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Im Reiche des silbernen Löwen I

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Der Hauptstrom hatte der Mündung seines Nebenflusses gegenüber eine lange, immer schmaler werdende Bucht in das Ufer gegraben, deren Ränder dicht mit Gebüsch eingesäumt waren, ein Umstand, welcher uns, obgleich es noch nicht dunkel war, veranlaßte, das Floß in diesen Einschnitt zu treiben, um dort zu übernachten. Wir ruderten und stakten das Kellek bis ganz hinter, befestigten es an dem Ufer und schafften zunächst die Pferde an das Land, dann auch alles andere, was sich auf dem Floße befunden hatte. Da wir sahen, daß sich kein menschliches Wesen in der Nähe befand, setzten wir uns auf und galoppierten eine tüchtige Strecke in das Land hinein, denn eine solche Bewegung that den Tieren not. Wieder zum Flusse zurückgekehrt, ließen wir sie grasen und sammelten dürres Holz zu einem Feuer für die Nacht; es war davon mehr als genug vorhanden. Dann hielten wir unsere Abendmahlzeit.

Wir hatten vielleicht nur noch eine Viertelstunde bis zum Abend, denn die Sonne war schon untergegangen, und die Dämmerung ist in jenen Gegenden von sehr kurzer Dauer, da sahen wir jenseits des Tigris ein Floß erscheinen, welches von den Fluten des Adhem in den Hauptstrom getragen wurde. Es befanden sich drei Männer auf diesem Kellek, welches kleiner als das unsrige, doch aus denselben Bestandteilen zusammengesetzt war. Zwei dieser Männer bewegten die Ruder. Der dritte saß ohne Beschäftigung in der Mitte des Flosses. Die Lammfellmützen, welche ihre Köpfe bedeckten, ließen vermuten, daß diese Leute Perser seien.

»Schau, Sihdi,« sagte Halef, »das sind iranische Schiiten, welche über das Gebirge gekommen sind und sich in Ta‘uk oder Tuß Khurmaly ein Floß gebaut haben. Wohin mögen sie wollen?«

»Jedenfalls flußabwärts, sonst würden sie anstatt des Kellek Pferde haben.«

»Ja, sie wollen flußab, aber heute nicht mehr. Allah! Siehst du, daß sie zu uns herüberlenken?«

»Leider! Sie sind derselben Ansicht wie wir, nämlich daß sich diese Bucht vortrefflich zum Nachtlager eignet.«

»Wollen wir dulden, daß diese Vögel sich hier bei uns einnisten?«

»Wir können nichts dagegen haben.«

»Ich denke, doch!«

»Nein. Ist dieser Ort unser Eigentum?«

»Nein; aber wir sind vor ihnen hier angekommen, und wer zuerst das Zelt betritt, der bekommt zuerst zu essen, sagt das Sprichwort.«

»Dieses Sprichwort gilt hier nichts. Wir befinden uns unter freiem Himmel und haben, wenn sie zu uns kommen, sogar die Verpflichtung, gastlich gegen sie zu sein.«

»Das ist mir gar nicht lieb, denn ich traue ihnen nicht!«

»Warum?«

»Weil sie einen so ungewöhnlichen Weg vom Bilad el Adscham[70] herüber eingeschlagen haben. Warum haben sie nicht den offenen Karawanenweg verfolgt? Warum haben sie eine Tour gewählt, auf welcher sie erst Pferde, hierauf ein Floß und dann wieder Pferde brauchen? Wo sind die Pferde, auf denen sie über die Berge kamen? Sie haben sie oben am Flusse lassen müssen und müssen sich später andere dafür kaufen. Das kostet Geld; das sind Verluste, zu denen man sich nur dann entschließt, wenn man durch Gründe, welche meinen Verdacht erregen, dazu veranlaßt wird. Wenn ein Perser den Adhem wählt, um nach der Dschesireh zu kommen, so führt er sicher etwas im Schilde, was nicht alle Leute wissen dürfen, oder er hat drüben in seinem Lande etwas begangen, was ihn zwingt, den Weg der Flucht und der Verborgenheit zu wählen. Habe ich nicht recht?«

»Ich stimme dir bei; aber das ist für uns noch keine Veranlassung, sie feindlich fortzuweisen, wenn sie sich zu uns gesellen wollen. Uebrigens wird es sehr schnell dunkel, und selbst wenn sie hier in der Bucht anlegen, fragt es sich, ob sie uns bemerken werden.«

Die Perser befanden sich jetzt auf der Mitte des Stromes, und die Anstrengung, mit welcher sie gegen das Gefälle desselben arbeiteten, machte es für uns gewiß, daß sie hier hüben landen wollten. Unser Lagerplatz war ihnen durch das Buschwerk verdeckt; sie konnten uns nicht sehen. Die Bucht war wohl zweihundert Schritte lang, und da sich die Schatten des Abends schon auf uns niederlegten, so hielt ich es für wahrscheinlich, daß die neuen Ankömmlinge am vordern Teile unseres Schlupfhafens anlegen würden und nicht am hintern, wo wir uns befanden. Das Hereinkommen wurde ihnen schwerer, als es uns geworden war, weil sie quer über den Strom mußten, und als sie endlich das stille Wasser erreichten, war es schon so dunkel geworden, daß wir sie nicht mehr erkennen konnten.

Wir horchten, hörten aber nichts. Als eine Viertelstunde vergangen war, konnten wir überzeugt sein, daß sich meine Vermutung bewahrheitet hatte: die Perser waren weiter draußen als wir an das Ufer gegangen; sie ahnten nicht, daß sich schon jemand hier befand.

Nun fragte es sich, wie weit sie von uns lagerten; das mußten wir wissen.

»Sihdi,« sagte Halef, »wer hätte gedacht, daß schon heute das Leben der Wildnis für uns beginnt. Ich werde dir zeigen, daß ich das, was ich von dir lernte, noch nicht vergessen habe.«

»Was?«

»Das Anschleichen. Ich werde mich ganz leise, leise zu ihnen begeben, um zu sehen, wo sie sich befinden und was sie machen.«

»Das wirst nicht du, sondern ich werde es thun; ich bin darin geübter als du.«

»Effendi, willst du mich beschämen?«

»Still! Denke an das, was Hanneh dir geraten hat: du sollst nicht vorschnell sein! Ehe du so etwas unternehmen kannst, mußt du dich erst wieder üben. Du kommst nicht ohne Geräusch durch diese Büsche. Ich glaube, du würdest so unklug sein, schon jetzt nach ihnen zu suchen!«

»Natürlich gleich jetzt! Aus welchem Grunde könnte man dies unklug nennen?«

»Du kennst die Länge dieser Bucht. Wie lange brächte man zu, sie bei der Dichtheit des Gebüsches vorsichtig abzusuchen? Bis morgen früh! Ehe man damit beginnt, muß man wenigstens ungefähr wissen, wo sich die Perser befinden.«

»Wie kann man das schon vorher wissen?«

»Sie werden es uns sagen.«

»Uns sagen? Sie selbst? Effendi, das werden sie auf keinen Fall!«

»Lieber Halef, da siehst du, wie sehr du dich im Leben der Wildnis« auf deinen Scharfsinn verlassen kannst! Diese Perser sind doch Mohammedaner?«

»Ja, obgleich nur Schiiten, denen Alis Söhne beinahe höher stehen als Mohammed, der Prophet.«

»Sie haben also jetzt zwei Gebete zu sprechen, nämlich das Moghreb, das Gebet der Dämmerung, und dann das Aschija, wenn es vollständig dunkel geworden ist. Sie nehmen an, hier allein zu sein, und werden also nicht leise, sondern laut beten, wie es vorgeschrieben ist, und das werden wir hören.«

»Sihdi, das ist richtig; daran habe ich nicht gedacht!«

»So merke dir, daß man grad im Leben der Wildnis«, wie du es nennst, an alles denken muß und nichts, gar nichts vergessen darf! Das Nichtbeachten des geringfügigsten Umstandes kann großen Schaden bringen; das muß dir doch noch von früheren Reisen in Erinnerung sein. Du bist damals mein Schüler gewesen, aber nicht bis heut in Uebung geblieben, wirst also wohl von vorn anfangen müssen.«

»Oh, Sihdi, du verleumdest mich!«

»Nein; ich meine es gut mit dir. Horch!«

»Sie beten; sie haben das Moghreb begonnen.«

»Und ehe sie es beenden, werde ich hinter ihnen sein. Du bleibst hier und hast auf die Pferde acht. Entferne dich auf keinen Fall!«

Ich ging. Die Büsche bildeten einen nicht sehr breiten Saum, welcher sich am Ufer hinzog. Indem ich mich an der Außenseite desselben hinbewegte, kam ich natürlich viel schneller von der Stelle, als wenn ich durch das Gesträuch gekrochen wäre. Ich näherte mich den Stimmen sehr rasch und befand mich grad im Rücken der Betenden, als die letzten Ausrufe ertönten:

»Preis sei Allah! Gepriesen sei seine Würde! Es ist kein Gott außer ihm! Gott ist sehr groß! Gott ist sehr groß in Größe, und Preis sei Gott in Fülle!«

Hierauf hörte ich eine einzelne Stimme sagen:

»Nun wir gebetet haben, macht das Feuer an; Holz haben wir genug. Dann werden wir gleich das Aschija beten, um hierauf zu essen!«

Das Moghreb ist eigentlich zu sprechen gleich wenn die Sonne verschwunden ist; die Perser hatten sich damit verspätet, weil der letzte Tagesschein von ihnen zum Holzsammeln benutzt worden war. Das ist erlaubt. Während man kein Gebet eher als zur vorgeschriebenen Zeit beginnen darf, ist es nicht verboten, die Andacht auf kurze Zeit aufzuverschieben, falls triftige Gründe dazu vorhanden sind.

Ich sah vor den Büschen, hinter denen ich stand, am Rande des Wassers ein Feuer aufflammen und hörte dann, als einige Minuten vergangen waren, das Nachtgebet. Dies gab mir die Gelegenheit, mich niederzulegen und zwischen den Büschen vorzuschieben. Das Geräusch, welches ich ja dabei verursachte, wurde von den drei lauten Stimmen übertönt. Da, wo der letzte Schatten auf den Boden fiel, blieb ich halten; weiter vorwärts durfte ich nicht, weil man mich sonst gesehen hätte.

Ich sah das Floß am Ufer liegen; es befand sich nichts, gar nichts darauf; die Perser waren ohne jedes Gepäck; sie hatten sich an das Feuer gesetzt. Zwei von ihnen waren jedenfalls gewöhnliche Leute, über die mein Auge schnell hinweggehen konnte; der dritte aber fesselte meine Aufmerksamkeit. Nicht daß er sich von den andern durch bessere Kleidung unterschieden hätte, nein, denn der einzige Vorzug, den er in dieser Beziehung vor ihnen hatte, bestand darin, daß sie gewöhnliche Kerman-Gürtel trugen, während er einen Kaschmirshawl um die Hüften gewunden hatte; aber seine Person unterschied sich von den ihrigen sofort beim ersten Blicke.

Dieses viel durchfurchte, tief gebräunte Gesicht mit der niedrigen Stirn, der langen, scharfen, dünnen Nase, deren Flügel sich in fortwährendem Zittern befanden, den aufgeworfenen, breitgezogenen Lippen, dem mächtig entwickelten Kinn, den kleinen, scharfen, rotgeäderten und unruhigen Augen machte auf mich den Eindruck einer alle Milde verachtenden und mit großer List gepaarten Rücksichtslosigkeit. Dieser Eindruck wurde durch den dichten, dunklen Schnurrbart nur erhöht, dessen Spitzen wie schwarz gefärbte Eiszapfen steif herunterstachen. Seine Züge sprachen nur von tierischen Instinkten, und wenn es wahr ist, daß nur der offene Blick des Mannes Mut verrät, so konnte dieser Perser, im Falle, daß es galt, nur das Gegenteil davon, ein Feigling sein. Ein gefährlicher Mensch, rücksichtslos und feig, so dachte ich, und als mir auch noch seine langen, knochigen, krallenhaften Hände in die Augen fielen, deren Zeigefinger fast über den Mittelfinger hinausragten, da war ich fest überzeugt, daß ich mit diesem Urteile das Richtige getroffen hatte. Das Gesicht, die Stimme, der Gang, die Haltung, das Benehmen eines Menschen kann und können täuschen, die Hand aber kann es nie. Ich habe mir da, gestützt auf lange Erfahrung und tausend sorgfältige Vergleiche, eine eigene Theorie gebildet, die mich niemals im Stiche läßt, auf die ich mich in jedem einzelnen Fall verlassen kann. Die Hand eines Menschen ist das genaueste Abbild seines Innern; es ist ihr unmöglich, auch nur das geringste von seinem Denken und Fühlen zu verheimlichen. Sie ist das Werkzeug des Geistes und der Seele, und jedes Werkzeug läßt ohne Irrtum auf den Meister schließen.

 

Die drei Männer waren mit langen, orientalischen Gewehren und mit Messern und Pistolen bewaffnet; nach den mehr als reichlich gefüllten Patronentaschen zu schließen, waren sie sehr entweder auf Angriff oder auf Verteidigung bedacht. Das letztere schien mir eher als das erstere der Fall zu sein.

Sie aßen jetzt. Ihr frugales Mahl bestand aus gepreßtem Dugh[71] mit dem bekannten Klebebrot, welches davon seinen Namen hat, daß der kuchenförmige Teig desselben an die Seitenwände des kleinen, sonderbar gestalteten Backofens festgeklebt und dann zugedeckt wird; sobald er von der Wand fällt, wird er für ausgebacken gehalten und herausgenommen.

Während des Essens wurde kein Wort gesprochen. Nach demselben zog der Zapfenbärtige ein Stück Pergament aus der Tasche, hielt es dem Feuer nahe, um es zu lesen, steckte es wieder ein und sagte dann:

»Wenn wir zur rechten Zeit ankommen, wird euer Anteil hundert Tuman[72] für jeden betragen; ich habe es vorhin während der Fahrt berechnet. Ist euch das genug?«

Seine kleinen Augen richteten sich mit einem eigentümlichen, stechend lauernden Blicke auf die beiden. Sie schwiegen eine Weile; dann antwortete der eine, indem er einen ähnlichen Blick zurückgab:

»Bei Hussein, welcher von den sunnitischen Hunden bei Kufa hingeschlachtet wurde, wir würden wohl zufrieden sein, wenn es nicht doch zu wenig wäre. Seit du Pädäri-Baharat[73] geworden bist, verdienen wir zehnmal mehr als früher; du hast uns aber gesagt, daß ein anderer tausendmal mehr verdient.«

»Gesagt? Habe ich es bloß gesagt?«

»Nein, sondern sogar vorgerechnet.«

»Ja, vorgerechnet. Und was ich einmal ausgerechnet habe, das pflegt stets auch zu stimmen. Du sagst, oh Aftab, ich sei Pädär-i-Baharat geworden; ja, den Titel habe ich bekommen, bin es aber nicht; ihr dürft mich jetzt eigentlich nur Sill-i-Safaran[74] nennen. Und obwohl ich in Wahrheit nur dieses bin, könnt ihr bei mir Reichtümer sammeln, während ihr früher kaum das verdientet, womit man den Hunger stillt. Ich bin es, welcher den Gedanken ersann, neben dem Safaran auch Oßfur[75] zu verwenden. Das hat uns schon bis heute viele Tausende von Tumans eingebracht und wird uns viele Tausende noch bringen. Warum bin ich für alle Baharat bestimmt und habe doch nur den Safaran bekommen? Muß ich das dulden? Und müßt ihr euch das gefallen lassen, die ihr meine Untergebenen seid und auch wenig oder mehr erhaltet, wenn ich weniger oder mehr verdiene? Wißt ihr, für wen wir arbeiten und unser Leben wagen? Wer nichts thut, gar nichts thut und doch so köstlich wohnt und lebt wie Giblä-i-Aläm[76]

»Wir wissen es,« antwortete der, den er Aftab genannt hatte.

»Hast du ihn je einmal gesehen?«

»Nein.«

»Warum setzt ihr da täglich euer Leben für ihn auf das Spiel? Stammt er aus dem Fäläk ul äflahk[77], daß er zu stolz ist, sich euch einmal zu zeigen? Bin ich nicht stets bei euch? Teile ich nicht alle Gefahren mit meinen Untergebenen? Wen müßt ihr da mehr lieben und achten, mich oder ihn? Wem müßt ihr mehr Vertrauen schenken? Ich sage euch, ihr würdet jedes Jahr mehr tausende Tumans einstecken als jetzt hunderte, wenn ich an seiner Stelle euer Aemir-i-Sillan[78] wäre!«

»Das hast du uns schon oft gesagt, und wir glauben es.«

»Ich habe es auch schon vielen andern gesagt, und sie alle glauben es. Ich will euch sagen, daß seine Zeit gekommen ist; es schwebt der Schämschihr[79] schon über seinem Haupte. Ich habe schon mit einigen andern Pädärahn[80] gesprochen und bin sicher, daß sie im geeigneten Augenblicke nicht zurücktreten werden. Wir wissen, daß er stets unter seinem Gewande einen Sirä[81] trägt, doch meine Guluhlä[82] geht ganz gewiß hindurch!«

Es trat eine Pause ein. Der Pädär-i-Baharat brütete finster vor sich hin, und auch die beiden andern hielten ihre Blicke ernst und nachdenklich zur Erde gerichtet. ich hatte schon oft, sehr oft Menschen beschlichen, aber wohl noch selten ein so geheimnisvolles und sonderbares Gespräch belauscht.

Pädär-i-Baharat, Vater der Gewürze – Sill-i-Safarans, Schatten des Safrans – Aemir-i-Sillan, Fürst der Schatten! Das waren jedenfalls Namen, welche eine ganz bestimmte Bedeutung hatten. Aber was für eine? Fürst der Schatten! Wer waren die Schatten? Jedenfalls Menschen; das schloß ich aus der Pluralendung »an«, welche fast nur bei Personen gebraucht wird, während sonst die Endung ha in Anwendung kommt. Aber was für Menschen waren das, und warum wurden sie Sillan, Schatten genannt? Bedeutete der Ausdruck »Fürst der Schatten« einen Rang? Wenn ja, dann mußten »Schatten des Safrans« und »Vater der Gewürze« auch wohl Chargen sein. Es schien sich um Vorgesetzte und Untergebene zu handeln, und wie mir dies alles ein Geheimnis war, so handelte es sich hier wahrscheinlich überhaupt um eine geheime Verbindung oder Körperschaft, welche das Licht des Tages und der Oeffentlichkeit zu scheuen hatte.

Derselbe Fluß, an welchem ich mich jetzt befand, wurde einst von den alten Babyloniern und Assyrern beherrscht, bis die Meder und Perser der Herrlichkeit ein Ende machten. Wenn der alte, thatkräftige Hammurabi, der tapfre Tukulti-Adar I., der medische Kyaxares und der Achämenide Cyrus aus ihren Gräbern gestiegen wären und, jetzt da vor mir sitzend, einander ihre diplomatischen und sonstigen Geheimnisse mitgeteilt hätten, wäre mir ihre Unterhaltung wahrscheinlich verständlicher gewesen als das, was ich von diesen drei Neupersern gehört hatte. Es sollte aber noch verwickelter kommen, denn der Anführer begann nach der erwähnten Pause wieder:

»Worüber denkt ihr nach? Wohl über das, was ich euch gesagt habe?«

»Ja,« antwortete Aftab. »Wir sind bereit, zu dir zu stehen. Der Särbahs[83] kann keine Schlacht gewinnen, wenn er den Sahibmänsäb[84] nicht sieht und nicht kennt, dem er gehorchen soll. So soll auch uns der Gebieter, welcher uns regiert, kein unsichtbares Wesen sein, welchem unser Leben gehört, obgleich es sich uns niemals zeigt. Wir haben auch schon mit andern Sillan darüber gesprochen, und sie sind ganz derselben Meinung gewesen. Sag uns nur, was wir thun sollen! Wir werden dir gehorchen.«

»So kann ich mich also auf euch verlassen?«

»Ja. Du sprachst davon, daß dem Aemir-i-Sillan der Säbel schon über dem Haupte schwebe. Kennst du die Zeit?«

»Ja.«

»Den Ort?«

»Ja.«

»Dürfen wir es wissen?«

»Ich sage es euch, denn ich kenne euch als verschwiegene Männer, denen ich mein Vertrauen schenken kann. Ihr wißt doch, daß an jedem Duschämbä-i-Mäwahjib[85] die Päderan sich alle in der Ruine der Mäjmä-i-Yähud[86] versammeln, um seine Befehle entgegenzunehmen und ihm Rechenschaft abzulegen. In dieser Nacht wird, wenn es mir gelingt, die andern – — —«

 

Er hielt inne, denn es fiel ein Schuß, und zwar in der Gegend, in welcher ich Halef wußte. Ich erschrak natürlich, denn er mußte sich in Gefahr befunden haben oder noch befinden, sonst hätte er nicht geschossen. Ich mußte ihm zu Hilfe eilen und dachte doch daran, daß ich mich nicht so schnell entfernen könne, ohne Geräusch zu verursachen. Da kam mir aber der Schreck der Perser zu Hilfe. Sie waren, als sie den Schuß hörten, aufgesprungen, ergriffen ihre Flinten und eilten in das Gebüsch, um von einem etwa auf sie schießenden Feinde nicht gesehen zu werden. Das dabei unvermeidliche Rauschen und Knacken der Sträucher gab mir Gelegenheit, mein Versteck unbemerkt zu verlassen. Ich rannte hinter den Büschen unserm Lagerplatze zu. Dort angekommen, sah ich Halef mit erhobenem Gewehre stehen, welches er auf mich richtete, als er mich bemerkte.

»Schieß nicht, Halef!« warnte ich halblaut. »Ich bin es, Warst du es, der geschossen hat?«

»Ja.«

»Warum? Auf wen?«

»Es war ein Löwe, Sihdi. Er schlich sich heran, um deinen Assil Ben Rih zu fressen.«

»Unsinn!«

»Es ist kein Unsinn. Ich habe ihn ganz deutlich gesehen.«

»Wirklich, Halef, wirklich?«

»Ja; es war ein Löwe, ein richtiger, wirklicher Löwe, ein Vater mit dem dicken Kopfe, vor dem ich aber nicht ausgerissen bin!«

Es war immerhin möglich, daß er sich nicht getäuscht hatte. Der Perserlöwe verirrt sich zuweilen auch in die Dschesireh, wie ich aus Erfahrung wußte, und so zog ich die Hölzer aus der Tasche, um schnell das Feuer anzubrennen, wozu wir einen Reiserhaufen mit trockenem Gras schon bereit gehalten hatten. Das Feuer sollte dem Löwen, falls es wirklich einer gewesen war, die Lust zur Wiederkehr verleiden; daß wir dadurch die Aufmerksamkeit der Perser auf uns lenkten, konnte und mußte mir sehr gleichgültig sein.

Als die hoch emporlodernde Flamme den Platz erleuchtete, ließ ich mir sagen, wo Halef den »Vater mit dem dicken Kopfe« gesehen hatte. Er deutete mir die Richtung mit der ausgestreckten Hand an und sagte:

»Dort kam er geschlichen; als er mich erblickte, blieb er stehen. Es war ein großer, gewaltiger Abu er Rad[87]. Ich gab ihm die Kugel, und dann war er nicht mehr zu sehen. Ich habe ihn getroffen; das weiß ich ganz genau. Er ist vor Schreck und Angst dahingefahren, denn wo Hadschi Halef Omar steht, der Scheik der Haddedihn, da kann es selbst der stärkste Löwe nicht aushalten!«

Ich nahm meinen schweren Bärentöter schußfertig in die Hand und entfernte mich langsam und vorsichtig in der angedeuteten Richtung. Nach ungefähr vierzig Schritten konnte ich mich überzeugen, daß Halef sich nicht geirrt hatte; er hatte wirklich getroffen – — aber was!

Ich rief ihn zu mir. Er kam herbei und fragte schon von weitem:

»Was soll ich, Effendi? Siehst du etwas?«

»Ja. Hier liegt das Vieh.«

»Also habe ich getroffen?«

»Ja.«

»Tot?«

»Mausetot!«

»Hamdulillah! Ich habe den Gedd el Isman,[88] den schrecklichen Würger der Herden, erlegt. In allen Zelten wird mein Ruhm erschallen, und an allen Lagerplätzen wird man meine Ehre singen!«

»Juble nicht zu früh! Es ist nämlich kein Er, sondern eine Sie.«

»Kein Löwe, sondern eine Löwin?«

»Nein; es ist kein Abu er Rad, sondern eine Omm es Ssanne[89], die du erschossen hast. Sie hat Hunger gehabt und ist betteln gekommen; du aber bist so unbarmherzig gewesen, ihr anstatt Fleisch eine Kugel zu geben.«

Er hatte mich erreicht und sah das Tier liegen.

»Eine Hyäne!« rief er beschämt aus. »Allah vergesse diesen Tag! Wie konnte dieses Tier sich für einen Löwen ausgeben? Wie konnte es sich den Schein geben, als ob es ein Vater des Donners sei? Mohammed, der Prophet der Propheten, mag die Seele dieser Hyäne ergreifen und die Lügnerin dahin verdammen, wo der Gestank der Hölle am widerwärtigsten ist!«

»Nicht sie, sondern dein Auge hat dich getäuscht. In der Nacht erscheint alles größer; daran hättest du denken sollen, bevor du schossest!«

»Hasreta – jammerschade! Nun werden die Stimmen, auf welche ich mich freute, in allen Zelten und auf allen Lagerplätzen schweigen!«

»Nein; sie werden nicht schweigen, sondern das Lob des großen Helden verkünden, welcher nicht davonlief, als er die Hyäne für einen Löwen hielt.«

»Du willst meiner noch spotten, Sihdi? Das vergrößert die Tiefe meiner Wehmut und verzehnfacht die Verdopplung meines Schmerzes! Ich wollte ein Held sein und bin dadurch zum Sattel geworden, auf welchem dein Hohn spazieren reitet. Meine Söhne werden mich bejammern und meine Töchter mich beklagen; meine Enkel schütteln die Köpfe, und die Nachkommen meiner Urenkel verhüllen vor mir ihre Angesichter! Ich möchte vor Gram sterben, wenn ich nicht am Leben bliebe, und mich vor Scham erschießen, wenn dies nicht ein Selbstmord wäre! Du aber laß deine Stichelreden schweigen, und denke daran, daß es auch für dich möglich ist, einen Löwen zu schießen, der sich, nur um dich zu ärgern, in eine Mutter des Gestankes verwandelt!«

»Nein, daran denke ich nicht, lieber Halef, denn ich weiß, was du nicht zu wissen scheinst, daß die Dunkelheit der Nacht alle Gegenstände vergrößert. Wenn du auch fernerhin vergissest, dies in Betracht zu ziehen, werden deine Augen sich schließlich daran gewöhnen, eine Fingereidechse für ein Krokodil zu halten!«

»Ist dein Zorn denn gar so groß, daß du dich nicht anders vor ihm zu retten vermagst als dadurch, daß du mir Krokodile an den Kopf wirfst? Hat dich der Irrtum meines Auges so schwer beleidigt, daß du mir nicht zu verzeihen vermagst?«

»Von Beleidigung kann keine Rede sein, aber von Verzeihung doch. Du hast einen Fehler begangen, der mich zu dir zurücktrieb, grad als das Gespräch der Perser den höchsten Grad von Interesse für mich gewonnen hatte.«

»W‘allah! Das bedaure ich! Es ist dir also gelungen, unbemerkt an sie zu kommen?«

»Ja.«

»Und sie zu belauschen?«

»Auch das.«

»Wer waren sie; was waren sie; woher kommen sie; was wollen sie; wovon haben sie gesprochen?«

»Um das von mir zu hören, hättest du ihr Gespräch nicht durch deinen unglücklichen Schuß unterbrechen sollen. Ich will den Umstand, daß sie nun auf uns aufmerksam gemacht worden sind, gar nicht in Betracht ziehen; aber du hast mich durch deine Unvorsichtigkeit und Schnellfertigkeit, welche dir von deiner Hanneh verboten worden ist, um die Erforschung eines Geheimnisses gebracht, dessen Kenntnis uns für unsere Reise durch Persien wahrscheinlich von Wichtigkeit geworden wäre. Ich kann das nicht bestimmt behaupten, aber ich habe das Gefühl, daß es so ist.«

»Sag, Sihdi, welches Geheimnis war es?«

»Eben das kann ich dir nun nicht sagen, weil ich es nicht erfahren habe. Aber komm zum Feuer zurück; wir müssen nachlegen, sonst geht es aus!«

»Wollen wir es nicht der Perser wegen lieber auslöschen, damit sie uns nicht finden?«

»Nein. Nun sie einmal wissen, daß jemand hier ist, mögen sie auch erfahren, daß es Leute sind, von denen sie nichts zu befürchten haben. Wir wollen uns ihnen zeigen.«

»Werden aber auch sie sich freundlich gegen uns verhalten?«

»Ich wollte ihnen das Gegenteil nicht raten!«

»Und denkst du, daß sie zu uns kommen?«

»Auf jeden Fall. Sie werden dabei zwar die größte Vorsicht anwenden und uns erst heimlich beobachten, dann aber, wenn sie bemerken, daß wir nur zwei Personen sind, sich unbesorgt uns zeigen. Nach ihrem Verhalten werden wir dann das unsrige richten. Jetzt wollen wir nicht mehr von ihnen, sondern von etwas Gleichgültigem sprechen, denn es ist möglich, daß sie schon in unserer Nähe sind. Wenn ich sie bemerke, werde ich dir ein Zeichen dadurch geben, daß ich meine Hände zusammenlege.«

»Wenn wir sprechen, kannst du doch nichts hören!«

»Ja, du würdest sicherlich nichts hören, denn du mußt erst wieder in Uebung kommen; mir aber kann trotz unseres Gespräches kein von ihnen verursachtes Geräusch entgehen; das werde ich dir beweisen.«

Wir setzten uns beim Feuer nieder, ich mit dem Rücken gegen das Gebüsch, Halef mir gegenüber.

Es war so, wie ich sagte: es dauerte nicht lange, so konnte ich ihm das Zeichen geben; ich wußte, daß sich hinter mir jemand im Gebüsch befand. Ich hatte weder etwas gesehen noch gehört; es war jenes eigenartige Gefühl, jener undefinierbare sechste Sinn, der sich beim Westmanne nach und nach zu einer Schärfe entwickelt, welche derjenigen des Auges und des Ohres vollständig gleichkommt. Es ist mehr ein Ahnen als ein Empfinden, und doch wieder ist es eine Art von Gefühl, denn es war, als ob von dem hinter mir stehenden Perser ein Fluidum auf mich überginge, ähnlich dem Atomenstrome, welcher einen riechenden Gegenstand mit den Geruchsorganen des Menschen verbindet.

Wir sprachen so unbefangen miteinander, als ob wir keine Ahnung von dem Vorhandensein eines Lauschers hätten, doch hatte ich einen Gesprächsstoff gewählt, welcher nichts über unsere Personen und Absichten erraten ließ. Infolgedessen hörte der Mann uns eine ganze Weile zu, ohne zu erfahren, was er jedenfalls gern wissen wollte. Das machte ihn ungeduldig und trieb ihn aus seinem Verstecke hervor. Er trat aus dem Gebüsch heraus, stellte sich vor uns hin und fragte in einer Weise, als ob er der Gebieter dieses Platzes sei:

»Wer seid ihr, und was wollt ihr hier?«

In der Erwartung, daß wir vor Ueberraschung oder gar vor Schreck sehr bestürzt sein würden, strich er sich wohlgefällig die steifgewichsten Bartzapfen und sah mit erwartungsvollen Augen auf uns nieder. Als wir aber weder uns rührten noch etwas sagten, fuhr er uns an:

»Warum antwortet ihr nicht? Seid ihr blind und taub, daß ihr mich weder zu hören noch zu sehen scheint?«

Da antwortete ich:

»Ja, wir sind allerdings blind und taub, aber nur für solche Leute, welche uns Veranlassung geben, nicht auf sie zu achten.«

»Bin damit etwa auch ich gemeint?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil dein Verhalten nicht dasjenige eines Menschen ist, den man zu beachten hat.«

Da rief er höhnisch aus:

»Aefsuhsa – ach, wie schade! Ich scheine also ein Mann zu sein, der für euch gar nicht vorhanden ist?«

»Nicht vorhanden sein sollte,« verbesserte ich ihn; »denn indem ich mich trotzdem herbeilasse, mit dir zu sprechen, gebe ich dir doch den Beweis, daß ich deine Gegenwart bemerkt habe.«

»Meine Gegenwart bemerkt! Welche Freundlichkeit und Güte! Wie dankbar bin ich dir dafür, daß du so gnädig bist, meine Gegenwart überhaupt zu bemerken! Also eigentlich sollte ich, wie du sagst, für euch gar nicht vorhanden sein! Und ich habe mich doch bisher stets für einen Mann gehalten, welcher nicht nur sehr vorhanden ist, sondern der auch gewohnt ist, überall und von jedem Menschen, so hoch dieser auch stehe, nicht nur bemerkt, sondern auch mit Höflichkeit behandelt zu werden!«

»Da scheinst du dich in einem großen Irrtum befunden zu haben, denn wer Höflichkeit verlangt, muß selbst auch höflich sein.«

»Allah! Soll das ein Vorwurf sein?«

»Nein. Es ist mir ganz und gar gleichgültig, wer, was und wie du bist; aber da du von Höflichkeit sprichst, so hast du mich dadurch darauf aufmerksam gemacht, daß du diese Eigenschaft nicht zu besitzen scheinst.«

Er lachte belustigt auf und fragte:

»Du meinst wohl, daß ich euch hätte grüßen sollen?«

Ich machte eine wegwerfende Handbewegung und antwortete.

»Was man durch Fragen zu erfahren sucht, das weiß und kennt man nicht. Indem du nach dem Gruße fragst, beweisest du, daß dir die einfachste Regel der Höflichkeit vollständig unbekannt ist.«

Da kreuzte er die Hände über der Brust, machte mir eine tiefe, orientalische Verbeugung und sagte im Tone des Spottes:

»Weil du so ein hoher Herr zu sein scheinst, will ich schleunigst nachholen, was ich versäumt habe; also: Aessälam ‚aleïkum!«

Ich sagte nichts, sondern nickte nur, und zwar mit einer Miene, als ob ich seine Ironie gar nicht bemerkt hätte. Da fuhr er fort:

»Das scheint dir noch nicht genug zu sein. Ich bitte dich also um die gnädige Erlaubnis, hinzusetzen zu dürfen: Aehwal-i-schärif – wie ist Ihr erlauchtes Befinden?«

Da nahm ich den Ton eines Schulmeisters an, welcher einem Schüler ein Lob erteilt, und sagte:

»So war es wenigstens einigermaßen richtig! Wenn du so glücklich sein wirst, öfters als bisher mit höflichen Leuten in Berührung zu kommen, halte ich es für nicht ganz unmöglich, daß du dich wenigstens gegen gewöhnliche Leute noch zu benehmen lernst. Die Art und Weise freilich, wie man sich gegen höher gestellte Personen zu verhalten hat, wirst du nie begreifen.«

»Bi jahnäm – bei meiner Seele, das hat mir noch kein Mensch gesagt!« brauste er auf.

»So sei froh, daß ich es dir sage! Der Mensch, welcher seine Fehler erkennt, hat damit schon den ersten Schritt zur Besserung gethan, und du scheinst ein Mann zu sein, welcher in Beziehung auf den Umgang mit andern noch sehr viel zu lernen hat.«

70Persien.
71Quark.
72800 Mark.
73Vater der Gewürze.
74Schatten des Safrans.
75Saflor.
76Persisch: Mittelpunkt der Welt = der Schah.
77Höchster Himmel.
78Fürst der Schatten.
79Säbel.
80Vätern.
81Kettenpanzer.
82Kugel. In allen diesen persischen Wörtern wird das ä, wenn es nicht durch ein h gedehnt ist, halb wie a, halb wie e und zwar ganz kurz ausgesprochen.
83Soldat.
84Offizier.
85Montag des Soldes.
86Synagoge.
87Vater des Donners.
88Großvater der Zähne.
89Mutter des Gestankes.