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Im Reiche des silbernen Löwen II

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Jetzt machte ich den oben erwähnten Versuch mit dem um meine Handgelenke geschlungenen Stricke; ich bekam Zwischenraum, wenn auch nicht soviel, daß es mir möglich gewesen wäre, die eine Hand herauszuziehen; aber ich konnte sie doch wenigstens drehen und bekam dadurch den Knoten in die Finger. Es galt, ihn aufzuknüpfen, worüber ich wohl eine Viertelstunde zubrachte. Während ich mich hiermit beschäftigte, fragte der Kammerherr.

»Horchst du noch, oder darf ich jetzt sprechen?«

»Du darfst, aber ganz leise,« antwortete ich. »Es könnte sich doch jemand heimlich herangeschlichen haben, um uns zu belauschen.«

»Sag, wie bist du hierhergekommen? Ihr schlugt doch den Weg nach Bagdad ein!«

»Das thaten wir nur zum Scheine. Wir sind auf einem Umwege zurückgekehrt, um euch zu retten.«

»Um – uns – zu – retten?!« sprach er meine Worte verwundert nach. »Du bist aber doch selbst gefangen!«

»Das stört mich nicht. Oder stört dich vielleicht meine Gegenwart?«

»Nein, o nein! Wie kommst du auf diesen Gedanken und zu dieser Frage?«

»Das weißt du nicht?«

»Nein.«

»Hast du vergessen, was du im Khan zu uns sagtest? Deine Worte lauteten: Laßt euch nicht wieder vor uns sehen! Ein altes, persisches Sprichwort fordert, daß jeder Schiit, der einem Christen begegnet, ihn mit den Füßen von sich stoße, sonst hat er die Folgen in diesem und in jenem Leben zu tragen.« Nun, ich bin ein Christ, und du bist ein Schiit. Jetzt stoße mit den Füßen!«

»Effendi, du darfst das, was ich gesagt habe, nicht so nehmen, wie es geklungen hat, zumal alles anders geworden ist, als ich dachte. Hätte ich deine Warnung beachtet, so läge ich nicht hier, und meine Begleiter wären nicht ermordet worden!«

»Ermordet?«

»Ja.«

»Alle?«

»Alle elf. Ich habe dabei gestanden und zusehen müssen, ohne ihnen helfen zu können. Ich bot Geld über Geld für ihr Leben; aber der, den sie den Säfir nennen, lachte mich aus und sagte, er dürfe keinen Zeugen leben lassen und werde mein Geld auch sonst gewiß bekommen.«

»Elf Menschen umgebracht! Das ist geradezu teuflisch von ihm! Erzähle mir, wie ihr in seine Hände gefallen seid!«

»Wir kamen nach Hilleh, und ich suchte natürlich sogleich den Sandschaki auf, bei dem ich den Säfir fand —«

»Habt ihr da von mir gesprochen?«

»Nein. Es war nur die Rede von meiner Reise und von den Gefahren, welche grad in dieser Gegend auf jeden wohlhabenden Pilger lauern.«

»Vortrefflich ausgedacht! Ich bin überzeugt, daß grad der Säfir das Gespräch auf dieses Thema gebracht hat.«

»Deine Vermutung trifft das Richtige. Der Sandschaki versprach mir seinen Schutz; aber der Säfir warnte mich vor ihm.«

»Natürlich heimlich?«

»Ja. Er suchte mich auf, als ich dann allein war, und sagte mir, daß der Sandschaki mit den Räubern im Einvernehmen steht und einen guten Teil der Beute bekomme.«

»Das glaubtest du?«

»Warum nicht? Solche Dinge kommen vor, und zwar nicht bloß hier im Lande der Türken, wo Beamte oft jahrelang vergeblich auf die Zahlung ihres Gehaltes warten und darum suchen müssen, auf dunklen Wegen Geld zu verdienen. Der Säfir teilte mir im Vertrauen mit, daß auch er nach den heiligen Stätten wolle, aber sich wohl gehütet habe, dem Sandschaki mitzuteilen, daß er schon heut abend aufbrechen werde; er habe die Leute seiner Karawane, lauter friedliche und zuverlässige Solaib-Araber, bei den Ruinen stehen und werde die Wanderung beginnen, ohne dem Sandschaki ein Wort davon zu sagen.«

»Er lud dich ein, dich ihm anzuschließen?«

»Nein, sondern ich bat ihn darum, dies thun zu dürfen.«

»Grad das hat er gewollt!«

»Natürlich! Ich ahnte es leider nicht. Er ritt voran, um uns vor der Stadt zu erwarten, und wir folgten ihm. Als wir ihn erreicht hatten, machte er den Führer.«

»Da habe ich ihn also für vorsichtiger gehalten, als er gewesen ist. Ich glaubte, daß er für ein Alibi sorgen werde.«

»Was ist das, ein Alibi?«

»Ein Rer mathra[115], ein Beweis, daß der Angeklagte sich zur Zeit des Verbrechens an einem andern Orte befunden hat, als an demjenigen, wo das Verbrechen verübt wurde. Ich nahm an, daß er bei dem Sandschaki in Hilleh bleiben und euch von den sogenannten Solaib-Arabern überfallen lassen werde. Da konnte er nachweisen, daß er nicht dabei gewesen sei.«

»Warum brauchst du das Wort sogenannt«?«

»Weil diese Leute keine ehrlichen Solaib-, sondern räuberische Ghasai-Beduinen sind.«

»Allah! Und grad weil er sie als Solaib bezeichnete, hatte ich solches Vertrauen, denn ich weiß, daß die Angehörigen dieses Stammes jede Art von kriegerischer Thätigkeit scheuen.«

»Grad darum, also um Vertrauen zu erwecken, bezeichnete er seine Leute als Solaib. Hättest du mir im Khan Glauben geschenkt, so wärest du nicht in ihre Hände geraten! Doch erzähle jetzt weiter!«

»Wir ritten nach den Ruinen, nach welchem Teile derselben, das wußte ich nicht, denn es war dunkel, und ich kenne diese Gegend nicht. Ich ritt mit ihm voran; meine Leute folgten; zwischen uns und ihnen war ein Zwischenraum – — —«

»Oh,« fiel ich ein; »er wollte dich von ihnen absondern, weil du leben bleiben solltest!«

»Ja. Plötzlich ertönten hinter uns mehrere Schreie. Als ich mich umdrehte, sah ich die Meinigen im Kampfe mit fremden Männern.«

»Du eiltest doch sofort hin, um ihnen zu helfen?«

»Ich wollte, aber da schlug mir der Säfir mit dem Kolben seines Gewehres auf den Kopf, daß ich vom Pferde stürzte. Er sprang auch ab und band mir die Hände auf dem Rücken zusammen. Dabei drohte er mir, mich sofort zu erstechen, falls ich schreien oder eine unerlaubte Bewegung machen werde.«

»Du gehorchtest natürlich?«

»Ja. Was hätte ich sonst thun sollen? Ich sage dir, ich bin ein tapfrer Mann, ein wahrer Held im Streite, aber in einer solchen Lage hilft selbst die größte Kühnheit nichts. Das sah ich auch an meinen Leuten. Einige von ihnen waren tot; die andern wurden gebunden wie ich und mit den Tieren nach einem abgelegenen und geschützten Ort geführt, wo man ein kleines Feuer anzündete, um uns beim Scheine desselben die Taschen zu leeren und auch sonst alles zu nehmen, was wir bei uns hatten. Dann wurden sie erstochen, einer nach dem andern elend erstochen! Hast du einmal zugesehen, wie ein Quassab[116] seine Tiere absticht?«

»Ja.«

»So, grad so sah es aus, als man ihnen der Reihe nach die Klinge in die Herzen stieß. Mich schaudert, wenn ich nur daran denke! Ich allein durfte leben bleiben, ich allein, denn ich sollte Dokumente unterschreiben, welche diese Mörder vorzeigen wollen, um Geld, viel Geld zu bekommen.«

»Hast du dies schon gethan?«

»Ja. Meinst du etwa, daß ich es hätte nicht thun sollen? Der Säfir stand mit gezücktem Messer dabei und diktierte mir. Hätte ich mich nur einen Augenblick geweigert, so wäre ich auch erstochen worden.«

»Wo hast du unterschrieben?«

»In der Stube, welche hier nebenan liegt.«

»Gab es da ein Schreibzeug?«

»Schreibzeug und alles, was er brauchte, auch Siegellack. Petschieren mußte ich mit einem Siegelringe, den man mir abgenommen hatte. Er nahm das alles aus einer großen, mit Eisen beschlagenen Sanduka[117], zu welcher er den Schlüssel an einer Schnur um den Hals und unter der Weste hängen hatte.

Da sah ich auch Geld liegen, viel Geld in Silber und Gold. Auch flimmernde Edelsteine zeigte er mir.«

»Wie? Er zeigte sie dir?«

»Ja. Wundere dich nicht! Es ist wahr, denn ich habe es gesehen, hier mit diesen meinen Augen gesehen! Es war ein ganzer Berg von Reichtum da beisammen.«

»Du verstehst mich falsch. Ich wundere mich keineswegs über diese Schätze; mir können sie nicht imponieren; aber daß er sie dir gezeigt hat, freiwillig gezeigt, das ist kein gutes Zeichen für dich.«

»Wieso?«

»Du hoffst doch, bald wieder frei zu werden?«

»Natürlich! Zwar werde ich wohl noch einmal unterschreiben müssen, wie du ja selbst vorhin gehört hast; dann aber wird er mich gehen lassen.«

»Hat er dir das versprochen?«

»Ja.«

»Und du glaubst diesem Versprechen?«

»Warum. sollte ich nicht?«

»Warum? Warum!!! Man sollte es wirklich nicht für möglich halten, daß du noch fragen kannst. Ich bin überzeugt, daß es mit deiner Klugheit und deinem Scharfsinne genau ebenso steht wie mit deiner großen Tapferkeit, von welcher du vorhin sprachst. Er hat deine Leute ermorden lassen, um keine Zeugen zu haben; falls er dich leben läßt, bist du aber ein Zeuge seines Verbrechens. Denke doch nach!«

»Allah, Allah! Was sagst du da! Ich verstehe, was du meinst.«

»Und wenn ein Räuber jemandem seine Schätze zeigt, so thut er das nur, weil er überzeugt ist, daß der Betreffende nichts verraten kann. Diese Sicherheit giebt aber nur der Tod!«

»Mäbada – das sei ferne! Du lässest mich da in einen Abgrund blicken, welcher so schwarz wie die Tiefe des Verderbens ist!«

»Ich bin aufrichtig mit dir. Du hast mich schon einmal mit Unglauben belohnt und dies sehr teuer bezahlen müssen.

 

Hörst du jetzt wieder nicht auf mich, so ist es um dich geschehen. Du wirst den Himmel nicht mehr schauen, sondern hier ebenso abgestochen werden, wie deine Leute abgeschlachtet worden sind.«

»Bist du davon überzeugt?«

»Es ist meine feste, unerschütterliche Überzeugung.«

»So begnadige mich Allah mit seiner Barmherzigkeit! Ich Wal dir glauben; ja, ich muß dir glauben, wenn ich auch nicht wollte. Wenn ich mir deine Worte überlege und dazu die Schlechtigkeit dieser Menschen; wenn ich daran denke, mit welcher Kaltblütigkeit sie meine Begleiter erstachen, so kann ich gar nicht anders, ich muß mich verloren geben!«

Nun er einsah, was ihn erwartete, begann er zu jammern und zu klagen; er betete zu Allah; er wimmerte vor Angst und machte mir inzwischen eine Menge unnütze, weil unausführbare Vorschläge, uns zu retten. Inzwischen war es mir gelungen, die Knoten zu öffnen und die Hände frei zu bekommen; den Strick vom Hals, den Knieen und den Füßen zu lösen, war nun nur eine Kleinigkeit; dann stand ich auf und reckte und streckte mit unendlichem Behagen meine Glieder. jetzt war ich gerettet; denn nun mochte der Säfir kommen mit allen, allen seinen Leuten; ich hatte keine Angst vor ihnen!

Das erste, was ich hierauf that, war, daß ich in die Ecke links ging, welche der Bimbaschi bezeichnet hatte, und da den Boden untersuchte. Es gab da einen nicht hohen, aber breiten Haufen Ziegelmehl, welches so fein und leicht war, daß ich den Arm fast bis an die Achsel hineinstoßen konnte, ohne besonderen Widerstand zu finden. Dann ging ich nach dem Eingange, um den Eisenstabvorhang zu betasten. Da war nicht hinauszukommen. Als diese Untersuchung ein leises Klirren der Stäbe verursachte, warnte der Pischkhidmät Baschi:

»Horch! Es ist jemand an der Thür!«

»Nein; ich war es,« antwortete ich.

»Du – — —?« fragte er erstaunt. »Deine Stimme klingt jetzt von oben. Stehst du vielleicht? Wie kommst du an die Thür? Du bist doch gefesselt!«

»Ich war es, bin es aber nicht mehr. Während du nur jammertest, habe ich gearbeitet und mich von den Banden befreit. Nun werde ich auch dich losmachen.«

»O Allah, Allah, Allah! Welch ein Glück bricht über mich herein! ja, komm her, Effendi, und mach mich frei – frei – frei!«

»Nicht so laut! Eigentlich kann ich dich nicht losmachen.«

»Warum nicht?«

»Weil ich ein Christ bin und meine Berührung dich für dieses und für jenes Leben schändet.«

»Sprich nicht so, Effendi; sprich nicht so! Was geschehen ist, das soll vergeben und vergessen sein. Ich sage dir, daß die Christen sehr brave, gute und edle Menschen sind; ich bin überzeugt davon, vollständig überzeugt!«

»Ja, wenn ihr uns brauchen könnt, dann lobt ihr uns, sonst aber habt ihr nur einen Mund voll Speichel für die ungläubigen Hunde«. Aber grad weil ich ein Christ bin, will ich mich deiner erbarmen und dich nicht hier liegen lassen, bis der Säfir wiederkommt. Wie bist du geschnürt?«

»Die Füße sind mir zusammen- und die Hände an den Leib gebunden.«

»So wird es nicht schwer sein, dich freizumachen.«

Ich kniete bei ihm nieder und nahm ihm ohne große Mühe die zwei Stricke ab, worauf er emporsprang und seiner Freude in so unvorsichtiger Weise Ausdruck gab, daß ich ihm Schweigen befehlen mußte.

Nun galt es, die Ecke genauer zu untersuchen, als ich es vorhin gethan hatte. Der Kammerherr mußte helfen. Wir entfernten das Ziegelmehl, indem wir es mit den Händen herausnahmen und zur Seite auf den Boden warfen. Es war nicht bloß Mehl, sondern es gab auch viel mürbe Bruchstücke von Ziegeln dabei. Auf diese Weise entstand ein Loch, welches immer tiefer wurde. Die Arbeit förderte schnell. Als wir vielleicht einen Meter tief gegraben hatten, stießen wir auf festen Boden; aber die leichte mehlige Masse setzte sich nach rechts und links in horizontaler Richtung fort. Links ging es in das Innere des Gemäuers, rechts nach außen; darum gruben wir in der letzteren Richtung weiter, was wegen des Transportes seine Schwierigkeiten, doch keine großen hatte. Ich grub voran, warf das Mehl auf den hinter mir liegenden Gürtelshawl des Kammerherrn, und er brachte es dann in dem wie einen Sack zusammengefalteten Leibtuch nach oben. Schon nach einer kurzen Weile fand ich nur noch ganz geringen Widerstand; ich merkte, daß ich das leichte Material vorwärts schieben konnte. Dies thuend, kroch ich weiter und weiter; der Perser folgte dicht hinter mir. Ich fühlte, daß ich frische Luft atmete; der Gang wurde frei von Schutt, und kurze Zeit darauf war er zu Ende. Ich sah trotz der Dunkelheit rechts und links hoch emporsteigendes Mauerwerk, vor mir eine Lücke in demselben und oben darüber ein kleines Stück des Himmels, an welchem die hellen Sterne standen. Ich kannte den lichthofähnlichen Raum, welcher vor mir lag-, es war der Platz der Stachelschweine, an welchem wir gestern unsere Pferde versteckt gehabt hatten.

Mit dem Kopfe voran im Loche liegend, schaute ich auf den an der Mauer emporsteigenden Trümmerhaufen. Es fehlten nicht ganz zwei Meter, so hätte er bis zu mir heraufgereicht. Einige Verwitterungen in den Ziegeln hatten den Stachelschweinen als Weg an der Mauer herauf gedient; ich konnte sie nicht benutzen und ließ mich also ganz einfach aus dem Loche hinunter auf den Haufen fallen, was bei der Weichheit des Gemülles nicht gefährlich war. Dann schaute der Perser verwundert aus dem Loche.

»Wo befinden wir uns?« fragte er.

»Wieder im Freien. Komm herab! Wir sind gerettet!«

»Alhamdulillah! Gerettet! Im Freien! Aber du hast gut sagen, daß ich hinabkommen soll! Es ist doch kein Sullem[118] da!«

»Habe ich eine Leiter gebraucht? Du verlangst vom Glücke allzuviel. Soll es dir vielleicht gar einen Tachtrawan[119] schicken, in welchem ich dich heruntertragen lassen darf? Mach es wie ich, und falle.«

»Hinunterfallen? Das mutest du mir zu? Soll ich den Hals und dazu wohl auch noch die Beine brechen?«

»Ich habe auch nichts gebrochen!«

»Das bist du! Euch Christen schützt der Teufel!«

»Ah! Vorhin warst du höflich; aber kaum bist du frei, so giebt es wieder Beleidigungen! Bleib in deinem Loche stecken, und laß dich von dem Säfir herausholen! Ich gehe. Gute Nacht!«

Ich wendete mich um und stieg in den Trümmerhaufen hinab. Da that es hinter mir einen lauten Plumps; der oberste der Kammerherren kam, in eine Geröll- und Staubwolke gehüllt, auf dem Rücken an mir vorübergesaust und rief dabei:

»Halt, halt! Nimm mich mit, nimm mich mit! Ich bleibe nicht hier; ich bleibe ganz gewiß nicht hier!«

»Nein, nimm du mich mit; du bist mir ja voran!« antwortete ich lachend, indem ich ihm nachkletterte.

Als ich ihn einholte, stand er, an allen Gliedern zitternd, da, klopfte sich den Staub aus dem Gewande und jammerte:

»Das war ein fürchterlicher, ein entsetzlicher Sprung, mit dem Kopfe voran! Ich werde so etwas nie wieder wagen! Du konntest mich doch herunterheben! Ich habe an jeder Stelle meines Leibes das Gefühl, als ob ich die Bastonnade bekommen hätte!«

»Sei froh, daß du deine Freiheit nicht teurer, als mit nur diesem edlen Gefühle zu bezahlen hast! Bist du ein guter Reiter?«

»Es sollte niemand wagen, zu bestreiten, daß ich vortrefflich reite!«

»Das ist gut, denn wir reiten sofort nach Hilleh.«

»Dazu gehören Pferde!«

»Die habe ich. Sie sind hier in der Nähe versteckt. In einer Stunde müssen wir dort sein.«

»Man reitet doch drei Stunden! Warum so schnell?«

»Weil wir längst vor Tagesanbruch wieder hier sein müssen.«

»Wieder hier? Ich sage dir, daß mich keine Macht der Erde wieder hierher bringen wird!«

»Darüber wollen wir später sprechen. Jetzt komm!«

»Was willst du mitten in der Nacht in Hilleh?«

»Wir holen Militär und nehmen den Säfir und alle seine Schurken gefangen.«

»Allah sei Dank! Dieser Gedanke ist groß, ist vortrefflich! Wenn Soldaten dabei sind, so reite ich auch wieder mit.«

»So komm!«

Wir stiegen vollends hinab. Als wir die Trümmer hinter uns hatten, blieb ich lauschend stehen. Es war nichts zu sehen und nichts zu hören. Wir wendeten uns nach rechts und hatten nach fünf Minuten die Stelle erreicht, wo die Pferde standen. Ich nahm meine Waffen, gab dem Perser diejenigen des Hadschi, und dann stiegen wir auf, um den alten Birs Nimrud auf baldiges Wiedersehen zu verlassen.

Da ich den Weg kannte, so durften wir es wagen, trotz der Dunkelheit Galopp zu reiten. Wir mußten das, weil wirklich keine Zeit zu verlieren war.

Zunächst lenkte ich auf den Weg hinüber, welcher von Hilleh nach den Hügeln Chidr und Delem führt, und als wir ihn erreicht hatten, rief ich den Pferden ein aufmunterndes »Chabab«[120] zu, worauf sie in vollem, schlankem Uufe über das ebene und ganz hindernislose Terrain flogen. Dabei stellte sich nun freilich heraus, daß der Kammerherr keineswegs der vortreffliche Reiter war, für den er sich ausgegeben hatte. Ich hätte, wenn es Tag gewesen wäre, bei diesem Ritte eine Nähnadel einfädeln können, ohne das Öhr zu verfehlen, so wunderbar »chatt«[121] gingen die Rappen, wie der Beduine sich auszudrücken pflegt; er aber stopfte im Sattel auf und nieder wie ein im Gange befindlicher Spritzenkolben und rief mir ängstlich zu:

»Wakkif, wakkif – halt an, halt an! Das ist mir zu schnell!«

»Mir nicht!« antwortete ich.

»Amma ana dochan – aber mir schwindelt; ich bekomme den Zoba‘a[122], das Ashub-i dil-i därya[123]. Ich falle herunter!«

»So halte dich fest! Wir können nicht langsamer reiten. Gieb mir die Zügel!«

Er brachte es nicht fertig, sie mir herüberzureichen; ich langte hinüber und nahm sie ihm aus der Hand. Nun klammerte er sich an den Sattelknopf an, und unter immerwährendem Ach und Oh ging es weiter. Ich erlaubte den Pferden nur zweimal, langsamer zu gehen, und so kam es, daß wir in noch nicht ganz einer Stunde die ersten Gebäude von Hilleh vor uns liegen sahen. Da ich das sog. Serai[124] des Sandschaki kannte, wurde es mir nicht schwer, es zu finden. Ich hatte geglaubt, wegen der nächtlichen Stunde an dem Thore klopfen zu müssen; aber es stand weit offen, und als wir in den Hof ritten, sah ich, daß der Eingang zur Wohnung des Beamten erleuchtet war. Wir ritten hin und stiegen ab. Es stand ein Doppelposten, den ich am Tage nicht gesehen hatte, vor der Thür.

»Ist der Sandschaki wach?« fragte ich.

»Ja,« antwortete der eine Soldat.

»Wir müssen sofort zu ihm. Haltet unsere Pferde!«

»Wir dürfen niemand einlassen.«

»Warum?«

»Es ist ein Offizier, ein Abgesandter des Padischah, den Allah segnen möge, von Stambul angekommen; der hat mit ihm zu sprechen und darf nicht gestört werden.«

 

»Wir müssen dennoch zu ihm. Hier habt ihr, um euern guten Willen zu erleuchten!«

Ich drückte ihm einige Silberstücke in die Hand, er hielt sie in den Lichtschein, um zu sehen, wie viel es war, und sagte dann:

»Herr, deine Güte geht über die Befehle, welche wir erhalten haben. Gebt meinem Arkadasch[125] die Pferde, er wird sie gut bewachen; ich aber gehe hinein, um euch den Kol Agasi, welcher die Wache hat, herauszuholen.«

Er ging und kam sehr bald mit dem Offizier zurück. Zu meiner Freude war dies der brave Alte, der so fest an meinen Einfluß auf den Seraskier glaubte. Als er uns sah und erkannte, schlug er vor Erstaunen die Hände zusammen und sagte:

»Ihr seid es, ihr? Effendi, das ist kühn; das ist sogar tollkühn von dir! Man wird euch festnehmen, einsperren und verurteilen. Der Sandschaki war voller Wut über eure Flucht!«

»Ich fürchte ihn nicht. Führe mich zu ihm! Ich habe ihm eine sehr wichtige Mitteilung zu machen, welche keinen Aufschub duldet.«

»Was ist geschehen? Warum kommt ihr wieder?«

»Jetzt habe ich keine Zeit zum Erzählen, denn es ist mir jede Minute wichtig; du wirst aber sehr bald erfahren, was du wissen willst. Also melde uns sofort!«

»Ihr werdet aber wahrscheinlich nicht vom Sandschaki, sondern vom Abgesandten des Sultans empfangen werden!«

»Wer ist das?«

»Es ist ein Dscheneral[126]; wie er heißt, das weiß ich nicht. Er ist am Abend von Bagdad hier angekommen, und seitdem giebt es lauter Geheimnisse hier im Hause. Es sind alle Oberbeamten des Sandschak und auch einige Offiziere versammelt, welche mit großer Heimlichkeit verhandeln. Wenn ich Wüßte, daß du in deinem Berichte mich wirklich lobend erwähnst, würde ich dir etwas mitteilen.«

»Ich erwähne dich; ja, ich werde dich sogar schon in Bagdad empfehlen.«

»So will ich es glauben. Also komm einmal her!«

Er nahm mich bei der Hand, führte mich beiseite und raunte mir ins Ohr.

»Ich glaube, es steht mit dem Sandschaki nicht so, wie es stehen soll. Ich habe hinter der Thür die sehr strenge Stimme des Dschenerales gehört, und dann, als ich hineintrat, war das Gesicht des Sandschaki so voller Verlegenheit, daß ich glaube, es liegt etwas sehr Schlimmes gegen ihn vor. Er hat seit der Anwesenheit des Dschenerales keinen einzigen Befehl erteilt, scheint also nichts mehr bestimmen zu dürfen. Darum denke ich, daß ihr nicht mit ihm, sondern mit dem Boten des Sultans sprechen werdet.«

»Das ist mir sehr lieb. Also melde uns!«

»Das darf ich nicht. Ich darf nur Personen, welche verlangt werden, den Zutritt gestatten und mache mit euch nur deines Berichtes wegen eine Ausnahme, für welche ich wahrscheinlich einen scharfen Verweis bekommen werde. Also anmelden darf ich euch nicht; aber ich kann doch auch nicht immer an der Thür stehen, und wenn ich einmal einen Augenblick nicht dort bin und ihr geht hinein, so kann ich doch nichts dafür.«

»Wo ist diese Thür?«

»Geht dort rechts die Stufen hinauf, dann steht sie euch grad entgegen. Im ersten Gemach befindet sich meine Wache, welche euch zurückweisen wird; wie ihr euch dazu verhaltet, das ist eure Sache; ich darf es euch nicht sagen. Die nächste Stube ist diejenige, in welche ihr zu gehen habt. jetzt entferne ich mich, denn ich darf nichts, gar nichts von euch wissen.«

Er ging auf den Hof hinaus, und ich stieg die Treppe empor und öffnete die bezeichnete Thür. Es gab da einen Onbaschi[127] mit fünf Soldaten. Er trat auf uns zu, um uns den Weg zu verlegen; ich schob ihn aber mit einem strengen »Ruh min han!«[128] auf die Seite, was ihn so verblüffte, daß wir, ehe er zur Besinnung kam, schon im nächsten Zimmer standen.

Da saßen mehrere Civilbeamte rauchend auf den Wandkissen, ein Stück von ihnen entfernt auch einige Offiziere, und auf der andern Seite, ganz allein, von ihnen entweder abgesondert oder gar gemieden, der Sandschaki, nicht rauchend und in sich zusammengesunken. Er hob bei unserm Eintritt den Kopf. Als er sah, wer die Ankömmlinge waren, sprang er rasch auf, eilte hinter uns an die Thür, breitete dort die Arme weit aus, um uns das Fortgehen unmöglich zu machen, und rief:

»Da sind die entflohenen Halunken; da sind sie wieder! Greift zu; haltet sie fest, damit sie nicht wieder entweichen können.«

Die andern erhoben sich sehr schnell von ihren Sitzen und sahen uns mit allen Zeichen der Überraschung an. Ich drehte mich zu dem Sandschaki um und sagte im ruhigsten Tone:

»Reg dich nicht auf! Es fällt uns gar nicht ein, dieses Zimmer zu verlassen, ehe wir unsern Zweck erreicht haben. Wir sind gekommen, mit dir zu sprechen; hoffentlich hast du Zeit?«

»Zeit? ja, Zeit habe ich für euch, ihr Schurken, ihr Hunde, sehr viel Zeit, aber nur um euch binden zu lassen und in das Gefängnis zu stecken!«

»Dazu wirst du wohl nicht kommen, denn nicht wir, sondern andere Personen sind es, welche in das Gefängnis gehören. Ich warne dich überhaupt, mit Halunken, Schurken und Hunden hier herumzuwerfen! Ich bin gewohnt, daß höhere Leute, als ein hiesiger Sandschaki ist, in Achtung mit mir verkehren. Du hast heut oder vielmehr gestern so unverzeihliche Fehler begangen, daß sie dir schlimme Folgen bringen würden, wenn wir nicht jetzt gekommen wären, dir Gelegenheit zu geben, sie wieder gutzumachen. Wir haben also Dankbarkeit und nicht Beleidigungen von dir zu erwarten!«

»Dankbarkeit?« lachte er laut und höhnisch auf. »Ja, die Dankbarkeit der Bastonnade, die soll euch werden! Ein verbrecherisches Gesindel, wie ihr seid, muß – — —«

Da wurde der vor einer weiteren Thür hängende Vorhang zurückgeschlagen; es erschien ein Offizier in voller türkischer Generalsuniform und fragte in streng verweisendem Tone:

»Was für ein Geschrei und Lärm ist das in meiner Nähe! Achtet man den Beauftragten des Großherrn in dieser Weise, daß —«

Er sprach nicht weiter. Sein Blick war auf mich gefallen, und sofort machte der ernste Ausdruck seines Gesichtes einem freundlichen Lächeln Platz. Der Sandschaki bemerkte das nicht und fiel schnell ein:

»Hazretiniz[129], hier stehen zwei ganz gefährliche Strolche, welche mir heut entflohen sind. Sie sind Pascher, Diebe, Räuber und Mörder und müssen sofort festgenommen werden!«

Der General nickte ihm verächtlich zu und antwortete:

»Ich werde sie, besonders den einen, sofort festnehmen, und zwar bei der Hand.«

Er kam auf mich zu, nahm meine beiden Hände, die er herzlich schüttelte, und begrüßte mich in deutscher Sprache:

»Welch eine große Freude, Sie so unerwartet hier zu sehen! Zwar ganz überrascht bin ich nicht darüber, denn ich habe vorhin gehört, daß Sie sich in dieser Gegend befinden, und nahm mir vor, nach Ihnen zu forschen, um Sie aufzusuchen.«

»Wenn Excellenz nicht überrascht sind, so bin ich es um so mehr,» antwortete ich, »da ich nicht ahnen konnte, daß Sie sich in Irak Arabi und gar hier in Hilleh befinden. Ich sehe, daß Sie in so unerwartet kurzer Zeit den Oberst« überstiegen haben; darf ich gratulieren, Herr General?«

»Danke! Ich wurde ausersehen, ganz plötzlich in einer sehr heiklen Angelegenheit nach Hilleh zu reisen, um, mit den nötigen Vollmachten ausgerüstet, den hiesigen Sandschaki zu überrumpeln und verhörlich vorzunehmen.«

»Ah! So hat er sich in irgend einen Verdacht gebracht?«

»Es handelt sich nicht bloß um einen Verdacht, sondern es ist mir gelungen, schon Beweise gegen ihn in die Hand zu bekommen. Sie wissen, daß der Schah Nasr Eddin nach dem Besitz von Bagdad trachtet. Er hat vor einigen Jahren die Bedrängnis der Türkei benutzt, es zurückzuverlangen, stieß aber auf unerwarteten Widerstand. jetzt nun mehren sich die Zeichen, daß er diese Absichten in anderer Weise verfolgt, und dabei ist denn der hiesige Sandschaki im höchsten Grade kompromittiert. Ich habe hier noch nicht alles durchgesehen, weiß aber schon jetzt, daß ihm zunächst die Amtsenthebung und dann noch größere Strenge bevorsteht. Er hat auch Sie und Ihren guten Halef in einer Weise behandelt, welche mehr als bloß eine einfache Rüge verdient.«

»Das wissen Excellenz?«

»Ich weiß alles ganz genau. Der Miralai, der sich sehr für Sie interessiert, hat es mir erzählt.«

Er deutete hinter sich auf den Oberst, der nach ihm eingetreten war, derselbe Miralai, der sich während der Mehkeme so wohlwollend unser angenommen hatte, und fuhr dann fort:

»Dieser Oberst ist ein braver Mann, und seiner Unterstützung habe ich hier schon viel zu verdanken. Ich werde ihn empfehlen.«

Bei diesen Worten fiel mir der alte Kol Agasi ein, und so fragte ich ihn, obgleich ich eigentlich viel Notwendigeres zu sagen hatte:

»Excellenz sprachen von Vollmachten. Würden diese sich vielleicht auch darauf erstrecken, einen altgedienten Kol Agasi mit einer höheren Charge zu beglücken?«

Er sah mir mit einem pfiffigen Lächeln in das Gesicht und antwortete:

»Er hat sich natürlich um Sie verdient gemacht?«

»Sehr!«

»Das muß der Padischah belohnen. Sie wissen, es ist bei uns, und zumal hier in dieser abgelegenen Provinz, so manches möglich, was anderwärts wohl nicht geschehen dürfte. Ich will also Ihr Herz durch die Mitteilung erleichtern, daß es mir nicht schwer fallen wird, ihn zum Alai Emini oder Bimbaschi nicht bloß vorzuschlagen, sondern gleich zu machen. Wollen Sie mir mitteilen, in welcher Weise er sich so verdient um Sie gemacht hat?«

»Ich bitte, dies später thun zu dürfen, da mir in diesem Augenblicke die Zeit dazu mangelt. Es ist jetzt jede Minute bei mir angerechnet, denn es gilt, eine höchst gefährliche Verbrecherbande aufzuheben und dabei einen Fang zu machen, wie er hier wohl noch nicht vorgekommen ist.«

»Hängt das mit ihrer Anwesenheit am Birs Nimrud, mit Ihrer Gefangennahme und nachherigen Flucht zusammen?«

»Sehr eng.«

»So erzählen Sie mir schnell alles, aber kurz und bündig, weil Sie keine Zeit haben! Wie ich Sie kenne, handelt es sich um eine interessante Begebenheit, und es sollte mich freuen, wenn es mir möglich wäre, mich auch einmal an einem Erlebnisse Kara Ben Nemsis zu beteiligen.«

»Oh, was das betrifft, so stecken Excellenz schon mitten in einem Erlebnisse drin,« lachte ich, »und es würde Ihnen wohl schwer fallen, ganz unbeteiligt wieder herauszukommen!«

Nun folgte ich seiner Aufforderung und gab ihm den gewünschten Bericht, den er mit gespannter Aufmerksamkeit entgegennahm. Es läßt sich denken, welchen Eindruck sein zu mir so freundschaftliches Verhalten auf die Anwesenden machte. Sie verstanden zwar, weil wir deutsch sprachen, kein Wort unserer Unterredung, aber sie mußten doch sehen, daß wir einander nicht nur kannten, sondern in noch näherer Beziehung zu einander standen.

Ich lasse nämlich den General nicht etwa als schriftstellerischen Deus ex machina an dieser Stelle erscheinen; das wäre, wenn es sich nur um Phantasiegebilde handelte, ein ganz überflüssiges Verfahren, eine vollständig unnötige Verschwendung von Papier, Tinte und Buchdruckerschwärze, weil der schon vorhandene Sandschaki mir ganz dieselben Dienste leisten könnte, wie der an den Haaren herbeigezogene »Dscheneral«. Dieser letztere, den ich Freund nennen darf, ist vielmehr eine hervorragende militärische Persönlichkeit, sogar Autorität und durch den Gang seines bewegten Lebens im höchsten Grade interessant.

115»Anderswo«.
116Schlächter, Fleischer.
117Kiste, Truhe.
118Leiter.
119Sänfte.
120»Galopp!«
121In einem Striche, einer Linie.
122Wirbelwind.
123»Erbrechen des Meeres« = Seekrankheit.
124Palast.
125Kamerad.
126General.
127Korporal.
128»Mach dich fort!«
129Eure Excellenz.