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Leïlet

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Da drehte ich mich um, schritt durch die Oeffnung des Geländers und befand schon der Thür nahe, als es angstvoll hinter mir erscholl:

»Bei dem Barmherzigen, bleib!«

Langsam drehte ich mich um und konnte nun die Züge des Erregten in ihrer häßlichsten Entstellung sehen. Die Spuren der Leidenschaften sprachen sich jetzt mit einer so widerwärtigen Deutlichkeit in ihnen aus, daß ich meinen Sieg fast bereute und ihm mit einer raschen Handbewegung alle weiteren Worte abschnitt.

»Laß Deine Rede schweigen! Der Christ vergiebt auch ohne laute Sühne; es ist so gut, als hättest Du gesprochen. – Nun laß uns Deines Herzens Kummer heilen und zu der Kranken gehen, um sie zu sehen.«

Wie von einem Stoße getroffen, fuhr er zurück.

»Maschallah, bist Du toll? Der Geist der Wüste hat Dein Hirn verbrannt, daß Du nicht weißt, was Du forderst. Das Weib muß sterben, auf welchem das Auge eines fremden Manne ruhte!«

»Sie wird noch sicherer sterben, wenn mein Auge sie nicht sehen darf. Ich muß den Schlag ihres Pulses messen und Antwort von ihr hören über Vieles, was ihre Krankheit betrifft. Nur Allah ist allwissend und braucht Niemand zu fragen.«

Wieder erhob sich ein heftiger Kampf und es dauerte lange, ehe er unter allerdings sehr beschränkenden Bedingungen auf mein Verlangen einging.

Ich durfte sämmtliche Frauengemächer sehen, da ich sehr absichtlich die Behauptung ausgesprochen hatte, daß der Grund des Uebels in irgend einem ungesunden Zustande der Wohnung liegen könne. Natürlich schien ich an eine rein körperliche Erkrankung zu glauben, obgleich ich schon seit der ersten Aufzählung der Symptome wußte, daß eine Herzens- und Gemüthskrankheit vorliege, und ich war sehr geneigt, anzunehmen, daß die Ursache in einem Zwange zu suchen sei, der die Patientin in die Hände Abrahim-Arha‘s gebracht hatte.

Ferner durfte ich sie gehen sehen und die ersten drei Finger meiner rechten Hand um ihr Handgelenk legen, um den Puls zu fühlen. Sodann durfte ich ihr diejenigen Fragen vorlegen, welche ich für ganz und gar unumgänglich hielt; doch mußte sie mit jeder Antwort warten, bis sie von ihm die Erlaubnis dazu erhielt.

Ich war sehr zufrieden mit diesen Zugeständnissen; denn sie gewährten mir mehr, als jemals wohl einem Europäer zugestanden worden ist. Die Liebe des Egypters und infolge dessen auch seine Sorge mußte wohl eine sehr ungewöhnliche sein, da er sich zu solchen Opfern verstand. Freilich konnte ich die ingrimmigste Erbitterung gegen mich aus jeder seiner Mienen lesen, denn ihm war ich ein leider unabweisbarer Eindringling in die bisher unentweihten Mysterien seiner inneren Häuslichkeit, und ich hegte die Ueberzeugung, daß ich ihn auch selbst im Falle einer vollständigen Heilung als unversöhnlichen Feind zurücklassen würde.

Jetzt war er gegangen, um das Nöthige selbst anzuordnen, denn keiner seiner Diener durfte ahnen, daß er einem Fremden Eintritt in das Heiligthum verstatte. —

Endlich kehrte er zurück. Es lag ein Ausdruck fester, trotziger Entschlossenheit um seinem zusammengekniffenen Mund, und mit einem Blicke voll versteckt sein sollendem und doch hervorbrechendem Hasse drohte er:

»Bei der Seligkeit aller Himmel, Effendi, sobald Du ein Wort sprichst, was ich nicht wünsche, oder nur das Geringste mehr thust, als Dir erlaubt ist, stoße ich sie nieder. Ich schwöre es bei jedem Worte des Korans und bei allen Kalifen, deren Andenken Allah segnen möge!«

Er hatte mich also doch kennen gelernt und wußte, daß ihm diese Versicherung mehr nützen würde, als die sanguinischesten Drohungen, wenn sie gegen mich selbst gerichtet waren. Uebrigens war es mir ja gar nicht in den Sinn gekommen, ihn in seinen Rechten zu kränken, nur konnte ich mich bei seinem Verhalten je länger desto weniger einer Ahnung entschlagen, daß sein Verhältniß mit der Kranken irgend einen dunklen Punkt habe.

Wir gingen. Er schritt voran und ich folgte.

Zunächst kamen wir durch einige fast in Trümmern liegende Räume, in denen allerlei nächtliches Gethier sein Wesen treiben mochte; dann betraten wir ein Gemach, welches als Vorzimmer zu dienen schien, und nun folgte der Raum, welcher allen Anzeichen nach als eigentlicher Frauendivan benutzt wurde. All‘ die umherliegenden Kleinigkeiten waren solche, wie sie von Frauen gesucht und gern benutzt werden.

Eine größere Ausdehnung schien der Harem außer einem noch anstoßenden Raume nicht zu haben, und das unentbehrliche Bad lag jedenfalls unten zur ebenen Erde.

»Nun siehe, ob Du den Dämon der Krankheit hier findest!« forderte mich Abrahim mit einem halb spöttischen, halb gläubigen Lächeln auf. »Ich will sehen, ob die Sonne ihr Angesicht verhüllt hat vor dem Auge des Fremden. Wage nicht, mir nachzufolgen, bis ich wiederkomme!«

Ich war allein. Wo war sie? War sie da draußen? Ganz gewiß; seine Wort waren ja deutlich genug. Wer sie doch sehen könnte, Leïlet, die Nacht, die kranke, todesmatte! Welch‘ süßer, lieblicher, sinnbethörender Duft strömte und fluthete doch hier um mich! Waren das die sterbenden Wohlgerüche der hier gepflegten und verwelkten Blumen, oder war es der würzige Hauch ihres reinen, jungfräulichen Mundes, der sich bisher gegen die Küsse des Verhaßten gewehrt hatte? Es war mir so wunderbar, so märchensüß zu Muthe, gerade so, als käme eine jener Feen, wie sie in den Märchen leben, hereingeschwebt, um meine Kühnheit zu erproben, die dann gefeit ist und Alles vollbringen kann, ohne selbst Schaden zu leiden.

Mit Anstrengung mußte ich mich aus dieser Stimmung herausreißen und ließ mein Auge durch den Raum schweifen. Ich hatte ja gewußt, daß der Heerd der Krankheit hier nicht zu suchen sei, und war nur von dem Wunsche hergeführt worden, einmal das Innere eines Harems zu sehen. Es war hier ganz dieselbe Einrichtung getroffen, wie im Zimmer des Hausherrn: das Geländer, der Divan, die Nische mit den Kühlge – doch halt, halt, was ist das?

Auch hier, grad‘ so wie dort, befindet sich grad‘ über diesen Gefäßen ein Zuchloch in der Mauer, damit die Abkühlung des Wassers rasch vor sich gehe und auch den Nebengelassen mit zu Gute komme, und diese Oeffnung, sie führt —

Mit einigen raschen Schritten bin ich an der Mauer, neige das Auge an die Oeffnung und – ja, das ist sie, das ist Leïlet, die Nacht, die Nacht des Südens, wie sie dem Thore des Abendrothes entschweben müßte, wenn ihr der Schöpfer die Erlaubniß gäbe, in menschlicher Gestalt wieder auf die traumbedürftige Erde zu steigen! Das ist die Nacht, die himmlische, das ist Leïlet mit den dunklen, fast an der Erde schleifenden, sie wie ein Schleier umwallenden Locken.

Leïlet mit dem reinen, blassen, schwermuthsernsten und doch so milden, unvergleichlich schönen Angesichte, Leïlet mit Augen so offen und groß, so tief und klar, in deren Blicke sich die ganze unberührte Unschuld eines Kindes mit dem Herzensglühen des beglückenden Weibes vermählt, Leïlet mit der weichen, herrlichen Gestalt, wie sie kaum der Meißel des Künstlers dem Marmor zu entlocken vermag, Leïlet, die thauzerfließende, die weinende, an deren Wimpern die Diamanten des Schmerzes glänzen, Leïlet – doch nein, das ist nicht eine gottgewollte Incarnation jener sterngeschmückten Göttin, deren Kommen und Scheiden der Himmel mit purpurnen Flammen und goldenen Reflexen feiert, sondern das ist ein vom tiefsten Grame zerrissenes Menschenkind, welches keinen Seufzer auf der Lippe trägt, weil sein ganzes Dasein eine einzige, ungestillte und ungehörte Klage ist.

Sie hat seinen Befehlen noch nicht Gehorsam geleistet, in der Tiefe ihres Schmerzes vielleicht noch gar nicht wieder an sie gedacht und steht nun da im leichten, sich innig an die Glieder schmiegenden Gewande, während er unter allen möglichen Drohungen sich bemüht, sie zu schnellerem Anlegen der entstellenden Hüllen zu bewegen.

Ich habe genug gesehen, trete zurück und begebe mich, um nicht den leisesten Verdacht zu erregen, auch noch zurück in das vordere Gemach. Ich habe noch nie die Liebe gekannt, habe gescherzt, gespottet und gelacht über die Schwächlinge, die ihre goldene Freiheit für einige Tage des Tändelns verkaufen, um in Ketten und beengenden Banden zu erwachen; nie sollte mein Herz anders klopfen, als unter dem Knalle meiner Büchse oder der Arbeit eines begeisternden Schaffens, und jetzt – ? Ein einziger Augenblick, ein einziger kurzer Moment hat tief hinunter in das starre Herz gegriffen, um ein Leben, Knospen, Treiben, Blühen, ein Sehnen, Verlangen und Begehren zu erwecken, von dessen Dasein ich bisher keine Ahnung hatte, dessen Größe ich jetzt noch gar nicht ermessen kann, und dessen Reichthum sich mir erst in der Zukunft zu zeigen vermag. Nur das Eine fühle ich – nein, das weiß ich mit der heiligsten und unumstößlichsten Sicherheit: daß die Stunden ihres Aufenthaltes in diesem Hause gezählt sind.

Doch hier gilt es nicht, zu träumen und zu säumen; es will gehandelt sein! Das Gitter, welches die Stelle des Fensters vertritt, besteht aus zwei senkrecht an einander geschobenen Theilen, welche aus einander gezogen oder geschoben werden können, falls es einmal nothwendig ist, die Oeffnung frei zu geben. Bei näherer Betrachtung bemerke ich einen schmalen Holzriegel, welcher die beiden Hälften zusammenhält; rasch ist er, ohne die Stellung des Gitters zu verändern, beseitigt, und das Glück mag alles Uebrige besorgen! —

»Tritt herein, Effendi!« tönte die Stimme Abrahims.

Ich trat wieder ein. In weite Gewänder gehüllt, stand sie tief verschleiert an der hinteren Wand des Zimmers. Nichts war von ihr zu sehen, als die kleinen, in Sammetpantoffeln steckenden Füße.

»Einige Schritte gehen!« wandte ich mich an den Egypter.

Bei dem Klange meiner Stimme fuhr der Kopf mit einem raschen, jähen Rucke empor, und es schien mir, als ob die dunklen Augen mit einem überraschten und ängstlich forschenden Ausdruck durch die Schleierlücke hindurch auf mir ruhten. Ich bedurfte meiner ganzen Kaltblütigkeit, um ruhig zu scheinen.

 

Auf das Geheiß ihres Gebieters vollführte sie einige Bewegungen, deren Unsicherheit ich aber mehr auf Rechnung der Befangenheit, als der Schwäche schrieb; dann begann ich meine Fragen, deren Enthaltsamkeit Abrahim vollständig befriedigte.

Endlich ließ ich mir die Hand reichen, und fast wäre ich trotz der ernsten Situation in eine laute Heiterkeit ausgebrochen, als ich sah, daß die Hand so vollständig in ein dickes Tuch gebunden war, daß es unmöglich war, auch nur die Lage oder Form eines Fingers durch dasselbe zu unterschieden. Der Arm war in der Weise ebenso verhüllt, daß am Handgelenke grad‘ genug freier Raum blieb, meinen kleinen Finger zu placiren. Und bei so eingeschnürtem Arme und so zusammengepreßter Hand sollte ich aus dem Pulse meine richtigen Schlüsse ziehen!

Ich gab mir doch den Schein dazu, und obgleich mein Gesicht die strengste Unempfindlichkeit bewahrte, war es mir bei der Berührung der kleinen, weichen, weißen Stelle doch, als fließe ein unbeschreibliches Etwas auf mich über und gäbe mir Verständniß für die geheimste Regung des hinter den dichten Gewändern klopfenden Herzens. Es war, als sei ich jetzt nicht mehr ich, sondern Eins mit ihr, als fühlte ich jeden Tropfen ihres Blutes rollen und jeden Gedanken erwachen und jetzt – ja, jetzt wollte sie mir etwas sagen – ich sah Nichts, kein Zeichen, nein, aber ich wußte es und neigte mein Ohr tiefer, wie um den Puls ihres Handgelenkes nicht blos zu fühlen, sondern auch zu hören, und – wirklich, da wehte es leise, leise, fast unhörbar durch den Schleier:

»Rette mich!«

Das was Alles so schnell und wie unter dem Einflusse eines unwiderstehlichen sympathetischen Gesetzes geschehen, daß Abrahim Nichts gemerkt hatte, trotzdem er dicht an meiner Seite stand. Ich mußte ihr eine Antwort geben, und noch ehe der Tyrann sie fortschicken, oder sich selbst mit mir entfernen konnte, gab ich den kurzen Bescheid:

»Allah kerihm, Gott ist gnädig; bald wird die Krank-

heit dieses Haus verlassen. Mein Trank muß Schlaf und tiefe Ruhe bringen, und dann wird neue Kraft einziehen in die kranke Seele. Leïlkum saaïde, glückliche Nacht!«

Ich konnte im Gehen diesen Gruß jetzt aussprechen; während der langen Verhandlungen mit Abrahim war der Nachmittag vergangen, und jetzt dunkelte der Abend in seiner südlich schnellen Weise schon herein. Omar Arha wurde gerufen, da ich ein Opiat geben mußte, und dann brachen wir auf.

Meine Versicherung, daß ich die Patientin in kurzer Zeit vollständig herstellen werden, hatte Abrahim-Arha bewogen, das Vorhergegangene einstweilen zu vergessen, und so bot er mir für die Nacht seine Gastfreundschaft an. Ich schlug diese ebenso aus wie jedes Geschenk, zu welchem er sich geneigt zeigte; doch konnte und wollte ich auch gar nicht verhindern, daß mein treuer Omar mit einem Bakschisch beglückt wurde, wie er es wohl seit langer Zeit nicht bekommen hatte.

Als wir das Boot bestiegen, welches uns unter der Leitung unseres vorigen Führers wieder zurückbringen sollte, wandte er sich deshalb mit stolzem Selbstbewußtsein zu dem Diener:

»Wir werden das Weib Deines Gebieters gesund machen, trotzdem sie keine Seele hat. Dafür hat der Mann, den Du Abrahim-Arha nennst, meine Hand mit Segen gefüllt, war mir lange nicht so wehe thut, wie daß Du deshalb Deine guten hundert Streiche eingebüßt hast. Ich bin gern bereit, sie Dir aus unseren eigenen Mitteln zu erstatten, und paßt es Dir auch jetzt nicht gleich, so komme in drei Tagen wieder. Wir reisen morgen noch nicht ab!«

Unser Boot legte in der Nähe einer Dahabïe, einer Nilbarke an, welche wegen Mangel an Wind das Ufer gesucht hatte. Die Taue waren befestigt, die Segel eingezogen und nach dem frommen muhamedanischen Gebrauche lud der Reïs, der Kapitän des Schiffes, seine Leute zum Abendgottesdienste.

»Haï al el salah, auf, zum Gebete,« tönte seine tiefe, männliche Stimme, und schon im Fortgehen, wandte ich mich schnell wieder zurück.

Hatte ich recht gehört? War das wirklich mein alter Freund Hassan, der Abu el Reïsahn, der Vater der Schiffsführer, wie er von allen seinen Bekannten genannt wurde? Die Stimme war die seinige; klar und deutlich schallte sie vom Bord herüber, und als er die letzten Worte: »el salem aleïkum, der Friede sei mit Euch,« mit einer Betonung gesprochen hatte, die nur ihm eigenthümlich war, konnte ich keinen Zweifel mehr hegen.

Fast hüpfte mir das Herz vor Freude über diese willkommene Ueberraschung. Auf ihn, meinen alten Führer und Beschützer, konnte ich mich in jeder Lage, auch in der gegenwärtigen verlassen. Wir hatten zahlreiche Fahrten und Kameelwanderungen mit einander unternommen und uns in der Folge der gemeinschaftlich bestandenen Gefahren so innig zusammengelebt, als seien wir Vater und Sohn. Nach wenig Augenblicken stand ich bei ihm auf dem Schiff und fühlte die kräftige Umarmung, mit welcher er mich, ganz gegen den kalten orientalischen Gebrauch, an sich drückte.

»Heil sei mit Dir, mein Sohn, daß Du meinen Augen Dein Angesicht zeigest; Allah hat Dich beschützt mitten im Gifte des Sudan, damit mein Herz Freude an Dir habe. Komm, steige über die Gummiballen und laß mich hören, was Deinen Fuß an diesen schlimmen Ort geführt!«

»Ein schlimmer Ort?«

»Vor dem Auge des Ungerechten welkt das Gras, und vor seinem Blicke sterben die Blumen des Feldes. Weißt Du nicht, daß hier Abrahim-Arha wohnt, der sich früher Hedjahn-Bei nannte?«

»Hedjahn-Bei, der Mörder der Karawanen!« rief ich so laut, daß es weit über das Wasser schallte und Hassan mich mit einer angstvollen Bewegung zum Schweigen mahnte. »Hedjahn-Bei, der dann vom Vicekönig begnadigt wurde, um seine früheren Spiegesellen an den Strick zu liefern?«

»Ja, Hedjahn-Bei, der auch uns beraubte und gefangen nahm, und dem wir nur entkamen, weil Du sein Kameel tödtetest!«

»Komm näher, immer näher, damit kein anderes Ohr meine Worte vernehme, Abu el Reïsahn! Weißt Du, daß ich bei ihm war?«

»Bei ihm? Kannte er Dich wieder?«

»Fast. Er zeigte mir seinen Harem.«

»Seinen Harem? Allah bewahre Deinen Kopf! Hat Dich die Sonne gestochen?«

»Ich bin gesund und bei Sinnen, Hassan; Du sollst Alles wissen. So höre!«

Ich erzählte ihm das Abenteuer des heutigen Nachmittages, aber ohne noch Etwas über meinen Entschluß, die Kranke zu befreien, verlauten zu lassen.

Seit ich nun wußte, warum mir Abrahim-Arha so bekannt vorgekommen war, hatte dieser Entschluß womöglich noch an Festigkeit gewonnen. Hassan hörte mir lautlos bis zum Shclusse meiner Erählung zu und beobachtete auch dann noch ein nachdenkliches Schweigen. Endlich frage er langsam und mit Betonung:

»Wann willst Du fortgehen von hier?«

»Noch diese Nacht.«

»Und die Rose dieses Mörders?«

»Sie wird mit mir gehen,« antwortete ich, erstaunt über den Scharfsinn des Alten, welcher mich vollständig errathen hatte.

»Mein Sohn – «

»Laß Deine Zunge schweigen, mein Vater!« fiel ich ihm in die Rede. »Ich weiß, was Du mir sagen willst und kenne meine Wege. Du sollst nicht sündigen an dem Gesetze des Propheten; aber zur Zeit des ersten Gebetes wirst Du mit dem Schiffe da sein, wo mein Kahn Dich erwartet.«

Wieder schwieg er eine geraume Zeit; dann antwortete er:

»Die Dahabïe ist nicht mein Eigenthum. Ich komme vom Bahr el abiad, wo ich Gummi und Senna bestellt habe, und reise als Gast zurück. Aber um die Zeit der Morgenröthe werden wir schon weit von diesem Orte sein.«

Damit war es abgemacht. Der alte »Vater der Schiffsführer« stand in so hohem Ansehen bei seinen Standesgenossen, daß er auf jedem von ihm bestiegenen Schiffe sich getrost als Herr benehmen konnte, und ich wußte, daß

er mir den größtmöglichen Schutz gewähren werde, trotzdem er als Muselmann sich nicht näher in eine Angelegenheit einlassen konnte, welche sich zwischen einem Weibe und einem Ungläubigen entwickeln sollte. —

In meine Wohnung zurückgekehrt, ging es vor allen Dingen nun eifrig an‘s Einpacken. Meine Sammlungen gab ich in Obhut des mir freundschaftlich gesinnten Consuls, den ich noch besuchte, und alles Uebrige mußte Omar auf die Dahabïe besorgen. Sodann construirte ich mir eine Laterne, wie sie zu dem vorliegenden Zweck am besten geeignet erschien. Ich füllte nämlich ein kleines geschliffenes Fläschchen fast bis an den Rand mit feinem Oele und gab ein Stückchen Phosphor hinein; dann schloß ich die Vorrichtung luftdicht zu und hatte eine Laterne, die nicht nur einen genügenden Lichtschimmer verbreitete, sondern auch wenig Platz beanspruchte und selbst unter dem Wasser keinen Schaden erleiden konnte.

Zuletzt noch, als ich die Briefschaften in das Portefeuille schloß, fiel mir der letzte Brief meines Bruders in die Hände. Er war von Kairo datiert und lautete an einer seiner Stellen:

… »Ich weiß, daß Du mit Deinem mehr auf die That gerichteten Character die Liebe für eine Schwäche hältst und kann leider Deine Ansicht auch nicht widerlegen, da Du noch kein Wesen getroffen hast, welches es verstanden hätte, sich aller Gefühle und Empfindungen Deines Herzens zu bemächtigen. Aber wenn Dir ein derartiges Wesen entgegen träte, wie ich es voll unendlicher Seligkeit in meinen Armen halte, so würde auch Dein Gemüth sich dem Sonnenstrahle der Liebe öffnen und alle Stimmen Deines Innern müßten zusammenklingen zu einem einzigen großen, unendlichen Jubel. Du weißt, daß ich ein nüchternes Menschenkind und kein Phantast und Schwärmer bin, aber seit ich in diese Auge geblickt, seit ich diese Lippen geküßt, seit diese Locken mir duften und diese Stimme mir klingt, habe ich einen guten Theil des trägen, irdischen Stoffes abgestreift und lebe in einer ununterbrochenen Entzückung, welche mich fast an die Himmel Muhamed‘s glauben läßt. Lache und spotte meinetwegen über mich, aber komm‘ und siehe selbst – ich bin überzeugt, daß dann Dein Spott verstummen wird! ....«

Wirklich hatte ich mich beim Lesen dieser Zeilen eines gewissen Lächelns nicht erwehren können; jetzt aber weckte die Wiederholung ganz andere Gefühle in meinem Herzen.

Welch‘ eine Schickung, daß wir beide fast zu gleicher Zeit unsere bisher so widerstrebenden Nacken unter dem Scepter der Schönheit beugen mußten! Welch‘ ein Glück, daß uns das Geschick grad‘ in dieser seligen Zeit zusammenführen sollte! Und welch‘ eine Wonne, welche uns im enggeschlossenen Kreise für die ganze Zeit unseres Lebens erwartete! —

Der Kahn stieß ab.

Es war eine jener Nächte, in denen die Natur in so tiefem Vertrauen ruht, als gäbe es auf der ganzen weiten Erdenrunde keine einzige drohende oder störende Macht.

Die leisen Lüfte, welche mit den Schatten der Dämmerung gespielt, waren zur Ruhe gegangen; die Sterne des Südens lächelten verschwiegen aus dem tiefblauen Dunkel des Himmels herab, und die Wasser des göttlichen Stromes flutheten ruhig und fast lautlos in ihrer breiten Bahn dahin. Wir ließen das klein, schwanke Fahrzeug von den Wellen treiben. Ich lehnte halb liegend am Steuer; Omar saß regungslos und träumend bei den eingezogenen Rudern, und so gaben wir uns widerstandslos der Ruhe hin, welche jeder That, sei es in der großen Gottesnatur oder im Leben des schaffenden Menschen, voranzugehen pflegt.

Auch in den Tiefen meines Innern herrschte Ruhe, stille, friedliche Ruhe; es war, als zöge ein heiliger Gotteshauch über die Gefilde meines Herzens, und ich dachte unwillkürlich an die Worte des orientalischen Königs, welcher unter den Palmen Zions dem Herrn Jehova die Klänge seiner Psalmen opferte: »Meine Seele ist stille in Gott!« Ja, so war es; die wahre Liebe lehnt sich an Gott, gründet sich auf das Vertrauen zu seiner Hülfe und spricht in der Stunde der Gefahr: »Mit dem Herrn wollen wir Thaten thun.«

Es war nichts Leichtes, was ich zu vollbringen gedachte; denn ich wollte mich in die Höhle des Löwen wagen, vor dessen Namen das ganze Nilthal, die angrenzenden Wüstenstrecken und die in ihnen zerstreuten Oasen gezittert hatten; die Schießwaffen mußte ich zurücklassen und sah mich also fast wehrlos ihm und den Seinen gegenübergestellt, falls ich überrascht und entdeckt wurde. In diesem Falle konnte ich auch auf den Beistand meines sonst so tapfern Dieners nicht zählen, denn dieser mußte zurückbleiben, um das Boot zu bewachen und den an das Ufer befestigen Kahn Abrahims in den Grund zu bohren, damit eine etwaige Verfolgung abgeschnitten und verhindert werde. Aber die Gefahr war mir so oft begegnet, daß ich mich nach und nach an sie gewöhnt hatte, und zudem galt es hier ja einen Preis, für den das größte Wagniß noch kein zu hohes Opfer genannt werden konnte.

Also vorwärts; bis zur Morgenröthe ist es keine Ewigkeit, und jetzt gilt es zu handeln; dort heben sich schon die dunklen Umrisse des Gebäudes aus ihrer grauen, steinigten Umgebung hervor!

Ich ließ mich eine Strecke oberhalb des Ortes, den Omar dann in einem weiten Bogen umfahren sollte, um weiter unten anzulegen, an das Land setzen und schritt dann vorsichtig, zwischen den zerstreut umherliegenden Felsenblöcken Deckung nehmend, der Mauer zu, um zunächst zu recognosciren.

 

Wie sich allerdings erwarten ließ, war das äußere Thor verschlossen; aber es war auch in keiner Weise die Spur eines lebenden Wesens zu bemerken, ein Umstand, welcher mich mit Genugthuung erfüllte, denn so konnte ich annehmen, daß die Bewohner der einsamen Hauses nicht mehr wach seien.