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Mein Leben und Streben

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»Mehr Licht über Karl May

160 000 Mark Schriftstellereinkommen

Ein berühmter Dresdner Kolportageschriftsteller.«

Dieser Mann hatte meiner Frau und mir sein Wort gegeben, nichts zu veröffentlichen. Er war sogar nur unter diesem Versprechen bei uns hereingelassen worden, und nun veröffentlichte er doch, und zwar in welcher Weise und aus welchen Gründen! Er stellte alles auf den Kopf; er drehte alles um! Er legte uns alles, was ihm beliebte, in den Mund, und was wir wirklich gesagt hatten, das verschwieg er, um sich nicht zu blamieren. Dieser Aufsatz enthält über 70 moralische Unsauberkeiten, Verdrehungen und direkte Unwahrheiten. Aber das war nur der Anfang; die Fortsetzungen folgten baldigst nach. Dieser Artikel in Nr. 33 der »Sachsenstimme« war so gehalten, daß Lebius wieder umlenken konnte, falls ich das Geld nun endlich noch gab. Und schon in Nr. 34 kam ein sehr deutlicher Wink, der mir sagte, was geschehen werde, falls ich mich nicht zum Zahlen bewegen lasse. Dieser Wink bestand in einer Münchmeyerschen Annonce, die ganze Bände zu mir sprach. Der Besitzer der Firma Münchmeyer hatte nämlich zu mir gesagt: »Die Veröffentlichung der andern Romane tut Ihnen noch gar nicht viel; aber sobald ich mit dem »Verlorenen Sohn« fertig bin und ihn annonciere, sind Sie verloren! Der wird so happig, daß es Ihnen dann unmöglich ist, als Schriftsteller weiter zu existieren!« Und dieser »Verlorene Sohn« wurde jetzt in Nr. 34 der »Sachsenstimme« annonciert. Das war genau so, als ob mir mit Riesenbuchstaben geschrieben worden wäre: »Nun aber endlich Geld her, sonst geht es in diesem Tone weiter!« Der gefährlichste Erpresser ist der, welcher es in dieser raffinierten Weise anfängt, die noch deutlicher ist, als das gesprochene Wort, aber von keinem Staatsanwalt verfolgt werden kann. Ich gab aber trotzdem nichts. Da kam in Nr. 44 ein zweites Elaborat, in Nr. 46 ein drittes und in Nr. 47 ein viertes. In Nr. 46 wurde mir die Verbindung des Herrn Lebius mit der Firma Münchmeyer schon deutlicher gezeigt, denn es wurde da gesagt, der Inhaber dieser Firma habe einen ganzen Haufen alter Briefe von mir in der Hand und könne also ganz genaue Auskunft über mich geben, wenn er nur wolle. In Wahrheit aber besaß er nicht einen einzigen alten Brief von mir, doch wußte ich nun genau, daß Lebius die Ausführung des Münchmeyerschen Programms, mich durch meine Vorstrafen »in den Zeitungen vor ganz Deutschland kaput zu machen«, übernommen hatte. Ich war überzeugt, daß die Zahlung der 10 000 Mark ihn sofort zum Schweigen bringen würde, hätte mich aber vor mir selbst geschämt, ihm auch nur einen einzigen Pfennig zu geben.

Wie ich gedacht hatte, so geschah es: Schon die Nr. 48 brachte die ohne alle Veranlassung frei aus der Luft niederfallende Verkündigung: »Die vier Jahre, die Herr Karl May in Waldheim verbüßte, waren nach unserer Information die Folge eines Einbruchdiebstahls in einem Uhrenladen.« Ich habe aber niemals einen Einbruch verübt. Man sieht, daß es nicht auf die Wahrheit ankam, sondern nur auf das »Kaputmachen«. Diese Nr. 48 erschien am Weihnachtsheiligenabend. Da hingen an den Fenstern der Dresdener Buchhandlungen Plakate aus, auf denen die »Sachsenstimme« mit den großen roten Buchstaben »Die Vorstrafen Karl Mays« angekündigt wurde. Einen schreienderen Beweis, daß es sich nicht um eine literarische Tat, sondern nur um die Ausführung ganz niedriger Absichten handelt, kann es wohl kaum geben! Daher mag es hier genug sein des grausamen Spiels. Es widerstrebt mir, die Heldentaten des Herrn Lebius einzeln aufzuzählen. Ich will nur in Summa sagen, daß er in dieser Weise fortfuhr, bis er nach einiger Zeit aus Dresden verschwinden mußte. Ich habe die Unwahrheiten, die er in seinen Dresdener Artikeln über mich verbreitete, zusammengestellt, um sie gerichtlich zu beweisen. Es sind ihrer trotz der Kürze der Zeit nicht weniger als hundertzweiundvierzig. Mehr hat bisher wohl noch kein Mensch geleistet! Ich betone aber ausdrücklich, daß diese Aufstellung nicht etwa alles, sondern nur eine Auswahl enthält. Ich könnte diese Ziffer trotz ihrer Höhe gut verdoppeln. Ich habe lange dazu geschwiegen, bis es nicht mehr zum Aushalten war. Da mußte ich mich endlich wehren. Ich erstattete bei der Staatsanwaltschaft Anzeige wegen Erpressung. Ich legte seine Briefe bei. Auch die drohende Karte vom 7. September 1904. Die Sachverständigen erklärten, daß Lebius sie unbedingt geschrieben habe. Die erwähnte Behörde aber war der Ansicht, daß dies nicht zureiche, eine Untersuchung zu eröffnen. Und Lebius gab sich bei seinen Auskünften die größte Mühe, mich als einen Menschen hinzustellen, dem man nicht glauben dürfe. Das Meisterstück hat er dabei abgelegt, indem er der Königlichen Staatsanwaltschaft in Dresden berichtete, daß der Wirt des Hotels auf dem Berge Sinai in Dresden gewesen sei und sich sehr schlecht über mich ausgesprochen habe. Nun weiß aber Jedermann, daß es auf dem Berg Sinai bis heutigen Tages noch nie ein Hotel gegeben hat! Ich zeige damit wohl zur Genüge, was man von der Erfindungsgabe des Herrn Lebius alles erwarten kann. Ich erhob zweimal Privatklage gegen ihn. Die eine zog ich während der Verhandlung aus reinem Ekel vor dem Schmutz, in dem ich da waten sollte, zurück. Die andere brachte ihm in der ersten Instanz eine Geldstrafe von 30 Mark; in der zweiten Instanz aber wurde er freigesprochen, weil mein Anwalt krank geworden war und einen Vertreter stellte, der die Sache führte, ohne orientiert zu sein.

Das ist alles, was ich gegen die ebenso zahlreichen wie unausgesetzten Angriffe des Herrn Lebius getan habe. Gewiß wenig genug! Daß ich Berichterstattern Auskunft gab, wenn sie kamen, mich zu fragen, versteht sich ganz von selbst. Es kann mir niemand zumuten, diesen Herren aus Angst vor Herrn Lebius die Unwahrheit zu sagen. Dennoch behauptet er noch heute, daß nicht ich von ihm, sondern er von mir verfolgt und angegriffen werde.

Selbst als er aus Dresden mit Hinterlassung einer ganz bedeutenden Schuldenlast verschwunden war, hörten seine Angriffe gegen mich nicht auf. Ich erwähne da nur den Aufsatz in der österreichischen Lehrerzeitung, durch den er ca. 40 000 Lehrer auf mich hetzte. Ich schwieg. Ich schwieg selbst dann, als er in der Wilhelm Bruhnschen »Wahrheit« in Berlin einen geradezu empörenden Angriff gegen mich brachte, in dem er mich als »atavistischen Verbrecher« brandmarkte, der wegen »fortgesetzter Einbruchdiebstähle« fast ein Jahrzehnt im Gefängnis und Zuchthaus gesessen habe! Er behauptete da, daß ich eine schwere, chronische Krankheit durchgemacht habe, die »offenbar kulturhemmend« gewirkt habe. Hiermit hatte er begonnen, sein in Dresden unterbrochenes Werk in Berlin gegen mich fortzusetzen. Leider war ich gezwungen, ihn dort persönlich aufzusuchen, weil ich in dem großen Münchmeyerprozeß eine Frage an ihn zu richten hatte, die nicht zu umgehen war. Ich fuhr zu diesem Zwecke mit meiner Frau nach Berlin. Wir entdeckten seine Wohnung. Wir hörten, daß er ein neues Blatt herausgab, der »Bund« genannt. Wir telefonierten ihm. Er bestellte uns nach Café Bauer. Wir folgten dieser seiner Weisung. Er kam mit seiner Frau und deren Schwester. Er beantwortete meine Frage nicht. Er leugnete alles. Ich sagte ihm, daß ich sein neues Blatt sehen möchte. Das war ganz ehrlich und gut gemeint, ohne alle böse Absicht. Er aber begehrte sofort zornig auf und fragte drohend: »Haben Sie etwas vor? Dann gehe ich auf der Stelle von neuem gegen Sie los! Hier in Berlin gibt es über zwanzig Blätter wie die »Dresdener Rundschau«. Die stehen mir alle zu Gebote, wenn ich Sie totmachen will! Hier dauert das gar nicht lang!«

Ich antwortete, daß es mir gar nicht einfalle, wieder in den alten Sumpf zu steigen. Meine Frau sagte zu seiner Frau in ruhiger, freundlicher Weise, daß es die schönste Aufgabe verheirateter Frauen sei, versöhnend zu wirken und die Härten des Lebens zu mildern; dann entfernten wir uns.

Das war am 2. oder 3. September. Einen Monat später, am 1. Oktober, kam folgender Brief aus Berlin; ich war verreist:

Geehrter Herr!

Obwohl völlig unbekannt, erlaube ich mir, bei Ihnen einmal anzufragen, ob Sie mir nähere Mitteilungen über einen Herrn Lebius, seinerzeit in Dresden, machen könnten. Genannter Herr, ehemaliger Sozialdemokrat, hat gegen mich als den seinerzeit verantwortlich zeichnenden Redakteur des »Vorwärts« die Privatbeleidigungsklage angestrengt. Es wird vor Gericht meine Aufgabe sein müssen, Herr Lebius als »Ehrenmann« zu kennzeichnen. Auf den Rat eines Dresdener Kollegen wende ich mich vertrauensvoll an Sie, ob Sie mir über diesen Herrn vielleicht einige Auskunft geben könnten. Sollte dies der Fall sein, so sehe ich Ihrer Freundlichkeit sehr verbunden entgegen.

Mit größter Hochachtung

Carl Wermuth,

Redakteur des »Vorwärts«.

Ich wiederhole, daß ich verreist war und also auf dessen Wunsch, selbst wenn ich gewollt hätte, nicht eingehen konnte. Am 5. April 1908, also

ein volles halbes Jahr später,

erhielt ich von der Redaktion des »Vorwärts« eine weitere Zuschrift:

»Zu unserem Bedauern haben Sie es bisher unterlassen, sich über die gegen Sie gerichteten Angriffe des Lebius zu äußern resp. uns die notwendigen Beweismittel der ehrenabschneiderischen Tätigkeit des Lebius in Bezug auf Ihre Person zur Verfügung zu stellen. Wie ich von meinem Kollegen Wermuth erfuhr, hat Ihre Frau mitgeteilt, daß Sie sich zur Zeit auf Reisen befinden und nicht in der Lage seien, uns mit dem gewünschten Material gegen Lebius zu versehen. Ich hoffe, daß Sie inzwischen von der Reise zurückgekehrt sind und nunmehr . . . .«

Hiermit ist wohl zur vollsten Genüge bewiesen, daß nicht ich Herrn Lebius verfolge, sondern er mich. Herr Lebius behauptet, daß ich mich damals, am Sedanstage, an ihn gemacht habe, um dem »Vorwärts« beizustehen. Hier beweise ich, daß ich damals von jener Beleidigungsklage noch gar nichts gewußt habe, sondern daß der »Vorwärts« es mir erst einen Monat später mitteilte und dann aber nach wieder sechs Monaten noch gar keine Antwort bekommen hat! Ich hatte also Herrn Lebius volle sechs Monate geschont, wo es mir doch durch die Sozialdemokratie so bequem und leicht gemacht worden war, mich an ihm zu rächen. Daß ich ihn nicht verfolge, sondern von ihm fort und fort zur Notwehr gezwungen werde, ist übrigens auch schon dadurch erwiesen, daß ich es bis heut umgangen habe, als Zeuge gegen ihn auszusagen. Mit dieser Zeugenschaft für den »Vorwärts«-Redakteur hatte es damals folgende Bewandtnis:

 

Lebius hatte den »Vorwärts« wegen Beleidigung verklagt, und der »Vorwärts« hatte mich, natürlich ohne erst viel zu fragen, als Zeugen angegeben. Das Gewissen des Lebius sagte ihm, daß er von diesem Zeugen wohl nicht viel freundliches zu erwarten habe. Ja, es kam ihm sogar der Gedanke, daß ich von dieser Zeugenschaft schon im Café Bauer gewußt habe. Das erzürnte ihn. Er schickte seine Frau zu meiner Frau nach Radebeul, um mir zu drohen. Meine Frau wünschte diese Zusammenkunft in meinem Hause; aber darauf ging Frau Lebius nicht ein. Die beiden Frauen trafen sich im Restaurant unseres Bahnhofes. Dort wollte Frau Lebius uns im Auftrage ihres Mannes vorschreiben, was und wie ich als Zeuge auszusagen habe. Insonderheit sollte ich vor Gericht erklären, daß er jene drohende Postkarte vom 7. September in Dresden nicht geschrieben habe. Tue ich das nicht, so müsse er den alten Kampf gegen mich von Neuem beginnen. Meine Frau lehnte das ganz entschieden ab, denn wir waren jetzt mehr als je überzeugt, daß er der Verfasser sei. Seine Frau kehrte also unverrichteter Sache nach Berlin zurück.

Als Lebius diesen Versuch mißlungen sah, beschloß er, mich eidesunwürdig zu machen, und zwar durch eine Broschüre, die noch vor dem Termin, an dem ich als Zeuge aufzutreten hatte, herausgegeben werden mußte. Da aber diese Broschüre, wenn sie wirken sollte, derart abzufassen war, daß sie ganz unbedingt eine Bestrafung des Verfassers nach sich zog, die Lebius von sich abwenden wollte, so sah er sich nach einem Strohmanne um, der ihn und Karl May noch nicht kannte und unerfahren, vertrauensselig und bedürftig genug war, sich für einige Hundert Mark völlig ungeahnt in die ganz sicher zu erwartende Gefängnisstrafe stürzen zu lassen. Er fand ihn in einem gewissen Herrn F. W. Kahl aus Basel, zog ihn in sein Netz und umspann ihn derart mit Selbstvergötterungs- und Lügenfäden, daß der junge, völlig ehrliche Mann es fast für eine Ehre hielt, sich in den Dienst eines so bedeutenden, geistig, sozial und auch juristisch hervorragenden Mannes stellen zu dürfen.

Lebius ging, wie überhaupt und immer, auch hierbei außerordentlich schlau und raffiniert zu Werke. Er verschwieg anfänglich, daß es sich nur um eine Broschüre gegen mich handle. Er machte dem jungen Manne weis, daß er ein wissenschaftliches Werk über berühmte resp. berüchtigte Männer schreiben solle. Er nannte ihm die Namen derselben; darunter befand sich auch der meinige. Aber als Kahl sich an das Werk machte und täglich seine Instruktionen erhielt, lauteten diese so, daß nach und nach alle diese »Berühmten und Berüchtigten« verschwanden und nur Karl May allein übrig blieb. Aus dem »wissenschaftlichen« Werke aber sollte ein Pamphlet allerniedrigsten und allergefährlichsten Ranges werden. Kahl erkannte das von Tag zu Tag immer deutlicher. Er begann zu ahnen, daß er mit aller Liebenswürdigkeit in das Verderben geführt werden solle. Als er das Herrn Lebius zu verstehen gab, hielt dieser es für geraten, ihm den ganzen Zweck der Broschüre einzugestehen. Er gab folgendes zu:

Lebius hat den Redakteur des »Vorwärts« wegen Beleidigung verklagt.

Der »Vorwärts« hat Karl May als Zeugen gegen Lebius angegeben.

Darum ist es für Lebius notwendig, Karl May kaput zu machen.

Um das zu erreichen, gibt er die hier in Arbeit liegende Broschüre heraus.

Der Termin, in dem Karl May als Zeuge verhört wird, findet anfangs April statt.

Darum muß die Broschüre ganz unbedingt bis zum 1. April fertig zum Versenden sein.

Wenn die Broschüre erst später fertig wird, hat sie keinen Zweck; dann braucht man sie überhaupt gar nicht erst zu schreiben.

Sie wird an die Zeitungen versandt, die darüber berichten. Das soll auf die Richter wirken.

Sie wird auch den Richtern direkt vorgelegt. Sobald dies geschieht, ist May als Zeuge kaput.

Als der ehrliche, junge Mann das hörte, wurden seine Bedenken noch größer, als sie vorher gewesen waren. Als er diese äußerste und seiner Besorgnis, gerichtlich bestraft zu werden, Ausdruck gab, stellte Lebius ihm folgendes vor:

Wir Schriftsteller stehen überhaupt und stets mit einem Fuße im Gefängnisse.

Bestraft zu sein ist für uns eine gute Reklame. Auch ich bin schon oft vorbestraft.

Sie brauchen sich vor dem Gericht gar nicht zu fürchten. Sie sind noch nicht vorbestraft, Sie dürfen schwören. May aber darf nicht schwören.

May steht unter Polizeiaufsicht. Es ist ihm verboten, in einer Stadt zu wohnen. Darum wohnt er in Radebeul.

Ich bin ein großes, forensisches Talent. Wenn ich anfange zu sprechen, sind die Richter alle mein!

Wenn man in einem Prozesse steckt und man schreibt eine solche Broschüre, das wirkt ungeheuer bei den Richtern!

Die Frau May hat mich mit Tränen in den Augen um Gnade für ihren Mann gebeten.

May muß durch die Broschüre totgemacht werden. Alles übrige ist Beiwerk, um den wahren Zweck zu verschleiern!

Die Folge von diesen und ähnlichen sonderbaren Expektorationen war, daß Kahl beschloß, sich von dieser Sache zurückzuziehen. Er verbot Lebius, etwas von ihm zu drucken oder gar etwa seinen Namen für diese Broschüre zu mißbrauchen. Er richtete ganz dasselbe Verbot auch an den Verleger. Er glaubte, damit ganz sicher aus diesem Sumpfe wieder herausgestiegen zu sein. Aber er kannte Lebius und dessen Unverfrorenheit noch nicht. Die Broschüre erschien, und zwar genau am ersten April. Ihr Titel war:

Karl May,

ein Verderber der deutschen Jugend

von

F. W. Kahl-Basel.

Kahl erfuhr erst durch eine Schweizer Zeitung, daß die Broschüre doch noch erschienen sei, und zwar unter seinem Namen. Er tat sofort die geeigneten Schritte. Der von Lebius gefürchtete Termin, an dem ich als Zeuge vernommen werden sollte, hat nicht stattgefunden. Ob er den Herren Richtern die Broschüre dennoch vorgelegt hat oder nicht, ist mir unbekannt. Aber an die Zeitungen versandt hat er sie schleunigst, und zwar mit Waschzetteln, Begleitworten usw., von deren verleumderischer Natur man eine Ahnung bekommt, wenn man nur folgende Zeilen liest, die er an die »Neue Züricher Zeitung« schickte:

»Herr May hat sich an mir dadurch gerächt, daß er durch Verleumdungen meine wirtschaftliche Stellung untergrub und mich in den Bankrott trieb. Sobald ich in einer andern Stadt festen Fuß gefaßt hatte, erschien er wieder auf der Bildfläche, um dasselbe Manöver zu wiederholen. Dabei liebt er es, bevor er zu einem neuen Schlage gegen mich ausholt, mich jeweils in meiner Wohnung aufzusuchen und mit tränenden Augen um Frieden zu bitten.«

Ueber den Inhalt dieser Broschüre habe ich hier nicht zu sprechen. Ganz selbstverständlich waren meine Vorstrafen aufgezählt und auch noch etwas mehr dazu. Das schickte er in alle Welt hinaus, um mich nach Münchmeyerschem Rezept »kaput« zu machen. Ich erlangte eine einstweilige Verfügung gegen sie. Sie durfte nicht weitergedruckt und weiterverarbeitet werden. Und ich erhob Privatanklage wegen Beleidigung gegen ihn. Diese Privatklage konnte nicht zur Verhandlung kommen, weil mein Rechtsanwalt alle meine Beweise, und deren waren weit über hundert, verloren hatte. Sie fanden sich erst dann, als es zu spät war, bei ihm wieder. Ich war also gezwungen, auf die Vergleichsvorschläge, welche der Vorsitzende machte, einzugehen. Lebius nahm alle seine Anwürfe gegen mich, materielle wie formelle, zurück, drückte sein Bedauern aus, mich angegriffen zu haben, und versprach, mich von nun an in Ruhe zu lassen. Das tat er durch seine Unterschrift. Es war mir unmöglich, einem solchen, vor Gericht gegebenen Versprechen nicht zu glauben. Und doch war es eine Untreue und Gewissenlosigkeit sondergleichen, daß er mir dieses Versprechen gab, denn er konnte es mir nicht anders geben, als in der Absicht, es nicht zu halten. Er hatte sich nämlich mit meiner geschiedenen Frau in Verbindung gesetzt. Sie fühlte, wie meist alle geschiedenen Frauen, eine unverständige Schärfe gegen ihren geschiedenen Mann; die trachtete er, für sich auszunutzen. Er suchte sie in Weimar auf, wo sie wohnte. Sie lebte da ruhig und zufrieden von einer Rente von 3000 Mark, die ich ihr gab, obgleich ich ihr nichts zu geben brauchte, weil sie die Alleinschuldige war. Auch hatte ich sie in jeder Weise reichlich ausgestattet. Da kam dieser Mann zu ihr und entlockte ihr alle ihre Selbsterbitterung, um daraus mit Hilfe seiner eigenen Hinzufügungen und Verdrehungen einen Strick für mich zu fertigen. Er versprach ihr ebenso heilig und teuer, wie damals mir, daß nichts, gar nichts veröffentlicht werde, ging aber sofort hin und schrieb für seinen »Bund« vom 28. März 1909 einen Aufsatz unter der Ueberschrift »Ein spiritistisches Schreibmedium als Hauptzeuge der »Vorwärts«-Redaktion.« Mit diesen angeblichen Schreibmedium war meine jetzige Frau gemeint.

Es ist ein geradezu unglaublicher Schmutz, der da über mich und meine jetzige Frau ausgegossen wird, und zwar mit raffinierter Benutzung und Bearbeitung der Bitterstoffe, die im Gemüte geschiedener Frauen vorhanden sind. Als das arme, unglückliche Weib das las, erschrak sie. Er schwieg also nicht! Er hatte nicht Wort gehalten! Sie eilte sofort zu ihm nach Berlin, um ihn zur Rede zu stellen. Er behielt sie gleich dort. Er übergab sie seinem Schwager Heinrich Medem, einem früher gewesenen Rechtsanwalt und Notar, der vereint mit ihm ihr Beistand wurde. Beide veranlaßten sie zunächst, auf ihre 3000 Mark Rente zu verzichten, und zwangen sie sodann, ihre Pretiosen zu versetzen, damit es »nach außen einen besseren Eindruck mache«. Das heißt doch wohl, damit man denken möge, daß ich es sei, der diese Frau in solche Armut und solches Elend gestürzt habe! Das hat Lebius in seinem Briefe an die Kammersängerin vom Scheidt, welcher den Gegenstand der vorliegenden Privatklage bildet, wörtlich eingestanden, und der Vorsitzende der ersten Instanz hat ihn gelobt, indem er öffentlich sagte: »Das ist sehr edel von Ihnen!«

Lebius hat dieser Frau, als sie nun ohne alles Einkommen war und vor dem Nichts stand, eine Rente für das ganze Leben von monatlich 100 Mark versprochen, er, der wegen zwei oder drei Mark vergeblich ausgepfändet worden ist! Sie hat es ihm zunächst geglaubt; er aber hat sehr wohl gewußt, daß dieses Versprechen nicht rechtsverbindlich war. Nichts als Spiegelfechterei! Sie borgte bei Bekannten 500 Mark, um leben zu können. Von ihm aber bekam sie nach und nach nur 200 Mark, aber nicht etwa geschenkt, sondern nur geliehen, denn als er merkte, daß sie von ihm weg und wieder zu mir strebte, drohte er ihr, sie wegen dieser 200 Mark um 300 Mark zu verklagen.

Und was hatte sie davon, daß sie auf ihr ganzes Einkommen verzichtete, daß sie aus ihren schönen, wohlgeordneten Verhältnissen in die schmutzige Not und Sorge sprang, daß sie sogar ihre Kleinodien verkaufte und versetzte? Nichts, weiter gar nichts, als daß sie das Rachewerkzeug des Herrn Lebius wurde, daß er sie abrichtete, so über mich zu denken, zu sprechen und zu schreiben, wie es ihm beliebte, und daß sie ihm und seinem Schwager Medem in jeder Beziehung gänzlich in die Hand gegeben war. Denn als ich infolge des obigen Artikels im »Bund« gezwungen war, meine geschiedene Frau zu verklagen, machten Lebius und Medem ihr die Schriftsätze ganz so, daß Lebius für seine Angriffe gegen mich den ganzen Nutzen davon hatte und sie dabei Dinge unterschreiben mußte, von deren Zweck und Tragweite sie keine Ahnung besaß! Es kam vor, daß sie unter Tränen sich sträubte, einen derartigen Schriftsatz zu unterschreiben. Man zwang sie aber doch! Bis sie endlich doch einsah, daß es unmöglich auf diesem Wege und in dieser Weise weitergehen könne, wenn sie nicht vollständig zu Grunde gehen wolle! Sie wendete sich an mich und bat um Verzeihung. Mich erbarmte das arme, verführte Weib. Ich nahm den Strafantrag und den Beleidigungsprozeß gegen sie zurück. Und nun erfuhr ich, in welch raffinierter Weise sie von Lebius aus ihrer sicheren, ruhigen Position zu ihm hinübergelockt worden war, um wirtschaftlich vernichtet und moralisch ausgebeutet resp. gegen mich ausgespielt zu werden. Er sagt in seinem Briefe, welcher den Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens bildet:

»Auf Anraten meines Rechtsanwaltes habe ich allerdings im Hinblick auf meine gerichtliche Einigung mit May verlangt, daß Frau Emma erst einen Teil ihrer Schmucksachen versetzt, weil das nach außen hin einen bessern Eindruck macht.«

 

Also weil ich mich gerichtlich mit ihm geeinigt habe, weil er mir seine Beleidigungen gerichtlich abgebeten hat und weil er gerichtlich versprochen hat, mich nun für immer in Ruhe zu lassen, also darum, »im Hinblick darauf« mußte die Frau nun ihre Kleinodien versetzen, damit man mich als den Schurken bezeichne, durch den sie in solches Elend getrieben worden sei! Wie nennt man so ein Verhalten? Und nachdem er sie in dieser Weise um ihr ganzes, früheres Einkommen und um ihre Schmucksachen gebracht hat, schreibt er in diesem seinem Briefe: »Ich habe auch durch meinen Syndikus Herrn Geheimrat Ueberhorst Schritte vorbereiten lassen, um wieder zu meinem Gelde zu kommen!« Gibt es hier überhaupt einen Ausdruck, durch den man imstande wäre, die Lebiussche Denk- und Handlungsweise erschöpfend zu charakterisieren?

Diese arme, von Lebius in fast jeder Beziehung vollständig ausgezogene Frau ist nicht etwa die erste oder einzige geschiedene Frau, deren er sich bemächtigte, um seine Zwecke zu erreichen. Es ist vielmehr eine ganz besondere taktische Gewohnheit von ihm, geschiedene Frauen gegen ihre Männer auszuspielen. Das eklatanteste Beispiel hiervon ist der Fall »Max Dittrich«. Indem ich ihn hier kurz erwähne, bitte ich um ganz besondere Aufmerksamkeit, weil er für die Beurteilung des Herrn Lebius von allergrößter Wichtigkeit ist.

Ich hatte bekanntlich, als dieser Herr seinen Besuch bei mir machte, den Redakteur und Militärschriftsteller Max Dittrich als Zeugen dazu geladen, aus Mißtrauen und Vorsicht, um gegen etwaige spätere Lügen und Schwindeleien des Herrn Lebius durch einen vollgültigen Zeugen geschützt zu sein. Herr Dittrich war damals vom Anfang bis zum Ende anwesend und hatte jedes von mir gesprochene Wort gehört. Einen solchen Zeugen zu haben, wurde Herr Lebius mit der Zeit immer peinlicher, immer gefährlicher. Er beschloß darum, ihn eidesunwürdig zu machen, also ganz dasselbe, was er auch bei mir getan hat und noch heute tut. Es ist das, wie sich später zeigen wird, ein persönlicher Trick von ihm, den er für unfehlbar hält – — – eidesunwürdig machen!

Er befolgt dabei den Grundsatz, den er uns während seines Besuches bei uns vortrug: Jeder Mensch, jeder Polizist und Richter, jeder Beamte hat Werg am Rocken, hat eine Schuld auf sich, die er verheimlichen muß. Man muß das entdecken und in die Zeitung bringen; dann wird man Herrscher und als »tüchtiger Kerl« bekannt. So tat Herr Lebius auch hier. Die erste Frau Max Dittrichs war gestorben; von der zweiten Frau hatte er sich scheiden lassen; jetzt war er infolge eines Schiffbruchs, bei dem er nur gefährlich verletzt dem Tode entging, schwer nervenkrank geworden. Das gab ein hochinteressantes Material, aus dem sich jedenfalls etwas machen ließ! Herr Lebius ging also aus, um nach dem »Werg am Rocken«, nach der »heimlichen« Schuld und Sünde zu suchen. Er forschte überall, schriftlich, mündlich, persönlich. Er stellte sich überall ein, wo er glaubte, etwas erfahren zu können. Er scheute sich nicht, sogar zu Dittrichs Verwandten zu gehen. Er schlich sich zu Dittrichs alter Schwägerin, zu Dittrichs Neffen und Nichte, sogar zu Dittrichs zweiter Frau, die wieder verheiratet war und in glücklicher, stiller Ehe lebte. Er forschte sie aus, ohne daß sie ahnten, warum und wozu. Sie antworteten vertrauensvoll und unbefangen. Aber als er plötzlich zu ihrem Entsetzen die Worte »Gericht« und »Eid« fallen ließ, da fühlten sie die Krallen, in die sie geraten waren. Sie hatten nichts Böses sagen können und baten, sie aus dem Spiele zu lassen. Er versprach es ihnen. Besonders entsetzt über die Aussicht, in diesen Lebiusschen Schmutz verwickelt zu werden, war Dittrichs zweite Frau. Ihr jetziger Mann war ein lieber, guter, aber in Beziehung auf die »Ehre« sehr streng denkender, unerbittlicher Herr. Seine Frau in solcher Angelegenheit an Lebius‘ Seite, das wäre unbedingt von den schwersten Folgen für ihn und sie gewesen! Sie bat also Lebius, sie ja nicht mit darin zu verwickeln, und er scheute sich nicht, es ihr hoch und heilig zu versprechen. Dann aber ging er schleunigst hin und brachte in Nummer 12 seiner »Sachsenstimme« einen Bericht, dem ich nur einige Punkte entnehme, die nicht einmal die schlimmsten sind, nämlich:

»Max Dittrich hatte von seiner ersten Frau keine Kinder, wohl aber zwei von seiner Stieftochter, bevor diese das 16. Lebensjahr erreichte.«

»Seine Frau härmte sich über die Ausschweifungen ihres Mannes zu Tode.«

»Obgleich seine zweite Frau sehr tolerant war, trieb Dittrich es schließlich so schlimm, daß eine Ehescheidung unvermeidlich wurde.«

»Mit der 16jährigen mit im Hause wohnenden Nichte seiner Frau unterhielt er ein mehrjähriges Verhältnis.«

»Dann fing er ein Verhältnis mit einem jungen Mädchen an.«

»Seine Frau ließ ihn durch ein Detektivbureau beobachten.«

»Während des Ehescheidungsprozesses wohnte Dittrich mit seiner Braut zusammen und hatte auch seine Tochter bei sich.«

»Jetzt ist er wegen schweren, syphilitischen Nervenleidens Halbinvalide« usw.

Man kann sich den Schreck der Verwandten denken, als sie das lasen und dann als Zeugen vor Gericht beordert wurden, weil Max Dittrich ganz selbstverständlich Herrn Lebius verklagte! Die Nichte mußte im Hause vernommen werden; sie lag krank. Die geschiedene Frau Dittrichs ging in ihrer Herzensangst zum Richter und sagte ihm aufrichtig, daß diese entsetzliche Sache ein absoluter Totschlag für das Glück ihrer jetzigen Ehe sei; sie werde das wohl kaum überleben. Dieser vortreffliche Herr hatte nicht nur das Gesetz im Kopfe, sondern dazu auch ein menschliches Herz in der Brust und erledigte die Vernehmung in entsprechender humaner Weise.

Selbst angenommen, daß die von Lebius angegebenen Punkte alle auf Wahrheit beruhten, so liegt doch wohl für jeden nur einigermaßen gebildeten und nicht verrohten Menschen die Frage nahe, ob die Veröffentlichung solcher Dinge gesetzlich resp. preßmoralisch statthaft sei. Ich bin überzeugt, daß jedermann, außer Lebius, diese Frage mit einem »Nein!« beantworten wird. Das würde zur Charakterisierung dieses Herrn jedenfalls genügen, ist aber noch lange nicht alles, denn wenn man Gelegenheit findet, die Akten Dittrich contra Lebius aufzuschlagen, so sieht man am Schlusse derselben Herrn Lebius in noch ganz anderer Weise beleuchtet. Er gesteht da nämlich ein, daß seine Verleumdungen gegen Max Dittrich

nicht wahr gewesen seien,

und erklärt sich bereit, die Kosten des Verfahrens zu tragen! Ich glaube, mehr braucht man nicht zu wissen, um diesen Herrn nun zu kennen.

Ob jemand aus dem Busch herausspringt und den anderen ermordet, oder ob jemand aus den Spalten seines Rowdyblattes heraus die Menschen niederknallt, so oft es ihm beliebt, das wird von der Strafgesetzgebung der Zukunft wohl ganz anders betrachtet und ganz anders behandelt werden als heutigen Tages. Doch gibt es, Gott sei Dank, auch jetzt schon geistige und menschheitsethische Instanzen, welche den Totschlag einer Menschenseele für wenigstens ebenso strafbar halten wie die Ermordung eines Menschenkörpers.

Am 27. März 1905 hatte Lebius die oben aufgeführten Anklagen in seiner »Sachsenstimme« gegen Max Dittrich geschleudert, und am 18. November darauf erklärte er in der zweiten Strafkammer des Königlichen Landgerichtes Dresden zu Protokoll:

»Ich erkläre, daß ich die gegen den Privatkläger in der »Sachsenstimme« vom 27. März 1905 erhobenen, beleidigenden Behauptungen