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Durchs wilde Kurdistan

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»Ich habe versprochen, Lizan nicht ohne den Willen des Melek zu verlassen. Ist dir dies genug?«

»Ich will dir trauen, obgleich ich verantwortlich bin für alles, was du während meiner Gegenwart unternimmst. Was willst du zunächst sehen?«

»Ich möchte den Berg besteigen, von welchem Beder-Khan-Bey die Chaldani herabstürzen ließ.«

»Es ist sehr schwer, emporzukommen. Kannst du gut klettern?«

»Sei ohne Sorge!«

»So komm, und folge mir!«

Während wir gingen, beschloß ich, den Karuhja nach seinen Religionsverhältnissen zu fragen. Ich war mit denselben so wenig vertraut, daß mir eine Aufklärung nur lieb sein konnte. Er kam mir mit einer Frage recht glücklich entgegen:

»Bist du ein Moslem, Chodih?«

»Hat dir der Melek nicht gesagt, daß ich ein Christ bin?«

»Nein; aber ein Chaldani bist du nicht. Gehörst du vielleicht zu dem Glauben, welchen die Missionare aus Inglistan predigen?«

Ich verneinte, und er sagte:

»Das freut mich sehr, Herr!«

»Warum?« fragte ich.

»Ich mag von ihrem Glauben nichts wissen, weil ich von ihnen selbst nichts wissen mag.«

Mit diesen wenigen Worten hatte dieser einfache Mann alles gesagt, was er sagen wollte.

»Bist du mit einem von ihnen zusammengetroffen?« fragte ich.

»Mit mehreren; aber ich habe den Staub von meinen Füßen geschüttelt und bin wieder fortgegangen. Kennst du die Lehren unsers Glaubens?«

»Nicht genau.«

»Du möchtest sie wohl auch nicht kennen lernen?«

»O doch, sehr gern. Habt ihr ein Glaubensbekenntnis?«

»Jawohl, und ein jeder Chaldani muß es täglich zweimal beten.«

»Bitte, sage es mir!«

»Wir glauben an einen einzigen Gott, den allmächtigen Schöpfer und Vater aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Wir glauben an den Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, der da der einzig geborene Sohn seines Vaters ist vor aller Welt, der nicht geschaffen wurde, sondern der da ist der wahre Gott des wahren Gottes; der da ist von demselben Wesen mit dem Vater, durch dessen Hände die Welt gemacht und alle Dinge geschaffen wurden; der für uns Menschen und zu unserer Seligkeit vom Himmel herabgestiegen ist, durch den heiligen Geist Fleisch ward und Mensch wurde, empfangen und geboren von der Jungfrau Maria; der da litt und gekreuzigt wurde zur Zeit des Pontius Pilatus, und starb und wurde begraben; der da am dritten Tage wieder auferstand, wie in der Schrift verkündigt war, und fuhr gen Himmel, um zu sitzen zur Rechten seines Vaters und wiederzukommen, um zu richten die Lebendigen und die Toten. Und wir glauben an einen heiligen Geist, den Geist der Wahrheit, welcher ausging von dem Vater, den Geist, der da erleuchtet. Und an eine heilige, allgemeine Kirche. Wir erkennen zur Erlassung der Sünden eine heilige Taufe an und eine Auferstehung des Leibes und ein ewiges Leben!«

Nach einer Pause fragte ich:

»Haltet ihr auch die Fasten?«

»Sehr streng,« antwortete er. »Wir dürfen während hundertzweiundfünfzig Tagen keine Nahrung aus dem Tierreiche, auch keinen Fisch essen, und der Patriarch genießt überhaupt nur Nahrung aus dem Pflanzenreiche.«

»Wie viele Sakramente habt ihr?«

Er wollte mir eben antworten; aber unsere für mich so interessante Unterhaltung wurde von zwei Reitern unterbrochen, die im Galopp auf uns zugesprengt kamen.

»Was gibt es?« fragte er sie.

»Die Kurden kommen,« ertönte die Antwort.

»Wo sind sie?«

»Sie haben bereits die Berge überschritten und kommen in das Tal hernieder.«

»Wie viel sind ihrer?«

»Viele Hunderte.«

Dann ritten sie weiter. Der Karuhja blieb halten.

»Chodih, laß uns umkehren!«

»Warum?«

»Ich habe es dem Melek versprochen, falls die Berwari kommen sollten. Du wirst nicht wollen, daß ich mein Wort breche!«

»Du mußt es halten. Komm!«

Als wir den Platz vor dem Hause des Melek erreichten, herrschte dort eine außerordentliche Aufregung; aber ein planvolles Handeln gab es nicht. Der Melek stand mit einigen Unteranführern beisammen; auch der Raïs war bei ihnen.

Ich wollte still vorüber gehen und in das Haus eintreten; aber der Melek rief mir zu:

»Chodih, komm her zu uns!«

»Was soll er hier?« zürnte der riesige Raïs. »Er ist ein Fremder, ein Feind; er gehört nicht zu uns!«

»Schweig!« gebot ihm der Melek; dann wandte er sich zu mir: »Herr, ich weiß, was du im Tale Deradsch und bei den Dschesidi erfahren hast. Willst du uns einen Rat geben?«

Diese Frage kam mir natürlich sehr willkommen, dennoch aber antwortete ich:

»Dazu wird es bereits zu spät sein.«

»Warum?«

»Du hättest schon gestern handeln sollen.«

»Wie meinst du dies?«

»Es ist leichter, eine Gefahr zu verhüten, als sie zu bekämpfen, wenn sie schon eingetreten ist. Hättest du die Kurden nicht angegriffen, so brauchtest du dich heute nicht gegen sie zu verteidigen.«

»Das will ich nicht hören.«

»Aber ich wollte es dir dennoch sagen. Wußtest du, daß heute die Kurden kommen würden?«

»Wir alle haben es gewußt.«

»Warum hast du nicht die jenseitigen Pässe besetzt? Du hättest feste Stellungen erhalten, die gar nicht einzunehmen waren. Nun aber haben die Kurden das Gebirge bereits hinter sich und sind dir überlegen.«

»Wir werden kämpfen!«

»Hier?«

»Nein, in der Ebene von Lizan.«

»Dort also willst du sie empfangen?« fragte ich verwundert.

»Ja,« antwortete er zögernd.

»Und du stehst noch hier mit deinen Leuten?«

»Wir müssen erst unser Hab und Gut und die Unsrigen retten, ehe wir fortkönnen!«

»O Melek, was seid ihr Chaldani für große Krieger! Seit gestern wußtet ihr, daß die Kurden kommen würden, und habt nichts getan, um euch zu sichern. Ihr wollt mit ihnen kämpfen und sprecht doch davon, die Euren und euer Eigentum zu flüchten. Ehe ihr damit fertig seid, ist der Feind bereits in Lizan. Gestern habt ihr die Kurden überrascht, und darum wurden sie besiegt; heut aber greifen sie selbst euch an und werden euch verderben!«

»Herr, das mögen wir nicht hören!«

»So werdet ihr es erfahren. Lebwohl, und tue was du willst!«

Ich machte Miene, in das Haus zu treten; er aber hielt mich

am Arme zurück.

»Chodih, rate uns!«

»Ich kann euch nicht raten; ihr habt mich vorher auch nicht um Rat gefragt.«

»Wir werden dir dankbar sein!«

»Das ist nicht notwendig; ihr sollt nur vernünftig sein. Wie kann ich euch beistehen, diejenigen Männer zu besiegen, welche herbeigekommen sind, um mich und meine Gefährten zu befreien?«

»Ihr seid ja nur meine Gäste, nicht aber meine Gefangenen!«

»Auch der Bey von Gumri?«

»Herr, dränge mich nicht!«

»Nun wohl, ich will nachgiebiger sein, als ihr es verdient. Eilt dem Feinde entgegen und nehmt eine Stellung, an welcher er nicht vorüber kann. Die Kurden werden nicht angreifen, sondern einen Boten senden, der sich zuvor nach uns erkundigen soll. Diesen Boten bringt hierher, und dann will ich euch meinen Rat erteilen.«

»Gehe lieber mit, Chodih!«

»Das werde ich gern tun, wenn ihr mir erlaubt, meinen Diener Halef mitzunehmen, der dort hinter der Mauer bei den Pferden ist.«

»Ich erlaube es,« sagte der Melek.

»Aber ich erlaube es nicht,« entgegnete der Raïs.

Es entspann sich jetzt ein kurzer, aber heftiger Streit, in welchem schließlich der Melek recht behielt, da die Andern alle auf seiner Seite standen. Der Raïs warf mir einen wütenden Blick zu, sprang auf sein Pferd und ritt davon.

»Wo willst du hin?« rief ihm der Melek nach.

»Das geht dich nichts an!« scholl es zurück.

»Eilt ihm nach, und beschwichtigt ihn,« bat der Melek die Andern, während ich Halef rief, mein Pferd und das seinige bereit zu machen.

Dann stieg ich in unsern Raum hinauf, um die Gefährten zu instruieren.

»Was ist los?« fragte der Engländer.

»Die Kurden von Gumri kommen, um uns zu befreien,« antwortete ich.

»Sehr gut! Yes! Brave Kerls! Meine Flinte her! Werde mit dreinschlagen! Well!«

»Halt, Sir David! Fürs erste werdet Ihr noch ein wenig hier bleiben und meine Rückkehr erwarten.«

»Warum? Wo wollt Ihr hin?«

»Hinaus, um zu unterhandeln und die Sache vielleicht im Guten beilegen zu helfen.«

»Pshaw! Sie werden wenig Kram mit Euch machen. Sie werden Euch erschießen! Yes!«

»Das ist höchst unwahrscheinlich.«

»Darf ich nicht mit?«

»Nein. Nur ich und Halef.«

»So geht! Aber wenn ihr nicht wiederkommt, schlage ich ganz Lizan in Grund und Boden! Well!«

Auch die Andern fügten sich. Nur der Bey machte eine Bedingung:

»Chodih, du wirst nichts ohne meinen Willen tun?«

»Nein. Ich werde entweder selbst kommen oder dich holen lassen.«

Damit nahm ich meine Waffen, stieg hinab und sprang in den Sattel. Der Platz vor dem Hause war leer geworden. Nur der Melek wartete auf mich, und einige Bewaffnete waren geblieben, um die gefangenen »Gäste« zu bewachen.

Wir mußten die gebrechliche Brücke wieder passieren. Drüben auf der andern Seite des Stromes ging es wirr zu. Landesverteidiger zu Fuß und zu Roß ritten und liefen bunt durcheinander. Der eine hatte eine alte Flinte, der andere eine Keule. Ein jeder wollte kommandieren, aber nicht gehorchen. Dazu war das Terrain mit Felsen, Bäumen und Büschen besetzt, und bei jedem Schritte hörte man eine andere Neuigkeit von den Kurden. Zuletzt kam gar die Kunde, daß der Raïs von Schuhrd mit seinen Leuten davongezogen sei, weil sich der Melek mit ihm gestritten hatte.

»Herr, was tue ich?« fragte der Melek in nicht geringer Sorge.

»Suche zu erfahren, wo sich die Kurden befinden.«

»Das habe ich ja bereits getan, aber ein jeder bringt mir eine andere Kunde. Und siehe meine Leute an! Wie soll ich mit ihnen zum Kampfe ziehen?«

Der Mann dauerte mich wirklich. Es war sehr leicht zu erkennen, daß er sich auf seine Leute nicht verlassen könne. Der so lange auf ihnen lastende Druck hatte sie entmannt. Zu einem hinterlistigen Ueberfall hatten sie gestern den Mut gehabt; heute aber, wo es nun galt, die Folgen davon zu tragen, mangelte es ihnen an der nötigen Tatkraft. Es war nicht eine Spur von militärischer Zucht zu bemerken; sie glichen einer Herde von Schafen, welche gedankenlos den Wölfen entgegenrennen.

 

Auch der Melek selbst machte nicht den Eindruck eines Mannes, der die jetzt so nötige Willenskraft und Widerstandsfähigkeit besaß. Es war mehr als Sorge, es war fast Angst, die sich auf seinem Angesicht abspiegelte, und vielleicht wäre es von Nutzen für ihn gewesen, wenn Nedschir-Bey sich noch an seiner Seite befunden hätte. Es war mir sehr klar, daß die Chaldäer gegen die Berwari-Kurden den kürzeren ziehen würden. Daher antwortete ich auf die Klage des Melek:

»Willst du meinen Rat hören?«

»Sage mir ihn!«

»Die Kurden sind euch überlegen. Es gibt nur zwei Wege, die du jetzt einschlagen kannst. Du ziehst dich mit den Deinen schleunigst auf das andere Ufer des Flusses zurück und verteidigst den Uebergang. Dadurch gewinnst du Zeit, Verstärkungen an dich zu ziehen.«

»Dann aber muß ich ihnen alles opfern, was am rechten Ufer liegt.«

»Sie werden dies ohnehin nehmen.«

»Welches ist der zweite Weg?«

»Du unterhandelst mit ihnen.«

»Durch wen?«

»Durch mich.«

»Durch dich? Chodih, willst du mir entfliehen?«

»Das fällt mir gar nicht ein, denn ich habe dir ja mein Wort gegeben.«

»Werden sich diese Kurden auf Unterhandlungen einlassen, nachdem wir sie gestern überfallen haben?«

»Ist nicht ihr Anführer dein Gefangener? Das gibt dir eine große Macht über sie.«

»Du bist ihr Gastfreund: du wirst so mit ihnen verhandeln, daß sie den Nutzen, wir aber den Schaden haben.«

»Ich bin auch dein Gastfreund; ich werde so mit ihnen reden, daß beide Teile zufrieden sein können.«

»Sie werden dich festhalten; sie werden dich nicht wieder zu mir zurückkehren lassen.«

»Ich lasse mich nicht halten. Sieh mein Pferd an! Ist es nicht zehnmal mehr wert, als das deinige?«

»Fünfzigmal, nein, hundertmal mehr, Herr!«

»Glaubst du, daß ein Krieger so ein Tier im Stiche läßt?«

»Niemals!«

»Nun wohl! Laß uns einstweilen tauschen! Ich lasse dir meinen Rapphengst als Pfand zurück, daß ich wiederkomme.«

»Ist dies dein Ernst?«

»Mein vollständiger. Vertraust du mir nun?«

»Ich glaube und vertraue dir. Willst du deinen Diener auch mitnehmen?«

»Nein, er wird bei dir bleiben: denn du kennst mein Pferd nicht genau. Es muß jemand bei dir sein, der den Hengst richtig zu behandeln versteht.«

»Hat es ein Geheimnis, Herr?«

»In der Tat.«

»Chodih, dann ist es für mich gefährlich, das Roß zu reiten. Dein Diener mag es besteigen, und du nimmst das seinige, während er bei mir zurückbleibt.«

Das war es ja eben, was ich wünschte. Mein Pferd war in den Händen des kleinen Hadschi Halef Omar jedenfalls besser aufgehoben, als in denen des Melek, der nur ein gewöhnlicher Reiter war. Dann antwortete ich:

»Ich füge mich in deinen Willen. Erlaube, daß ich sofort die Tiere wechsele!«

»Sogleich, Herr?«

»Allerdings. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Wirst du die Kurden wirklich finden?«

»Sie werden schon dafür sorgen, daß sie gar zu bald gefunden werden. Aber, könnten wir nicht meine beiden Vorschläge vereinigen? Wenn deine Leute mit den Berwari ins Handgemenge kommen, ehe man mich gehört hat, so ist alles verloren. Gehe mit ihnen über den Fluß zurück, so habe ich mehr Hoffnung auf Erfolg!«

»Aber wir geben uns da in ihre Hände!«

»Nein, ihr entkommt ihnen und gewinnt Zeit. Wie wollen sie euch angreifen, wenn ihr die Brücke besetzt?«

»Du hast recht, Herr, und ich werde sofort das Zeichen geben.«

Während ich vom Pferde sprang und Halefs Tier bestieg, setzte der Melek eine Muschel an den Mund, die an seiner Seite gehangen hatte. Der dumpfe, aber kräftige Ton war weithin vernehmbar. Die Chaldani kamen von allen Seiten zurückgeeilt, denn diese Richtung behagte ihnen weit mehr als diejenige eines gefährlichen Angriffes auf die tapferen und wohlbewaffneten Kurden. Ich hingegen ritt vorwärts, nachdem ich Halef einige Verhaltungsmaßregeln erteilt hatte, und befand mich bald ganz allein, da auch Dojan zurückgeblieben war.

Siebentes Kapitel: Der Geist der Höhle

Meine Aufgabe schien mir gar nicht schwierig zu sein. Von den Kurden hatte ich wohl nichts zu fürchten, und da sie Rücksicht auf das gefährdete Leben ihres Beys zu nehmen hatten, so ließ sich erwarten, daß ein Vergleich zu stande kommen werde.

So ritt ich langsam vorwärts und horchte auf jedes Geräusch. Ich gelangte auf den Rücken einer niedrigen Bodenwelle, wo Wald und Busch weniger dicht standen, und erblickte von hier aus einen Krähenschwarm, der weiter unten über dem Walde schwebte, sich zuweilen auf die Zweige niederlassen wollte, aber immer wieder aufflog. Es war gewiß, daß diese Vögel aufgestört wurden, und ich wußte nun, wohin ich mich zu wenden hatte. Ich ritt den kleinen Hügel hinab, war aber noch gar nicht weit gekommen, als ein Schuß fiel, dessen Kugel jedenfalls mir gelten sollte; sie traf aber nicht. Im Nu schnellte ich mich vom Pferde und stellte mich hinter dasselbe. Ich hatte den Blitz des Pulvers gesehen und wußte also, wo der ungeschickte Schütze stand.

»Kur‘o[137], tue dein Kirbit[138] zur Seite!« rief ich. »Du triffst ja eher dich als mich!«

»Fliehe, sonst bist du des Todes!« klang es mir entgegen.

»Ehz be vïa kenïam – darüber muß ich lachen! Welcher Mann schießt seine Freunde tot?«

»Du bist nicht unser Freund; du bist ein Nasarah!«

»Das wird sich finden. Du gehörst zu den Vorposten der Kurden?«

»Wer sagt dir das?«

»Ich weiß es; führe mich zu deinem Anführer!«

»Was willst du dort?«

»Mein Gastfreund, der Bey von Gumri, sendet mich zu ihm.«

»Wo ist der Bey?«

»In Lizan gefangen.«

Während dieser Verhandlung bemerkte ich recht wohl, daß noch mehrere Gestalten herbeikamen, die aber hinter den Bäumen verborgen bleiben wollten. Der Kurde fragte weiter:

»Du nennst dich den Gastfreund des Bey. Wer bist du?«

»Ein Emir gibt nur einem Emir Auskunft. Führe mich zu deinem Anführer, oder bringe ihn her zu mir. Ich habe als Bote des Bey mit ihm zu reden.«

»Herr, gehörst du zu den fremden Emirs, die auch gefangen worden sind?«

»So ist es.«

»Und bist du wirklich kein Verräter, Herr?«

»Katischt, baqua – was, du Frosch!« rief da laut eine andere Stimme. »Siehst du denn nicht, daß es der Emir ist, welcher ohne Aufhören schießen kann? Gehe zur Seite, du Wurm, und laß mich hin zu ihm!«

Zugleich kam ein junger Kurde hinter einem Baume hervor, trat mit größter Ehrerbietung zu mir heran und sagte:

»Allahm d‘allah – Gott sei Dank, daß ich dich wiedersehe, Herr! Wir haben große Sorge um euch gehabt.«

Ich erkannte sogleich in ihm einen der Männer, welche gestern dem Melek glücklich entkommen waren, und antwortete:

»Man hat uns wieder ergriffen, aber wir befinden uns wohl. Wer ist euer Anführer?«

»Der Raïs von Dalascha, und bei ihm ist der tapfere Emir der Haddedihn vom Stamme der Schammar.«

Das war mir lieb, zu hören; also hatte Mohammed Emin doch, wie ich vermutet hatte, den Weg nach Gumri gefunden und kam nun, uns zu befreien.

»Ich kenne den Raïs von Dalascha nicht,« sagte ich. »Führe mich zu ihm!«

»Herr, er ist ein großer Krieger. Er kam gestern am Abend, um den Bey zu besuchen, und da er hörte, daß dieser gefangen sei, so schwur er, Lizan der Erde gleich zu machen und alle seine Bewohner in die Hölle zu senden. Jetzt ist er unterwegs, und wir gehen voran, damit er nicht überrumpelt wird. Aber Herr, wo hast du dein Pferd? Hat man es dir geraubt?«

»Nein, ich ließ es freiwillig zurück. Doch komm, und führe mich!«

Ich nahm mein Tier am Zügel und folgte ihm. Wir waren nicht viel über tausend Schritte gegangen, so stießen wir auf eine Gruppe von Reitern, unter denen ich zu meiner großen Freude Mohammed Emin erblickte. Er befand sich zu Pferde und erkannte auch mich sofort.

»Hamdullillah,« rief er, »Preis sei Gott, der mir die Gnade gibt, dich wiederzusehen! Er hat dir den Pfad erleuchtet, daß es dir glückte, diesen Nasarah zu entkommen. Aber,« fügte er erschrocken hinzu – »du bist entflohen, ohne dein Pferd mitzunehmen?«

Dies war ihm ein ganz unmöglicher Gedanke, und ich beruhigte ihn auch auf der Stelle:

»Ich bin nicht entflohen, und das Pferd gehört noch mir. Es befindet sich in der Obhut von Hadschi Halef Omar, bei dem es sicher ist.«

»Du bist nicht entflohen?« fragte er erstaunt.

»Nein. Ich komme als der Abgesandte des Bey von Gumri und des Melek von Lizan. Wo ist der Mann, der hier zu gebieten hat?«

»Ich bin es,« antwortete eine tiefe Stimme.

Ich sah mir den Mann scharf an. Er saß auf einem starkknochigen zottigen Pferde, das nur mit Palmenfaser aufgezäumt war. Er war sehr lang und außerordentlich hager gebaut. Ein ungeheurer Turban bedeckte seinen Kopf, und sein Angesicht starrte von einem so borstigen und dichten Bart, daß man nur die Nase und zwei Augen erblickte, die mich jetzt unheimlich forschend anfunkelten.

»Du bist der Raïs von Dalascha?« fragte ich ihn.

»Ja. Wer bist du?«

Mohammed Emin antwortete an meiner Stelle:

»Es ist Kara Ben Nemsi Emir, von dem ich dir erzählt habe.«

Der Kurde grub seinen Blick abermals tief in den meinigen, und es schien dann, als ob er sich im klaren über mich befände. Er sagte:

»Er soll uns später erzählen und mag sich uns jetzt anschließen. Vorwärts!«

»Laß halten; ich habe mit dir zu sprechen,« bat ich.

»Schweig!« fuhr er mich an. »Ich bin der General dieser Truppen, und was ich sage, das hat ohne Widerrede zu geschehen. Ein Weib redet, ein Mann aber handelt. Jetzt wird nicht geplaudert!«

Ich war nicht gewohnt, in einem solchen Tone mit mir reden zu lassen. Auch Mohammed Emin gab mir unbemerkt einen aufmunternden Wink. Der Raïs war bereits einige Schritte fort; ich trat vor und griff seinem Pferde in die Zügel.

»Halt! Bleib! Ich bin der Abgesandte des Bey!« warnte ich ihn mit ernster Stimme.

Ich habe immer gefunden, daß ein furchtloses Wesen, unterstützt durch ein wenig Leibesstärke, diesen halbwilden Leuten imponiert. Hier aber schien es, daß ich mich verrechnen sollte; denn der Mann erhob die Faust und drohte:

»Mensch, die Hand vom Pferde, sonst schlag ich!«

Ich erkannte, daß meine Sendung vollständig verunglückt sei, wenn ich mich nur im geringsten von ihm einschüchtern ließe. Darum ließ ich wohl mein Pferd fahren, nicht aber das seinige, und antwortete:

»Ich bin hier an Stelle des Bey von Gumri und habe zu befehlen; du aber bist nichts als ein kleiner Kiaja[139], der augenblicklich zu gehorchen hat. Steige ab!«

Da riß er die Flinte von der Schulter, faßte sie beim Laufe und wirbelte sie um den Kopf.

»Ker, seri te tschar tan kim,« brüllte er, »ich spalte dir den Kopf in vier Teile, du Dummkopf!«

»Versuche es, doch zuerst gehorche!« entgegnete ich lachend.

Mit einem raschen Ruck riß ich sein Pferd auf die Hinterbeine nieder und schlug dem Tiere dann den Fuß mit solcher Gewalt an den Bauch, daß es erschrocken wieder emporprallte. Diese beiden Bewegungen folgten so schnell aufeinander, daß der Kiaja augenblicklich abgeschleudert wurde. Ehe er sich erheben konnte, hatte ich ihm die Flinte und das Messer entrissen und erwartete seinen Angriff.

»Sa – Hund!« brüllte er, indem er emporschnellte und sich auf mich warf; »ich zermalme dich!«

Er sprang auf mich ein; ich hob nur den Fuß bis zur Gegend seiner Magengrube – ein Tritt und er überschlug sich rückwärts zur Erde nieder. Nun nahm ich sein eigenes Gewehr empor und zielte auf ihn.

 

»Mann, bleib weg von mir, sonst schieße ich!« gebot ich ihm.

Er raffte sich empor, hielt sich die Magengegend und blickte mich mit wutfunkelnden Augen an, wagte aber doch keinen Angriff mehr.

»Gib mir meine Waffen!« grollte er drohend.

»Später, wenn ich mit dir gesprochen habe!«

»Ich habe nichts mit dir zu sprechen!«

»Aber ich mit dir, und ich bin gewohnt, mir Gehör zu verschaffen; das merke dir, Kiaja!«

»Ich bin kein Kiaja; ich bin ein Raïs, ein Nezanum!«

Obgleich dieser Vorgang bis jetzt nur wenige Augenblicke in Anspruch genommen hatte, war er doch von den anrückenden Kurden bemerkt worden, und es hatte sich eine bedeutende Anzahl derselben, die sich immer mehr vergrößerte, um uns versammelt. Doch sagte mir ein einziger Blick, daß keiner von ihnen gewillt war, voreilig Partei zu ergreifen. Darum antwortete ich unbesorgt:

»Du bist weder ein Raïs noch ein Nezanum; du bist nicht einmal ein freier Kurde, wie diese tapferen Männer hier, denen du befehlen willst.«

»Beweise es!« rief er in höchster Wut.

»Du bist der Dorfälteste von Dalascha; aber die sieben Orte Dalascha, Chal, Serschkiutha, Beschukha, Behedri, Biha und Schuraisi gehören zu dem Lande Chal, welches dem Statthalter von Amadijah Tribut bezahlt und folglich dem Pascha von Mossul und also auch dem Großherrn in Stambul untertänig ist. Der Aelteste eines Dorfes, welches dem Padischah Tribut entrichtet, ist aber nicht ein freier Nezanum, sondern ein türkischer Kiaja. Wenn mich ein freier, tapferer Kurde beleidigt, so fordere ich mit der Waffe Rechenschaft von ihm; denn er ist der Sohn eines Mannes, der vor keinem Menschen sein Knie beugte. Wagt es aber ein türkischer Kiaja, der ein Diener des Mutessarif ist, mich einen Hund zu nennen, so werfe ich ihn vom Pferde herab und gebe ihm die Sohle meines Fußes auf den Leib, damit er die Demut lerne, die er jedem tapfern Manne schuldig ist! Sagt mir, ihr Männer: Wer hat den Tributeinsammler eines türkischen Dorfes zum Anführer der berühmten Kurden von Berwari gemacht?«

Ein lautes Murmeln ließ sich rundum hören. Dann antwortete einer:

»Er selbst.«

Ich wandte mich an den Sprecher:

»Kennst du mich?«

»Ja, Emir, die meisten von uns kennen dich.«

»Du weißt, daß ich ein Freund und Gast des Bey bin?«

»Wir wissen es!«

»So antworte mir: Gab es unter den Berwari keinen, der würdig gewesen wäre, die Stelle des Bey zu vertreten?«

»Es gibt ihrer viele,« antwortete er stolz; »aber dieser Mann, den du Kiaja nennst, ist oft in Gumri. Er ist ein starker Mann, und da er eine Blutrache mit dem Melek von Lizan hat und wir mit einer langen Wahl keine Zeit verlieren wollten, so haben wir ihm den Befehl übergeben.«

»Er ist ein starker Mann? Habe ich ihn nicht vom Pferde geworfen und dann zu Boden getreten? Ich sage euch, daß sein Leib die Erde nicht wieder verlassen, seine Seele aber zur Dschehennah fahren soll, wenn er es noch ein einziges Mal wagt, mich oder einen meiner Freunde zu beleidigen! Die Faust eines Emir aus Dschermanistan ist wie Kumahsch[140] für den Gefährten, für den Feind aber wie Tschelik[141] und Demihr[142]

»Herr, was forderst du von ihm?«

»Der Bey ist in Lizan gefangen. Er sendet mich zu euch, um mit eurem Anführer zu besprechen, was ihr tun sollt. Dieser Mann aber will dem Bey nicht gehorchen; er will nicht mit mir reden und hat mich einen Hund genannt.«

»Er muß gehorchen – er muß dich hören!« rief es im Kreise.

»Gut,« antwortete ich. »Ihr habt ihm den Befehl übertragen, und so mag er ihn behalten, bis der Bey wieder frei ist. Aber wie ich ihm seine Ehre gebe, so soll er mir auch die meinige erweisen. Der Bey hat mich gesandt; ich stehe hier an seiner Stelle; will dieser Kiaja in Frieden mit mir verkehren und mich behandeln, wie ein Emir behandelt werden muß, so gebe ich ihm seine Waffen zurück, und der Bey soll bald wieder in eurer Mitte sein.«

Ich blickte mich forschend im Kreise um. Es standen, so weit ich sie sehen konnte, weit über hundert Männer zwischen den lichten Büschen umher, und alle riefen mir ihre Zustimmung zu. Darauf wandte ich mich zu dem Kiaja:

»Du hast meine Worte gehört; ich erkenne dich als Anführer an und werde dich deshalb jetzt Agha nennen. Hier hast du deine Flinte und dein Messer. Und nun erwarte ich, daß du auf meine Worte hörst.«

»Was hast du mir zu sagen?« brummte er höchst mißmutig.

»Rufe alle deine Berwari zusammen. Sie sollen nicht eher vorgehen, als bis unsere Besprechung zu Ende ist.«

Er blickte mich sehr erstaunt an.

»Weißt du denn nicht, daß wir Lizan überfallen wollen?« fragte er mich.

»Ich weiß es; aber es geschieht auch später noch zur rechten Zeit.«

»Wenn wir zaudern, so werden die Nasarah über uns herfallen. Sie wissen, daß wir kommen; sie haben uns gesehen.«

»Eben weil sie es wissen, sendet der Bey mich zu euch. Sie werden euch nicht überfallen; sie haben sich über den Zab zurückgezogen und werden die Brücke verteidigen.«

»Weißt du dies genau?«

»Ich selbst habe es ihnen angeraten.«

Er blickte finster vor sich nieder, und auch aus dem Kreise rings umher wurde mancher mißbilligende Blick auf mich geworfen. Dann entschied er sich:

»Herr, ich werde tun, was du verlangst; aber glaube nicht, daß wir von einem Fremden einen schlechten Rat annehmen werden!«

»Das tue, wie du willst! Laß einen freien Platz aussuchen, wo wir Raum genug haben, um die Versammlung überblicken zu können. Die Assiretah[143] mögen zur Beratung kommen, die andern aber sollen den Ort bewachen, damit ihr keine Sorge zu haben braucht.«

Er gab die nötigen Befehle, und nun kam reges Leben in die Leute. Dabei hatte ich Zeit, einige Worte mit Mohammed Emin zu sprechen. Ich erzählte ihm unsere Erlebnisse seit unserer Trennung und wollte ihn nun auch nach den seinigen fragen, als gemeldet wurde, daß ein passender Platz gefunden sei. Wir mußten aufbrechen.

»Sihdi,« sagte der Haddedihn, »ich danke dir, daß du diesem Kiaja gezeigt hast, daß wir Männer sind!«

»Hat er dies an dir nicht auch bemerkt?«

»Herr, ich habe kein solches Glück wie du. Ich wäre von diesen Männern zerrissen worden, wenn ich ihm nur halb so viel gesagt hätte, wie du. Und dann bedenke, daß ich nur wenige kurdische Worte reden kann; sie aber haben nur einige unter sich, die etwas Arabisch verstehen. Dieser Kiaja muß ein berüchtigter Dieb und Räuber sein, weil sie solchen Respekt vor ihm haben.«

»Nun, du siehst, daß sie mich nicht weniger achten, obgleich ich kein Dieb und Räuber bin. Wenn er mich beleidigt, schlage ich ihm ins Gesicht; das ist das ganze Geheimnis der Scheu, die sie vor mir haben. Und das merke dir, Mohammed Emin: – nicht die Faust allein tut es, sondern wer einen guten fruchtbaren Hieb austeilen will, bei dem muß zugleich auch der Blick des Auges und der Ton der Stimme ein Schlag sein, der den Gegner niederstreckt. Komm, man erwartet uns; wir trennen uns nicht wieder.«

»Welche Vorschläge hast du zu machen?«

»Du wirst sie hören.«

»Aber ich verstehe euer Kurdisch nicht.«

»Ich werde dir das Nötige von Zeit zu Zeit verdolmetschen.«

Wir gelangten zwischen den weit auseinander stehenden Büschen und Bäumen hindurch an eine Lichtung, die genug Raum zur bequemen Verhandlung bot. Rundum waren die Pferde angebunden. Etwa zwanzig martialische Krieger saßen mit dem Agha in der Mitte des Platzes; die übrigen aber hatten sich ehrerbietig zurückgezogen, entweder bei den Pferden oder tiefer im Busche stehend, um für unsere Sicherheit zu sorgen. Es war ein malerischer Anblick, den diese sonderbar gekleideten Kurden mit ihren so verschieden aufgeschirrten Tieren boten; doch hatte ich keine Zeit, weitere Betrachtungen darüber anzustellen.

»Herr,« begann der Agha, »wir sind bereit, zu hören, was du uns zu sagen hast. Aber gehört dieser auch mit zu den Assiretah?«

Er deutete dabei auf Mohammed Emin. Diesen bös gemeinten Hieb mußte ich sofort zurückgeben.

»Mohammed Emin ist der berühmte Emir der Beni Haddedihn vom Stamme der Arab-esch-Schammar. Er ist ein weiser Fürst und ein unüberwindlicher Krieger, dessen grauen Bart selbst der Ungläubige achtet. Noch niemand hat es gewagt, ihn vom Pferde zu werfen oder ihm den Fuß auf den Leib zu setzen. Sage noch ein einziges Wort, welches mir nicht gefällt, so kehre ich zum Bey zurück, nehme dich aber vor mich auf das Pferd und lasse dir in Lizan die Fußsohlen peitschen!«

»Herr, du wolltest in Frieden mit mir reden!«

»So halte du selbst diesen Frieden, Mensch! Zwei Emire wie Mohammed Emin und ich lassen sich von tausend Männern nicht beleidigen. Mit unseren Waffen brauchen wir dein ganzes Land Chal nicht zu fürchten. Wir stellen uns unter das Odschag[144] dieser Berwarikurden, die nicht zugeben werden, daß Freunde ihres Bey beleidigt werden.«

Wer das Odschag anruft, dem ist der beste Schutz auf alle Fälle sicher, und so erhob sich auch sofort der älteste der Krieger, nahm Mohammed und mich bei der Hand und beteuerte mit drohender Stimme:

»Wer diese Emire kränkt, der ist mein Feind. Ser babe men – beim Haupte meines Vaters!«

Dieser Schwur des angesehensten Kurden war kräftig genug, uns von jetzt an gegen die Beleidigungen des Kiaja zu schützen. Dieser fragte nun:

»Welches ist die Botschaft, die du uns auszurichten hast?«

»Ich habe euch zu sagen, daß der Bey von Gumri der Gefangene des Melek von Lizan ist – «

»Das wußten wir vorher; dazu brauchst du nicht zu uns zu kommen.«

137Knabe.
138Zündholz.
139Türkischer Dorfschulze.
140Sammet.
141Stahl.
142Eisen.
143Auserlesene, hervorragende Krieger.
144Schutz, Hausrecht.