Tasuta

Satan und Ischariot I

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Fünftes Kapitel: Der Player

Auf unserm Ritte zeigte sich, was gute Pferde zu leisten vermögen. Mir war bange für die Auswanderer; wir trieben also unsere Tiere tüchtig an; glaubten wir doch, daß sie sich dann später nach unserer Ankunft auf der Hazienda tüchtig ausruhen könnten; die Folge war, daß wir schon am Nachmittage des nächsten Tages die Grenze der Hazienda erreichten, die beiden Jünglinge freilich auf schweißtriefenden Rossen, während die unserigen so trocken und munter waren, als ob wir jetzt erst am Beginne des weiten Rittes ständen.

Wir nahmen wieder den Bach zum Führer und sahen dann die Mauern vor uns liegen, welche die Brandstätten der eingeäscherten Gebäude umgaben. Niemand verwehrte uns den Eingang. Dennoch zögerte ich, in den Hof zu reiten. Winnetou verstand mich sofort und sagte:

»Mein Bruder Shatterhand mag erst allein suchen. Es waren rote Männer, welche die Hazienda überfielen. Wenn jemand sich hier befindet und uns gleich mit erblickt, kann er uns für Yumas halten und die Flucht ergreifen, sodaß wir uns nicht erkundigen können und keine Auskunft erhalten.«

Ich ritt also allein in den Hof. Er bildete ein Chaos von rauchgeschwärzten Mauertrümmern, die ich durchsuchte, ohne eine Menschenseele zu finden. Ich kehrte also zurück und versuchte, außerhalb der Mauern auf jemand zu treffen. Kaum war ich um die südwestliche Ecke gebogen, so sah ich einen Mann, einen Weißen, mir langsamen Schrittes entgegenkommen. Er trug einen langen, dunkeln Rock, der ihm fast das Aussehen eines Geistlichen verlieh, und blieb, als er mich erblickte, überrascht stehen.

»Buenos dias!« grüßte ich. »Gehören Sie zu dieser Hazienda, Sennor?«

»Ja,« antwortete er, indem er mich mit seinen stechenden Augen musterte.

»Wer ist der Besitzer?«

»Sennor Melton.«

»Also doch! Ich suche ihn. Er ist ein Bekannter von mir.«

»Dann thut es mir leid, daß Sie ihn nicht treffen. Er ist mit Sennor Timoteo Pruchillo, dem früheren Besitzer, nach Ures geritten, um den Kauf gerichtlich festzustellen.«

»So sind doch seine Freunde da?«

»Die beiden Sennores Weller? Nein. Die sind hinauf nach der Fuente de la Roca[15]

»Und die deutschen Arbeiter?«

»Sind unter der Anführung der beiden Sennores auch hinauf, wo sie von den Yuma-Indianern erwartet werden. Sie müssen ein Freund von Sennor Melton sein, da Sie nach diesen Personen allen fragen. Darf ich mich erkundigen, wer – —«

Er hielt mitten in der Rede inne. Er hatte seinen Weg fortgesetzt, und ich war an seiner Seite geblieben. Jetzt eben kamen wir um die Ecke. Er sah die drei Indianer, blieb stehen, hielt im Sprechen inne, starrte den Apatschen ganz erschrocken an und rief dann in englischer Sprache, während wir uns bisher des Spanischen bedient hatten:

»Winnetou! Alle Teufel! Den führt der leibhaftige Satan her!«

Während der letzten Worte drehte er sich um und rannte davon, sprang mit einem weiten, kühnen Satze über den Bach hinüber und hetzte dann wie ein gejagtes Wild über den mit Asche bedeckten Waldboden, aus welchem die Stumpfe der verbrannten Bäume und Sträucher ragten. Winnetou hatte ihn auch gesehen und seine Worte gehört. Er trieb sein Pferd an, kam an mir vorüber und sprengte, ohne ein Wort zu sagen, über den Bach, um dem Fliehenden zu folgen. Jedenfalls kannte er den Menschen, und zwar mußte er ihn von einer Seite kennen gelernt haben, daß es ihm unter den gegenwärtigen Verhältnissen geraten schien, sich seiner zu bemächtigen.

Aber das war eine schwierige Sache. Die zahllosen Stummel des abgebrannten Gehölzes waren, da sie gleiche Farbe mit der handhoch liegenden Asche hatten, bei einem so schnellen Ritte von der letzteren nicht zu unterscheiden und konnten das Pferd leicht zum Falle bringen oder an den Füßen so verletzen, daß es zum Reiten untauglich wurde. Das sah Winnetou ein, als es einigemale gestrauchelt war. Er hielt es an, sprang ab und setzte die Verfolgung zu Fuße fort.

Hätte ich gewußt, wer der Mann war und daß wir uns seiner auf alle Fälle zu versichern hatten, so wäre es mir in den ersten Augenblicken ein leichtes gewesen, ihm eine Kugel ins Bein zu geben, sodaß er nicht weiter gekonnt hätte; so aber mußte ich dies unterlassen, zumal ich mir sagte, daß Winnetou dasselbe thun würde, falls er es für nötig halten sollte. Er war ein ausgezeichneter Läufer; ich wußte, daß es unmöglich war, ihn einzuholen; hatten wir doch schon um unser Leben laufen müssen. Hier aber war er im Nachteile, da ihn nicht nur seine Büchse, sondern seine ganze Ausrüstung hinderte, während der andere nichts zu tragen hatte und, von der Angst zur größten Anstrengung angetrieben, eine Schnelligkeit entwickelte, welche ihm unter andern Umständen wohl nicht zu eigen war. Winnetou war nicht im stande, ihm den Vorsprung, den er hatte, so rasch, wie es zu wünschen war, abzugewinnen. Doch wußte ich, daß er ihn bei längerer Verfolgung einholen werde, da er eine Ausdauer besaß, welcher diejenige des andern jedenfalls nicht gleichkam.

Der Lauf ging die Anhöhe hinan, welche hinter den Gebäuden der Hazienda lag und ganz kahl abgebrannt war. Der Flüchtige kam eine volle Minute vor dem Apatschen oben an und verschwand dann jenseits. Als Winnetou die Höhe erreichte, sah ich, daß er zunächst auch weiter wollte; aber er hielt, sich besinnend, an, warf einen die Entfernung abschätzenden Blick nach jenseits hinüber und legte dann das Gewehr an. Er wollte schießen, ließ es aber wieder sinken, machte eine Armbewegung, welche soviel wie »Nein, ich will es doch unterlassen,« bedeutete, kehrte um und kam die Anhöhe wieder herab. Als er sein Pferd, welches sich nicht von der Stelle gerührt hatte, erreichte, stieg er wieder auf und kam über den Bach herüber.

»Winnetou will ihn doch lieber laufen lassen,« sagte er. »Drüben im andern Thale giebt es wieder Wald, welcher nicht gebrannt hat; er würde ihn vor mir erreichen, und ich könnte ihn nicht mehr sehen.«

»Mein Bruder würde ihn dennoch ganz gewiß einholen,« antwortete ich.

»Ja, ich würde ihn ergreifen, aber das kostete eine lange Zeit, vielleicht mehr als einen ganzen Tag, da ich seiner Fährte folgen müßte, welche nur langsam zu lesen ist. Und eine solche Zeit ist die Sache nicht wert.«

»Mein Bruder wollte schießen. Warum hat er es nicht gethan?«

»Weil ich ihn nur verwunden wollte, die Entfernung aber eine so große war, daß ich keinen sichern Schuß hatte. Getroffen hätte ich ihn bestimmt, aber dann vielleicht an einer gefährlichen Stelle, und töten wollte ich ihn doch nicht, weil ich zwar Schlimmes von ihm weiß, aber es ist nicht so viel, daß ich das Recht habe, ihm das Leben zu nehmen.«

»Mein Bruder kennt den Menschen?«

»Ja. Mein Freund Shatterhand hat ihn wohl noch nicht gesehen, aber seinen Namen kennt er auch. Er gehört zu den Bleichgesichtern, welche sich Mormonen nennen; er zählt sich zu den Heiligen der zukünftigen Tage, aber sein Wandel in der Vergangenheit und Gegenwart ist derjenige eines sehr gefährlichen Menschen. Er ist sogar ein Mörder; da er aber keinen meiner Brüder getötet hat, so muß ich ihm das Leben lassen.«

»Und doch hast du ihn verfolgt! Du bist also der Ansicht gewesen, daß es für uns von Vorteil sei, ihn zu fangen.«

»Ja, das waren sofort, als ich ihn erblickte, meine Gedanken. Wenn er sich hier auf der Hazienda befindet, so ist er gewiß ein Verbündeter von Melton; er kennt die Absichten und Geheimnisse desselben, und es wäre uns vielleicht gelungen, ihn zu zwingen, uns dieselben mitzuteilen.«

»Hätte ich das gewußt, so wäre er nicht entkommen; ich hätte, als ich mit ihm sprach, ihn festgenommen oder ihn später durch eine Kugel zum Halten gezwungen. Wer ist der Mensch, den du einen gefährlichen Mann und sogar einen Mörder nennst?«

»Wie sein eigentlicher Name ist, weiß ich nicht; er wird gewöhnlich der Player[16] genannt.«

»Der Player! Ah! Von dem habe ich freilich mehr als genug gehört. Du weißt, daß Melton einen Bruder hat, der als falscher Spieler berüchtigt war. Er erschoß in Fort Uintah einen Offizier und zwei Soldaten, worauf ich ihn bis nach Fort Edward jagte. Ich nahm ihn gefangen und lieferte ihn ab; aber er entkam dann. Mit diesem Bruder Meltons ist der Player sehr bekannt gewesen. Sie haben jahrelang miteinander ihre sauberen Geschäfte getrieben, und man redet allerdings davon, daß es dabei nicht nur Diebstahl und Raub, sondern sogar Mord und Totschlag gegeben habe. Mir sind zwei oder drei Fälle gut bekannt, in denen ich diesen Player für schuldig halte. Also der Halunke befindet sich hier! Dann ist er freilich ein Verbündeter Meltons, den er infolge seiner Bekanntschaft mit seinem Bruder kennen gelernt haben wird, und es ist jammerschade, daß ihm die Flucht gelungen ist.«

»Wollen wir ihm nach? Old Shatterhand wird seine Spur ebenso leicht finden, wie ich; er kann uns nicht entgehen.«

»Davon bin ich überzeugt; aber Winnetou hat ganz richtig gesagt, daß wir auf diesen Fang eine Zeit ver- verwenden müßten, welche wir notwendiger brauchen. Der Player hielt mich für einen guten Bekannten von Melton und hat mir infolgedessen einige Mitteilungen gemacht, welche er jetzt bereuen wird. Ich muß sie meinem roten Bruder mitteilen.«

Ich sagte ihm, was ich gehört hatte. Als ich fertig war, wiederholte er in seiner nachdenklichen Weise:

 

»Die beiden Weller sind mit den Auswanderern hinauf nach der Fuente de la Roca, und Melton ist mit dem Haziendero nach Ures geritten. Was sollen die Landesbrüder Old Shatterhands an der Fuente?«

»Ja, wenn ich das wüßte! Kennt Winnetou diesen Ort?«

»Ich habe einmal auf dem Wege von Chihuahua nach der Sonora zwei Tage lang da oben gejagt und die Nächte an der Fuente zugebracht. Die Gegend ist mir so bekannt, als ob ich öfters dort gewesen wäre. Der Jagd wegen sind sie nicht hinauf, und Ackerbau, Feldarbeit giebt es in jener wilden Gegend nicht. Wäre es auf solche Arbeit abgesehen, so wären sie hier geblieben, wo sie nötiger sind.«

»So bleibt die Sache also ein Rätsel, dessen Lösung wir höchstens aus dem Umstande zu ziehen vermöchten, daß man an der Fuente mit Yuma-Indianern zusammentreffen will, also mit den Verbündeten Meltons, deren Kameraden auf seine Veranlassung hin hier diese Verwüstung angerichtet haben.«

»Was für Yumas werden es sein? Doch nicht der »große Mund« mit seiner Schar, die wir gefangen haben!«

»Nein; es handelt sich jedenfalls um eine andere Schar, die aber sehr wahrscheinlich mit der ersteren befreundet ist. Ich vermute sogar, daß der »große Mund« von ihrer Anwesenheit an der Fuente weiß, und ich möchte behaupten, daß diese Anwesenheit mit dem Ueberfalle und der Einäscherung der Hazienda in innigem Zusammenhange steht. Und wie der Ueberfall ein Schandstreich war, so steht zu erwarten, daß es sich da oben an der Fuente auch um ein verbrecherisches Vorhaben handelt.«

»Old Shatterhand spricht aus, was Winnetou denkt. Deine Landesbrüder befinden sich abermals in Gefahr, und ich bin bereit, sogleich nach der Fuente aufzubrechen.«

»Ich würde allerdings nicht säumen, unverzüglich hinzureiten; aber mein Bruder hat gehört, daß Melton mit Don Timoteo nach Ures ist, um den Kauf gerichtlich gültig zu machen. Gelingt es uns, dies zu hintertreiben, so nehmen wir Melton den Boden, auf dem er seine Absichten ausführen will.«

»Mein Bruder möchte also lieber nach Ures? Da läßt er aber doch seine Landeskinder im Stiche!«

»Nein. Melton ist der Urheber von allem, was geschehen ist und von allem, was noch geschehen soll. Die beiden Weller sind ihm untergeordnet und werden jedenfalls nur einleitende Schritte thun können; die eigentliche That aber wird nur in Anwesenheit von Melton ausgeführt werden. Wir können nicht nur den Kauf rückgängig machen, sondern Melton ins Gefängnis bringen. Gelingt uns das, so ist er unschädlich gemacht, und die Wellers werden mit den Yumas droben an der Fuente vergeblich auf ihn warten.«

»Mein weißer Bruder meint also, daß er die Absicht hat, von Ures nicht hierher zu kommen, sondern nach der Fuente zu reiten?«

»Ja.«

»Was soll aber der Player hier? Nicht hier auf ihn warten?«

»Schwerlich! Der Player wird sich als eine Art von

Sicherheitsposten hier befinden. Wo er hergekommen ist, weiß ich freilich nicht. Die Sache scheint schon von langer Hand und mit großer Umsicht eingeleitet zu sein. Es handelt sich jedenfalls um das Einnisten der Mormonen in dieser Gegend. Daß dies in so schurkischer Weise geschieht, ist wahrscheinlich nur Meltons Sache und geschieht nicht auf einen von der großen Salzseestadt ausgehenden Befehl. Er hat den Auftrag, sich hier festzusetzen, führt denselben aber auf seine Weise aus. Die Wellers und der Spieler helfen ihm dabei, die ersteren in thätiger, der letztere mehr in unthätiger Weise, indem er hier bleibt und den Wächter macht, um dafür zu sorgen, daß droben an der Fuente keine Störung eintritt.«

»Mein Bruder hat mit seinen Gedanken wohl, wie immer, das Richtige getroffen. Es soll ein Verbrechen geschehen; die Yumas sollen helfen, es auszuführen, aber die Bleichgesichter sind die Anstifter. So ist es immer gewesen. Man rottet die roten Männer aus, weil man ihnen Thaten vorwirft, deren Schuld doch nur die Weißen tragen. Und hier haben wir es nicht einmal mit gewöhnlichen Bleichgesichtern zu thun, sondern mit Leuten, welche sich so außerordentlich fromm stellen und sich den Namen »Die Heiligen der letzten Tage« gegeben haben!«

Leider hat der Häuptling der Apatschen recht! Wenn die Mormonen solche Menschen wie Melton, die Wellers und den Player nicht nur unter sich aufnehmen, sondern sie sogar als Gründer neuer Niederlassungen aussenden, so gleicht ihre Sekte einer faulen Frucht, welche nicht am Stamme reifen wird, sondern unten am Boden verwesen muß.

»Wie lange hat man von hier bis hinauf nach der Fuente de la Roca zu reiten?« fragte ich.

»Mit unsern guten Pferden brauchen wir zwei Tage, von Ures aus sind es drei.«

»So ist es also kein Umweg, wenn man nicht den direkten Weg von Ures nimmt, sondern hier über die Hazienda geht?«

»Es wird höchstens einige Stunden austragen.«

»So können wir wieder hierher zurückkommen, und es ist nicht unmöglich, daß es Melton ebenso macht. In diesem Falle müssen wir ihm unterwegs begegnen, falls er seine Geschäfte in Ures schon beendet haben und aufgebrochen sein sollte. Ich denke, wir zögern nicht. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«

»Mein Bruder mag bedenken, daß die Pferde der Ruhe bedürfen; wir sind einen ganzen Tag und einen halben auf einem Wege geritten, zu welchem man eigentlich über vier Tage braucht. Unsere Rosse halten den Ritt nach Ures wohl auch noch aus; aber die Mimbrenjo-Pferde sind so ermüdet, daß wir ihnen eine weitere Anstrengung unmöglich zumuten können.«

»Ich mute sie ihnen auch nicht zu. Wir beide werden allein reiten, und die Knaben bleiben hier, wo ihre Gegenwart uns förderlich ist, während ihre Begleitung uns nur hindern würde.«

»Mein Bruder meint, daß sie nach dem Player spähen sollen?«

»Ja. Er kehrt jedenfalls zurück, wenn auch in sehr vorsichtiger Weise. Mich hat er nicht gekannt, also weiß er nicht, daß wir uns in einer ihm feindlichen Absicht hier befinden. Er wird unsere Anwesenheit für eine zufällige halten und nicht gleich hinauf nach der Fuente rennen, um dieselbe dort zu melden. Freilich hat er Angst vor dir und wird also nur heimlich zurückkommen, um zu sehen, ob du noch da oder schon fortgeritten bist. Sieht er uns nicht mehr, so wird er sich sicher fühlen, und die beiden Mimbrenjos können ihn beobachten, um zu erkunden, was er treibt und welche Aufgabe ihm hier auf der verwüsteten Hazienda geworden ist.«

»Es mag geschehen, wie mein Bruder gesagt hat. Sie mögen ihn beaufsichtigen und ihn nicht aus dem Auge lassen, aber vorsichtig und unbemerkt, damit er nicht etwa sie selbst entdeckt. Wenn wir von Ures zurückkehren, können sie uns sagen, wo er steckt, und wir werden ihn festnehmen, um ihn zu zwingen, uns das zu sagen, was wir wissen wollen.«

Winnetou war also mit mir einverstanden. Den Mimbrenjos brauchten wir unsern Entschluß nicht erst mitzuteilen, da sie unsere Worte gehört hatten; doch verstand es sich bei ihrer Jugend ganz von selbst, daß sie in Beziehung auf ihr Verhalten die notwendigen Anweisungen bekamen. Wir beide, Winnetou und ich, ließen unsere Pferde im Bache tüchtig trinken und brachen dann, ohne eigentlich ausgeruht zu haben, nach Ures auf.

Der Weg war mir bekannt; ich hatte ihn ja schon einmal gemacht. Solange es Tag war, ritten wir so rasch wie möglich; als es dunkel geworden war, ließen wir die Pferde drei bis vier Stunden ruhen, bis der Mond aufging und wir wieder in den Sattel stiegen. Der Vortrefflichkeit unserer Pferde hatten wir es zu verdanken, daß wir unser Ziel um die Mittagszeit des folgenden Tages erreichten; aber wir hätten ihnen auch keine weitere Anstrengung zumuten dürfen, denn sie waren nun so ermattet, daß sie uns stolpernden Ganges durch die ersten Gassen trugen und wir, ohne lange zu suchen und zu wählen, vor der ersten besten sich uns bietenden Kneipe abstiegen. So elend dieselbe auch aussah, wir bekamen doch Wein und Tortilla für uns und Mais und Wasser für die Pferde. Um die Zeche brauchte ich nicht zu sorgen. Ich habe zwar bereits gesagt, wie es um meinen Beutel stand; aber Winnetou war stets, wenn nicht mit Geld, so doch mit Goldstaub und Nuggets versehen, sodaß ich in seiner Gesellschaft nicht wohl in Verlegenheit kommen konnte.

Wo aber nun hin, um Melton und den Haziendero zu finden? Eine überflüssige Frage! Wer in der Wildnis jeden, den er sucht, zu treffen versteht, für den kann es nicht schwer sein, in einer Stadt von neuntausend Einwohnern zwei Personen zu finden, welche als Fremde sicher die Aufmerksamkeit der Bürger auf sich gezogen hatten. Es fiel mir übrigens nicht ein, lange zu fragen und zu suchen, sondern ich begab mich, als wir für unsere Pferde gesorgt und die fladenartige Tortilla gegessen hatten, mit Winnetou direkt zu dem famosen Beamten, bei dem ich während meiner vorigen Anwesenheit in dieser guten Stadt gewesen war. Der Polizist, welcher mich damals zurechtgewiesen hatte, lungerte wieder vor der Expedition herum, und als wir diese betraten, lag die Sennora wieder in ihrer Hängematte. Hinter ihr hing, wie damals, ihr Gemahl; neben ihr aber war heute eine dritte Hängematte angebracht, in welcher zu meiner Freude einer der beiden Gesuchten saß; nämlich der Haziendero, welcher eine der famosen Cigaretten zwischen den Lippen hielt und sich gemächlich schaukelte. Er schien sich neben der ebenso rauchenden Dame sehr behaglich zu fühlen. Als er uns eintreten sah, rief er, ohne unsern Gruß abzuwarten, mir entgegen:

»Per Dios, der Deutsche! Was wollen denn Sie hier? Ich denke, Sie sind Gefangener der Indianer! Wie kommt es, daß man Sie freigelassen hat?«

»Auch Sie waren gefangen,« antwortete ich, »und ich sehe Sie frei. Welchem Umstande haben Sie das zu verdanken?«

»Meine Dankbarkeit gehört Sennor Melton, ohne den ich noch, heute gefangen oder wohl tot sein würde. Er wußte den Roten solche Angst vor den Folgen und der Strafe zu machen, daß sie uns freiließen. Hatten Sie auch einen solchen Fürsprecher?«

»Ja, mein Messer.«

»Was soll das heißen?«

»Das soll heißen, daß ich mich selbst freigemacht habe. Einen Sprecher wie Melton brauchte ich nicht, hätte ihm auch meine Freiheit nicht verdanken mögen. Uebrigens irren Sie sich, wenn Sie meinen, daß Sie ihm Dankbarkeit schuldig sind. Ich habe Sie vor ihm gewarnt und damals mit meiner Warnung vollständig recht gehabt.«

»Vollständig unrecht, wollen Sie sagen, Sennor! Sennor Melton hat als Ehrenmann an mir gehandelt, und nach dem, was er an mir gethan hat, möchte ich es fast als Böswilligkeit bezeichnen, daß Sie ihn noch immer verleumden, nachdem ich Sie schon einmal zurechtgewiesen habe!«

»Wenn Sie den Menschen einen Ehrenmann nennen, so ist der größte Schuft ein Caballero. Nennen Sie es denn wirklich eine Ehrenhaftigkeit, wenn er die Indianer auf Sie hetzt, um Ihre Besitzung zu verwüsten?«

»Er? Sie haben diesen unbegreiflichen Gedanken schon einmal gegen mich ausgesprochen, und da meine damalige Entgegnung erfolglos gewesen zu sein scheint, werde ich Ihnen auf das schlagendste beweisen, wie unrecht Sie diesem braven Manne thun. Wie Sie dazu kommen, sich in meine Angelegenheiten zu mischen und mir Ratschläge zu erteilen, welche ich gar nicht von Ihnen verlangt habe, das will ich dahingestellt sein lassen und Ihnen nur das Eine sagen, was Sie jedenfalls noch nicht wissen, nämlich daß er mir meine Hazienda abgekauft hat.«

»Das? Das weiß ich!«

»So? Sie wissen es? Und dennoch wagen Sie es, den Sennor zu verdächtigen! Und Sie erkennen nicht, welch ein edler Zug es von ihm ist, daß er sich zu diesem Kaufe entschlossen hat?«

»Ein edler? Wieso?«

»Durch die Verwüstung, welche die Roten angerichtet haben, hat die Besitzung beinahe allen Wert verloren. Es hätte großer Kapitalien und langer Jahre bedurft, sie wieder in den vorigen Stand zu bringen. Ich war mit einem Schlag ein armer Mann geworden, und kein Mensch hätte mir auch nur einen Centavo für die Hazienda geboten. Dieser Herr aber fühlte sich durch meine hilflose Lage in seinem guten Herzen gerührt und bot sich mir, als wir wieder frei waren, als Käufer an.«

»So! Und Sie waren sehr erfreut über diese außerordentliche Barmherzigkeit?«

»Spotten Sie nicht! Es war wirklich Barmherzigkeit von ihm, daß er mir eine Summe zahlte, welche er binnen zehn Jahren mit dieser Besitzung nicht verdienen kann. Was sage ich, zehn Jahre! Zwanzig und dreißig muß ich sagen! Solange hat er sein schweres Geld hineinzustecken, ohne daß er einen Centavo herauszieht.«

»Darf ich fragen, wieviel er gegeben hat?«

»Zweitausend Pesos. Mit diesem Gelde kann ich neu beginnen, während ich auf der verwüsteten Hazienda hätte verhungern müssen.«

»Der Kauf ist nun gerichtlich abgeschlossen und nicht mehr rückgängig zu machen?«

»Nein. Ich würde übrigens der dümmste Mensch sein, wenn ich den Gedanken hegen könnte, dies zu thun.«

 

»Er hat die zweitausend Pesos bezahlt?«

»Ja, gleich nachdem wir den Handel besprochen hatten.«

»Also nicht hier in Ures, nach dem gerichtlichen Abschlusse, sondern vorher?«

»Ja, vorher, gleich nach unserer Befreiung. Und zwar in lauter vollklingenden Goldstücken. Und auch dieser Umstand, nämlich daß er mich bezahlt hat, noch bevor das Kaufobjekt ihm gerichtlich zugesprochen war, ist ein glänzender Beweis seines guten Herzens und seiner Ehrenhaftigkeit.«

»Hm! Ich möchte wünschen, ihm persönlich meine Ansicht über dieses gute Herz und diese Ehrenhaftigkeit mitzuteilen. Hoffentlich befindet er sich noch hier?«

»Nein; er ist gestern abgereist.«

»Wohin?«

»Nach der Hazienda natürlich. Dorthin also müssen Sie sich verfügen, wenn Sie ihm das Unrecht, das Sie ihm angethan haben, abbitten wollen.«

»Wissen Sie bestimmt, daß er nach der Hazienda ist?«

»Ja. Wohin sollte er sonst gehen? Er wollte augenblicklich mit der Erneuerung der Besitzung beginnen.«

»Dazu fehlt dort nicht weniger als alles. Er hat also sehr wahrscheinlich das dazu Nötige von hier mitgenommen?«

»Was sollte das sein?«

»Zunächst Arbeiter.«

»Die hat er. Ihre Landsleute, welche ich von Deutschland kommen ließ, befinden sich ja dort.«

»Auch Werkzeuge? Die Ihrigen sind doch wohl alle verbrannt. Dazu die nötigen Sämereien, große Vorräte von Proviant, welche gebraucht werden, weil jetzt nichts mehr dort zu haben ist, Maurer, Zimmerleute und andere Handwerker, um neue Gebäude zu errichten, und vieles, vieles andere noch. Hat er das alles mitgenommen?«

»Nach solchen Dingen habe ich nicht gefragt; es kümmert mich nicht, da die Hazienda nicht mehr mir gehört. Ich weiß nur, daß er fort ist.«

»Wohl gleich nach dem gerichtlichen Abschlusse des Verkaufes?«

»Sogleich. Er verweilte nicht eine Stunde.«

»Ritt er allein?«

»Natürlich! Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich Ihnen diese Fragen, zu denen Sie weder ein Recht noch eine Veranlassung haben, beantworten soll. Sie sind jedenfalls aus andern Gründen hier, und ich muß Sie sehr ersuchen, mich in Ruhe zu lassen!«

Er drehte sich in einer Weise nach der Seite, welche mir sagen sollte, daß er nichts mehr mit mir zu schaffen haben wolle. Ich ließ mich natürlich nicht abhalten, ihm zu antworten:

»Leider kann ich Ihnen die Ruhe, welche Sie zu haben wünschen, noch nicht gönnen. Ich befinde mich aus keinem andern Grunde hier, sondern bin nur in der Absicht hierher gekommen, Sie aufzusuchen, um mit Ihnen über diese Angelegenheit zu sprechen.«

Da fuhr mich jetzt die Dame zornig an:

»Das ist eine Unhöflichkeit, eine Rücksichtslosigkeit! Sie haben gehört, daß Don Timoteo nichts mehr von Ihnen wissen oder hören will, und haben sich also zu entfernen!«

»Sie irren, Sennora. Don Timoteo hat mich anzuhören. Wenn Sie sich dabei langweilen sollten, so steht es Ihnen ja frei, sich zu entfernen.«

»Entfernen? Was fällt Ihnen ein! Man hört es Ihren Worten an und sieht aus Ihrem ganzen Benehmen, daß Sie ein Deutscher sind, ein Barbar. Don Timoteo ist unser Gast, und wir haben dafür zu sorgen, daß er unbelästigt bleibt. Nicht ich werde mich entfernen, sondern ich befehle Ihnen, dies Lokal augenblicklich zu verlassen!«

»Dann bitte, mir nur noch gütigst zu sagen, was für ein Lokal dieser Raum ist.«

»Es steht an der Thür zu lesen, und ich denke, daß Sie es gesehen haben werden. Oder können Sie nicht lesen? Ich würde mich gar nicht darüber wundern.«

»So erlaube ich Ihnen, sich darüber zu wundern, daß ich sehr wahrscheinlich besser lesen kann, als alle Personen, welche sich außer mir und meinem Begleiter hier befinden. Ich bin gegenwärtig im Expeditionslokal Ihres Gatten. Sie haben hier nichts zu suchen, wohl aber ich, der ich mich hier befinde, um seine amtliche Thätigkeit in Anspruch zu nehmen. Wenn also eins von uns beiden die Berechtigung besitzt, den andern zur augenblicklichen Entfernung aufzufordern, so bin ich es, dem dieses Recht zusteht.«

Ich sah ihr an, daß sie auf diese Zurechtweisung zornig losplatzen wollte; aber sie besann sich eines anderen, machte eine höchst wegwerfende Gebärde gegen mich und wendete sich rückwärts nach ihrem Manne, ihn auffordernd:

»Schaff diese Menschen fort, aber sogleich, sofort!«

Da rutschte der Beherrscher von Ures von seiner Hängematte herab, kam zu mir her, stellte sich in achtunggebietender Haltung vor mir auf und sagte, indem er nach der Thür deutete:

»Sennor, wollen Sie augenblicklich gehen? Oder soll ich Sie wegen Widersetzlichkeit einsperren lassen?«

Ehe ich antworten konnte, trat Winnetou mit zwei raschen Schritten zu ihm heran, faßte ihn unter den Armen rechts und links am Oberkörper, hob ihn empor, trug ihn zu seiner Hängematte, legte ihn behutsam hinein und sagte:

»Mein weißer Bruder mag hier bleiben und ruhig warten, bis wir mit ihm reden werden. Und seine weiße Frau mag schweigen, wenn Männer reden. Eine Squaw gehört zu ihren Kindern, nicht aber in den Rat erwachsener Männer. Wir kamen, um mit dem Haziendero zu reden, und er mag wollen oder nicht, so wird er uns anhören müssen. Wer uns hier hinausschaffen will, der mag es versuchen. Hier steht mein weißer Bruder Old Shatterhand, und ich bin Winnetou, der Häuptling der Apatschen, dessen Namen auch in Ures bekannt ist!«

Jawohl war er bekannt, denn kaum hatte er das letzte Wort gesprochen, so rief die Dame trotz der Beleidigung, welche der Apatsche ihr und ihrem Manne zugefügt hatte, in einem ganz andern Tone, als demjenigen, welcher vorhin gegen mich in Anwendung gekommen war:

»Winnetou! Der Apatschenhäuptling! Der interessante Indianer! Der berühmte Rote! Ist‘s möglich, ist‘s wahr, daß er es ist?«

Er war zu stolz, auf ihre Worte zu achten, und that, als ob er sie gar nicht gehört hätte; darum antwortete ich an seiner Stelle:

»Ja, er ist‘s, Sennora. Und nun werden Sie trotz einiger Eigentümlichkeiten, welche Ihnen an uns wahrscheinlich nicht gefallen haben, nichts mehr dagegen haben, daß wir hier bleiben und unsere Sache zu Ende bringen. Wo nicht, so riskieren Sie, daß Winnetou Sie ebenso hinausträgt und auf die Straße setzt, wie er Ihren Gemahl in seine Matte zurückgebracht hat.«

Da klatschte sie in die Hände und rief ganz entzückt aus:

»Welch ein Abenteuer, von Winnetou getragen zu werden! Ganz Ures würde davon sprechen und mich beneiden! Ich werde es versuchen!«

»Und ich rate Ihnen ab, Sennora. Auf den Händen getragen oder auf die Straße geworfen zu werden, ist zweierlei. Sehen Sie sich meinen roten Freund schweigend an, damit Sie ihn Ihren Freundinnen beschreiben können! Das ist der beste Rat, den ich Ihnen geben kann. Wenn Sie aber wieder das Wort ergreifen, wird Ihnen die höchst interessante Gelegenheit, sich in seiner Nähe zu befinden, augenblicklich entgehen.«

Sie zündete sich eine neue Cigarette an und legte sich dann in ihrer Hängematte mit der Miene eines Menschen zurecht, welcher sich etwa im Zirkus befindet und das größte Wunder der Welt vorgeführt bekommt. Auch ihr löblicher Eheherr und Gatte schien, da er nun wußte, wer ihn so energisch expediert hatte, dies nicht übel zu nehmen, sondern betrachtete den Häuptling mit sichtlicher Befriedigung. Was den Haziendero betrifft, so war ihm, wie auch den beiden andern, der Name Old Shatterhand vollständig »Wurst und Schnuppe«; von Winnetou aber hatte er so oft und soviel gehört, daß der Name auch auf ihn die wünschenswerteste Wirkung hervorbrachte. Er dachte nicht mehr daran, uns zum Fortgehen aufzufordern.

Es war keineswegs ein Wunder, daß mein Gefährte auch hier in Ures als eine Berühmtheit galt. Die Apatschen kommen noch weit südlicher vor, besonders jenseits der Sierra in Chihuahua, wo sie sogar bis hinein ins Cohahuila schweifen, und da Winnetou von Zeit zu Zeit alle diese Stämme seiner Nation zu besuchen pflegte, so waren seine Thaten bis soweit hinab bekannt geworden, und zwar nicht nur unter den Roten, sondern auch bei den Weißen. Ja, der Nimbus, welcher um seinen Namen hing, war bei den letzteren ein noch größerer, als bei den ersteren, und ich habe oft die Beobachtung gemacht, daß besonders die Damenwelt gern von ihm hörte. Er war nicht nur ein hochinteressanter, sondern auch ein schöner Mann, und die Sagen, welche sich an seine erste und auch einzige Liebe knüpften, waren allerdings im stande, ihm das Herz jeder Sennora und Sennorita zu gewinnen.

Sehr zufrieden mit dem Erfolge, den Winnetou durch sein plötzliches Eingreifen erzielt hatte, wendete ich mich an den Haziendero:

15Felsenquelle.
16»Spieler«; hier soviel wie Falschspieler.