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Durchs wilde Kurdistan

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Da kam der Wirt mit zwei Krügen, von denen jeder vielleicht einen Liter faßte. Hm, armer Selim Agha! Ich versuchte einen Schluck. Der Wein hatte auf der Reise gelitten, ließ sich aber trinken.



»Nun, Hoheit, wie ist er?« fragte der Jude.



»Er ist so, daß ich dir für den Krug zwanzig Piaster geben werde.«



»Herr, das ist geboten zu wenig, viel zu wenig! Für zwanzig Piaster werde ich wieder mitnehmen meinen Wein und dir bringen einen andern.«



»Im Lande, wo er bereitet wird, gebe ich nach hiesigem Gelde für diesen Krug vier Piaster. Du siehst, ich will gut bezahlen, aber wenn dir das nicht genügt, so nimm ihn wieder mit!«



Ich stand auf.



»Was soll ich bringen für welchen?«



»Keinen! Ich trinke nur diesen für zwanzig Piaster, den du mir auch für fünfzehn ließest. Bekomme ich ihn nicht, so gehe ich, und du magst ihn selbst trinken.«



»So wird ihn trinken die Hoheit des Selim Agha.«



»Er wird mit mir gehen.«



»Gib neunundzwanzig!«



»Nein.«



»Achtundzwanzig!«



»Gute Nacht, Alter!«



Ich öffnete die Türe.



»Komm her, Effendi! Du sollst ihn doch haben für zwanzig Piaster, weil es mir ist eine Ehre, dich zu sehen in meinem Hause.«



Der Handel war also abgeschlossen, und jedenfalls sehr zur Zufriedenheit des Juden, der sich, nachdem ich ihm das Geld gegeben hatte, mit verstecktem Schmunzeln entfernte. Der Agha kostete ein wenig und tat dann einen tiefen Zug.



»Allah illa Allah! Wallah, Billah, Tallah! Solchen habe ich noch nicht bekommen. Glaubst du, daß er gut ist für ein krankes System, Emir?«



»Sehr gut!«



»Oh, wenn das die »Myrte« wüßte!«



»Hat sie auch ein System?«



»Ein sehr durstiges, Effendi!«



Er tat einen zweiten und nachher einen dritten Zug.



»Das ist kein Wunder,« meinte ich. »Sie hat sehr viel zu sorgen, zu schaffen und zu arbeiten.«



»Für mich nicht; das weiß Allah!«



»Aber für deine Gefangenen.«



»Sie bringt ihnen täglich einmal Essen, Brot und Mehlwasser.«



»Wie viel gibt dir der Mutesselim für jeden Gefangenen?«



»Dreißig Para täglich.«



Also fünfzehn Pfennige ungefähr! Davon blieb sicherlich die Hälfte in den Händen Selims kleben.



»Und was erhältst du für die Beaufsichtigung?«



»Zwei Piaster täglich, die ich aber noch niemals bekommen habe. Ist es da ein Wunder, daß ich diese schöne Arznei noch gar nicht kenne?«



Er tat abermals einen Zug.



»Zwei Piaster? Das ist sehr wenig, zumal dir die Gefangenen sehr viele Mühe machen werden.«



»Mühe? Gar keine! Was soll ich mir mit diesen Halunken für Mühe geben? Ich gehe täglich einmal in das Gefängnis, um nachzusehen, ob vielleicht einer gestorben ist.«



»Zu welcher Zeit tust du das?«



»Wenn es mir paßt.«



»Auch des Nachts?«



»Ja, wenn ich am Tage es vergessen hatte und grad ausgegangen war. Wallahi, da fällt mir ein, daß ich heute noch nicht dort gewesen bin!«



»Meine Ankunft hat dich gestört.«



»Das ist wahr, Effendi.«



»So mußt du nachsehen?«



»Das werde ich nicht tun.«



»Warum nicht?«



»Die Kerle sind es nicht wert, daß ich mich bemühe!«



»Richtig! Aber wirst du dir nicht den Respekt verscherzen?«



»Welchen Respekt?«



»Du bist doch Agha, ein hoher Offizier. Deine Arnauten und Unteroffiziere müssen Angst vor dir haben! Nicht?«



»Ja, das müssen sie. Bei Allah, das müssen sie!« beteuerte er.



»Auch der Sergeant, der im Gefängnis ist?«



»Auch dieser. Natürlich! Dieser Mazir ist überhaupt ein widerspenstiger Hund. Er muß Angst haben!«



»So mußt du ihn gut beaufsichtigen, mußt ihn zuweilen überraschen, um zu sehen, ob er im Dienste pünktlich ist, sonst wird er dich niemals fürchten!«



»Das werde ich; ja, bei Allah, ich werde es!«



»Wenn er sicher ist, daß du nicht kommst, so sitzt er vielleicht beim Kawedschi

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  Kaffeewirt.



 oder bei den Tänzerinnen und lacht dich aus.«



»Das soll er wagen! Ich werde ihn überraschen, morgen oder auch heute noch. Emir, willst du ihn mit überraschen?«



Ich hütete mich wohl, einen Zweifel darüber blicken zu lassen, ob ich überhaupt das Recht habe, in dem Gefängnisse Zutritt zu nehmen; ich tat im Gegenteile so, als ob ich ihm mit meiner Begleitung eine Ehre erwiese:



»Ist so ein Kerl es wert, daß er das Angesicht eines Emir sieht?«



»Du begleitest mich doch nicht um seinet-, sondern um meinetwillen. «



»Dann muß mir aber auch die Ehre erwiesen werden, die einem Emir und Effendi, der das Gesetz studiert hat, gebührt!«



»Das versteht sich! Es wird so sein, als ob mich der Mutesselim selbst begleitete. Du sollst das Gefängnis inspizieren.«



»So gehe ich mit, denn ich bin überzeugt, daß mich diese Arnauten nicht für einen Khawassen halten.«



Er hatte nur noch eine kleine Neige im Kruge, und ich hatte mit ihm gleichen Schritt gehalten. Seine Augen wurden kleiner, und die Spitzen seines Schnurrbartes standen auf Krakehl.



»Wollen wir uns noch einen Krug kommen lassen, Selim Agha?« fragte ich ihn.



»Nein, Effendi, wenn es dir beliebt. Ich dürste danach, diesen Mazir zu überraschen. Wir werden morgen wieder hierher gehen!«



Der Sergeant wurde nur vorgeschoben, in Wirklichkeit aber mochte der gute Agha die Gefährlichkeit des Weines aus Türbedi Haidari bereits verspüren. Er legte die Pfeife fort und erhob sich ein wenig unsicher.



»Wie war der Tabak, Effendi?« erkundigte er sich.



Ich ahnte den Grund und antwortete deshalb:



»Schlecht. Er macht Kopfschmerzen und Schwindel.«



»Bei Allah, du hast recht. Dieser Tabak schwächt das System des Blutes und der Nerven, während man doch gekommen ist, es zu stärken. Komm, laß uns gehen!«



»Müssen wir denn dem Juden unsere Entfernung melden?«



»Ja.«



Er klatschte in die Hände. Das war wieder das Zeichen; dann traten wir in das Freie. Das kurze Weinstudium war für mich vorteilhaft gewesen.



»Komm, Emir, gib mir deinen Arm! Du weißt, ich liebe dich!«



Es war weniger die Liebe als vielmehr die Schwächung seines »Systems«, welche ihn bewog, diese Bitte auszusprechen; denn als ihm die frische Abendluft entgegenwehte, verriet er den sichtbarsten Eifer, in jene akrobatische Fatalität zu verfallen, in welcher man den Nadir mit dem Zenith zu verwechseln pflegt.



»Nicht wahr, Mohammed war ein gescheiter Kerl, Emir?«



fragte er so laut, daß ein eben Vorübergehender stehen blieb, um uns etwas in Augenschein zu nehmen.



»Warum?«



»Weil er die Arzneien nicht verboten hat. Hätte er auch dies noch getan, so müßte man aus den Trauben Tinte machen. Weißt du, wo das Gefängnis liegt?«



»Hinter deinem Hause.«



»Ja; du hast immer recht, Emir. Aber wo liegt unser Haus?«



Das war nun eine jener leichten Fragen, die sich doch sehr schwer beantworten lassen, wenn nicht die Antwort ebenso albern sein soll, wie die Frage.



»Grad vor dem Gefängnisse, Agha.«



Er blieb stehen oder versuchte vielmehr, still zu stehen, und sah mich überrascht an.



»Emir, du bist just ein ebenso gescheiter Kerl wie der alte Mohammed; nicht? Aber ich sage dir, dieser Tabak ist mir so in das Gehirn gefahren, daß ich hier rechts das Gefängnis sehe und dort links ebenso. Welches ist das richtige?«



»Keines von beiden. Da rechts steht eine Eiche, und das da oben links, das ist eine Wolke.«



»Eine Wolke? Allah illa Allah! Erlaube, daß ich dich ein wenig fester halte!«



Der wackere Agha führte mich und zeigte dabei jene merkwürdige Manie des unwillkürlichen Fortschrittes, welchen man in einigen Gegenden Deutschlands »eine Lerche schießen« nennt. So kamen wir allerdings ziemlich schnell weiter, und es gelang mir endlich, ihn vor das Gebäude zu bringen, welches ich für das Gefängnis hielt, obgleich ich es von seiner vorderen Seite noch nicht gesehen hatte.



»Ist dies das Zindan?«

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  Gefangenhaus.



 fragte ich ihn.



Er schob den Turban in das Genick und blickte sich nach allen Seiten um.



»Hm! Es sieht ihm ähnlich. Emir, bemerkst du niemand in der Nähe, den man fragen kann? Ich habe dich so fest halten müssen, daß mir die Augen wirbeln, und das ist schlimm; denn diese Häuser sprangen an mir vorbei wie eine galoppierende Karawane.«



»Ich sehe keinen Menschen. Aber es muß es sein!«



»Wir wollen einmal probieren!«



Er fuhr mit der Hand in seinen Gürtel und visitierte nach etwas, was er nicht finden konnte.



»Was suchest du?«



»Den Schlüssel zur Gefängnistüre.«



»Hast du ihn?«



»Stets! Lange du doch einmal her und sieh, ob du ihn findest!«



Ich suchte und fand den Schlüssel sofort. Man mußte ihn bei dem ersten Griffe fühlen, denn er war so groß, daß man ihn mit einer Bärenkugel Nummer Null hätte laden können.



»Hier ist er. Soll ich aufschließen?«



»Ja, komm! Aber ich denke mir, daß du das Loch nicht finden wirst, denn dein System hat sehr gelitten.«



Der Schlüssel paßte, und bald knarrte die Türe in ihren Angeln.



»Gefunden!« meinte er. »Diese Töne kenne ich sehr genau. Laß uns eintreten!«



»Soll ich die Türe wieder zuschließen?«



»Versteht sich! In einem Gefängnisse muß man vorsichtig sein.«



»Rufe den Schließer!«



»Den Sergeant? Wozu?«



»Er soll uns leuchten.«



»Fällt mir gar nicht ein! Wir wollen doch den Schurken überraschen!«



»Dann mußt du leiser sprechen!«

 



Er wollte vorwärts, stolperte aber so, daß er gefallen wäre, wenn ich ihn nicht mit beiden Händen gehalten hätte.



»Was war das? Emir, wir sind dennoch in ein fremdes Haus geraten!«



»Wo ist der Raum, in dem sich der Sergeant befindet? Liegt er zu ebener Erde?«



»Nein, sondern eine Treppe hoch.«



»Und wo führt die Treppe hinauf, hinten oder vorn?«



»Hm! Wo war es nur! Ich glaube, vorn. Man hat von der Türe aus noch sechs bis acht Schritte zu gehen.«



»Rechts oder links?«



»Ja, wie stehe ich denn? Hüben oder drüben? O Emir, deine Seele kann die Arznei nicht gut vertragen; denn du hast mich so schief gestellt, daß dieser Hausflur nicht gradaus läuft, sondern von unten hinauf in die Höhe!«



»So komm her! Hinter dir ist die Türe; hier ist rechts und da ist links. An welcher Seite nun geht die Treppe empor?«



»Hier links.«



Wir schritten vorsichtig weiter, und mein tastender Fuß stieß wirklich bald an die unterste Stufe einer Treppe.



»Da sind die Stufen, Agha!«



»Ja, das sind sie. Falle nicht, Emir! Du warst noch nie in diesem Hause; ich werde dich sehr sorgfältig leiten.«



Er hing sich schwer an mich, so daß ich ihn die mir unbekannte Treppe förmlich emportragen mußte.



»Jetzt sind wir oben. Wo ist die Stube des Sergeanten?«



»Rede leiser; ich höre alles! Rechts die erste Türe ist es.«



Er zog mich fort, aber grad aus statt nach rechts; ich schwenkte ihn also herum und fühlte nach einigen Schritten die Türe, welche ich tastend untersuchte.



»Ich fühle zwei Riegel, aber kein Schloß.«



»Es gibt keins.«



»Die Riegel sind vorgeschoben.«



»Dann sind wir am Ende doch in ein fremdes Haus geraten.«



»Ich werde öffnen.«



»Ja, tue es, damit ich erfahre, woran ich mit dir bin!«



Ich schob die schweren Riegel zurück. Die Türe ging nach außen auf. Wir traten ein.



»Gibt es ein Licht in der Stube des Sergeanten?«



»Ja. Die Lampe steht mit dem Feuerzeuge links in einem Mauerloche.«



Ich lehnte ihn an die Wand und suchte. Das Loch nebst dem Nötigen wurde entdeckt, und bald hatte ich die Lampe angebrannt.



Der Raum war eng und klein. Eine Binsenmatte lag auf der Diele; sie hatte als »Möbel für alles« zu dienen. Ein zerbrochener Napf, ein Paar zerrissene Schuhe, ein Pantoffel, ein leerer Wasserkrug und eine Peitsche standen und lagen auf dem Boden herum.



»Nicht da! Wo steckt dieser Mensch?« fragte der Agha.



»Er wird bei den Arnauten sein, die auch hier zu wachen haben.«



Er nahm die Lampe und wankte voran, stieß aber an den Türpfosten.



»Schiebe mich nicht, Emir. Komm, halte die Lampe; ich will dich lieber führen, sonst könntest du mich die Treppe hinabwerfen. Ich liebe dich und bin dein Freund, dein bester Freund; darum rate ich dir, nie wieder diese persische Arznei zu trinken. Sie macht dich ja ganz gewalttätig!«



Ich mußte allerdings einige Gewalt anwenden, um ihn unbeschädigt hinabzubringen. Als wir vor der bezeichneten Türe anlangten, war auch sie verschlossen, und als wir sie öffneten, fanden wir auch diesen Raum leer. Er glich mehr einem Stalle als der Wohnung eines Menschen und ließ sehr Trauriges über die Asyle der Gefangenen erraten.



»Auch fort! Emir, du hattest recht. Diese Schurken sind fortgelaufen, statt zu wachen. Aber sie sollen lernen, mich zu fürchten. Ich lasse ihnen die Bastonnade geben; ja, ich lasse sie sogar aufhängen!«



Er versuchte, die Augen zu rollen, aber er brachte es nicht fertig; der Wein wirkte je länger desto kräftiger; sie fielen ihm zu.



»Was tun wir nun?«



»Was meinst du, Emir?«



»Ich an deiner Stelle würde warten, um die Arnauten so zu empfangen, wie sie es verdient haben.«



»Freilich werde ich dies tun. Aber wo warten wir?«



»Hier oder oben.«



»Hier. Ich steige nicht erst wieder hinauf; du wirst mir zu schwer, Effendi. Sieh, wie du wankst! Setze dich nieder!«



»Ich denke, wir wollen die Gefängnisse inspizieren?«



»Ja, das wollten wir,« sagte er ermüdet. »Aber, diese Menschen sind es nicht wert. Es sind lauter Spitzbuben, Diebe und Räuber, Kurden und auch ein Araber, welcher der schlimmste von allen ist.«



»Wo steckt dieser Kerl?«



»Hier nebenan, weil er am schärfsten bewacht werden soll. So setze dich doch!«



Ich ließ mich neben ihm nieder, obgleich der Boden nur aus hart gestampftem Lehm bestand und den höchsten Grad von Unreinlichkeit zeigte. Der Agha gähnte.



»Bist du müde?« fragte er mich.



»Ein wenig.«



»Darum gähnst du so. Schlafe, bis sie kommen. Ich werde dich wecken. Allah illa Allah, du bist ganz schwach und unzuverlässig geworden! Aber ich werde es mir so bequem wie möglich machen.«



Er streckte sich aus, stemmte den Ellenbogen auf und legte den Kopf in die Hand. Eine lautlose Stille trat ein, und nach einer kleinen Weile sank der Kopf vollends nieder – der Herr des Gefängnisses schlief.



Wie oft hatte ich gelesen, daß ein Gefangener durch die Berauschung seiner Wächter befreit worden sei, und mich über diesen verbrauchten Schriftstellercoup geärgert! Und jetzt befand ich mich in voller Wirklichkeit infolge eines Rausches in dem Besitze aller Gefangenen. Sollte ich dem Haddedihn Tor und Türe öffnen? Das wäre wohl unklug gewesen. Wir waren nicht vorbereitet, augenblicklich die Stadt zu verlassen. Am Tore standen Wachen, welche sicher Verdacht geschöpft hätten. Auf den armen Agha wäre die ganze Schuld gefallen und – ich mußte ganz offen als der Täter bezeichnet werden, was mir große Gefahr bringen oder wenigstens später viele Ungelegenheiten bereiten konnte. Es war jedenfalls besser, den Gefangenen so verschwinden zu lassen, daß sein Entkommen ganz unbegreiflich blieb. Das war jetzt in meine Hand gegeben und machte es mir möglich, jeden Verdacht von mir fern zu halten. Ich beschloß also, heute mit dem Haddedihn nur zu sprechen, und die Flucht erst dann zu bewerkstelligen, wenn sie gehörig vorbereitet sein würde.



Der Agha lag am Boden und schnarchte laut bei offen stehendem Munde. Ich rüttelte ihn erst leise und dann stärker am Arme. Er erwachte nicht. Nun ergriff ich die Lampe und verließ die Stube, deren Türe ich leise zumachte. Auch einen der Riegel schob ich lautlos vor, um auf keinen Fall überrascht zu werden. Ich hatte bereits vorhin achtgegeben und bemerkt, daß alle Türen ohne Schlösser und nur mit zwei Riegeln versehen waren. Einen Schlüssel brauchte ich also nicht zu suchen.



Es war mir doch ein wenig verändert zumute, als ich so allein draußen auf dem Gange stand, dessen Finsternis von dem kleinen Lichte der Lampe nicht durchdrungen werden konnte. Aber ich hielt mich auf alles gefaßt. Wäre ein zwingender Umstand eingetreten, so hätte ich alles gewagt, um nicht ohne den Gefangenen fortzukommen. Ich schob die Riegel zurück, öffnete und ließ die Türe weit offen stehen, um jeden Laut vernehmen zu können, nachdem ich eingetreten war.



Ja, es war ein Loch, welches ich erblickte! Ganz ohne die Vermittlung von einigen Stufen fiel der vor mir liegende Raum hart hinter der Türe über zwei Ellen tief hinab. Er hatte eine Länge von vier und eine Breite von zwei Schritten ungefähr und zeigte weder Tünche, noch Holz- oder Lehmboden. Oben, dicht unter der Decke war eines jener Löcher angebracht, die ich am Tage von außen bemerkt hatte, und außer einem »Napfe« mit Wasser, wie man ihn einem Hunde vorgesetzt haben würde, sah ich nichts als den Gefangenen in dieser Höhle.



Er hatte auf der feuchten dumpfen Erde gelegen, war aber bei meinem Erscheinen aufgestanden. Hohläugig und abgemagert, glich er einem Halbtoten, aber dennoch war seine Haltung eine stolze, und sein Auge blitzte zornig, als er mich fragte:



»Was willst du? Darf man nicht einmal schlafen?«



»Sprich leise! Ich gehöre nicht zu deinen Wächtern. Wie ist dein Name?«



»Warum fragest du?«



»Sprich noch leiser, denn man soll uns nicht hören. Wie heißest du?«



»Das wirst du wissen!« antwortete er, aber doch mit gedämpfter Stimme.



»Ich vermute es, aber ich will aus deinem Munde wissen, wer du bist.«



»Man nennt mich Amad el Ghandur.«



»So bist du jener, den ich suche. Versprich mir, ganz ruhig zu sein, was ich dir auch sagen werde!«



»Ich verspreche es!«



»Mohammed Emin, dein Vater, ist in der Nähe.«



»Allah il Al – – —!«



»Schweig! Dein Ruf kann uns verraten!«



»Wer bist du?«



»Ein Freund deines Vaters. Ich kam als Gast zu den Haddedihn und habe an der Seite deines Vaters gegen eure Feinde gekämpft. Da hörte ich, daß du gefangen seiest, und wir haben uns aufgemacht, dich zu befreien.«



»Allah sei gelobt! Aber ich kann es nicht glauben!«



»Glaube es! Siehe, dieses Fenster geht in einen Hof, welcher an einen Garten stößt, der zu dem Hause gehört, in dem wir wohnen.«



»Wie viele Männer seid ihr?«



»Nur vier. Dein Vater, ich, noch ein Freund und mein Diener.«



»Wer bist du, und wer ist dieser Freund?«



»Laß das für später, denn jetzt müssen wir eilen!«



»Fort?«



»Nein. Wir sind noch nicht vorbereitet, und ich kam zufällig hierher, ohne es vorher geahnt zu haben. Kannst du lesen?«



»Ja.«



»Aber es fehlt dir das Licht dazu.«



»Zur Mittagszeit ist es hell genug.«



»So höre. Ich könnte dich gleich jetzt mitnehmen, aber das wäre zu gefährlich; doch ich versichere dir, daß es nur ganz kurze Zeit noch dauern wird, bis du frei sein wirst. Noch weiß ich nicht, was wir beschließen werden; aber wenn du einen Stein durch das Fenster fallen hörst, so hebe ihn auf; es wird ein Papier daran gebunden sein, welches dir sagt, was du tun sollst.«



»Herr, du gibst mir das Leben zurück; denn beinahe wäre ich verzweifelt! Wie habt ihr erfahren, daß man mich nach Amadijah geschleppt hat?«



»Ein Dschesidi sagte es mir, den du am Wasser getroffen hast.«



»Das stimmt,« antwortete er schnell. »O, nun sehe ich, daß du die Wahrheit redest! Ich werde warten, aber grüße den Vater von mir!«



»Ich werde es noch heute tun. Hast du Hunger?«



»Sehr!«



»Könntest du Brot, Licht und Feuerzeug verstecken?«



»Ja. Ich grabe mit den Händen ein Loch in die Erde.«



»Hier hast du meinen Dolch dazu. Es ist für alle Fälle gut, wenn du eine Waffe hast. Aber sie ist mir kostbar; laß sie nicht entdeckt werden!«



Er griff hastig zu und drückte sie an die Lippen.



»Herr, Allah mag dir das in deiner Todesstunde gedenken! Nun habe ich eine Waffe; nun werde ich frei sein, auch wenn ihr nicht kommen könnt!«



»Wir werden kommen. Unternimm ja nichts Vorschnelles; das könnte dich und deinen Vater in große Gefahr versetzen.«



»Ich werde eine ganze Woche warten. Seid ihr dann noch nicht gekommen, so handle ich selbst.«



»Gut! Wenn es geht, werde ich dir noch diese Nacht Speise, Licht und Feuerzeug durch das Fenster bringen. Vielleicht können wir auch miteinander sprechen. Wenn es ohne Gefahr geschehen kann, sollst du die Stimme deines Vaters hören. Jetzt, lebe wohl; ich muß gehen!«



»Herr, reiche mir deine Hand!«



Ich hielt sie ihm entgegen. Er drückte sie mit beiden Händen, daß es mich schmerzte.



»Allah segne diese Hand, so lange sie sich bewegt, und wenn sie sich zum Todesschlaf gefaltet hat, so möge dein Geist sich im Paradiese freuen der Stunde, in welcher du mein Engel wurdest! Jetzt gehe, damit dir nichts widerfahre!«



Ich verschloß das Gefängnis und begab mich leise zum Agha zurück. Er schlief und schnarchte noch immer, und ich setzte mich nieder. So saß ich wohl eine ganze Stunde lang, bis ich Schritte vernahm, welche vor der Haustüre halten blieben. Schnell zog ich die bisher offene Türe zu und rüttelte den Agha munter. Es war dies keine leichte Arbeit, besonders, da sie schnell geschehen mußte. Ich stellte ihn aufrecht empor. Er starrte mich verwundert an.



»Du, Emir? Wo sind wir?«



»Im Gefängnisse. Raffe dich zusammen!«



Er schaute sich verdutzt um.



»Im Gefängnisse? Ah! Wie kommen wir hierher?«



»Denke an den Juden und an die Arznei; denke auch an den Sergeant, den wir überraschen wollen!«



»Den Serg – – – Maschallah, jetzt weiß ich es! Ich habe geschlafen. Wo ist er? Ist er noch nicht da?«



»Sprich leiser! Hörst du? Sie stehen noch unter der Türe und reden miteinander. Reibe dir den Schlaf aus dem Gesichte!«



Der gute Selim sah sehr jämmerlich aus; aber er hatte wenigstens die Besinnung wieder gefunden und vermochte ohne Schwanken aufrecht zu stehen. Und jetzt, als die Haustüre verschlossen wurde, nahm er die Lampe in die Hand, stieß unsere Türe auf und trat in den Gang hinaus. Ich folgte ihm.



Die Uebeltäter blieben erschrocken stehen, während er auf sie zuschritt.



»Wo kommt ihr her, ihr Hunde?« fuhr er sie an.



Seine Stimme klang wie Donner in dem langen, schmalen Raum.

 



»Vom Kawedschi,« antwortete der Sergeant nach einigem Zögern.



»Vom Kawedschi! Während ihr hier wachen sollt! Wer hat euch die Erlaubnis erteilt, fortzugehen?«



»Niemand!«



Die Leute zitterten vor Angst; sie dauerten mich. Ihre Nachlässigkeit war mir ja von so großem Vorteile gewesen. Trotz des kleinen Flämmchens sah ich, wie schrecklich der Agha seine Augen rollen ließ. Die Spitzen seines Bartes bebten, und seine Hand ballte sich vor Wut. Aber er mochte bemerken, daß er denn doch noch nicht ganz fest auf den Füßen stehe, und daher besann er sich eines Besseren.



»Morgen erhaltet ihr eure Strafe!«



Er setzte die Lampe auf eine der Treppenstufen und wandte sich zu mir:



»Oder meinst du vielleicht, Emir, daß ich gleich jetzt das Urteil fälle? Willst du haben, daß ich den einen durch die andern auspeitschen lasse?«



»Verschiebe ihre Züchtigung bis morgen, Selim Agha! Sie kann ihnen ja nicht entgehen.«



»Ich tue deinen Willen. Komm!«



Er öffnete die Türe und verschloß sie von draußen wieder.



Wir gingen nach Hause, wo uns die »Myrte« erwartete.



»Warest du so lange beim Mutesselim?« fragte sie ihn argwöhnisch.



»Mersinah,« antwortete er, »ich sage dir, daß wir eingeladen wurden, bis zum frühen Morgen zu bleiben; aber ich wußte dich allein zu Hause und habe darum die Gastfreundlichkeit des Kommandanten abgeschlagen. Ich will nicht haben, daß dir die Russen den Kopf abschneiden. Es gibt Krieg!«



Sie schlug erschrocken die Hände zusammen.



»Krieg? Zwischen wem denn?«



»Zwischen den Türken, Russen, Persern, Arabern und Kurden. Die Russen stehen bereits mit hunderttausend Mann und dreitausend Kanonen vier Stunden von hier in Serahru.«



»O Allah! Ich sterbe; ich bin bereits tot! Mußt du auch mitkämpfen?«



»Ja. Fette mir noch heute nacht die Stiefel ein! Aber laß keinen Menschen etwas wissen. Der Krieg ist jetzt noch Staatsgeheimnis, und die Leute von Amadijah sollen es erst erfahren, wenn die Russen morgen die Stadt umzingelt haben.«



Sie taumelte und setzte sich ganz entkräftet auf den ersten besten Topf, der in ihrer Nähe stand.



»Schon morgen! Morgen sind sie wirklich da?«



»Ja.«



»Und sie werden schießen?«



»Sehr!«



»Selim Agha, ich werde dir deine Stiefel nicht einschmieren!«



»Warum nicht?«



»Du darfst nicht Krieg führen helfen; du sollst nicht erschossen werden!«



»Gut! Das ist mir sehr lieb, denn dann kann ich schlafen gehen. Gute Nacht, Effendi! Gute Nacht, meine süße Mersinah!«



Er trat ab. Die Blume des Hauses blickte ihm etwas verwundert nach; dann erkundigte sie sich:



»Emir, ist es wahr, daß die Russen kommen?«



»Das ist noch ein wenig ungewiß. Ich glaube, daß der Agha die Sache etwas zu ernst genommen hat.«



»O, du träufelst Balsam in mein verwundetes Herz. Ist es nicht möglich, sie von Amadijah abzuhalten?«



»Wir wollen uns das überlegen. Hast du die Kaffeesorten auseinander gelesen?«



»Ja, Herr. Es ist das eine sehr schlimme Arbeit gewesen; aber dieser böse Hadschi Halef Omar ließ mir keine Ruhe, bis ich fertig war. Willst du es sehen?«



»Zeige her!«



Sie brachte die Büchse und die Tüte herbei, und ich überzeugte mich, daß sie sich allerdings große Mühe gegeben hatte.



»Und wie wird dein Urteil lauten, Emir?«



»Es lautet gut für dich. Da deine zarten Hände diese Bohnen so oft berühren mußten, so soll der Kaffee dein Eigentum sein. Auch das Geschirr, welches ich heute einkaufte, gehört dir; die Gläser aber schenke ich dem wackeren Selim Agha.«



»O Effendi, du bist ein gerechter und weiser Richter. Du hast mehr Güte, als ich Töpfe hatte, und dieser duftende Kaffee ist ein Beweis deiner Herrlichkeit. Allah mag das Herz der Russen lenken, daß sie nicht kommen und dich nicht erschießen. Denkst du, daß ich heute noch ruhig schlafen kann?«



»Das kannst du; ich versichere es dir!«



»Ich danke dir, denn die Ruhe ist noch das einzige, an dem ein geplagtes Weib sich freuen kann!«



»Schläfst du hier unten, Mersinah?«



»Ja.«



»Aber nicht in der Küche, sondern nach vorn hinaus?«



»Herr, eine Frau gehört in die Küche und schläft auch in der Küche.«



Hm! Das war unangenehm. Uebrigens kam mir der dumme Witz des Agha sehr ungelegen. Die »Myrte« schlief heute gewiß nicht gleich ein. Ich stieg nach oben, ging aber, anstatt in mein Zimmer, in dasjenige des Haddedihn. Er hatte sich bereits schlafen gelegt, erwachte aber sofort. Ich erzählte ihm mein Abenteuer im Gefängnis, und er ward des Staunens voll.



Wir packten dann Eßwaren nebst Licht und Feuerzeug ein und schlichen uns nach einer leeren Stube, welche an der Hofseite des Hauses lag. Sie hatte nur ein Fenster, das heißt, eine viereckige Oeffnung, welche durch einen Laden verschlossen war. Dieser war nur angelehnt, und als ich hinausblickte, sah ich das platte Dach, welches diese Seite des kleinen Hofes umschirmte, nur fünf Fuß unter mir. Wir stiegen hinaus und von dem Dache in den Hof hinab. Die Türe des letzteren war verschlossen: wir befanden uns also allein und gingen in den Garten, in welchem einst die schöne Esma Khan geduftet hatte. Nun trennte uns von dem Gefängnisse nur eine Mauer, deren Höhe wir mit der Hand erreichen konnten.



»Warte,« bat ich den Scheik. »Ich will der Sicherheit wegen erst sehen, ob wir auch wirklich unbeobachtet sein werden.«



Ich schwang mich leise hinauf und drüben wieder hinab. Aus dem ersten kleinen Fensterloche rechts im Parterre sah ich einen fahlen Lichtschein. Dort war die Stube, in welcher der Agha geschlafen hatte. Und dort saßen jetzt wohl die Arnauten, die vor Angst nicht schlafen konnten. Das nächste, also das zweite Fenster gehörte zu dem Raume, in welchem Amad el Ghandur auf uns wartete.



Ich durchsuchte den schmalen Hofraum, ohne auf etwas Verdachterregendes zu stoßen, und fand auch die Türe verschlossen, welche aus dem Gefängnisse in den Hof führte. Nun kehrte ich zu der Stelle der Mauer zurück, hinter welcher der Haddedihn stand.



»Mohammed!«



»Wie ist es?«



»Alles sicher. Kannst du herüber?«



»Ja.«



»Aber leise!«



Er kam.



Wir huschten über den Hof hinüber und standen nun unter dem Fensterchen, welches ich beinahe mit der Hand erreichen konnte.



»Bücke dich, Scheik, stütze dich gegen die Wand und stemme die Hände auf die Kniee!«



Er tat es, und ich stieg auf seinen Rücken, welcher jetzt eine beinahe waagrechte Lage angenommen hatte. Ich stand mit dem Gesicht grad vor dem Loche des Kerkers.



»Amad el Ghandur!« sprach ich in dasselbe hinein und hielt dann schnell das Ohr hin.



»Herr, bist du es?« klang es hohl von unten herauf.



»Ja.«



»Ist mein Vater auch da?«



»Er ist hier. Er wird dir Speise und Licht an einer Schnur herablassen und dann mit dir sprechen. Warte; er wird gleich oben sein.«



Ich stieg von dem Rücken des Arabers herab.



»War ich schwer?«



»Lange ist es nicht auszuhalten, denn die Stellung ist zu unbequem.«



»So werden wir es jetzt anders machen, da du jedenfalls nicht nur einen kurzen Augenblick mit deinem Sohne reden willst: du kniest auf meine Achseln; dann kann ich aufrecht stehen und es so lange aushalten, wie es dir beliebt.«



»Hat er dich gehört?«



»Ja. Er fragte nach dir. Ich habe in der Tasche eine Schnur, an welcher du das Paket hinablassen kannst.«



Die Schnur wurde befestigt; ich bildete mit auf dem Rücken gefalteten Händen einen Tritt, auf welchen er den Fuß setzen konnte, und er stieg auf. Nachdem ich meine Hände an seine Kniee gelegt hatte, so daß er nicht abrutschen konnte, kniete er auf meinen Achseln so sicher wie zur ebenen Erde. Er ließ das Päckchen hinab, und nun begann ein leises, aber desto eifrigeres Zwiegespräch, von dem ich nur den von Mohammed Emin gesprochenen Teil vernehmen konnte. Dazwischen hinein fragte mich der Scheik zuweilen, ob er mir nicht zu schwer werde. Er war ein langer, starker Mann, und deshalb war es mir schon recht, als er nach ungefähr fünf Minuten zu Boden sprang.



»Emir, er muß heraus; ich kann es nicht erwarten,« sagte er.



»Vor allen Dingen wollen wir gehen. Steig einstweilen voran; ich will dafür sorgen, daß man am Tage keine Fußspur