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Durchs wilde Kurdistan

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ja, das ist eine wichtige Aufgabe, welche wir zu lösen haben. Die Gebeine des Pir dürfen nicht da ruhen, wo diejenigen des Miralai liegen!«

»Ich befürchte sehr, daß wir nicht Gebeine, sondern nur Asche finden werden!«

»So laßt uns eilen!«

Wir brachen auf, das heißt, sämtliche Priester und Kawals; die Fakirs aber blieben zur Beaufsichtigung von Idiz zurück. Als wir oberhalb Scheik Adi bei dem Zelte des Bey anlangten, sprach dieser mit einem Mann, den er an den Kaimakam mit der Frage gesendet hatte, ob die Türken den Priestern der Dschesidi erlauben würden, den Scheiterhaufen zu untersuchen. Der Offizier hatte bejahend geantwortet und nur die Bedingung ausgesprochen, daß die betreffenden Personen keine Waffen bei sich führen sollten.

Ali Bey konnte die Scheiks nicht begleiten, da er stets anderweit zur Disposition sein mußte. Ich bat, mich anschließen zu dürfen, und das wurde mir gern gestattet. Fast hätte man die Hauptsache vergessen: ein Gefäß, welches die Asche des Heiligen aufnehmen sollte. Auf eine darauf bezügliche Frage zeigte der Bey, daß er auch bereits an diesen Umstand gedacht habe.

»Mir Scheik Khan, du weißt, daß der berühmte Töpfer Rassat in Baazoni meinem Vater Hussein Bey eine Urne machte, die einst seinen Staub aufnehmen soll, wenn es Zeit ist, ihn aus dem Grabe zu entfernen, damit er nicht mit dem Mehle des Sarges vermengt und verunreinigt werde. Diese Urne ist ein Meisterstück des berühmten Töpfers und wohl wert, die Ueberreste des Heiligen aufzunehmen. Sie steht in meinem Hause zu Baadri, und ich habe bereits Boten ausgesandt, sie herbeizuholen. Sie wird ankommen, noch ehe ihr am Scheiterhaufen eure Arbeit beendet habt.«

Dies war genügend, und so setzte sich die Prozession nach niederwärts in Bewegung. Wir kamen bei der Batterie vorüber und langten an dem Orte an, wo der »Heilige« sich und seinen Feind der Rache geopfert hatte. Wir sahen einen Aschenhügel, aus dem die halb verbrannten Stummel starker Hölzer hervorragten. Vor demselben lag die Leiche des erschossenen Parlamentärs. Die Hitze des Feuers hatte wohl seine Kleider, nicht aber seinen Körper zerstört. Er wurde entfernt, eine Arbeit, bei der unsere Geruchsnerven nicht wenig zu leiden hatten.

Die Asche war erkaltet. Die nahe liegenden Häuser lieferten die nötigen Werkzeuge, und nun begann man eine vorsichtige, nur Zoll für Zoll fortschreitende Wegräumung der Aschendecke. Diese Abräumung mußte so sorglich vorgenommen werden, daß sie eine sehr lange Zeit in Anspruch nahm, während welcher ein Dschesidi mit einem Maultiere anlangte, auf dessen Rücken die Urne befestigt war. Ihre Form glich über dem Fuße derjenigen eines umgestürzten Glasschirmes, wie wir sie auf unseren Lampen zu sehen pflegen, und darauf ruhte ein Deckel, den eine Sonne krönte. Auf diesem Gefäße waren eine Abbildung und einige Worte im Kurmangdschi eingebrannt.

Es schien mir ganz unmöglich, die Ueberreste des »Heiligen« von denen des Scheiterhaufens zu unterscheiden; allein ich sollte mich bei dieser Annahme geirrt haben. Als die Asche beinahe bis zum Boden herab fortgeräumt worden war, wurden zwei formlose Klumpen bloßgelegt, denen die Priester ihre ganze Aufmerksamkeit zuwandten. Sie schienen nicht ins reine kommen zu können, und Mir Scheik Khan winkte mich hinzu.

Es war keine leichte Aufgabe, diese Gegenstände genau zu untersuchen; man mußte sich Mund und Nase dabei verschließen. Wir hatten wirklich die Körper der beiden Toten vor uns. Sie waren halb verbraten und halb verkohlt, auf ein Dritteil ihrer früheren Größe zusammen geschrumpft und von einer ziemlich starken Kruste umgeben, welche, wie sich bei der näheren Untersuchung ergab, aus den unverbrennlichen Bestandteilen des Erdpeches und der daran angeklebten Asche bestand.

»Es sind die Toten,« meinte ich. »Ihr habt es diesem Erdpeche zu verdanken, daß ihr euren »Heiligen« begraben könnt.«

»Aber welcher ist es?«

»Sucht ihn heraus!«

Ich wollte sehen, wie weit der Scharfsinn dieser Männer gehe. Sie gaben sich die größte Mühe, vermochten es aber nicht, die scheinbar schwierige und doch so leichte Frage zu entscheiden.

»Es ist unmöglich, den Pir zu erkennen,« meinte endlich der Khan in ziemlicher Ratlosigkeit. »Wir müssen entweder darauf verzichten, seiner Asche die gebührende Ehre zu erweisen, oder wir sind gezwungen, beide Körper in die Urne zu legen, Freund und Feind, den Frommen und den Gottlosen. Oder weißt du einen bessern Rat, Emir Kara Ben Nemsi?«

»Ich weiß einen.«

»Wie lautet er?«

»Nur allein die Gebeine des Pir in die Urne zu tun.«

»Aber du hast ja gehört, daß wir dieselben nicht von denen des Miralai unterscheiden können!«

»Das ist ja nicht schwer! Dieser hier ist der »Heilige«, und dieser hier ist der Türke.«

»Woraus erkennst du das? Kannst du es beweisen?«

»So sicher, wie ihr es nur wünschen möget. Der Pir hatte keine Waffen bei sich; der Miralai aber trug seinen Säbel, einen Dolch und zwei Pistolen. Seht ihr die krumm gezogenen Pistolenläufe und die Messerklinge an diesem Körper kleben? Die Schäfte und der Griff sind verbrannt. Und hier grad unter ihm sieht die Säbelspitze aus der Asche heraus. Dieser ist also unbedingt der Miralai gewesen.«

Jetzt nun wunderten sich die Dschesidi, daß sie nicht selbst auch auf diesen so einfachen Gedanken gekommen waren. Sie alle ohne Ausnahme stimmten meiner Ansicht bei und machten sich daran, die Reste des Pir in die Urne zu bringen.

Während des ganzen Vorganges hatte der Kaimakam mit mehreren seiner Offiziere in der Nähe gehalten. Ihm wurde die Leiche seines früheren Vorgesetzten überlassen, und dann kehrten wir wieder zur Höhe zurück. Dort bat Ali Bey den Khan um seine Befehle in Beziehung auf die Bestattungsfeierlichkeit.

»Wir müssen sie auf morgen verschieben,« antwortete dieser.

»Warum?«

»Pir Kamek war der Frömmste und der Weiseste unter den Dschesidi; er soll würdig bestattet werden, und dazu ist es heute zu spät. Ich werde anordnen, daß man ihm im Tale Idiz ein Grabmal errichte, und dieses kann erst morgen fertig sein.«

»So wirst du Maurer und Zimmerleute brauchen?«

»Nein. Wir werden einen einfachen Bau aus Felsblöcken errichten, der keines Kittes bedarf, und jeder Mann, jedes Weib und auch ein jedes Kind soll einen Stein dazu herbeibringen, je nach seinen Kräften, damit keiner der versammelten Pilger ausgeschlossen werde, dem Verwandelten das ihm gebührende Denkmal zu stiften.«

»Aber ich brauche die Krieger zur Bewachung der Türken!« wendete Ali Bey ein.

»Sie werden sich ablösen; dann stehen dir immer genug von ihnen zu Gebote. Laß uns beraten, welche Gestalt wir dem Baue geben!«

Da ich hierbei unbeteiligt war, suchte ich meinen Dolmetscher auf, um mir das Manuskript des Verstorbenen geben zu lassen. Er hatte es in das Innere eines hohlen Thinarbaumes versteckt, und wir ließen uns in der Nähe desselben nieder, wo ich meinen Sprachübungen ungestört obliegen konnte.

Darüber verging der Tag, und der Abend kam heran. Auf den Höhen, die das Tal von Scheik Adi umgaben, leuchtete ein Wachtfeuer neben dem andern auf. Es war den Türken unmöglich, zu entkommen, selbst wenn der Kaimakam gegen sein Versprechen die Nacht zu einem Durchbruche hätte benutzen wollen. Die Zeit der Dunkelheit verging ohne alle Störung, und am Morgen kehrte Pali zurück. Die Schnelligkeit und Ausdauer seines guten Pferdes hatte die Entfernung zwischen Scheik Adi und Mossul bedeutend abgekürzt. Ich hatte in dem Zelte des Bey geschlafen und befand mich noch dort, als der Bote eintrat.

»Hast du den Mutessarif getroffen?« fragte ihn Ali.

»Ja, Herr; noch spät am Abend.«

»Was sagte er?«

»Erst wütete er und wollte mich tot peitschen lassen. Dann ließ er viele Offiziere und seinen Diwan effendisi[17] kommen, mit denen er sich lange Zeit beraten hat. Dann durfte ich zurückkehren.«

»Bei dieser Beratung warest du nicht zugegen?«

»Nein.«

»Welche Antwort hast du erhalten?«

»Einen Brief an dich.«

»Zeige ihn!«

Pali zog ein Schreiben hervor, welches mit dem großen Möhür mutessarifün[18] verschlossen war. Ali Bey öffnete und betrachtete die Zeilen. In dem großen Schreiben lag ein kleiner, offener Brief. Er reichte mir beide Schriftstücke.

»Lies du, Emir! Ich bin begierig, zu erfahren, was der Mutessarif beschlossen hat.«

Die Zuschrift war von dem Schreiber des Statthalters verfaßt und von dem letzteren unterzeichnet worden. Er versprach, am andern Morgen mit zehn Mann Begleitung in Dscherraijah zu sein, und stellte die Bedingung, daß Ali Bey auch nur von einer so geringen Anzahl begleitet werde. Er erwartete, daß der Ausgleich ein friedlicher sein werde, und bat, dem Kaimakam den inneliegenden schriftlichen Befehl zu übergeben. Dieser enthielt die allerdings sehr friedliche Weisung, bis auf weiteres jede Feindseligkeit einzustellen, den Ort Scheik Adi zu schonen und die Dschesidi als Freunde zu behandeln. Angeschlossen war dann die Bemerkung, diesen Befehl recht genau zu lesen.

Ali Bey nickte befriedigt mit dem Kopfe.

Nach einer kleinen Pause machte der Dschesidi-Häuptling seinem vollen Herzen mit den Worten Luft:

»Wir haben gewonnen und dem Mutessarif eine nachhaltige Lehre erteilt; merkst du dies, Emir? Der Kaimakam soll diesen Brief erhalten, und morgen werde ich in Dscherraijah sein.«

 

»Wozu dem Kaimakam diese Zuschrift geben?«

»Sie gehört ihm.«

»Ist aber überflüssig, da er sich ja bereits verbindlich gemacht hat, das zu tun, was ihm hier geboten wird.«

»Er wird es um so sicherer und treuer tun, wenn er sieht, daß es auch der Wille des Mutessarif ist.«

»Ich muß dir gestehen, daß dieser schriftliche Befehl meinen Verdacht erweckt.«

»Warum?«

»Weil er überflüssig ist. Und wie eigentümlich klingen die letzten Worte, daß der Kaimakam den Befehl ja ganz genau lesen möge!«

»Dies soll uns von dem guten Willen des Mutessarif überzeugen und den Kaimakam zum pünktlichsten Gehorsam ermuntern.«

»Diese Pünktlichkeit ist selbstverständlich, und darum scheint mir der Befehl mehr als überflüssig.«

»Dieser Brief gehört nicht mir; der Gouverneur hat ihn meiner Ehrlichkeit anvertraut, und der Kaimakam soll ihn erhalten.«

Es war, als wolle der Zufall diesem Vorsatze des Bey seine ganz besondere Genehmigung erteilen, denn gerade jetzt meldete ein eintretender Dschesidi:

»Herr, es kommt ein Reiter aus dem Tal herauf.«

Wir gingen hinaus und erkannten nach einiger Zeit in dem Nahenden den Kaimakam, der allerdings ohne alle Begleitung herauf geritten kam. Wir erwarteten ihn im Freien.

»Seni selamlar-im – ich begrüße dich!« sagte er beim Absteigen erst zum Bey und dann auch zu mir.

»Chosch geldin-sen, effendi – sei willkommen, Herr!« antwortete Ali. »Welcher Wunsch führt dich zu mir?«

»Der Wunsch meiner Krieger, welche kein Brot zu essen haben.«

Das war ohne alle Einleitung gesprochen. Ali lächelte leise.

»Ich mußte das erwarten. Aber hast du dir gemerkt, daß ich Brot nur gegen Waffen verkaufe?«

»So sagtest du; aber du wirst dennoch Geld nehmen!«

»Was der Bey der Dschesidi sagt, das weiß er auch zu halten. Du brauchst Speise, und ich brauche Waffen und Munition. Wir tauschen, und so ist uns beiden dann geholfen.«

»Du vergissest, daß ich die Waffen und die Munition selbst brauche!«

»Und du vergissest, daß ich des Brotes selbst bedarf! Es sind viele tausend Dschesidi bei mir versammelt; sie alle wollen essen und trinken. Und wozu brauchst du die Waffen? Sind wir nicht Freunde?«

»Doch nur bis zum Schlusse des Waffenstillstandes!«

»Wohl auch noch länger. Emir, ich bitte dich, ihm den Brief des Gouverneur einmal vorzulesen!«

»Ist ein Brief von ihm angekommen?« fragte der Oberstleutnant schnell.

»Ja. Ich sandte einen Boten, welcher jetzt zurückgekommen ist. Lies, Emir!«

Ich las das Schreiben, das ich noch bei mir hatte, vor. Ich glaubte, in der Miene des Kaimakam eine Enttäuschung zu bemerken.

»So wird also Friede zwischen uns werden!« meinte er.

»Ja,« antwortete der Bey. »Und bis dahin wirst du dich freundlich zu uns verhalten, wie dir der Mutessarif noch besonders gebietet.«

»Besonders?«

»Er hat einen Brief beigelegt, den ich dir geben soll.«

»Einen Brief? Mir?« rief der Offizier. »Wo ist er?«

»Der Emir hat ihn. Laß ihn dir geben!«

Schon stand ich im Begriff, ihm das Schreiben hinzureichen; aber die Hast, womit er danach langte, machte mich denn doch stutzig.

»Erlaube, daß ich ihn dir vorlese!«

Ich las, aber nur bis zu der letzten Bemerkung, welche meinen Verdacht so sehr erregt hatte. Doch da fragte er: »Ist dies alles? Steht weiter nichts da?«

»Noch zwei Zeilen. Höre sie!«

Ich las nun bis zu Ende und hielt dabei den Blick halb auf ihn gerichtet. Nur einen kurzen Moment lang öffneten sich seine Augen weiter als gewöhnlich, aber ich wußte nun sicher, daß dieser Satz irgend eine uns unbekannte Bedeutung habe.

»Dieser Brief gehört mir. Zeige ihn her!«

Bei diesen Worten griff er so schnell zu, daß ich kaum Zeit behielt, meine Hand mit dem Papiere zurückzuziehen.

»Warum so eilig, Kaimakam?« fragte ich, ihn voll ansehend. »Haben diese Zeilen etwas so sehr Wichtiges zu bedeuten, daß du deine ganze Selbstbeherrschung verlierst?«

»Nichts, gar nichts haben sie zu bedeuten; aber dieses Schreiben ist doch mein!«

»Der Mutessarif hat es dem Bey gesandt, und auf diesen allein kommt es an, ob er es dir geben oder dich nur mit dem Inhalte bekannt machen will.«

»Er hat es dir ja bereits gesagt, daß ich den Brief erhalten soll!«

»Da dieses Papier dir so wichtig zu sein scheint, trotzdem du seinen Inhalt bereits kennst, so wird er mir erlauben, es zuvor einmal genau zu betrachten.«

Mein Verdacht hatte sich noch mehr befestigt. Anstatt gehoben zu werden, war er bereits zu einer bestimmten Vermutung geworden. Ich hielt das Papier mit seiner Fläche senkrecht zwischen das Auge und die Sonne; ich konnte nichts Auffälliges bemerken. Ich befühlte und beroch es, aber ohne Erfolg. Nun hielt ich es wagrecht so, daß ich die darauf fallenden Sonnenstrahlen mit dem Auge auffing, und da endlich zeigten sich mir mehrere, allerdings nur einem sehr scharfen Blicke bemerkbare Stellen, welche zwar mit der Farbe des Papiers beinahe verschwammen, aber dennoch die Gestalt von Schriftzeichen zu haben schienen.

»Du wirst das Papier nicht bekommen!« sagte ich zum Kaimakam.

»Warum nicht?«

»Weil es eine geheime Schrift enthält, welche ich untersuchen werde.«

Er verfärbte sich.

»Du irrst, Effendi!«

»Ich sehe es genau!« Und um ihn zu versuchen, fügte ich hinzu: »Diese geheime Schrift wird zu lesen sein, wenn ich das Papier in das Wasser halte.«

»Tue es!« antwortete er mit einer sichtbaren Genugtuung.

»Du hast dich durch die Ruhe deiner Worte verraten, Kaimakam. Ich werde das Papier nun nicht in das Wasser, sondern über das Feuer halten.«

Ich hatte es getroffen; das erkannte ich an dem nicht ganz unterdrückten Erschrecken, welches sein zu offenes Gesicht überflog.

»Du wirst den Brief ja dabei verbrennen und zerstören!« mahnte er.

»Trage keine Sorge! Ein Effendi aus dem Abendlande weiß mit solchen Dingen recht wohl umzugehen.«

Der Bey war ganz erstaunt.

»Glaubst du wirklich, daß dieser Brief eine verborgene Schrift enthält?«

»Laß ein Feuer anmachen, so werde ich es dir beweisen!«

Noch war Pali zugegen. Auf einen Wink Alis suchte er dürre Aeste zusammen und steckte sie in Brand. Ich kauerte mich nieder und hielt das Papier vorsichtig über die Flammen. Da tat der Kaimakam einen schnellen Sprung auf mich zu und suchte es mir zu entreißen. Ich hatte das erwartet, wich ebenso schnell zur Seite, und er fiel strauchelnd zu Boden. Sofort kniete Ali Bey auf ihm.

»Halt, Kaimakam!« rief er; »du bist falsch und treulos; du bist jetzt zu mir gekommen, ohne dich vorher meines Schutzes zu versichern, und ich mache dich zu meinem Gefangenen!«

Der Offizier wehrte sich, so gut er es vermochte, aber wir waren ja drei gegen einen, und zudem kamen auch andere Dschesidi, welche in der Nähe gehalten hatten, herbei. Er wurde entwaffnet, gebunden und in das Zelt geschafft.

Nun konnte ich mein Experiment vollenden. Die Flamme erhitzte das Papier beinahe bis zum Versengen, und nun kamen sehr deutliche Worte zum Vorscheine, welche an dem Rande der Zeilen standen.

»Ali Bey, siehst du, daß ich recht hatte?«

»Emir, du bist ein Zauberer!«

»Nein; aber ich weiß, wie man solche Schriften sichtbar machen kann.«

»O, Effendi, die Weisheit der Nemtsche ist sehr groß!«

»Hat der Mutessarif dieses Zauberstück nicht ebenso verstanden? Es gibt Stoffe, aus denen man eine Tinte machen kann, welche nach dem Schreiben verschwindet und mit einem andern Mittel gezwungen wird, wieder sichtbar zu werden. Die Wissenschaft, welche diese Mittel kennt, heißt Chemie oder Scheidekunst. Sie wird bei uns mehr gepflegt als bei euch, und darum haben wir auch bessere Mittel als ihr. Wir kennen viele Arten von geheimen Schriften, welche sehr schwer zu entdecken sind; die euren aber sind so einfach, daß keine große Klugheit dazu gehört, eure unsichtbaren Worte sichtbar zu machen. Rate einmal, womit diese Worte geschrieben worden sind.«

»Sage es!«

»Mit Harn.«

»Unmöglich!«

»Wenn du mit dem Harne eines Tieres oder eines Menschen schreibst, so verschwindet die Schrift, sobald sie eingetrocknet ist. Hältst du das Papier dann über das Feuer, so werden die Züge schwarz, und du kannst sie lesen.«

»Wie lauten diese Worte?«

»Ich komme übermorgen, um zu siegen.«

»Ist dies wahr? Irrest du dich nicht?«

»Hier steht es deutlich!«

»Wohlan, so gib mir diesen Brief!«

Er ging in großer Erregung einigemal auf und ab; dann blieb er wieder vor mir stehen.

»Ist dies Verrat oder nicht, Emir?«

»Es ist Heimtücke.«

»Soll ich diesen Mutessarif vernichten? Es liegt in meiner Hand!«

»Du wirst es dann mit dem Padischah zu tun bekommen!«

»Effendi, die Russen haben ein Wort, welches lautet: »der Himmel ist hoch, und der Zar ist weit«. So ist es auch mit dem Padischah. Ich werde siegen!«

»Aber du wirst viel Blut vergießen. Sagtest du mir nicht kürzlich, daß du den Frieden liebst?«

»Ich liebe ihn, aber man soll ihn mir auch lassen! Diese Türken kamen, um uns die Freiheit, das Eigentum und das Leben zu rauben; ich habe sie dennoch geschont. Jetzt spinnt man neuen Verrat. Soll ich mich nicht wehren?«

»Du sollst dich wehren, aber nicht mit dem Säbel!«

»Womit sonst?«

»Mit diesem Briefe. Tritt mit demselben vor den Mutessarif, und er wird besiegt und geschlagen sein.«

»Er wird mir einen Hinterhalt legen und mich gefangen nehmen, wenn ich morgen nach Dscherraijah gehe!«

»Wer hindert dich, dasselbe auch mit ihm zu tun? Er ist dir sicherer als du ihm, denn er hat keine Ahnung, daß du seine Absichten kennst.«

Ali Bey sah eine ganze Weile nachdenklich vor sich nieder; dann antwortete er:

»Ich werde mich mit Mir Scheik Khan besprechen. Willst du mit mir nach dem Tale Idiz reiten?«

»Ich reite mit.«

»Vorher aber will ich diese Menschen da unten unschädlich machen. Tritt nicht mit ein, sondern erwarte mich hier!«

Warum sollte ich ihn nicht in das Zelt begleiten? Seine Hand lag am Dolche und sein Auge blickte entschlossen. Wollte er mich verhindern, eine rasche Tat zu verhüten? Ich stand wohl eine halbe Stunde allein, und während dieser Zeit hörte ich die zornigen Töne einer sehr erregten Unterhaltung. Endlich kam er wieder. Er hatte ein Papier in der Hand und gab es mir.

»Lies! Ich will hören, ob es ohne Falschheit ist. «

Es enthielt die kurze, gemessene Weisung an die befehligenden Offiziere, alle Waffen und auch die Munition sofort an diejenigen Dschesidi zu übergeben, deren Anführer diesen Befehl vorzeige.

»Es ist richtig. Aber wie hast du das erlangt?«

»Ich hätte ihn und den Makredsch sofort erschießen lassen und die Kanonade begonnen. In einer Stunde wären wir mit ihnen fertig gewesen.«

»Nun bleibt er gefangen?«

»Ja. Er wird mit dem Makredsch bewacht.«

»Und wenn sich die Seinen nicht fügen?«

»So werde ich meine Drohung wahr machen. Bleibe hier, bis ich zurückkehre, und du wirst sehen, ob mich die Türken respektieren.«

Er erteilte noch einige Befehle und stieg dann nach der Batterie hinab. In der Zeit von zehn Minuten waren alle Dschesidi kampfbereit. Die Schützen lagen mit aufgenommenen Schießgewehren in ihren Verstecken, und die Artilleristen standen zum Schusse fertig bei den Geschützen. Ihre Verschanzung öffnete sich, um gegen zweihundert Dschesidi und wohl an die dreißig Maulesel durchzulassen. Diese Tiere bestanden meist aus denen, die wir mit den Kanonieren gefangen genommen hatten. Der Zug blieb in einiger Entfernung halten, während der Anführer desselben vorschritt und den Platz aufsuchte, wo sich die Offiziere der Osmanen befanden.

Ich konnte von meinem Standpunkte aus dies alles sehr genau beobachten. Es gab eine ziemlich lange Zeit der Verhandlung. Dann jedoch traten die Soldaten in Trupps zusammen, welche einer nach dem andern bis in die Nähe der Maultiere vormarschierten, um dort die Waffen abzulegen. Dies lief nun allerdings nicht ganz glatt und ruhig ab, besonders da auch sämtliche Chargen gezwungen waren, sich von Säbel und Pistole zu trennen; aber es blieb nur bei leeren Kraftworten, da die Türken wußten, daß jeder tatsächliche Widerstand mit Kartätschen gebrochen werden solle.

Ali Bey war kaum eine Stunde lang entfernt gewesen, so kehrte er zurück. Ihm folgten die mit den Waffen beladenen Maultiere, deren Treiber beordert waren, die kostbare Beute nach dem Tale Idiz zu bringen. Auch der Kaimakam wurde von einigen Kriegern in Sicherheit gebracht. Man führte ihn dorthin, wo der Makredsch das Glück hatte, die Gesellschaft des dicken Artilleriehauptmannes und seines tapfern Leutnants zu genießen. Er konnte mit diesen beiden auf Beförderung warten und unterdessen »Tabak aus Schiras« rauchen.

 

Nun machten auch wir uns auf den Weg. Halef ritt mit. Mein Baschi-Bozuk war nicht zu sehen; jedenfalls hatte er aus Langeweile seinen Esel spazieren geritten. Auf dem Wege nach dem Tale Idiz begegneten wir einer langen Reihe zurückkehrender Dschesidi. Sie hatten ihren Beitrag zum Baue des Grabmales geleistet und sollten nun zu demselben Zwecke eine gleiche Anzahl ihrer Gefährten ablösen. Sie teilten uns mit, daß der Bau rasch vor sich schreite.

Als wir den Eingang erreichten, bot sich uns das Bild eines sehr bewegten Lebens dar. In der Mitte desselben war eine große Anzahl von Frauen versammelt, die auf großen, flachen Steinen Mehl aus Körnern bereiteten; andere saßen an Gruben, die sie durch Feuer erhitzten, um Brot zu backen; noch andere machten Fackeln oder richteten die Lampen und Laternen, die man vorgestern aus Scheik Adi mitgenommen hatte, zu der bevorstehenden Feier her. Am regsamsten aber ging es im oberen Teile des Tales zu, wo das Grabmal errichtet wurde. Es stellte eine ungeheure Felspyramide dar, deren hintere Seite sich an die steile Wand des Felsens lehnte. Das Fundament bestand aus großen Blöcken, deren Transport und Aufbau jedenfalls bedeutenden Kraftaufwand gekostet hatte. In der Mitte der voraussichtlichen Höhe war ein hohler Raum gelassen, der die Gestalt einer zwölfstrahligen Sonne hatte und von deren Mittelpunkt die Urne aufgenommen werden sollte. Mehrere hundert Männer arbeiteten daran, und noch mehr Frauen und Kinder waren beschäftigt, Steine herbeizuwälzen, oder hingen wie Eichhörnchen an den Vorsprüngen der Felsenwand, um von oben herab dem Baue förderlich zu sein.

Die Priester waren teils mit der Beaufsichtigung des Werkes beschäftigt, teils legten sie selbst mit Hand an. Mir Scheik Khan saß in der Nähe der Pyramide. Wir gingen zu ihm. Ali Bey erzählte ihm die heutigen Vorkommnisse und zeigte ihm auch die beiden Schreiben des Mutessarif. Der Khan versank in tiefes Nachdenken; dann aber fragte er:

»Was wirst du tun, Ali Bey?«

»Du bist der ältere und der weisere; ich komme, mir deinen Rat zu erbitten.«

»Du sagst, ich sei der ältere. Das Alter liebt die Ruhe und den Frieden. Du sagst, ich sei der weisere. Die größte Weisheit ist der Gedanke an den Allmächtigen und Allgütigen. Er macht den Schwachen stark; er beschützt den Unterdrückten; er will nicht, daß der Mensch das Blut seines Bruders vergieße.«

»Sind diese Türken unsere Brüder? Sie, die wie wilde Tiere über uns und die Unserigen herfallen?«

»Sie sind unsere Brüder, obgleich sie nicht als Brüder an uns handeln. Tötest du einen Bruder, der dir übel will?«

»Nein.«

»Du sprichst mit ihm freundlich oder streng, aber du forderst nicht sein Leben. So sollst du auch mit dem Mutessarif reden.«

»Und wenn er nicht auf mich hört?«

»Der Allerbarmer gab dem Menschen den Verstand, um zu denken, und ein Herz, um zu fühlen. Wer nicht die Rede eines anderen überdenkt, und wer nicht die Gefühle seines Bruders empfindet, der hat den Erbarmenden verlassen und verleugnet, und dann, erst dann darf der Zorn und die Strafe über ihn kommen.«

»Mir Scheik Khan, ich werde nach deinen Worten handeln!«

»So wiederhole ich meine Frage: Was wirst du tun?«

»Ich werde mit zehn Männern nach Dscherraijah gehen, mir aber genug Krieger folgen lassen, um den Mutessarif gefangen zu nehmen. Vorher aber, bereits noch heute, werde ich Kundschafter nach Mossul, Kufjundschik, Telkeif, Baaweiza, Ras ul Aïn und Khorsabad senden, die mich rechtzeitig von seinen Plänen benachrichtigen werden. Ich werde in Liebe mit ihm reden, dann mit Strenge, wenn er nicht hört. Achtet er auch dann nicht auf mich, so lasse ich ihn seinen geheimen Brief sehen und gebe das Zeichen, ihn zu ergreifen. Während ich bei ihm bin, werden meine Männer Dscherraijah umringen. Er kann mir nicht entgehen.«

»Vielleicht wird er auch Kundschafter senden, um zu erfahren, wie du dich auf die Zusammenkunft mit ihm vorbereitest.«

»Er wird nichts erfahren, denn meine Leute werden bereits während der Nacht von hier abgehen, und zwar nicht auf der Straße über Baadri, sondern rechts bis fast nach Bozan hinüber. Sie werden am Morgen am Bache im Westen von Dscherraijah sein.«

»Und wer wird während deiner Abwesenheit in Scheik Adi befehligen?«

»Willst du es tun?«

»Ich will.«

Das klang so einfach. Hier übergab der weltliche Beherrscher der Dschesidi ihrem geistlichen Regenten seine Gewalt ohne die leiseste Regung einer kleinlichen Eifersucht, ohne alles Mißtrauen und Bedenken. »Willst du?« fragte der eine. »Ich will,« antwortete der andere. Welchen Klang mag wohl das Wort »Kulturkampf« in einem der Dialekte dieser Teufelsanbeter haben!

Es wurde nun die Verproviantierung der in Scheik Adi eingeschlossenen Türken besprochen und dann das heutige Fest. Unterdessen wanderte ich von Gruppe zu Gruppe, um einen oder den andern sprachlichen Fund zu tun. Da kam es hinter mir heran gekeucht, und eine nach Atem schnappende Stimme rief:

»Weiche aus, Sihdi!«

Ich wandte mich um. Es war mein Halef, der seine ganze Körperkraft anstrengte, ein mächtiges Felsstück vor sich herzurollen.

»Was tust du hier?« fragte ich erstaunt.

»Mein Beitrag zum Monument.«

»Wird er angenommen? Du bist ja kein Dschesidi!«

»Sehr gern! Ich habe gefragt.«

»So hole ich auch einen Stein!«

Nicht weit von unserm Standorte lag ein ziemlicher Felsbrocken. Ich legte die Waffen und das Oberkleid ab und machte mich daran, ihn fortzuschaffen. Er wurde von den Scheiks mit Dank angenommen und, nachdem ich mit dem Dolche meinen Namen eingegraben hatte, mit Anwendung von Seilen empor gezogen, wo er seine Stellung grad über der Sonne bekam.

Mittlerweile hatte Ali Bey den Zweck seines Besuches erreicht. Er wollte wieder aufbrechen und fragte mich, ob ich ihn begleiten oder lieber hier bleiben wolle.

»Wie werde ich die Feierlichkeit am besten beobachten können?« fragte ich ihn.

»Wenn du mit mir gehest,« antwortete er. »Die Urne wird heute abend beim Glanze der Fackeln und Laternen von Scheik Adi nach dem Tale Idiz übergeführt.«

»Ich denke, sie ist bereits hier!«

»Nein. Sie steht am kühlen Wasser im Walde und wird erst in das Heiligtum gebracht.«

»Trotz der Türken?«

»Sie können uns nicht hindern.«

»So reite ich mit.«

»Du hast bis zum Abend Zeit. Willst du mir eine Liebe erweisen?«

»Gern, im Falle es mir möglich ist!«

»Du weißt, daß ich dem Häuptling der Badinan-Kurden Gewehre versprochen habe. Wirst du den Ort finden, wo er seine Hütten hat?«

»Sehr leicht. Jedenfalls braucht man gar nicht bis dorthin zu reiten, da er den Paß und die Seitentäler besetzen wollte. Es wird übrigens an der Zeit sein, ihm einmal Nachricht zu geben.«

»Willst du dies übernehmen?«

»Ja.«

»Und ihm seine Gewehre bringen?«

»Wenn du sie mir anvertraust!«

»Er soll hundert haben und auch Munition dazu. Drei Maultiere können dies tragen. Wie viele Männer wünschest du als Begleitung?«

»Ist ein Angriff oder sonst eine Feindseligkeit zu erwarten?«

»Nein.«

»Gib mir zehn Krieger mit. Ich werde auch Mohammed Emin mitnehmen, der dort von der Höhe kommt.«

Ich hatte vorhin erfahren, daß der Scheik der Haddedihn auf die Jagd gegangen sei. Ich war überhaupt in den letzten Tagen gar nicht mit ihm zusammengetroffen. Er wollte sich so wenig wie möglich zeigen, damit seine Anwesenheit nicht öffentlich zu Sprache komme, und er hatte wohl auch sein Vorurteil gegen die Teufelsanbeter nicht ganz überwunden. Darum war es ihm lieb, daß er mit mir gleich wieder aufbrechen konnte.

Es währte nur kurze Zeit, so waren die Maultiere beladen, und unser kleiner Zug setzte sich in Bewegung. Zunächst hielten wir auf Scheik Adi zu, und dann wichen wir links ab, um den Weg nach Kaloni zu gewinnen. Meine Vermutung bestätigte sich; ich traf eine Anzahl der Badinankurden bereits auf der ersten Höhe hinter Scheik Adi und wurde von ihnen zu ihrem Häuptlinge geführt, der mich dieses Mal mit sehr großer Ehrerbietung empfing. Ich mußte bei ihm bleiben, um ein Mahl einzunehmen, das uns sein Weib bereitete. Er war mit den Gewehren sehr zufrieden und zeigte sich ganz besonders erfreut über den Säbel des Kaimakam, den Ali Bey mir als Extrageschenk für ihn mit gegeben hatte. Mohammed Emin fand an den Badinankurden ein solches Wohlgefallen, daß er sich entschloß, hier zurückzubleiben und mich zu erwarten, obgleich er nicht Kurdisch verstand. Ich versuchte nicht, ihm abzuraten, da seine Anwesenheit in Scheik Adi doch noch von den Türken bemerkt und dann der eigentliche Zweck unsers Rittes in die Berge gefährdet werden konnte. Ich kehrte also ohne ihn zurück.

Der Tag war doch so ziemlich vergangen, als ich wieder bei Ali Bey anlangte und ihm von den Badinan berichtete. Ich bemerkte, daß die Türken sich mehr nach der Mitte des Tales zurückgezogen und das Heiligtum also frei gegeben hatten.

17Versammlung der Räte.
18Siegel der Statthalterschaft.