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Durchs wilde Kurdistan

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»Brauchst du ihn noch?«

»Ja.«

»Wir brauchen ihn auch.«

»So hole dir einen Befehl vom Gouverneur. Wenn du mir diesen vorzeigst, werde ich dir den Buluk Emini zurückgeben!«

Ich ritt weiter und kam an lauter finsteren Gesichtern vorüber. Gar manche Hand zuckte nach dem Dolche, aber Nasir Agassi begleitete mich, bis ich in Sicherheit war, dann aber nahm er Abschied.

Der Abschied war kurz, denn die Zeit drängte.

»Effendi, werden wir uns wiedersehen?« fragte Nasir Agassi.

»Allah weiß alles, auch dieses, wir aber nicht.«

»Du bist mein Retter; ich werde dich nie vergessen und danke dir. Sollten wir uns einmal wiedersehen, so sage mir dann, ob ich dir dienen kann.«

»Gott schütze dich! Vielleicht sehe ich dich einmal als Miralai; dann möge deiner ein besseres Kismet warten, als das des Omar Amed!«

Wir reichten einander die Hände und schieden. Auch ihn habe ich zu einer Zeit wieder gesehen, wo ich am wenigsten an ihn dachte.

Nur wenige Schritte weiter empor trafen wir hinter einem Busche den ersten Dschesidi, welcher sich so weit heran gewagt hatte, um beim Wiederbeginn des Kampfes ein sicheres Ziel zu haben. Es war der Sohn Seleks, mein Dolmetscher.

»Emir, bist du wohl erhalten?« rief er mir entgegen.

»Ganz wohl. Hast du das Buch des Pir Kamek bei dir?«

»Nein. Ich habe es an einem Ort versteckt, an dem es keinen Schaden leiden kann.«

»Aber wenn du gefallen wärest, so wäre es verloren gewesen!«

»Nein, Effendi. Ich habe Mehreren offenbart, wo es liegt, und diese hätten dir es mitgeteilt.«

»Wo ist der Bey?«

»Oben auf der Klippe, von welcher aus man das Tal am besten überblicken kann. Erlaube, daß ich dich führe!«

Er nahm das Gewehr über die Schulter und schritt voran. Wir erreichten die Höhe, und es war von Interesse, hier hinabzublicken auf die Verstecke, hinter denen die Dschesidi standen, saßen, hockten und lagen, ganz bereit, bei dem Zeichen ihres Anführers den Kampf nun im vollen Ernste zu beginnen. Hier kam man noch besser als unten zu der Ueberzeugung, daß die Türken verloren wären, wenn es ihnen nicht gelänge, mit ihren Gegnern einig zu werden. Hier an derselben Stelle hatte ich mit Ali Bey gestanden, als wir die vermeintlichen Sterne beobachteten, und jetzt, nur wenige Stunden später, stand die kleine Sekte, welche es gewagt hatte, den Kampf mit den Truppen des Großherrn aufzunehmen, bereits als Sieger da.

Wir ritten nun links weiter, bis wir zu einem Felsen gelangten, der sich ein weniges über den Rand des Tales hervor streckte. Hier saß der Bey mit seinem Stabe, welcher nur aus drei barfüßigen Dschesidi bestand. Er kam mir erfreut entgegen.

»Ich danke dem Allgütigen, der dich gesund und unversehrt erhalten hat!« sagte er herzlich. »Ist dir Uebles begegnet?«

»Nein, sonst hätte ich dir das Zeichen gegeben.«

»Komm her!«

Ich stieg ab und folgte ihm auf den Felsen. Man konnte von hier aus alles deutlich sehen, das Heiligtum, das Haus des Bey, da unten die Batterie hinter der Verschanzung und die beiden Seitenwände des Tales.

»Siehst du die weiße Stelle auf meinem Hause?« fragte er.

»Ja. Es ist der Shawl.«

»Wäre er verschwunden, so hätte ich ein Zeichen gegeben, und fünfhundert meiner Leute wären Sturm hinabgelaufen, unter dem Schutze der Kanonen, welche den Feind zurückgehalten hätten.«

»Ich danke dir, Bey. Es ist mir nichts geschehen, als daß der Miralai einmal nach mir schoß; aber ohne mich zu treffen.«

»Das soll er büßen!«

»Er hat es bereits gebüßt.«

Ich erzählte ihm alles, was ich gesehen hatte, und berichtete ihm auch die Worte, in denen der Abschied des Pir von mir enthalten war. Er hörte aufmerksam und in tiefster Bewegung zu; aber als ich geendet hatte, sagte er nichts als:

»Er war ein Held!«

Dann versank er in ein tiefes Sinnen, aus welchem er erst nach einer Weile wieder erwachte.

»Und was sagst du? Sie haben meinen Boten getötet?«

»Sie haben ihn hingerichtet, erschossen.«

»Wer hat den Befehl dazu erteilt?«

»Jedenfalls der Miralai.«

»O lebte er noch!« knirschte er. »Ich ahnte, daß dem Boten etwas widerfahre. Ich hatte ihm gesagt, daß ich den Kampf wieder beginnen werde, wenn er binnen einer halben Stunde nicht zurückgekehrt sei. Aber ich werde ihn rächen; ich werde jetzt das Zeichen geben, daß nun endlich Ernst gemacht werden soll!«

»Warte noch, denn ich habe vorher mit dir zu reden. Der Kaimakam, welcher jetzt das Kommando führt, hat mich zu dir gesandt.«

Ich erzählte ihm nun wortgetreu meine ganze Unterredung mit dem Oberstleutnant und dem Makredsch. Als ich nun den letzteren in Erwähnung brachte, zog er die Augenbrauen finster zusammen, doch hörte er mich ruhig bis zu Ende an.

»Also der Makredsch ist dabei! O, nun weiß ich, wem wir das alles zu verdanken haben! Er ist der schlimmste Feind der Dschesidi; er haßt sie; er ist ihr Vampyr, ihr Blutsauger, und er hat auch jenem Morde die Wendung gegeben, welche zur Handhabe geworden ist, durch diesen Ueberfall eine Kontribution von uns zu erzwingen. Aber meine Gesandtschaft, welche nach Stambul gegangen ist, wird auch zum Anadoli Kasi Askeri[13] gehen, um ihm einen Brief von mir zu überbringen, den mir der Pir Kamek noch geschrieben hat. Beide kannten sich und hatten sich lieb, und der Pir ist lange Zeit sein Gast gewesen. Er weiß die Lüge von der Wahrheit zu unterscheiden und wird uns Hilfe bringen.«

»Das wünsche ich dir von Herzen. Aber wen wirst du zu dem Kaimakam senden? Ein gewöhnlicher Mann darf es nicht sein, sonst wird er überlistet.«

»Wen ich senden werde, fragest du? Niemand werde ich senden, keinen Menschen. Nur ich selbst werde mit ihm sprechen. Ich bin das Haupt der Meinen; er ist der Anführer der Seinen, und wir beide haben zu entscheiden. Aber ich bin der Sieger, und er ist der Besiegte; er mag zu mir kommen!«

»So ist es recht!«

»Ich werde ihn hier erwarten. Ich werde ihm freies Geleit geben; aber wenn er in dreißig Minuten nicht zur Stelle ist, so lasse ich die Beschießung beginnen und halte nicht eher ein, als bis keiner der Osmanly mehr lebt!«

Er trat zu seinen Adjutanten und sprach kurze Zeit mit ihnen. Darauf entfernten sich zwei von ihnen. Der eine ergriff einen weißen Shawl, legte seine Waffen ab und stieg links da hinab, wo ich jetzt heraufgekommen war; der andere aber schritt längs des Randes der Höhe hin und klimmte dann rechts hinab nach dem Punkte hin, an welchem die Geschütze standen.

Nun gab Ali Bey einigen Dschesidi, welche in der Nähe hielten, den Befehl, ein Zelt für uns zu errichten. Die zu demselben gehörigen Requisiten lagen bereit. Während sie seinem Gebote Folge leisteten, bemerkte ich, daß sich unten die Verschanzung öffnete. Die Kanonen wurden durch die entstandene Lücke vorgezogen und avancierten längs des Baches bis an die Linie derjenigen Dschesidi, welche auf der Sohle des Tales festen Fuß gefaßt hatten. Dort gab es mehrere Felsblöcke, welche mit einigen schnell umgehauenen Bäumen eine neue Verschanzung bildeten.

Es waren seit der Absendung des Dschesidi noch nicht zwanzig Minuten vergangen, so nahte sich der Kaimakam. Er war von drei türkischen Soldaten begleitet, und an seiner Seite ritt – der Makredsch. Das war eine große Unklugheit von dem letzteren; ich sah es dem finsteren Blicke an, mit welchem Ali Bey ihn betrachtete.

Der Bey trat in das Zelt, welches mittlerweile aufgerichtet worden war, und ließ sich auf den Teppich nieder, welcher den Fußboden desselben bildete. Ich empfing die Kommenden. Die drei Soldaten blieben vor dem Zelte halten; die beiden andern aber traten ein.

»Sallam!« grüßte der Kaimakam.

Der Makredsch grüßte nicht. Er als der Vorsteher eines großherrlichen Gerichtshofes erwartete, daß der Bey der Teufelsanbeter ihn bewillkommnen werde. Dieser aber nahm weder von ihm Notiz, noch beantwortete er den Gruß des Oberstleutnants. Er deutete nur auf den Teppich und meinte:

»Kaimakam, komar-sen – du darfst dich setzen!«

Der Angeredete nahm in würdevoller Weise Platz, und der Makredsch ließ sich an seiner Seite nieder.

»Du hast uns gebeten, zu dir zu kommen,« begann der Offizier. »Warum bist du nicht zu uns gekommen?«

»Du irrst!« antwortete Ali Bey sehr ernst. »Ich habe dich nicht gebeten, sondern ich habe dir nur kund getan, daß ich die Osmanly niederkartätschen lassen werde, wenn du nicht kommst. Ist das eine Bitte? Du fragst ferner, warum ich nicht zu dir gekommen bin. Wenn ich von Scheik Adi nach Mossul komme, werde ich dich aufsuchen und nicht verlangen, daß du dich zu mir bemühest; du bist von Mossul nach Scheik Adi gekommen und wirst die Gesetze der Höflichkeit kennen, welche dir gebieten, dich zu mir zu bemühen. Deine Frage veranlaßt mich übrigens, dir gleich die Stellung klar zu machen, von welcher aus wir gegenseitig zu einander sprechen werden. Du bist ein Diener, ein Beamter des Großherrn und des Mutessarif, ein Offizier, der im günstigen Falle ein Regiment kommandiert; ich aber bin ein freier Fürst der Kurden und Oberfeldherr aller meiner Krieger. Glaube darum nicht, daß dein Rang höher sei, als der meinige —«

»Ich bin nicht ein Diener des – – —«

»Schweige! Ich bin gewohnt, daß man mich hört und mich ausreden läßt; merke dir das, Kaimakam! Du bist ohne alles Recht und ohne vorherige Ankündigung in mein Gebiet eingebrochen, wie ein Dieb, wie ein Räuber mit bewaffneter Hand. Einen Räuber fange und töte ich, ganz wie es mir gefällt; da du aber ein Diener des Großherrn und des Mutessarif bist, so will ich vorher, ehe ich meine ganze Macht entwickle, in Güte mit dir reden. Daß du noch lebst, du und die Deinen, das habt ihr nur meiner Milde und Nachsicht zu verdanken. Nun sage, wer das Recht hat, zu erwarten, daß der andere zu ihm komme, du oder ich!«

 

Der Kaimakam machte ein ganz erstauntes Gesicht, denn eine solche Ausführung hatte er jedenfalls nicht erwartet. Er besann sich noch, was er sagen solle; doch der Makredsch, über dessen Stößerphysiognomie es wie ein flammender Grimm zuckte, ergriff das Wort:

»Ali Bey, was wagest du! Du nennst uns Diebe und Mörder, uns, die wir als Vertreter des Padischah und des Generalgouverneur hier sitzen! Nimm dich in acht, sonst wirst du es bereuen!«

Der Bey wandte sich in vollkommenster Ruhe an den Offizier:

»Oberstleutnant, wer ist dieser Verrückte?«

Der Gefragte machte eine erschrockene Gebärde.

»Wahre deine Zunge, Ali Bey! Dieser Effendi ist der Makredsch von Mossul!«

»Du scherzest! Ein Makredsch muß im Besitze seiner Besinnung sein. Der Makredsch von Mossul hat den Mutessarif zu dem Kriegszuge gegen mich beredet; er würde, wenn er nicht verrückt ist, es nie wagen, zu mir zu kommen; denn er muß wissen, was in diesem Falle seiner wartet!«

»Ich scherze nicht. Er ist es wirklich.«

»Ich sehe, daß du weder träumst, noch betrunken bist; darum muß ich dir glauben. Aber bedenke, daß ich nur dich allein zu mir gefordert habe!«

»Er ist mit mir gegangen als Vertreter und Abgesandter des Mutessarif.«

»Das ist möglich, denn du sagest es; aber kannst du mir es beweisen?«

»Ich sage und bezeuge es!«

»Das darf hier nichts gelten. Ich vertraue dir; aber ein jeder andere, der in einer solchen oder in einer ähnlichen Angelegenheit zu mir kommt, muß beweisen können, daß er das Recht und den Auftrag hat, mit mir zu verhandeln; sonst läuft er Gefahr, daß ich ihn so behandle, wie ihr meinen ersten Boten behandelt habt.«

»Ein Makredsch kann niemals in eine solche Gefahr kommen!«

»Ich werde dir das Gegenteil beweisen!«

Er klatschte in die Hände, und sogleich trat der Dschesidi ein, welcher den Kaimakam geholt hatte.

»Hast du dem Kaimakam ein sicheres Geleite versprochen?«

»Ja, Herr.«

»Wem noch?«

»Keinem. «

»Den drei Soldaten nicht, welche draußen stehen?«

»Nein, und dem Makredsch auch nicht.«

»Die drei werden abgeführt; sie sind gefangen; und diesen Mann, welcher sich für den Makredsch von Mossul ausgibt, nimmst du auch mit. Er ist schuld an allem, auch an der Ermordung meines Parlamentärs.«

»Ich protestiere!« rief der Kaimakam.

»Ich werde mich zu verteidigen und auch zu rächen wissen,« drohte der Makredsch, indem er einen Dolch zog, den er im Gürtel stecken hatte.

In demselben Augenblick aber hatte sich Ali Bey empor geschnellt und schlug ihm die Faust mit solcher Gewalt in das Gesicht, daß der Getroffene rückwärts niederstürzte.

»Hund, wagst du es, in meinem Zelte die Waffe gegen mich zu ziehen! Fort, hinaus mit ihm!«

»Halt!« gebot der Kaimakam. »Wir sind gekommen, zu unterhandeln; es darf uns nichts geschehen!«

»Auch mein Bote kam zu euch, um zu unterhandeln, und dennoch habt ihr ihn ermordet, habt ihn als einen Verräter hingerichtet. Hinaus mit diesem Menschen!«

Der anwesende Dschesidi faßte den Makredsch und schaffte ihn fort.

»So werde auch ich gehen!« drohte der Kaimakam.

»So gehe! Du wirst die Deinen unverletzt erreichen; aber ehe du zu ihnen kommst, werden ihrer viele getötet sein. Emir Kara Ben Nemsi, tritt hinaus auf den Felsen, und erhebe die Rechte. Es ist das Zeichen, daß die Kanonade beginnen soll! «

»Bleib!« wandte sich der Kaimakam schnell zu mir. »Ihr dürft nicht schießen.«

»Warum nicht?« fragte Ali Bey.

»Das wäre Mord, denn wir können uns nicht wehren.«

»Das wäre kein Mord, sondern Strafe und Vergeltung. Ihr wolltet uns überfallen, ohne daß wir eine Ahnung davon hatten; ihr kamt mit Säbeln, Flinten und Kanonen, um uns niederzuhauen, niederzukartätschen. Nun aber eure Kanonen sich in unseren Händen befinden, nun ihr von uns gebührenderweise empfangen worden seid, sagt ihr, derjenige, welcher schießt, sei ein Mörder! Kaimakam, lasse dir zürnen, aber lasse dich nicht verlachen!«

»Du wirst den Makredsch freigeben!«

»Er ist Repressalie für den gemordeten Parlamentär!«

»Du wirst ihn töten?«

»Vielleicht. Es kommt ganz darauf an, ob wir beide uns verständigen.«

»Was verlangst du von mir?«

»Ich bin bereit, deine Zugeständnisse zu vernehmen.«

»Zugeständnisse? Wir sind gekommen, um Forderungen zu machen!«

»Ich habe dich bereits gebeten, dich nicht auslachen zu lassen! Sage mir zunächst, aus welchem Grunde ihr uns überfallen habt!«

»Es sind Mörder unter euch.«

»Ich weiß, welchen Fall du meinst, aber ich sage dir, daß du falsch unterrichtet bist: nicht zwei von den Unserigen haben einen der Eurigen, sondern drei der Eurigen haben zwei der Unserigen ermordet. Ich habe bereits dafür gesorgt, euch dies beweisen zu können; denn der Kiajah[14] des Ortes, wo die Tat geschehen ist, wird in kurzer Zeit mit den Angehörigen der Ermordeten hier sein.«

»Vielleicht ist dies ein anderer Fall!«

»Es ist nur der nämliche, aber der Makredsch hat ihn verdreht. Er wird es nicht wieder tun. Und wenn es so wäre, wie du sagst, so ist dies ganz und gar kein Grund, mit bewaffneter Macht unser Gebiet zu überfallen.«

»Wir haben noch einen zweiten Grund.«

»Welchen?«

»Ihr habt den Haradsch nicht bezahlt.«

»Wir haben ihn bezahlt. Was nennst du überhaupt Haradsch? Wir sind freie Kurden; was wir zahlen, das zahlen wir freiwillig. Wir haben die Kopfsteuer bezahlt, welche jeder, der nicht ein Moslem ist, für seine Befreiung vom Militärdienste zu entrichten hat. Nun wollt ihr auch den Haradsch, und doch ist dieser nichts anderes als diese bereits entrichtete Kopfsteuer! Und wenn ihr in eurem Rechte wäret, und wenn wir dem Mutessarif eine Steuer schuldig geblieben wären, ist dies eine genügende Veranlassung, uns zu überfallen? Muß er da just Scheik Adi überfallen, wo jetzt Tausende von Menschen sind, die nicht nach Mossul gehören, und die ihm auf keinen Fall etwas schuldig sind? Kaimakam, du und ich, wir beide wissen sehr genau, was es eigentlich ist, was der Gouverneur von uns will: Geld und Beute. Es ist ihm nicht gelungen, uns zu berauben, und so wollen wir also nicht weiter über seine Gründe sprechen. Du bist weder ein Jurist noch ein Steuereinnehmer; du bist Offizier, und darum habe ich mit dir nur das zu besprechen, was deine militärische Aufgabe betrifft. Du sollst reden, und ich werde hören!«

»Ich habe von dir den Haradsch und die Mörder zu verlangen, sonst muß ich auf Befehl des Mutessarif Scheik Adi und alle Ortschaften der Dschesidi zerstören und einen jeden töten, der mir Widerstand leistet.«

»Und alles mit dir nehmen, was die Dschesidi besitzen?«

»Alles!«

»So lautet der Befehl des Gouverneurs?«

»So lautet er.«

»Und du wirst ihn erfüllen?«

»Mit allen Kräften.«

»Tue es!«

Er erhob sich, zum Zeichen, daß die Unterredung beendet sei. Der Kaimakam machte eine Bewegung, ihn zurückzuhalten.

»Was wirst du beginnen, Bey?«

»Du wirst die Dörfer der Dschesidi zerstören und die Einwohner derselben berauben, und ich, das Oberhaupt der Dschesidi, werde meine Untertanen zu beschützen wissen. Ihr seid ohne vorherige Anmeldung bei mir eingebrochen; ihr verteidigt das mit Gründen, welche Lügen sind; ihr wollt sengen und brennen, rauben und morden; ihr habt sogar meinen Boten getötet, eine Tat, welche ganz und gar gegen das Recht der Völker ist. Daraus folgt, daß ich euch nicht als Krieger betrachten kann, sondern als Räuber behandeln muß; Räuber aber schießt man einfach über den Haufen. Wir sind fertig! Kehre zu den Deinen zurück. Jetzt stehst du noch unter meinem Schutze; dann aber bist du vogelfrei!«

Er verließ das Zelt und erhob den Arm. Die Artilleristen mochten längst auf dieses Zeichen gewartet haben – ein Kanonenschuß krachte, und noch einer.

»Herr, was tust du?« rief der Kaimakam. »Du brichst den Waffenstillstand, noch während ich bei dir bin!«

»Haben wir einen Waffenstillstand abgeschlossen? Habe ich dir nicht gesagt, daß wir fertig sind? Hörst du? Das waren Kartätschen – und das Granaten; dieselben Geschosse, welche für uns bestimmt waren; nun aber treffen sie euch. Allah hat gerichtet; er trifft den Sünder mit demselben Streiche, mit dem dieser gesündigt hat. Du hörst das Schreien deiner Leute. Geh zu ihnen, und befiehl ihnen, unsere Dörfer zu zerstören!«

Wirklich schien der dritte und vierte Schuß außerordentlich gewirkt zu haben; das konnte man aus dem wilden Heulen schließen, welches aus der Tiefe scholl.

»Halt ein, Ali Bey! Gib das Zeichen, mit dem Feuer wieder einzuhalten, damit wir weiter verhandeln können!«

»Du kennst den Befehl des Mutessarif, und ich kenne meine Pflicht; wir sind fertig.«

»Der Mutessarif hat seine Befehle nicht mir, sondern dem Miralai gegeben, und nun ist es meine Pflicht, meine Leute nicht wehrlos niederschießen zu lassen. Ich muß sie zu retten suchen.«

»Willst du diesen Gedanken fest halten, so bin ich bereit, die Verhandlung wieder aufzunehmen.«

»So komm herein!«

Ali Bey wand sein Turbantuch los und wehete damit nach unten, dann ging er wieder in das Zelt.

»Was verlangst du von mir?« fragte der Kaimakam.

Der Bey blickte nachdenklich zur Erde, dann antwortete er:

»Nicht du bist es, dem ich zürne, und darum möchte ich dich schonen; jedes endgültige Uebereinkommen aber, welches wir treffen könnten, würde dein Verderben sein, weil meine Bedingungen für euch mehr als ungünstig sind. Darum werde ich nur mit dem Mutessarif selbst verhandeln, und du bist aller Verantwortung ledig.«

»Ich danke dir, Bey!«

Der Kaimakam schien kein schlimmer Mann zu sein; er war froh, daß der Angelegenheit eine solche Wendung gegeben wurde, und darum kam sein Dank ganz sichtlich aus einem aufrichtigen Herzen.

»Aber eine Bedingung habe ich natürlich auch an dich,« fuhr Ali fort.

»Welche?«

»Du betrachtest dich und deine Truppen als kriegsgefangen und bleibst mit ihnen in Scheik Adi, bis ich mich mit dem Mutessarif geeinigt habe.«

»Darauf gehe ich ein, denn ich kann es verantworten. Der Miralai ist an allem schuld; er ist zu unvorsichtig vorgegangen.«

»Du gibst also die Waffen ab?«

»Das ist schimpflich!«

»Könnt ihr als Kriegsgefangene die Waffen behalten?«

»Ich erkläre mich nur insoweit für kriegsgefangen, als ich in Scheik Adi bleibe und keinen Durchbruch versuche, bis ich weiß, wie der Mutessarif über uns verfügen wird.«

»Der Durchbruch würde dein Verderben sein; er würde euch aufreiben.«

»Bey, ich will ehrlich sein und zugeben, daß unsere Lage eine sehr schlimme ist; aber weißt du, was tausend Mann vermögen, wenn sie zur Verzweiflung getrieben werden?«

»Ich weiß es, aber es kommt dennoch keiner von euch davon.«

»Aber es wird auch mancher von euch fallen! Und bedenke, daß dem Mutessarif noch das Linien- und Dragonerregiment zur Verfügung steht, dessen größter Teil in Mossul zurückgeblieben ist. Rechne dazu die Hilfe, welche er aus Kjerkjuk und Diarbekir, aus Sulimanijah und andern Garnisonen erhalten kann; rechne dazu die Artillerie, welche ihm noch zur Verfügung steht, und du wirst einsehen, daß du zwar Herr der jetzigen Situation bist, es aber wohl nicht bleiben wirst.«

»Soll ich auf einen Sieg und seine Ausnutzung verzichten, weil ich später vielleicht geschlagen werden kann? Der Mutessarif mag mit seinen Regimentern kommen; ich werde ihm sagen lassen, daß es euch das Leben kostet, wenn er mich nochmals angreift. Und wenn ihm weitere Hilfe zur Verfügung steht, so ist dies bei mir ebenso der Fall. Du weißt, daß es nur meines Aufrufes bedarf, um so manchen tapfern Stamm der Kurden zur Erhebung gegen ihn zu bringen. Doch ich liebe den Frieden und nicht den Krieg. Ich habe zwar heute Dschesidi aus ganz Kurdistan und den angrenzenden Provinzen um mich versammelt und könnte die Fackel des Aufstandes unter sie schleudern; aber ich tue es nicht, sobald der Mutessarif mir erlaubt, die Rechte der Meinigen zu wahren. Ich will dir und deinen Truppen jetzt noch die Waffen lassen; aber ich habe einem Verbündeten Gewehre versprochen, und die wird der Gouverneur auf alle Fälle liefern müssen.«

»Wer ist dieser Verbündete?«

»Kein Dschesidi verrät seinen Freund. Also du behältst deine Waffen, aber alle Munition lieferst du mir ab, und dafür verspreche ich dir, für den Proviant zu sorgen, dessen du bedarfst.«

 

»Gebe ich dir die Munition, so ist es genau so, als ob du auch die Waffen hättest!«

Ali Bey lächelte.

»Wohl, so sollst du auch die Munition behalten; doch sage ich dir: wenn deine Leute Hunger bekommen und du mich um Proviant bittest, so werde ich dir denselben nur gegen Flinten, Pistolen, Degen und Messer verkaufen. Also auf diese Weise seid ihr nicht kriegsgefangen, sondern wir schließen nur einen Waffenstillstand ab.«

»So ist es, und darauf kann ich eingehen.«

»Du siehst, daß ich sehr nachsichtig bin. Nun aber höre meine Bedingungen: Ihr bleibt im Tale Scheik Adi; ihr bleibt ohne alle Verbindung mit außen; ihr enthaltet euch aller Feindseligkeit gegen die Meinigen; ihr ehrt unsere Heiligtümer und unsere Wohnungen; erstere dürft ihr gar nicht betreten und die letzteren nur mit meiner Erlaubnis; der Waffenstillstand dauert so lange, bis euch ein Befehl des Mutessarif zugeht, und zwar wird dieser Befehl euch in meiner Gegenwart gegeben; jeder Fluchtversuch, auch eines Einzelnen, und jede Zuwiderhandlung gegen unsere Vereinbarung hebt den Waffenstillstand sofort auf; ihr behaltet eure gegenwärtige Stellung und ich die meinige. Dagegen mache ich mich verbindlich, daß ich bis zu der angegebenen Zeit mich aller Feindseligkeiten enthalten werde. Bist du einverstanden?«

Nach einem kurzen Bedenken und einigen unwesentlichen Hinzufügungen und Ausführungen nahm der Kaimakam die Bedingungen an. Er verwandte sich sehr für den Makredsch und verlangte die Auslieferung desselben, doch ging Ali nicht darauf ein. Es wurde Papier herbei geschafft; ich entwarf den Vertrag, und beide unterzeichneten, der eine durch die Unterschrift seines Namens und der andere mit seinem Bu-ken-dium[15]. Dann kehrte der Offizier in das Tal zurück, wobei es ihm erlaubt wurde, seine drei Soldaten wieder mitzunehmen.

Nun wartete Pali auf die Befehle seines Vorgesetzten.

»Willst du mir einen Brief an den Mutessarif schreiben?« fragte mich dieser.

»Gern! Was willst du ihm mitteilen?«

»Die jetzige Lage seiner Truppen. Dann sollst du ihm sagen, daß ich mit ihm zu verhandeln wünsche, daß ich ihn entweder hier erwarte oder in Dscherraijah mit ihm zusammentreffen will. Er darf aber eine Begleitung von höchstens fünfzig Mann mitbringen und hat sich aller Feindseligkeiten zu enthalten. Die Zusammenkunft findet übermorgen bis zum Mittag statt. Versäumt er, zu kommen, so töte ich den Makredsch und lasse seine Truppen ihre eigenen Kartätschen fühlen. Dies geschieht auch dann, sobald ich bemerke, daß er gesonnen ist, die Feindseligkeiten fortzusetzen. Kannst du dies schreiben?«

»Ja.«

»Ich werde Pali noch ganz besondere Aufträge erteilen. Schreibe so schnell wie möglich, damit er bald aufbrechen kann!«

Einige Minuten später saß ich im Zelte und schrieb mit meinem Bleistifte, nach orientalischer Manier das Papier auf dem Knie, von der Rechten zur Linken hinüber den Brief an den Gouverneur, der sicher beim Lesen desselben keine Ahnung hatte, daß er von seinem Schützlinge verfaßt worden war. Und kaum eine halbe Stunde später jagte das Pferd, welches Pali trug, im Galopp auf dem Wege nach Baadri hin. —

Das Fest der Dschesidi hatte eine außerordentliche Störung erfahren, aber das Bedauern darüber war nicht so groß, wie die Freude, daß es gelungen war, das große Unglück abzuwenden, welches der Versammlung in Scheik Adi gedroht hatte.

»Was wird nun aus dem Feste?« fragte ich Ali Bey. »Die Osmanly können noch mehrere Tage lang da unten verweilen müssen, und eine so lange Zeit dürften die Dschesidi doch nicht warten wollen.«

»Ich werde ihnen ein Fest geben, welches größer ist, als sie erwartet haben,« antwortete er. »Weißt du den Weg nach dem Tale Idiz noch genau?«

»Ja.«

»Du hast Zeit. Reite hin, und hole Mir Scheik Khan mit den Scheiks und Kawals herbei. Wir wollen sehen, ob sich die Ueberreste des Pir Kamek finden lassen, und sie im Tale Idiz begraben.«

Das war allerdings ein Gedanke, welcher bei den Dschesidi zünden mußte, und mir war es außerordentlich lieb, bei dem Begräbnisse eines Dschesidi gegenwärtig sein zu können. Ich nahm nur Halef mit, den Buluk Emini aber ließ ich zurück.

Zwar hatte ich gesagt, daß der Weg nach dem Tale Idiz mir bekannt sei, aber ich war ja nicht von Scheik Adi, sondern von Baadri aus dorthin gekommen. Jedenfalls glaubte der Bey, daß ich mit dem Sohne Seleks über Scheik Adi geritten sei, und ich klärte ihn nicht auf, weil es mir Vergnügen machte, zu sehen, ob ich das Tal finden werde, ohne den Weg zu kennen. In der Richtung konnte ich mich nicht irren, und die Spuren der Dschesidi vom Tage vorher mußten mich ja ganz genau führen. Ich ritt also an der Kante des Tales hin, bis ich oberhalb des Heiligtums anlangte. Bis hierher kam ich an zahlreichen Dschesidi vorüber, die den Abhang eng besetzt hielten; dann aber wandte ich mich links in den Wald hinein. Einem geübten Auge war es selbst vom Pferde herab nicht schwer, die Spur zu erkennen. Wir folgten ihr und langten bald an der Stelle an, an der ich mit meinem Dolmetscher hinabgestiegen war. Hier stand eine Wache, die den Auftrag hatte, jeden Unberufenen abzuweisen. Wir stiegen von den Pferden und ließen sie oben.

Als wir die Steilung hinunterkletterten, bot sich uns ein seltsamer, lebensvoller Anblick dar. Tausende von Frauen und Kindern hatten sich in den malerischsten Stellungen dort unten gelagert. Pferde grasten; Rinder weideten; Schafe und Ziegen kletterten an den Felsen herum; aber kein Laut war zu hören, denn ein Jeder redete leise, damit das Versteck ja nicht durch einen unvorsichtigen Laut verraten werde. Am Wasser saß Mir Scheik Khan mit seinen Priestern. Sie empfingen mich mit großer Freude; denn sie hatten bisher nur erfahren, daß der Angriff des Feindes allerdings mißlungen sei, aber einen ausführlichen Bericht hatten sie noch nicht erhalten. »Ist das Heiligtum erhalten?« Das war die erste Frage, die der Khan an mich richtete.

»Das Heiligtum ist unversehrt, und ebenso alle anderen Gebäude.«

»Wir hörten das Schießen. Ist viel Blut geflossen?«

»Nur das der Osmanly.«

»Und die Unsrigen?«

»Ich habe nicht gehört, daß einer während des Kampfes verletzt worden sei. Zwei allerdings sind tot, doch starben sie nicht im Streite.«

»Wer ist es?« »Der Sarradsch[16] Hefi aus Baazoni und – —«

»Hefi aus Baazoni? Ein frommer, fleißiger und tapferer Mann. Nicht im Kampfe? Wie starb er denn?«

»Der Bey sandte ihn als Parlamentär zu den Osmanly, und sie erschossen ihn. Ich mußte zusehen, ohne ihn retten zu können.«

Die Priester neigten die Häupter, falteten die Hände und schwiegen. Nur Mir Scheik Khan sagte mit ernster, tiefer Stimme:

»Er ist verwandelt. El Schems wird ihm hier nicht mehr leuchten, aber er wandelt unter den Strahlen einer höheren Sonne in einem Lande, wo wir ihn wiedersehen werden. Dort gibt es weder Tod noch Grab, weder Schmerz noch Kummer; dort ist ewig Licht und Wonne; denn er ist bei Gott!«

Diese Art und Weise, die Nachricht von dem Tode eines Freundes hinzunehmen, war ergreifend. Nicht ein böses Wort traf die Mörder. Diese Priester trauerten, aber sie gönnten dem Toten seine Verwandlung. Einer solchen Ergebenheit ist der Islam niemals fähig; sie konnte nur eine Folge der christlichen Ideen und Anschauungen sein, welche die Dschesidi aufgenommen und fest gehalten haben.

»Und wer ist der Andere?« fragte nun der Khan.

»Du wirst erschrecken!«

»Ein Mann erschrickt nie vor dem Tode, denn der Tod ist der Freund des Menschen, das Ende der Sünde und der Anfang der Seligkeit. Wer ist es?«

»Pir Kamek.«

Sie zuckten dennoch alle wie unter einem plötzlichen Schmerze, aber keiner sagte ein Wort. Auch jetzt sprach Mir Scheik Khan zuerst wieder:

»Ewlija dejischtirmis – der Heilige ist verwandelt. Chüda bujurdi – Gott hat es gewollt! Erzähle uns seinen Tod!«

Ich berichtete so ausführlich, als ich nur konnte. Sie hörten alle tief ergriffen zu, und dann bat der Khan:

»Brüder, laßt uns seiner gedenken!«

Sie senkten die Köpfe tief herab. Beteten sie? Ich weiß es nicht; aber ich sah, daß die Augen mehrerer sich befeuchteten und daß ihre Rührung wohl eine wahre und herzliche war.

Man hat behauptet, daß nur der Deutsche das besitze, was man »Gemüt« nennt. Wenn dies wahr sein sollte, so waren diese Dschesidi den Deutschen sehr ähnlich. Wie wollte ich es ihnen gönnen, wenn die göttliche Milde und Klarheit des Christentums die Schatten ihrer Täler erleuchten und die Spitzen ihrer Berge vergolden dürfte!

Erst nach einer längeren Weile wich ihre Andacht der gewöhnlichen Stimmung, so daß ich wieder zu ihnen reden konnte:

»Nun sendet mich Ali Bey, um euch zu ihm zu holen. Er will es versuchen, ob die Ueberreste des Heiligen noch zu finden sind, damit sie in diesem Falle heute noch begraben werden.«

13Oberrichter der asiatischen Türkei.
14Vorsteher.
15Wörtlich: »Dieses ich selbst« oder »Dieses bin ich selbst« – ein statt der Namensunterschrift geltendes Zeichen.
16Sattelmacher.