Tasuta

Durchs wilde Kurdistan

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Wenn du in die Dschehennah zu deinen Vätern kommst, so bedanke dich bei ihnen dafür, daß sie dich zu einem so höflichen Manne gemacht haben. Nur bei den Negern und Adschani

145


  Bei den Kurden Schimpfnamen für die persischen Schiiten.



 ist es Sitte, einander nicht vollständig aussprechen zu lassen; dein Codschah

146


  Schulmeister.



 aber hat die Rute verdient!«



Trotzdem ich die Zurechtweisung also selbst übernommen hatte, zog doch auch der alte Kurde seine Pistole hervor und meinte gleichmütig:



»Ser babe men – beim Haupte meines Vaters! Vielleicht wird man bald die Stimme dieses Gewehrs vernehmen! Fahre weiter fort, Emir!



Es war gewiß eine eigentümliche Lage. Wir beiden Fremdlinge wurden gegen den eigenen Anführer in Schutz genommen. Was würde wohl ein zivilisierter Kavallerierittmeister dazu sagen? Solche Dinge können nur im wilden Kurdenlande vorkommen! Ich folgte der Aufforderung und redete weiter:



»Der Melek von Lizan verlangt das Blut des Bey.«



»Warum?« fragte es umher.



»Weil durch die Kurden so viele Chaldani gefallen sind.«



Diese Behauptung brachte unter meinen Zuhörern eine ganz bedeutende Aufregung hervor. Ich ließ sie einige Zeit gewähren und bat sie dann, mich ruhig anzuhören:



»Ich bin der Abgesandte des Bey; aber ich bin zu gleicher Zeit auch der Bote des Melek; ich liebe den Bey, und auch der Melek hat mich gebeten, sein Freund zu sein. Darf ich einen von ihnen betrügen?«



»Nein,« antwortete der Alte.



»Du hast recht gesprochen! Ich bin fremd in diesem Lande; ich habe weder mit euch noch mit einem Nasarah eine Rache und darum muß ich das Wort des Propheten befolgen: »Dein Wort sei der Schutz deines Freundes!« Ich werde zu euch so sprechen, als ob der Bey und der Melek hier ständen und mit euch redeten. Und Allah wird eure Herzen erleuchten, daß kein ungerechter Gedanke eure Seele verdunkelt.«



Wieder nahm der Alte das Wort.



»Rede getrost, Herr; rede auch für den Melek, denn auch er hat dich gesandt. Du wirst nur die Wahrheit sagen, und wir glauben, daß du uns nicht beleidigen und erzürnen willst!«



»So hört, meine Brüder! Es ist noch nicht viele Jahre her, da gab es ein großes Geschrei auf den Bergen und ein großes Wehklagen in den Tälern; die Menschen weinten auf den Höhen, und die Kinder der Menschen heulten in den Tiefen; das Schwert wütete wie die erste Stunde des jüngsten Tages, und das Messer lag in der Hand des tausendfältigen Todes. Saget mir, wer führte dieses Schwert und dieses Messer?«



»Wir!« erscholl es triumphierend rundum im Kreise.



»Und wer waren jene, welche untergingen?«



Dieses Mal kam der Anführer allen zuvor:



»Die Nasarah, die Allah verderben möge!«



»Was hatten sie euch getan?«



»Uns?« fragte er verwundert. »Sind sie nicht Giaurs? Glauben sie nicht an drei Götter? Beten sie nicht Menschen an, welche längst gestorben sind? Predigen nicht die Ulemas

147


  Muhammedanische Priester.



 die ewige Vernichtung gegen sie?«



Es wäre hier die größte Unvorsichtigkeit gewesen, theologische Streitfragen aufzugreifen; darum antwortete ich einfach:



»Also ihr habt sie wegen ihres Glaubens getötet! Ihr gebt zu, daß ihr sie getötet habt, Hunderte und Tausende?«



»Viele Tausende!« sagte er stolz.



»Nun wohl, ihr kennt die Thar, die Blutrache. Dürft ihr euch wundern, daß die Verwandten der Gemordeten sich jetzt erheben und euer Blut fordern?«



»Herr, sie dürfen das nicht; sie sind Giaurs!«



»Du irrst, denn Menschenblut bleibt Menschenblut. Das Blut Abels war nicht das Blut eines Moslem, und dennoch sprach Gott zu Kain: »Das Blut deines Bruders schreit zu mir von der Erde empor.« Ich war in vielen Ländern und bei vielen Völkern, deren Namen ihr nicht einmal kennt; sie waren keine Moslemim, aber die Blutrache hatten sie doch, und sie wundern sich nicht darüber, daß auch ihr den Tod der Eurigen rächt. Ich stehe hier als ein unparteiischer Bote; ich darf nicht sagen, daß nur ihr allein das Recht zur Blutrache habt, denn auch eure Gegner haben ihr Leben von Gott erhalten, und wenn sie es nicht gegen euch verteidigen sollen, so seid ihr feige Mörder. Ihr gebt zu, daß ihr Tausende von ihnen getötet habt; nun dürft ihr euch nicht wundern, wenn sie das Leben eures Bey von euch fordern, der in ihre Hände gefallen ist. Eigentlich hätten sie das Recht, grad so viele Leben von euch zu fordern, als ihr ihnen genommen habt.«



»Die Giaurs mögen kommen!« murrte der Agha.



»Sie werden auch kommen, wenn ihr ihnen nicht die Hand der Versöhnung reicht.«



»Der Versöhnung? Bist du toll?«



»Ich bin bei Sinnen. Was wollt ihr ihnen tun? Der Zab liegt zwischen ihnen und euch, und es würde euch sehr viele Leben kosten, um die Brücke oder eine Furt zu erstürmen. Und bis euch dies gelänge, hätten sie so viele Helfer aus Aschihtha, Serspitho, Zawitha, Minijanisch, Murghi und aus andern Orten erhalten, daß sie euch erdrücken würden.«



Da erhob sich der Anführer mit der Miene eines Anklägers vom Boden.



»Weißt du, wer daran schuld ist?« fragte er.



»Wer?« erwiderte ich ruhig.



»Du selbst, nur du allein.«



»Ich? Inwiefern?«



»Hast du uns nicht vorhin selbst gestanden, daß du ihnen den Rat gegeben hast, sich hinter den Fluß zurückzuziehen?« – Und zu den andern gewendet, fügte er hinzu: »Seht ihr nun, daß er nicht unser Freund, sondern ein Verräter ist?«



Ich entgegnete ihm:



»Grad weil ich euer Freund bin, habe ich ihnen diesen Rat gegeben; denn sobald der erste Mann von ihnen unter euren Waffen gefallen wäre, hätten sie den Bey getötet. Soll ich vielleicht zurückkehren und dem Bey sagen, daß ihr sein Leben für nichts achtet?«



»So meinst du also, daß wir gar nicht angreifen sollen?«



»Das meine ich allerdings.«



»Herr, hältst du uns für Feiglinge, die nicht einmal den Tod jener Männer rächen, welche gestern gefallen sind?«



»Nein. Ich halte euch für tapfere Krieger, jedoch aber auch für kluge Männer, welche nicht unnötigerweise in den Tod rennen. Ihr kennt den Zab; wer von euch will hinüberkommen, wenn drüben der Feind liegt und jeden einzelnen von euch mit einer Kugel zu empfangen vermag?«



»Daran bist du nur allein schuld!«



»Pah! Ich habe damit dem Bey das Leben gerettet. Soll dies umsonst geschehen sein?«



»Du hast nicht ihm, sondern dir das Leben retten wollen!«



»Du irrst. Ich und meine Gefährten, wir sind Gäste des Melek. Nur der Bey und die Kurden, welche mitergriffen wurden, sind Gefangene. Sie sterben, sobald ihr die Feindseligkeiten beginnt.«



»Und wenn wir nicht glauben, daß du der Gast des Melek bist, wie willst du es uns beweisen?«



»Stände ich hier, wenn ich Gefangener wäre?«



»Er könnte dich auf dein Wort entlassen haben. Aus welchem Grunde hat er dich unter den Schutz seines Hauses genommen? Wer hat dich ihm, dem Melek von Lizan, empfohlen?«



Ich mußte eine Antwort geben, und ich gestehe offen, daß ich mich schämte, den Namen eines Weibes nennen zu müssen.



»Ich wurde ihm empfohlen zwar nur von einem Weibe, auf dessen Wort er aber sehr viel zu geben scheint.«



»Wie heißt dasselbe?«



»Marah Durimeh.«



Ich hatte gefürchtet, mich lächerlich zu machen, und war daher überrascht von der ganz entgegengesetzten Wirkung, welche dieser Name hervorbrachte. Der Agha machte ein sehr überraschtes Gesicht und meinte:



»Marah Durimeh? Wo hast du sie getroffen?«



»In Amadijah.«



»Wann?« forschte er weiter.



»Vor wenigen Tagen.«



»Wie bist du ihr begegnet?«



»Ihre Enkeltochter hatte Gift gegessen, und da ich ein Hekim bin, so wurde ich geholt. Ich traf Marah Durimeh dort und rettete die Kranke.«



»Hast du der Alten gesagt, daß du nach Gumri und Lizan gehen würdest?«



»Ja.«



»Hat sie dich nicht gewarnt?«



»Ja.«



»Und als du bei deinem Vorsatze bliebst, was tat sie da? Besinne dich. Vielleicht hat sie dir ein Wort gesagt, welches ich dir nicht nennen darf.«



»Sie sagte, wenn ich in Gefahr komme, so solle ich nach dem Ruh ‚i kulyan fragen. Dieser werde mich beschützen.«



Kaum hatte ich dieses Wort genannt, so stand der Sprecher, welcher sich erst mir so feindselig gesinnt gezeigt hatte, vor mir und reichte mir die Hand entgegen.



»Emir, das habe ich nicht gewußt. Verzeihe mir! Wem Marah Durimeh dieses Wort gesagt hat, dem darf kein Leid geschehen. Und nun wird deine Rede vor unsern Ohren Achtung finden. Wie stark sind die Nasarah?«



»Das werde ich nicht verraten. Ich bin ebenso ihr Freund wie der eurige; ich werde auch ihnen nicht sagen, wie stark ihr gekommen seid.«



»Du bist vorsichtiger, als es nötig ist. Glaubst du wirklich, daß sie den Bey töten werden, wenn wir sie angreifen?«



»Ich bin überzeugt davon.«



»Werden sie ihn freigeben, wenn wir uns zurückziehen?«



»Ich weiß es nicht, aber ich hoffe es. Der Melek wird auf meine Rede hören.«



»Aber es sind mehrere der Unsrigen getötet worden; sie müssen gerächt werden.«



»Habt ihr nicht vorher Tausende der Nasarah getötet?«



»Zehn Kurden gelten höher als tausend Nasarah!«



»Und die Chaldani denken, daß zehn Nasarah höher gelten, als tausend Kurden.«

 



»Würden sie uns den Blutpreis bezahlen?«



»Ich weiß es nicht, aber ich gestehe euch offen, daß ich an ihrer Stelle es nicht tun würde.«



»So wirst du ihnen den Rat geben, es nicht zu tun?«



»Nein, denn ich rede sowohl bei euch als auch bei ihnen nur das, was zum Frieden dient. Sie haben wenige von euch getötet, ihr aber Tausende von ihnen; also wären nur sie es, die einen Preis zu fordern hätten. Außerdem haben sie den Bey in ihrer Gewalt, und wenn ihr ernstlich nachdenkt, so werdet ihr erkennen, daß sie euch gegenüber im Vorteile sind.«



»Sind sie sehr kriegerisch gestimmt?«



Eigentlich hätte ich jetzt »Nein« sagen sollen, ich zog es aber vor, eine ausweichende Antwort zu geben:



»Habt ihr sie gestern vielleicht feig gesehen? Meßt das Blut, welches den Zab hinabgeflossen ist; zählt die Knochen, welche noch heute das Tal des Flusses füllen, aber fragt ja nicht, ob der Zorn der Hinterlassenen groß genug zur Rache ist!«



»Haben sie viele und gute Gewehre?«



»Das werde ich nicht verraten. Oder soll ich auch ihnen sagen, wie ihr bewaffnet seid?«



»Haben sie auch ihre Habe auf das andere Ufer gerettet?«



»Nur der Unkluge läßt seine Habe zurück, wenn er sich flüchtet. Die Chaldani haben übrigens so wenig Eigentum, daß es ihnen nicht schwer fallen kann, es mit sich zu nehmen.«



»Tritt zurück! Wir werden jetzt beraten, nachdem wir alles gehört haben, was ich wissen wollte.«



Ich folgte diesem Gebote und erhielt dadurch Gelegenheit, Mohammed Emin mit dem bisherigen Inhalte unserer Verhandlung bekannt zu machen. Noch bevor die Kurden zu einem Entschlusse gekommen waren, näherten sich einige ihrer Krieger und brachten einen unbewaffneten Mann herbei.



»Wer ist das?« fragte der Agha.



»Dieser Mann,« antwortete einer, »schlich heimlich in unserer Nähe herum, und als wir ihn ergriffen, sagte er, daß er von dem Melek an diesen Emir abgesandt worden sei.«



Bei den letzten Worten deutete der Sprecher auf mich.



»Was sollst du bei mir?« fragte ich den Chaldani.



Diese Sendung wollte mir verdächtig oder doch wenigstens sehr unvorsichtig erscheinen. Jedenfalls aber gehörte ein ungewöhnlicher Mut dazu, sich unter die feindseligen Kurden zu wagen.



»Herr,« antwortete er, »du bliebst dem Melek zu lange aus, und so sandte er mich, um dir zu sagen, daß der Bey getötet wird, wenn du nicht sehr schnell zurückkehrst.«



»Seht ihr, daß ich euch recht berichtet habe?« wandte ich mich an die Kurden. »Laßt den Mann schleunigst umkehren. Er mag dem Melek sagen, daß mir nichts geschehen ist und daß er mich in kurzer Zeit wieder bei sich sehen wird.«



»Führt ihn fort!« gebot der Agha.



Man gehorchte, und dann wurde die Verhandlung schnell wieder aufgenommen.



Ich mußte mir gestehen, daß das Erscheinen dieses Boten von günstigem Einflusse auf die Entschließungen der Kurden sein werde; dennoch aber kam es mir sonderbar vor, daß dieser Mann abgeschickt worden war. Der Melek hatte sich doch kurz vorher nicht gar so blutdürstig gezeigt, und aus Rücksicht auf mich war die Drohung auch nicht nötig, da ich als Gastfreund des Bey doch von den Kurden nichts zu fürchten hatte.



Endlich waren die Assiretah zu einem Entschluß gekommen, und ich wurde wieder herbeigerufen. Der Anführer nahm das Wort:



»Herr, du versprichst uns, bei den Nasarah kein Wort zu sagen, welches zu unserm Schaden ist?«



»Ich verspreche es.«



»So wirst du jetzt zu ihnen zurückkehren?«



»Ich und mein Freund Mohammed Emin.«



»Warum soll er nicht bei uns bleiben?«



»Ist er ein Gefangener?«



»Nein.«



»So kann er gehen, wohin es ihm beliebt, und er hat beschlossen, an meiner Seite zu bleiben. Was soll ich dem Melek sagen?«



»Daß wir die Freiheit unseres Bey verlangen.«



»Und dann?«



»Dann mag der Bey bestimmen, was geschehen soll.«



Diese Bestimmung konnte einen gefährlichen Hintergedanken haben, darum erkundigte ich mich:



»Wann soll er ausgeliefert werden?«



»Sofort mit seinen Begleitern.«



»Wohin soll er kommen?«



»Hierher.«



»Ihr werdet nicht weiter vorwärts dringen?«



»Für jetzt nicht.«



»Aber dann wohl, wenn der Bey ausgeliefert worden ist?«



»Es wird dann geschehen, was der Bey bestimmt.«



»Und wenn der Melek ihn erst dann ausliefern will, wenn ihr friedlich nach Gumri zurückgekehrt seid?«



»Herr, darauf gehen wir nicht ein. Wir ziehen nicht eher von hier fort, als bis wir den Herrscher von Gumri bei uns sehen.«



»Was begehrt ihr noch?«



»Nichts weiter.«



»Dann hört, was ich euch noch zu sagen habe. Ehrlich habe ich gegen euch gehandelt und werde dies auch gegen den Melek tun. Ich werde ihn zu keinem Zugeständnis bereden, welches ihm Schaden bringt. Und vor allem merkt euch dies, daß der Bey sofort getötet wird, wenn ihr diesen Ort verlaßt, ehe der Friede vollständig geschlossen ist.«



»Willst du etwa dem Melek zu diesem Mord raten?«



»Allah behüte mich davor! Aber ich werde auch nicht zugeben, daß ihr den Bey nur zu dem Zweck zurückerhaltet, daß er euch dann gegen Lizan führt.«



»Herr, du redest sehr kühn und aufrichtig!«



»So merkt ihr wenigstens, daß ich es mit meinen Freunden ehrlich meine. Schicket euch in Geduld bis ich wiederkehre!«



Ich stieg aufs Pferd, Mohammed Emin ebenso. Wir verließen den Platz, und kein Kurde begleitete uns.



»Welche Botschaft hast du auszurichten?« fragte der Haddedihn.



Ich erklärte ihm meinen Auftrag und auch meine Bedenken. Während dieser Auseinandersetzung gingen unsere Pferde einen schnellen Schritt, und wir hatten beinahe den Fluß erreicht, als ich zur Seite von uns ein verdächtiges Rascheln zu vernehmen glaubte. Ich wandte mein Gesicht der Gegend zu und sah in demselben Augenblick das Aufleuchten zweier Schüsse, welche auf mich und Mohammed gerichtet waren. Sofort nach dem Doppelknalle rannte das Pferd des Haddedihn mit seinem Reiter durch die Büsche; auf das meinige hatte man besser gezielt: es brach augenblicklich zusammen, und da der Vorfall ganz unerwartet und blitzschnell über uns kam, so fand ich nicht einmal Zeit, meine Füße aus den Steigbügeln zu befreien. Ich stürzte mit und kam halb unter das Pferd zu liegen. Im nächsten Augenblick sah ich acht Männer beschäftigt, sich meiner Waffen zu bemächtigen und mich zu binden. Einer von ihnen war derjenige, welcher vorhin als ein Bote des Melek bei mir gewesen war. So hatte mich mein Mißtrauen also doch nicht betrogen!



Ich vermutete eine Schurkerei des Raïs von Schohrd, des Nedschir-Bey, und wehrte mich aus Leibeskräften. Ich lag an der Erde, und mein rechtes Bein steckte unter dem Pferde; aber ich hatte doch die Arme zur Verfügung, und wenn man sie mir auch festzuhalten und zu fesseln suchte, so gelangen mir doch noch einige gute Stöße, ehe ich wehrlos gemacht wurde. Mit acht kräftigen Männern aber fertig zu werden, davon war natürlich keine Rede, zumal sie mir beinahe noch während des Sturzes die Waffen entrissen hatten.



Nun zogen sie mich unter dem Pferde hervor, so daß ich mich auf die Füße erheben konnte. Es war nicht das erste Mal, daß ich mich in Fesseln befand, aber auf eine so niederträchtige Weise war ich doch noch nicht gebunden worden. Man hatte mir nämlich Riemen an die Handgelenke geschlungen und mittels derselben den rechten Arm über die Brust hinweg auf die linke Achsel, den linken Arm aber auf die rechte Achsel gezogen und dann im Nacken die Riemen so fest geknotet, daß mir die Brust fast bis zur Atmungsunfähigkeit zusammengepreßt ward. Außerdem wurden die Kniee so miteinander verbunden, daß ich keine weiten Schritte zu gehen vermochte; und um das Maß voll zu machen, ward ich mit einem Ellbogen an den Steigbügel eines der Buschklepper geschnallt, – sie waren zu Pferde, hatten aber ihre Tiere vor dem Ueberfalle hinter die Büsche versteckt.



Von dem Aufblitzen der Schüsse an bis zu dem Augenblick, wo ich an dem Pferde befestigt war, waren kaum drei Minuten vergangen. Ich hoffte, Mohammed Emin werde zurückkehren, wollte aber nicht um Hilfe rufen, um mir diesen Menschen gegenüber keine Blöße zu geben. Reden aber mußte ich nun doch einmal:



»Was wollt ihr von mir?« fragte ich.



»Nur dich wollen wir,« antwortete der mutmaßliche Anführer. »Auch dein Pferd wollten wir, aber du hattest es nicht bei dir.«



»Wer seid ihr?«



»Bist du ein Weib, daß du so neugierig bist?«



»Pah! Ihr seid Hunde im Dienste Nedschir-Beys. Er hat sich nicht an mich gewagt; drum sendet er seine Meute, damit ihm ja die Haut nicht geritzt werde!«



»Schweig! Weshalb wir dich gefangen nehmen, das wirst du bald erfahren. Doch verhalte dich still und schweigsam, sonst bekommst du einen Knebel in den Mund!«



Die Männer setzten sich langsam in Bewegung. Wir kamen an den Fluß, ritten – natürlich außer mir, da ich gehen mußte – eine Strecke an demselben hinab und hatten dann wohl eine Furt erreicht, denn wir gingen in das Wasser.



Am jenseitigen Ufer stand eine Schar Bewaffneter, die sich aber bei unserm Anblick sofort unsichtbar machte. Jedenfalls war es Nedschir-Bey, welcher das Gelingen seines Streiches dort abgewartet hatte und sich nun befriedigt zurückzog.



Das Bett des Flusses war hier mit scharfkantigen, schlüpfrigen Steinen besäet; das Wasser reichte mir stellenweise bis an die Brust, und da ich zu eng an das Pferd gefesselt war, so hatte ich mehr als genug auszustehen, ehe wir das andere Ufer erreichten. Dort blieben sechs von den Reitern zurück, während mich die übrigen zwei weiter schleppten.



Es ging am Flusse abwärts bis an ein wildes Bergwasser, welches sich hier von der linken Seite her in den Zab ergießt. Nun ritten die beiden längs dieses Wassers aufwärts. Es war für mich ein beschwerlicher Weg, zumal die Eskorte nicht die mindeste Rücksicht auf mich nahm. Kein Mensch begegnete uns. Nachher ging es seitwärts hin über wildes Gerölle, durch wirres Dorngestrüpp, und ich merkte, daß man auf diese Weise das Dorf Schohrd vermeiden wolle, dessen ärmliche Hütten und Häusertrümmer ich bald unter uns erblickte.



Später bogen wir wieder nach rechts und gelangten in eine wilde Schlucht, welche in das Tal von Raola hinabzuführen schien. Hier kletterten wir eine Strecke weiter, bogen um einige Felsen und gelangten endlich an ein Bauwerk, das einem vier bis fünf Ellen hohen, kubischen Steinhaufen glich und nur eine einzige niedrige Oeffnung zeigte, welche zugleich als Tür und als Fenster zu dienen schien.



Vor diesem Steinwürfel stiegen sie ab.



»Madana!« rief der eine.



Sogleich ließ sich in dem Innern der Hütte ein heiseres Grunzen vernehmen, und einige Augenblicke später trat ein altes Weib aus dem Loch hervor. Madana heißt auf deutsch: »Petersilie«. Wie die Alte zu diesem würzigen Namen gekommen war, weiß ich nicht; aber als sie jetzt ganz nahe vor mir stand, duftete sie nicht nur nach Petersilie, sondern es entströmte ihr eine Atmosphäre, welche aus den Gerüchen von Knoblauch, faulen Fischen, toten Ratten, Seifenwasser und verbranntem Hering zusammengesetzt zu sein schien. Hätte mich die Fessel nicht an dem Pferde festgehalten, so wäre ich einige Schritte zurückgewichen. Gekleidet war diese schöne Bewohnerin des Zabtales in einen kurzen Rock, den man bei uns wohl kaum als Scheuerlappen hätte benutzen mögen; der Rand desselben reichte nur wenig bis über die Knie herab und ließ ein Paar gespenstische Gehwerkzeuge sehen, deren Aussehen vermuten ließ, daß sie bereits seit langen Jahren nicht mehr gewaschen worden seien.



»Ist alles bereit?« erkundigte sich der Mann und stellte eine lange Reihe von kurzen Fragen, die alle mit »Ja« beantwortet wurden.



Jetzt wurde ich losgebunden und mit weit niedergebogenem Haupte in die Hütte geschoben. Es gab doch einige Ritzen in der Mauer, durch welche ein Lichtstrahl einzudringen vermochte, und so konnte ich das Innere des Bauwerkes ziemlich genau erkennen. Dasselbe bildete einen kahlen, viereckigen, roh aufgemauerten Raum, in dessen hinterster Ecke man einen starken Pfahl tief und fest in die Erde gerammt hatte. Neben demselben lag ein mäßiger Haufen von Streu und Blätterwerk, und in der Nähe erblickte ich neben einem gefüllten Wassernapfe einen großen Scherben, der früher wohl einmal zu einem Krug gehört hatte, jetzt aber als Schüssel benutzt wurde und eine Masse enthielt, welche halb aus Tischlerleim und halb aus Regenwürmern oder Blutegeln zu bestehen schien.



Zwar hätte ich mich trotz meiner Fesseln doch immerhin einigermaßen zu sträuben vermocht, aber ich ließ es ruhig geschehen, daß ich mit einem starken Strick an den Pfahl gebunden wurde. Dies geschah in der Weise, daß ich auf die Streu zu liegen kam. Meine Arme blieben nach wie vor auf den Achseln befestigt.



Das Weib war draußen vor dem Eingang stehen geblieben. Der eine meiner Begleiter verließ schweigsam die Hütte, der andere jedoch hielt es für notwendig, mir einige Verhaltungsmaßregeln zu erteilen.

 



»Du bist gefangen,« bemerkte er ebenso treffend wie geistreich.



Ich antwortete nicht.



»Du kannst nicht entfliehen,« belehrte er mich in sehr überflüssiger Weise.



Ich antwortete wieder nicht.



»Wir gehen jetzt,« fuhr er fort; »aber dieses Weib wird dich sehr streng bewachen.«



»So sage ihr wenigstens, daß sie draußen bleiben soll!« bemerkte ich endlich doch.



»Sie muß in der Hütte bleiben,« erwiderte er; »sie darf dich nicht aus den Augen lassen und soll dich auch füttern, wenn du Hunger hast; denn du kannst deine Hände nicht gebrauchen.«



»Wo ist das Futter?«



»Hier!«



Er deutete auf den wackern Scherben, dessen Inhalt mir so verführerisch entgegen lachte.



»Was ist es?« erkundigte ich mich.



»Ich weiß es nicht, aber Madana kann kochen, wie keine zweite im Dorfe.«



»Warum schleppt ihr mich hierher?«



»Das habe ich dir nicht zu sagen; du wirst es von einem andern erfahren. Mache keinen Versuch, dich zu befreien, sonst gibt Madana ein Zeichen, und es kommen noch einige Männer, um dich noch schlimmer zu fesseln.«



Jetzt ging auch er fort. Ich hörte die sich entfernenden Schritte der beiden Männer; dann kam die holde »Petersilie« hereingekrochen und kauerte sich neben dem offenen Eingang in der Weise nieder, daß ich grad vor ihrem Blicke lag.



Es war zwar keine angenehme Lage, in welcher ich mich befand, sie machte mir doch weniger Sorgen als der peinigende Gedanke an die Gefährten in Lizan. Der Melek lauerte mit Schmerzen auf mich, und die Kurden erwarteten wohl längst schon meine Wiederkehr. Und hier lag ich angebunden, wie eine Dogge in der Hundehütte! Was mußte daraus entstehen!



Einen Trost hatte ich doch. War Mohammed Emin nach Lizan gekommen, so hatte man sicher sofort den Platz aufgesucht, an welchem ich überfallen worden war. Man fand das tote Pferd und die Spuren des Kampfes, und im übrigen mußte ich dann auf den Scharfsinn und die Verwegenheit meines treuen Halef bauen.



So lag ich längere Zeit in Gedanken versunken und zermarterte mir vergebens den Kopf, um eine Art und Weise, wie die Flucht gelingen könne, zu ersinnen. Da störte mich die Stimme der holden Madana auf. Sie war ein Weib; warum sollte sie so lange schweigen!



»Willst du essen?« fragte sie mich.



»Nein.«



»Trinken?«



»Nein.«



Das Gespräch war zu Ende, aber die duftende Petersilie kam herbeigekrochen, ließ sich in der unmittelbaren Nähe meiner armen Nase häuslich nieder und nahm dann den von mir verschmähten Scherben auf ihren Schoß. Ich sah, daß sie mit allen fünf Fingern der rechten Hand in das geheimnisvolle Amalgam langte und dann den zahnlosen Mund wie eine schwarzlederne Reisetasche auseinanderklappte – ich schloß die Augen. Eine Zeitlang hörte ich ein mächtiges Geknatsch; sodann vernahm ich jenes sanfte, zärtliche Streichen, welches entsteht, wenn die Zunge als Wischtuch gebraucht wird, und endlich erklang ein langes, zufriedenes Grunzen, welches ganz hörbar aus einer wonnetrunkenen Menschenseele kam. O Petersilie, du Würze des Lebens, warum duftest du nicht draußen im Freien!



Nach langer Zeit erst öffnete ich die Augen wieder. Mein Schirm und Schutz saß noch immer vor mir und hielt die Augen forschend auf mich gerichtet. In diesen Augen schimmerte ein wenig Mitleid und viel Neugierde.



»Wer bist du?« fragte sie mich.



»Weißt du es nicht?« antwortete ich.



»Nein. Du bist ein Moslem?«



»Ich bin ein Christ.«



»Ein Christ und gefangen? Du bist kein Berwari-Kurde?«



»Ich bin ein Christ aus dem fernen Abendlande.«



»Aus dem Abendlande!« rief sie erstaunt. »Wo die Männer mit den Frauen tanzen? Und wo man mit Schaufeln ißt?«



Also der Ruhm unserer abendländischen Kultur war bereits bis zu den Ohren der Petersilie gedrungen: sie hatte von unserer Polka und von unsern Löffeln gehört.



»Ja,« nickte ich.



»Aber was willst du hier in diesem Lande?«



»Ich will sehen, ob hier die Frauen so schön sind, wie die unserigen.«



»Und was hast du gefunden?«



»Sie sind sehr schön.«



»Ja, sie sind schön,« stimmte sie bei, »schöner als in einem anderen Lande. Hast du ein Weib?«



»Nein.«



»Ich bedaure dich! Dein Leben gleicht einer Schüssel, in der weder Sarmysak noch Saljanghosch ist!«



Sarmysak und Saljanghosch, Schnecken in Knoblauch? Sollte dies das fürchterliche Gericht sein, welches vorhin in der »Reisetasche« verschwand! Und das hatte die Petersilie ohne »Schaufeln« bewältigt!



»Willst du dir kein Weib nehmen?« erkundigte sie sich weiter.



»Ich möchte vielleicht wohl, aber ich kann nicht.«



»Warum nicht?«



»Kann man es tun, wenn man so gefesselt ist?«



»Du wirst warten, bis du wieder frei geworden bist.«



»Wird man mir die Freiheit wiedergeben?«



»Wir sind Chaldani; wir töten keinen Gefangenen. Was hast du getan, daß man dich gebunden hat?«



»Das will ich dir erzählen. Ich bin über Mossul und Amadijah in dieses Land gekommen, um – – —«



Sie unterbrach mich hastig:



»Ueber Amadijah?«



»Ja.«



»Wann warst du dort?«



»Vor kurzer Zeit.«



»Wie lange bliebst du dort?«



»Einige Tage.«



»Hast du dort vielleicht einen Mann gesehen, der ein Emir und ein Hekim aus dem Ahendlande war?«



»Ich habe ihn gesehen.«



»Beschreibe ihn mir!«



»Er hat ein Mädchen gesund gemacht, welches Gift gegessen hatte.«



»Ist er noch dort?«



»Nein.«



»Wo befindet er sich?«



»Warum fragst du nach ihm?«



»Weil ich gehört habe, daß er in diese Gegend kommen wird.«



Sie sprach mit einer Hast, welche nur von dem lebhaftesten Interesse hervorgebracht sein konnte.



»Er ist bereits in dieser Gegend,« sagte ich.



»Wo? – Schnell, sage es!«



»Hier.«



»Hier in Schohrd? Du irrst; ich habe nichts davon gehört!«



»Nicht hier in Schohrd, sondern hier in deiner Hütte.«



»In dieser Hütte? Katera Aïssa – um Jesu willen, dann wärst du‘s ja!«



»Ich bin der Mann, nach dem du fragst.«



»Herr, kannst du dies beweisen?«



»Ja.«



»Wen trafst du in dem Hause der Kranken, welche Gift gegessen hatte?«



»Ich traf dort Marah Durimeh.«



»Hat sie dir einen Talisman gegeben?«



»Nein; aber sie hat mir gesagt, wenn ich hier in Not kommen werde, so solle ich nach dem Ruh ‚i kulyan fragen.«



»Du bist‘s, du bist‘s, Herr!« rief sie, indem sie die Hände zusammenschlug. »Du bist der Freund von Marah Durimeh; ich werde dir helfen; ich werde dich beschützen. Erzähle mir, wie du in diese Gefangenschaft geraten bist!«



Dies war heut bereits zum drittenmale, daß ich die wunderbare Wirkung von dem Namen Marah Durimehs erlebte. Welche Macht besaß dieses geheimnisvolle Weib?



»Wer ist Marah Durimeh?« fragte ich.



»Sie ist eine alte Fürstin, deren Nachkommen vom Messias abgefallen und zu Muhammed übergetreten sind. Nun tut sie Buße für sie und wird ruhelos hin und her getrieben.«



»Und wer ist der Ruh ‚i kulyan?«



»Das ist ein guter Geist. Die einen sagen, es sei der Engel Gabriel, und andere meinen, daß es der Erzengel Michael sei, der die Gläubigen beschützt. Er hat hier gewisse Orte und gewisse Zeiten, wo und wann man zu ihm kommen kann. Aber erzähle mir vorher, wie du gefangen wurdest!«



Die Erfüllung dieses Wunsches konnte mir nur Nutzen bringen. Ich überwand die Unannehmlichkeit meiner Körperlage und die Beschwerden, welche mir die Armfesseln verursachten, und erzählte meine Erlebnisse von Amadijah bis zur gegenwärtigen Stunde. Die Alte hörte mir mit der größten Aufmerksamkeit zu, und als ich geendet hatte, faßte sie fast zärtlich die eine meiner zusammengeschnürten Hände.



»Herr,« rief sie, »du hast recht vermutet: Nedschir-Bey ist es, der dich gefangen hält. Ich weiß nicht, weshalb er es getan hat, aber ich liebe ihn nicht; er ist ein gewalttätiger Mann, und ich werde dich retten.«



»Du willst mir diese Fesseln abnehmen?«



»Herr, das darf ich nicht wagen. Nedschir-Bey wird bald kommen, und dann würde er mich sehr bestrafen.«



»Was willst du sonst tun?«



»Emir, heut ist der Tag