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Durchs wilde Kurdistan

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Wir befanden uns allein, denn auch der Nezanum war draußen geblieben, und nun hielten wir großen Rat.

»Glaubst du, daß wir sicher sind?« fragte mich der Scheik.

»Ich bin im Zweifel darüber. Der Nezanum hat mir alles versprochen und wird es auch halten. Wir sind seine Gäste und die Gäste des ganzen Dorfes. Aber es waren viele da, die nicht zu dem Dorfe gehörten.«

»Diese können uns nichts tun,« erwiderte er. »Wenn sie einen von uns töteten, wären sie der Blutrache des ganzen Dorfes verfallen, dessen Gäste wir sind.«

»Und wenn sie uns nicht töten, sondern nur bestehlen wollen?«

»Was können sie uns nehmen?«

»Die Pferde, vielleicht die Waffen, vielleicht noch mehr.«

Der ernste Scheik Mohammed Emin streichelte jetzt lächelnd seinen Bart und sagte:

»Wir würden uns wehren.«

»Und dabei der Blutrache verfallen,« ergänzte ich.

»Warten wir es ab!« meinte er.

Da trat auch der Engländer ein, welcher draußen im Hofe umhergestöbert hatte. Seine Nase lag auf der rechten und sein Mund auf der linken Seite des Gesichtes, ein ganz sicheres Zeichen, daß ihm etwas Merkwürdiges passiert sei.

»Hm!« räusperte er sich. »Habe etwas gesehen!– Interessant!– Yes!«

»Wo? So erzählt doch nur!«

»Pst! Nicht in die Höhe sehen! War im Hofe. Schmutziger Platz das! Sah die Büsche an der Mauer und stieg hinauf. Schöner Ueberfall von draußen herein! Würde prächtig gehen. Blicke auch hinauf zum Dache und sehe ein Bein. Well! Eines Mannes Bein. Es guckte einen Augenblick lang aus der Hütte heraus, wo Futter ist.«

»Habt Ihr auch recht gesehen, Sir?«

»Sehr recht! Yes!«

Jetzt erst fiel es mir ein, daß ich weder eine Treppe noch eine Leiter gesehen hatte, um auf das Dach zu gelangen. Wir traten also hinaus in den Hof, um zu suchen. Es fand sich nichts. Auch im Innern des Gebäudes war nicht zu entdecken, ob man von hier aus auf das Dach gelangen könne, und dennoch wurde es Zeit, nachzusehen; denn die Nacht war schon ganz nahe.

Droben über der hinteren Türe ragte ein Dachbalken etwas aus der Mauer hervor, zwar nicht viel, aber es genügte. Ich nahm den Lasso, knüpfte ihn vierfach zusammen, bildete auf diese Weise eine einzige große Schlinge und warf sie empor. Sie hing am Balken so, daß ich sie unten fassen konnte. Nun zog ich mich an der Schlinge empor, trat in sie hinein und gelangte auf diese Weise auf das Dach. Nun ging ich auf das Behältnis zu, welches bis zum Eingange desselben mit Futter angefüllt war. Ich langte hinein, fühlte aber nichts Verdächtiges; als ich jedoch soweit hineinkroch, daß meine Arme bis ganz hinter langen konnten, faßte ich den Kopf eines Menschen, der sich in die fernste Ecke verkrochen hatte.

»Wer bist du?« fragte ich.

»U – – ah!« erklang es gähnend.

Der Mann wollte mich glauben machen, daß er geschlafen habe.

»Komm heraus!« befahl ich ihm.

»U – – ah!« machte er noch einmal; dann schob er meine Hand von sich ab und kam langsam hervorgekrochen. Es war noch so licht, um deutlich zu sehen, daß dieser Mann nicht einen Augenblick geschlafen habe. Er gaffte mich an und tat, als ob er erstaune.

»Ein Fremder! Wer bist du?« fragte er mich.

»Sage nur zuerst, wer du bist!«

»Dieses Haus ist mein!« antwortete er.

»So! Das ist mir lieb, denn dann kannst du mir sagen, wie du heraufgekommen bist.«

»Auf der Leiter.«

»Wo ist sie?«

»Im Hofe.«

»Da ist sie nicht.«

Ich sah mich auf dem Dache erst jetzt näher um und gewahrte sie längs des Dachrandes liegen.

»Mensch, du bist verschlafen, denn du hast ganz vergessen, daß du die Leiter hinter dir heraufgezogen hast! Hier liegt sie!«

Er blickte sich verdutzt um und sagte dann:

»Hier? Ja. Ich habe geschlafen!«

»Nun wache aber. Komm hinab!«

Mit diesen Worten schob ich die Leiter hinunter, und der Mann stieg mir voran und verließ hierauf das Haus, ohne ein Wort zu sagen. Erst tat er, als sei er sehr überrascht von der Gegenwart eines fremden Menschen, und nun lief er gemächlich zum Nezanum hinüber, ohne mich weiter über mein Recht, hier in seinem Hause zu sein, im mindesten zu inquirieren.

»Wer war es?« fragte der Engländer.

»Der Besitzer dieses Hauses.«

»Was will er da oben?«

»Er tat, als habe er geschlafen.«

»Nicht geschlafen! Kenne den Kerl! War derselbe, welcher fortritt. Ihr konntet das nicht bemerken, weil Ihr mit dem Schießen zu tun hattet. Yes!«

»So ist es sicher, daß man eine feindselige Absicht hegt!«

»Denke es auch. Aber welche?«

»Unser Leben wollen sie nicht, aber unser Eigentum.«

»Kerl wird hinaufgestiegen sein, um zu sehen, wann wir schlafen. Dann gibt er Zeichen, andere kommen, holen Pferde und alles.«

Derselben Ansicht waren auch die anderen Gefährten. Es war jetzt vollständig dunkel in den beiden Stuben, so daß man nicht erkennen konnte, ob man von dem Dache aus auch in das Innere des Hauses gelangen könne; doch schien mir dies wahrscheinlich zu sein. Schon stand ich im Begriff, aus Mangel an irgend einer Beleuchtung ein Stück Holz anzubrennen, als draußen an den Eingang geklopft wurde. Ich ging hinaus und öffnete. Der Nezanum war es mit noch zwei Männern, welche Essen, Wasser und zwei Kerzen brachten. Die Kerzen waren sehr roh aus ungereinigtem Wachs bereitet und konnten nur wenig Helligkeit verbreiten. Ich zündete eine derselben an.

Noch hatte keiner der drei Männer ein anderes Wort gesprochen als die Namen der Gegenstände, welche sie auf den Lehmboden legten. Nun aber fragte ich den Dorfvorsteher:

»Ich fand einen Mann auf dem Dache. War es wirklich der Besitzer dieses Hauses?«

»Ja,« antwortete er einsilbig.

»Was wollte er oben?«

»Er schlief.«

»Warum zog er die Leiter empor?«

»Er wollte nicht gestört sein.«

»Du sagtest doch, daß wir allein hier wohnen sollen.«

»Er lag da bereits oben! Das wußte ich nicht, und er wußte auch nicht, daß Gäste da sind.«

»Er hat es gewußt.«

»Woher?« fragte er barsch.

»Er war mit draußen vor dem Dorfe, als wir uns trafen.«

»Schweig! Er war daheim.«

Dieser Mann verfiel wieder in seinen befehlshaberischen Ton. Ich aber ließ mich nicht einschüchtern und begann von neuem zu fragen:

»Wo sind die Männer, welche nicht in dein Dorf gehören?«

»Sie sind nicht mehr da.«

»Sage ihnen, daß sie ja nicht wiederkommen sollen!«

»Warum?«

»Das magst du erraten.«

»Schweig! Ich rate nicht.«

Nun ging er wieder fort, und die beiden Anderen folgten ihm.

Das Abendessen war ein sehr frugales: getrocknete Maulbeeren, Brot, in Asche gerösteter Kürbis und Wasser. Glücklicherweise aber hatten wir einigen Vorrat bei uns und brauchten also nicht zu hungern. Während Halef das Essen ordnete, ließ ich den jungen Haddedihn mit der angezündeten zweiten Kerze hinaus auf den Flur gehen. Die Türe führte nämlich gleich neben der Ecke des Hauses in dasselbe, und der Flur wurde also von der Grundmauer und der Zimmerwand gebildet. Als Amad mit dem Lichte draußen stand, stieg ich auf das Dach und untersuchte den Fußboden desselben sehr genau. Endlich bemerkte ich über dem Flur, welchen das Licht Amads erhellte, eine sehr dünne Spalte, die ein regelmäßiges Viereck bildete. Ich fuhr mit dem Messer hinein und – hob einen viereckigen Deckel empor. Das Geheimnis war entdeckt.

Nach weiterem Suchen fand ich über den beiden Wohnräumen einige schadhafte Stellen, welche es ermöglichten, hinabzusehen und nicht nur alles zu überblicken, sondern auch das Gespräch der darunter Befindlichen zu belauschen.

Jetzt stieg ich wieder hinab, machte kurzen Prozeß, faßte meinen Rappen beim Zügel und führte ihn in die Stube.

»Hallo!« rief der Engländer. »Was ist los?«

»Holt Euer Pferd auch herein, denn auf diese war es wohl abgesehen. Da draußen über dem Flur ist ein Loch, durch welches man hinabsteigen und die Türe öffnen kann. Die Kurden hätten gewartet, bis wir schliefen, und wären dann mit unseren Pferden davongegangen.«

»Ist richtig, sehr richtig! Werden das tun! Yes!«

Auch die Andern waren einverstanden. Die Fenster wurden verhangen, die Pferde in das hintere Gemach gebracht; dann zog ich die Leiter in den Flur und schaffte den Hund auf das Dach hinauf. Nun konnten die Kurden immerhin über die Mauer in den Hof steigen; sie fanden ihn leer und mußten wieder abziehen. Vielleicht irrte ich mich auch, und sie hegten gar keine diebischen Absichten; dann war es um so besser.

Jetzt nun konnten wir endlich auch über unsere weiteren Pläne sprechen. In Amadijah war dies nicht geschehen, weil uns da jeder Augenblick etwas Neues bringen konnte, und unterwegs waren wir nur bedacht gewesen, schnell vorwärts zu kommen. Es handelte sich natürlich um den Weg, welcher uns zurück nach dem Tigris führen sollte.

»Der kürzeste Pfad geht durch das Gebiet der Dschesidi,« meinte Mohammed Emin.

»Den dürfen wir nicht nehmen,« antwortete Amad. »Man hat mich da gesehen und würde mich erkennen.«

»Er ist auch in anderer Beziehung nicht sicher,« fügte ich hinzu, »besonders da wir nicht wissen, wie der Gouverneur von Mossul seinen Bericht abgefaßt hat. Direkt nach Westen können wir nicht.«

»So bleiben uns zwei Wege,« erklärte Mohammed. »Der eine geht durch Tijari nach dem Buthan und der andere führt uns auf den Zab hinunter.«

»Beide sind gefährlich, weniger für den entflohenen Gefangenen als vielmehr im allgemeinen. Aber ich ziehe den Weg nach Süden vor, wenn er uns auch in das Gebiet der Abu Salman bringt.«

Dieser Ansicht stimmten die Anderen bei, und dem Engländer war alles recht. Es wurde daher beschlossen, über Gumri nach Lizan zu reiten, von da aus dem Flusse zu folgen, bis er seine große Wendung in das Land der Schirwan- und Zibar-Kurden macht, und diesen Bogen durch einen Ritt quer über die Berge von Tura Ghara und Haïr abzuschneiden. Dann mußten wir an die Ufer des Akra gelangen, der uns wieder an den Zab brachte.

 

Nachdem wir hierüber einig geworden waren, legten wir uns zur Ruhe. Ich schlief sehr fest und erwachte durch einen Stoß, den ich von dem neben mir liegenden Engländer erhielt.

»Master!« flüsterte er. »Schritte draußen! Schleicht jemand!«

Ich horchte gespannt, aber die Pferde waren nicht sehr ruhig, und so konnte man sich nicht auf das Gehör verlassen.

»Es wird nichts zu bedeuten haben,« meinte ich. »Wir sind doch nicht in einer offenen Wildnis, wo jedes Geräusch, von einem Menschen verursacht, das Nahen einer Gefahr verkündet. Man wird im Dorfe wohl noch nicht schlafen gegangen sein.«

»Mögen es tun! Sich auf die Nase legen! Well! Gute Nacht, Master!«

Er drehte sich auf die andere Seite. Nach einiger Zeit aber horchte er wieder auf. Auch ich hatte jetzt deutlich ein Geräusch vom Hofe her vernommen.

»Sind im Hofe,« raunte Lindsay mir zu.

»Es scheint so. Merkt Ihr, was für einen guten Hund ich habe? Er hat verstanden, daß er nur auf das Dach aufzupassen hat, und darum gibt er jetzt noch keinen Laut von sich.«

»Edle Rasse! Will die Kerls nicht verscheuchen, sondern fangen!«

Jetzt aber dauerte es lange, bis wir wieder einzuschlafen vermochten, vielleicht über eine halbe Stunde, da vernahm ich an der Vorderseite des Hauses leise Schritte. Ich stieß Lindsay.

»Höre es schon!« meinte er. »Was aber haben sie vor?«

»Sie werden glauben, daß wir die Pferde in den Flur gezogen haben, und legen nun von außen eine Leiter an, um auf das Dach und durch dasselbe herunter zu den Tieren zu gelangen. Wenn ihnen dies glückte, so brauchten sie nur die vordere Türe zu öffnen, um mit unseren Pferden davonzugehen.«

»Soll ihnen nicht gelingen!«

Kaum hatte er dies gesagt, so erscholl fast grad über uns der laute Schrei einer menschlichen Stimme und das kurze kräftige Anschlagen des Hundes.

»Hat ihn!« jubelte Lindsay.

»Pst, leise!« mahnte ich.

Auch die Andern waren aufgewacht und lauschten.

»Werde nachsehen,« meinte der Engländer.

Er erhob sich und schlich hinaus. Es dauerte wohl fünf Minuten, bis er zurückkam.

»Sehr schön! Yes! Ausgezeichnet! War oben. Da liegt ein Kerl und über ihm der Hund. Wagt nicht zu reden oder sich zu rühren. Und unten auf der Gasse viel Kurden. Sprechen auch nicht.«

»So lange der Hund nicht lauter wird, sind wir in Sicherheit. Aber wenn sie mehrere Leitern anlegen, so müssen wir hinauf.«

Wir lauschten wieder eine lange Zeit. Da erscholl ein fürchterlicher Schrei – es war ein Todesschrei, daran war gar nicht zu zweifeln – und sofort ein zweiter und gleich darauf wieder das laute, Sieg verkündende Bellen des Hundes.

Jetzt konnte es gefährlich werden. Wir erhoben uns. Ich rief Halef zu mir; denn seiner war ich am sichersten. Wir traten leise hinaus auf den Flur und stiegen die Leiter empor auf das Dach. Ein menschlicher Körper lag auf demselben. Ich untersuchte ihn; er war tot; der Hund hatte ihm das Genick zermalmt. Wo dieser sich jetzt befand, verriet mir ein leiser, leiser Ton, mit dem er mich bewillkommnete. Vielleicht fünf Schritte von dem Toten lag ein zweiter Körper, und auf demselben hatte sich der Hund ausgestreckt. Eine einzige Bewegung brachte dem unter ihm liegenden Menschen den sicheren Tod.

Wenn ich die Augen recht anstrengte, sah ich unten allerdings viele Leute stehen. Es war kein Zweifel, daß sich das ganze Dorf beteiligt hatte, den Pferdediebstahl oder gar noch etwas anderes auszuführen. Der erste, welcher das Dach erstiegen hatte, war von dem Hunde niedergerissen worden, und sein Schrei hatte die andern zur Vorsicht gemahnt. Als aber der zweite heraufgekommen war, hatte sich der Hund nicht anders zu helfen gewußt, als daß er den vorigen erbiß, um den jetzigen packen zu können.

Was sollten wir tun!

Ich stieg hinab und ließ Halef als Wächter oben. Eine kurze Beratung ergab, daß wir uns vollständig schweigsam verhalten wollten, um am Morgen tun zu können, als ob wir gar nichts gehört hätten. Gefährlich war unsere Lage im höchsten Grade, obgleich wir uns selbst gegen einen noch zahlreicheren Feind recht gut hätten verteidigen können; aber wir hätten das ganze vor uns liegende Land in ein uns feindliches verwandelt, während es uns doch auch nicht möglich war, wieder umzukehren.

Da klopfte es sehr laut an den Eingang des Hauses. Die Kurden hatten Beratung gehalten, und wir sollten nun das Ergebnis derselben erfahren. Wir zündeten eine der Kerzen wieder an und traten mit unseren Waffen hinaus auf den Flur.

»Wer klopft?« erkundigte ich mich.

»Chodih, öffne!« antwortete der Nezanum. Ich erkannte ihn an der Stimme.

»Was willst du?« fragte ich.

»Ich muß dir etwas Wichtiges sagen.«

»Du kannst es so auch sagen.«

»Ich muß drin bei euch sein!«

»So komm herein!«

Ich fragte ihn gar nicht erst, ob er allein sei; denn es sollte keinem zweiten gelingen, einzutreten. Die Gefährten legten ihre Gewehre an; ich zog den Balken weg und stellte mich so hinter die Türe, daß sie nur halb geöffnet werden und also auch nur einem einzelnen Manne den Eintritt lassen konnte. Als er die auf sich gerichteten Waffen sah, blieb er in der Türöffnung stehen.

»Chodih! Ihr wollt auf mich schießen?«

»Nein. Wir halten uns nur für alles bereit. Es könnte doch auch ein anderer, ein Feind sein!«

Er kam vollends herein, und ich schob den Balken wieder vor.

»Was willst du, daß du uns in unserer Ruhe störst?« begann ich nun.

»Ich will euch warnen,« antwortete er.

»Warnen! Wovor?«

»Vor einer sehr großen Gefahr. Ihr seid meine Gäste, und daher ist es meine Pflicht, euch aufmerksam zu machen.«

Sein Blick forschte ringsum und fiel auf die Leiter und auf das geöffnete Loch im Dache.

»Wo habt ihr eure Pferde?« fragte er.

»Drin in der Stube.«

»In der Stube? Chodih, diese ist doch nur für Menschen gemacht!«

»Ein gutes Pferd ist dem Reisenden mehr wert als ein schlechter Mensch!«

»Der Besitzer dieses Hauses wird zornig sein, denn die Hufe der Tiere werden ihm seine Diele zerstampfen.«

»Wir werden ihn entschädigen.«

»Warum habt ihr die Leiter hereingenommen?«

»Sie gehört herein, da keine Treppe vorhanden ist.«

»Habt ihr geschlafen?«

Ich bejahte, und er fragte weiter:

»Habt ihr Geräusch gehört?«

»Wir hörten draußen vor dem Hause Leute gehen, aber das können wir ihnen nicht verbieten. Doch wir hörten auch Leute in den Hof steigen, und das war uns nicht lieb. Der Hof ist unser. Wären unsere Pferde noch draußen gewesen, so hätten wir auf die Eindringlinge geschossen, da wir sie für Diebe hätten halten müssen.«

»Pferde können nicht über die Mauer fortgeschafft werden, und du hast ja wohl auch den Hund im Hofe, den ich heute bei dir gesehen habe.«

Das war eine Wendung, auf die ich nicht einging.

»Das wissen auch wir, daß man die Pferde nicht über die Mauer bringt; aber man konnte sie hier durch den Flur führen.«

»Man kann ja nicht herein!«

»Laß deine Gedanken etwas weiter reichen, Nezanum! Wenn man auf das Dach und von da hier herunter steigt, so kann man die Hof- und auch die Vordertüre öffnen und alle Pferde entführen, zumal wenn man die Stubentüre hier mit dem Riegel verschließt. Wir hätten dann drin gesteckt, ohne uns wehren zu können.«

»Wer sollte auf das Dach steigen!«

»O, es hatte sich ja bereits ein Mann da oben versteckt und die Leiter mit emporgezogen. Das erweckte natürlich unsern Verdacht, und so haben wir die Pferde zu uns hereingenommen. Und wenn auch nun hundert auf das Dach steigen wollten, sie würden wohl hinauf, aber nicht in das Innere des Hauses kommen, und am Morgen würden ihre Leichen auf dem Dache liegen.«

»Würdet ihr sie töten?«

»Nein, wir würden ruhig schlafen; denn wir wissen, daß wir uns auf meinen Hund, der oben ist, verlassen können.«

»Aber ein Hund gehört doch nicht auf das Dach!«

»Ein Hund gehört überall dahin, wo es gilt, wachsam zu sein, und ich will dir sagen, daß die Hunde der Tschermaka des Nachts sehr gern auf den Dächern spazieren gehen. Aber du wolltest uns ja warnen! Wovor? Du hast uns die Gefahr noch nicht genannt.«

»Es wurde vorhin einem Bewohner des Dorfes seine Leiter gestohlen, und als er sie suchte, fand er sie an eurem Hause lehnen. Es standen einige fremde Leute dabei, die aber schnell entflohen. Da dachten wir, daß es Diebe seien, die in euer Haus eindringen wollten, und daher bin ich gekommen, um es euch zu sagen.«

»Ich danke dir! Aber du kannst ruhig sein und wieder gehen, und auch wir werden uns wieder niederlegen; denn der Hund wird keinen Dieb in das Haus kommen lassen.«

»Aber wenn er einen Menschen tötet!«

»Einen einzelnen tötet er nicht; er hält ihn am Boden fest, bis ich komme. Aber wenn ein zweiter so unvorsichtig wäre, nachzusteigen, so wird er den ersten allerdings töten, um den zweiten packen zu können.«

»Chodih, so ist bereits ein Unglück geschehen!«

»Inwiefern denn?«

»Es ist bereits ein zweiter emporgestiegen!«

»Weißt du das gewiß?«

»Ganz gewiß.«

»O, Nezanum, so bist du also dabei gewesen, als diese Diebe uns überfallen wollten! Was muß ich von dir und von eurer Gastfreundschaft denken!«

»Ich war nicht dabei, sondern man hat es mir gesagt.«

»So ist jener dabei gewesen, welcher es dir sagte!«

»Nein, er hat es auch nur erst vernommen.«

»Das bleibt sich gleich. Wer es zuerst gesagt hat, ist doch bei den Dieben gewesen. Aber was gehen mich diese an! Ich habe keinem Menschen erlaubt, auf mein Dach zu steigen, und wer es dennoch tut, der mag auch zusehen, wie er ohne mich wieder herunterkommt. Gute Nacht, Nezanum!«

»So willst du nicht nachsehen?«

»Ich habe keine Lust dazu!«

»Laß wenigstens mich hinauf!«

»Ich erlaube es dir, denn du bist kein Dieb und kommst erst zu mir, um mich darum zu fragen. Aber hüte dich vor dem Hunde! Wenn er dich bemerkt, wird er dich fassen und vorher den andern totbeißen, falls schon einer oben ist.«

»Ich habe Waffen!« meinte er.

»Er ist schneller als du, und töten darfst du ihn ja nicht; denn du müßtest ein reicher Mann sein, um ihn mir bezahlen zu können!«

»Chodih, gehe mit hinauf! Ich bin der Nezanum, und meine Pflicht gebietet mir, nachzusehen.«

»Wenn du deines Amtes zu walten hast, so werde ich dir diesen Gefallen erweisen. Komm herauf!«

Ich stieg voran, und er folgte. Droben angekommen, sah er sich um und bemerkte den Toten. Unten standen noch ebenso viele Leute, als ich vorhin gesehen hatte.

»Chodih, hier liegt einer!« rief er.

Ich trat hinzu. Er bückte sich und befühlte den Mann.

»Sere men[103], er ist tot! O, Herr, was hat dein Hund getan!«

»Seine Pflicht. Klage nicht über ihn, sondern lobe ihn. Dieser Mann hat wohl den Besitzer dieses Hauses überfallen wollen und nicht geahnt, daß heute Leute hier wohnen, die sich von keinem Diebe oder Mörder überfallen lassen.«

»Aber wo ist der Hund?« fragte er. Ich wies auf die Stelle, und er rief aus:

»O, Chodih, es liegt einer unter ihm! Rufe den Hund weg!«

»Ich werde mich wohl hüten; aber sage diesem Manne, daß er sich ja nicht rühren und ja kein Wort sprechen soll, sonst ist er verloren.«

»Du kannst ihn doch nicht während der ganzen Nacht hier liegen lassen!«

»Die Leiche werde ich dir übergeben; aber dieser Lebende bleibt mein.«

»Warum soll er hier bleiben?«

»Wenn noch jemand wagt, dieses Haus oder diesen Hof zu betreten, so wird er von dem Hunde zerrissen. Dieser Mann bleibt als Geisel hier.«

»Und ich verlange ihn!« sagte der Nezanum barsch.

»Und ich behalte ihn!« lautete meine Antwort.

»Ich bin Nezanum und gebiete es dir!«

»Laß das Gebieten bleiben! Willst du die Leiche mitnehmen oder nicht?«

»Ich nehme beide, den Toten und den Lebendigen!«

»Ich will nicht grausam sein, sondern dir versprechen, daß dieser Mann nicht in dieser unbequemen Lage bleiben soll. Ich werde ihn mit herunter in die Stube nehmen. Aber jeder Angriff gegen uns würde seinen Tod zur Folge haben!«

Er legte die Hand auf meinen Arm und sagte ernst:

»Schon dieser eine hier, welchen der Hund erwürgt hat, fordert euern Tod. Oder kennen die Tschermaka die Blutrache nicht?«

»Was redest du von Blutrache? Ein Hund hat einen Dieb erbissen. Das ist kein Fall, welcher die Blutrache herausfordert!«

 

»Er fordert sie, denn Blut ist geflossen, und euer Tier hat es vergossen. «

»Und wenn es so wäre, so geht es dich nichts an. Du hast selbst zu mir gesagt, daß diese Diebe Fremdlinge sind.«

»Es geht mich sehr viel an, denn das Blut ist in meinem Dorfe geflossen, und die Anverwandten des Toten werden die Rechenschaft auch von mir und von allen meinen Leuten fordern. Gib beide heraus!«

»Nur den Toten!«

»Schweig!« rief er nun laut, während wir bisher ziemlich leise gesprochen hatten. »Ich befehle es dir abermals. Und wenn du nicht gehorchest, so werde ich mir Gehorsam zu verschaffen wissen!«

»Wie wirst du das machen?«

»Die Leiter liegt noch am Hause. Ich laß meine Leute heraufkommen; sie werden dich wohl zwingen!«

»Du vergissest dabei die Hauptsache: – unten befinden sich vier Männer, die sich vor keinem Menschen fürchten, und hier oben bin ich mit meinem Hunde.«

»Auch ich bin oben!«

»Du würdest sofort unten sein. Paß auf!«

Ehe er es vermuten konnte, faßte ich ihn unter dem rechten Arm und beim linken Oberschenkel und hob ihn empor.

»Chodih!« brüllte er.

Ich ließ ihn wieder nieder.

»Was hätte mich gehindert, dich hinabzuwerfen? Nun gehe und sage deinen Männern, was du gehört hast!«

»Du gibst diesen Mann nicht heraus?«

»Einstweilen noch nicht!«

»So behalte auch den Toten. Du wirst ihn bezahlen müssen!«

Er stieg nicht wieder in das Innere des Hauses, sondern gleich an der Leiter hinab, welche an der Außenseite des Hauses lehnte.

»Und sage deinen Leuten,« rief ich ihm noch zu, »daß sie fortgehen und diese Leiter mitnehmen sollen. Ich wünsche, dieses Haus frei zu haben, und werde jedem, der vor demselben stehen bleibt, eine Kugel senden!«

Er hatte die Erde erreicht und sprach leise mit den Männern. Ebenso leise wurde ihm geantwortet. Ich konnte kein Wort verstehen. Aber nach einiger Zeit wurde die Leiter weggenommen, und die Versammlung zerstreute sich.

Erst jetzt rief ich dem Hunde zu. Er ließ von dem Manne ab, trat aber nur einen Schritt von ihm weg.

»Stehe auf!« sagte ich zu dem Kurden.

Dieser erhob sich schwerfällig und holte tief Atem. Er war sehr schmächtig von Gestalt, und seine Stimme hatte einen jugendlichen Klang, als er rief: »Chodeh!«[104]

Er sprach nur dies eine Wort aus, aber es klang aus demselben die ganze Fülle der ausgestandenen Todesangst.

»Hast du Waffen bei dir?«

»Ich habe nur diesen Dolch.«

Ich trat zur Sicherheit einen Schritt zurück.

»Lege ihn zu Boden und gehe zwei Schritte von der Stelle weg!«

Er tat es, und ich hob den Dolch auf und steckte ihn zu mir.

»Jetzt komm herunter!«

Der Hund blieb oben, und wir stiegen hinab, wo die Andern meiner warteten. Ich erzählte ihnen nun, was sich oben zugetragen hatte. Der Engländer betrachtete sich den Gefangenen, welcher höchstens im Anfang der zwanziger Jahre stehen konnte, und sagte dann:

»Master, dieser Kerl sieht sehr ähnlich! Dem Alten! Yes!«

Jetzt fand ich dies auch; vorher hatte ich es nicht bemerkt.

»Wahrhaftig! Sollte es sein Sohn sein?«

»Sicher! Sehr sicher! – Fragt ihn einmal, den Schlingel!«

Verhielt es sich so, dann war allerdings die Sorge des Nezanum um diesen Menschen sehr begründet; aber dann lag auch ein ganz außerordentlicher Bruch der Gastfreundschaft vor.

»Wer bist du?« fragte ich den Gefangenen.

»Ein Kurde,« antwortete er.

»Aus welchem Ort?«

»Aus Mia.«

»Du lügst!«

»Herr, ich sage die Wahrheit!«

»Du bist aus diesem Dorfe!«

Er zögerte nur einen Augenblick, aber es war genug, um mir zu verraten, daß ich recht hatte.

»Ich bin aus Mia!« wiederholte er.

»Was tust du hier so weit von deiner Heimat?«

»Ich bin als Bote des Nezanum von Mia hier.«

»Ich glaube, du kennst den Nezanum von Mia nicht so gut wie den hiesigen; denn du bist der Sohn des letzteren!«

Jetzt erschrak er förmlich, obgleich er sich Mühe gab, dies nicht merken zu lassen.

»Wer hat dir diese Lüge gesagt?« fragte er.

»Ich lasse mich nicht belügen – weder von dir noch von anderen. Ich werde bereits in der Frühe wissen, wer du bist, und dann gibt es keine Gnade, falls du mich betrogen hast!«

Er blickte verlegen vor sich nieder. Ich mußte ihm zu Hilfe kommen:

»Wie du dich verhältst, so wirst du behandelt. Bist du aufrichtig, so will ich dir verzeihen, weil du zu jung warst, um dir alles vorher zu überlegen. Verharrst du aber in deiner Verstocktheit, so gibt es keine andere Gesellschaft für dich, als meinen Hund!«

»Chodih, du wirst es doch erfahren,« antwortete er nun. »Ja, ich bin der Sohn des Nezanum.«

»Was suchtet ihr in diesem Hause?« fuhr ich in dem Verhöre fort.

»Die Pferde!«

»Wie wolltet ihr sie fortbringen?«

»Wir hätten euch eingeriegelt und die beiden Türen geöffnet; dann waren die Pferde unser.«

Dieses Geständnis war gar nicht so beschämend für ihn, denn bei den Kurden gilt der Pferdediebstahl ebenso wie der offene räuberische Ueberfall für eine ritterliche Tat.

»Wer ist der Tote, welcher oben liegt?«

»Der Besitzer dieses Hauses.«

»Sehr klug! Er mußte vorangehen, weil er die Schliche am besten kannte. Aber warum bist grad du ihm gefolgt? Es waren doch noch andere und stärkere Männer vorhanden!«

»Der Hengst, welchen du rittest, Chodih, sollte meinem Vater gehören, und ich mußte dafür sorgen, daß kein Anderer ihn beim Zügel ergriff; denn wer ein Pferd zuerst ergreift, hat das Recht darauf.«

»Also dein Vater hat selbst den Diebstahl anbefohlen? Dein Vater, welcher mir die Gastfreundschaft zusagte!«

»Er hat sie dir zugesagt, aber ihr seid dennoch nicht unsere Gäste.«

»Warum nicht?« fragte ich verwundert.

»Ihr wohnt allein in diesem Hause. Wo habt ihr den Wirt, dessen Gast ihr seid? Hättet ihr verlangt, daß der Besitzer dieser Wohnung in derselben bleiben solle, so wäret ihr unsere Gäste gewesen.«

Hier bekam ich eine Lehre, welche mir später nützlich sein konnte.

»Aber dein Vater hat mir ja Sicherheit versprochen und gelobt!«

»Er braucht sein Versprechen nicht zu halten, da ihr nicht unsere Gäste seid.«

»Mein Hund hat den Wirt getötet. Ist dies bei euch ein Grund zur Blutrache?«

Er bejahte es, und ich examinierte weiter:

»Wer ist der Rächer?«

»Der Tote hat einen Sohn hier.«

»Ich bin mit dir zufrieden. Du kannst nach Hause gehen!«

»Chodih,« rief er freudig erstaunt, »Ist dies dein Ernst?«

»Ja. Ich habe dir gesagt, daß du behandelt werden sollst ganz so, wie du dich verhältst. Du bist aufrichtig gewesen, und so sollst du deine Freiheit haben. Sage deinem Vater, daß die Tschermaka sehr friedliche Leute sind, die zwar keinem Menschen nach dem Leben trachten, aber sich auch, wenn man sie beleidigt oder gar angreift, gehörig zu verteidigen wissen. Daß der Wirt gestorben ist, das tut mir leid; aber er selbst trägt die Schuld daran, und ich werde den Rächer seines Blutes nicht fürchten.«

»Du könntest ihm ja den Preis bezahlen. Ich will mit ihm reden.«

»Ich bezahle nichts. Hätte der Mann uns nicht berauben wollen, so wäre ihm nichts Uebles geschehen.«

»Aber Herr, man wird euch töten, einen wie den andern, sobald der Tag anbricht!«

»Obschon ich dir die Freiheit und das Leben geschenkt habe?«

»Ja, dennoch! Du bist gut gegen mich, und darum will ich dich warnen. Man will eure Pferde, eure Waffen und auch euer Geld haben, und so wird man euch nicht erlauben, das Dorf zu verlassen, bis ihr dies alles hergegeben habt. Und außerdem wird der Rächer noch dein Blut verlangen.«

»Man wird weder unser Geld noch unsere Waffen und Pferde erhalten, und mein Leben steht in der Hand Gottes aber nicht in der Hand eines Kurden. Ihr habt unsere Waffen gesehen, als ich nach einem Baum und einem Zweige schoß; ihr werdet ihre volle Wirkung kennen lernen – erst dann, wenn wir auf Menschen zielen.«

»Chodih, eure Waffen werden uns nichts tun; denn wir werden uns in die beiden Häuser legen, welche hier gegenüber stehen, und können euch durch die Fenster niederschießen, ohne daß ihr uns zu sehen bekommt.«

»Also eine Belagerung!« bemerkte ich. »Sie wird nicht lange dauern.«

»Das wissen wir. Ihr habt nichts zu essen und zu trinken und müßt doch endlich geben, was wir verlangen,« meinte der junge Kurde.

»Das fragt sich sehr! Sage deinem Vater, daß wir Freunde des Bey von Gumri sind.«

»Darauf wird er nicht hören. Ein Pferd ist mehr wert als die Freundschaft eines Bey.«

»So sind wir fertig. Du kannst gehen; hier ist dein Dolch!«

»Chodih, wir werden euch die Pferde und alles andere nehmen, aber wir werden euch als wackere und gute Männer ehren!«

Das war so naiv, wie nur ein Kurde sein kann. Ich ließ ihn zur Tür hinaus, während sich hinter mir laute Stimmen erhoben.

»Master,« rief Lindsay, »Ihr laßt ihn frei?«

»Weil es besser für uns ist.«

»So erzählt doch! Was sagte er? Muß alles wissen! Yes!«

Ich berichtete mein ganzes Gespräch mit dem Kurden, und die Nachricht, daß der Nezanum es sei, dem wir den Ueberfall zu verdanken hatten, brachte mir eine Flut der kräftigsten Ausdrücke zu Gehör.

103Bei meinem Haupte.
104O Gott!