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Im Reiche des silbernen Löwen I

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»Ich? Erhaben? Ich – — – noch über dir?« fragte er, indem sein Gesicht den Ausdruck großer Spannung zeigte.

»Natürlich, denn du bist ja der Herrscher!«

»Ich – — der – — Herrscher – —?«

»Ja. Oder gebietest und herrschest du nicht über alle berühmten und tapferen Haddedihn vom großen Stamme der Schammar?«

Mein Argument kam ihm zu überraschend; darum stimmte er mir nicht sofort zu, sondern wiederholte nur die Worte:

»Gebieten – — – herrschen – — – Haddedihn – — – Schammar – — —!«

»So meine ich es, und so ist es richtig. Die Kaiser und Könige des Abendlandes beherrschen ihre Unterthanen; Abd ul Hamid thront über allen Völkern der Türkei; Nasr ed Din giebt Persien Gesetze, und du gebietest über alle Krieger und Angehörigen der Haddedihn. Ob man so einen Herrscher als Kaiser, König, Sultan, Schah oder Scheik bezeichnet, das kommt gar nicht in Betracht, denn alle diese Titel bedeuten ganz dasselbe und sind von gleichem Werte.«

Jetzt war es höchst interessant, die Veränderung zu bemerken, welche in den Zügen des kleinen Hadschi vor sich ging. Der finstere Ausdruck verschwand, indem er sich nach und nach in alle steigenden Grade der Helligkeit verwandelte, bis das liebe Gesicht geradezu vor Wonne strahlte.

»König – — Kaiser – — Sultan – — Schah – — Scheik – —« rief er aus. »Sind diese Worte wirklich gleich, ganz gleich? Du mußt das wissen, Sihdi, denn du kennst alle Dinge, die vorhanden sind. Ja, du hast recht, ganz recht! Ich bewahre und beglücke meine Haddedihn grad so, wie der Schah sein Persien, der Sultan die Türkei; wie der Kaiser von Leh memleketi[108] oder der König von Tuna[109] Gehorsam von ihren Unterthanen fordern, so gehorchen mir alle Körper, Seelen und Herzen der freien Beduinen, die ich um meinen Thron versammelt habe. Sihdi, es freut mich außerordentlich, zu sehen, daß du die Größe der Ausdehnung meiner Würde erkennst und den ganzen Umfang der Bedeutung meiner Erhabenheit begriffen hast!«

»Das habe ich; ja, das habe ich, lieber Halef. Und bei all dieser Würde und Erhabenheit willst du dich selbst zum Henker herabwürdigen und Prügel austeilen mit der erleuchteten Hand, auf deren Wink die tapfersten deiner Krieger lauschen?«

»Maschallah! Nein, das thue ich nicht, denn das würde die Ehrfurcht besudeln, mit welcher alle meine früheren und gegenwärtigen Ahnen, Urahnen und Vorfahren auf mich niederblicken müssen. Einem freien Feinde, der sich wehren kann, darf ich wohl, falls er mich beleidigt, die Peitsche über das Gesicht weg geben; aber einen Gefangenen zu schlagen, dem du nach meinen eigenen Gesetzen das Urteil gesprochen hast, das kommt mir nie und nimmer in den Sinn, denn ich bin es dem Glanze meines Daseins schuldig, zur Hoheit meines Herrschertums immer neue Strahlen zu gesellen. Ich bitte dich, wenn wir von unserer Reise zurückkehren, so vergiß ja nicht, zu wiederholen, was du soeben über die Kaiser, Könige, Sultane und mich gesagt hast, damit Hanneh, der Inbegriff aller Lieblichkeit des weiblichen Geschlechtes, in Erfahrung bringt, was der Gebieter ihres Zeltes für sie und alle, die ihn kennen, zu bedeuten hat!«

»Ich werde es thun. Also, du verzichtest darauf, die Perser eigenhändig zu bestrafen?«

»Ja; aber da sie die Prügel unbedingt bekommen müssen, weil ich sonst nie wieder ruhig schlafen könnte, so frage ich dich, wer eigentlich dieses trotzdem beneidenswerten Amtes walten soll.«

»Safi, ihr Verbündeter.«

»Der – — —? Oh, Sihdi, das erfüllt die Tiefe meiner Seele mit Wehmut und Trübseligkeit! Grad weil er ihr Verbündeter ist, wird er die Streiche mit einer so zarten Sanftmut niederfallen lassen, daß jeder Hieb als labende Erquickung auf die ihm angewiesene Stelle kommen wird. Und das widerstreitet der Fülle der Gerechtigkeit, welche in dem ganzen Umkreis meines Herzens wohnt.«

»Dieser Umstand braucht dich nicht im mindesten besorgt zu machen; es giebt ein Mittel, die Kräfte seines Armes in der Weise anzuspornen, daß du mit seinen Leistungen zufrieden sein wirst. Komm! Wir wollen ihn und sein Weib holen.«

»Ja, das wollen wir. Hoffentlich besitzt er Einsicht genug, zu begreifen, daß Hiebe vorhanden sind, um durch die Haut zu gehen und bis an den hintersten Punkt der menschlichen Innigkeit gefühlt zu werden. Sollte er das noch nicht wissen, so müssen wir uns bemühen, die Mangelhaftigkeit seiner Erkenntnis in vollkommene Erleuchtung zu verwandeln.«

Wir begaben uns nach dem Kellek und fanden den Sill und sein Weib noch in der Lage, in welcher wir sie zurückgelassen hatten. Es hatte ihnen jedenfalls Pein bereitet, die ganze Nacht in derselben zu verharren, und nicht geringer war wohl auch die seelische Qual gewesen, welche ihnen durch die Ungewißheit über den Ausgang des Abenteuers verursacht worden war.

Als wir sie losgebunden und von dem Lasso befreit hatten, waren sie kaum im stande, aufrecht zu stehen. Die Frau verhielt sich ebenso still wie gestern abend; der Mann aber wartete gar nicht ab, was wir ihm sagen würden, sondern warf uns, kaum daß er sich von den Fesseln erlöst fühlte, die Frage zu:

»Ihr wolltet uns freigeben, falls wir uns ruhig verhielten; das haben wir gethan. Können wir nun gehen?«

»Jetzt noch nicht,« antwortete ich.

»Warum nicht? Ihr habt uns euer Versprechen gegeben, und wer sein Wort nicht hält, der fällt der Verachtung anheim und wird – —«

»Schweig!« fiel ich ihm in die Rede. »Niemand ist so verächtlich wie ein Lügner und Verräter deines Schlages, und wenn du etwa meinst, in diesem Tone mit uns sprechen zu können, so irrst du dich! Wir haben euch befohlen, ruhig und still zu sein, und wenn du jetzt mit Beleidigungen um dich wirfst, so nehme ich mein Wort zurück und laß dir zukommen, was du durch deinen Verrat verdienst!«

Da meinte er viel kleinlauter als vorher:

»Ich wollte euch nicht beleidigen, sondern nur wissen, ob und wann wir gehen dürfen.«

»Ob wir euch freilassen, oder eure Leichen hier in den Fluß werfen werden, das soll ganz auf dich ankommen.«

»Unsere Leichen!« rief er erschrocken aus, während sein Weib mich entsetzt anstarrte. »Soll das heißen, daß ihr uns ermorden wollt?«

»Nicht ermorden, sondern mit dem Tode bestrafen, dem uns zuzuführen eure Absicht war. Ich bin ein Christ und gönne selbst dem verächtlichsten Menschen das Leben, denn ich weiß, daß Gott der allein gerechte Richter ist. Außerdem bist du eine so armselige Kreatur, daß es mich ekelt, mich mit einer Strafe für dich zu befassen. Aus diesen beiden Gründen werde ich dich laufen lassen, falls du dem Befehl, den ich dir jetzt geben werde, vollständig Gehorsam leistest.«

»Sag, was ich thun soll! Ist es schwer?«

»Nein. Die drei Perser, denen du uns ausliefern wolltest, haben den Tod ebenso verdient wie du, und wie ich bereit bin, gnädig gegen dich zu sein, so will ich auch ihnen das Leben schenken; aber ganz ohne Strafe dürfen sie nicht bleiben.«

»Nein, das dürfen sie nicht!« fiel Halef schnell ein, weil es sich um sein Lieblingsthema handelte. »Sie werden Prügel bekommen, herzerquickende Prügel. Sieh die Kurbadsch, welche da an meinem Gürtel hängt! Sie ist aus der erfrischenden Haut des Nilpferdes gefertigt und besitzt darum eine ergötzliche Vorliebe für Menschenhaut. Diese Peitsche werde ich dir leihen, damit du deinen Verbündeten beweisest, daß die Freundschaft, welche du für sie empfindest, diejenige Kraft und Eindringlichkeit besitzt, die wir von deinem Arm verlangen.«

»Verstehe ich dich richtig?« fragte der Sill erschrocken. Du willst mir diese Peitsche geben?«

»Ja,« nickte Halef, freundlich lächelnd.

»Ich soll schlagen?«

»Ja,« erklang es noch freundlicher.

»Die Perser – — alle drei?«

»Jawohl, alle drei, und zwar so sehr, wie du nur zuhauen kannst. Wir werden dabei stehen und aufpassen. Falls nur ein einziger Schlag nicht so kräftig ist, wie wir wünschen, bekommst du allein soviel Hiebe, wie wir für die drei Halunken zusammen bestimmt haben.«

»Allah, Allah! Das kann ich nicht; das darf ich nicht!«

»Warum nicht?«

»Weil sie mich später, wenn ihr fort seid, dafür töten würden. Ihr wollt, ich soll mir das Leben dadurch retten, daß ich sie schlage, treibt mich aber grad dadurch in den sichern Tod!«

Er sagte das im Tone solcher Ueberzeugung, daß Halef nicht zu antworten wußte und einen fragenden Blick zu mir herüber warf. Die Verhältnisse lagen allerdings so, daß ich dem Sill Glauben schenkte, und darum hielt ich es für angezeigt, ihn durch die Worte zu beruhigen:

»Sie werden es nicht wissen, wer sie schlägt, denn wir werden ihnen vorher die Augen verbinden. Du hast dem Anführer fünfzig, dem, welcher Aftab heißt, vierzig und dem dritten dreißig Hiebe zu geben, und zwar so kräftig, wie mein Begleiter es von dir verlangt, denn ich selbst werde nicht dabei sein. Schonst du die Kerle, so bekommst du die für sie bestimmten hundertzwanzig Schläge. Wir haben keine Zeit; entscheide dich! Gehorsam oder Tod; einen Ausweg giebt es nicht für dich.«

Er fürchtete sich trotz der ihm verheißenen Vorsichtsmaßregel vor der Rache der Perser, und versuchte allerlei Ausflüchte; aber als Halef den ihm von mir geschenkten Revolver zog, ihm den Lauf desselben vor den Kopf hielt und dabei drohte, ihn und seine Frau sofort zu erschießen, sah er ein, daß er nicht entrinnen könne, und erklärte sich bereit, gehorsam zu sein. Wir gingen also nach der Hütte, wo Mann und Weib zunächst angebunden wurden. Dann betrat ich mit Halef das Innere derselben.

 

Der Pädär-i-Baharat verhielt sich nicht anders als während der Nacht; kaum sah er uns, so schrie er mich an:

»Wirst du nun endlich meinem Befehle gehorchen und uns freigeben? Wenn du es nicht sofort thust, werdet ihr beide noch heute in die Hölle fahren!«

Ich antwortete gar nicht; dem schnell zornigen Hadschi aber fuhr diese Frechheit so in die Hand, daß er ausholte und, sowohl die »Größe der Ausdehnung seiner Würde« als auch »den ganzen Umfang der Bedeutung seiner Erhabenheit« vergessend, dem Perser eine schallende Ohrfeige gab.

»Hund!« bedrohte er ihn. »Jetzt fühlst du bloß meine Hand; sagst du aber nur noch ein einziges unhöfliches Wort, so bekommst du mein Messer! Nicht für uns, sondern für dich ist die Hölle bestimmt, wobei du fahren, reiten oder laufen kannst, ganz wie es dir beliebt! Einen Vorgeschmack der Freuden, die euch dort erwarten, werden wir euch schon jetzt zu kosten geben.«

Der Geschlagene wagte keine Erwiderung; um so deutlicher aber sprachen seine Augen, welche Blitze tödlichen Hasses auf uns sprühten. Halef machte sich ebensowenig daraus wie ich; er zog ihm den Kaschmirshawl von der Hüfte, zerriß ihn in drei Teile und verband den Gefangenen damit die Augen. Dann gingen wir wieder hinaus. Dort angekommen, zog er mich zur Seite, um von dem Sill und seiner Frau nicht gehört zu werden, und fragte:

»Sihdi, willst du wirklich nicht dabei sein, wenn diese Sillan jetzt die Wohlthat unserer Dankbarkeit erhalten?«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Das weißt du doch schon von früher her. Es giebt leider Fälle, und der jetzige ist ein solcher, in denen es notwendig ist, Menschen wie widersetzliche Hunde mit Schlägen zu traktieren, aber es ist mir so fürchterlich, sehen zu müssen, daß ein Ebenbild Gottes dieser wenn auch wohlverdienten, aber dennoch schrecklichen Erniedrigung verfällt, daß ich es zu ermöglichen suche, fern zu bleiben. Die Kerls sind gefesselt und müssen ohne Widerstand nehmen, was sie bekommen; auch den Mann aus Mansurijeh hast du vollständig in deiner Gewalt, und so denke ich, daß meine Gegenwart bei der widerlichen Scene nicht notwendig ist.«

»Widerwärtig? Sihdi, du bist in jeder Beziehung ein starker Mann; nur in dieser einen bist du schwach. Nicht widerwärtig, sondern im Gegenteile erfreulich ist es, zu sehen, daß die Gerechtigkeit keinen Para hoch um das, was ihr gehört, betrogen wird. Du hast mich einen Herrscher genannt. Es ist die Pflicht eines jeden regierenden Gebieters, sich zu überzeugen, daß jede Missethat den verdienten Lohn empfängt. Nun wohl, ich will mich überzeugen, zumal die Strafe hier viel, viel niedriger ist, als sie eigentlich sein sollte. Wer den Tod verdient hat und nur Schläge erhält, der muß sie aber so bekommen, daß er sie nicht mit süßen Datteln verwechselt. Ich gehe jetzt, und wenn der Sill nicht aus Leibeskräften haut, so vergesse ich die Hoheit meines Herrschertums, indem ich die Kraft seines Armes mit meiner Kurbadsch stärke.«

»Nur nicht unmenschlich, Halef! Verstanden?«

Er nickte nur, band den Sill wieder los und ging mit ihm in die Hütte, vor welcher die Frau angebunden stehen blieb. Ich entfernte mich so weit, als ich es für zulänglich hielt, das Geschrei der Geschlagenen nicht zu hören. Es verging wohl eine halbe Stunde, bis Halef kam; meine Spur hatte ihm gesagt, wohin ich gegangen war. Sein Gesicht zeigte keineswegs einen so befriedigten Ausdruck, wie ich erwartet hatte; deshalb erkundigte ich mich:

»Ist‘s glatt vorübergegangen?«

»Ja,« antwortete er; »nur die Gegenden, welche von der Kurbadsch besucht wurden, sind nicht mehr glatt.«

»Und doch bist du nicht befriedigt?«

»Es ist anders abgelaufen, als ich erwartete. Der Sill schlug aus Leibeskräften zu; das Blut floß herab, aber keiner der drei Hunde hat einen Laut von sich gegeben. Sie haben die Zähne zusammengeknirscht, daß ich es hörte. Als der letzte Hieb gefallen war, dachte ich, daß sie nun wenigstens drohen und fluchen würden; sie blieben aber stumm.«

»Das ist für uns drohender, als wenn sie noch so sehr getobt hätten. Wehe uns, wenn wir in ihre Hände fallen sollten!«

»Willst du sie sehen?«

»Nein.«

»Das dachte ich; darum habe ich ihre Taschen untersucht und dir gebracht, was ich fand.«

»Was?«

»In den Taschen des Pädär-i-Baharat steckte dieses Geld und dieses Pergament; die beiden andern hatten nichts als einige kleine Münzen, die ich ihnen gelassen habe.«

Der Beutel, den er mir reichte, enthielt gegen fünfhundert Tumans; ich gab ihn dem Hadschi wieder. Das mehrfach zusammengebrochene Pergament war auf der einen Seite mit Ziffern beschrieben; auf der andern sah ich eine kleine Planzeichnung, aus welcher ich nicht klug werden konnte, und eine Reihe von Namen, die für mich wahrscheinlich keinen Wert hatten. Dennoch kopierte ich, meiner alten Gewohnheit folgend, Plan und Namen in mein Taschenbuch. Einige kleine Gruppen von kommaähnlichen Strichen hielt ich für bedeutungslos, weil sie aussahen, als ob sie nur gemacht worden seien, um die Feder zu probieren oder ein Haar aus ihr zu entfernen, doch blieben sie, wie sich später zeigen wird, meinem Gedächtnisse scharf und deutlich eingeprägt. Dann gab ich auch das Pergament zurück und sagte:

»Trage alles wieder hin! Wir brauchen es nicht.«

»Auch das Geld?«

»Natürlich. Wir sind doch keine Diebe.«

»Das ist richtig! Ich brachte es auch nur, um es dir zu zeigen. Was thun wir nun? Ich hab den Sill, nachdem er seine Schuldigkeit gethan hat, wieder dort neben seiner Frau angebunden.«

»Wir setzen unsere Fahrt fort, machen aber beide nicht gleich ganz, sondern nur soweit von ihren Banden frei, daß sie noch eine Zeit lang sich bemühen müssen, vollends loszukommen. Dadurch gewinnen wir soviel Vorsprung, daß wir Bagdad eher als die drei Perser erreichen, obgleich ihr Floß schneller als das unsere schwimmt.«

»Das ist klug von dir gehandelt, obgleich wir gar keinen Grund haben, uns vor ihnen zu fürchten. Du erteilst mir doch die Erlaubnis, mich, ehe wir gehen, wenigstens von dem Manne aus Mansurijeh und seinem Weibe zu verabschieden?«

»Wozu das? Es ist nicht nötig.«

»Nicht nötig? O Sihdi, wie wenig bist du doch in die Erfordernisse der menschlichen Begrüßungsnotwendigkeiten eingeweiht! Man kommt doch weder zu einander noch geht man wieder auseinander, ohne die vorgeschriebenen Hochachtungsverbeugungen gemacht und die Versicherungen inniger Liebe und Treue ausgetauscht zu haben. Wenn man im Lande deiner einstigen Geburt ohne diese Höflichkeiten leben kann, so ist damit noch lange nicht bewiesen, daß auch die hochgebildeten Völker des Orientes so wortlos auseinandergehen müssen wie zwei Dafahdi[110], welche, nachdem sie sich begegnet sind und einander angestarrt haben, stumm auseinanderhüpfen, der eine nach dem Aufgang und der andere nach dem Untergang der Sonne. Willst du dich als Frosch betrachten, so entferne dich; ich aber werde mich des Ruhmes würdig machen, in Beziehung auf die Gewandtheit meines Abschiednehmens ohne Beispiel dazustehen!«

Leider konnte ich, wenn ich nicht einen Umweg machen wollte, mich nicht in meiner ganzen froschigen Glorie zeigen, denn der Weg nach unserm Floße führte an der Hütte vorüber, zu welcher Halef in der stolzen Haltung eines Fürsten schritt. Dort angekommen, band ich den Mann und die Frau halb los, und zwar so, daß sie sich noch stundenlang bemühen mußten, sich ihrer Fesseln vollends zu entledigen. Während ich dies that, sagte der kleine Hadschi zu dem Sill:

»Wenn edle Freunde voneinander scheiden müssen, so rinnen die Thränen der Trennung von ihren Wimpern, und die Sonne der Wehmut geht unter hinter den Bergen der Trauer, die ihr Herz beschweren. Als ich dich zum erstenmal erblickte, du Abglanz meines Lebens, eilte dir meine Seele jubelnd entgegen, und nun ich mich von dir wenden muß, sehe ich das Grab meines Glückes vor mir offen und steige in die Grube hinunter mit der Hoffnung, daß du mir baldigst folgen und statt meiner dort begraben wirst. Unser Beisammensein ist nur ein kurzes gewesen, aber dennoch haben dich die innigsten Bande hier gefesselt und unser Floß ist eine ganze Nacht hindurch die liebliche Wohnstätte eurer Seelenruhe gewesen. Hoffentlich bedeutet unsere jetzige, bittere Trennung nicht ein Scheiden für die Ewigkeit, denn ich wünsche, daß sich unsere Augen und unsere Herzen wiederfinden. Dann wird mein Puls dir alle seine Schläge widmen, indem er sich in diese Haut des Nilpferdes hier verwandelt, und die Liebkosungen meiner Kurbadsch werden dir mit tiefer Eindringlichkeit beweisen, daß mir das Andenken an dich und deine Verdienste teuer ist. Ich wünsche dir für deinen Harem tausend so schöne Frauen wie diese hier an deiner Seite, und für dein ferneres Wohlergehen die Füße eines Storches, den Leib einer Schildkröte und, um deine Herrlichkeit ganz zu vollenden, die Stacheln eines Igels im Gesicht! Dann werden alle Völker dich bewundern und alle Länder dein Lob verkünden, soweit die Erde reicht. Ich bin Hadschi Halef Omar, der oberste Scheik der Haddedihn; vergiß das nicht, du Vater des Verrates, du Großvater der Lüge und du Oheim der Verstellung und Verächtlichkeit!«

Nachdem er in dieser Weise seinem Herzen Luft gemacht hatte, spuckte er dreimal aus, warf als Zeichen der Verachtung die leere Hand in die Luft und wendete sich dann ab, um mir zu folgen. Wir führten unsere Pferde zum Floß, lösten dieses vom Gestade und ließen es abwärts treiben, wobei wir uns in der Nähe des Ufers hielten, um da, wo das Kellek der Perser lag, wieder anzulegen. Ich wollte es diesen drei Männern ganz unmöglich machen, uns noch vor Bagdad einzuholen und infolgedessen zu erfahren, wo wir dort zu finden seien. Darum durchschnitt ich den Strick, an welchem das Floß hing, worauf wir es mit hinüber auf die Mitte des Stromes nahmen, um es da weiterschwimmen zu lassen.

Obgleich nun zu erwarten war, daß der Pädär-i-Baharat uns erst am nächsten Tage folgen könne, griffen wir doch zu den Rudern, um die Schnelligkeit unserer Fahrt zu vergrößern, und kamen sehr bald an Reschidijeh vorüber. Hierauf folgten die Orte Suadschen, Dscherjat el Maman, Habib el Murallad und Imam Musa, von wo aus wir noch vielleicht eine Stunde lang zwischen rechts und links liegenden Palmenhainen abwärts glitten, bis wir die Brücke von Bagdad erreichten, wo wir am Kumruk[111] anlegen mußten, aber nicht belästigt wurden, weil ich mich in Mossul in den Besitz eines Reftijat[112] gesetzt hatte. Wir waren an unserm ersten Wanderziele glücklich angekommen.

Fünftes Kapitel: In Bagdad

Bagdad!

Welche Fülle glänzender Vorstellungen erweckt dieser Name in der Seele jedes Menschen, der, ohne dort gewesen zu sein oder die Verhältnisse zu kennen, die berühmte Stadt nur nach dem Inhalte von »Tausend und eine Nacht« beurteilt! Während der Orientale Kairo als »Bauwahbe esch Schark«[113], bezeichnet, wird Bagdad von ihm »Nefs esch Schark«[114] genannt. War diese Bezeichnung vielleicht vor Jahrhunderten richtig, so ist sie es jetzt längst nicht mehr. Es geht dieser Stadt auch nicht anders als vielen ihrer Schwestern, deren Ruhm und Schönheit der Vergangenheit angehören. Selbst das, was sie aus ihrer Jugend in das Alter herübergerettet haben, darf man nur aus der Ferne betrachten, weil es in der Nähe häßlich erscheint.

 

Bagdad soll zur Zeit seines Glanzes zwei Millionen Einwohner, hunderttausend Moscheen und über fünfzigtausend Bazare gehabt haben; jetzt wird die Stadt kaum achtzigtausend Seelen zählen. Gegenwärtig besitzt sie vielleicht dreißig Moscheen und ebensoviele Karawanserais, während von den letzteren damals zwölftausend vorhanden gewesen sein sollen; das ist genug Stoff zum Vergleich.

Die stolze Kalifenstadt, welche einst der Mittelpunkt des Muhammedanismus war, hat, wie ein neuerer persischer Dichter sich ausdrückt, »die Schönheit ihres Angesichtes, die Röte ihrer Wangen, den Glanz ihrer Augen, die Fülle ihres Wuchses und die Grazie ihres Ganges« verloren. Früher inmitten eines wahren Paradieses, liegt sie jetzt in einer Ebene, welche sich mit allem Möglichen, nur nicht mit einem Garten Gottes vergleichen läßt, denn das wenige Grün, welches noch vorhanden ist, zieht sich ganz nahe an sie heran, während schon in kurzer Entfernung das öde, ausgestorbene Land beginnt. Sie wird von dem Tigris durchflossen, über den eine etwas über zweihundert Meter lange Schiffbrücke führt. Die Ruinen der alten Stadt liegen mit der Citadelle auf der Westseite des Flusses; der neuere und größere Teil zieht sich am östlichen Ufer hin. Man kann zwar nicht leugnen, daß die Stadt vom Flusse aus noch heut einen wenigstens interessanten Anblick bietet, aber sobald man die Straßen betritt, ist die Illusion verflogen. Die Umfassungsmauern sind eingefallen, und von den herrlichen Bauwerken der Kalifen kann man kaum noch einzelne Ueberreste sehen. Die Häuser bestehen aus Backsteinmauern, deren Fenster sich nur nach den Innenhöfen öffnen, so daß man auf den krummen, engen, ungepflasterten Straßen fast nur den Anblick kahler Wände und schmaler, verschlossener Thüren hat. Am sehenswertesten sind die Bazars, welche lange, gewölbte Gänge bilden, in denen alle möglichen Waren des Orientes feilgehalten werden.

Im Sommer ist die Hitze sehr groß, so daß die Bewohner sich in die kühlen Sardaubs[115] zurückziehen und des Nachts auf den flachen Dächern der Häuser schlafen. Um so kälter ist verhältnismäßig der Winter, welcher die Mitglieder der Familie um die Mangals[116] zusammentreibt. Oefen giebt es nicht.

Gegründet wurde Bagdad von Al Mansur, dem zweiten Kalifen der Abbassiden. Harun al Raschid vergrößerte die Stadt bedeutend und legte die erste Schiffbrücke an. Al Mostansir schenkte ihr die Akademie für Chemie und Heilkunde, welche allen mohammedanischen Hochschulen als Muster diente, nun aber schon längst in ein Karawanserai verwandelt worden ist. Noch schlimmere Wandlungen erfuhr die Stadt an sich. Sie wurde von dem Mongolenfürsten Hulagu zerstört, dessen Nachkommen von Timur vertrieben wurde, der sie abermals erstürmte und der Erde gleich machte. Dieser Eroberer errichtete als Andenken an seinen Sieg mehrere Türme aus fast hunderttausend Schädeln der gefallenen Einwohner. Später wurde Bagdad von den Osmanen erobert, diesen aber von den Persern unter Schah Ismael genommen, denen es dann Sultan Murad IV. wieder entriß, seit welcher Zeit es unter der türkischen Herrschaft verblieb.

Aus der glanzvollen Zeit Harun al Raschids ist fast nichts mehr übrig als das Grabmal seiner Gemahlin Zobeïde, welches einsam und verödet oberhalb der Stadt auf dem rechten Ufer des Flusses steht. Al Raschid heißt »der Gerechte«, doch führte dieser Kalif seinen Namen mit Unrecht. Er stellte sich aus Klugheit gut zu den Theologen und Gelehrten und pilgerte neunmal nach Mekka, sogar zu Fuß, doch machte er sich diese Wanderung so leicht wie möglich, indem er den ganzen Weg mit weichen Teppichen belegen und auf jeder Station ein Kal‘a[117] errichten ließ. Er kaufte Dichter, welche sein Lob besangen, war den Unterthanen aber verhaßt, besonders seit er seine eigene Schwester Abbasah mit ihren zwei Kindern lebendig hatte einmauern lassen. Er kannte diesen Haß, den er so fürchtete, daß er später seine Residenz nach Rakka am obern Euphrat und dann gar nach der nordpersischen Hochebene verlegte und am äußersten Ende von Chorasan begraben wurde. Auch sein Sohn Mamun wußte seinen Reichtum zu zeigen. Als er sich mit Buran, der Tochter des Wessirs Hassan Ibn Sahl, verheiratete, brannten in den Sälen tausend riesige Ambrakerzen, und es wurden Moschus- und Ambrakugeln, welche Anweisungen auf Edelsteine, Häuser und Ländereien enthielten, unter Hunderten von Gästen verteilt. Von all diesen Erzählungen sind nur noch die Erinnerungen übrig, welche im Munde des Hakawati[118] leben. Hieran ist nicht zum wenigsten die tiefe Spaltung schuld, welche eine Folge der Parteinahme für Ali und seine Nachkommen war und die mohammedanische Welt in zwei Teile zerriß, die Sunniten und die Schiiten, die sich noch heut mit größter Erbitterung bekämpfen. —

Also wir waren in Bagdad angekommen und hatten uns am Zollhause legitimiert. Ehe wir unsere Reise per Schiff fortsetzten, wollten wir die für uns wichtige Gegend besuchen, in welcher wir bei unserer frühern Anwesenheit in Irak Arabi so hilflos und verlassen an der Pest darniedergelegen hatten[119]. Das Nächste aber war die Frage nach einer Wohnung in der Stadt. In einem Karawanserai wollte ich des dort herrschenden Ungeziefers wegen nicht bleiben, und auch mein Halef war der Ansicht, daß, wie er sich auszudrücken beliebte, wir die »liebevolle Treue und Anhänglichkeit dieser Bevölkerung« noch bald genug erfahren würden. Der Europäer pflegt die Gastlichkeit der dortigen abendländischen Beamten oder Privatpersonen aufzusuchen; aber dies ist nie meine Art und Weise gewesen. Wer ein Land, ein Volk nicht nur oberflächlich kennen lernen, sondern wirklich studieren will, der muß trachten, ganz in diesem Volke aufzugehen und auf jedes Band, welches ihn davon abhält, verzichten können. Darum habe ich auf meinen Wanderungen stets die großen, ausgetretenen Straßen vermieden, allen hinderlichen europäischen Ballast von mir geworfen und mich auf mich selbst verlassen. Um dies zu können, muß man zwar viel Mühe auf die betreffenden Sprachen gewendet, sich überhaupt in jeder Beziehung tüchtig vorbereitet haben, auf manche Vorteile und Genüsse verzichten und weder Entbehrungen noch Widerwärtigkeiten oder gar Gefahren scheuen, aber wenn man diese Bedingungen erfüllt, dann kommt man auch mit ganz anderen Erfolgen heim, als wenn man auf dem breiten, bequemen Wege derer reist, denen ihre reichen Mittel oder fürstliche Protektionen alle Pfade ebnen und alle Hindernisse beseitigen. Es hätte nur eines Besuches beim Pascha oder der Vorstellung bei einem der hiesigen Konsulate bedurft, so wäre die Wohnungsfrage sofort erledigt gewesen, zumal der Name Kara Ben Nemsi in den hiesigen Militär- und Beamtenkreisen kein unbekannter war, aber ich wollte ja auf eigenen Füßen stehen und mich keinen lästigen Dankesverbindlichkeiten unterwerfen; darum hielt ich es für das Richtige, ganz wie damals einen gegen Bezahlung für uns und unsere Pferde passenden Aufenthalt zu suchen. Es war da sehr naheliegend, daß ich an den interessanten Polen dachte, bei dem wir zu jener Zeit gewohnt hatten und der mir so sympathisch gewesen war. Freilich, ob er noch lebte, und ob er, wenn dies der Fall war, sich noch in Bagdad und in demselben Hause befand, das schien mir sehr fraglich zu sein.

Ich war indes nicht der einzige, der sich dieses liebenswürdigen Wirtes erinnerte, denn als wir die Pferde vom Kellek an das Ufer gebracht hatten, sagte Halef:

»Das Floß ist nun für uns wertlos; kein Mensch kauft es uns ab; wir lassen es einfach hier liegen. Mag es nehmen, wer es haben will. Wohin aber werden wir uns nun wenden, Sihdi?«

»Das frage ich dich auch,« antwortete ich.

»Mir kommt da ein Gedanke, und ich hoffe, daß er dir gefallen wird.«

»Welcher?«

»Weißt du noch, bei wem wir damals gewohnt haben?«

»Natürlich!«

»Wollen wir wieder hin?«

»Ich habe ganz denselben Gedanken gehabt. Es sollte mir lieb sein, den Mann wieder anzutreffen.«

»Und seinen Diener, dem er unterthänig war!« lachte Halef.

Wer meinen Band »Von Bagdad nach Stambul« gelesen hat, wird sich dieses wohlbeleibten Dieners entsinnen und der Eigenartigkeit, in welcher er seine Pflichten auffaßte. Ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß wenigstens er gestorben sei, weil er schon damals bei der Fülle seines Leibes zum Schlagflusse geneigt hatte. Wir hatten Zeit, und so war es auf keinen Fall ein Fehler, wenn wir das Haus aufsuchten, um zu erfahren, wer die jetzigen Bewohner desselben seien. Wir bestiegen also unsere Pferde und wendeten uns der Richtung zu, welche uns in die betreffende Gegend führen mußte.

Man wird sich errinnern, daß die betreffende Wohnung in den Palmengärten im Süden der Stadt lag. Wir fanden sie trotz der Zeit, welche inzwischen vergangen war, sehr leicht, hielten dieses Mal aber nicht an der schmalen Pforte, sondern vor dem Thore an, welches an der andern Seite des Gartens lag. Dort stiegen wir ab, und ich klopfte. Ich mußte das mehreremal thun, und es dauerte lange Zeit, ehe ich einen sehr langsamen, schlürfenden Schritt hörte, der sich von innen dem Thore näherte. Es befand sich eine kleine Lücke in demselben, welche geöffnet wurde. Wir sahen zunächst eine lange, spitze Nase erscheinen, noch viel spitziger, als sie früher gewesen war, und hierauf ein altes, fahles, sehr runzeliges Gesicht. Die blöd gewordenen Augen musterten uns durch die großen, runden Brillengläser, und mit dünner, zitternder Stimme wurden wir gefragt:

»Was wollt ihr hier?«

Ich erkannte ihn; es war unser damaliger Wirt, der einstige türkische Offizier polnischer Nationalität; er hatte damals noch keine Brille getragen und war inzwischen sehr gealtert. Wahrscheinlich kannte er mich nicht mehr. Da er sich des Arabischen bediente, antwortete ich ihm in derselben Sprache:

108Polen.
109Donau.
110Frösche.
111Zollamt.
112Zollpaß.
113Thor des Orientes.
114Seele des Orientes.
115Unterirdische Räume.
116Kohlenbecken.
117Kastell.
118Oeffentlicher Erzähler.
119Siehe: Karl May »Von Bagdad nach Stambul«, fünftes Kapitel.