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Satan und Ischariot I

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Jetzt waren sie mir so nahe gekommen, daß ich unbedingt nicht nur sie sehen, sondern auch die Schritte ihrer Pferde hören mußte. Ich richtete mich also auf, that, als ob ich sie jetzt erst erblickte, und hielt mein Pferd an, welches sie auch nicht kannten. Sie parierten die ihrigen vielleicht zehn oder zwölf Schritte vor mir; es waren drei von meinen letzten fünf Wächtern. Der eine redete mich in dem gebräuchlichen Mischmasch an:

»Wo kommst du her?«

»Von der Hazienda del Arroyo,« antwortete ich mit verstellter Stimme, was mir nicht schwer wurde, da das Tuch auch meinen Mund halb verdeckte.

»Und wo willst du hin?«

»Zum »großen Munde«, dem Häuptling der tapfern Yumas.«

»Wie hast du die Hazienda gefunden?«

»Sie ist zerstört, vollständig vernichtet.«

»Von wem?«

»Von den Yumas.«

»Und da reitest du zu ihnen? Was willst du bei ihnen?«

»Mit ihnen über die Herden, welche sie fortgetrieben haben, verhandeln.«

»In welchem Auftrage?«

»Ich bin der Bote des Haziendero, welcher bereit ist, die Tiere zurückzukaufen, und soll mir von dem Häuptlinge den Preis bestimmen lassen.«

»Dein Weg ist umsonst, denn er verkauft die Tiere nicht.«

»Woher wißt ihr das?«

»Wir gehören zu seinen Kriegern.«

»So müßt ihr freilich wissen, was er thun will und was nicht; aber ich möchte dennoch mit ihm sprechen, da ich nach meinem Auftrage zu handeln habe.«

»Du scheinst nicht zu wissen, wie gefährlich das ist. Die Krieger der Yumas haben das Kriegsbeil gegen die Weißen ergriffen.«

»Ich weiß es, habe aber keine Sorge, da ich als Unterhändler unverletzlich bin. Wo haben die Krieger der Yuma, welche auf der Hazienda waren, ihr Lager aufgeschlagen?«

»Das brauchst du nicht zu wissen, denn es ist nicht nötig, daß du so weit reitest. Wenn du hier wartest oder langsam auf dieser Spur weiter reitest, wirst du in kurzer Zeit den Häuptling mit fünfzig seiner Krieger erscheinen sehen.«

»Ich danke euch. Lebt wohl!«

Ich that so, als ob ich weiter reiten wolle, obgleich ich wußte, daß sie noch mehrere Fragen an mich richten würden. Gerade auf diese Fragen kam es mir an, denn aus ihnen konnte ich vielleicht das schließen, was ich wissen wollte.

»Halt, warte noch!« erklang es in befehlendem Tone. »Hast du denn mit dem Haziendero gesprochen?«

»Natürlich! Wie könnte ich sonst sein Bevollmächtigter sein!«

»Und er war mit dem Bleichgesichte, welches Melton heißt, auf dem Wege nach Ures?«

»Einen Weißen Namens Melton habe ich nicht gesehen.«

»Vielleicht einen, welcher Weller hieß, und den Sohn desselben?«

»Auch nicht.«

»So hast du wohl auch nicht einen Trupp unserer Krieger gesehen, bei welchem diese Bleichgesichter zwei Tage lang gefangen gewesen sind?«

»Nein. Ich habe nur den Haziendero gesehen und mit ihm gesprochen.«

»Wo?«

»In den Ruinen seines Hauses. Ich kam nach der Hazienda, um ihm Geld zu geben, welches ich ihm schuldete. Er will mit demselben das Vieh zurückkaufen und bat mich, den Yumas nachzureiten, um mit ihnen zu verhandeln.«

»Wer hat das Geld, du oder er?«

»Er natürlich.«

Sie hatten mich noch immer nicht erkannt und sahen einander betroffen an. Der bisherige Sprecher meinte nachdenklich, ohne dabei auf meine Gegenwart Rücksicht zu nehmen:

»Da muß etwas geschehen sein! Der Haziendero ist noch da, und die andern Bleichgesichter befinden sich nicht bei ihm! Auch unsere Krieger waren nicht zu sehen, obwohl sie nach hier unterwegs sein müssen! Er will das Vieh zurückkaufen; er hat Geld! Da kann alles anders werden! Und wo befinden sich die vielen fremden Bleichgesichter, welche mit ihren Frauen und Kindern von unsern Brüdern erwartet werden und in die Berge gebracht werden sollen?«

Die andern schüttelten stumm die Köpfe; er wendete sich wieder an mich:

»Bist du nicht vor kurzer Zeit zwei Reitern begegnet?«

»Ja. Es war ein Weißer mit einem jungen Indianer.«

»Wie war der Weiße gekleidet?«

»Wie ein Lump und Habenichts.«

»Was für Waffen hatte er?«

»Ich sah zwei Gewehre.«

»Das stimmt. Der Hund von Mimbrenjo hat sie ihm nachgebracht!«

Das sagte er wie zu sich selbst oder zu seinen beiden Kameraden; dann fragte er mich weiter:

»Ritten sie sehr schnell?«

»Nein,« antwortete ich, indem ich den Zügel schärfer anzog, um mein Pferd um einige Schritte zurückzunehmen. »Sie waren abgestiegen.«

»Wo?«

»Dort hinter mir im Gebüsch.«

»Uff! So müssen wir schnell zurück, denn das lange Gewehr des Bleichgesichtes reicht bis hierher; es ist ein Bärentöter. Und die kurze Flinte desselben schießt ohne Aufhören immerfort. Komm mit uns! Wir reiten eine Strecke zurück, wo du den Häuptling sehen wirst und mit ihm sprechen kannst.«

»Das hat Zeit. Wartet noch ein wenig! Ich möchte etwas von euch haben.«

»Was?«

»Eure Gewehre und eure Pferde.«

»Warum und wozu?« fragte er, indem er mich, erstaunt über diese Forderung, anblickte.

»Darum!« antwortete ich, indem ich mit der Linken das Tuch aus dem Gesicht strich und mit der Rechten den Stutzen auf sie richtete. »Ihr habt selbst gesagt, wie oft ich mit diesem Gewehre zu schießen vermag. Wer von euch von der Stelle weicht, erhält augenblicklich eine Kugel. Und dort im Gebüsch steht der Mimbrenjo mit meinem Bärentöter, dessen Kugel bis hieher und auch noch weiter geht.«

Sie blieben halten, nicht etwa infolge meines Befehls, sondern vor Schreck, und starrten mir mit weit geöffneten Augen in das jetzt unverhüllte Gesicht.

»Uff!« stieß der Sprecher hervor. »Das ist Old Shatterhand!«

»Old Shatterhand, Old Shatterhand!« wiederholten die beiden andern.

»Ja, Old Shatterhand ist‘s,« nickte ich, das Gewehr mit der Mündung noch immer auf sie richtend, »Wendet nicht um, sonst schieße ich! Ihr wollt mich fangen und seid nun selbst gefangen. Ich will euch aber frei lassen und euch die Erlaubnis geben, zu eurem Häuptling zurückzugehen. Laßt eure Gewehre fallen!«

Sie hatten ihre Flinten, wie Indianer bei jeder fremden Begegnung zu thun pflegen, in den Händen, doch nicht schußbereit. Sie wagten nicht, sie gegen mich zu erheben, gehorchten aber doch nicht sogleich.

»Schnell, sonst schieße ich! Ich warte nicht!« donnerte ich sie an. »Eins – zwei –«

Ich hatte noch nicht »drei« gesagt, so ließen sie die Gewehre aus ihren Händen und von den Pferden herab auf die Erde fallen.

»Steigt ab, und tretet auf die Seite!«

Sie gehorchten aus Angst vor der Mündung meines Stutzens.

»Jetzt lauft zurück! Wer von euch sich umsieht, solange ich ihn zu sehen vermag, bekommt die Kugel!«

Sie rannten augenblicklich in vollstem Laufe davon. Es war eigentlich zum Lachen, wie sie so davonschossen. Als sie mich noch fest hatten, spotteten und höhnten sie über mich; jetzt aber liefen sie wie die Hasen.

Ich brauchte gar nicht zu warten, bis sie verschwunden waren, denn ich war überzeugt, daß sie nicht wagen würden, sich umzudrehen. Ich stieg ab, um ihre Gewehre aufzunehmen und mich ihrer Pferde, welche beim Verschwinden ihrer Herren unruhig geworden waren, zu versichern. Da sah ich auch schon meinen Mimbrenjo im vollen Galoppe aus dem Busche geritten kommen, um mir zu helfen.

»Uff, uff!« rief er mir schon von weitem zu. »Old Shatterhand ist ein großer Zauberer; ihm gelingen alle, selbst die schwersten Medizinen!«

»Das war nicht schwer,« antwortete ich.

»Ohne Kampf drei Feinde zu entwaffnen und ihnen noch dazu die Pferde abzunehmen? Das soll nicht schwer sein! Wer hätte das vorhin gedacht! Als du sagtest, daß du mit ihnen reden wollest, war ich voller Sorge um dich!«

»Ich hatte einen Verbündeten.«

»Ja, du hattest einen, denn ich stand mit deinem Bärentöter, den ich aber nicht halten konnte, sondern auf die Gabel eines Busches legen mußte, bereit, sofort zu schießen, falls sie Miene machen sollten, sich gegen dich zu wehren.«

»Das war sehr brav, wenn auch unnötig. Ich meine einen andern Verbündeten, nämlich die Ueberraschung. Durch diese wurde die Angst verdoppelt, welche sie vor meinen Gewehren haben. Doch wir müssen fort, denn ihre Kameraden können jeden Augenblick erscheinen.«

Wir befestigten die drei Gewehre an den Sattelknöpfen der erbeuteten Pferde; der Mimbrenjo nahm ein Pferd, ich zwei am Zügel, dann ritten wir davon, erst langsam durch den Busch und, als wir ihn hinter uns, vor uns aber freies Land hatten, im Galopp. Diese Schnelligkeit hielten wir aber nur solange ein, bis wir weit genug entfernt waren, um nicht gefährdet zu werden. Als wir die Büsche nur noch als dünnen Streifen hinter uns liegen sahen, blieben wir halten, und zwar in wohl erwogener Absicht. Es kam uns ja darauf an, die Verfolger hinter uns her zu locken, und so mußten wir uns zuweilen von ihnen sehen lassen, um ihre Energie neu zu beleben.

Indem wir jetzt ruhig nebeneinander auf den Pferden saßen, bemerkte ich, daß der Mimbrenjo verstohlene, verlangende Blicke auf mich richtete, und erriet, daß er gern wissen wollte, was ich mit den drei Yumas gesprochen hatte. Ich erzählte es ihm. Als Knabe konnte er eine solche Vertraulichkeit nicht verlangen, umsomehr aber war er stolz darauf, daß ich ihm diese Mitteilungen machte. Als ich zu Ende war, blickte er sinnend vor sich nieder und sagte dann:

»Bei Old Shatterhand lernt man von Stunde zu Stunde immer mehr. Hat man die Vorteile erfahren, welche ein Krieger sich zu nutze machen muß, so hört man bald darauf wieder, wie man es anzufangen hat, von jemand das zu erfahren, was er einem nicht sagen soll. Wir wissen nun fast alles!«

»O, noch lange nicht! Die Hauptsache ist mir verborgen geblieben.«

»Will Old Shatterhand mir mitteilen, welche Sache das ist?«

»Gern. Zunächst wissen wir, daß wir fünfzig Verfolger hinter uns haben, und zwar unter Anführung des Häuptlings selbst. Was wird daraus zu schließen sein?«

 

»Daß die Herden und die verwundeten Krieger bis zur Rückkehr dieser fünfzig nicht weiter ziehen, sondern da liegen bleiben, wo wir sie verlassen haben.«

»Richtig! Ferner wissen wir, daß Melton und die beiden Weller frei sind, daß auch der Haziendero nicht mehr gefangen ist und daß sogar die weißen, fremden Einwanderer freigelassen worden sind.«

»Ist das nicht genug?«

»Nein.«

»Aber es kam dir doch eigentlich wohl nur darauf an, sie zu retten! Nun sind sie frei.«

»Sie sind frei, aber wo? Sie sollen von den Brüdern der Yumas, also von andern Yumas, in die Berge geführt werden. Das kommt mir verdächtig vor. Welche Berge sind gemeint? Was sollen sie dort? Sie kamen doch aus ihrer Heimat in dieses Land, um auf der Hazienda del Arroyo zu arbeiten. Wozu schafft man sie da, noch dazu durch feindliche Indianer, in unbekannte Berge?«

»Das vermag ich nicht zu sagen,« meinte der Knabe in drolliger Aufrichtigkeit.

»Tröste dich darüber, denn ich weiß es auch nicht, werde aber nicht ruhen, bis ich es erfahren habe. Ferner: Der Haziendero hat mit Melton nach Ures gewollt. Was treiben sie dort? Ich würde unter andern Umständen diese Reise für eine ganz unverdächtige Sache halten; aber Melton hat die Indianer herbeigelockt und von ihnen die Hazienda überfallen, ausrauben und einäschern lassen.

Nun reitet er mit dem zu Grunde gerichteten Besitzer nach Ures, während die fremden Arbeiter desselben, welche bei dem Ueberfalle auch alle ihre geringe Habe verloren haben, von Indianern in die Berge geführt werden. Der Haziendero gehört dahin, wo sie sind; warum trennt man sie?«

»Glaubst du, das erfahren zu können?«

»Ja. Ich werde, sobald wir die Herden gerettet haben, unbedingt nach Ures reiten. Und nun endlich, wo sind die Yumas, welche da, wo ich getötet werden sollte, zur Bewachung der gefangenen Weißen zurückgelassen worden sind? Sind die Gefangenen wirklich frei, so können die Wächter ihrem vorangezogenen Häuptlinge nachfolgen. Sie können schnell reiten, während wir wegen der Herden nur langsam vorwärts kamen; sie könnten also hier sein.«

»Vielleicht begegnen wir ihnen heute noch!«

»Das ist möglich, und darum müssen wir uns vorsehen, damit wir ihnen nicht in die Hände laufen. Doch, schau hinter uns! Siehst du unsere Verfolger?«

»Ja; sie kommen. Sie bleiben vor den Büschen halten. Meinst du, daß sie uns sehen?«

»Ja. Sie müssen uns ebensogut bemerken, wie wir sie sehen. Paß auf! Sie kommen uns im Galoppe nach. Wir können nun wieder weiter, denn nun sie uns sehen, fällt es ihnen nicht ein, umzukehren. Höchstens mußten sie die drei zurückschicken, denen wir die Pferde genommen haben und die infolgedessen nicht mit ihnen fortkommen können.«

Wir jagten weiter, über die bereits halb durchquerte Ebene hin, dann durch mehrere Thäler, über einige niedrige Berge und kamen nun wieder auf ebenes Land. Dort lag ein Wald, an welchem wir auf dem Herwege gelagert hatten und den wir bis zum Abende erreichen konnten. Wir zwei legten jetzt natürlich ganz andere Strecken zurück, als vorher mit den wie die Schnecken ziehenden Weidetieren, deren Spuren noch sehr deutlich zu sehen waren. Die Fährte war so breit und deutlich ausgesprochen, daß man sie recht gut eine Straße nennen konnte.

Die Zeit verging; die Sonne sank im Westen immer weiter nieder. Fast hatte sie den Horizont erreicht, und wir konnten uns nicht mehr allzuweit von dem Walde befinden. Da deutete der Knabe mit ausgestrecktem Arme gerade vorwärts und rief aus:

»Sieh, dort kommen die Yumas, die bei den gefangenen Bleichgesichtern zurückblieben, und von denen wir uns nicht sehen lassen dürfen!«

Er hatte recht, wenigstens in Beziehung auf das Erscheinen von Reitern. Es war ein dichter Haufen. Man konnte der großen Entfernung wegen nicht sehen, aus wie vielen Einzelnen er bestand. Es war allerdings mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß wir die ihrem Häuptlinge nun nachfolgenden Yumas vor uns hatten; darum bogen wir, um ihnen aus dem Wege zu gehen, in einem rechten Winkel nach rechts hinüber und ließen unsere Pferde laufen, was sie laufen konnten. Es war anzunehmen, daß die Nahenden uns noch nicht gesehen hatten.

Dem war aber nicht so, denn indem wir der neuen Richtung folgten, wendete ich mich einigemal um und sah, daß ein einzelner Reiter, welcher allerdings zunächst nur als winziger Punkt erschien, sich von dem Trupp getrennt hatte und auf uns zukam. Ich hatte die Wirkung der tiefstehenden Sonne nicht mit in Berechnung gezogen. Ihr grelles Licht traf den Trupp hinten, auf der uns abgewendeten, uns aber vorn, auf der ihm zugewendeten Seite; darum hatte man uns gar wohl bemerken müssen. Doch beruhigte mich der Umstand, daß der Reiterhaufe sich in seiner Richtung nicht beirren ließ und nur einen Mann abgeschickt hatte, der uns aller Wahrscheinlichkeit nach unmöglich erreichen konnte.

Der Trupp ritt jetzt langsamer, wohl um die Rückkehr des einen zu erleichtern, von West nach Ost. Wir ritten von Süd nach Nord, und zwar im Galoppe. Unsere Bahnen bildeten also einen rechten Winkel oder die zwei Winkelseiten eines regelmäßigen Vierecks, auf dessen Diagonale sich der einzelne Reiter hielt. Er hatte also den weitesten Weg zu machen, und doch war es erstaunlich, wie rasch er vorwärts kam. Ich hatte es für unmöglich gehalten, daß er uns bei unserem Galoppe erreichen könne, doch seine Gestalt wurde uns so schnell deutlich und immer deutlicher, daß ich meinen Irrtum einsehen mußte. War er uns erst als kleiner Punkt erschienen, so wuchs er schnell zur Größe eines Kürbis; dann begann er, sich zu gliedern. Sein Pferd hatte die Größe eines kleinen Hündchens, eines Schäferhundes, eines Windspiels, einer Dogge; es wurde größer und größer, kam näher und näher, obgleich wir unsere Schnelligkeit nicht verminderten. Mein Begleiter rief mehreremal ein verwundertes »Uff«, und ich war ebenso erstaunt über die unglaubliche Behendigkeit dieses Rosses.

In andern Ländern und Zonen hatte ich edle Renner nicht nur gesehen, sondern selbst geritten; hier in Nordamerika aber waren nur zwei Pferde bekannt, welche einen solchen Lauf, der fast ein Fliegen genannt werden konnte, entwickelt hatten, nämlich die beiden Rappen, auf denen Winnetou und ich so oft über die Prairien gejagt waren.

Winnetou! Ich hielt unwillkürlich mein Pferd an und beschattete meine Augen, um schärfer sehen zu können, mit der Hand. Das Pferd war ein Rappe; seine Beine arbeiteten, daß sie nicht zu sehen waren. Um den Leib des Reiters schimmerte es hell und rot; ein dunkler Schleier wehte hinter ihm her, und dann sah ich an dem Laufe seines Gewehres helle Funken blitzen. Das Herz jubelte mir. Der rote Schimmer kam von der Santillodecke, welche Winnetou stets als Schärpe trug; der dunkle Schleier war sein langes, schwarzes Haar, welches er nie kürzen ließ und nie mit einem Hute bedeckte, und die Funken flogen von den blanken Nägeln, mit denen seine berühmte und gefürchtete Silberbüchse beschlagen war.

Ich war mexikanisch gekleidet und saß, mit seinem edlen Pferde verglichen, auf einer Mähre; er erkannte mich also noch nicht. Aber er kannte die Stimmen meiner Gewehre, wie ich den scharfen, sonoren Knall seiner Silberbüchse so genau kannte, daß wir uns im wilden Urwalde oft nur mit Hilfe unserer Gewehre zusammengefunden hatten. Er war noch soweit entfernt, daß die Einzelheiten seiner hohen, schlanken Gestalt noch lange nicht zu erkennen waren; da nahm ich den Bärentöter vor und schoß. Der Erfolg war ein augenblicklicher. Der Reiter riß sein Pferd mitten im Ventre à terre zurück, so daß es sich hoch aufbäumte und fast überschlug; dann trieb er es weiter, stellte sich in den Bügeln hoch und schrie mit jubelnder Stimme.

»Scharlieh, Scharlieh!«

Er pflegte in dieser Weise meinen Vornamen Karl englisch auszusprechen.

»Winnetou, Winnetou, n‘scho, n‘scho – Winnetou, Winnetou, wie gut, wie gut!« antwortete ich, indem ich mein Pferd ihm entgegentrieb.

Er kam gleich einem Halbgotte dahergesaust. Stolz und aufrecht, wie angewachsen, saß er auf dem fliegenden Rappen, den beschlagenen Kolben der Silberbüchse auf das Knie gestemmt. Sein edles Gesicht mit den gebräunten, fast römischen Zügen strahlte vor Freude; seine Augen glänzten. Ich war aus dem Sattel. Er gab sich gar nicht die Mühe, sein Pferd im Laufe anzuhalten; er ließ die Büchse zur Erde gleiten, und schnellte sich, während es an mir vorüberschoß, herab und mir in die ausgebreiteten Arme, um mich an sich zu drücken und wieder und wieder zu küssen.

Ja, wir waren Freunde, Freunde in des Wortes vollkommenster und bester Bedeutung, und waren doch einst Todfeinde gewesen! Sein Leben gehörte mir und das meinige ihm; damit ist alles gesagt. Wir hatten uns solange nicht gesehen; nun stand er vor mir in der mir bekannten und ihn so außerordentlich kleidenden halbindianischen Tracht. Als die Umarmungen vorüber waren, kamen wir aus dem Drücken und Schütteln der Hände nicht heraus. Unterdessen hatte sein Pferd einen kurzen Bogen geschlagen und kehrte zu ihm wie ein treuer Hund zurück. Es hörte meine Stimme, wieherte freudig auf und rieb den kleinen, feinen Kopf an meiner Schulter, um mir dann gar die Wange mit den Lefzen zu berühren.

»Sieh, es kennt dich noch und küßt dich auch!« lächelte Winnetou. »Old Shatterhand ist ein Freund der Menschen und der Tiere, und wird darum von ihnen nicht vergessen.«

Sein Blick fiel dabei auf mein Pferd, und ein lustiges Zucken ging über sein sonst so ernstes Gesicht.

»Armer Scharlieh!« meinte er. »Wo magst du doch gewesen sein, daß es nichts anderes für dich gab! Von heute an aber wirst du deiner würdig reiten.«

»Wie?« fragte ich schnell. »Hast du den Hatatitla mit?«

Hatatitla, der Blitz, hieß nämlich der Rappe, den ich geritten hatte, während Winnetou den seinigen Iitschi, den Wind, nannte.

»Ich pflegte ihn für dich,« antwortete er. »Er ist noch jung und feurig wie vorher, und ich nahm ihn mit, weil ich dich erwartete.«

»Das ist herrlich! Auf diesen Pferden sind wir allen Feinden überlegen. Wie aber kommst du nach der Sonora, da wir uns doch oben am Flusse treffen wollten?«

»Ich mußte zu einigen Stämmen der Pimos, um Streitigkeiten derselben zu schlichten, und dachte dabei an meinen tapfern roten Bruder Nalgu Mokaschi[14], den Häuptling der Mimbrenjos, den ich solange nicht gesehen hatte. Ich ritt, ihn aufzusuchen, und als ich an seinem Feuer saß, kehrte sein jüngerer Sohn mit der Squaw, doch ohne den älteren, zurück und meldete, was geschehen war und daß du die Hilfe der Mimbrenjos gegen ihre Feinde, die Yumas, fordertest. Wir riefen sogleich ein Hundert und ein halbes Hundert Krieger zusammen, nahmen Fleisch auf viele Tage mit und brachen auf, drei Stunden nachdem wir deine Botschaft erhalten hatten. Ist Old Shatterhand zufrieden?«

»Außerordentlich! Ich danke meinem Bruder Winnetou! Aber ist auch der Häuptling, mein Freund, mitgekommen?«

»Wie könnte er zurückbleiben, wenn Old Shatterhand ruft, der mit ihm die Pfeife der Freundschaft getrunken und eben jetzt seine drei Kinder vom Tode errettet hat! Auch der kleine Sohn ist mitgekommen, welcher nicht im Wigwam bleiben wollte, weil sein älterer Bruder bei dir ist. Wir haben uns viel zu sagen, doch steige in den

Sattel, damit du vorher den »starken Büffel« und seine Krieger begrüßest!«

Ich hätte ihm am liebsten jetzt das Notwendigste gesagt, und ihn nach dem Hauptsächlichsten gefragt; das wäre aber gegen seine Gewohnheiten gewesen. Wir stiegen also auf. Die Mimbrenjos waren indessen schon an der Stelle, an welcher ich nördlich umgebogen hatte, vorübergekommen. Winnetou gab einen Schuß aus seiner Silberbüchse ab, und der scharfe Knall drang bis zu ihnen. Sie sahen uns friedlich beisammen und hielten an. Wir ritten auf sie zu, hinter uns mein kleiner Mimbrenjo, welcher es nicht gewagt hatte, ein Wort zu sagen, aber mit bewunderndem, ja, ich möchte beinahe sagen, mit hingebendem Blicke an der Gestalt des berühmtesten der Apatschenhäuptlinge hing.

Von weitem waren die Mimbrenjos nicht zu schätzen gewesen; jetzt, da wir uns ihnen näherten, sah ich freilich, daß es anderthalbhundert Reiter waren, alle gut mit Schießgewehren bewaffnet. Vor ihnen hielt Nalgu Mokaschi, der starke Büffel, mein treuer, wenn auch rauher Freund von früher her. Sie hatten sich die Gesichter mit gelben und dunkelroten Streifen, ihren Kriegsfarben, bemalt, ein Beweis, wie ernst sie es mit der mir zu leistenden Hilfe zu nehmen beabsichtigten.

 

Der Häuptling, eine hohe, starkknochige Gestalt, hielt vor seinen Leuten auf einem sehr kräftigen Falben. Er blickte uns erwartungsvoll entgegen, da er mich von weitem nicht erkannte, weil er mich in einem mexikanischen Anzuge noch nicht gesehen hatte. Als wir aber nahe genug gekommen waren, sah ich trotz der Farben, welche sein Gesicht bedeckten, daß seine Züge den Ausdruck freudiger Ueberraschung annahmen.

»Uff, Uff!« rief er aus. »Da ist ja Old Shatter- Shatterhand, der Freund unserer Herzen, den wir soviele Monde nicht gesehen haben! Wir sind gekommen, ihm gegen die Hunde der Yuma beizustehen!«

Der Indianer ist gewohnt, seine Gefühlsregungen zu beherrschen; die Freude der Mimbrenjos war aber so groß, daß sie in laute Jubelrufe ausbrachen. Der »starke Büffel« warf sich aus dem Sattel, um mich zu begrüßen. Er erwartete von mir ein Gleiches. Nach indianischer Sitte hätten wir hier absteigen müssen, um an Ort und Stelle die Pfeife der Begrüßung und des Friedens zu rauchen; ich aber blieb auf meinem Pferde sitzen, reichte ihm nur die Hand und antwortete:

»Meine Seele ist froh, den »starken Büffel« zu sehen und die Angesichter seiner tapfern Kriegern schauen zu dürfen; ich möchte ihnen gern vieles sagen und sie nach vielem fragen, aber wir müssen diese Stelle augenblicklich verlassen, da die Yumas sofort erscheinen werden. Meine Brüder mögen also umkehren, um zurückzureiten.«

»Sind diese Hunde hinter dir? Wir werden sie hier erwarten, um ihnen allen das Leben zu nehmen!«

»Wenn wir hier halten blieben, würden sie sich, sobald sie uns erblickten, aus dem Staube machen. Darum mag der Häuptling der Mimbrenjos thun, was ich gesagt habe. Reiten wir schnell nach dem Walde, an welchem er vor kurzem vorübergekommen ist, so können wir sie dort erwarten, ohne daß sie uns sehen. Sie werden zwar die Spuren meiner roten Brüder bemerken, sie aber nicht deutlich lesen können, da wir dieselben auswischen werden.«

Ehe er auf meine Worte eine Erwiderung geben konnte, erhielt ich von einer andern und zwar mir sehr lieben Seite eine Antwort. Es ertönte nämlich hinter den Reitern ein lautes freudiges Wiehern. Dort hielt ein Indianer das Pferd, welches Winnetou für mich mit- mitgebracht hatte, am Leitzügel. Es hatte meine Stimme gehört, mich an derselben erkannt und strebte nun, sich loszureißen und zu mir zu kommen.

»Hatatitla!« rief ich. »Laßt das Pferd los!«

Man folgte dieser Aufforderung. Das kluge, treue Tier kam herbeigesprungen, beschnoberte mich, und als ich ihm den schlanken Hals und die lange, glänzende Mähne streichelte, umsprang es mich einigemale wiehernd und schnaubend, und blieb dann bei mir stehen.

»Uff, Uff!« riefen die Indianer, von dieser Treue ebenso gerührt wie ich. Ja, das war mein »Blitz«, der mich aus so mancher Gefahr getragen, und mir durch seine Klugheit und unvergleichliche Schnelligkeit nicht nur einmal das Leben gerettet hatte. Sein Aussehen war noch so frisch und seine großen, verständigen Augen glänzten noch so munter wie früher. Er trug auch ganz dasselbe indianische Sattelzeug, welches ich früher im Gebrauche gehabt hatte. Ich schwang mich hinüber, und noch saß ich nicht fest, hatte noch keinen Fuß im Bügel, da ging das Tier mit allen vieren in die Luft. Es rannte wie ein freudig aufgeregter Hund hin und her, schlug ganze und halbe Kreise und stieg bald vorn und bald hinten in die Höhe. Ich ließ ihm eine kurze Zeit den Willen; sobald ich es aber zwischen die Schenkel nahm, gehorchte es augenblicklich und blieb vor Winnetou und dem »starken Büffel«, welcher sein Pferd wieder bestiegen hatte, halten.

»Mein Bruder Old Shatterhand sieht, daß er selbst von seinem Pferde nicht vergessen worden ist,« sagte Winnetou. »Wie oft mögen nun erst die Menschen, mit denen er verkehrte, an ihn gedacht haben! Ich werde ihm erzählen, was während seiner Abwesenheit im wilden Westen geschehen ist. Damit aber müssen wir warten, bis wir im ruhigen Kreise des Lagerfeuers sitzen. Jetzt dürfen wir uns nicht verweilen, da uns die Yumas nicht sehen sollen. Welche Entfernung liegt zwischen Old Shatterhand und ihnen?«

»Wahrscheinlich eine so geringe, daß sie jeden Augenblick hinten am Horizonte erscheinen können.«

Jeder andere hätte nun zunächst nach der Anzahl der Feinde gefragt; das fiel dem stolzen Winnetou aber nicht ein. Er schlang seinen Lasso los, band seine Santillodecke daran, um sie hinter sich herzuschleifen, und gab seinen Kriegern einen Wink, mit ihren Decken dasselbe zu thun. Durch das Nachschleifen der Decken oder auch anderer Gegenstände werden nämlich die Spuren ausgewischt, allerdings nicht so, daß sie gänzlich verschwinden. Wer hinterher folgt, bemerkt gar wohl, daß sich vor ihm Leute befinden, welche diese Vorsichtsmaßregel in Anwendung gebracht haben, aber er ist nicht mehr im stande, ihre Anzahl zu bestimmen. So auch hier bei uns. Die Yumas mußten unsere Fährte sehen, konnten aber unmöglich sagen, wieviel Personen wir waren.

Es ging im leichten Galoppe weiter. Ich ritt zwischen Winnetou und dem »starken Büffel«. Letzterer hatte seinen Sohn mit keinem Blicke begrüßt, obgleich er aus den obwaltenden Umständen schließen mußte, daß das, was der Knabe erlebt hatte, nichts Gewöhnliches sein konnte. So ist der Indianer. Der Häuptling liebte sein Kind jedenfalls nicht weniger, als ein Weißer das seinige; aber es wäre ein Zeichen der Schwachheit, der Unmännlichkeit gewesen, wenn er durch ein Wort, durch eine Frage verraten hätte, daß er sich um den Sohn in Sorge befunden habe.

Bald tauchte der mehrfach erwähnte Wald seitwärts vor uns auf. Wir hielten uns so, daß wir ihn zu unserer rechten Hand bekamen. Es galt, uns den Blicken der Yumas zu entziehen und sie in einem Hinterhalte zu erwarten. Dieser wurde uns geboten durch einen Vorsprung des Gehölzes, eine aus dem letzteren heraustretende scharfe Ecke, welche wir umritten, um hinter derselben anzuhalten.

Auch hier zeigte sich wieder die Gewalt, welche Winnetou, ohne daß er es beabsichtigte, auf alle, mit denen er in Berührung kam, auszuüben pflegte. Der »starke Büffel« und viele seiner Leute ragten in Beziehung auf die äußere Gestalt weit über Winnetou hinaus; es waren weitbekannte, gefürchtete Krieger unter ihnen, und doch blickten alle, als wir anhielten, auf Winnetou, um zu warten, welche Bestimmungen er treffen werde. Er wurde, ohne daß ein Wort darüber gesprochen worden war, als Anführer der Roten betrachtet, obwohl er gar nicht zu den Mimbrenjos gehörte, und dem Häuptlinge derselben fiel es nicht im mindesten ein, neidisch darüber zu sein. Diesen Eindruck machte Winnetou überall, wohin ich mit ihm kam, selbst bei feindlichen Stämmen und sogar bei den Weißen, welche doch sonst nicht bereit sind, sich einem Roten unterzuordnen.

Und er pflegte wiederum nichts vorzunehmen, wenigstens nichts Wichtiges, ohne sich darüber vorher mit mir ins Einverständnis zu setzen. Freilich, wer das bemerken wollte, mußte sehr scharf aufpassen. Gewöhnlich fiel da keine Frage zwischen uns; ein Blick hinüber und herüber genügte zum Verständnisse, wo nicht, so sagte eine Handbewegung, ein Achselzucken, ein Nicken oder Kopfschütteln das übrige. Wir hatten uns eben so ineinander eingelebt, daß der eine die Gedanken des andern schon im voraus anzugeben wußte.

Wenn wir allein miteinander waren, vergingen Stun- Stunden und halbe Tage, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Selbst eine ganz plötzlich über uns hereinbrechende Gefahr hatte uns oft nicht zum Reden gebracht; unsere ganze Verabredung hatte in einem kurzen Winke bestanden. Befanden sich aber andere bei uns, so pflegten wir uns weniger schweigsam zu verhalten, da wir sprechen mußten, um von ihnen verstanden zu werden. Ja, wenn wir etwas vornahmen, was für uns höchst selbstverständlich, für sie aber unbegreiflich oder gar widersinnig war, so ließ sich Winnetou nicht ungern zu ausführlichen Erklärungen herbei, welche er aber nie in einer langen Rede, sondern in der Weise gab, daß er mit mir Frage und Antwort wechselte. Ein solches, wenn auch noch so kurzes Gespräch enthielt dann für die Zuhörer gewöhnlich eine Belehrung, welche sie mit achtungsvollem Schweigen von dem berühmten Apatschenhäuptlinge hinnahmen.

Als er jetzt die Augen aller, selbst des Häuptlings, fragend auf sich gerichtet sah, wendete er sich an mich:

14Apatschensprache: »Starker Büffel«.