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Leïlet

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Wohlan, Ihr jungen Männer, Ihr muthigen Helden, geht an Eure Plätze,« gebot nun der Führer, »denn der Strom hat uns jetzt ergriffen!«

Das Commando eines Nilschiffes läuft nicht so ruhig ab, wie die Führung eines Fahrzeuges auf abendländischem Gewässer. Das heiße Blut des Südens rollt durch die Adern und treibt den Menschen von dem Extrem der ausschweifendsten Hoffnung herab auf dasjenige der tiefsten Verzweiflung. Alles schreit, ruft, brüllt, heult, betet oder flucht im Augenblicke der Gefahr, um im nächsten Momente noch lauter zu jubeln, zu singen und zu jauchzen. Dabei arbeitet ein Jeder mit Anspannung aller Kräfte und der Schiffsführer springt von Einem zum Andern, um Jeden anzufeuern, tadelt die Säumigen in Ausdrücken, wie sie nur ein Araber sich auszudenken vermag, und belohnt die Andern mit den süßesten und zärtlichsten Namen, unter denen das Wort »Held« sich am meisten wiederholt.

Wir hatten uns schon heut Morgen auf das Passiren der Schnelle vorbereitet und Reservemannschaft eingenommen. Jedes Ruder war doppelt besetzt, und am Steuer standen drei Barkenführer, welche jeden Fußbreit des Stromes hier kannten.

Mit furchtbarer Gewalt rauschten die Wogen jetzt über die kaum vom Wasser bedeckten Felsenblöcke; die Wellen stürzten schäumend über das Deck und der Donner des Kataraktes übertäubte jedes Kommandowort. Das Schiff stöhnte und krachte in allen Fugen; die Ruder versagten ihre Dienste, und, dem Steuer vollständig ungehorsam, tobte die Dahabïe durch den kochenden Gischt.

Da treten die schwarzen, glänzenden Felsen vor uns eng zusammen und lassen nur noch ein Thor offen, welches kaum die Breite unseres Schiffes hat. Die Wogen werden durch dasselbe förmlich hindurchgepreßt und stürzen sich in einem dicken mächtigen Strahle nach unten in ein Becken, welches übersäet ist von haarscharfen und nadelspitzen Steinblöcken. Mit sausender Hast schießen wir dem Thore zu. Die Ruder werden eingezogen. Jetzt sind wir in dem furchtbaren Loche, dessen Wände uns zu beiden Seiten so nahe sind, daß wir sie mit den Händen erreichen können. Als wolle es uns hinaustreiben in die Luft, so schleudert uns die rasende Gewalt der Strömung über die sprühenden Kämme des Falles hinaus; wir stürzen hinab in den Schlund des Kessels; es brodelt, spritzt, rauscht, tobt, donnert und brüllt um uns her, als wären die Geister von tausend Höllen losgelassen – da packt es uns wieder mit unwiderstehlicher Macht und reißt uns eine schiefabfallende Ebene hinab, deren Wasserfläche glatt und freundlich vor uns liegt, aber gerade unter dieser Glätte die gefährlichste Tücke birgt, denn wir schwimmen nicht, nein, wir fallen, wir stürzen mit rapider Vehemenz die abschüssige Bahn hinab, und —

»Allah kerihm, Gott ist gnädig!« tönt jetzt die schrille Stimme Hassans. »An die Ruder, an die Ruder, Ihr Männer, Ihr Helden! Seht Ihr den Tod denn nicht vor Euch? Amahl, amahl, ja Allah amahl, macht, macht, bei Gott, macht, Ihr Hunde, Ihr Feiglinge, Ihr Söhne, arbeitet, arbeitet, Ihr Männer, Ihr Tapfern, Ihr Helden!«

Wir schießen einer Scheere zu, welche sich gerade vor uns öffnet und uns im nächsten Augenblicke vernichten muß. Die Felsen sind so scharf und der Fall des Stromes so reißend, daß von dem Schiffe kein handgroß Holzes beisammen bleiben kann.

»Allah ja sahtir, o Du Bewahrer, hilf! Links, links, Ihr Hunde, Ihr Söhne von Hunden, Ihr Enkel von Hundesöhnen, links, links mit dem Steuer, Ihr Braven, Ihr Herrlichen, Ihr Unvergleichlichen! Allah, Allah! Maschallah, Gott sei Dank!«

Das Schiff hat den fast übermenschlichen Anstrengungen gehorcht und ist vorübergeflogen. Auf einige Augenblicke befinden wir uns im ruhigen Fahrwasser und Alles stürzt auf die Kniee, um dem Allmächtigen zu danken.

»Eschhetu inu la il laha il Allah!« tönt es jubelnd über das Deck. »Bezeuget, daß es nur einen Gott giebt! Sellem aaleïna be baraktak, begnadige uns mit Deinem Segen!«

Da kommt es hinter uns hergeschossen, wie von der Sehne eines Bogens geschnellt. Es ist der Sandal, welcher dieselben Gefahren hinter sich hat, wie wir. Seine Schnelligkeit ist jetzt wieder größer als die unsrige, und er muß an uns vorüber. Aber das offene Fahrwasser ist so schmal, daß wir nur mit Mühe auszuweichen vermögen, und fast Bord an Bord rauscht er vorbei. Am Maste lehnt Abrahim-Arha, die Rechte hinter sich versteckend. Mir gerade gegenüber reißt er die verborgen gehaltene, lange arabische Flinte an die Wange – ich werfe mich nieder – die Kugel pfeift über mich hinweg – und in der nächsten Secunde ist der Sandal uns weit voran.

Alle haben den Meuchelversuch gesehen, aber Niemand hat Zeit zur Verwunderung oder zum Zorne, denn wieder packt uns die Strömung und treibt uns in ein Labyrinth von Klippen. Eben will ich einmal nach der Kajüte, um mich von dem Befinden Leïlets zu überzeugen, als mich ein lauter Schrei zurückblicken heißt.

Der Sandal ist an einen der Felsen gerannt und von der Gewalt des Stoßes ein Mensch über Bord geworfen worden. Die Schiffer schlagen die Ruder in die Fluth und das nur leicht beschädigte Fahrzeug schießt, von den Wogen erfaßt, wieder frei davon. Aber der Herabgestürzte hängt im Wasser, sich verzweiflungsvoll an die Klippe klammernd. Ich ergreife einen der vorhandenen Dattelbaststricke, eile an das Seitenbord und werfe ihn dem Bedrohten zu – er faßt darnach, ergreift ihn und wird emporgezogen – — es war Abrahim-Arha.

Glücklich auf dem Decke angekommen, schüttelte er das Wasser aus dem Gewand und stürzte dann mit geballten Fäusten auf mich zu. Aber, wie sich besinnend, hielt er mitten in dieser Bewegung inne, drehte sich ab und eilte nach der Kajüte. Aber ehe er den Eingang noch erreicht hatte, stand ich schon vor demselben.

Die Stromschnelle war in ihren gefährlichsten Stellen glücklich durchschifft, und wir konnten uns nun mit der nöthigen Muße unserer Privatangelegenheit zuwenden. Aber wie es schien, sollte mir das Handeln jetzt noch erspart bleiben, denn Omar war herbeigesprungen, riß den Gegner beim Genicke zurück und hielt ihm die gespannte Pistole entgegen.

»Abrahim-Arha, vergissest Du, daß ich der Diener meines Gebieters bin und den Zugang zu seinem Harem zu behüten habe?«

»Hinweg mit Euch, Ihr Räuber! Allah möge – «

»Abrahim-Arha, schweige, sonst ist Deine Seele im nächsten Augenblicke da, wo die Bürger der Hölle wohnen. Beim Barte des Propheten, ich scherze nicht!«

Mein guter Omar fühlte sich in seinem Amte gekränkt, und wenn dies der Fall war, so gab es keinen energischeren Kopf als ihn. Abrahim mochte das erkennen und trat zurück. Er stand hier allein Zweien gegenüber und war klug genug, den Kampf einstweilen aufzugeben. Aber in jedem seiner Züge war der unumstößliche Entschluß zu lesen, ihn bei der nächsten Gelegenheit mit doppelter Kraft wieder zu beginnen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte er sich ab und nahm auf einem der Sennesblätterpackete Platz, welche, da der Raum die ganze Ladung nicht gefaßt hatte, auf die Planken des Verdeckes befestigt worden waren.

Am nächsten Landeplatze mußten die oberhalb der Stromschnelle eingenommenen Schiffer wieder an das Land gesetzt werden. Unsere Dahabïe wandte sich deshalb dem Ufer zu. Doch gebot ich dem Reïs, keine Zeit zu verlieren und sofort wieder abzustoßen. Obgleich er seinen Leuten gern die nach der gehabten Anstrengung so nothwendige Ruhe gegönnt hätte, war er doch bereit, auf meinen Wunsch einzugehen, wurde aber leider davon abgehalten; denn als wir uns dem Ufer näherten, kam uns ein Boot entgegengerudert, welches von finsterblickenden Männern besetzt war, die sofort zu uns an Bord stiegen. Es waren Khawassen – Polizisten.

Die Bemannung des Sandal, welcher hier gelandet war, um die erlittene Beschädigung auszubessern, hatte von dem Frauenraube erzählt, und so durfte ich mich über den unliebsamen Besuch nicht wundern. Zudem war der fürtreffliche Chalid Ben Mustapha eilenden Fußes zum Richter gesprungen und hatte eine so wohlgesetzte Rede gehalten von dem ungläubigen Mörder, Räuber, Aufrührer und Empörer, daß ich sehr zufrieden sein mußte, mit dem Köpfen oder Säcken davonzukommen.

Da die Gerechtigkeit in jenen Ländern von der wichtigen Institution der Actenstöße noch keine Ahnung hat und deshalb sehr schnell und summarisch verfährt, so wurden wir sammt und sonders in Beschlag genommen und sofort »anhero transportirt«. Selbst Leïlet, tief verschleiert, wurde in eine Sänfte genöthigt und mußte unserem Zuge folgen, der bei jedem weiteren Schritte größer wurde, weil Jung und Alt, Groß und Klein sich ihm anschloß. Doch noch im Vorübergehen rief sie mir einige Worte in italienischer Sprache zu, welche alle meine Befürchtungen sofort verscheuchten:

»Ich bin eine Christin und von ihm gewaltsam entführt worden!«

Welcher Grund sie bisher auch veranlaßt haben mochte, zu schweigen, jetzt erkannte sie, daß diese Mittheilung nothwendig und von größtem Vortheile für mich sein müsse. Aber wie kam sie zu dem Italienisch – wer und woher war sie?

Der Sahbeth-Bei oder Polizeidirektor saß mit seinem Sekretair schon unserer Ankunft gewärtig.

Er trug die Abzeichen eines Majors, sah aber weder sehr kriegerisch noch überhaupt übermäßig intelligent aus. Wie die Bemannung des Sandal schien auch er den verunglückten Abrahim-Arha für ertrunken gehalten zu haben und behandelte jetzt den vom Tode Auferstandenen mit einem Respekte, aus welchem ich auf die Furcht schließen konnte, in welche sich der frühere Hedjahn-Bei zu setzen gewußt hatte.

Nachdem er diesem eine Pfeife angeboten, welche natürlich auch angenommen wurde, begann die Verhandlung mit dem Berichte, welchen Abrahim über das Geschehene machte. Ich hatte mich auf den Divan niedergelassen, von welchem ich mich trotz der Aufforderung des Sahbeth-Bei auch nicht wieder erhob.

Nach beendigtem Vortrage des Anklägers wandte sich der Mann der Polizei zu mir:

»Was hast Du zu den Worten des Arha, den Allah beschützen möge, zu sagen, Franke?«

 

»Nichts.«

»Du giebst also die Wahrheit Dessen, was ich gehört habe, zu?«

»Ja.«

»Gut. Du bist schuldig und wirst nachher Deine Strafe vernehmen!«

Sich zu Omar wendend, fuhr er in seinem zornigsten Tone fort:

»Weißt Du, was Dich erwartet, Hund von einem Sclaven? Denke nicht, daß Du unter dem Schutze dieses Ungläubigen stehest, welcher sich auf seinen Consul berufen wird! Du bist Unterthan des Großherrn – Allah mehre seine Herrlichkeit – und hast den Tod verdient. Ich werde Deine verruchte Seele vorbereiten. Khawassihn, bringt die Peitsche!«

Die verhängnißvolle Kette mit den Lederriemen zur Bastonade wurde herbeigeholt, und die Diener der Gerechtigkeit näherten sich meinem braven Haushofmeister, um die stets gern gesehene Execution an ihm zu vollziehen. Mit angstvollen und hülfesuchenden Blicken flehte er zu mir herüber.

»Besch juhs, gebt ihm fünf Hundert!« lautete der Befehl.

Jetzt erhob ich mich.

»Laß die Diener Deiner hohen Gerechtigkeit noch ein Wenig verziehen, o Bimbaschi, und wirf den Blick Deines erleuchteten Auges auf diese Schrift!«

Ich winkte Omar und ließ durch ihn den Fermahn überreichen.

»Was soll‘s mit diesem Schreiben?«

»Ich fordere, daß Du die ersten Worte desselben laut vorliesest oder durch Deinen Sahbeth-Effendi vorlesen lässest!«

Er gab das Pergamentpapier seinem Secretair, und dieser las:

»Der Inhaber dieses Buiruldu ist der Kapitän-Effendi N. N. aus N., der auf Befehl seines Königs in Egypten, Nubien und Habesch reist —«

»Halt, jetzt weißt Du, wer ich bin, und nun befiehl Deinem Diener, die letzten Zeilen zu lesen!«

Es geschah.

»Es ist ihm alle Ehre zu erweisen; man soll ihm Schutz und Hülfe geben und seine Wünsche so erfüllen, daß er bei seiner Rückkehr uns nur Gutes von unserem Lande erzählen kann!«

Das Gesicht des ehrwürdigen Bei wurde bei diesen Worten um Einiges länger, als es vorher gewesen war. Noch größer aber wurde seine Unruhe, als ich fortfuhr:

»Willst Du mir wohl sagen, o Bimbaschi, welche Ehre ein Beamter dem Fermahn Seiner Majestät zu erweisen hat? Du hast ihn in die Hand genommen und wieder fortgegeben, wie eine Düte, aus welcher die Datteln gefallen sind!«

»Ich wußte nicht, daß Du einen Fermahn besitzest.«

»Gut. Ich werde Seiner Unübertrefflichkeit erzählen, daß Du zuweilen Etwas nicht weißt, was Du doch wissen solltest. Aber noch schlimmer ist es für Deine Seele, daß Du nicht gelernt hast, den Kläger von dem Angeklagten zu unterscheiden. Wer hat Dir befohlen, den Verbrecher mit Ehren zu überhäufen und den Beschädigten zu verurtheilen, ohne ihn zu hören?«

Eine lautlose, tiefe Stille war während meiner Worte unter der vorher ziemlich unruhigen Versammlung eingetreten. Das Gesicht des Beamten bekam einen geradezu unbeschreiblichen Ausdruck totaler Verblüffung, und vollständig rathlos wanderte sein kleines, nichtssagendes Auge zwischen mir und Abrahim-Arha hin und her. Dieser Letztere war von seinem Divan emporgefahren und rief:

»Kelb, Hund, was wagest Du?«

Ohne diese Beschimpfungen zu beachten, fuhr ich fort:

»Ich bin es, o Bimbaschi, der hier die Klage zu erheben hat. Ich klage diesen Mann, den Ihr jetzt Abrahim-Arha nennt, um seine früheren Thaten zuzudecken, des Frauenraubes an. Er hat meine Freundin mit Gewalt entführt, und sie ist nicht eine Tochter des Islam, sondern eine Christin. Ich habe sie seinen Händen wieder entrissen, wie es mir die Pflicht und die Gerechtigkeit gebot, und Du willst uns bestrafen, Sahbeth-Bei? Allah schenke Deinem Geiste Licht, damit Du thust, was ihm und Deinem Herrscher wohlgefällt!«

Es gehörte die ganze in diesem Lande so nothwendige Unverfrohrenheit dazu, in dieser Weise die Situation geradezu auf die Spitze zu stellen; aber während sich der Bei unter der Last meiner Worte förmlich zusammenbückte, brachten sie bei dem von mir Beschuldigten die gerade entgegengesetzte Wirkung hervor. Er riß, vor Wuth Alles um sich her vergessend, den Dolch aus dem Gürtel und stürzte mit einem heiseren Brüllen auf mich los. Ich war ihm sowohl an Körperkraft, als auch an Besonnenheit überlegen, entwaffnete ihn mit einem raschen Griffe und warf ihn meinem Diener in die bereitwilligen Armen, die sich sofort wie ein Schraubstock um ihn schlossen.

»Bimbaschi, bist Du hier die Obrigkeit, oder soll ich selbst mich schützen?« rief ich jetzt, den Revolver ziehend.

Das gab ihm die nöthige Thatkraft zurück, und wie er erst gedankenlos gegen mich gewesen war, so wandte er sich jetzt ohne Mäßigung gegen den wuthschnaubenden Hedjahn-Bei.

»Bindet ihm Hände und Füße und schafft ihn in das Gefängniß. Der Fall ist schwer; ich werde über ihn nachdenken und ein gerechter Richter sein!«

Sei mir gegrüßt, Kahira, du herrliche, wüstenbegrenzte, gärtenumlegene, palmenumstandene Königin Egyptens! Sei mir gegrüßt mit deinem milden Himmel, deinen schlanken Minarets, deinen kühlen Straßen, deinen rauschenden Platanen und früchtereichen Sykamoren, deinen balsamduftenden Orangenhainen und dattelschweren Palmen! Ich grüße euch, ihr sarazenischen Häuser, ich grüße dich, o blumenreiche Esbekïe, ich grüße euch, ihr himmelstrebenden Pyramiden und dich, du Stadt der Todten in der Wüste, dich, o Mokkhadam, mit deinen Bergen, dich, o Bulakh, mit deinem barkenreichen Hafen, und dich, o Fostat, mit deiner herrlichen Insel – ja, ich grüße dich, o Kahira, dich und all‘ dein Volk! El salahm aaleïkum, mit euch sei das Heil!

Lange Monate war ich ein Wanderer in der Wüste gewesen und kehrte nun zurück zur unvergleichlichsten der Städte, wo ich wieder den Spuren europäischen Lebens begegnen, den Bruder finden und die Grüße der fernen Heimath empfangen sollte. Wer Kairo kennt, der wundert sich nicht über die Begeisterung, mit welcher ich die Stadt der fünfhundert Moscheen begrüßte, als unsere Dahabïe in Alt-Kairo anlegte. Omar-Arha tanzte vor Entzücken um das Gepäck herum, und selbst Hassan, der alte Abu el Reïsahn rief ein tiefathmiges »Sallah el nebbi, preist den Propheten!«

Wohin das Auge nur schaute, erblickte es Glück und Freude; nur Leïlet lehnte bewegungslos am Eingange zur Kajüte und ließ kein Zeichen irgend welcher Gefühlserregung bemerken. Sie war mir ein Räthsel, ein tiefes, unlösbares Räthsel, und diese Undurchdringlichkeit warf ihre schweren, dunklen Schatten bis hinein in die heiligsten und verborgensten Räume meines Herzens.

Die Verwickelung vor dem Sahbeth-Bei war unaufgelöst geblieben. Um vielleicht von meiner günstigen Meinung profitiren zu können, hatte er mir seine Gastfreundschaft angeboten; aber ein Verweilen bei ihm konnte mir keinen Vortheil bringen, und so war ich, ohne die Entscheidung des Rechtsfalles abzuwarten, abgereist. Zwar versicherte er mir beim Barte des Propheten und den zahllosen Bärten aller Khalifen und Moslemim, daß er ein Exempel statuiren werde; aber ich war überzeugt, daß er dem Gefangenen nicht das geringste Leid zufügen, sondern ihn sobald wie möglich entlassen werde. Die Wahrheit zu gestehen, war ich herzlich froh, so leichten Kaufes aus der Verlegenheit zu kommen, die leicht eine höchst verhängnißvolle für mich hätte werden können, und drang deshalb auf die möglichste Beschleunigung unsrer Fahrt. Sie war eine glückliche in Beziehung auf den äußern Verlauf, nicht aber in Hinsicht auf den heißesten Wunsch meines Herzen, welches mit jeder Stunde höher und sehnender klopfte unter der mächtigen Regung einer Liebe, deren ich mich nie für fähig gehalten hätte.

Stundenlang saß ich bei Leïlet und konnte mein Auge nicht wenden von den herrlichen Zügen, welche sie mir unverhüllt darbot, wenn kein Fremder in der Nähe weilte, und aus denen mir die ganze Seligkeit eines Himmels entgegenstrahlte. Aber diesen Himmel, ich durfte ihn noch nicht mein nennen. Es war nicht Muthlosigkeit oder Mangel an Selbstvertrauen, was mich abhielt, ein entscheidendes Wort zu sprechen, sondern es lag über dem ganzen Wesen des schönen Mädchens ein Etwas ausgegossen, welches sie einem rücksichtsvollen Character unnahbar machen mußte, ein Noli me tangere, ein Rühr‘ mich nicht an, welches ich unmöglich verletzen und entheiligen konnte.

Ich wußte es und fühlte es nur zu deutlich, daß sie sich unendlich glücklich fühle, aus den Banden Abrahims befreit zu sein, und doch sprach sich in ihren Zügen, in dem Klange eines jeden ihrer Worte eine Wehmuth, eine Unruhe und Bängstigung aus, welche mich mit stiller Sorge erfüllte. Oft schon hatte ich die Frage nach Aufklärung auf den Lippen, aber dann traf mich stets ein so innig flehender Blick des großen, tiefleuchtenden Auges, daß ich nicht anders konnte, als die Frage zurückzudrängen und die Lösung der Zukunft anheimzustellen. Und doch überraschte ich dieses Auge oft bei einem Blicke, der mit dem Ausdrucke der herzlichsten Liebe und des rückhaltslosesten Vertrauens auf mir ruhte, und nur zuweilen schien es mir, als spreche sich daneben eine unwillkürliche Theilnahme aus, welche mich mehr beunruhigte, als es eine offen dargelegte Abneigung gethan hätte.

Gestern Abend war‘s; der Mond warf sein magisches Licht hernieder auf die dunklen Berge des Mokkhadam, und silberne Reflexe zuckten über das Wasser. Die großen, hellen Sterne der südlichen Halbkugel traten so nahe zur Erde herab und die Abendluft war geschwängert von balsamischen Düften. Ich lehnte einsam vorn in der Nähe des Reïs und gab mich widerstandslos dem elegischen Eindrucke hin, welchen eine solche Nacht auf jedes empfängliche Gemüth äußert.

Da trat Leïlet an meine Seite, schlug den Schleier zurück und gab ihre Wangen dem leise fächelnden Hauche preis. Es war mir, als eilten die Strahlen des Mondes schneller und freudiger hernieder, um ihr Stirne und Mund zu küssen, als nickten ihr die Palmen des Ufers aus dem Halbdunkel ihre Grüße entgegen und als verstumme das Plätschern der Wellen vor dem bezaubernden Einflusse ihrer Nähe. Es lag so weich und wehe in dem engelgleichen Angesichte, und ein langer, tiefer und schwerer Athemzug hob den Busen, dessen Bewegung ich trotz der Hülle deutlich zu erkennen vermochte. Plötzlich legte sie die Hand auf meinen Arm, und leise und gepreßt klang es:

»O, zürne mir nicht, Du Guter!«

Ich wußte ihr nicht zu antworten, und mein Schwei-

gen falsch deutend, schlang sie, wie von einem unwiderstehlichen Impulse getrieben, die Arme um meinen Nacken, preßte ihr Köpfchen fest, fest an meine Brust und schluchzte:

»Leïlet kann nicht dafür!«

Noch ein langer, tiefer, unbeschreiblicher Blick, als müsse sie ihre ganze Seele in mein Auge senken, und dann floh sie der Kajüte zu.

Ich blieb zurück unter einem Sturme von Empfindungen, der mich die ganze Nacht nicht ruhen ließ und auch am Morgen sich noch nicht beschwichtigt hatte. Es lastete ein Geheimniß, ein Druck auf ihrer Seele, der ihres Herzens Freiheit raubte und die Erfüllung meiner freudigsten Hoffnung verzögerte. Aber ich beschwichtigte meine Befürchtungen; die nächste Zukunft schon mußte mir ja die Lösung des Räthsels bringen und mich über die Verhältnisse meines schweigsamen Schützlings unterrichten. Mochten aber dieselben sein, wer sie wollten, das stand felsenfest: mein mußte sie werden, und sollte ich einen einzigen Augenblick des Glückes mit dem Tode oder mit einem öden und freudeleeren Leben bezahlen! – —

Die wenigen Passagiere, welche die Dahabïe unterwegs aufgenommen hatte, waren jetzt über das Landungsbret geschritten, und ich wandte mich nun zu Leïlet, um sie an den Aufbruch zu mahnen. Sie eilte herbei und bat hastig und flehend:

»Verlaß mich nicht schon jetzt, sondern nimm mich mit Dir!«

Wie klang doch diese Bitte so sonderbar! Ich bog mich zu ihr nieder und flüsterte mit überfließendem Herzen:

»Ich werde Dich nie, nie wieder von mir lassen!«

Da ich wußte, daß mein Bruder die Wohnung geändert hatte und ich seine gegenwärtige Adresse noch nicht kannte, so nahm ich für mich und Leïlet eine Barutsche, einen jener meist zweiräderigen und mit Kissen ausgelegten Wagen, wie sie in Kairo üblich sind, und fuhr, die Sorge für das Gebäck meinem Omar überlassend, nach dem Hotel d‘Orient, um dort einstweilen Wohnung zu nehmen.

Es war schon zu spät, den Consul aufzusuchen, um die nöthigen Erkundigungen einzuziehen und etwa eingegangene Briefe und Schriftstücke in Empfang zu nehmen. Deshalb beschloß ich, nicht auszugehen und mich vielmehr mit dem Ordnen meiner Effekten zu beschäftigen.

Eben hatte ich diese Arbeit beendet, als Leïlet bei mir eintrat. Jeder ihrer Züge sagte mir, daß irgend ein Entschluß sie beschäftige, und als sie sich dem Tische näherte, wußte ich, daß sie im Begriffe stehe, die bis heut‘ aufgeschobene Aufklärung auszusprechen. Da fiel ihr Blick auf eine vor mir liegende Mappe, welche in goldenen Lettern meinen Namenszug trug. Ein Blitz der Ueberraschung zuckte über ihr erbleichendes Angesicht, und mit unsicherer, ja zitternder Stimme hauchte sie:

 

»Ich kam, um Dir den Abendgruß zu bringen. Leïlkum saaïde, gute Nacht!«

»Leïlet,« rief ich emporspringend, »worüber erschrakst Du? Wolltest Du mir nur diese zwei Worte sagen?«

»O nein, Herr, Du solltest Vieles vernehmen, aber meine Lippe muß sich schließen, bis sie morgen sprechen darf.«

»Morgen? Warum nicht heut‘, nicht jetzt? Hast Du nicht gefühlt, daß mein Herz sich allezeit gesehnt hat nach dem Worte, welches Du aufgehoben hast bis jetzt und nun auch weiter noch verschweigen willst?«