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Satan und Ischariot I

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Anstatt ihm zu antworten, bückte ich mich nieder, so thuend, als ob ich das Messer aufheben wolle; ich wußte aber, daß er als erfahrener und gewandter Krieger die Blöße, welche ich mir dabei gab, zum Angriffe benutzen werde. Er that auch sofort den entscheidenden Sprung, entscheidend, weil mit demselben seine Niederlage entschieden war. Nämlich da ich mich bückte, hatte er, um mich zu treffen, seine hohe Gestalt auch zu beugen und den Stoß nach einem Punkte zu richten, welcher in der Höhe des Rückens eines sich bückenden Mannes, also ungefähr anderthalb Ellen über der Erde lag. Ich machte aber eine blitzschnelle Wendung zur Seite und richtete mich ebenso rasch auf. Dadurch kam ich, während er in gebeugter Haltung nach der Stelle stieß, an welcher ich mich soeben befunden hatte, aufrecht neben ihn zu stehen, konnte also meine ganze Kraft in Anwendung bringen, und schlug ihm die geballte Rechte von hinten ins Genick, daß er nicht etwa niederfiel, sondern förmlich wie ein Sack, wie eine leblose Masse zu Boden schlug. Mit einem schnellen Griffe riß ich ihm das Messer aus der Hand; mit einem zweiten Griffe wendete ich ihn aus der Bauch- in die Rückenlage, um ihm auf die Brust zu knieen und das eigene Messer an die Gurgel zu legen; aber ich führte die Bewegung nicht aus; seine Augen machten, daß ich mitten in dieser Bewegung inne hielt. Sie waren weit geöffnet und starrten mit gläsernem Ausdrucke gerade aufwärts. Auch der Mund stand offen. Das dunkle, wetterharte Gesicht schien plötzlich versteinert zu sein. Kein Glied seines Körpers zuckte. Ich richtete mich aus meiner halben Beugung auf und sagte zu Winnetou:



»Der Häuptling der Apatschen sieht den »starken Büffel« am Boden liegen, und das Messer desselben in meiner Hand. Er mag entscheiden, wer der Sieger ist!«



Der Apatschekam heran und kniete vor dem Mimbrenjo nieder, um ihn zu untersuchen. Als er sich dann erhob, war sein Gesicht mehr als ernst und seine Stimme schien zu zittern, indem er verkündete:



»Der Häuptling der Apatschen hat gesagt, daß der »starke Büffel« noch heute die ewigen Jagdgründe betreten werde, und er hat recht gehabt. Die Faust Old Shatterhands ist wie ein Felsen; sie zerschmettert selbst dann, wenn er nicht töten will.«



Das war nur zu wahr gesprochen, denn ich hatte den »starken Büffel« wirklich nicht erschlagen wollen. Ein kräftiger Mensch kann einen andern sehr wohl durch einen Fausthieb betäuben, wenn ihm die Faust dann auch für einige Stunden schmerzt, aber erschlagen, geradezu erschlagen, das kann nur dadurch geschehen, daß man eine höchst empfindliche Stelle trifft oder eine solche, welche im Augenblicke des Hiebes eine lebensgefährliche Blöße bildet. Die Zuschauer standen stumm, auch die beiden Söhne des Besiegten, zu welchem ich mich auch niederkniete, um zu sehen, ob Winnetou sich getäuscht habe oder nicht.



Seine stieren Augen waren diejenigen eines Toten; sein offen stehender Mund deutete auf Lähmung; sein Herz klopfte leise. Er lebte also noch. Ich versuchte, seine Augenlider zusammen zu drücken; da bewegte er die Lippen und ließ einige unartikulierte Töne hören. Auch seine Augen bewegten sich, indem sie wie nach jemand suchten und dann auf mir haften blieben. Es kehrte ihnen dabei der Ausdruck zurück, der Ausdruck des Schreckens. Die Lippen schlossen und öffneten sich abwechselnd, um Worte auszusprechen, was aber nicht gelang, und durch den Körper und alle Glieder ging eine – ich möchte sagen, wurmförmige Bewegung, welche bewies, daß der für den Augenblick Gelähmte alle seine Kraft anstrengte, die Lähmung zu überwinden. Ich stand also auf und meldete den Roten, welche mit großer Spannung darauf warteten:



»Er ist nicht tot; er lebt. Seine Seele ist noch in ihm; ob aber der Körper ihr wieder gehorchen wird wie zuvor, das kann ich nicht sagen, das muß abgewartet werden.«



Da stieß der am Boden Liegende einen langen, durch- durchdringenden Schrei aus, schnellte, wie von einer Feder geworfen, empor, schlug mit den Armen um sich und rief.



»Ich lebe, ich lebe, ich lebe! Ich kann reden, ich kann mich bewegen! Ich bin nicht tot, nicht tot!«



Da nahm Winnetou mir das Messer aus der Hand, hielt es ihm entgegen und fragte:



»Erklärt der »starke Büffel« sich für besiegt? Old Shatterhand konnte ihn erstechen, hat es aber nicht gethan.«



Da hob der Mimbrenjo langsam den Arm, richtete ihn steif auf mich und antwortete, indem sein Gesicht einen Ausdruck annahm, welchen ich denjenigen des Grauens nennen möchte:



»Das Bleichgesicht hat den lebendigen Tod in seiner Faust. Es wäre entsetzlich gewesen, Leben zu besitzen und doch tot zu sein. Ich will ganz tot sein, wirklich tot. Old Shatterhand mag mir mein Messer ins Herz stoßen, aber so, daß ich dann nicht mehr sehen und nicht mehr hören kann!«



Er stellte sich vor mich in der Haltung eines Mannes, welcher den Todesstoß erwartet, hin. Ich nahm ihn bei der Hand, führte ihn dorthin, wo seine Söhne standen, und sagte zu dem jüngeren:



»Dein älterer Bruder hat einen Namen von mir erhalten; dir mache ich eine ebenso große Gabe: Ich schenke dir deinen Vater. Nimm ihn hin; aber sage ihm, daß er nicht wieder an Old Shatterhand zweifeln möge!«



Der Alte sah mir mit starrem Forschen in das Gesicht, schlug dann die Augen nieder und sprach:



»Das ist fast schlimmer als der Tod! Du giebst mein Leben einem Kinde! Die alten Weiber werden auf mich deuten, und von einem zahnlosen Munde wird es zum anderen gehen, daß ich von dir besiegt worden bin und nun einem Knaben gehöre, welcher keinen Namen hat. So wird mein Leben ein Leben voller Schande sein!«



»Mit nichten! Im Zweikampfe besiegt zu sein, ist keine Schande, und dein jüngerer Sohn wird sehr bald einen so berühmten Namen haben, wie sein älterer Bruder. Deine Ehre ist dir nicht genommen. Frag Winnetou, und frag die Aeltesten deines Stammes, sie werden es dir bestätigen!«



Um weiteren Einwendungen zu entgehen, entfernte ich mich. Mein Verhalten war allerdings ein ebenso harter Schlag für ihn, wie derjenige, der ihn ins Genick getroffen hatte. Er ging nach seinem Platze, um sich dort traurig niederzuhöcken. Auch die andern suchten ihre Plätze auf, fanden aber den Schlaf nicht so schnell wieder, wie er ihnen unterbrochen worden war. Als nach der festgesetzten Zeit Winnetou mich ablöste, fragte er mich:



»Hat mein Bruder Shatterhand schon einmal einen solchen Hieb gegeben, welcher nicht betäubte und doch der Seele die Macht über den Körper raubte?«



»Nein.«



»Es war schrecklich anzusehen! Hätte diese Lähmung dauern können?«



»Jawohl. Für Wochen, Monate und Jahre.«



»Dann mag mein weißer Bruder den Hieb ins Genick nie wieder thun, sondern die Feinde lieber gleich erschlagen! Der »starke Büffel« wird dich nicht wieder zum Kampfe zwingen. Ich errate, was du mit dem »großen Munde« gesprochen hast. Er verlangte heute schon die Freiheit?«



»Ja.«



»Er hat dir aber nicht gesagt, was du wissen willst?«



»Nein.«



»Er wird es auch nicht sagen, sondern dich belügen. Daß er verlangt hat, jetzt schon frei zu sein, ist eine Frechheit, wie kein Aasvogel sie besitzt. Er verdient, dafür am Marterpfahle zu sterben. Welches Schicksal hast du über ihn beschlossen?«



»Dasjenige, für welches mein Bruder Winnetou sich entschieden hat.«



»Du weißt dasselbe, denn du kennst meine Gedanken. Old Shatterhand und Winnetou schmachten nicht nach Blut; aber retten können sie den »großen Mund« nicht. Wollten wir ihm die Freiheit geben, so würde die Schuld von allen Missethaten, welche er später begeht, auf uns fallen. Er ist der Todfeind der Mimbrenjos. Sie mögen ihn mit sich nehmen, um ihn nach ihren Gesetzen und Gebräuchen zu richten.«



So hatten wir also wieder einmal dieselbe Meinung gehegt und dies auch beiderseits erraten. Wir waren in Wirklichkeit das, was man mit einem landläufigen Ausdrucke »ein Herz und eine Seele« nennt.



Der so unerwartet mir aufgezwungene Zweikampf war nicht im stande, mich um meine Ruhe zu bringen; ich schlief darauf so fest, daß ich nicht selbst erwachte, sondern geweckt werden mußte. Zur bereits angegebenen Zeit wurde aufgebrochen. Unser Ritt verlief ohne irgend ein erwähnenswertes Ereignis.



Es war gegen Abend, als wir die enge Schlucht erreichten, welche auf den Lagerplatz der bei den Herden zurückgebliebenen Yumas mündete. Es war doch möglich, daß sie einen Wächter in die Schlucht gestellt hatten; wir mußten also vorsichtig sein und einen Kundschafter vorsenden, welcher aber wegen des weithin hörbaren Hufschlages nicht zu Pferde sein durfte. Der Wichtigkeit dieses Postens wegen und weil ich die Schlucht schon kannte, übernahm ich selbst das Späheramt. Als mein junger Freund, der Yumatöter, dies hörte, kam er zu mir und sagte in ehrfurchtsvollem Tone:



»Wird Old Shatterhand mir verzeihen, wenn ich es wage, eine Bitte zu haben?«



»Sprich!«



»Old Shatterhand will gehen, die Feinde auszukundschaften. Ich habe die Gegend auch kennen gelernt. Darf ich mit ihm gehen?«



»Ich bedarf freilich eines Begleiters, um ihn als Wächter zurückzulassen, aber du hast genug gethan und dir einen Namen erworben. Der Weg zu großen Thaten steht dir nun frei, da du ein Krieger bist. Du bedarfst dazu meiner nicht mehr, und ich will lieber einem anderen den Weg zur Berühmtheit öffnen. Schick deinen jüngeren Bruder her! Er soll mich begleiten!«



Der kleine Yumatöter hätte jedenfalls lieber gesehen, daß ich ihm seinen Wunsch erfüllte, daß ich ihm denselben aus Rücksicht für seinen Bruder abschlug, veranlaßte ihn zu der frohen Antwort:



»Mein berühmter weißer Bruder besitzt ein Herz voller Güte und Gewogenheit. Mein kleinerer Bruder wird sich dieses Vertrauens würdig machen und lieber sterben, als einen Fehler begehen.«



Der Zug mußte halten bleiben, denn es konnte einer der Yumas, welche wir überrumpeln wollten, nicht nur als Posten in der Schlucht stehen, sondern aus irgend einem Grunde sich in derselben befinden und soweit in dieselbe eingedrungen sein, daß wir, falls wir weiter ritten, auf ihn stoßen würden. Auch war unsern Gefangenen nicht zu trauen. Sie konnten sehr leicht auf den Gedanken kommen, sich den Ihrigen, falls wir uns ihnen zu weit näherten, durch lautes Schreien bemerkbar zu machen und sie dadurch zu warnen. Es wurde also Halt gemacht und abgestiegen, und ich ging mit dem Indianerknaben zu Fuße weiter.

 



Er schritt hinter mir her und sagte kein Wort. Ich sah zuweilen zurück und vergnügte mich an der Miene, welche er zeigte. Er war sich des ihm gewordenen Vorzuges und der Wichtigkeit unserer Aufgabe sehr bewußt; daher der Ausdruck des Glückes und des Selbstgefühles in seinen noch jugendlich weichen Zügen.



Der Unterschied zwischen mir, dem erwachsenen Krieger, und ihm, dem unbekannten Knaben, ließ ihn gar nicht daran denken, mir zur Seite zu schreiten; aber ich bemerkte sehr wohl, daß er zuweilen ganz unwillkürlich einige rasche Schritte machte, um dann doch gleich wieder zurückzubleiben. Er hatte etwas auf dem Herzen; er wollte mir etwas sagen, durfte es aber unmöglich wagen, das Gespräch zu beginnen. Ich zog daher meine Schritte ein wenig ein und sagte:



»Mein junger Bruder mag an meiner Seite gehen!«



Er gehorchte sofort, denn ein höfliches Zaudern wäre hier Ungehorsam gewesen.



»Mein kleiner Bruder wünscht, zu mir sprechen zu dürfen,« fuhr ich fort. »Er mag zu mir reden!«



Er warf aus seinen klugen Augen einen dankbaren Blick zu mir herauf, sagte aber nichts. Es war also eine Frage, nicht eine Mitteilung, welche er auf dem Herzen hatte. Eine Frage durfte er jetzt noch nicht aussprechen, da ich ihm nur das Reden im allgemeinen, nicht aber das Fragen erlaubt hatte.



»Ich weiß, was meinem roten Bruder auf den Lippen schwebt,« sprach ich weiter. »Soll ich es ihm sagen?«



»Old Shatterhand spricht, wenn er will!«



»Es betrifft deinen Vater, den »starken Büffel«. Habe ich recht?«



»Old Shatterhand trifft stets das Richtige.«



»Du wolltest mich gern fragen, warum ich sein Leben dir geschenkt habe?«



»Ich wünschte es, durfte es aber nicht wagen.«



»Ich habe die Worte aus deinem Gesichte gelesen. Du darfst zu mir reden, als ob ich auch ein Knabe wäre.«



»Wenn Old Shatterhand mir dies erlaubt, so darf ich ihm sagen, daß mein Vater sterben wird!«



»Warum denkst du das?«



»Ich sehe es ihm an, und mein älterer Bruder ist derselben Meinung. Er wird sich töten, weil er die doppelte Schande nicht ertragen kann.«



»Es ist keine Schande, von mir niedergeworfen zu werden. Ich habe Winnetou auch besiegt, ehe er mein Bruder war. Nun frage ihn, ob er sich dessen schämt. Sprich mit deinem Vater darüber. Sein Stolz verbietet ihm, mit mir davon zu reden; du aber bist sein Sohn, den er anhören darf. Du sprachst aber von einer doppelten Schande. Damit meintest du ferner, daß ich ihn dir geschenkt habe?«



»Ja.«



»Meinst du wirklich, daß dies eine Schande ist?«



»Eine große! Warum hast du sie ihm angethan?«



»Ich habe so gehandelt, um ihm die Schande zu ersparen, von mir das Ieben geschenkt zu erhalten. Das, was du eine Schande nennst, ist keine Schande, sondern im Gegenteile eine Bewahrung vor derselben.«



»Ich bin ein Knabe und weiß das nicht; aber wenn Old Shatterhand es sagt, muß es wahr sein.«



»Es ist wahr. Ich wiederhole: Daß dein Vater von mir besiegt wurde, war keine Schande. Alle roten Männer wissen, daß es schwer ist, mich zu besiegen. Aber er hatte es in seinem Zorne auf meinen Tod abgesehen; er hätte mich nicht geschont, sondern sicherlich erstochen; es wäre also eine Schande gewesen, wenn er das Leben aus meiner Hand geschenkt erhalten hätte. Jetzt ist sein Leben dein Eigentum, und da du sein Kind bist, kann er es als Geschenk von dir annehmen, ohne erröten zu müssen. Begreifst du mich nun?«



Er dachte erst eine kleine Weile nach und antwortete dann:



»Mein Herz war schwer um meines Vaters willen; nun aber ist es wieder leicht geworden. Die Worte Old Shatterhands sind weise und klug und sehr leicht zu begreifen. Wie er gehandelt hat, so hätte kein anderer Krieger gehandelt. Mein Vater kann ohne Scham weiter leben; ich werde es ihm sagen. Dafür aber, daß mein berühmter weißer Bruder das Leben meines Vaters in meine Hand gegeben hat, soll ihm das meinige gehören. Old Shatterhand sage ein Wort, so bin ich bereit, sofort in den Tod zu gehen!«



»Ich wünsche nicht, daß du stirbst, sondern daß du lebst, um nicht nur ein tapferer Krieger, sondern auch ein guter Mensch zu werden. Zu einem guten Menschen kann ich dich nicht machen; du mußt dich selbst bestreben, gut zu sein und nie ein Unrecht zu begehen; aber ein tapferer Krieger zu werden, dazu kann ich dir behilflich sein. Ich werde dafür sorgen, daß du stets in meiner Nähe bist, solange ich mich in diesen Gegenden befinde.«



Da ergriff er einen Finger meiner Hand – die ganze Hand wagte er nicht zu ergreifen – drückte denselben an seine Brust und sagte in einem Tone, dem man anhörte, daß seine Worte aus einem überquellenden Herzen kamen:



»Ich habe meinem großen weißen Bruder vorhin mein Leben zugesagt, nun wollte ich, ich hätte viele Leben; sie alle würden Old Shatterhand gehören!«



»Ich weiß, ich weiß! Du bist ein dankbarer Knabe, und wer dankbar ist, der wandelt auf dem Wege, an welchem auch alle andern Tugenden blühen. Pflücke sie beizeiten, denn je länger dieser Weg wird, desto seltener sind sie zu finden und desto mehr sind sie von Dornen umgeben, welche die pflückende Hand verscheuchen!«



Der kleine Mann holte laut und tief Atem. Meine Worte waren ihm in das Herz gedrungen und dort auf einen fruchtbaren Boden gefallen. Ein solches Atmen, welches ein sicheres Zeichen der Bewegung ist, habe ich immer gern gehört.



Der Tag neigte sich schnell zur Rüste. In der Schlucht war es schon ziemlich düster geworden. Wir mußten um so schärfer aufpassen. Vorteilhaft war es, daß der Knabe schon gelernt hatte, mit unhörbaren Schritten zu gehen. Indianer werden schon in früher Jugend in dieser Kunst – denn sie ist wirklich eine Kunst – geübt.



Es stellte sich heraus, daß sich kein feindliches Wesen in der Schlucht befand. Wir erreichten den Ausgang derselben beim letzten Tagesscheine, welcher uns erlaubte, uns leidlich zu orientieren.



Als ich Gefangener der Yumas war, hatten wir nahe der Schlucht gelagert. Unterdessen hatten die vielen geraubten Tiere das Gras abgeweidet, und die Hirten waren dadurch gezwungen gewesen, sich von derselben zu entfernen. Wir sahen sie weit draußen, soweit, daß die Pferde und Kühe die Größe kleiner Hunde hatten. Die Indianer, welche sie beaufsichtigten, schienen dreijährige Kinder zu sein.



Einer von ihnen nur war bedeutend größer, denn er war uns näher; ja, er kam auf uns, das heißt auf den Ausgang der Schlucht zu. Um den Grad der Intelligenz des Knaben kennen zu lernen, fragte ich ihn:



»Du siehst den Yuma, welcher sich uns nähert. Wird er vollends herkommen oder unterwegs umkehren?«



»Er wird kommen, um sich hier aufzustellen, und die Krieger zu erwarten, welche dir nachgejagt sind.«



»Ist das nicht überflüssig?«



»Nein. Er soll ihnen, falls sie kommen, sagen, wo seine Kameraden sich befinden, da sich dieselben von hier entfernt haben.«



»Die Leute würden ihre Kameraden doch auch ohne eine solche Anweisung finden, da die letzteren jedenfalls Wachtfeuer brennen werden.«



»Sie werden so vorsichtig sein, keine zu brennen. Sie wissen nicht, ob es gelungen ist, dich wieder zu ergreifen, und Old Shatterhand ist für seine Feinde ein gefährlicher Krieger.«



»Hm! Warum kommt dieser Mann erst jetzt? Warum hat man nicht schon am Tage einen Posten hierhergestellt?«



»Weil diejenigen, die erwartet werden, am Tage die Herden da draußen sehen können und also keines Wegweisers bedürfen.«



»Das ist sehr richtig. Du hast mir überhaupt gute Antworten gegeben. Aber das Wissen genügt nicht; man muß auch zu handeln verstehen.«



»Old Shatterhand mag mir sagen, was ich thun soll! Ich werde gehorchen.«



»Ich möchte den Yuma als Gefangenen haben.«



Das schon an sich dunkle Gesicht des Knaben wurde infolge des Blutandranges, welchen meine Worte veranlaßten, noch dunkler, doch antwortete er:



»Wenn Old Shatterhand seine Hand ausstreckt, kann der Yuma ihm nicht entgehen.«



»Hast du nicht auch eine Hand?«



Er blickte glänzenden Auges zu mir auf, sagte aber:



»Es ist die Hand eines Knaben, welcher in Gegenwart eines großen Kriegers nicht handeln darf.«



»Der große Krieger erlaubt es dir. Du sollst deinem Vater zeigen, daß du an meiner Seite gewesen bist.«



»Dann werde ich ihn erschießen!«



»Nein. Seine Kameraden würden den Schuß hören. Ich sage dir, daß ich ihn gefangen haben will.«



»Old Shatterhand mag sagen, was er von mir verlangt; ich werde es thun.«



»Du sollst selbst wissen, was du zu thun hast. Die That wäre nicht ganz die deinige, wenn du meines Rates zu derselben bedürftest. Ueberlege also schnell, ehe es zu spät ist!«



Er blickte, um die Entfernung zu messen, hinaus nach der Stelle, wo der Yuma sich jetzt befand, und musterte dann unsere Umgebung. Sein Gesicht hatte dabei einen unternehmenden, ja entschlossenen Ausdruck.



»Ich weiß, was ich thue,« meinte er dann. »Wir stehen hier am Ausgange der Schlucht, hinter deren Felsenecke wir hervorblicken. Der Yuma wird nicht draußen stehen bleiben, sondern in die Schlucht hereinkommen.«



»Das halte auch ich für sehr wahrscheinlich.«



»Ich sehe ein Versteck für mich, in welchem ich mich verberge, bis er vorüber ist. Dann schleiche ich mich hinter ihm drein und schlage ihm den Kolben meines Gewehres auf den Kopf, daß er niederstürzt. Mit meinem Lasso werde ich ihn binden.«



»Wenn das Versteck gut ist, ist auch der Plan nicht schlecht. Wo befindet es sich?«



»Gleich hinter uns auf dem Felsen.«



Wir standen, wie er soeben gesagt hatte, hinter dem Felsen am Ausgange der Schlucht. Wenige Schritte rückwärts trat die Steinwand in etwas mehr als Manneshöhe vielleicht zwei Ellen zurück. Wer da oben lag und sich recht niederdrückte, konnte allerdings von einem Vorübergehenden nicht gesehen werden. Darum sagte ich:



»Kannst du denn hinauf? Der Stein ist glatt.«



»Das ist nichts!« antwortete er verächtlich. »Ich würde noch viel höher kommen.«



»Aber wenn du herunterspringst, wird er dich hören!«



»Ich springe nicht, sondern ich gleite leise.«



»Dann rasch hinauf! Es ist jetzt noch Zeit.«



»Wohin wird Old Shatterhand sich inzwischen verstecken?«



»Das ist meine Sache. Rechne nicht auf mich; ich kann dir nicht beistehen. Wenn du nicht klug, schnell und entschlossen handelst, wird er dich töten.«



Darauf antwortete er stolz:



»Der Yuma wird noch keinen Mimbrenjo getötet haben und auch in Zukunft keinen töten. Ich fange ihn und laß ihn am Pfahle sterben.«



Er war ein guter Kletterer und kam schnell wie ein Eichhörnchen auf den erwähnten Felsen, an welchen er sich so schmiegte, daß ich ihn nicht sehen konnte. Wer ahnungslos vorüberkam, konnte ihn erst recht nicht bemerken.



Nun war es hohe Zeit, mich zurückzuziehen, denn der Yuma hatte, um zu uns zu kommen, höchstens noch dreihundert Schritte zu gehen. Ich eilte also eine Strecke zurück bis zu einem hervorstehenden Felsen, hinter welchen ich mich stellte. Das Unternehmen war für den kleinen Helden trotz meiner Anwesenheit nicht ungefährlich. Wenn der Yuma ihn vorzeitig bemerkte und es zum Kampfe kam, konnte ich nicht schnell genug Hilfe bringen, weil ich nicht schießen durfte, da der Schuß draußen von den Yumas gehört worden wäre. Ich sah darum den nächsten Augenblicken mit besonderer Spannung entgegen, zumal ich der Urheber der That war und ihre Folgen zu verantworten hatte. Natürlich wünschte ich dem Knaben zu seinem Vorhaben von ganzem Herzen Glück. Er hatte meine Botschaft bei seinem Vater ausgerichtet und mir rechtzeitig Hilfe gebracht. Dafür wäre ich ihm gern, wie seinem Bruder, mit einem Namen dankbar gewesen.



Erleichtert wurde die Ausführung des Vorhabens dadurch, daß es mittlerweile noch dunkler geworden war, besonders hier in der Schlucht, und daß ein Umstand eintrat, welchen wir nicht einmal als Zufälligkeit mit in Betracht gezogen hatten. Der Yuma blieb nämlich, als er die Schlucht erreicht hatte, an der Ecke derselben, an welcher wir vorhin unsere Beobachtungen gemacht hatten, stehen und kam gar nicht herein. Er befand sich dort auf dem Posten, welcher ihm angewiesen worden war, und begann, langsam hin und her zu gehen. Dabei kam er wiederholt an den Felsen, auf welchem der Knabe lag, aber nicht so nahe, daß er von oben herab mit dem Kolben erreicht werden konnte.



Ich sagte mir, daß der kleine Mimbrenjo warten werde, bis der Yuma ihm einmal nahe genug gekommen sei, und fügte mich in Geduld. So vergingen fünf Minuten und noch fünf; es wurde so dunkel, daß ich kaum noch zwanzig Schritte weit sehen konnte. Ich lauschte mit angestrengtem Gehör und nahm mir eben vor, mich der betreffenden Stelle mehr zu nähern, um nötigen Falles schneller bei der Hand sein zu können, da vernahm ich ein Geräusch oder einen Ton, wie wenn man mit einem

 



Stocke auf einen Kürbis schlägt. Das war der Hieb, welchen der Yuma hatte bekommen sollen. Ich blieb stehen und horchte weiter. Ein röchelndes Stöhnen ließ sich hören; dann wiederholte sich das erste Geräusch.



Der Yuma hatte einen zweiten Kolbenschlag erhalten. Jetzt brauchte ich keine Sorge mehr um den Knaben zu haben und wartete, was er nun thun werde. Nach sehr kurzer Zeit hörte ich Schritte, und dann rief der Mimbrenjo mit halblauter Stimme meinen Namen. Er war bis auf wenige Schritte zu mir herangekommen; ich ging zu ihm und fragte:



»Nun, wie hat mein junger Bruder seine Aufgabe ausgeführt? Ist sie gelungen?«



»Ja. Der Yuma ging unter meinem Verstecke hin und her; da gab ich ihm einen Hieb, welcher ihn niederwarf. Er stöhnte und wollte sich erheben; da sprang ich herab und gab ihm einen zweiten Schlag, worauf er still wurde und liegen blieb. Dann band ich ihn mit meinem Lasso. Ob er noch lebt, oder ob ich ihn erschlagen habe, das weiß ich nicht.«



»Das wird sich gleich zeigen. Komm, laß uns sehen!«



Wir begaben uns an Ort und Stelle, wo ich den Yuma untersuchte. Er war bei voller Besinnung. Die Hiebe hatten ihn nur für einige Augenblicke betäubt, während welcher Zeit er gebunden worden war. Um Hilfe hatte er dann nicht gerufen, weil er nicht wußte, wie viele Gegner er vor sich hatte, und sich dagegen wohl sagte, daß er zu entfernt von seinen Kameraden liege, als daß dieselben sein Rufen hören könnten. Was er besaß, war natürlich Beute seines Besiegers, doch war die Beute eine sehr geringe. Seine Taschen befanden sich in dem Zustande vollständigster Leere, und bewaffnet war er nur mit einem Messer und einem Bogen mit Köcher, in welch letzterem sich drei oder vier schlechte Pfeile befanden. Ich hätte meinem kleinen Helden eine reichere Beute gegönnt, denn bei den Roten heißt es, je mehr Beute desto größer die Heldenthat.



Unsere Rekognoscierung hatte einen günstigen Verlauf genommen und ein ebenso günstiges Ergebnis gehabt. Wir mußten nun zurückkehren und den Gefangenen mitnehmen, da wir ihn nicht liegen lassen durften. Es war mit Sicherheit anzunehmen, daß er abgelöst würde, und bevor das geschah, mußten wir wieder hier sein, um seinen Nachfolger zu empfangen, von welchem leicht zu denken war, daß er beim Nichtantreffen seines Vorgängers Lärm schlagen werde. Ich fragte darum den Yuma: »Höre auf meine Stimme! Kennst du mich?«



»Old Shatterhand!« antwortete er im Tone des Schreckens. »Ja, ich kenne dich!«



»Wenn dir dein Leben lieb ist, so sprich nicht laut, und antworte mir auf meine Fragen die Wahrheit! Sind, seit ich fort bin, noch mehr Yumas zu euch gestoßen?«



»Nein.«



»Ist etwas Wichtiges passiert?«



»Nein.«



»Wann wirst du abgelöst?«



»Zweimal nach der Zeit, welche die Bleichgesichter eine Stunde nennen.«



»Du wirst jetzt mit uns kommen. Damit du gehen kannst, werde ich dir die Füße freigeben. Machst du Miene, uns zu entlaufen, so steche ich dich auf der Stelle nieder!«



Ich löste ihm den Lasso von den Beinen, schnürte ihm die Arme an den Leib und band ihn dann mit mir zusammen, sodaß ich ihn sicher hatte. Dann gingen wir trotz der Dunkelheit viel schneller zurück, als wir am Tage hergekommen waren, weil wir da langsam hatten gehen müssen, um vorsichtig nach Indianern auszuschauen.



Als ich Winnetou gemeldet hatte, in welcher Weise die Yumas von uns gesehen worden waren, meinte er:



»Es wird ein Leichtes sein, sie zu ergreifen, nur dürfen wir die Gefangenen nicht mitnehmen, weil diese uns verraten könnten. Was meint mein Bruder Shatterhand, wie viele Mimbrenjos werden genügen, die Feinde so zu überfallen, daß kein einziger von ihnen entkommt?«



»Die Hälfte ist mehr als genug, doch ist es besser, einige mehr als weniger, da man immer mit Zufälligkeiten rechnen muß.«



»Und die andere Hälfte genügt, die Gefangenen hier zu bewachen?«



»Ja.«



»Wer soll diese befehligen?«



»Der »starke Büffel«, denn Winnetou und ich müssen bei dem Ueberfalle zugegen sein. Es ist sogar notwendig, daß wir beide die Yumas erst umschleichen, um zu erfahren, wie sie lagern oder s