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Old Surehand I

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Wir haben keinen Grund zu erschrecken, denn die Comantschen sind es nicht, sondern es ist Winnetou. Da seht ihr, daß ich recht hatte, als ich sagte, daß er bald zu uns stoßen werde.«

»Könnt Ihr ihn erkennen, Sir?« fragte mich Old Surehand.

»Jetzt noch nicht.«

»So müssen wir dennoch vorsichtig sein!«

»Ist nicht nötig. Reiten wir weiter!«

»Aber wenn es nun ein Nachtrab der Comantschen wäre!«

»Der würde sich in Bewegung befinden; die Leute dort aber haben sich gelagert.«

»Können das die Feinde nicht auch thun?«

»Ja; aber Winnetou zeigt mir, daß er es ist.«

»Wie so?«

»Ihr habt hier wieder einmal Gelegenheit, den Scharfsinn und die Umsicht des Häuptlings der Apatschen zu bewundern. Er hat die Comantschen in einem Bogen umritten und dann in ihrem Rücken angehalten, um auf uns zu warten. Natürlich sagt er sich, daß wir seine Leute leicht für Naiini halten können, und so hat er seinen Trupp in einer Weise plaziert, aus welcher wir bestimmt ersehen können, daß er es ist. Hier habt Ihr mein Fernrohr; seht einmal durch, Mr. Surehand!«

Er that es und sagte dann in beifälligem Tone:

»Das ist allerdings schlau, sehr schlau von ihm!«

»Nun?«

»Die Leute da draußen lagern nicht eng bei einander, sondern so, daß sie die Figur eines Pfeiles bilden.«

»Und wohin ist die Spitze dieses Pfeiles gerichtet?«

»Nicht auf uns zu, sondern nach Südost, von uns also ab.«

»Dieser Pfeil soll die Richtung angeben, in welcher wir zu reiten haben. Winnetou sagt uns also, daß wir ruhig und unbesorgt weiterreiten können. Sagt mir einmal aufrichtig, Mr. Surehand, ob Ihr an seiner Stelle auf diesen Gedanken gekommen wäret?«

»Ich glaube kaum. Und Ihr, Mr. Shatterhand?«

»Wenn nicht grad auf diesen, so doch auf einen ähnlichen. Es war ja selbstverständlich ein Zeichen nötig, durch welches uns Aufklärung gegeben werden mußte. Diese eigenartige Aufstellung der Apatschen sagt uns aber nicht bloß, daß wir Winnetou vor uns haben, sondern sie giebt uns außerdem auch die Ueberzeugung, daß alles so steht, wie wir es wünschen.«

»Das denke ich auch, denn Winnetou würde nicht so ruhig lagern und auf uns warten, wenn irgend etwas gegen unsre Absicht gegangen wäre; es steht also alles gut. Dennoch habe ich ein Bedenken, welches ich Euch gern mitteilte, wenn ich wüßte, daß Ihr es mir nicht übelnehmen werdet.«

»Uebelnehmen? Kann mir gar nicht einfallen! Unter Kameraden, die wir doch sind, hat jeder das Recht, ja sogar die Pflicht, seine Meinung auszusprechen. Und wenn Ihr mich auf einen Fehler oder eine Unterlassung aufmerksam macht, so ist gar nichts andres möglich, als daß ich Euch dafür nur dankbar bin.«

»Mein Bedenken heißt: Wasser.«

»So, also Wasser!«

»Ja; darf ich es Euch erklären?«

»Das ist nicht nötig, denn ich weiß, was Ihr meint. Wenn wir die Comantschen durch den Durst bezwingen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß wir nicht selbst auch zu dürsten haben.«

»So ist es. Nun sind wir zwar für heut mit Wasser versehen, aber es kann der ganze morgende Tag vergehen, ehe wir mit Vupa Umugi fertig werden, und dann brauchen wir wieder einen vollen Tag, ehe wir die Oase erreichen. Für diese zwei Tage haben wir leider kein Wasser mit. Dazu kommt, daß die Comantschen es dann noch nötiger brauchen als wir.«

»Ja, so viel Wasser haben wir allerdings nicht mit; ich kann Euch aber beruhigen; wir werden trotzdem keinen Durst leiden.«

»Wirklich nicht?«

»Nein. Euer Bedenken war längst im stillen bei mir gehoben.«

»Ah, Ihr habt an diesen Punkt gedacht?«

»Oh gewiß, gewiß! Ich wäre ja der allerleichtsinnigste Mensch, wenn ich einen Plan erdächte, bei dessen Ausführung über dreihundert Menschen und Pferde im öden Llano estacado zusammenkommen, und dabei vergäße, für das nötige Wasser zu sorgen. Habt Ihr mich wirklich für so unbedachtsam gehalten?«

»Nein. Aber dieses Wasser ist nur in der Oase zu finden. Oder giebt es vielleicht noch eine andre Quelle, die Ihr wißt?«

»Nein. Wir holen es aus der Oase.«

»In welcher Weise? Sie ist einen Tagesritt von hier entfernt, also müssen wenigstens zwei Tage vergehen, ehe die Leute, welche es holen, zurückkehren können. Das ist schlimm!«

»Ihr irrt. Diese Boten würden nur die Nacht brauchen, um nach der Oase zu kommen, und morgen abend wieder hier sein!«

»Aber das halten ihre Pferde nicht aus!«

»Ist auch nicht nötig, denn sie brauchen gar nicht zurückzukehren.«

»Hm! Habe keine Ahnung, wie Ihr das anfangen wollt.«

»Es ist sehr einfach, Sir: Wir legen Relais.«

»Oh! Das ist freilich das allerbeste und allereinfachste. Daß ich nicht darauf gekommen bin!«

»Unsre Apatschen haben eine Menge Schläuche mit; dazu kommen die, welche dem Bloody-Fox gehören. Die schicken wir nach der Oase, wozu gar nicht viel Leute, aber desto mehr Pferde gehören. Diese Leute nehmen in gewissen Abständen auf einer Linie Posto, welche von hier nach der Oase führt. Es hat also kein Mann und kein Pferd die ganze Strecke zu machen, sondern nur von einem Posten zum andern zu gehen. So meine ich es.«

»Da habe ich Euch freilich um Verzeihung zu bitten, Sir! Ihr denkt an alles. Habt Ihr das mit Winnetou besprochen?«

»Nein; es ist darüber zwischen ihm und mir kein Wort gefallen; aber wir kennen uns und wissen, daß keiner von uns eine notwendige Maßregel versäumt. Aber was ist das? Die Apatschen haben keine Pferde! Nur Winnetou hat das seinige. Ah! Könnt Ihr Euch denken, warum, Mr. Surehand?«

»Nein,« antwortete er.

Wir waren während dieser Reden natürlich nicht halten geblieben, sondern weiter geritten und den Apatschen jetzt so nahe gekommen, daß wir sie deutlich sehen konnten. Sie hatten die Pfeilfigur aufgelöst und standen nun beisammen, uns entgegensehend. Ihre Pferde waren nicht bei ihnen; nur der Rappe des Häuptlings war da.

»Ihr werdet jetzt zum zweitenmal erkennen, daß Eure Befürchtung keinen Grund hatte,« erklärte ich Old Surehand. »Winnetou hat ebenso gesorgt, und zwar noch eher als ich. Wir beide pflegen uns in unsern Entschlüssen stets zu begegnen.«

»Ihr denkt, daß er seine Pferde und Schläuche schon nach der Oase geschickt hat?«

»Ja. Ihr seht, daß er nur höchstens dreißig Mann bei sich hat, und Bloody-Fox ist auch nicht da. Dieser ist ganz sicher mit den übrigen nach der Oase geritten, um Wasser zu holen.«

»Es wäre allerdings wunderbar, wenn Winnetou ganz denselben Gedanken wie Ihr gehabt hätte!«

»Er hat ihn gehabt; das versichere ich Euch.«

Als wir nach wenigen Minuten Winnetou und seine Leute erreichten, trat er auf mich zu und sagte:

»Mein Bruder Charley hat mich verstanden, als er unsre Aufstellung erblickte. Ich wollte ihm sagen, daß wir nicht Comantschen seien.«

»Wie weit sind sie vor uns?« fragte ich.

»Sie ritten sehr schnell, denn sie haben Durst, werden aber bald Halt machen müssen, denn die Sonne steht am Horizonte.«

»Ja, in einer Viertelstunde wird es dunkel sein. Wie lange hat man von hier aus bis zum Kaktusfeld zu reiten?«

»Zwei Stunden.«

»So werden sie es heut nicht mehr erreichen; das ist sehr gut für uns, denn dadurch bekommen wir sie morgen bei Tage und nicht heut abend in die Falle. Die Krieger meines roten Bruders haben ihre Pferde nicht bei sich. Winnetou hat sie mit den Schläuchen nach der Oase geschickt?«

»Ja. Bloody-Fox, der den schnurgeraden Weg kennt, ist mit ihnen, um sie in Zwischenräumen aufzustellen und den Weg mit Stangen zu bezeichnen, die wir übrig hatten. Aber die Schläuche, welche sie bei sich haben, reichen nicht aus.«

»So schicken wir die unsrigen nach, sobald wir Lager machen. Das ist es doch, was du mit berechnet hast?«

»Ja. Der Wind hat sich erhoben und meine Spur verweht; unser Plan wird also trefflich gelingen. Jetzt wollen wir weiter, um den Comantschen möglichst nahe zu bleiben, denn wenn sie morgen die Falle erreichen und in den Kaktus reiten, müssen wir so rasch hinter ihnen sein, daß sie, wenn ihr Mißtrauen erwacht, keinen Raum haben, umzukehren und zur Seite auszuweichen.«

Er stieg auf sein Pferd, und wir ritten fort. Seine Leute mußten allerdings laufen; sie hielten aber so gut mit uns Schritt, daß wir die nötige Schnelligkeit innehalten konnten. Selbst als es dann dunkel wurde, ritten wir weiter, von Pfahl zu Pfahl, bis wir uns sagten, daß wir nun anhalten müßten, wenn wir nicht auf die Feinde stoßen wollten.

Der Wind war inzwischen schwächer geworden und legte sich bald ganz. Es blieb nur so lange dunkel, bis die Sichel des Mondes sich zeigte. Vorher schon wurden die leeren Schläuche auf Pferde geladen, mit denen, als es hell geworden war, eine Anzahl der Apatschen aufbrachen. Winnetou ritt mit ihnen, um sie bis zum nächsten Relais-Posten zu begleiten, dessen Standort sie nicht kannten. So war denn alles Nötige besorgt, und wir konnten uns dem Schlafe überlassen, der uns sehr nötig war. Als Winnetou später zurückkehrte, legte er sich zu mir, ohne mich, der ich fest schlief, aufzuwecken. Ein andrer an seiner Stelle hätte mich gewiß geweckt, um mir die ihm nötig scheinenden Mitteilungen zu machen; er aber wußte, daß es zwischen uns dergleichen nicht bedurfte.

Er war, obgleich er sich später als wir niedergelegt hatte, am Morgen noch eher munter als wir. Wir hielten uns nicht mit dem Frühstücke auf. Essen konnten wir unterwegs; wir tranken nur und gaben das übrige Wasser den Pferden, die freilich nicht satt daran hatten. Dadurch wurden die Schläuche, die wir noch hatten, auch leer, und Winnetou schickte sie durch einige seiner Leute sogleich nach dem Relais. Er brauchte nicht mit zu reiten, weil es nicht mehr dunkel war, sondern es genügte, daß er diesen Männern die genaue Richtung angab.

Nun ging es wieder fort, und zwar in einem so schnellen Tempo, daß die Fußgänger zurückbleiben mußten; sie konnten nachkommen. Ich schaute fleißig durch das Rohr und überzeugte mich bald, daß wir gestern abend den Comantschen sehr nahe gekommen waren, denn wir kamen schon nach einer Viertelstunde an die Stelle, wo sie gelagert hatten, und sahen da, daß sie erst kurz vorher diesen Ort verlassen hatten.

 

Schon sehr bald darauf erblickte ich sie selbst. Auch Winnetou hatte sein Fernrohr zur Hand genommen. Er beobachtete sie kurze Zeit und sagte dann befriedigt:

»Sie reiten sehr langsam. Sieht mein Bruder das?«

»Ja. Ihre Pferde sind von dem zweitägigen Ritte ohne Wasser sehr ermattet.«

»Und sie selbst leiden auch Durst. Trotzdem werden sie sich lange weigern, sich uns zu ergeben.«

»Für Vupa Umugi giebt es einen noch viel größern Zwang als den Durst.«

»Mein Bruder meint die Medizinen des Häuptlings der Comantschen. Es war sehr gut, daß er sie mitgenommen hat, als er sich im »Thale der Hasen« befand. Der Sieg wird uns leicht werden und die Rückkehr dann bequem, weil Old Shatterhand die Comantschen Nale-Masiuvs gefangen genommen und den Dragonern übergeben hat.«

Das war das erste Wort, welches zwischen uns darüber fiel. Daß weder Nale-Masiuv noch die Kavalleristen gekommen waren, mußte ja ganz gegen seine Erwartungen gewesen sein, dennoch hatte er mich gestern nicht gefragt. Ein andrer hätte nicht eher geruht, als bis er von mir darüber aufgeklärt worden wäre; er aber hatte nicht eine einzige Frage ausgesprochen und mit seinem unvergleichlichen Scharfsinn alles erraten, wie seine jetzigen Worte bewiesen. Diese gaben mir Gelegenheit, ihm jetzt zu erzählen, in welcher Weise uns Nale-Masiuv in die Hände geraten war und wie wir uns seiner dann entledigt hatten. Am Schlusse meines Berichtes ließ er ein befriedigtes »Uff!« hören und fügte dann hinzu:

»Mein Bruder hat ganz richtig gehandelt. Alle diese Roten wären uns eine Last gewesen, schon des Wassers wegen, und die weißen Reiter auch, die wir gar nicht brauchen, um Vupa Umugi zu fangen. Nale-Masiuv ist durch den Verlust seiner Pferde genug bestraft und hat auch die Gewehre seiner Krieger verloren. Winnetou wird erfahren, ob der Kommandant sein Wort hält, ihnen das Leben zu lassen; hat er es gebrochen oder sich auch nur an einen oder einigen von ihnen vergriffen, so wird er es mir mit dem Leben bezahlen. Howgh!«

Damit war diese Angelegenheit vollständig erledigt, und auch über seine letztere Drohung brauchte ich kein Wort zu verlieren; es war ihm Ernst damit, und er führte sie sicher aus, wenn es sich später zeigte, daß der Kommandant sein Versprechen nicht gehalten hatte.

Die Entfernung bis zum Kaktusfelde, welches die Comantschenfalle werden sollte, war von Winnetou auf zwei Stunden abgeschätzt worden; wir brauchten aber drei, weil die Naiini wegen der Mattigkeit der Pferde so langsam ritten. Wir blieben immer in der Weise hinter ihnen, daß sie uns nicht bemerken, wir sie aber durch unsre Rohre sehen konnten. Sie bildeten nicht eine Einzelreihe, sondern ritten breit neben und hinter einander her. Nach der erwähnten Dauer von drei Stunden verringerte sich plötzlich diese Breite; sie rückten zusammen und begannen, eine schmale Linie zu bilden.

»Ah, der entscheidende Augenblick ist da!« sagte ich zu Winnetou. »Sie halten nicht an; sie scheinen also keinen Verdacht zu fassen.«

»Ja,« nickte er; »sie sind an der schmalen Oeffnung angekommen, die in den Kaktus führt. Sie können dieses Feld nicht überblicken und denken, daß es keine große Breite haben werde, weil Schiba-bigk scheinbar hindurchgeritten ist. Außer diesem Vertrauen treibt sie auch der Durst hinein. Wo Kaktus wächst, giebt es Feuchtigkeit, sie werden glauben, hinter demselben die Oase zu finden, denn sie wissen nicht, daß die Feuchtigkeit, welche diese Pflanzen hervorgebracht hat, nur unterirdisch und eine sehr geringe ist.«

Nach kurzer Zeit sahen auch wir den Kaktus, der in tausend und abertausend Exemplaren eine Strecke bedeckte, deren Ende weder nach vorn noch nach rechts oder links abzusehen war. Ein schmaler, lichter Streifen führte hinein und bildete eine Art Weg, dessen Boden so absolut unfruchtbar sein mußte, daß nicht ein einziges Würzelchen die nötige Nahrung fand. Und grad da, wo dieser Weg begann, hatte Winnetou eine Stange in den Boden stecken lassen, um den Comantschen die Ueberzeugung zu geben, daß sie hier in den Kaktus einzudringen hätten.

Das hatten sie auch wirklich ohne alles Bedenken gethan, und sie waren schon so weit drin, daß wir sie in der Ferne verschwinden sahen, als wir an dem Rande des stacheligen Dickichts ankamen. Da blieben wir natürlich halten und stiegen ab. Die Pferde wurden außer Schußweite hinter uns angepflockt, um im Falle eines allerdings kaum zu erwartenden Widerstandes nicht verletzt zu werden, und wir nahmen eine Aufstellung, die den Weg von seiner Mündung an bis weit hinein vollständig beherrschte und von den Comantschen bei ihrer Rückkehr nicht zu durchdringen war.

Dieser Weg hatte anfangs eine Breite von vielleicht zwanzig Schritten, wurde aber schon im Bereiche unsrer Kugeln so schmal, daß höchstens vier oder fünf Reiter eng nebeneinander Platz hatten. Das gab, wenn die Comantschen auf den wahnsinnigen Gedanken kommen sollten, uns anzugreifen, eine Tiefe von wenigstens dreißig und eine Breite von höchstens fünf Mann, und es genügte der sechste oder fünfte Teil von uns vollständig, diesen Angriff abzuschlagen. Unsre Kugeln brauchten ja nur die Vordersten niederzustrecken, die dann einen Wall bildeten, über den die andern nicht kommen konnten, zumal es ihnen wegen des Kaktus auch unmöglich war, nach rechts oder links auszuweichen.

So war es uns denn endlich gelungen, den Feind in die vortreffliche Falle zu locken, und wir konnten ruhig abwarten, was er nun beginnen werde. Beginnen? Es gab nur eins für ihn, nämlich umzukehren, sobald er die Stelle erreichte, wo der Weg aufhörte und er nicht weiter konnte.

Wir warteten eine Stunde, zwei Stunden und noch länger; die Comantschen kamen noch nicht. Sie waren jedenfalls am Ende des Weges nicht sogleich umgekehrt, sondern halten geblieben, um zu beraten; aber kommen mußten sie, darüber gab es gar keinen Zweifel. Wir hielten also unsre Blicke gespannt auf den Punkt gerichtet, wo sie erscheinen mußten.

»Uff!« rief endlich Winnetou, indem er vorwärts deutete.

Sein scharfes Auge hatte die Nahenden eher entdeckt als wir; sie kamen, langsam, müde und enttäuscht. Noch sahen sie uns nicht, weil wir an der Erde saßen und unsre Pferde weit draußen in der Wüste hatten. Bald aber stockte der lange, schmale Zug; sie hatten uns entdeckt, und wir standen auf, um uns ihnen zu zeigen.

Waren sie der Meinung gewesen, daß sie die Dragoner hinter sich hätten, so erkannten sie jetzt, daß sie sich da geirrt hatten. Sie waren so nahe, daß sie bemerken mußten, daß sie keine Weißen, sondern Indianer vor sich hatten.

»Welch ein Schreck für sie!« sagte Old Surehand, der neben mir stand.

»Schreck? Noch nicht,« antwortete ich.

»Aber gewiß!«

»Nein. Es ist noch kein Schreck, sondern erst nur Staunen.«

»Warum?«

»Sie können uns doch auch für die Comantschen Nale-Masiuvs halten.«

»Das ist freilich wahr.«

»Aber selbst wenn sie das thun, muß sie unsre Anwesenheit befremden, weil sie der festen Ueberzeugung gewesen sind, daß Nale-Masiuv die Dragoner hinter ihnen her getrieben bringe.«

»Richtig! Bin neugierig, was sie thun werden.«

»Was sie thun, das weiß ich. Sie werden einen oder einige Krieger vorwärts schicken, um zu erfahren, wer wir sind. Seht Ihr, da kommen sie schon!«

Wir sahen, daß sich zwei von ihnen trennten und sich uns langsam näherten, nicht zu Pferde, sondern zu Fuß.

»Will mein Bruder mit mir ihnen entgegengehen?« fragte ich Winnetou.

»Ja, thun wir das,« antwortete er.

Wir schritten ebenso langsam, wie die Comantschen kamen, in den Kaktus hinein, ihnen entgegen. Sie sahen, daß wir ein Roter und ein Weißer waren; das machte sie stutzig; sie blieben stehen. Wir winkten ihnen, zu kommen, und gingen weiter; da kamen sie zögernd näher, blieben aber bald wieder stehen.

»Mein Bruder Shatterhand mag sprechen!« sagte Winnetou.

Er überließ es mir bei solchen Gelegenheiten gewöhnlich, das Wort zu führen. Ich rief den beiden Naiini zu:

»Die Krieger der Comantschen mögen getrost näher kommen! Wir wollen mit ihnen sprechen, und es wird ihnen nichts geschehen, wenn sie nicht versuchen, ihre Waffen gegen uns zu brauchen.«

Da kamen sie. Ich hatte sie gerufen, weil ich nicht bis hin zu ihnen gehen wollte, denn da wären wir in die Schußweite der Comantschen geraten, und das mußten wir vermeiden. Wir trafen ungefähr auf halbem Wege mit ihnen zusammen, doch kamen sie nicht ganz zu uns heran.

»Vupa Umugi, der Häuptling der Naiini-Comantschen, hat euch abgeschickt, zu erfahren, wer wir sind,« sagte ich.

»Kennt ihr mich?«

»Nein,« antwortete der ältere von ihnen, während beide ihre Augen mit scheuer Ehrfurcht auf Winnetou gerichtet hielten.

»Auch den roten Krieger nicht, der da neben mir steht?«

»Uff! Das ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen!«

»Und ich bin Old Shatterhand, sein weißer Freund und Bruder.«

»Uff, uff!« riefen beide aus und betrachteten nun auch mich genau. Hatte sie schon der Anblick des Apatschen bestürzt gemacht, so wuchs diese Bestürzung, als sie meinen Namen hörten; doch bemühten sie sich, dies zu verbergen.

»Ihr glaubtet, die weißen Reiter hinter euch zu haben?« fuhr ich fort.

Ich erhielt keine Antwort.

»Und hinter diesen sollte Nale-Masiuv kommen?«

»Woher weiß das Old Shatterhand?« fragte der ältere.

»Ich weiß noch mehr; ja, ich weiß alles. Ihr wolltet die weißen Reiter in das Verderben locken, und befindet euch nun selbst darin. Blickt vorwärts! Dort stehen dreihundert Krieger der Mescalero-Apatschen, die ihre Gewehre bereit haben, euch bis auf den letzten Mann niederzuschießen, wenn ihr euch wehrt.«

»Uff, uff!«

»Ihr könnt auf keinen Fall zurück und hier durch. Ihr müßt euch uns ergeben. Wenn ihr das nicht thut, werdet ihr entweder erschossen oder müßt in dieser Kaktuswildnis, die euch keinen Ausweg bietet, elend verschmachten!«

Sie sahen einander an. Obgleich sie sich alle Mühe gaben, den Eindruck zu verheimlichen, den meine Worte auf sie machten, war es doch nicht zu verkennen, daß sie sich im höchsten Grade betroffen fühlten. Dann fragte derjenige von ihnen, welcher bisher geantwortet hatte:

»Wo sind die weißen Reiter?«

»Glaubst du, daß wir dir das sagen werden?«

»Und wo ist Nale-Masiuv?«

»Auch das sagen wir nicht. Dafür aber will ich dich fragen, wo Schiba-bigk mit seinen fünfzig Comantschen ist?«

»Uff! Schiba-bigk! Das wissen wir nicht!«

»Aber wir wissen es.«

»Wo?«

»Jedenfalls nicht da vor euch. Ihr habt geglaubt, ihm zu folgen; er ist aber gar nicht vor euch hergeritten.«

»Warum nicht?«

»Ihr seid gewöhnliche Krieger; wir aber sind Häuptlinge, welche nur mit Häuptlingen sprechen. Es fällt uns also nicht ein, eure Fragen zu beantworten; dennoch will ich euch einiges mitteilen, was ihr Vupa Umugi erzählen sollt.«

»Wir werden es ihm sagen.«

»Ihr seid zwei Tage lang den Pfählen gefolgt, weil ihr glaubtet, Schiba-bigk zeige euch durch sie den Weg; aber nicht er, sondern Winnetou hat sie in den Sand gesteckt, um euch in die Irre zu leiten.«

»Uff! Ist das wahr?«

»Old Shatterhand spricht stets die Wahrheit. Schiba-bigk konnte euch den Weg nicht zeigen, weil wir ihn gefangen genommen haben. Ebenso ist Nale-Masiuv mit allen seinen Kriegern gefangen; er ist in unsre Hände und in die Gewalt der weißen Reiter geraten, die wir vor ihm und vor euch warnten. Das ist es, was ihr Vupa Umugi sagen sollt.«

Er starrte mich erschrocken an und rief aus:

»Das wird Vupa Umugi nicht glauben!«

»Ob er es glaubt oder nicht, das ist uns gleichgültig; es ist aber wahr.«

»Wir wissen, daß Old Shatterhand die Wahrheit liebt; aber das, was er jetzt gesagt hat, will nicht in unsre Ohren. Würde er vielleicht bereit sein, es dem Häuptling selbst zu sagen?«

»Ja.«

»So werden wir zu Vupa Umugi zurückkehren, um ihm das mitzuteilen.«

»Thut es! Wir werden hier bleiben, um zu warten, bis er kommt.«

Sie gingen, und wir setzten uns nieder. Als sie ihre Kameraden erreicht hatten, sahen wir an den Bewegungen derselben, welche Wirkung ihre Botschaft hervorbrachte. Die Reiter stiegen alle von ihren Pferden, auf denen sie bis jetzt sitzen geblieben waren. Nach einer Weile kam ein einzelner auf uns zu; es war nicht Vupa Umugi, sondern der Mann, mit dem wir gesprochen hatten. Bei uns angekommen, teilte er uns mit:

»Der Häuptling der Comantschen hat unsre Worte vernommen und will sie nicht glauben; er möchte sie aus eurem Munde hören.«

 

»Er soll sie hören. Warum kommt er nicht?«

»Hier ist Old Shatterhand, und hier ist Winnetou, der Häuptling der Apatschen; da will Vupa Umugi nicht allein sein.«

»Gut, zwei zu zwei. Er mag noch jemand mitbringen.«

»Apanatschka, der zweite Häuptling der Naiini, wird bei ihm sein.«

»Wir haben nichts dagegen.«

»Old Shatterhand und Winnetou haben ihre Waffen bei sich; also dürfen Vupa Umugi und Apanatschka die ihrigen auch mitbringen?«

»Auch da sind wir einverstanden.«

»Sie haben keine Hinterlist zu befürchten?«

»Nein.«

»Und können frei zurückkehren, wenn sie mit euch gesprochen haben?«

»Ja.«

»Wir werden das glauben, wenn Winnetou und Old Shatterhand es mit ihrem Worte versprechen.«

»Ich verspreche es. Howgh!« antwortete Winnetou.

»Ich habe es schon gesagt und brauche es also nicht noch einmal zu versprechen,« erklärte ich. »Was Old Shatterhand sagt, ist wie ein Schwur. Uebrigens müssen Vupa Umugi und Apanatschka sehr feige Krieger sein!«

»Sie sind die mutigsten und tapfersten des ganzen Stammes! Warum spricht Old Shatterhand die Beleidigung, daß er sie für feig hält?«

»Weil du fragst, ob sie frei zurückkehren dürfen.«

»Diese Frage wird stets gethan, wenn feindliche Krieger zwischen ihren Scharen zu einer Besprechung zusammentreffen.«

»Haben wir diese Frage ausgesprochen?«

»Nein,« gab er verlegen zu.

»Schau hinter dich, und schau vor dich hin. Dort stehen die Apatschen und dort die Comantschen; wir aber befinden uns grad in der Mitte zwischen ihnen. Also hat keine der zwei Parteien, die hier zusammenkommen, einen Vorteil vor der andern. Wenn Vupa Umugi und Apanatschka eine Hinterlist gegen Winnetou und mich hegen, so ist die Gefahr für uns genau dieselbe wie diejenige, in welcher sie sich befänden, wenn wir sie betrügen wollten. Demnach haben wir nicht nach unserer Sicherheit gefragt; du aber hast unser Versprechen verlangt, daß sie frei zurückkehren dürfen. Wer ist da mutig, und wer ist feig? Hat Vupa Umugi dir befohlen, so zu fragen?«

»Ja.«

»So sag ihm, daß er sich ein Herz nehmen und zu uns kommen solle! Wir halten unser Wort und sind zu stolz, als daß wir uns an einem Comantschen vergreifen möchten, der durch solche Fragen beweist, daß er keinen Mut besitzt.«

Er ging.

»Das hat mein Bruder sehr gut gesagt,« lobte mich Winnetou, der an meiner Stelle gewiß genau ebenso gesprochen hätte.

Ich war neugierig auf Apanatschka, den zweiten Häuptling, der seinem Namen nach ein vorzüglicher Krieger sein mußte, denn das Comantschenwort Apanatschka bezeichnet einen Mann, der in allem gut und tüchtig ist.

Es dauerte nicht lange, so kamen beide, hoch aufgerichtet und stolz, wie Leute, welche den Vorteil auf ihrer Seite wissen. Sie wollten uns mit dieser Haltung imponieren, was ihnen aber freilich nicht gelingen konnte. Ohne ein Wort zu sagen, setzten sie sich uns gegenüber und hielten, die Gewehre quer über die Kniee gelegt, ihre Augen kalt auf uns gerichtet. Wir ließen uns dadurch nicht täuschen; in ihrem Innern sah es jedenfalls ganz anders aus als in ihren unbewegten Gesichtszügen, die eine Maske waren.

Aufrichtig gestanden, hatte ich in Apanatschka einen älteren Mann vermutet; aber er war noch jung, und ich mußte mir sagen, außer Winnetou noch keinen so interessanten Indianer gesehen zu haben.

Er war nicht überlang, aber seht stark und kräftig gebaut. Ich suchte vergeblich nach dem Indianertypus in seinem Gesichte; es gab da weder die etwas schief stehenden Augen noch die hervorragenden Backenknochen. Sein dunkles Haar war lang gewachsen und auf dem Scheitel zusammengebunden. Beinahe hätte ich behaupten mögen, daß es eigentlich ein Kraushaar und nur durch die Pflege schlicht und straff geworden sei. Trotz der dunkeln Farbe seines Gesichtes schien es mir, als ob auf seiner Oberlippe, seinem Kinn und seinen Wangen jener eigentümliche blauschwarze Schimmer liege, den man bei stark- und dunkelbärtigen Männern bemerkt, wenn sie rasiert worden sind. Sollte dieser Apanatschka, aller Indianerart entgegen, einen so dichten Bart besitzen, daß er sich rasieren mußte? Wo nahm er die Seife her? Bekanntlich rasieren sich die Indianer nicht, sondern sie reißen sich die wenigen Barthaare, die sie haben, so lange aus, bis sie nicht wiederwachsen. Dieser Indsman war mir sehr sympathisch. Sein Gesicht machte einen Eindruck auf mich, den ich am liebsten mit dem Ausdrucke »anheimeln« bezeichnen möchte. Hatte ich ihn denn schon einmal gesehen? Gewiß nicht! Aber dann gab es unter meinen jetzigen oder früheren Bekannten ein Gesicht, welches dem seinigen ähnlich war. Mit der Schnelligkeit des Blitzes tauchten in meinem Innern hundert und hundert dieser Gesichter auf, aber das betreffende war nicht dabei. Es ist eigentümlich, daß einem das am nächsten Liegende so oft am fernsten ist!

Wenn feindliche Häuptlinge zu einer Besprechung zusammentreffen, so ist es nicht der vornehmste, der zuerst das Wort ergreift. Je höher sich einer dünkt, desto länger hüllt er sich in Schweigen. Es gilt da die Annahme, daß derjenige zuerst zum Reden getrieben wird, welcher den meisten Grund hat, gute Worte zu geben. Vupa Umugi schien die Absicht zu haben, so zu thun, als ob ihm an einer Verständigung gar nichts gelegen sei; er schwieg und sein Gesicht zeigte, daß er nicht eher reden wolle, als bis er von uns angesprochen worden sei. Das konnte mir auch recht sein, denn wir hatten Zeit, viel mehr Zeit als er.

Ich richtete mein Auge auf Winnetou, und ein kurzer Blick von ihm sagte mir, daß er nicht gewillt war, die Unterredung zu beginnen. Darum wartete ich ein Weile, und als dann noch nichts erfolgte, streckte ich mich lang aus und schob meinen Arm unter den Kopf wie einer, welcher ruhen oder gar einschlafen will. Dieses Verhalten erreichte seinen Zweck, wenn auch einstweilen erst nur halb, denn Vupa Umugi warf Apanatschka einen auffordernden Blick zu, worauf dieser sagte:

»Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, haben mit uns sprechen wollen.«

Ich blieb liegen und antwortete nicht; auch Winnetou schwieg. Da wiederholte Apanatschka seine Worte:

»Old Shatterhand und Winnetou, der Häuptling der Apatschen, haben mit uns sprechen wollen.«

Er bekam auch jetzt keine Antwort; da wiederholte er dieselben Worte noch einmal. Nun richtete ich mich langsam auf und sagte:

»Was ich da höre, setzt mich in Verwunderung. Nicht wir haben mit euch sprechen wollen, sondern wir sind gefragt worden, ob wir nicht Vupa Umugi das sagen wollten, was seinen Boten unglaublich erschien. Wir haben ihm erlaubt, hierher zu kommen, und nun sitzt er da, als ob er gar nichts hören wolle. Warum schweigt er und läßt Apanatschka für sich sprechen? Ist er nicht klug genug zum Reden? Er, aber nicht Apanatschka, hat mit uns sprechen wollen, und wenn er den Mund nicht aufthut, so ist es uns auch recht. Wir haben Wasser genug und Fleisch, so viel wir brauchen. Wenn er eben so viel Zeit hat wie wir, so mag er noch weiter schweigen!«

Ich machte Miene, mich wieder niederzulegen, und das half; denn Vupa Umugi forderte mich auf:

»Old Shatterhand mag sitzen bleiben und meine Worte hören!«

»Ich höre!« erwiderte ich kurz.

»Old Shatterhand hat behauptet, daß Nale-Masiuv mit seinen Kriegern gefangen sei?«

»Ich sagte es, und es ist wahr. «

»Wo wurde er gefangen?«

»Bei den »hundert Bäumen«.«

»Von wem?«

»Von mir, den Kriegern der Apatschen und den weißen Reitern, die sich mit uns vereinigt hatten.«

»Schiba-bigk soll auch gefangen sein?«

»Er ist‘s.«

»Von wem?«

»Von Winnetou und mir mit unsern Apatschen.«

»Wo?«

»Als er von den »hundert Bäumen« unterwegs war, um dir durch die Pfähle den Weg zum Bloody-Fox zu zeigen.«

»Das kann ich nicht glauben!«

»So glaube es nicht!«

»Beweise es!«

»Pshaw! Vupa Umugi ist nicht der Mann dazu, von Old Shatterhand Beweise zu verlangen!«

»Wie kannst du so hintereinander auf Schiba-bigk, auf die weißen Reiter und auf Nale-Masiuv treffen? Einen solchen Zufall giebt es nicht.«

»Es war kein Zufall, sondern Berechnung.«

»Berechnung? Da hättest du alles wissen müssen, was die Krieger der Comantschen zu thun beschlossen hatten!«