondern in Beziehung auf meine Gefährtin; da sah ich zu meinem Erstaunen, daß dieser Reiter seitwärts abbog, als wolle er uns in einem Bogen überholen. Ich hielt mein Tier an und blickte schärfer zurück. War es möglich? Dort der kleine Kerl auf dem fliegenden Hedjihn sah genau so aus, wie mein Halef. Wie kam er zu einem solchen Tiere, und wie kam er hinter uns? Ich hielt mein Kamel an, um ihn noch einmal, und zwar genau, ins Auge zu fassen. Ja, es war Halef und kein anderer. Er wollte sich mir zu erkennen geben und schlug mit den Armen in der Luft herum, als ob er Schwalben fangen wolle.

Nun blieb ich ruhig sitzen und nahm die Büchse zur Hand. Der Verfolger war im Bereich meiner Stimme.

»Rrrrreee, du Vater des Säbels! Bleib fern, sonst sende ich dir eine Kugel!«

»Fern bleiben, du Hund?« schrie er. »Ich werde dich lebendig fangen und nach Mekka bringen, du Schänder des Heiligtumes!«

Ich konnte nichts anderes tun: ich zielte und feuerte. Um ihn zu schonen, hatte ich auf die Brust seines Pferdes gehalten. Es überschlug sich und begrub ihn unter sich; es wälzte sich einigemal über ihm und dann war es tot. Ich erwartete, daß er sich schleunigst hervorarbeiten werde; es geschah nicht. Entweder hatte er sich verletzt, oder er tat nur so, um mich in seine Nähe zu locken. Ich ritt sehr vorsichtig auf ihn zu und kam zu gleicher Zeit mit der Ateïbeh bei ihm an. Er lag mit geschlossenen Augen im Sande und rührte sich nicht.

»Effendi, deine Kugel ist der meinigen zuvorgekommen!« klagte das Weib.

»Ich habe nur auf sein Pferd und nicht auf ihn geschossen. Doch kann er das Genick oder etwas anderes gebrochen haben. Ich werde nachsehen.«

Ich stieg ab und untersuchte ihn. Wenn er sich nicht innerlich verletzt hatte, so war er wohl erhalten und nur betäubt. Die Ateïbeh zog ihren Handschar.

»Was willst du tun?«

»Mir seinen Kopf nehmen.«

»Das tust du nicht, denn auch ich habe ein Recht auf ihn.«

»Mein Recht ist älter!«

»Aber das meinige ist größer: ich habe ihn gefällt.«

»Das ist nach den Sitten dieses Landes richtig. Tötest du ihn?«

»Was tust du, wenn ich ihn nicht töte, sondern frei gebe oder einfach hier liegen lasse?«

»So gibst du dein Recht auf, und ich mache das meinige geltend.«

»Ich gebe es nicht auf.«

»So nehmen wir ihn mit, und es wird sich entscheiden, was mit ihm geschieht.«

Jetzt kam auch Halef herbei.

»Maschallah, Wunder Gottes! Sihdi, was hast du getan?«

»Wie kommst du an diesen Ort?«

»Ich bin dir nachgeeilt!«

»Das sehe ich allerdings. Erkläre dich ausführlicher!«

»Sihdi, du weißt, daß ich sehr viel Geld habe. Was soll ich es in meiner Tasche tragen? Ich wollte mir ein Dschemmel dafür kaufen, und ging zu einem Händler, der am südlichen Ende der Stadt wohnt. Hanneh war bei mir. Während ich mir seine Tiere besah, unter denen dieses hier das beste und so teuer war, daß es nur ein Pascha oder Emir bezahlen konnte, erhob sich draußen ein großer Lärm. Ich eilte mit dem Händler hinaus und hörte, daß ein Giaur das Heiligtum geschändet habe und geflohen sei. Ich dachte sogleich an dich, Sihdi, und sah dich auch einen Augenblick später nach der Höhe eilen. Alles drängte nach dem Hof, um Tiere zu deiner Verfolgung zu holen. Ich tat dasselbe und ergriff dieses Hedjihn. Nachdem ich zuvor Hanneh befohlen hatte, in das Lager zu eilen und dem Scheik den Vorfall zu erzählen, gab ich dem Händler, der mir das Tier nicht borgen wollte, einen Klapps und ritt dir nach, um dich zu fangen. Die andern blieben alle zurück; nun habe ich dich und auch das Dschemmel.«

»Es ist nicht dein.«

»Darüber reden wir später, Sihdi. Die Verfolger sind noch immer hinter uns; wir können nicht hier bleiben. Was tun wir mit diesem Vater des Säbels und des Betruges?«

»Wir binden ihn auf dieses ledige Kamel und nehmen ihn mit. Er wird wohl wieder zu sich kommen.«

»Und wohin fliehen wir?«

»Ich weiß den Ort,« antwortete die Ateïbeh. »Auch du kennst ihn, Halef; denn mein Vater, der Scheik, hat ihn dir gesagt für den Fall, daß du uns nicht mehr im Lager angetroffen hättest.«

»Du meinst die Höhle Atafrah?«

»Ja. Hanneh hätte dich hingeführt. Diese Höhle ist nur den Anführern der Ateïbeh bekannt, und diese sind jetzt nicht dort zugegen. Kommt, helft mir den Gefangenen binden.«

Sechs Händen war es nicht schwer, ihn auf das Kamel zu befestigen, welches mich vom Lager aus bis in die Nähe der Stadt getragen hatte. Alles, was Abu-Seïf bei sich trug, nahm die Tochter Maleks zu sich; dann stiegen wir wieder auf und eilten dem Südosten zu.

So war ich denn glücklich entkommen. Ich dachte jetzt nicht, daß ich Mekka noch einmal sehen würde, und verspare daher die Beschreibung der Stadt und ihrer Sehenswürdigkeiten bis später.

Unterwegs hatte ich von den Vorwürfen Halefs zu leiden.

»Sihdi,« meinte er, »habe ich dir nicht gesagt, daß kein Ungläubiger die heilige Stadt besuchen darf? Du hättest beinahe das Leben verloren!«

»Warum schlugst du mir meine Bitte ab, als ich Wasser verlangte?«

»Weil ich sie nicht erfüllen durfte.«

»Nun habe ich mir das Wasser selbst geholt!«

»Du warst beim heiligen Brunnen?«

»Sieh her! Das ist das echte Wasser vom Zem-Zem!«

»Allah kerihm, Gott ist gnädig, Sihdi! Er hat dich zu einem wahren Gläubigen und sogar zu einem Hadschi gemacht. Ein Giaur darf nicht in die Stadt; aber wer vom Wasser des Zem-Zem hat, der ist ein Hadschi und folglich auch ein echter Moslem. Habe ich dir nicht stets gesagt, daß du dich noch bekehren würdest, du magst wollen oder nicht?«

Das war eine ebenso drollige wie auch kühne Auffassung der Sachlage; aber sie hatte die Absicht und auch den Erfolg, das muselmännische Gewissen meines guten Halef zu beschwichtigen, und so fiel es mir nicht ein, seine Anschauung zu widerlegen.

Die Landschaft um Mekka ist außerordentlich wasserarm, und wo sich ein Brunnen befindet, ist er sicherlich der Mittelpunkt eines Dorfes oder wenigstens eines zeitweiligen Lagers. Diese Orte mußten wir meiden, und so kam es, daß wir trotz der Hitze des Tages keinen Halt machten, bis wir eine Gegend erreichten, welche sehr reich an zerklüfteten Felsen war. Wir folgten der Ateïbeh über Schutt und Geröll und zwischen mächtigen Steinblöcken hindurch, bis wir an einen Felsenspalt gelangten, der unten die ungefähre Breite eines Kameles hatte.

»Dies ist die Höhle,« sagte unsere Führerin. »Auch die Tiere können hinein, wenn wir ihnen die Sattelkissen abnehmen.«

»Wir bleiben hier?« fragte ich.

»Ja, bis der Scheik kommt.«

»Wird er kommen?«

»Er wird sicher kommen, weil Hanneh ihn benachrichtigt hat. Wenn jemand von den Ateïbeh nicht zum Lager kommt, so ist er hier in dieser Höhle zu suchen. Steigt ab, und folget mir!«

Abu-Seïf war wieder zu sich gekommen, aber er hatte während des ganzen Rittes keinen Laut von sich gegeben und stets die Augen geschlossen gehalten. Er wurde zuerst in die Höhle gebracht. Wenn man dem Spalte folgte, so wurde er immer breiter und bildete schließlich einen Raum, der groß genug für vierzig bis fünfzig Männer und Tiere war. Sein großer Vorzug bestand in dem Wasser, welches sich ganz im Hintergrunde angesammelt hatte. Nachdem wir den Gefangenen und die Kamele in Sicherheit gebracht hatten, suchten wir draußen nach dem großbüscheligen Rattamgras, welches die sehr willkommene Eigenschaft besitzt, daß es im grünen Zustande ebensogut brennt wie im getrockneten. Das war für die Nacht, denn am Tage konnte es uns nicht einfallen, ein Feuer anzuzünden, dessen Rauch unsern Zufluchtsort sehr leicht hätte verraten können.

Uebrigens brauchten wir keine Sorge zu haben, entdeckt zu werden. Unser Weg hatte uns meist über einen so steinigen Boden geführt, daß unsere Spuren sicher nicht verfolgt werden konnten.

Eine eigentümliche Entdeckung machte ich, als ich die Satteltasche meines Kameles untersuchte: sie enthielt Geld, und zwar eine nicht unbedeutende Summe.

Unsere Tiere waren ermüdet, und wir ebenso; die Fesseln des Gefangenen waren fest, und so konnten wir schlafen. Natürlich aber teilte ich mich mit Halef in die Wache. So vergingen die letzten Tagesstunden, und die Nacht brach herein. Beim Morgengrauen hatte ich die Wache. Durch ein sich nahendes Geräusch aufmerksam gemacht, lugte ich zum Spalt hinaus und sah einen Mann, der sich vorsichtig herbeischlich. Ich erkannte in ihm einen der Ateïbeh und trat hinaus.

»Allah sei Dank, daß ich dich sehe, Effendi!« begrüßte er mich. »Der Scheik hat mich vorausgesandt, um zu erforschen, ob ihr hier zu finden seid. Nun brauche ich nicht zurückzukehren, denn dies ist das Zeichen, daß ich euch hier angetroffen habe.«

»Wen vermutest du außer mir noch hier?«

»Deinen Diener Halef, die Bint el Ateïbeh und vielleicht gar noch Abu-Seïf, den Gefangenen.«

»Wie kannst du diese alle hier erwarten?«

»Effendi, das ist nicht schwer zu erraten. Hanneh kam mit den beiden Kamelen allein ins Lager und erzählte, daß du in Mekka gewesen und geflohen bist. Die Bint el Malek war mit dir geritten und hat dich sicher nicht verlassen, obgleich du eine große Sünde begangen hast. Halef kam dir nach, und hinter den Bergen fanden die Verfolger das erschossene Pferd des Dscheheïne, ihn selbst aber nicht. Ihr hattet ihn also bei euch. Freilich konnten nur wir dies erraten, die andern aber nicht.«

»Wann kommt der Scheik?«

»Vielleicht noch vor einer Stunde.«

»So komm herein.«

Er würdigte den Gefangenen keines Blickes und legte sich sofort zum Schlafen nieder. In der angegebenen Zeit langte die kleine Karawane vor der Höhle an. Man lud ab, und alles wurde hereingeschafft. Ich hatte erwartet, von dem Scheik Vorwürfe zu erhalten. Aber seine erste Frage war:

»Hast du den Dscheheïne gefangen?«

»Ja.«

»Er ist hier?«

»Unverletzt und gesund.«

»So werden wir über ihn richten!«

Bis man alles geordnet hatte, war es Mittag geworden. Nun sollte das Gericht beginnen. Vorher hatte ich aber mit Halef eine interessante Unterredung.

»Sihdi, erlaube mir eine Frage,« bat er.

»Sprich!«

»Nicht wahr, du weißt noch alles, was du über mich und Hanneh niedergeschrieben hast?«

»Alles.«

»Wann muß ich Hanneh wieder hergeben?«

»Sobald du die Wallfahrt beendet hast.«

»Aber ich habe sie noch nicht beendet!«

»Was fehlt noch?«

»Nichts, denn ich bin in Mekka mit allem fertig, da es sehr schnell gegangen ist. Aber ich möchte mein Weib behalten, und da ist es mir eingefallen, daß zu einer richtigen Hadsch auch ein Besuch in Medina gehört.«

»Das ist sehr richtig. Was sagt Hanneh dazu?«

»Sihdi, sie liebt mich. Glaube es – sie hat es mir selbst gesagt!«

»Und du liebst sie wieder?«

»Sehr! Steht nicht geschrieben, daß Allah dem Adam eine Rippe genommen und daraus die Eva geschaffen habe? Unter der Rippe liegt das Herz, und also wird das Herz des Mannes stets beim Weibe sein.«

»Aber was wird der Scheik sagen?«

»Das ist es ja, was mir Sorge macht, Sihdi!«

»Weitere Sorgen hast du nicht?«

»Nein.«

»Und ich? Was werde ich dazu sagen?«

»Du? O, du wirst mir deine Einwilligung geben, denn ich werde dich dennoch nicht verlassen, so lange du mich bei dir haben willst.«

»Dein Weib könnte aber doch nicht mit umherziehen; bedenke das!«

»Das soll sie auch nicht. Ich werde sie bei ihrem Stamme lassen, bis ich zurückkehren kann.«

»Halef, das ist eine Aufopferung, welche ich nicht verlange. Aber da ihr einander so lieb habt, so mußt du eben dein möglichstes tun, sie behalten zu dürfen. Vielleicht läßt sich der Scheik erbitten, daß du sie nicht wieder abzutreten brauchst.«

 

»Sihdi, ich gebe sie nicht wieder her, und wenn ich fliehen müßte. O sie weiß, daß ich Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah bin, und sie würde mit mir bis an das Ende der Welt gehen!«

Mit dieser selbstbewußten Versicherung schritt er stolz von dannen. Unterdessen hatte sich ein Kreis gebildet, in dessen Mitte Abu-Seïf getragen worden war. Ich ward aufgefordert, an der Verhandlung teil zu nehmen, und setzte mich neben dem Scheik Malek nieder.

»Effendi,« begann dieser, »ich habe gehört, daß du behauptest, Rechte an diesen Mann zu haben, und weiß, daß dies die Wahrheit ist. Willst du ihn uns abtreten oder willst du mit uns über sein Schicksal abstimmen?«

»Ich werde mit abstimmen, ich und Halef, denn auch er hat Rache an Abu-Seïf zu nehmen.«

»So nehmt dem Gefangenen die Fesseln ab!«

Er wurde losgebunden, blieb aber bewegungslos liegen, als ob er tot sei.

»Abu-Seïf, erhebe dich vor diesen Männern, um dich zu verantworten!«

Er blieb liegen, ohne nur die Augenlider aufzuschlagen.

»Er hat die Sprache verloren, ihr seht es, ihr Männer; warum sollen wir da mit ihm reden? Er weiß, was er getan hat, und wir wissen es auch; was könnten uns da die Worte und die Fragen nützen? Ich sage, daß er sterben muß, um den Schakalen, Hyänen und Geiern zur Speise zu dienen. Wer meiner Rede beistimmt, der mag es erklären.«

Alle gaben ihre Zustimmung. Ich allein wollte mein Veto einlegen, wurde aber durch ein unvorhergesehenes Ereignis daran verhindert. Bei den letzten Worten des Scheik nämlich erhob sich plötzlich der Gefangene, schnellte zwischen zwei der Ateïbeh hindurch und sprang dem Ausgang zu. Ein lauter Schrei der Bestürzung erscholl, dann erhoben sich alle, um ihm nachzuspringen. Ich war der einzige, welcher zurückblieb. Er hatte große Schuld auf sich geladen und nach den Gesetzen der Wüste mehr als den Tod verdient; dennoch war es mir unmöglich gewesen, für diese Strafe zu stimmen. Vielleicht gelang es ihm, zu entkommen. War dies der Fall, so durften wir keine Stunde länger in der Höhle verweilen.

Ich blieb lange Zeit allein. Der erste, welcher zurückkehrte, war der alte Scheik. Er war hinter den jungen Männern zurückgeblieben.

»Warum bist du ihm nicht nach, Effendi?« fragte er mich.

»Weil deine tapfern Männer ihn fangen werden, ohne meiner Hilfe zu bedürfen. Werden sie ihn wieder bekommen?«

»Ich weiß es nicht. Er ist ein berühmter Läufer, und als wir vor die Höhle kamen, war er bereits verschwunden. Wenn wir ihn nicht wieder ereilen, so müssen wir fliehen, da er nun die Höhle kennt.«

Nach und nach kehrten mehrere Männer zurück. Sie hatten ihn nicht laufen sehen und auch seine Spur nicht bemerkt. Später kam Halef, zuletzt aber kehrte die Tochter des Scheik zurück, deren Nasenflügel vor Wut zitterten. Ein kurzer Meinungsaustausch ergab, daß ihn niemand gesehen hatte. Die Bestürzung und der Umstand, daß ihm durch den engen Gang nur stets einer folgen konnte, hatte ihm einen Vorsprung gewährt, und der Boden draußen war ja ganz geeignet, die Flucht zu erleichtern.

»Hört, ihr Männer,« sagte der Scheik, »er wird unser Versteck verraten. Wollen wir sofort aufbrechen oder auf unsern Tieren noch einen Versuch machen, ihn zu erwischen? Wenn wir diese Gegend im Kreise umreiten, so ist es leicht möglich, daß wir ihn bemerken.«

»Wir fliehen nicht, sondern wir suchen ihn,« sagte seine Tochter.

Die anderen stimmten bei.

»Wohlan, so nehmt eure Kamele und folgt mir. Wer den Entflohenen bringt – tot oder lebendig – der wird eine große Belohnung bekommen.«

Da trat Halef vor und sprach:

»Den Preis habe ich bereits verdient. Draußen liegt tot der Vater des Säbels.«

»Wo hast du ihn ereilt?« fragte der Scheik.

»Herr, du mußt wissen, daß mein Sihdi ein Meister ist im Kampfe und im Auffinden aller Arten des Makam[133]; er hat mich gelehrt, die Spuren im Sande, im Grase, auf der Erde und auf dem Felsen zu finden; er hat mir gezeigt, wie man nachdenken muß bei der Verfolgung eines Flüchtigen. Ich war der erste, der hinter Abu-Seïf die Höhle verließ; aber ich sah ihn bereits nicht mehr. Ich rannte erst nach links hinauf, dann nach rechts hinab, und da ich nichts von ihm bemerkte, so dachte ich, daß er so klug gewesen sei, sich gleich nach seinem Austritt aus der Höhle zu verstecken. Ich spähte hinter den Steinen und fand ihn auch. Es gab einen kurzen Kampf, dann drang ihm still mein Messer ins ruchlose Herz. Seinen Körper werde ich euch zeigen.«

Ich blieb wieder in der Höhle, die anderen aber folgten Halef, um den toten Abu-Seïf zu sehen.

Bald kehrten sie jubelnd zurück.

»Was verlangst du als Belohnung?« fragte nun der Scheik den tapfern kleinen Halef.

»Herr, ich komme aus einem fernen Lande, zu welchem ich wohl nicht wieder zurückkehren werde. Hältst du mich für würdig, so nimm mich unter die Deinen auf.«

»Ateïbeh willst du werden? Was sagt dein Herr dazu?«

»Er ist damit einverstanden. Nicht wahr, Sihdi?«

»Ja,« nahm ich das Wort. »Ich vereinige meinen Wunsch mit dem seinigen.«

»Was mich betrifft, so würde ich auf der Stelle zustimmen,« erklärte der Scheik. »Aber ich muß erst diese Leute befragen, und die Adoption eines Fremden ist eine wichtige Sache, welche sehr viel Zeit erfordert. Hast du Verwandte hier in der Nähe?«

»Nein.«

»Hast du eine Blutrache auf dich geladen?«

»Nein.«

»Bist du ein Sunnit oder ein Schiit?«

»Ein Anhänger der Sunna.«

»Du hast wirklich noch kein Weib und keine Kinder gehabt?«

»Nein.«

»Wenn dieses ist, so können wir ja gleich zur Beratung schreiten.«

»So berate auch über ein anderes noch mit!«

»Worüber?«

»Sihdi, willst du nicht an meiner Stelle reden?«

Ich erhob mich vom Boden und nahm eine möglichst würdevolle Haltung an. Dann begann ich meine Rede:

»Vernimm meine Worte, o Scheik, und Allah öffne dir das Herz, damit sie Eingang in die Gnade deines Willens finden. Ich bin Kara Ben Nemsi, ein Emir unter den Talebs und Helden in Frankistan. Ich kam nach Afrika und auch in dieses Land, um seine Bewohner zu sehen und große Taten zu verrichten. Dazu brauchte ich einen Diener, der alle Mundarten des Westens und Ostens versteht, der klug und weise ist und sich vor keinem Löwen, vor keinem Panther und vor keinem Menschen fürchtet. Ich fand diesen Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah und bin mit ihm bis heute über alle Maßen zufrieden gewesen. Er ist stark wie ein Eber, treu wie ein Windspiel, klug wie ein Fennek und schnell wie eine Antilope. Wir haben über den Abgründen der Schotts gekämpft, wir sind eingebrochen und haben uns doch gerettet. Wir haben die Tiere des Feldes und der Wüste bezwungen; wir haben dem bösen Smum getrotzt; ja, wir sind sogar bis an die Grenze Nubiens gedrungen und haben eine Gefangene, die Blume aller Blumen, aus der Gewalt ihres Peinigers befreit. Wir sind dann nach dem Belad el Arab gekommen, und was wir da erlebten, das habt ihr bereits erfahren und seid auch Zeuge davon gewesen. Er ist dann mit Hanneh, deiner Enkelin, nach Mekka geritten. Sie ist zum Schein sein Weib geworden, und er hat sich unterschrieben, daß er sie wieder hergeben werde. Nun aber hat Allah ihre Herzen geleitet, daß sie einander lieb gewannen und nie wieder von einander scheiden möchten. Du bist Hadschi Malek Iffandi Ibn Achmed Chadid el Eini Ben Abul Ali el Besami Abu Schehab Abdolatif el Hanifi, der weise und tapfere Scheik dieser Söhne der Ateïbeh. Deine Einsicht wird dir sagen, daß ich einen solchen Begleiter, wie Halef ist, nicht gern von mir lasse; aber ich wünsche, daß er glücklich sei, und daher richte ich die Bitte an dich, ihn in den Stamm der Ateïbeh aufzunehmen und den Vertrag zu zerreißen, in welchem er dir versprochen hat, sein Weib zurückzugeben. Ich weiß, daß du mir diese Bitte erfüllen wirst, und ich werde, wenn ich einst in meine Heimat zurückgekehrt bin, deinen Ruhm und den Ruhm der Deinen verbreiten im ganzen Abendlande. Sallam!«

Alle hatten mir aufmerksam zugehört. Malek antwortete:

»Effendi, ich weiß, daß du ein berühmter Emir der Nemsi bist, obgleich eure Namen so kurz sind, wie die Klinge eines Frauenmessers. Du bist ausgegangen wie ein Sultan, welcher unerkannt große Taten verrichtet, und noch die Kinder unserer Kinder werden von deinem Heldentum erzählen. Hadschi Halef Omar ist bei dir wie ein Wesir, dessen Leben seinem Sultan gehört, und ihr seid in unsere Zelte gekommen, um uns große Ehre zu bereiten. Wir lieben dich und ihn – und wir werden unsere Stimmen vereinigen, um ihn zum Sohne unseres Stammes zu machen. Auch werde ich mit seinem Weibe sprechen, und wenn sie bei ihm bleiben will, so werde ich den Vertrag zerreißen, wie du es erbeten hast; denn er ist ein tapferer Krieger, welcher Abu-Seïf, den Dieb und Räuber, getötet hat. Jetzt aber erlaube uns, ein Mahl zu bereiten, um den Tod des Feindes zu feiern und dann die Beratung in würdiger Weise vorzunehmen. Du bist unser Freund und Bruder, obgleich du einen anderen Glauben hast, als wir. Sallam, Effendi!«

131Bewohner von Mekka.
132Schwarzseidener Stoff.
133Fußspur.