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Durchs wilde Kurdistan

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»Was meinst du?« fragte er verwundert.

Ich antwortete ihm nicht sogleich.

Wirklich waren in diesem Moment die Gefangenen auf und zu den Pferden gesprungen. Sie hatten dieselben bestiegen, noch ehe der erste Alarmruf erscholl. Auch der Engländer saß auf und folgte ihnen in der Weise, daß er eine Anzahl von Männern, die sich zur Verfolgung erhoben hatten, über den Haufen ritt.

»Deine Gefangenen entfliehen,« antwortete ich jetzt gemächlich.

Es war eine sehr kindliche List gewesen, die ich anwandte, um seine Augen und auch diejenigen der Umsitzenden in dem entscheidenden Moment von den Gefangenen abzulenken; aber sie war gelungen. Er fuhr herum.

»Ihnen nach!« rief er und sprang zu seinem Pferde. Es war ein kurdischer Falbenhengst von ausgezeichneter Bauart. Mit diesem Tiere wären die Flüchtlinge sehr bald eingeholt gewesen. Ich mußte das verhindern, sprang ihm nach und zog den Dolch. Eben wollte er zum Zügel greifen, als ich das Tier in den hintern Oberschenkel stach und ihm einen derben Schlag versetzte. Es schlug wiehernd mit allen Vieren aus und sprang davon.

»Verräter!« rief der Melek und drang auf mich ein.

Ich schleuderte ihn zurück, war mit einigen Sprüngen bei meinem Rappen, schwang mich hinauf und sauste davon.

Die Flüchtigen wußten, daß aufwärts im Tale ein Vortrupp stand, und hatten sich deshalb nach rechts abwärts gewandt. Ich eilte an den vordersten der Verfolger vorüber, bis ein Zwischenraum zwischen mir und ihnen lag; dann hielt ich an und legte das Gewehr an den Backen.

»Haltet an! Ich schieße!«

Sie hörten nicht; ich drückte also zweimal ab und schoß die beiden ersten Pferde nieder. Die andern Reiter stutzten und blieben halten; aber die hinteren drängten, und so gab ich noch drei Schüsse ab. Der dadurch verursachte Aufenthalt hatte aber doch den Flüchtigen Zeit gegeben, uns aus dem Gesichte zu kommen. Jetzt erschien der Melek auf seinem Falben, den er sich wieder eingefangen hatte. Er überblickte die Szene und riß sein Pistol heraus.

»Schießt ihn nieder!« rief er zornig und ritt auf mich ein.

Jetzt wandte ich mein Pferd und floh. Es kam alles auf die Schnelligkeit des Rappen an. Ich legte ihm die Hand zwischen die Ohren.

»Rih – —!«

Da bog er sich lang und flog dahin, als sei er von einer Sehne geschnellt. Seine lange Mähne wehte mir wie eine Fahne um das Knie. In einer Minute konnte mich der Melek mit keinem Gewehr mehr erreichen. Jetzt am hellen Tage war es noch ein ganz anderes Jagen als damals in dunkler Nacht vom Tale der Stufen nach dem Lager der Haddedihn zurück. Ich erreichte die erste Krümmung des Tales, als eben die Meinigen hinter der zweiten verschwanden. Da kam mir ein Gedanke. Ich machte mich so leicht wie möglich in dem Sattel, und der Hengst schoß dahin, daß sogar der Windhund weit dahinter blieb. In drei Minuten hatte ich die Gefährten erreicht, die ihre Pferde auf das möglichste anstrengten.

»Reitet schneller!« rief ich. »Nur kurze Zeit noch schneller. Ich werde den Melek irre führen.«

»Wie so?« fragte der Bey.

»Das kümmert euch nicht. Habe keine Zeit, es zu erklären. Aber heut abend treffen wir uns in Gumri.«

Ich hielt mein Pferd an, während sie fortgaloppierten. Bald waren sie hinter einer neuen Krümmung verschwunden. Ich ritt zur vorigen zurück und sah die Verfolger weit oben, den Melek ihnen allen voran. Ich rechnete mir den Augenblick, in welchem sie meinen jetzigen Standort erreichen mußten, aufs ungefähre aus und kehrte langsam wieder um, setzte mein Pferd in Trab und dann abermals in Galopp. Der Windhund erreichte mich wieder, und bald erschienen auch die Verfolger, welche mich erblickten und natürlich glaubten, daß ich die Gefährten noch gar nicht erreicht habe, aber genau den Weg einschlagen werde, auf dem sie fortgeritten waren.

Wieder kam ein kleines Wasser aus einem Seitentale hervor, und ich bog in dieses Tal ein. Es war sehr steinig und hatte sehr wenig Pflanzenwuchs. Ich mußte hier langsamer reiten und sah sehr bald, daß der Melek mir folgte. Jedenfalls ritten auch die Seinen ihm nach, und die Kurden waren gerettet.

Nun aber mußte ich sehr bald eine Bemerkung machen, die mir nicht angenehm sein konnte. Der Falbe des Melek war nämlich ein besserer Bergsteiger noch als mein Rappe. Diesen mußte ich immer mehr anstrengen, und dennoch verkleinerte sich die Distanz zwischen mir und dem Verfolger. Am beschwerlichsten war der obere Teil der Schlucht, wo es eine ziemliche Steilung zu überwinden gab, die aus losem Gestein bestand, welches unter den Hufen des Pferdes nachgab. Ich streichelte und liebkoste das Tier; es stöhnte und schnaufte und tat sein möglichstes – endlich waren wir oben.

Da aber krachte hinter mir auch schon der Schuß des Melek; glücklicherweise traf er nicht.

Nun galt es vor allen Dingen, das Terrain zu überblicken. Ich sah nichts als unbewaldete, kahle Höhen, zwischen denen es keinen Pfad zu geben schien. Am gangbarsten hielt ich eine Bergwand, welche mir zur Rechten lag, und lenkte auf sie zu. Die Kuppe, auf welcher ich mich befand, war eine ziemliche Strecke lang beinahe eben; darum gewann ich wieder etwas Vorsprung.

Jetzt ging es bergab, wo sich mir eine natürliche Felsenbahn zeigte, die einem Wege glich. Ich erreichte denselben und ritt auf ihm rasch vorwärts.

Ueber mir ertönte ein lauter Schrei. Der Melek hatte ihn ausgestoßen. War es ein Ruf des Aergers, mich entkommen zu sehen? Fast klang es aber wie ein Warnungsruf. Ich ritt vorwärts und sah den Melek mir vorsichtig folgen. Die Terrainverhältnisse wurden immer schwieriger. Zu meiner Rechten stieg der Fels steil in die Höhe, und zu meiner Linken fiel er beinahe lotrecht zur Tiefe hinab, und dabei wurde der Pfad immer schmaler. Mein Pferd war von den Schammarbergen her wohl solche Tiefen gewöhnt; es scheute nicht und schritt vorsichtig weiter, obgleich der Pfad eine Breite von nicht über zwei Fuß mehr hatte. Stellenweise allerdings war er breiter, und ich hoffte, als ich eine Krümmung des Berges vor mir sah, daß sich der Fels hinter derselben wieder gangbar zeigen werde. Dort angelangt, blieb das Pferd stehen, ohne daß ich es anzuhalten brauchte. Wir blickten, Roß und Reiter, in eine Tiefe von mehreren hundert Fuß hinab.

Ich befand mich in einer geradezu schauderhaften Lage. Vorwärts konnte ich nicht, umwenden auch nicht, und da hinten sah ich den Melek an der Felsenkante lehnen. Vielleicht hatte er diese Gegend gekannt, denn er war abgestiegen und mir zu Fuße gefolgt. Hinter ihm sah ich mehrere seiner Leute ankommen.

Ich konnte allerdings hinter meinem Pferde herabrutschen und zurückkehren; aber dann war mein herrlicher Rappe verloren. Darum beschloß ich, alles zu wagen. Ich redete ihm freundlich zu und ließ ihn rückwärts gehen. Er gehorchte und tastete sich mit ungeheurer Vorsicht, aber schnaubend und zitternd zurück. Wenn ihn nur ein kleiner Schwindel überfiel, so waren wir verloren. Aber der beruhigende und ermutigende Ton meiner Stimme schien ihm doppelten Scharfsinn zu verleihen. Wenn es auch langsam ging, so gelangten wir doch Schritt um Schritt weiter und endlich an eine Stelle, wo der Platz mehr als doppelt so breit war, als bisher.

Hier ließ ich das Pferd ausruhen. Der Melek erhob sein Gewehr.

»Bleib dort, sonst schieße ich!« rief er mir zu.

Sollte ich es zum Schusse kommen lassen? Wenn mein Pferd erschrak, konnte es mit mir in die Tiefe springen. Oder es konnte sich eine Partie des Gesteines ablösen und uns zerschmettern. Aber bleiben konnte ich nicht. Daher beschloß ich, selbst zu schießen; denn wenn der Rappe die Vorbereitung dazu bemerkte, so erschrak er wahrscheinlich nicht.

Uebrigens war die Entfernung zwischen mir und dem Melek immerhin so bedeutend, daß ich seine Kugel nicht zu fürchten brauchte. Erreichte sie uns aber dennoch, so brauchte sie nur das Pferd zu ritzen, um es scheu zu machen. Ich drehte mich also im Sattel um, legte die Büchse an und rief:

»Geh fort, sonst bin ich es, welcher schießt!«

Er lachte und erwiderte:

»Du machst wohl auch nur Spaß. So weit her trifft niemand.«

»Ich werde dir ein Loch in den Turban machen!«

Ich schwenkte die Büchse noch einmal weit in die Luft und ließ den Hahn laut knacken, damit der Rappe vorbereitet sei. Dann zielte ich, drückte ab und wandte mich sofort wieder um. Diese letztere Vorsicht war unnötig, denn das Pferd stand still. Hinter mir aber erscholl ein Ruf, und als ich mich wieder umdrehte, war der Melek verschwunden. Schon fürchtete ich, ihn erschossen zu haben; aber ich bemerkte bald, daß er sich nur in sichere Entfernung zurückgezogen hatte.

Ich lud den abgeschossenen Lauf wieder und ließ dann das Pferd abermals rückwärts gehen. Der Hund verhielt sich während dieser Zeit außerordentlich still. Er blieb stets in ziemlicher Entfernung von dem Pferde; es war, als ob er wisse, daß er dasselbe durch keinen Laut und keine Bewegung stören dürfe.

Jetzt dauerte es sehr lange, ehe wir wieder eine Ruhestelle erreichten. Sie war vielleicht fünf Ellen lang und vier Fuß breit.

Sollte ich es wagen? Es war wohl besser, alles auf einen Augenblick zu setzen, als uns noch stundenlang zu quälen. Ich drängte den Rappen hart an den Felsen hinan, damit er rückwärts die Platte überblicken könne. – Dann – gnädiger Gott, hilf! – gab ich dem Tiere die Schenkel, zog es empor und riß es herum.

Einen Augenblick schwebten seine Vorderhufe über der Tiefe, dann faßten sie festen Fuß; die gefährliche Wendung war geglückt. Aber das Tier zitterte am ganzen Leib, und es dauerte einige Zeit, ehe ich es ohne Besorgnis weitergehen lassen konnte.

Nun aber war uns geholfen – Gott sei Dank! Wir legten den gefährlichen Pfad schnell zurück, dann jedoch sah ich mich gezwungen, halten zu bleiben. In geringer Entfernung von mir stand der Melek mit vielleicht zwanzig seiner Leute. Alle hatten die Gewehre angelegt.

 

»Halt!« gebot er mir. »Sobald du eine Waffe ergreifest, werde ich schießen!«

Hier wäre Widerstand ein Frevel gewesen.

»Was willst du?« fragte ich.

»Steige ab!« lautete seine Antwort.

Ich tat es.

»Lege deine Waffen ab!« gebot er weiter.

»Das tue ich nicht.«

»So schießen wir dich nieder!«

»Schießt!«

Sie taten es doch nicht, sondern besprachen sich leise. Dann sagte der Melek:

»Emir, du hast mein Leben geschont, ich möchte dich auch nicht töten. Willst du uns freiwillig folgen?«

»Wohin?«

»Nach Lizan.«

»Ja, aber nur dann, wenn du mir läßt, was ich besitze.«

»Du sollst alles behalten.«

»Du schwörst es mir?«

»Ich schwöre!«

Ich ritt nun auf sie zu, nahm aber den Revolver in die Hand, um auf eine etwaige Hinterlist gefaßt zu sein. Aber der Melek reichte mir seine Hand entgegen und sagte:

»Emir, war das nicht entsetzlich?«

»Ja, in der Tat.«

»Und du hast den Mut nicht verloren?«

»Dann wäre auch ich verloren gewesen. Gott hat mich beschützt!«

»Ich bin dein Freund!«

»Und ich der deinige.«

»Aber dennoch mußt du mein Gefangener sein, denn du hast als Feind an mir gehandelt.«

»Aber doch hoffentlich mit Offenheit! Was wirst du in Lizan mit mir tun? Mich einsperren?«

»Ja. Aber wenn du mir versprichst, nicht zu fliehen, so kannst du als mein Gast bei mir wohnen.«

»Ich kann jetzt noch nichts versprechen. Erlaube, daß ich es mir noch überlege!«

»Du hast Zeit dazu!«

»Wo sind deine andern Krieger?«

Er lächelte überlegen und erwiderte:

»Chodih, die Gedanken deines Kopfes waren klug, aber ich habe sie dennoch erraten.«

»Welche Gedanken?«

»Glaubst du, daß ich denken kann, der Bey von Gumri werde zu Pferde in diese Berge fliehen, die er ebenso gut kennt, wie ich? Er weiß, daß er hier nicht entkommen könnte.«

»Was hat dies mit mir zu tun?«

»Du wolltest mich irre leiten. Ich folgte dir, weil ich des Bey sicher bin und ich auch dich zugleich wieder haben wollte. Diese wenigen Männer kamen mit mir; die andern aber haben sich geteilt und werden die Flüchtlinge sehr bald in ihre Gewalt bekommen.«

»Sie werden sich wehren!« warf ich ein.

»Sie haben keine Waffen.«

»Sie werden zu Fuß durch den Wald entkommen!«

»Der Bey ist zu stolz, ein Pferd zu verlassen, welches noch laufen kann! Du hast umsonst dich in Gefahr begeben und umsonst unsere Tiere getötet und verwundet. Komm!«

Wir machten denselben Weg wieder zurück, den wir gekommen waren. Da, wo ich aus dem Haupttale in die Seitenschlucht eingelenkt hatte, hielten einige Reiter.

»Wie ging es?« fragte sie der Melek.

»Wir haben nicht alle wieder.«

»Wen habt ihr?«

»Den Bey, den Haddedihn, den Diener dieses Chodih und noch zwei Kurden.«

»Das ist genug. Haben sie sich gewehrt?«

»Nein. Es hätte ihnen nichts geholfen, denn sie wurden umzingelt; aber einige der Kurden entschlüpften in die Büsche.«

»Wir haben den Anführer, und das ist genug!«

Nun kehrten wir nach dem Orte zurück, an welchem ich die Gefangenen zuerst getroffen hatte. Wunderbar war es mir, daß man den Engländer nicht erwischt hatte. Wie war er entkommen, und wohin hatte er sich gewendet? Er verstand kein Kurdisch. Was mußte da aus ihm werden!

Als wir den Lagerplatz erreichten, saßen die Gefangenen bereits wieder an ihrem vorigen Platze, waren aber jetzt gebunden.

»Willst du zu ihnen oder zu mir?« fragte mich der Melek.

»Zunächst zu ihnen.«

»So werde ich dich ersuchen, deine Waffen vorher abzulegen!«

»So bitte ich dich, mich und die Gefangenen bei dir sein zu lassen. In diesem Falle verspreche ich dir, bis wir nach Lizan kommen, keinen Gebrauch von meinen Waffen zu machen und auch nicht zu fliehen.«

»Aber du wirst den andern zur Flucht verhelfen!«

»Nein. Ich hafte auch für sie, stelle aber die Bedingung, daß sie ihr Eigentum behalten und nicht gefesselt werden.«

»So sei es!«

Wir nahmen beieinander Platz, die meisten wohl, das gestehe ich, mit einem Gefühle der Beschämung; denn wir hatten uns alle wieder einfangen lassen. Da aber erscholl ein Ruf des Erstaunens: – es erschien ein Reiter, den man zu erblicken wohl nicht erwartet hätte: Master Lindsay.

Er blickte sich um, sah uns und kam auf uns zugeritten.

»Ah, Sir! Auch wieder da?« fragte er erstaunt.

»Ja. Good day, Master Lindsay!«

»Wie kommt Ihr wieder her? Waret ja über alle Berge.«

»Wenigstens nicht so freiwillig wie Ihr.«

»Freiwillig? Mußte ja!«

»Warum?«

»He! Schauderhafte Lage! Weiß nur, was Esel heißt und Maulschelle im Kurdischen, und soll ganz allein durch dieses Land reiten! Sah, daß alles wieder gefangen wurde, und bin langsam hinterher geritten.«

»Wo habt Ihr gesteckt, als man die Andern erwischte?«

»War ein wenig vorangekommen, weil mein Pferd besser laufen konnte, als die andern. Aber wohin waret Ihr verschwunden?«

»Sir, ich habe heute eine der gefährlichsten Stunden meines Lebens gehabt; das könnt Ihr mir glauben. Steigt ab. Ich werde es Euch erzählen!«

Er ließ sein Pferd laufen und setzte sich zu uns. Ich erzählte ihm meinen Ritt über den Felsensteig.

»Master,« meinte er, als ich fertig war, »das ist heut ein schlimmer Tag, ein sehr schlimmer! Well! Habe keine Lust, gleich wieder auf die Bärenjagd zu gehen! Yes!«

Auch zwischen mir und dem Bey nebst Halef und Amad el Ghandur gab es viel zu erzählen. Der erstere hoffte, daß Mohammed Emin nach Gumri geeilt sei, um Hilfe zu holen, und freute sich bereits darauf, daß die Nestorah noch hier im Lager überfallen würden; aber seine Erwartungen erfüllten sich nicht.

Es wurde bald, nachdem wir einen frugalen Imbiß von unsern Besiegern erhalten hatten, aufgebrochen. Man nahm uns in die Mitte, und der Zug setzte sich in Bewegung, um ganz dieselben Wege zu passieren, die ich mit dem Engländer bereits zweimal zurückgelegt hatte. Durch die Beerdigung der liegen gebliebenen Kurden trat eine Verzögerung ein, dann aber ging es so schnell vorwärts, daß wir noch vor Einbruch der Nacht den Weiler erreichten, in welchem der Bruder des Melek wohnte.

Dort wurden wir auf eine nicht sehr freundliche Weise empfangen. Die Nestorah, denen wir hier entkommen waren, hatten sich nach einer kurzen und erfolglosen Verfolgung in dieses Haus zurückbegeben. Sie empfingen ihre Kameraden mit großem Jubel, uns aber mit drohenden Worten und Blicken. Der Bruder des Melek stand an der Türe, um denselben zu begrüßen.

»Hast du den großen Helden wieder gefangen, der so tapfer ist, daß er am liebsten flüchtet? Er ist rückwärts gelaufen wie ein Keftschinik[124], der nur unreines Fleisch verzehrt. Binde ihm die Hände und Füße, damit er nicht nochmals entlaufen kann!«

So fragte höhnisch der Bruder des Melek.

Das durfte ich mir allerdings nicht bieten lassen. Nahm ich eine solche Beleidigung ruhig hin, so war es ganz sicher um den Respekt geschehen, dessen wir so notwendig bedurften.

Darum gab ich Halef die Zügel meines Pferdes und trat hart an den Sprecher heran:

»Mann, du hast zu schweigen! Wie kann ein Lügner und Verräter es wagen, ehrliche Leute zu beschimpfen!«

»Was wagest du!« schrie er mich an. »Einen Verräter nennst du mich? Sage noch einmal dieses Wort, so schlage ich dich zu Boden!«

Ich antwortete kühl, aber ernst:

»Versuche doch einmal, ob du dies zu stande bringst! Ich habe dich einen Lügner und Verräter genannt, und das bist du auch. Du nanntest uns deine Gäste, um uns sicher zu machen, und nahmst uns dann gefangen, um mein Pferd zu stehlen. Du bist nicht nur ein Lügner und Verräter, sondern auch ein Dieb, der seine Gäste betrügt.«

Da erhob er die Faust; aber noch ehe er zu schlagen vermochte, lag er am Boden, ohne daß ich ihn angerührt hatte. Mein Hund war jeder seiner Bewegungen gefolgt und hatte ihn niedergerissen. Er stand über ihm und legte seine Zähne so fühlbar an die Gurgel des Mannes, daß dieser weder einen Laut noch eine Bewegung wagte.

»Rufe den Hund zurück, sonst steche ich ihn nieder!« befahl mir der Melek.

»Versuche es!« antwortete ich. »Ehe du das Messer erhebst, ist dein Bruder zerrissen, und du liegst an seiner Stelle an der Erde. Dieser Hund ist ein Slogi von der reinsten Rasse. Siehst du, daß er dich bereits im Auge hat?«

»Ich gebiete dir, ihn wegzurufen!«

»Gebieten? Pah! Ich habe dir gesagt, daß wir dir nach Lizan folgen wollen, ohne Gebrauch von unsern Waffen zu machen; aber ich habe dir nicht erlaubt, dich als unsern Herrn und Gebieter zu betrachten. Dein Bruder hat bereits einmal unter diesem tapferen Hunde gelegen, und ich gab ihm seine Freiheit wieder. Jetzt werde ich dies nicht mehr tun, als bis ich die Ueberzeugung habe, daß er fortan Frieden hält.«

»Er wird es tun.«

»Gibst du mir dein Wort darauf?«

»Ich gebe es!«

»Ich halte es fest und warne dich, es nicht zu brechen!«

Auf ein Wort von mir ließ Dojan von dem Chaldäer ab. Dieser erhob sich, um sich eiligst zurückzuziehen; aber ehe er unter der Türe verschwand, hob er die geballte Rechte drohend gegen mich empor. Ich hatte einen schlimmen Feind an ihm bekommen.

Auch auf den Melek schien der unangenehme Vorgang einen für uns nicht vorteilhaften Eindruck hervorgebracht zu haben. Seine Miene war strenger und sein Auge finsterer geworden, als vorher.

»Tretet ein!« gebot er, auf die Türe des Hauses deutend.

»Erlaube, daß wir im Freien bleiben!« sagte ich.

»Ihr werdet in dem Hause sicherer und auch besser schlafen,« antwortete er in sehr entschiedenem Tone.

»Wenn es dir auf unsere Sicherheit ankommt, so glaube mir, daß wir hier besser aufgehoben sind, als unter diesem Dache, unter welchem ich bereits einmal betrogen und verraten wurde.«

»Es wird nicht wieder geschehen. Komm!«

Er nahm mich bei dem Arme; ich aber zog denselben zurück und trat zur Seite.

»Wir bleiben hier!« sagte ich sehr bestimmt. »Wir sind nicht gewohnt, uns von unsern Pferden zu trennen. Hier wächst Gras genug für sie zum Futter und für uns zum Lager.«

»Ganz wie du willst, Chodih,« antwortete er. »Aber ich sage dir, daß ich euch sehr scharf bewachen lassen werde.«

»Tue es!«

»Sollte einer von euch zu entfliehen versuchen, so lasse ich ihn erschießen.«

»Tue auch das!«

»Du siehst, daß ich dir deinen Willen lasse; aber einer muß mir doch in das Haus folgen.«

»Welcher?«

»Der Bey.«

»Warum dieser?«

»Ihr seid nicht eigentlich meine Gefangenen; er aber ist ein solcher.«

»Er wird dennoch bei mir bleiben, denn ich gebe dir mein Wort, daß er nicht entfliehen wird. Und dieses Wort ist sicherer als die Mauern, zwischen denen du ihn einschließen willst.«

»Du bürgst für ihn?«

»Mit meinem Leben!«

»Nun wohl, so geschehe, wie du willst. Aber ich sage dir, daß ich dein Leben wirklich von dir fordern werde, wenn er sich entfernt! Ich werde dir Matten schicken zum Lager, Holz zum Feuer und Speise und Trank für dich und die Andern. Suche dir eine Stelle, welche dir passend erscheint!«

Unweit des Gebäudes gab es einen weichen Rasen, auf welchen wir uns niederließen. Die Pferde wurden nach Art der Indianer »angehobbelt«, so daß sie zwar grasen, sich aber nicht weit entfernen konnten, und wir machten uns ein mächtiges Feuer, um welches wir auf den uns zur Verfügung gestellten Matten einen Kreis schlossen. Bald erhielten wir auch ein soeben erst geschlachtetes Schaf mit der Weisung, es uns selbst zu braten. Dies geschah, indem wir es an einen starken Ast befestigten, den wir als Bratspieß gebrauchten.

An eine Flucht war nicht zu denken, denn die ganze Schar der Nestorianer hatte sich an vielen Feuern um uns her gelagert. Sie brieten sich ihre Hammel und Lämmer ganz in derselben Weise, wie wir, und waren voll des Jubels über den Sieg, den sie heute errungen hatten.

»Wie ist Euch zu Mute, Master?« fragte mich Lindsay, welcher zu meiner Linken saß.

»Wie einem, der Hunger hat, Sir.«

»Well! Habt recht!«

Er wandte sich von mir ab und nach Halef hin, welcher jetzt den Braten vom Feuer nahm, um ihn zu zerlegen. Der Master Lindsay war zu hungrig, um dies ruhig erwarten zu können; er zog sein Messer, schnitt sich schleunigst einen riesigen Appetitsbissen ab und öffnete seinen Mund in der Weise, daß die Lippen zwei Hypotenusen und vier Katheten bildeten, zwischen denen der Bissen seiner irdischen Auflösung entgegen gehen sollte.

 

In diesem Momente blickte ich ganz zufälligerweise nach dem Hause hin. Dasselbe war von den zahlreichen Feuern ziemlich hell erleuchtet, und so war es mir möglich, einen menschlichen Kopf zu erkennen, welcher sich langsam vom Dache erhob. Dem Kopfe folgte ein Hals, diesem zwei Schultern, und dann gewahrte ich den langen Lauf einer Flinte, welcher sich grad nach unserem Feuer richtete. Im Nu hatte ich auch meine Büchse ergriffen und angelegt; droben blitzte ein Schuß, und fast zu gleicher Zeit krachte auch unten der meinige; droben erscholl ein Schrei, und unten wurde ein zweiter ausgestoßen. Dieser letztere Schrei kam zwischen den Hypotenusen und Katheten des Engländers hervor, welchem die Kugel des heimtückischen Schützen das Messer samt dem Bissen vor dem Munde aus der Hand gerissen hatte.

»Zounds!« rief er. »Wer war der Halunke, he?«

Das alles war so ungemein schnell geschehen, daß niemand den Schuß auf dem Dache hatte aufblitzen sehen. Einer der nahe lagernden Nestorianer, welcher vielleicht den Rang eines Unteranführers begleitete, trat herbei.

»Warum schießest du, Chodih?« fragte er.

»Weil ich mich verteidigen muß.«

»Wer greift dich an? Ich sehe ja keinen Feind.«

»Aber ich habe ihn gesehen,« antwortete ich. »Er lag dort oben auf dem Dache und schoß nach mir.«

»Du irrst, Chodih!«

»Ich irre nicht. Es wird der Bruder des Melek sein, und weil er sich nicht warnen läßt, so habe ich ihn bestraft.«

»Du hast ihn erschossen?« fragte der Mann erschrocken.

»Nein. Ich zielte auf seinen rechten Ellbogen und bin sicher, ihn dort getroffen zu haben.«

»Herr, das ist schlimm für dich! Ich werde sofort nachsehen.«

Die sämtlichen Nestorianer hatten sich von ihren Plätzen erhoben und zu den Waffen gegriffen. Ganz dasselbe taten auch wir. Nur allein der Englishman saß noch am Boden. Sein Mund klappte in allen möglichen geometrischen Figuren auf und zu, und seine Nase war von einer so außerordentlichen Bestürzung ergriffen, daß sie matt und hoffnungslos hernieder hing.

»Seid ihr perplex, Sir?« fragte ich ihn.

Er holte tief Atem, nahm sein Gewehr und stand langsam auf.

»Master, bald hätte mich der Schlag gerührt!« gestand er aufrichtig.

»Eines Schusses wegen? Pah!«

»O, nicht dieses Schusses wegen!«

»Weshalb sonst?«

»Des Hiebes wegen, den ich erhalten habe. Mein Messer ist in alle Welt gefahren, und dieses Stück Fleisch vom Schafe flog mir in das Gesicht mit einer Gewalt, als hätte ich von dem Obersteuermann eines Orlogschiffes eine riesige Ohrfeige erhalten. Da, seht meine Wange, und hier liegt das Fleisch im Grase!«

»Sihdi, kommt es zum Kampfe?« fragte Halef, indem er seine Pistolen im Gürtel lockerte.

»Ich glaube es nicht.«

»Und wenn auch; wir fürchten uns nicht!«

Der kleine, wackere Mann warf einen verächtlichen Blick auf die Chaldäer, welche allerdings noch keine feindseligen Bewegungen machten, sondern ruhig abwarteten, was der Unteranführer für eine Botschaft bringen werde.

Er kam sehr bald zurück, und zwar in Begleitung des Melek, welcher mit drohender Miene zu unserm Feuer trat.

»Wer hat hier geschossen?« erkundigte er sich.

»Ich,« antwortete ich. »Weil auf mich geschossen wurde.«

»Es ist nicht wahr! Nur dein Hund sollte erschossen werden.«

»Wer hat dies befohlen? Etwa du selbst?«

»Nein. Ich wußte nichts davon. Aber, Chodih, nun seid ihr alle verloren. Du hast eines Hundes wegen auf meinen Bruder geschossen!«

»Ich habe das Recht, einen jeden niederzuschießen, der meinen Hund töten will, und von diesem Rechte werde ich auch ferner Gebrauch machen; das merke dir. Wie aber will dein Bruder beweisen, daß er nicht mich, sondern meinen Hund töten wollte?«

»Er sagt es.«

»So ist er ein sehr schlechter Schütze, denn er hat nicht den Hund, sondern diesen Emir aus Inglistan getroffen.«

»Er hat wirklich nur den Hund gemeint. Es gibt keinen Menschen, der des Abends seiner Kugel sicher ist.«

»Das ist keine Entschuldigung für eine so heimtückische Tat. Die Kugel ist vier Schritte entfernt an dem Tiere vorübergegangen; eine Handbreit höher, so wäre dieser Emir eine Leiche gewesen. Uebrigens gibt es Leute, welche auch des Nachts sicher schießen; das werde ich dir beweisen. Ich habe nach dem rechten Ellbogen deines Bruders gezielt, und sicher habe ich ihm denselben zerschmettert, obgleich ich weniger Zeit zum Zielen hatte, als er selbst.«

Er nickte grimmig.

»Du hast ihm den Arm genommen; du wirst‘s mit deinem Leben bezahlen!«

»Höre, Melek, und sei froh, daß ich nicht nach seinem Kopfe zielte, welcher viel leichter als der Arm zu treffen war! Ich sehne mich nicht nach Menschenblut, denn ich bin ein Christ; aber wer es wagt, mich oder die Meinen anzugreifen, der wird uns und unsere Waffen kennen lernen.«

»Wir fürchten sie nicht, denn wir sind euch überlegen.«

»So lange mein Wort uns bindet; sonst aber nicht.«

»Ihr werdet uns sofort eure Gewehre geben müssen, damit ihr nicht ferneren Schaden damit anrichtet.«

»Und was wird dann geschehen?«

»Ich will über die andern zu Gerichte sitzen; dich aber werde ich meinem Bruder überlassen. Du hast sein Blut vergossen; also gehört das deinige nun ihm.«

»Sind die Chaldani[125] Christen oder Barbaren?«

»Das geht dich nichts an! Gib deine Waffen ab!«

Seine ganze Schar hatte einen weiten Kreis um uns geschlossen, und es war jedes Wort zu hören, welches von uns beiden gesprochen wurde. Bei seinem letzten Befehle griff er nach meiner Büchse.

Ich warf Sir Lindsay einige englische und den andern einige arabische Worte zu, und dann fuhr ich gegen den Melek fort:

»So betrachtest du uns von jetzt an als Gefangene?«

Als er bejahte, erwiderte ich:

»Du Unvorsichtiger! Glaubst du wirklich, daß wir euch fürchten müssen? Wer die Hand gegen einen Emir aus Germanistan erhebt, der erhebt sie doch nur gegen sich selbst. Wisse, nicht ich bin dein Gefangener, sondern du bist der meinige!«

Bei diesen Worten faßte ich ihn mit der Linken beim Genick und drückte ihm den Hals so fest zusammen, daß ihm sofort die Arme schlaff herniederhingen, und zugleich bildeten die Gefährten mit nach auswärts gerichteten schußfertigen Waffen einen Kreis um mich. Dies geschah so schnell und unerwartet, daß die Nestorianer ganz sprachlos auf uns starrten. Ich benutzte diese jedenfalls nur kurze Pause und rief ihnen zu:

»Seht ihr den Melek hier an meinem Arme hangen? Es bedarf nur noch eines einzigen Druckes, so ist er eine Leiche, und dann wird die Hälfte von euch durch unsere verzauberten Kugeln sterben. Kehrt ihr aber ruhig an eure Feuer zurück, so lasse ich ihm das Leben und werde mit ihm und euch in Güte verhandeln. Merkt auf! Ich zähle bis drei. Steht dann noch ein einziger an seiner jetzigen Stelle, so ist der Melek verloren! – Je —, du —, seh —, eins —, zwei —, drei – —«

Ich hatte das letzte Wort noch nicht ausgesprochen, so saßen die Chaldäer alle an den Feuern auf ihren früheren Plätzen. Das Leben ihres Anführers hatte demnach einen großen Wert für sie. Wären Kurden an ihrer Stelle gewesen, so wäre mir das gefährliche Experiment ganz sicher nicht so wohl gelungen. Nun aber ließ ich den Melek los. Er fiel mit matten Gliedern und krampfhaft verzerrtem Angesicht zu Boden, und es dauerte einige Zeit, ehe er sich wieder vollständig bei Atem befand. Er hatte das Haus verlassen, ohne eine einzige Waffe zu sich zu nehmen, und nun stand ich vor ihm und richtete den Revolver scharf nach seinem Herzen.

»Wage es nicht, dich zu erheben!« gebot ich ihm. »Sobald du es ohne meine Erlaubnis tust, wird dich meine Kugel treffen.«

»Chodih, du hast mich belogen!« stöhnte er, indem er mit beiden Händen seinen Hals untersuchte.

»Ich weiß nichts von einer Lüge,« antwortete ich ihm.

»Du hast mir versprochen, deine Waffen nicht zu gebrauchen!«

»Das ist wahr; aber ich habe dabei vorausgesetzt, daß wir nicht feindlich behandelt würden.«

»Du hast mir auch versprochen, daß du nicht fliehen willst!«

»Wer hat dir gesagt, daß wir fliehen wollen? Verhaltet euch als Freunde, so wird es uns bei euch ganz wohl gefallen.«

»Du selbst hast ja die Feindseligkeiten begonnen!«

»Melek, du nennst mich einen Lügner und sagst doch soeben selbst eine Lüge. Ihr selbst habt uns und die Kurden von Gumri überfallen. Und als wir im Frieden hier am Feuer lagen, hat dein Bruder auf uns geschossen. Wer also hat die Feindseligkeit begonnen, wir oder ihr?«

»Es galt nur deinem Hund!«

»Deine Gedanken sind ganz kurz, Melek! Mein Hund sollte getötet werden, damit er nicht mehr imstande sei, uns zu schützen. Er hat für mich einen größeren Wert, als das Leben von hundert Chaldani. Wer ihm ein Haar krümmt, oder wer nur einen Zipfel unseres Gewandes beschädigt, der wird von uns behandelt, wie der Vorsichtige einen tollen Hund behandelt, den man, um sich zu retten, töten muß. Das Leben deines Bruders stand in meiner Hand; ich habe ihm nur eine Kugel in den Arm gegeben, damit er sein Gewehr nicht wieder meuchlings erheben kann. Auch das deinige gehörte mir, und ich habe es dir gelassen. Was wirst du über uns beschließen?«

124Krebs.
125So nennen sich die Nestorianer Kurdistans am liebsten.