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Old Surehand III

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Märgi loetuks
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Endlich, endlich hörte der Regen auf, aber die Wolken wichen noch nicht, und es blieb so dunkel wie vorher. Ich trieb mein Pferd an, um vorzeitigen Erkundigungen zu entgehen, und so kam es, daß Apanatschka sich an Dick Hammerdull machte. Sie unterhielten sich. Ich hatte nicht vor, auf ihre Reden zu achten, fing aber doch einige Ausdrücke des Dikken auf, welche mein Interesse erregten. Darum ließ ich meinen Schwarzen jetzt weniger ausgreifen und horchte hinter mich, doch ohne dies durch meine Haltung zu verraten. Apanatschka bediente sich des zwischen Weißen und Roten gebräuchlichen Idiomes, welches aus englischen, spanischen und indianischen Wörtern zusammengesetzt ist und von jedem guten Westmanne verstanden und gesprochen wird. Er schien eben erst gefragt zu haben, was ich sei, denn ich hörte den Dicken antworten:

»Ein Player[9], ist er, weiter nichts.«

»Was ist das, ein Player?«

»Ein Mann, der überall herumzieht und Bären- oder Büffeltänze tanzt, wie du vorhin von den Osagen gesehen hast.«

»Uff! Die Bleichgesichter sind doch sonderbare Leute. Die roten Männer sind zu stolz, für andere zu tanzen. Willst du mir sagen, wie sein Name ist?«

»Er heißt Kattapattamattafattagattalattarattascha.«

»Uff, uff, uff! Ich werde ihn sehr oft hören müssen, ehe ich ihn nachsprechen kann. Warum spricht das gute Bleichgesicht, welches mich gerettet hat, nicht mit uns?«

»Weil er nicht hören kann, was wir ihm sagen.«

»Ist er taub?«

»Vollständig taub!«

»Das thut meinem Herzen leid, weil er den Dank nicht hören kann, den Apanatschka ihm bringen möchte. Hat er eine Squaw, und hat er Kinder?«

»Er hat zwölf Squaws, denn jeder Player muß zwölf Frauen haben, und zweimal zwanzig Söhne und Töchter, die auch alle taub sind und nicht hören.«

»Uff, uff! So kann er mit seinen Frauen und Kindern nur durch Zeichen sprechen?«

»Ja.«

»So muß er zehnmal zehn und noch viel mehr verschiedene Zeichen haben! Wer soll sich diese alle merken! Er muß ein sehr mutiger Mann sein, daß er sich in die Wildnis wagt, ohne hören zu können, denn die Gefahren, welche es hier giebt, werden doppelt groß, wenn man sich nur auf seine Augen verlassen muß.«

Ob Dick Hammerdull, indem er mich für taub ausgab, irgend eine bestimmte, lustige Absicht hegte, oder ob ihm diese Behauptung ohne bestimmten Grund auf die Lippen gekommen war, das »blieb sich ganz egal«, wie er sich auszudrücken pflegte, denn es trat jetzt ein Umstand ein, durch welchen seine Unwahrheit offenbar wurde. Es kam mir nämlich trotz des Geräusches, welches durch die Schritte unserer Pferde verursacht wurde, So vor, als ob ich vor uns Hufschlag hörte. Ich hielt sofort an und gebot dem Dicken und Apanatschka, natürlich mit leiser Stimme, ihre Pferde auch zu zügeln. Ja, ich hatte recht gehört: Es gab einen Reiter, welcher sich uns näherte, doch ohne gerade und direkt auf uns zuzukommen. Da entstand die Frage, ob wir ihn vorüberlassen sollten oder nicht. Ich war aus naheliegenden Gründen geneigt, anzunehmen, daß es ein Osage sei. Wenn ich mich da nicht täuschte, so konnte er uns als Bote zwischen uns und seinen Kriegern nützlich sein, da diese doch erfahren mußten, daß wir ihren Häuptling ergriffen hatten, und so beschloß ich, ihn gefangen zu nehmen.

»Bleibt hier, und haltet mein Pferd und meine Gewehre,« raunte ich den beiden zu, indem ich abstieg und Apanatschka meinen Schwarzen und Hammerdull die Gewehre gab. Dann eilte ich nach links hinüber, wo ich, wenn mich mein Gehör nicht täuschte, auf den Nahenden treffen mußte. Er kam; ich duckte mich nieder, ließ ihn so weit vorüber, daß ich einen Anlauf nehmen konnte, holte aus und sprang von hinten auf sein Pferd. Ich hatte, als er an mir vorbeikam, gesehen, daß er ein Indianer war. Der ahnungslose Mann war, als er mich so plötzlich hinter sich fühlte, in der Weise überrascht, daß er nicht die geringste Bewegung zu seiner Verteidigung machte. Ich nahm ihn so fest bei der Kehle, daß er die Zügel fallen und die Arme sinken ließ. Leider verhielt sich sein Pferd weniger passiv als er. Es fühlte die plötzlich verdoppelte Last, stieg vorn empor und begann dann zu bocken und mit allen vieren auszuschlagen. Das war für mich keine Kleinigkeit. Ich saß hinter dem Sattel, hatte den Reiter festzuhalten und mußte versuchen, die Zügel zu erwischen. Am Tage wäre das leichter gewesen, aber in der jetzt herrschenden Dunkelheit konnte ich die Zügel nicht sehen und war nur darauf angewiesen, mich zu bemühen, ja nicht abgeworfen zu werden. Da tauchte an meiner Seite eine Gestalt auf, welche nach dem Maule des Indianerpferdes griff. Ich machte meine rechte Hand frei, langte mit derselben nach dem Revolver in meinem Gürtel und fragte:

»Wer ist das? Soll ich schießen?«

»Ich bin Apanatschka,« antwortete der Gefragte. »Old Shatterhand mag den Osagen herabwerfen!«

Er hatte aus dem Stampfen der Hufe gehört, in welcher Lage ich mich befand, war von seinem Pferde gesprungen, hatte Hammerdull die Zügel des meinigen gegeben und sich dann beeilt, mir zu Hilfe zu kommen. Es gelang ihm, den Zaum des Indianerpferdes zu erfassen und dieses zum Stehen zu bringen. Ich ließ den Gefangenen herabfallen und sprang nach, um ihn sofort wieder zu packen, da seine Bewegungslosigkeit nur eine Finte sein konnte, mit welcher er mich täuschen wollte. Er leistete aber auch jetzt keinen Widerstand. Er war nicht etwa besinnungslos; der Schreck schien ihm die Gewalt über sich genommen zu haben.

»Apanatschka hat mich erkannt?« fragte ich den Komantschen.

»Als du mir dein Pferd zum Halten gabst, glaubte ich, deinen Hatatitla zu sehen,« antwortete er. »Sodann bemerkte ich, daß dein Gefährte nicht ein sondern zwei Gewehre von dir empfing, und wenn ich dann noch im Zweifel war, so mußte ich, als ich dich hier hinter dem roten Krieger sitzen sah, endlich wissen, wer du bist. So einen Sprung pflegt, noch dazu des Nachts, nur Winnetou oder Old Shatterhand zu wagen, obgleich der letztere weiße Jäger leider nicht mehr hören kann! Was soll mit diesem Gefangenen, der jedenfalls ein Osage ist, geschehen?«

»Ich ahne, daß er ein Kundschafter ist, den wir mit uns nehmen müssen.«

Wir riefen Hammerdull herbei. Der Indianer bekam jetzt seine Beweglichkeit wieder; er versuchte, Widerstand zu leisten, der ganz unnütz war; er wurde auf sein Pferd gebunden, und dann setzten wir den unterbrochenen Ritt fort.

Man denke ja nicht, daß nun, wie es unter Weißen unvermeidlich gewesen wäre, zwischen mir und Apanatschka viel Worte gemacht wurden. Wenn sich zwei Freunde so lange nicht gesehen haben und unter Umständen, wie die heutigen, sich so unerwartet wiedersehen, so sollte man meinen, daß zunächst die Herzen in ihr Recht zu treten hätten. Das war ja auch der Fall, aber sie machten von diesem Rechte nicht durch überflüssige Worte Gebrauch. Als wir uns wieder in Bewegung gesetzt hatten, lenkte der Naiini-Komantsche sein Pferd dicht an das meinige heran, langte zu mir herüber, ergriff meine Hand und sagte im Tone innigster Freude:

»Apanatschka dankt dem großen, guten Manitou, daß er ihm erlaubt hat, den besten unter allen weißen Kriegern wiederzusehen. Old Shatterhand hat mich vom sichern Tode errettet!«

»Seit ich von meinem jungen Freunde, dem tapfern Häuptling der Naiini, scheiden mußte, hat meine Seele sich stets nach ihm gesehnt,« antwortete ich. »Der große Geist liebt seine Kinder und erfüllt ihre Wünsche grad dann, wenn sie es für unmöglich halten!«

Weiter wurde nichts gesprochen. Er hielt mich fest, und so ritten wir Hand in Hand eng nebeneinander, bis die Nacht dem grauenden Morgen wich und ich sehen konnte, daß ich auch auf diesem Ritte die rechte Richtung nicht verfehlt hatte. Das war mir sehr lieb, weil ich gern noch vor Winnetou am Ziele ankommen wollte.

Das Kih-pe-ta-kih liegt im Westen von Kansas, welcher bekanntlich zur Kreideformation gehört. Dort und im Südwesten wird in neuerer Zeit viel Salz gewonnen. Tritt an einer Stelle das Salz in größerer Menge auf und wird vom Regen- oder von irgend einem Quellwasser ausgelaugt, so können unterirdische Höhlungen entstehen, deren Decke nachstürzt, weil sie keinen festen Halt besitzt. Diese Einstürze haben gewöhnlich tiefe, senkrechte Wände und sehr scharfe Kanten; sind die Wände dicht, so bildet sich mit der Zeit ein See, welcher die ganze Vertiefung ausfüllt; sind sie aber porös, so sickert das Wasser durch, und nur der tief gelegene Boden hält eine Feuchtigkeit fest, welche das Entstehen und Gedeihen eines mehr oder minder kräftigen Pflanzenwuchses begünstigt. Hat diese Vegetation erst aus salzbegehrenden Pflanzen bestanden, so siedeln sich später in demselben Grade salzfeindliche Pflanzen an, als der Salzgehalt des Bodens verschwindet. Liegt eine solche Senkung in einer vollständig ebenen Gegend, so macht sie von weitem einen eigenartigen Eindruck, weil nur die Wipfel der Bäume zu sehen sind, welche unten im tief liegenden Grunde Wurzel geschlagen haben.

Eine solche Stelle war das Kih-pe-ta-kih, welcher Dakotaname »alte Frau« bedeutet. Der von der unfruchtbaren Ebene scharf abgegrenzte, vegetationsreiche Ort zeigte nämlich in seinen Umrissen die Konturen einer am Boden hockenden Indianer-Squaw.

Die Sonne stieg eben hinter uns am Horizonte auf, als wir diese grüne Squaw vor uns erscheinen sahen. Wir erreichten die Stelle an der linken Hüfte der Figur, während Winnetou von rechts her zu erwarten war. Ich ließ aus Vorsicht halten und ging einmal um die ganze Frau herum. Es war keine Spur eines menschlichen Wesens zu sehen, und so führten wir unsere Pferde an einer weniger steilen Stelle auf den Grund hinab, wo wir den Gefangenen von seinem Gaule nahmen und an einen Stamm festbanden. Der Ausdruck Gaul war eigentlich eine Beleidigung für dieses Pferd, welches jedenfalls zu den besten der Osagen gehörte. Erwähnen muß ich, daß der Rote wirklich ein Osage war. Er hatte sich mit den Kriegsstreifen bemalt und ließ auf keine der an ihn gerichteten Fragen eine Antwort hören.

 

Ich hätte nun Zeit gehabt, Apanatschka nach seinen Erlebnissen zu fragen, welche zwischen unserer Trennung und dem jetzigen Wiedersehen lagen, zog es aber vor, lieber zu warten, bis er selbst anfangen würde, davon zu sprechen. Einem Charakter, wie er war, gegenüber durfte ich keine Neugierde verraten. Mein dicker Hammerdull war von weniger vornehmer Gesinnung. Er hatte sich kaum niedergesetzt, so wendete er sich mit der Frage an ihn:

»Ich höre, daß mein roter Bruder ein Häuptling der Komantschen ist. Wie konnte es geschehen, daß er in die Gefangenschaft der Osagen geriet?«

Der Gefragte deutete, indem ein leises Lächeln über sein Gesicht ging, mit der Hand nach seinen beiden Ohren.

»Hat ein Kampf zwischen dir und ihnen stattgefunden?« erkundigte sich der zudringliche Dick weiter.

Apanatschka antwortete mit derselben Gebärde. Da wendete sich Hammerdull an mich:

»Er scheint mir nicht antworten zu wollen; fragt Ihr ihn doch einmal, Mr. Shatterhand!«

»Das würde auch vergeblich sein,« erwiderte ich.

»Warum?«

»Versteht Ihr denn nicht, was er meint? Er kann nicht hören.«

Da ging dem Dicken ein Licht auf. Er zog den Mund breit, ließ ein lustiges Lachen hören und sagte:

»Well! So hat er wohl auch zwölf Frauen und zweimal zwanzig Söhne und Töchter wie Ihr?«

»Sehr wahrscheinlich!«

»Da will ich mich nur in acht nehmen, daß ich nicht auch noch taub werde, sonst hören wir alle drei nichts mehr! Es geht so schon still genug hier zu. Habt Ihr nichts für mich zu thun, Sir, damit mir die Zeit nicht gar so lange wird?«

»Doch. Steigt hinauf, und schaut nach Winnetou aus! Ich möchte es gern vorher wissen, wenn er kommt.«

»Ob Ihr es wißt oder nicht, das ist ganz egal; aber ich werde es Euch sagen.«

Er ging, und nun, als er sich entfernt hatte, schien Apanatschka wenigstens eine Bemerkung für nötig zu halten, um kein für ihn ungünstiges Urteil in mir aufkommen zu lassen. Er ließ einen verächtlichen Blick über den Gefangenen streifen und sagte:

»Die Söhne der Osagen sind keine Krieger; sie fürchten die Waffen tapferer Männer und fallen nur aber wehrlose Leute her.«

»Ist mein Bruder wehrlos gewesen?« fragte ich.

»Ja. Ich hatte nur ein Messer bei mir, weil mir jede weitere Waffe verboten war.«

»Ah! Mein Bruder war unterwegs, um sich den heiligen Yatkuan[10], zu holen?«

»So ist es. Apanatschka wurde von dem Rate der Alten ausersehen, nach Norden zu reiten, um die heiligen Steinbrüche aufzusuchen. Mein Bruder Shatterhand weiß, daß, so lange es rote Männer giebt, kein Krieger, welcher von seinem Stamme nach dem Yatkuan ausgeschickt wird, eine andere Waffe als nur das Messer führen darf. Er hat keinen Pfeil und keinen Bogen, kein Gewehr und keinen Tomahawk nötig, weil er kein Fleisch, sondern nur Pflanzen essen darf und sich gegen keinen Feind zu verteidigen braucht, weil es verboten ist, einen Mann, der nach den heiligen Steinbrüchen reitet; unfriedlich zu behandeln. Apanatschka hat noch nie von einem Falle gehört, daß dieses Gesetz, welches bei allen Stämmen Geltung hat, übertreten worden ist. Die Hunde der Osagen aber haben die Schande auf sich geladen, mich zu überfallen, gefangen zu nehmen und zu fessseln, obgleich ich nur das Messer hatte und ihnen durch das Wampum des Kalumets bewies, daß ich mich auf dem Wege der großen Medizin befand.«

»Du hast ihnen das Wampum vorgezeigt?«

»Ja.«

»Ich sehe es nicht. Du hast es nicht mehr?«

»Nein. Sie haben es mir abgenommen und in das Feuer geworfen, von dem es verzehrt worden ist!«

»Unglaublich! So etwas ist allerdings noch niemals vorgekommen! Sie haben damit ihre Ehre in die Flammen geworfen und für alle Zeit vernichtet. Sie mußten dich, selbst wenn du ihr größter Feind gewesen wärst, als Gast behandeln!«

»Uff! Ich sollte sogar getötet werden!«

»Hast du dich gewehrt, als sie dich ergriffen?«

»Durfte ich das?«

»Nein.«

»Hätte ich mich gewehrt, so wäre das Blut vieler von ihnen geflossen; da ich mich aber auf mein Wampum und die uralten Gesetze verließ, die noch niemand zu übertreten wagte, bin ich ihnen willig wie ein Kind in ihr Lager gefolgt. Von nun an darf jedem Osagen, der einem ehrlichen Krieger begegnet, ins Gesicht gespieen werden und – – —«

Er wurde unterbrochen, denn Dick Hammerdull kam und meldete, daß Winnetou zu sehen sei. Ich wollte den Apatschen mit dem Naiini-Komantschen überraschen, bat also Apanatschka, hier bei dem Gefangenen zu bleiben, und ging mit Dick Hammerdull nach der andern Seite des Kih-pe-takih, wo die Angemeldeten erscheinen mußten. Ich hatte natürlich erwartet, fünf Personen zu sehen, nämlich Winnetou, Treskow, Holbers, Old Wabble und Schahko Matto, bemerkte aber zu meiner Verwunderung, daß sich noch ein Indianer bei ihnen befand. Als sie näher gekommen waren, sah ich, daß dieser auch auf das Pferd gebunden war. Winnetou hatte also noch einen Gefangenen gemacht; die Kriegsfarben in seinem Gesichte zeigten, daß er auch ein Osage war.

Ich trat, damit der Apatsche nicht erst rekognoszieren solle, soweit vor das Gesträuch, daß er mich erkennen mußte. Er lenkte also gerade auf mich zu, hielt bei uns an und fragte:

»Befindet sich mein Bruder schon vor mir hier, weil ihm etwas Böses begegnet ist?«

»Nein, sondern weil alles schneller und besser ging, als ich denken konnte.«

»So geleite er uns zu seinen Pferden! Ich habe ihm sehr Wichtiges zu berichten.«

Schahko Matto hatte diese Worte gehört; ich fing einen triumphierenden Blick auf, den er auf mich warf, und ließ infolgedessen die Bemerkung hören:

»Die Pferde befinden sich auf der andern Seite; wir werden aber gleich hier unten lagern.«

Der scharfsinnige Winnetou ahnte sofort, daß es sich um eine Heimlichkeit handle; er warf einen kurzen Blick in mein Gesicht und ließ dann ein befriedigtes Lächeln um seine Lippen spielen. Der Häuptling der Osagen aber machte mir in barschem Tone die Bemerkung:

»Old Shatterhand wird erfahren, was geschehen ist, und mich in kurzer Zeit freilassen müssen!«

Ich antwortete nicht und stieg in die Vertiefung hinab. Die andern folgten mir, indem Hammerdull und Holbers die Pferde der beiden Indianer führten. Dabei hörte ich, daß der Dicke zu seinem langen Busenfreunde sagte:

»Also bei euch ist etwas sehr Wichtiges passiert, Pitt Holbers, altes Coon?«

»Wenn du denkst, daß es wichtig ist, so hast du es erraten,« lautete die Antwort.

»Ob erraten oder nicht, das bleibt sich gleich. So wichtig ist es aber jedenfalls nicht wie das, was – —«

»Laßt das Plaudern!« unterbrach ich ihn. »Ehe die Reihe, zu reden, an Euch ist, sind vorher schon noch andere da!«

Er merkte, daß er im Begriffe gestanden hatte, einen Fehler zu begehen, und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund. Auf dem Grunde des Einsturzes angekommen, banden wir die Gefangenen von den Pferden, legten sie auf den Boden und setzten uns zu ihnen nieder.

Winnetou, welcher nicht wissen konnte, womit ich hinter dem Berge hielt, warf mir heimlich einen fragenden Blick zu, worauf ich die Aufforderung an ihn richtete:

»Mein Bruder lasse mich das Wichtige wissen, was er mir mitzuteilen hat!«

»Soll ich mit offenem Munde sprechen?«

Er meinte damit, ob er ohne alle Rücksicht auf das, was ich noch zu verschweigen hatte, reden könne.

»Ja,« nickte ich. »Hoffentlich ist es nichts Unangenehmes, was geschehen ist!«

Was ich erwartet hatte, das geschah: Old Wabble fiel schnell und in höhnischem Tone ein:

»Sehr unangenehm sogar, höchst unangenehm für Euch! Wenn Ihr etwa glaubt, uns noch immer sehr fest und sicher in den Händen zu haben, so irrt Ihr Euch gewaltig!«

»Pshaw! « lachte ich. »Die Karten stehen für uns ja noch besser als vorher!«

»Wieso?«

»Wir haben heut einen Gefangenen mehr als gestern!«

»Und Ihr meint, das sei vorteilhaft für euch? Laßt Euch doch von Winnetou sagen, wie die Sachen stehen!«

Der Apatsche überwand in diesem Falle einmal seinen Stolz, indem er in wegwerfendem Tone sagte:

»Der alte Cowboy hat ein Gift auf seiner Zunge; ich will ihn nicht hindern, es über uns auszuspritzen.«

»Ja, es ist ein Gift, und zwar ein solches, an dem ihr alle zu Grunde gehen werdet, wenn ihr uns nicht sofort die Freiheit gebt; th‘is clear!«

»Unnütze Redensart, um uns bange zu machen!« lachte ich.

»Lacht immerhin! Das Lachen wird euch gleich vergehen, wenn ihr hört, was während eurer glorreichen Abwesenheit geschehen ist.« Er deutete auf den neugefangenen Roten und fuhr fort: »Den Kriegern der Osagen dauerte die Rückkehr ihres Häuptlings zu lange; darum sandten sie diesen Mann zu ihm, um den Grund seines langen Bleibens zu erfahren. Er kam nach dem Wäldchen, wo ihr uns überfallen habt; wir waren fort; er folgte aber unserer Spur und entdeckte unsern gestrigen Lagerplatz. Merkt Ihr noch nichts?«

»Ich merke nur, daß er dabei ergriffen wurde.«

»Schön! Aber etwas wißt Ihr nicht, nämlich daß er nicht allein gewesen ist. Es war ein zweiter Osage bei ihm, welcher klüger und vorsichtiger war als er. Dieser entkam und ist nun zurückgeeilt, um einige hundert Verfolger zu holen, die Euch sicher jetzt schon auf den Fersen sind. Ich gebe Euch den Rat, uns augenblicklich freizulassen; das ist das beste, was Ihr thun könnt; denn wenn diese Menge von Osagen kommt und uns noch in euern Händen findet, so werden sie keine Schonung üben, sondern euch auslöschen, wie der Sturm schwache Zündhölzer auszublasen pflegt!«

»Ist das alles, was Ihr mir zu sagen habt?« fragte ich.

»Einstweilen ja; aber wenn Ihr so albern seid, meinen guten Rat nicht zu beachten, so kommt noch mehr!«

»Dann doch lieber gleich heraus mit diesem Mehr!«

»Nein. Erst will ich sehen, ob Old Shatterhand wenigstens einmal nur den hundertsten Teil der großen Klugheit besitzt, die man ihm irrtümlicherweise zuzuschreiben pflegt.«

»Soviel ist gar nicht notwendig, denn schon der zehntausendste Teil reicht für mich vollständig zu, Eure Drohung zu verlachen. Auch angenommen, daß alles ganz genau so ist, wie Ihr sagt, so befindet Ihr Euch noch in unserer Gewalt, und Eure Osagen sind noch nicht da. Was hindert uns, euch auszulöschen, so wie der Wind Zündhölzer ausbläst?«

»Pshaw! Das thut Ihr nicht, denn Ihr seid ein viel zu guter und viel zu liebevoller Christ dazu und sagt Euch ganz gewiß, daß die Osagen unsern Tod blutig rächen würden.«

»Diese paar Leute? Was sind die gegen Winnetou, von mir gar nicht zu reden!«

»Ja, Eure Einbildung ist groß genug, das weiß man schon! Aber ich ahne, was Euch solchen Mut einflößt!«

»Nun, was?«

»Ihr seid auch, wie Winnetou, auf Fenners Farm gewesen und habt dort um Hilfe gebeten. Wahrscheinlich sind nun einige arme Cow-boys unterwegs, mit denen Ihr uns schrecken wollt.«

»Pshaw! Wenn Ihr einigermaßen rechnen könntet, so müßtet Ihr wissen, daß ich von Fenners Farm jetzt noch nicht wieder hier sein könnte. Ich war an einem ganz, ganz anderen Orte und habe Euch zum Beweise, mit welcher Liebe ich dort an Euch dachte, jemand mitgebracht.«

»Möchte wissen, wer das ist. Laßt ihn doch sehen!«

»Sofort! Diese Freude kann ich Euch und Schahko Matto schon gern machen.«

Ich sagte Dick Hammerdull einige Worte in das Ohr. Er nickte lachend, stand auf und entfernte sich. Alle, selbst Winnetou, obgleich sich dieser gar nichts merken ließ, waren gespannt darauf, wen der Dicke bringen würde. Als er nach kurzer Zeit zurückkehrte, führte er unsern gefangenen Osagen am Arme.

»Uff!« rief Schahko Matto erschrocken.

»All devils!« schrie Old Wabble. »Das ist ja der – —«

Er hielt es für geraten, mitten im Satze abzubrechen. Ich winkte Hammerdull, den Roten wieder fortzuführen, weil dieser durch ein Wort die Anwesenheit Apanatschkas verraten konnte, und fragte den alten Cowboy:

»Das war der Rote, welcher die Hunderte von Osagen holen sollte. Denkt ihr jetzt noch, daß sie kommen werden?«

»Der Teufel hole Euch!« zischte er mich an.

»Uff!« fiel Schahko Matto ein. »Old Wabble hat ja den Naiini ganz vergessen!«

»Das fällt mir gar nicht ein!« entgegnete dieser und fügte, zu mir gewendet, hinzu: »Ich habe schon bemerkt, daß ich noch eine Karte habe, die Ihr gewiß nicht übertrumpfen könnt, für so klug und weise Ihr Euch immer halten mögt!«

 

»Die möchte ich kennen lernen!«

»Werde Euch gleich behilflich dazu sein! Ihr werdet Euch sicher noch mit großem Vergnügen an den Llano erinnern, wo Ihr die Ehre hattet, von – – —«

»Von Euch bestohlen zu werden,« fiel ich ihm in die Rede.

»Auch richtig, doch wollte ich etwas anderes sagen,« lachte er. »Es gab dort einen jungen Naiini-Häuptling. Wie hieß er doch nur gleich?«

»Apanatschka,« antwortete ich, mich ganz ahnungslos stellend.

»Yes, Apanatschka! Ihr hattet ihn sehr lieb, nicht?«

»Ja.«

»Da Ihr Euch eines ausgezeichnet guten Herzens rühmt, vermute ich, daß diese Eure Liebe sich nicht verringert hat?«

»Sie ist im Gegenteile inzwischen noch gewachsen!«

Er sprach in überlegenem Tone, weil er glaubte, seiner Sache ganz sicher zu sein, und ich ging auf diesen Ton ein, weil ich bemerkte, daß Apanatschka mir in der Rolle, die ich ihm zugedacht hatte, entgegenkam. Hammerdull war, als er den Osagen fortgeführt hatte, nicht wiedergekommen; ich sah an seiner Stelle den Naiini-Häuptling im Gebüsch stehen. Er mochte vermutet haben, daß ich nun auch mit seiner Person eine Ueberraschung beabsichtige, und hatte sich herbeigeschlichen, ohne abzuwarten, bis ich ihn holen ließ. Ein Blick in Winnetous Gesicht verriet mir, daß die scharfen Augen des Apatschen ihn auch schon entdeckt hatten.

»Noch gewachsen?« wiederholte Old Wabble meine Worte. »Ihr wollt wahrscheinlich damit sagen, daß Ihr ihn noch heut wie damals als Euern Freund und Bruder betrachtet?«

»Ganz gewiß!«

»Für den Euch kein Opfer zu groß sein würde?«

»Ja. Ich will damit sagen, daß ich ihn in keiner Gefahr stecken lassen würde, und wenn ich mein Leben wagen sollte.«

»Schön! Ich kann Euch nun zufälligerweise sagen, daß er sich in der größten Gefahr befindet, die es für ihn geben kann.«

»Ah, wirklich?«

»Ja.«

»Welche wäre das?«

»Er ist Gefangener der Osagen.«

»Das glaube ich nicht.«

Old Wabble hatte mich angesehen, als ob er glaube, daß ich sehr erschrecken werde; als aber meine Antwort so schnell und in so gleichgültigem Tone erfolgte, versicherte er eifrig:

»Ihr denkt wahrscheinlich, ich mache Euch etwas vor; es ist aber wahr, wirklich wahr!«

»Unsinn!«

»Tragt den Osagen hier, den Winnetou gestern abend gefangen nahm! Er hat uns die Botschaft gebracht, über die wir uns grad so sehr gefreut haben, wie sie Euch ungelegen kommen muß.«

»Es ist dennoch Lüge, daß er gefangen ist!«

»Ich schwöre es Euch mit hundert Eiden zu!«

»Pshaw! Old Wabbles Eide gelten bei mir weniger als nichts! Aber sagt, ist die Gefangennahme Apanatschkas etwa die Karte, die ich nicht übertrumpfen kann?«

»Natürlich!«

»So ahne ich, was Ihr meint. Ihr seid der Ansicht, daß wir Euch gegen ihn auslösen werden?«

»Seht, wie klug Ihr werdet, wenn man Euch mit der Nase an die richtige Stelle stößt! Ihr habt es allerdings erraten.«

»So thut es mir um Euretwillen leid, daß es eine Stelle giebt, an welche ich nun Eure Nase stoßen muß.«

»Was für eine denn?«

»Der Busch, da rechts von Euch. Seid so gut, Eure Nase einmal dorthin zu richten!«

Er wendete den Kopf nach der angegebenen Seite. Apanatschka hatte jedes unserer Worte gehört und verstanden; er schob das Gezweig mit den Armen zur Seite und trat zu uns heraus. Wenn ein Blitz vor ihnen niedergefahren wäre, hätten Schahko Matto und Old Wabble nicht mehr erschrecken können, als sie jetzt beim Anblicke des Komantschenhäuptlings erschraken.

»Nun?« fragte ich. »Wer hat den größten Trumpf?«

Keiner antwortete. Da ertönte die Stimme eines, der nur dann zu sprechen pflegte, wenn sein Busenfreund Dick Hammerdull ihn fragte, nämlich die Stimme des langen Pitt Holbers:

»Heigh-day, ist das ein Gaudium! Niemand wird ein- und ausgelöst; Old Wabble hat verspielt!«

Der, dessen Name da genannt wurde, knirschte mit den Zähnen, daß wir es alle hörten, stieß einen gräßlichen Fluch aus und schrie mit vor Wut überschnappender Stimme zu mir herüber:

»Hund, tausendmal verfluchter, du stehst mit der Hölle und allen ihren Teufeln im Bunde! Du mußt ihr dein Leben und deine Seele verschrieben haben, sonst könnte dir nicht alles so nach Wunsch gelingen! Ich speie vor dir aus! Ich hasse dich mit einem Hasse, wie ihn noch nie ein Mensch empfunden hat, dich, hörst du, dich, verdammter Dutchman, du!«

»Und dich bedaure ich aus vollstem, tiefstem Herzen,« antwortete ich ruhig. »Ich habe viele, viele beklagenswerte Menschen kennen gelernt, der beklagenswerteste von allen diesen der bist du! Du ahnest und begreifst gar nicht, wie unbeschreiblich groß das Mitleid ist, welches du erwecken mußt. Möge Gott dereinst nur einen kleinen, kleinen Teil des Mitleids, des Erbarmens für dich haben, welches ich jetzt für dich hege! Das ist die Antwort, die ich dir auf deinen Fluch erteile, weil ein Fluch aus deinem Munde für jeden, gegen den du ihn richtest, zum Segen werden muß! Nun bin ich mit dir fertig. Du bist ein so armseliges Menschenkind, daß jedes Auge schmerzt, welches gezwungen ist, dich anzusehen. Mach dich aus dem Staube!«

Ich ging zu ihm hin, zerschnitt seine Fesseln und wendete mich ab. Wenn ich geglaubt hätte, daß er nun schnell aufspringen und davonlaufen werden, so wäre ich von einem Irrtume ergriffen gewesen; ich hörte nämlich, daß er sich langsam und gemächlich erhob; dann fühlte ich seine Hand auf meiner Schulter, und er sagte im Tone hellen Spottes:

»Also das Auge thut dir wehe, wenn du mich ansehen mußt? Darum giebst du mich frei? Bilde dir ja nur nicht ein, moralisch so unendlich hoch über mir zu stehen! Wenn der Gott wirklich lebt, an welchen du dich rühmst, so fest zu glauben, so stehe ich in seinen Augen ebenso hoch wie du, sonst wäre er ein noch schlechterer Kerl als so einer, für welchen du mich hältst! Er hat mich und dich geschaffen und in die Welt gesetzt, und wenn ich anders geraten bin als du, so bin nicht ich, sondern er ist schuld daran. An ihn hast du dich also mit deiner Entrüstung zu wenden, nicht an mich, und wenn es in Wirklichkeit ein ewiges Leben und ein jüngstes Gericht gäbe, über das ich aber lache, so hat, weil er mich mit meinen sogenannten Fehlern und Sünden ausstattete, nicht er über mich, sondern ich über ihn den Stab zu brechen. Du wirst also wohl endlich einsehen, was eure Frömmigkeit und Gottesfurcht für kindische, belachenswerte Dummheiten sind! Du glaubst wohl freilich, aus Güte zu handeln; im Grunde genommen aber treibt dich nichts als die Erkenntnis, die auch ich hege, nämlich daß kein Mensch gut und keiner böse ist, weil Gott, der Erfinder der Erbsünde, allein schuld daran wäre. Leb‘ also wohl, du Mann der Liebe und der Barmherzigkeit! Ich bin trotz deiner Albernheit heut wieder einmal sehr zufrieden mit dir. Aber denke deshalb ja nicht, daß ich, falls wir uns wiedersehen, anders als durch eine Kugel zu dir reden werde! Wir haben hier auf der Savanne nicht neben einander Platz; einer muß fort, und da du so große Scheu und Angst vor Menschenblut hast, so werde ich dir bei unserm nächsten Wiedersehen die Adern öffnen. Den andern gilt dasselbe Wort. Mesch‘schurs, lebt wohl für nächste Tage! Ihr werdet bald von mir zu hören bekommen!«

Es waren den Gefangenen natürlich ihre Waffen abgenommen worden. Die Flinte Old Wabbles hing am Sattel seines Pferdes, und sein Messer hatte sich Dick Hammerdull in den Gürtel gesteckt. Der alte Cowboy trat zu dem Dicken und streckte die Hand aus, um sein Messer zu nehmen; dieser aber bog sich ab und fragte: »Was wollt Ihr da? In meinem Gürtel habt Ihr nichts zu suchen!«

»Ich will mein Messer haben.« erklärte Old Wabble trotzig.

»Das gehört jetzt uns, aber nicht mehr euch!«

»Oho! Ich habe es also mit Spitzbuben, mit Dieben zu thun?«

»Nimm dein loses Maul in acht, sonst springe ich dir ins Gesicht, alter Gauner! Du kennst die Gesetze der Prairie und weißt also, wem die Waffen eines Gefangenen gehören!«

»Ich bin jetzt nicht mehr Gefangener, sondern frei!«

»Ob frei oder nicht, das geht mich gar nichts an. Wenn Old Shatterhand dir die Freiheit wiedergegeben hat, so ist damit noch nicht gesagt, daß du auch deine Waffen wiederbekommen mußt.«

»Behalte es, und sei verdammt, dicker Mops! Ich werde bei den Osagen ein anderes bekommen!«

Er ging zu seinem Pferde, nahm das Gewehr vom Sattel, hing es sich über und wollte aufsteigen. Da stand Winnetou auf, streckte die Hand gegen ihn aus und befahl:

9Schauspieler.
10Roter Pfeifenthon.