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Im Reiche des silbernen Löwen I

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Ich wurde glücklicherweise verhindert, ihm auf diese Frage eine Antwort zu geben, denn Halef stieß grad jetzt die Thür mit dem Fuße auf und trat mit reich beladenen Händen in das Zimmer. Nachdem er abgelegt hatte und noch einigemal zwischen hier und der Küche hin und her gegangen war, hatte er das ganze Serir und den Boden vor demselben mit den Erzeugnissen seiner Thätigkeit bedeckt, und auch drüben auf der andern Seite ragte vor dem Dicken ein so großer Berg von Reis und Fleisch auf, daß ich meinte, er könne wenigstens heut und morgen nicht alle werden. Ich brauchte aber gar nicht lange zu warten, so war dieser Berg vollständig verschwunden, und »Kleie« schaute sehnsüchtig zu uns herüber, ob nicht vielleicht von da noch etwas zu erlangen sei. Dieser Wunsch wurde ihm mit solcher Ausgiebigkeit erfüllt, daß mir schließlich bange um ihn wurde und auch er selbst einsah, daß selbst das größte Loch endlich einmal ausgefüllt werden kann. Er strich sich mit den Händen liebkosend über denjenigen Teil seines Körpers, welchen ich vorhin mit einem Luftballon verglich, und sagte seufzend:

»Jetzt hört es auf; mit aller Macht hört‘s auf; ich kann nicht mehr; o Unglück dieser Sättigung, o Unzulänglichkeit der Magenwände! Warum schmeckt es noch, wenn man nicht mehr essen kann? Es giebt keine einzige Vollkommenheit der Welt, welche nicht doch unvollkommen ist. Ich hoffe aber dennoch, daß dieser unser vorzügliche Scheik der Haddedihn heut noch einmal in die Stadt gehen wird, um den Fleischer zu besuchen, da es leicht geschehen könnte, daß morgen nichts Gutes mehr dort zu finden ist!«

Noch weit zufriedener als dieser Unersättliche war Halef darüber, daß seine Kunst und Fertigkeit von uns allen in der Weise durch die That anerkannt wurde, daß wir am Ende des Mahles vollständig aufgegessen hatten. Da machte er uns die besonders für Kepek tröstliche Mitteilung, daß er nicht zum Fleischer zu gehen brauche, weil er dort eine Bestellung aufgegeben habe, welcher in der Dämmerung durch einen Boten nachgekommen werde.

Dies erwies sich auch als richtig, denn zur angegebenen Zeit wurde das Fleisch geschickt. Ob ich werde davon genießen können, wußte ich nicht. Für heut war ich übersatt, und morgen – — wir wollten ja morgen schon fort, und es kam nur darauf an, ob die von dem Bimbaschi zu erwartenden Mitteilungen vielleicht derartige seien, daß sie uns Ursache gaben, noch länger zu bleiben.

Der Abend brach nach kurzer Dämmerung herein, und die am Tage herrschende trockene Hitze verwandelte sich in eine so drückende Schwüle, daß wir den Tabak und die Pfeifen nahmen, um auf das Dach zu steigen. Wir drei hatten noch nicht lange oben gesessen, so kam der Onbaschi nachgeächzt und setzte sich mit Halefs Hilfe auf eine besonders für ihn hergerichtete Unterlage nieder. Der einzige Tschibuk des Hauses ging zwischen seinem Herrn und ihm in kurzen Pausen hin und her.

Das Firmament strahlte so kurz nach dem Neumonde in seinem vollsten Glanze; die Abendluft bewegte die Palmenwedel, deren zeitweiliges Geflüster die einzige Unterbrechung der in dieser abgelegenen Gegend herrschenden tiefen Stille war. Das gab die richtige Märchen- oder überhaupt Erzählerstimmung.

Hierher nach Bagdad verlegt das Volk den Schauplatz jener Erzählungen, welche unter dem Titel Alif laila wa leila[154] viele, viele Millionen Zuhörer und Leser gefunden haben. Sehr wahrscheinlich ist die Quelle dieser Märchen im Hezar efzane[155], einer Sammlung des Persers Rasti, zu suchen. Sie haben für das Studium des Orientes einen hohen Wert, obwohl man sich sehr hüten muß, das Buch jedermann in die Hand zu geben. Diese Märchen sind unübertroffen, wenn es sich darum handelt, das Leben, die Sitten, die Anschauungen, das ganze Denken und Fühlen des Ostens kennen zu lernen. Nirgends wird die ungestüme Tapferkeit und edle Ritterlichkeit des Orientalen, sein abenteuerlicher Sinn, die Glut seines Hasses und seiner Liebe, die Geldsucht seiner Beamten, die Verschlagenheit des sogenannten schwachen Geschlechtes, die Pracht des Reichtums und die nackte Unverfrorenheit der Armut so treu geschildert wie in diesen Erzählungen, mit denen die ebenso schöne wie kühne und phantasiereiche Schehersad gegen den König Scheherban um ihr Leben kämpfte. Waren es Erinnerungen aus einer dieser von ihr durchwachten Nächte, welche jetzt flüsternd durch die sanftgebogenen Fiederblätter gingen?

Wenn es so war, ihr Zauber ging an mir verloren, denn meine Gedanken gehörten dem Manne neben mir, dessen Leben jedenfalls ein nicht gewöhnliches gewesen war und von dem ich ahnte, daß ihm Lasten auferlegt worden seien, an denen er noch jetzt in seinem Alter tragen müsse.

Was hatte ihn aus dem Vaterlande getrieben, und was hielt ihn bis heute von demselben fern? Ich konnte es mir denken – — das Wort Revolution ist eines der schlimmsten Wörter. Warum aber vergrub er sich auch hier in tiefe Einsamkeit?

»Effendi, glaubst du an Gott?«

Ich erschrak fast, als diese seine Frage so plötzlich und unvorbereitet durch die tiefe Stille klang.

»Ja,« antwortete ich nur mit diesem einen Worte.

»Ich nicht!«

Welch schweren Druck dieses »Ich nicht« hatte! Es war mir allerdings aufgefallen, daß er und sein Diener weder vor noch nach der Mahlzeit gebetet hatten. Im Orient betet man mehr als im Abendlande.

»Warum nicht?« fragte ich ihn nach einer kleinen Weile.

»Weil ich nicht an einen Gott glauben kann, welcher mir nichts als Ungerechtigkeiten erwiesen hat.«

»Bist du der Mann dazu, eine solche Anklage gegen den, welcher die Allgerechtigkeit selbst ist, zu erheben?«

»Wäre er die Allgerechtigkeit, so säße ich nicht hier, sondern daheim im Schlosse meiner Väter!«

»Vielleicht wäre es richtiger, wenn du sagtest: Hätte ich seine Gerechtigkeit verstanden, oder ihr doch wenigstens vertraut, so wäre mir nicht genommen worden, was ich verloren habe. Das Auge des Menschen reicht nicht weit; es vermag nicht, den Ratschluß des Allwissenden zu durchdringen, welcher vor Ewigkeiten sieht, was nach Ewigkeiten geschehen wird.«

»Hätte er mein Leben gesehen, so konnte er ihm, als der Allmächtige, einen anderen Verlauf, einen anderen Inhalt geben!«

»Sind wir Kinder Gottes oder seine Sklaven? Wenn er jeden Augenblick deines Lebens, jeden einzelnen deiner Gedanken und Entschlüsse zu bestimmen hätte, wer und was wärest du dann? Ein totes, willenloses Spielzeug seiner Hand. Aber wahrlich, Gott spielt nicht! Das Leben ist kein Spiel und der Mensch kein hölzerner Kegel, den jede Kugel zufällig umwerfen oder ebenso zufällig stehen lassen kann.«

»Aber was will Gott, wenn es einen giebt, mit uns? Warum fallen wir, ohne zu wissen, warum, ohne schuld zu sein? Warum bleiben tausend andere stehen, ohne es zu verdienen? Warum nimmt er dem Braven alles, alles, selbst das allerletzte, was ihm geblieben ist, und dem Verdienstlosen giebt er fort und immerfort, mehr und immer mehr zu dem, was er schon vorher besessen hat?«

»Mit dem Braven« meinst du natürlich dich?«

»Ja.«

»Und unter den Verdienstlosen verstehst du diejenigen, welche deinen Weg, deine Absichten und Hoffnungen durchkreuzten?«

»Ja, sie und auch noch andere.«

»Welch ein Hochmut! Du setzest dich also zu alleroberst, schaust selbstgerecht und selbstgefällig von dieser stolzen Höhe herab, richtest deine Mitmenschen mit einem einzigen kalten, vernichtenden Worte und duldest den, als dessen Spielzeug du dich soeben noch bekanntest, weder neben und noch viel weniger über dir! Weiß der Mensch, wenn er gefallen ist, wirklich nicht, warum? Bist du an deinem Schicksale wirklich ohne Schuld? Warst du in Wirklichkeit der immerwährend Brave, und haben die, welche du verdienstlos nennst, das, was ihnen gegeben wurde, wirklich nur der Ungerechtigkeit Gottes zu verdanken? Was verstehst du unter Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit? Was dir gefällt und was dir nicht gefällt!

Denke dir, du seist ein Kind und sähest in die Hand deines Vaters eine für dich noch unverdauliche oder gar giftige Frucht! Du bittest ihn, sie dir zu geben. Bekommst du sie, so hältst du ihn für gerecht; verweigert er sie dir, so nennst du ihn ungerecht. Er aber hat, wie du später einsehen wirst, als liebevoller, weiser Vater gehandelt.«

»Ich bin kein Kind, sondern so alt geworden, daß ich um die Einsicht, von welcher du redest, nun endlich einmal bitten möchte!«

»Grad weil sie dir fehlt, bist du trotz deiner Behauptung noch ein Kind, ein zornig schmollendes, vertrauensloses und undankbares Kind! Wenn du das jetzt in deinem Alter noch bist, so bist du es in deiner Jugend noch viel mehr gewesen. Du warst zu sehr Kind, als daß du eingesehen hättest, was zu deinem Wohle diente. Du hast falsch gewählt, vielleicht gar die giftige Frucht aus der sie dir verweigernden Hand des Vaters gerissen, und nun du dir durch ihren Genuß das ganze Leben vergiftet hast, klagst du über seine Ungerechtigkeit oder magst überhaupt nichts von ihm wissen. Es ist freilich nicht schwer, Gott zu leugnen, wenn man ihm nie Gehorsam geleistet, sondern sich nur nach dem eigenen Willen gerichtet hat. Da kommen unausbleiblich Stunden stiller, heimlicher Selbstanklage; es naht von Zeit zu Zeit der peinigende Gedanke, daß man doch vielleicht unrecht gehandelt und damit Gottes Gericht, den Wahrspruch des Allgerechten, auf sich herabgerufen habe. Was thut der Kurzsichtige dann, um die anklagende Stimme des Innern, des Gewissens, zum Schweigen zu bringen? Er greift zum kürzesten, aber auch trügerischesten Mittel: er leugnet einfach Gott. Wenn es keinen Gott giebt, giebt es kein Gesetz und kein Gericht, kein Unrecht und kein Gewissen, keine Anklage und keine Strafe, und wer mit dem Leben unzufrieden sein zu müssen glaubt, der wirft die Schuld nicht auf sich, sondern eben wieder und allein auf Gott, den er doch soeben erst geleugnet hat. Du hörst und siehst, daß du nicht um Gott hinumkommst, ihn nicht aus deiner Welt schaffen kannst, sondern in menschlich unlogischer aber göttlich logischer Weise sein Dasein über allen Zweifel erhebst, indem du ihn wegen seiner angeblichen Ungerechtigkeit leugnest.«

 

Es trat eine Pause ein; dann sagte er halblaut und nachdenklich:

»Wie drücktest du dich aus, Effendi? Ich habe – — – die giftige Frucht aus der sie verweigernden Hand des Vaters gerissen – — – gerissen! – — – also mit Gewalt meinen Willen durchgesetzt – — —! Das hat mir noch niemand gesagt, auch ich selbst nicht. – — – — Dann kommen Stunden der Selbstanklage – — – peinigende Gedanken – — – das Gewissen! – — – Man wirft aus Furcht vor sich selbst alle Vorwürfe auf Gott – — – leugnet ihn aus Angst – — – beweist aber grad dadurch sein Dasein – — —. Warte, Effendi, warte nur!«

Er ließ den Kopf sinken, und ich hütete mich, ihn zu stören. Nach einer Weile fuhr er mit der Frage fort-

»Woher kennst du mich so genau? Wie kommst du dazu, mir mein Inneres, meine heimlichsten Gedanken, Gefühle und Ahnungen zu enthüllen?!«

»Ich habe nur im allgemeinen gesprochen.«

»Das ist unmöglich, denn es stimmt, es trifft zu! Und doch auch wieder nicht – — wieder nicht! Ich kann mir keinen Gott denken, der die ewige Weisheit und Liebe ist und doch den Menschen, sein Geschöpf, sein Kind, in das Elend sinken läßt.«

»Wie nun, wenn das Geschöpf dem Schöpfer nicht gehorcht und, weil es sich klüger dünkt als er, den Weg zum Elend wählt?«

»So dürfte Gott dies nicht zulassen! Er müßte den Menschen zwingen!«

»Dann hätte dieser Mensch keinen Willen, keine Freiheit, keine Selbstbestimmung, keinen Wert; er brauchte keine Seele, keinen Geist; er wäre ein totes Spielzeug; ja, noch mehr: er wäre nichts. Du siehst, daß du dich im Kreise bewegst; wir sind wieder beim Spielzeug, beim Nichts angekommen. Aber sag mir einmal aufrichtig: Bist du wirklich – — – nichts?«

»Vielleicht!«

»Dann wären alle deine Gedanken, Schlüsse und Vorwürfe überflüssig. Ein Nichts ist nichts, thut nichts, denkt nichts, fühlt nichts, braucht nichts, will nichts; also schweig!!!«

Da schlug er die Arme übereinander, wendete sich mir voll zu, sah mich starr an und sagte:

»Ich weiß nicht, entgleitest du mit deiner Logik meiner Hand oder ich der deinigen. Ich beginne, Angst vor dir zu bekommen.«

»So fühlst du dich schon halb besiegt!«

»Noch nicht! Deine Logik scheint zwar siegreich zu sein, aber ich kann dich schlagen, indem ich durch Thatsachen den Sieg auf meine Seite bringe.«

»Das glaube ich nicht. Gott ist das absolute Ich; wer ihn leugnet, vernichtet sich selbst; eine Lächerlichkeit, denn wer leugnet, muß doch existieren. Deine Thatsachen machen mich nicht bange. Ich kenne sie nicht, bin aber überzeugt, daß ich, wären sie mir bekannt, deinen Unglauben grad durch sie besiegen würde.«

»Du sollst sie kennen lernen, wenigstens einige von ihnen. Ich werde dir erzählen – — – keine lange Geschichte, keinen ermüdenden Lebenslauf; ich bin selbst schon müde genug; du sollst es nicht auch noch durch mich werden.«

Wieviel ganz ungläubige, wieviel zweifelnde, wieviel suchende Seelen hatte ich schon kennen gelernt, daheim und auch draußen in der Ferne! Welche Freude, wenn es mir gelungen war, eine derselben auf die ewig suchende Liebe aufmerksam zu machen, welche neunundneunzig Schafe in der Hürde läßt, um das verlorene hundertste in der Wüste zu finden! Würde mir das auch jetzt bei diesem Manne gelingen, der sich bereits vor meiner Logik zu fürchten begann? Und doch, was ist die Logik des scharfen aber kalten, berechnenden Verstandes gegen die alles bewältigende, Himmel und Erde beherrschende Logik der Liebe! Der Verstand des Bimbaschi war unfähig, Gott vom Throne zu stoßen; aber sein Herz war tot und leer; es mußte Leben und Inhalt hinein. Das war es, wornach er sich gesehnt hatte; aber woher sollte ihm dieses Leben kommen? Womit war die Leere auszufüllen? Es war hohe Zeit für ihn. Seine halt- und energielose Nachsicht gegen den Diener bewies, daß er bereits kindisch zu werden begann, was jedenfalls nicht Folge seines Alters sein konnte, welches ich auf sechzig Jahre schätzte. Er mußte aufgerüttelt werden. Wenn man den Glauben an Gott verloren hat, gehört Energie dazu, ihn wieder zu finden und fürs ganze Leben festzuhalten; einem kindischen Menschen aber bleibt er verloren.

»Sprichst du polnisch?« fragte er mich jetzt.

»Nein.«

»Aber du kennst die unglückliche Geschichte Polens?«

»Ja.«

»Die Geschichte des unglücklichen Landes und seiner unglücklichen Bewohner! ich gehörte und gehöre noch jetzt zu diesen Bemitleidenswerten.«

»Bitte, sprich nicht so! In diesem Sinne soll und darf ein Mensch niemals bemitleidenswert sein. Das Mitleid ist nur für gewisse Fälle löblich; in andern Fällen beleidigt es den, auf den es fällt. Es giebt eine Art von Unglück, welches man mit edlem Selbstbewußtsein zu tragen hat; Mitleid ist da Demütigung. Ueberhaupt ist meine Ansicht über den landläufigen Begriff Unglück« eine ganz andere als die deinige. Für mich, der ich mich von Gott geleitet weiß, kann es kein Unglück geben.«

»So bist du eben glücklich. Oder giebt es für dich auch kein Glück?«

»Nein, was man nämlich gewöhnlich Glück zu nennen pflegt und mit einem günstigen Zufalle« identisch ist. In höherem Sinne giebt es freilich ein Glück, aber auch nur eines, welches ich aber die irdische Seligkeit nenne. Dieses Glück ist nichts Momentanes; es ist nicht zu messen und zu berechnen; es hat keine Grenzen; es besteht in der beseligenden Ueberzeugung, daß man in der Vaterhand Gottes ruhe.«

»Diese Hand kenne ich nicht. Mir ist weder die Ruhe in Gott noch irgend eine andere geboten worden, Wer und was ich war, brauchst du nicht zu wissen; ich weiß es selbst kaum mehr; wenigstens mag ich nicht gern daran denken. Es war ein altes, adeliges, reich begütertes Geschlecht, dem ich entstamme. Ich habe den Namen desselben abgelegt, um vor Nachstellungen sicher zu sein, und mich Dozorca genannt, weil ich mein Vaterland zu sehr liebe, als daß ich einen nichtpolnischen Namen führen möchte. Unsere Verhältnisse, meine Erziehung und noch vieles andere gehört nicht hierher; ich will nur erwähnen, daß ich zum Offizier ausgebildet wurde, keinen einzigen gläubigen Verwandten oder Lehrer hatte und meinen einzigen Lebenszweck in der Befreiung des Vaterlandes aus dem Joche der Unterdrückung erkannte. Ich war in Paris, um mit Gleichgesinnten die Erhebung unsers Volkes vorzubereiten; Mieroslawski nannte mich seinen Freund. Ich wurde nach Deutschland geschickt und ging dann nach Rußland, hatte an der verunglückten Ueberrumpelung von Posen teilgenommen, war bei dem Versuch von Siedlce zugegen und stand in Krakau dem Diktator Tyssowski nahe. In Galizien rotteten sich unsere eigenen Leute unter Jakob Szela zusammen; sie trugen Brand, Plünderung und Mord in die Höfe der mit uns verbündeten Edelleute; wir wateten im Blute. Ueberall geschlagen, gaben wir alle Hoffnung auf. Wo sollte ich hin? Ich war überall geächtet. In Preußen, in Oesterreich, in Rußland drohte mir der Henker; mein Todesurteil war gefällt; Steckbriefe verfolgten mich allerorts. Meine Besitzungen waren konfisziert; ich nahm den Bettelsack und schlug mich durch nach der Türkei, wo ich unter meinem jetzigen Namen im Heere Aufnahme fand. Es galt, mir eine Stellung, eine Zukunft zu schaffen, und da mir unter damaligen und meinen Verhältnissen dies als Christ nicht möglich war, trat ich zum Islam über.«

»Zum Islam?« fragte ich erschrocken. »Ah, so bist du – — ein Re – — —«

»Ein Renegat. Sprich das Wort nur immer aus! Was willst du? Ich war nie ein frommer, überzeugter Christ gewesen, und mein Uebertritt wurde mit‘ einer höheren Charge belohnt; das war es, was ich wollte.«

»Und heut wunderst du dich darüber, daß dein Leben ein verfehltes ist? Sag aufrichtig: Wolltest du nur die Freiheit deines Volkes, oder gedachtest du, nach dem etwaigen Gelingen des Aufstandes mit einer hervorragenden Stellung oder Rolle bedacht zu werden?«

»Beides.«

»So ist das die vorhin erwähnte giftige Frucht, welche du dir damals mit Gewalt angeeignet hast; du bist an ihr zu Grunde gegangen. Und dann der Uebertritt zum Islam! Es ist mir unbegreiflich, wie – — —«

»Bitte, laß mich erzählen!« unterbrach er mich. »Wenn es dir zur Beruhigung dienen kann, will ich dir sagen, daß ich zwar ein sehr lauer Christ war, aber auch kein eifriger Moslem geworden bin. Dieser Wechsel war nichts als Mittel zum Zweck. Ob ich Gott oder Allah sage, Christus oder Muhammed, das bleibt sich gleich, so dachte ich und so habe ich bisher gedacht. Wenn es wirklich einen Gott giebt, so sind alle Menschen seine Kinder. Diese Ansicht gab mir die innere Ruhe, welcher ich bedurfte, um vorwärts zu streben. Ich hatte Glück und Erfolg, nicht nur als Offizier, sondern auch als Mensch. Ich stand in Beirut, dessen Besatzung zur Arabistan Ordüssi[156] gehörte. Dort lernte ich einen persischen Handelsmann kennen, welcher Wohlgefallen an mir fand. Ich verkehrte täglich in seinem Hause, wo nach iranischer Sitte die Haremsgesetze nicht so streng wie bei den Sunniten gehalten wurden. Er hatte ein einziges Kind, eine Tochter; sie war nach orientalischer Ausdrucksweise schön wie die Morgenröte und sorgfältiger erzogen wie sunnîtische Haremstöchter. Wir liebten uns, und der Vater gab sie mir zum Weibe, obgleich ich nicht Schiît war.«

»Daß ihr Vater einer war, hat dein Gewissen nicht beschwert?« fragte ich.

»Nicht im geringsten. Der Sprung vom Christen zum Muhammedaner war ja viel größer als der kleine Griff des Sunniten nach einer schiîtischen Frau. Warum sollte ich mir Vorwürfe darüber machen? Ich hatte meine Wahl nicht zu bereuen. Die Vergangenheit mit allen ihren Wünschen war für mich eine abgethane Sache, und ich lebte nur für meine Familie und meine militärische Zukunft. Mein Harem, wenn ich die Ehe mit nur einer Frau so nennen darf, bot mir ein täglich sich erneuerndes Glück, welches sich vergrößerte, als mir erst ein Sohn und später eine Tochter geboren wurde. Ein Jahr nach der Geburt der letzteren wurde ich nach Damaskus versetzt, wohin mir nach wenigen Wochen der Vater meines Weibes folgte, da er und seine Frau glaubten, nicht ohne ihr Kind leben zu können. Das war anfangs 1860, dem für Damaskus so verhängnisvollen Jahre. Ist dir die traurige Geschichte desselben bekannt?«

»Ja.«

»So habe ich keine ausführliche Erzählung nötig. Wie glücklich ich war, können dir die Namen sagen, welche ich meinen Kindern gegeben hatte. Mein Sohn heißt Ikbal[157] und meine Tochter Sefa[158]. Auch mein Weib hatte einen bedeutungsvollen Namen, nämlich Aelmas[159], und sie war für mich ein Edelstein.«

»Und wie hieß ihr Vater?«

»Er nannte sich Mirza Sibil oder auch Agha Sibil.«

»War dieser Name ererbt, oder hatte er ihn sich in Bezug auf seinen Bart beigelegt? Sibil bedeutet in der persischen Sprache Schnurrbart.«

»Das weiß ich nicht; aber er hatte wirklich einen so starken Schnurrbart, wie ich keinen zweiten gesehen habe. Nur auf dem Bilde des Königs von Italien, Viktor Emanuel, habe ich einen ähnlichen gefunden. Warum erkundigst du dich nach seinem Namen? Ein Mann wie du pflegt nichts ohne bestimmte Absicht zu thun.«

 

»Ich habe keinen eigentlichen Grund gehabt; die Frage kam mir ganz unbeabsichtigt auf die Zunge, vielleicht nur, weil du die andern Namen alle nanntest und dieser eine fehlte.«

»Ich nenne keinen einzigen gern, denn sie erinnern mich an das verlorene Glück, welches niemals wiederkehren wird.«

»Gott ist allgütig, und kein Mensch braucht, solange er lebt, auf das, was du Glück nennst, zu verzichten.«

»Das verstehst du wohl kaum. Man muß Vater sein, um mit mir empfinden zu können. Vater- und Mutterliebe sind etwas ganz, ganz anderes als die von uns geforderte allgemeine Menschenliebe. Hast du Kinder, Effendi?«

»Nein.«

»So kannst du mich nur halb begreifen. Könntest du dich jemals wieder im Leben glücklich fühlen, wenn dir dein Weib ermordet würde? Und mir hat man nicht nur das Weib, sondern auch die Kinder samt deren Großeltern umgebracht!«

Als Halef das hörte, rief er aus.

»Allah verdamme die Mörder! Wenn mir meine Hanneh, welche die herrlichste aller Jungfrauen, Frauen, Mütter, Muhmen und Tanten ist, und mein Sohn, Kara Ben Halef, dem der Stolz und die Tapferkeit aus den mutigen Augen blitzen, ermordet würden, so wäre das Glück meines Lebens für immer dahin, und ich fände keine Ruhe, bis ich die Scheusale, welche die That begingen, zu den verruchtesten Teufeln der tiefsten Hölle gesandt hätte!«

»Ja, du verstehst mich wohl besser als dein Freund Kara Ben Nemsi, denn du hast einen Sohn. Auch ich glühte vor Rache; aber ich kannte die Mörder nicht, und alle Mühe, sie zu entdecken, war vergeblich.«

»Erzähle, wie sich das Unglück zugetragen hat!« forderte ich ihn auf. »Das wird dein Herz erleichtern.«

»Es wird nicht leichter, sondern schwerer davon,« antwortete er. »Es verursacht immer Schmerzen, wenn man in Wunden wühlt, welche nicht zuheilen wollen. Ich hatte schon in Beirut die tödliche Feindschaft kennen gelernt, welche zwischen den muhammedanischen Drusen und den christlichen Maroniten des Libanon stets geherrscht hat und wohl auch nie verlöschen wird. Da du die Verhältnisse kennst, so brauche ich keine Erklärung vorauszuschicken. Die erwähnte Feindschaft entspringt nicht einem Unterschiede in Beziehung auf den Wohnsitz oder die Sprache, sondern der Verschiedenheit des Glaubens. Drusen und Maroniten bewohnen die Höhen und Thäler des Libanon, und beide sprechen ganz dasselbe Arabisch; aber die Maroniten sind eigentlich katholische Christen, obgleich sie hinsichtlich ihrer Liturgie und der Priesterehe von dem Ritus der römischen Kirche abweichen, und die Drusen bekennen sich zum Islam, haben aber ihre geheimen Lehren und sollen, wie man sagt, sogar noch dem alten syrischen Naturdienste ergeben sein. In früherer Zeit hielten Drusen und Maroniten gegen die Türken zusammen; Bergvölker sträubten sich stets am meisten und am längsten gegen ihre Besieger. Um diese Eintracht zu zerstören, wurde Feindschaft zwischen sie gesäet; die Frucht ging auf, und die Folge waren die blutigen und schonungslosen Metzeleien, welche in den Jahren 1842 und 1845 stattfanden. Als dann die Muhammedaner im Krimkriege von seiten der mit ihnen verbündeten Engländer und Franzosen wiederholte Demütigungen erlitten, setzte sich bei ihnen ein Haß gegen die Christen fest, der sich am leichtesten im Libanon und in Syrien Luft machen konnte, wo englische und französische Interessen unvereinbar mit türkischen zusammenstießen. Man begann zu schüren. Als die Westmächt den Sultan zwangen, in dem berühmten Hatt-i-Humajun auch allen andersgläubigen Unterthanen dieselben Rechte wie den Muhammedanern zuzusprechen, ging eine tiefe Erbitterung durch das Land, deren erstes Zeichen die Ermordung des englischen und französischen Konsuls in Dschidda, der Hafenstadt des heiligen Mekka, war, wo man bekanntlich muhammedanischer als Muhammed selber ist. Die hierauf erfolgende Maßregelung durch die beiden Mächte vergrößerte den heimlich fressenden Groll. Hierzu kam, daß die Befugnisse der Pforte hinsichtlich ihrer Vasallenstaaten immer mehr beschnitten und endlich fast völlig aufgehoben wurden. In Serbien setzte man Kara Georgiewitsch, welcher dem Sultan ergeben war, ab und holte die Obrenowitsch zurück; in der Moldau und der Walachei wurde Cusa zum Fürsten gewählt. Durch diese Ereignisse wurde die Erbitterung der Moslemim gegen die Christen so gesteigert, daß der Ausbruch gar nicht zu vermeiden war; er geschah zunächst im Libanon. In Damaskus fand eine heimliche Beratung zwischen dem dortigen Pascha Ahmed, dem Scheik ul Islam[160] Abdallah el Halebi und Kurschid Pascha von Beirut statt, deren Resultat der Scheik ul Islam in die Worte zusammenfaßte: »Der Hatt-i-Humajun, welcher gegen Geist und Buchstaben des Kuran verstößt, kann nur mit der Aufreizung des Volkes zum Christenmorde beantwortet werden.« Kurschid Pascha brachte diesen Beschluß als erster zur Ausführung; er gab bei seinem Ausmarsche aus Beirut durch Kanonenschüsse das Zeichen zum Gemetzel. Die Drusen erhoben sich zum Vernichtungskampf gegen die Christen.«

Als der Erzähler bis hierher gekommen war, unterbrach ich ihn:

»Ehe du weitersprichst, bitte ich dich, mir zu sagen, ob du in der Beurteilung dieser Kämpfe auf seiten der Christen oder Muhammedaner stehst.«

»Ich nehme keinerlei Partei,« antwortete er; »es wurde auf beiden Seiten mehr oder weniger gesündigt. Wenn du gerecht bist, mußt du zugeben, daß die Maroniten in sittlicher Beziehung tief unter den Drusen gestanden und ihnen Grund zur Verachtung und oftmals auch Veranlassung zur Rache gegeben haben. Auch wirst du nicht leugnen können, daß es Christen waren, welche Saida, das alte Sidon, damals stürmen wollten. Die blutigsten Kämpfe aber gab es zu Hasbeya, am südlichen Fuße des Antilibanon, und in der Stadt Rascheya, welche nördlich davon an den Quellflüssen des Jordan liegt. Dort wurden die Maroniten zu Tausenden niedergemacht. Noch weiter nördlich liegt am Fuße des Libanon das Städtchen Sachleh, dessen Bewohner sich stets als die tapfersten Krieger der Maroniten ausgegeben hatten. Sie lebten in Feindschaft mit den Drusen und waren auf diejenigen ihrer Satzungen stolz, durch welche sie sich von den römischen Katholiken unterschieden. Als sie von dem Ausbruch des Kampfes hörten, feuerten sie ihre Flintenkugeln gegen den Himmel und beteuerten: »Und wenn Gott selbst gegen uns zöge, er könnte Sachleh nicht erobern!« Die Strafe folgte dieser Vermessenheit auf dem Fuße. Die maronitischen Hilfsvölker, welche ihnen beistehen sollten, kehrten unterwegs aus Feigheit um, während die arabischen Beduinen der Ebene, die Drusen des Libanon und Hauran, die Arnauten und Kurden von Damaskus und die Metualis von Baalbek mit Macht gegen die Stadt vordrangen, aus deren brennenden Häusern sich die Verteidiger nur zum Teil durch die Flucht retten konnten. Ganz entgegen andern Behauptungen, kann ich versichern, daß die Drusen sich hier zwar schonungslos tapfer, sonst aber brav benommen haben, denn als sie sahen, daß ihre Verbündeten sich über die Wehrlosen herwarfen, machten sie diesem Greuel durch die Drohung: »Schont die Frauen und Kinder; wer ein Weib anrührt, wird erschossen!« ein schnelles Ende. Hierauf folgte die Erstürmung der mitten im drusischen Gebirge gelegenen Christenstadt Deïr el Kamr[161], welchen Namen sie von einem früheren Kloster der heiligen Jungfrau hat, die in Syrien gewöhnlich mit der Mondsichel zu den Füßen abgebildet wird. Leider hatten sich auch die Bewohner dieses Ortes oft gegen die Muhammedaner herausfordernd verhalten und die in die Stadt kommenden Drusen beleidigt oder gar mißhandelt. Als ein Scheik derselben sich in nicht einmal großer Nähe des Ortes an einer von ihm rechtlich erworbenen Stelle ein Haus bauen wollte, wurde er von ihnen verjagt, infolgedessen er ihnen in seinem berechtigten Zorne drohte: »Ich baue es dennoch, und zwar werde ich es auf eure Schädel gründen!« Die Rache kam bald; fast die ganze Stadt wurde der Erde gleichgemacht. Es versteht sich ganz von selbst, daß es nun den Christen in Damaskus angst und bange wurde. Weißt du, Effendi, wieviel ihrer damals dort wohnten?«

»Ueber zwanzigtausend. Weil Dimeschk esch Scham[162] die Haupstadt des Vilajets Syrien und des Sandschaks Schami-Scherif ist, war leider mit Bestimmtheit vorauszusehen, daß die Wirren sich auch dorthin ziehen und vielleicht gar einen noch blutigern Ausgang als im Gebirge nehmen würden.«

»Das ist es, was ich auch sagen wollte und was jedermann dort wußte. Die Christen der Hauptstadt schienen zwar in tiefem Frieden mit den Muhammedanern zu leben, forderten aber deren Haß und Neid unvorsichtigerweise durch ihr selbstbewußtes Auftreten und durch die Prunkhaftigkeit heraus, mit weicher sie ihre Wohnungen ausstatteten und ihre Frauen und Töchter geschmückt und unverschleiert durch die Straßen gehen ließen. Sie hatten vergessen, daß der Moslem sich noch immer als den Eroberer, als den Herrn des Landes betrachtete und daß sie nur die Rechte der Ra‘aja[163] besaßen, welche sich die Erlaubnis, im Lande wohnen zu dürfen, durch die Kopfsteuer erkaufen mußten. Sie waren als Ra‘aja vom Grundbesitze ausgeschlossen gewesen, hatten sich also auf den Handel legen müssen und durch denselben Reichtümer erworben, welche sie nun unklugerweise zur Schau zu tragen wagten. Dieser Besitz war zwar ihr Eigentum, und jeder Mensch soll zeigen dürfen, was er sich erworben hat, aber es ist nicht klug, dies in einer Weise zu thun, welche die Augen anderer Leute mit Gewalt darauf lenkt. Du wirst das Auftreten reicher, christlicher Griechen und Armenier genugsam kennen gelernt haben, und solltest du dennoch nicht meiner Meinung sein, so verweise ich dich auf die reichen Jehuhd[164] des Abendlandes, die dort auch nur Schutzbefohlene waren und von den dortigen Nichtjuden mit Neid betrachtet werden. Giebst du dies zu?«

154Tausend und eine Nacht.
155Tausend Erzählungen.
156Division von Arabistan.
157Glück.
158Wonne.
159Diamant.
160Oberhaupt der muhammedanischen Geistlichkeit.
161»Kloster des Mondes«.
162Damaskus.
163Gewöhnlich fälschlicherweise Rajah geschrieben = Schutzbefohlene.
164Juden.