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Satan und Ischariot II

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Wenn ich diesen Namen brauchte und eine solche Frage aussprach, mußte ich allerdings etwas wissen. Daß ich aber alles wußte, hielt er natürlich für unmöglich. Abzuleugnen wäre ein großer Fehler gewesen; darum antwortete er:

»Es kann mir gar nicht einfallen, in Abrede zu stellen, daß ich diesen Namen gehört habe. Aber was geht das Sie an?«

»Nur sehr wenig, wie Sie gleich hören werden. Wissen Sie, wer Thomas Melton war?«

»Ja, ein Westmann.«

»Und nebenbei ein falscher Spieler und ein Mörder.«

»Mag sein; mich kümmert das nicht.«

»Das wundert mich, denn ich weiß, daß Sie die famose Geschichte vom Fort Uintah kennen.«

»Und Sie kennen sie auch?« fragte er unbedacht, denn er gab damit zu, daß er sie in Wirklichkeit kannte.

»Ein wenig,« fuhr ich fort. »Er hatte auch damals falsch gespielt und wurde ertappt; es kam zum Streite, und er erschoß infolgedessen einen Offizier und zwei Soldaten. War es nicht so?«

»Ich denke,« antwortete er mit scheinbarer Gleichgültigkeit.

»Dann tauchte er in Fort Edward auf, wie Sie wohl auch wissen?«

»Was fragen Sie nur! Ich habe nicht das mindeste Interesse an dem Manne!«

»Ich desto mehr. Und auch das Ihrige wird sich steigern, wenn ich Ihnen die Mitteilung mache, welche ich auf dem Herzen habe. Wenn ich mich nicht irre, wurde er dort als Gefangener eingeliefert, und zwar von einem Westmanne, welcher – welcher – hm, wie hieß er doch gleich?«

»Old Shatterhand!«

»Ja, richtig; jetzt fällt es mir ein! Old Shatterhand! War das nicht ein Schotte oder Irländer?«

»Nein, sondern ein Deutscher, der überall seine schmutzige Hand im Spiele hatte.«

»Ja, ja, er mengte sich gern in alles! Dabei fällt mir etwas anderes ein, eine Geschichte, in welcher Old Shatterhand auch sein Wesen trieb. Hatte Thomas Melton nicht einen Bruder, welcher Harry hieß, und nach Mexiko, in die Sonora ging, um sich eine Besitzung zu erwerben?«

»Ich hörte davon.«

»Wurde er nicht auch von Old Shatterhand aus derselben vertrieben?«

»Ja.«

»Und Thomas Melton hat einen Sohn, welcher Jonathan heißt?«

»Alle Wetter! Wie kommen Sie auf den?«

»So, wie man eben aus Langerweile auf irgend etwas kommt. Jonathan Melton ging als Reisebegleiter nach Europa, und dann gar nach dem Orient?«

»Wo – wo – woher wissen – wissen Sie das?« fragte er stockend.

»Ich habe es ganz zufällig erfahren. Er ging als Begleiter mit einem Amerikaner, welcher – hm, wie hieß er doch nur gleich! Wissen Sie das nicht?«

»Nein.«

»Nicht? Das wundert mich außerordentlich, denn ich lasse mir auf der Stelle den Kopf abschlagen, wenn dieser Amerikaner nicht genau so hieß, wie Sie, nämlich Small Hunter. Ist‘s nicht so?«

»Ich weiß es nicht. Lassen Sie doch diese Fragen; sie sind mir zuwider!«

»Mir nicht, denn die Sache ist wirklich höchst inter- interessant. Und wissen Sie, was das Allerinteressanteste dabei ist?«

»Ich mag es nicht wissen!«

»O doch! Denn jetzt kommt die Hauptsache. Nämlich ich selbst habe damals eine Rolle, und zwar keine Nebenrolle, mitgespielt. Ich heiße nicht Jones, sondern Old Shatterhand.«

»Old – Shat —!«

Er brachte vor Schreck den Namen nur halb über die Lippen und fuhr zurück, als ob der Blitz vor ihm in die Erde geschlagen habe.

»Ja, so heiße ich. Und diesen Namen haben Sie ja vorhin genannt, als Sie sagten, ich hätte meine schmutzige Hand überall mit im Spiele. Vielleicht spiele ich auch heute mit, mit Ihnen und mit Ihrem Kolarasi Kalaf Ben Urik.«

Er überhörte den letzten drohenden Hohn und sagte wie abwesend:

»Old Shatterhand! Sie wollen dieser Mann sein, Sie? Unmöglich!«

»Später wird Ihnen das Licht darüber heller aufgehen. Fragen Sie Emery, welcher mich genau kennt und mit mir im wilden Westen gewesen ist! Und fragen Sie Krüger-Bei, welcher ganz genau weiß, daß ich ein Deutscher bin und da drüben Old Shatterhand genannt werde! Uebrigens will ich Ihnen noch eine weitere Ueberraschung bereiten. Mein zweiter Begleiter ist nämlich kein Somali und heißt nicht Ben Asra, sondern er ist ein sehr berühmter Apatschenhäuptling, und wird Winnetou genannt.«

»Win – ne – tou!« wiederholte er, als ob ihm der Atem stocken wolle. »Er ist‘s wirk – wirk – wirklich?«

»So wahr, wie ich Old Shatterhand bin. Wenn Sie von uns gehört haben, so wissen Sie wohl, daß wir beide unzertrennlich sind.«

»Das weiß ich. Aber was wollen Sie denn hier in Tunis?«

»Wir suchen jenen Thomas Melton.«

»Donnerwetter!« fluchte er.

»Wir waren erst in Aegypten, fanden aber anstatt diesen Thomas seinen Sohn Jonathan, der im Begriff stand, nach Tunis zu gehen, und da wir uns sagten, daß er da jedenfalls seinem Vater einen Besuch abstatten werde, so gingen wir mit.«

»Und – und – und —?«

»Und haben uns nicht geirrt. Wir haben Thomas Melton gefunden in der Gestalt Ihres lieben Kolarasi Kalaf Ben Urik. Ich habe Ihnen etwas höchst Interessantes versprochen; habe ich nicht Wort gehalten?«

»Lassen Sie mich in Ruhe! Was gehen mich alle die Leute an! Ich bin Small Hunter und habe nichts mit Ihnen zu schaffen.«

Er wollte sich abwenden; ich hielt ihn aber beim Arme zurück und sagte:

»Bitte, warten Sie noch, Sir! Ich glaube sehr gern, daß Sie nichts mit mir zu schaffen haben wollen; jetzt und hier aber ist die Frage, ob ich noch mit Ihnen zu schaffen habe. Ich kann Sie nicht gehen lassen, ganz und gar nicht. Ja, ich habe die Absicht, Sie bei mir zu behalten, mögen Sie nun wollen oder nicht. Ich behalte Sie bei mir, bis ich mit dem jungen Amerikaner gesprochen habe, welcher den Zug hierher mit dem Kolarasi Melton gemacht hat.«

»Kenne ich nicht; weiß kein Wort von ihm!«

»So? Und doch ist er eine Persönlichkeit, an welcher

Sie den lebhaftesten Anteil nehmen müssen. Er nennt sich gerade so wie Sie, nämlich Small Hunter.«

»Unmöglich!«

»Nein, wirklich! Sie sehen, der Mann bringt Sie in Gefahr, für einen falschen Small Hunter gehalten zu werden.«

»Sie denken doch nicht etwa —!«

»Ich denke, daß Sie der echte, der wirkliche Small Hunter sind, denn ich bin überzeugt, daß Sie das beweisen können. Ich weiß das sehr genau.«

»Woher?«

»Aus Ihrem Notizbuche.«

»Notizbuch? Was wissen Sie von meinem Buche? Kein Mensch hat in dasselbe gesehen, als nur ich allein.«

»Da irren Sie. Ich habe auch hineingesehen. Und nicht ich allein, sondern Winnetou und Sir Emery auch.«

»Das wollen Sie mir doch nicht etwa weismachen!«

»Weismachen nicht, sondern es ist wirklich so. Sie erinnern sich, daß Winnetou auf dem Schiffe mit in Ihrer Kabine gewohnt hat. Wir wollten wissen, woran wir mit Ihnen waren; da machte Winnetou seine Augen auf, und die sind scharf. Er sah, daß Sie Ihr Portefeuille mit großer Sorgfalt behandelten und versteckten. Als Sie schliefen, machte er den Taschendieb. Sie schliefen infolge Ihres außerordentlich guten Gewissens sehr fest, und es gelang ihm darum, den Schlüssel aus Ihrer Tasche und das Portefeuille aus dem Koffer zu bringen. Natürlich kam er mit demselben zu uns hinüber in unsere Kabine, und wir beeilten uns, Einsicht zu nehmen. Dann brachte er es an die Stelle zurück, woher er es genommen hatte. Sie begreifen also nun wohl, warum ich überzeugt bin, daß Sie der echte, wirkliche Small Hunter sind.«

»So bin ich also von Ihnen bestohlen worden!«

»O nein, denn Sie haben Ihr Eigentum zurückerhalten. Sie können uns höchstens das Eine vorwerfen, daß wir ein wenig neugierig gewesen sind. Auch jetzt will ich Sie nicht bestehlen. Ich gebe zwar zu, daß ich das Portefeuille brauche; aber ich werde es Ihnen nicht im Schlafe nehmen; o nein, das fällt mir nicht ein, sondern Sie werden die Güte haben, es mir im vollen Wachen jetzt zu geben.«

»Das werde ich nicht!« schrie er mich an.

»Sie werden!« sagte ich in einem sehr bestimmten Tone. »Wenn Sie es nicht herausgeben, werde ich Sie zu zwingen wissen!«

»Ich habe es nicht mit mir! ich habe es bei dem Pferdehändler von Zaghuan im Koffer gelassen.«

»Sie irren. So einen wichtigen Gegenstand läßt man nicht bei so fremden Leuten liegen. Sie haben während unsers Rittes das Portefeuille oft in der Hand gehabt, und es immer wieder in die Brusttasche zurückgesteckt. Hier ist es; ich fühle es.«

Bei diesen Worten klopfte ich ihm an die Brust, wo das Buch steckte. Er wich zurück und rief:

»Rühren Sie mich nicht an; ich dulde das nicht!«

»O, Sie werden noch mehr als das erdulden. Passen Sie auf!«

Ich wendete mich, natürlich nicht in englischer Sprache, an die umstehenden Offiziere, welche kein Wort unsers Gespräches verstanden, aber doch bemerkt hatten, daß der Inhalt desselben für Jonathan Melton kein angenehmer sein könne. Es kostete nur einige Bemerkungen, so wurde er ergriffen, niedergeworfen und gebunden. Ich nahm das Portefeuille; was er sonst bei sich hatte, wurde ihm gelassen. Dann schaffte man ihn zu den gefangenen Uled Ayun, mit denen er streng bewacht wurde. Nun konnte er sich nicht mehr darüber im Zweifel befinden, daß er von mir durchschaut worden war.

Wir hatten, wie schon längst erwähnt, drei Schwadronen Kavallerie. An der Spitze einer jeden standen ein Kolarasi (Rittmeister), ein Ober- und ein Unterlieutenant. Mit diesen neun Offizieren hielt ich einen kurzen Kriegsrat, nachdem ich ihnen erzählt hatte, wie die Sachen standen.

Die erste Schwadron sollte sich mit ihrem Kolarasi vor den Eingang des Engpasses legen. Mit der zweiten wollte ich selbst den Berg umreiten, um den hintern Ausgang zu besetzen. Die dritte sollte hinauf auf den Berg, um die beiden Felsenränder des Passes zu belegen und nötigenfalls von da oben herabzuschießen. Diese Schwadron mußte sich also teilen; die eine Hälfte unter dem Kolarasi sollte die rechte und die andere unter dem Oberlieutenant die linke Seite des Berges nehmen. Da hinten, wo ich Posto fassen wollte, waren, wie früher erwähnt, die Pferde, und dort lagerten auch die zu der gefangenen Schwadron gehörigen Soldaten, welche von Uled Ayar-Kriegern bewacht wurden. Wenn es mir gleich anfangs gelang, die Gefangenen zu befreien, bekamen wir hundert Mann mehr für uns.

 

»Und wann soll der Angriff erfolgen?« fragte einer der Offiziere.

»Einen eigentlichen Angriff wird es nicht geben. Die erste Schwadron hat nichts zu thun, als die Feinde zurückzuweisen, wenn dieselben die Schlucht verlassen wollen; die zweite Schwadron hat die gleiche Aufgabe, falls die Ayar hinten ausbrechen wollen. Nur werde ich mit einem Teil derselben vorher über die Wächter herfallen, um eure gefangenen Kameraden zu befreien. Das wird wohl nicht ohne Geschrei und einige Schüsse abgehen, ist aber noch kein Kampf zu nennen, und so dürfen sich die andern Abteilungen nicht etwa dadurch zu einem voreiligen Handeln verleiten lassen. Wir wollen die Feinde nicht töten, sondern gefangen nehmen. Hütet euch also vor Blutvergießen! Je mehr Uled Ayar fallen, destoweniger giebt es dann, von denen der Pascha die Kopfsteuer bezahlt bekommt.«

»Aber der Augenblick, an welchem du über die Wächter unserer gefangenen Kameraden herfallen willst, muß doch bestimmt werden, damit wir wissen, woran wir sind!«

»Das ist richtig. Ich werde den Augenblick des Fagr, des Morgengebetes, dazu benutzen.«

»Das geht nicht.«

»Warum?«

»Weil wir doch auch beten müssen, und da haben wir keine Zeit, auf den Feind zu achten. Du bist ein Christ und meinst vielleicht, daß wir nicht zu beten brauchen.«

»Das meine ich nicht; ihr sollt beten und dennoch gerüstet sein. Ihr vergeßt, oder vielleicht wißt ihr es nicht, daß die Uled Ayar ihr Morgengebet nach den Regeln der Hanofisekte verrichten. Ihr betet, wenn der erste schwache Lichtschimmer im Osten erscheint. Bei den Hanofi aber beginnt das Fagr ein wenig später, nämlich wenn el Isfirar, der »gelbe Schimmer«, zu sehen ist. Ihr seid also, wenn sie beginnen, schon fertig, und eure Morgenandacht wird euch nicht verhindern, eure Pflicht zu thun. Sobald die Ayar zu beten beginnen, werde ich schnell vorrücken, um die Gefangenen zu befreien. Sie werden überhaupt durch unser Erscheinen so überrascht sein, daß sie, wenigstens für den ersten Augenblick, die Gegenwehr vergessen; dann aber ist die gefangene Schwadron schon frei, und wir können den Feind ruhig an uns kommen lassen.«

Es waren noch einige weitere Bemerkungen nötig; dann brachen wir auf, um nach dem Engpasse zu reiten. Nach Verlauf von anderthalber Stunde waren wir in seiner Nähe angekommen, und wir trennten uns. Die erste Schwadron ritt nach dem Eingange, nachdem sie einige Kundschafter zu Fuß vorausgesandt hatte. Die zweite ritt rechts und links von dem Engpasse den Berg hinan, und ich ritt mit der dritten um den letzteren herum, bis wir seine hintere, die südliche Seite erreichten, wo der Paß wieder ins Freie trat. Dort ließ ich halten und ging, um zu rekognoscieren.

Die Uled Ayars waren von einer geradezu unbegreiflichen Unvorsichtigkeit. Sie hatten auch hier keine Posten, und ich drang wohl zweihundert Schritte in die Schlucht ein, ohne auf irgend jemand zu stoßen.

Bis hierher war beim Scheine des Mondes alles recht gut von statten gegangen; aber er hatte seinen Lauf schon tief gesenkt und mußte in einer halben Stunde verschwinden. Das schadete jedoch nichts, denn wenn wir nichts sahen, so wurden auch wir nicht gesehen. ich legte beide Hände hohl an den Mund und ließ dreimal hintereinander den Schrei des Geiers hören. Er drang in die Schlucht hinein, und ich war überzeugt, daß Winnetou ihn vernommen hatte.

Nun galt es, bis zum Morgen zu warten. Ich hatte einige Posten in die Schlucht vorgeschoben; die andern lagerten draußen vor derselben. Meiner Weisung gemäß verhielten sie sich vollständig ruhig. Es war nichts als nur zuweilen das Schnauben eines Pferdes zu hören.

Die Zeit verging; der Mond war längst verschwunden, und die Sterne verloren ihren Glanz. Dann färbte sich der Osten mit einem leisen Scheine.

»Herr, sollen wir beten?« fragte mich der Kolarasi.

»Ja, aber natürlich ganz leise.«

Sie knieten alle nieder und verrichteten die vorgeschriebene Andacht. Darüber wurde der Schein heller und heller, bis er sich gelb färbte. Das konnte man im Innern der Schlucht nicht sehen; dennoch drang jetzt aus derselben der laute, wohltönende Ruf.

»Hai alas Sallah, hai alal felah; es Sallah cher min en nohm – auf zum Gebete, auf zum Heile; das Gebet ist besser als der Schlaf!«

Es war so hell geworden, daß wir sehen konnten. Ich huschte rasch in die Schlucht hinein und ging so weit, als ich gehen konnte, ohne befürchten zu müssen, bemerkt zu werden. Schon gestern hatte ich gesehen, daß der Paß keine Krümmung machte, sondern fast schnurgerade verlief; ich konnte sie nahezu völlig überblicken.

Gar nicht weit von mir befanden sich die Pferde, eine große Menge. Hinter denselben lagen die gefangenen Soldaten; sie waren nicht gefesselt und wurden von ungefähr zwanzig bewaffneten Uled Ayar bewacht. Dann kam ein freier Raum, hinter welchem das eigentliche Lager begann. Alle Menschen, welche ich dort erblickte, knieten betend an der Erde, die Gefangenen mit ihren Wächtern auch. Ich eilte zurück und holte mir dreißig Mann.

»Seid ganz still,« gebot ich ihnen. »Sagt kein Wort. Je weniger Lärm wir machen, desto größer ist die Ueberraschung und desto eher werden wir fertig sein. Es sind zwanzig Wächter da. Schießt nicht, sondern haut sie mit den Kolben nieder! Dann geht es schnell wieder zurück.«

Es ging mit raschen Schritten in die Schlucht hinein. Die Stimme des Vorbeters wechselte mit dem Chore der Nachbetenden ab. Da kamen wir zu den Pferden. Wir rannten um dieselben herum und zwischen ihnen hindurch und warfen uns mit hochgeschwungenen Kolben auf die

Wächter. Sie waren vor Schreck ohne Bewegung. Hieb fiel auf Hieb. Zwei oder drei rafften sich doch auf und rannten schreiend davon; die andern wurden niedergeschlagen.

»Auf, ihr Männer!« rief ich den Gefangenen zu. »Ihr seid frei. Eilt zu den Pferden; nehmt deren so viel ihr könnt bei den Zügeln und kommt mit ihnen hinaus, wo eure Befreier warten!«

Sie folgten diesem Rufe. Sie sprangen auf und zu den Pferden. Jeder warf sich auf den Rücken eines derselben und nahm ein anderes oder gar zwei bei den Zügeln; ein kurzes Drängen durcheinander, und dann trieb alles dem hintern Ausgange zu. Vom Lager her aber erschollen Rufe des Zornes, des Schreckens; es fiel keinem ein, weiter zu beten. Jeder ergriff seine Waffen und kam schreiend nach hinten gerannt. Aber die Befreiten waren mit den so schnell annektierten Pferden schon hinaus ins Freie; sie hatten keine Waffen und mußten also zunächst zurück. Mit den andern ging ich vor. Wir füllten in vielen Gliedern hintereinander die ganze Breite des Passes und gaben eine blinde Salve. Da wichen die Heranstürmenden zurück, oder sie blieben wenigstens stehen und schrieen einander unter den lebhaftesten Gestikulationen an. Ihr Schreck war so groß, daß sie zunächst nicht wußten, was sie thun sollten. Dann ertönte die Stimme des Scheiks. Er brachte Ordnung in das Gewirr, wenigstens notdürftig, und dann sahen wir, daß sich die Uled Ayar vorn nach dem Eingange drängten. Da krachten ihnen auch Schüsse entgegen, und von beiden Seiten oben herab blitzte es auch. Ein einziges großes Wut- oder Wehegeheul der Ayar erfüllte den Engpaß; sie gingen auch da vorn zurück und drängten sich in der Mitte der Schlucht zusammen. Da sandte ich einen Lieutenant zu ihnen. Er war schon vorher instruiert und schwang ein Tuch zum Zeichen, daß er als Unterhändler komme. Ich ließ durch ihn den Scheik bitten, zu mir zu kommen und gab ihm das Versprechen, daß er, sobald es ihm beliebe, zu den Seinen zurückkehren könne. Doch sollte er seinen Uled Ayar den Befehl geben, daß sie sich bis zu seiner Rückkehr jeder Feindseligkeit zu enthalten hätten.

Ich sah den Boten im Gedränge der Feinde verschwinden. Es dauerte wohl zehn Minuten; dann öffnete sich die Menge, und er erschien wieder; an seiner Seite kam der Scheik geschritten. Er hatte also das Vertrauen zu mir, daß ich mein Versprechen halten würde. Als er näher gekommen war, ging ich ihm der Höflichkeit halber eine kleine Strecke entgegen, legte beide Hände auf die Brust, verbeugte mich und sagte:

»Sei willkommen, o Scheik der Uled Ayar! Du wolltest mich gestern, als ich dein Gefangener war, nicht zu dir sprechen lassen. Darum bin ich aus deinem Lager gegangen, um dich jetzt als freier Mann zu bitten, heute mit mir zu reden.«

Er verbeugte sich ebenfalls und antwortete:

»Ich grüße dich! Du hast mir freies Geleit geboten und wirst dein Versprechen halten?«

»Ja. Du kannst gehen, sobald du willst, denn ich bringe dir den Frieden.«

»Dafür willst du Steuern!«

»Nein.«

»Nicht?« fragte er erstaunt. »Seid ihr nicht deshalb als Feinde zu uns gekommen, um uns das, was uns von unsern Herden übriggeblieben ist, vollends zu nehmen?«

»Ihr habt Mohammed es Sadok Pascha versprochen, die Kopfsteuer zu zahlen, aber nicht Wort gehalten. Es ist sein Recht, das, was ihr ihm verweigert, mit Gewalt zu nehmen; ihr werdet also zahlen müssen; aber ich bin nicht dein Feind, sondern dein Freund und will dir sagen, wie du die Steuer bezahlen kannst, ohne daß du ein einziges Haar eurer Herden anzurühren und wegzugeben brauchst.«

»Allah ist groß und barmherzig! Wenn deine Worte wahr sind, so bist du allerdings mein Freund und nicht ein Feind von uns!«

»Ich habe die Wahrheit gesprochen. Habe die Güte, dich zu mir zu setzen, so wirst du hören, welchen Vorschlag ich dir zu machen habe.«

»Deine Rede duftet wie Balsam. Die Erde, auf welcher du sitzest, soll auch meinen Gliedern Ruhe geben.«

Es wurden zwei Gebetsteppiche nebeneinander gelegt; er setzte sich auf den einen, ich mich auf den andern. Der Beduine überstürzt nichts. Unsere Würde erforderte, zunächst eine Pause zu machen. Während derselben musterte ich die Schlucht mit allem, was sie enthielt; er aber verwendete kein Auge von mir und begann endlich:

»Der Herr der Heerscharen hat mir gestern von dir erzählt, Effendi. Ich habe erfahren, was du erlebt und gethan hast; aber er hat mir nicht gesagt, daß du auch ein Meister in der Zauberei bist.«

»Wieso?«

»Du lagst gefesselt und angebunden in deinem Zelte. Dein Wächter ist in dieser Nacht zwölfmal in demselben gewesen und hat dich und deine Fesseln betastet, um zu wissen, daß du noch vorhanden seiest. Nur ganz kurze Zeit vor dem Morgengebete war er zum letztenmale bei dir. Und jetzt sitzest du hier und redest zu mir als freier Mann! Ist das nicht Zauber?«

»Nein. Hat der Wächter denn gewußt, daß ich es war, den er bewachte?«

Dieser Zauber war sehr leicht zu erklären. Ich hatte Winnetou die Hände nicht fest zusammengebunden. Als er mein Zeichen hörte, hatte er die Fesseln abgestreift, sich vom Pfahle losgemacht und in seiner unvergleichlichen Weise aus dem Lager geschlichen. Jedenfalls befand er sich jetzt vorn am Eingange der Schlucht bei der ersten Schwadron. Da ich es nicht für nötig hielt, dem Scheik diese Erklärung mitzuteilen, ließ ich ihn bei seinem Wunderglauben und sagte:

»Du magst daraus ersehen, daß es besser gewesen wäre, – wenn du mir schon gestern dein Ohr gegönnt hättest. Ist jemand von euch von den Schüssen unserer Soldaten verwundet oder getötet worden?«

»Nein.«

»Das ist gut! Ich hatte Befehl gegeben, in die Luft zu schießen. Erst wenn meine Unterredung mit dir vergeblich sein sollte, werden wir euch unsere Kugeln geben. Doch hoffe ich, daß du uns nicht zwingen wirst, die Frauen und Kinder deines Stammes zu Witwen und Waisen zu machen. Wie steht ihr euch mit den Uled Ayun?«

»Wir haben Blutrache mit diesen Hunden!«

»Wie viele Männer haben sie euch getötet?«

»Dreizehn! Allah sende die Ayun in die Hölle!«

»Sind sie ärmer oder reicher als ihr?«

»Reicher. Schon früher waren sie reicher; aber nun wir unsere Herden verloren haben, ist der Unterschied noch viel größer als vorher, denn sie haben keine Verluste gehabt. Sie weiden ihre Tiere im Wadi Silliana, in welchem es nie an Wasser mangelt.«

»Wie bist du dazu gekommen, mit dem Kolarasi Kalaf Ben Urik einen Vertrag abzuschließen?«

»Er bot mir denselben an, als wir ihn umzingelt hatten.«

»Konnte er sich denn nicht anders retten?«

»O doch! Seine Soldaten hatten viel bessere Waffen als wir. Sie hätten sich durchschlagen können und dabei gewiß sehr viele von uns getötet. Er aber zog es vor, einen Vertrag mit mir abzuschließen und sich dann zu ergeben. Ich sollte die Soldaten bekommen, welche er bei sich hatte, und auch die, welche er noch herbeilocken wollte.«

»Und was verlangte er dafür?«

 

»Seine Freiheit und den Herrn der Heerscharen, den er zwingen wollte, ihm ein großes Lösegeld zu bezahlen.«

»Du weißt nicht, mit was für einem Menschen du den Vertrag abgeschlossen hast!«

»Er ist ein Ischariot; das habe ich dir schon gesagt.«

»Und er ist noch mehr. Ich werde dir später von ihm erzählen; jetzt ist die Zeit dazu zu kurz und zu wichtig, denn ich möchte auch einen Vertrag mit dir abschließen, aber einen viel bessern, der dich nicht in Widerstreit mit deinen Pflichten bringt und dir auch die Rache des Pascha nicht zuziehen wird.«

»So sprich! Ich lausche deinen Worten, o Effendi.«

»Zunächst will ich dir sagen, was ich von dir verlange, nämlich die Freiheit des Herrn der Heerscharen und des Engländers, welche sich noch bei dir befinden. Sodann die Auslieferung des Kolarasi und endlich den vollen Betrag der Kopfsteuer, welche wir eintreiben sollen.«

»Effendi, das letztere kann ich dir nicht leisten; es ist unmöglich!«

»Warte nur! Ich will dir doch auch sagen, was du von uns erhältst, wenn du in meine Forderungen einwilligest. Du erhältst vierzehnhundert Kamelstuten oder deren Wert.«

Er sah mich mit weit geöffneten Augen an, schüttelte den Kopf und sagte dann:

Ach kann unmöglich richtig gehört haben, Effendina, und bitte dich also, es noch einmal zu sagen!«

»Gern! Du sollst vierzehnhundert Kamelstuten oder deren Wert bekommen.«

»Aber wofür? Bedenke, Effendina, daß ich gar keine Forderungen an euch stellen kann.«

»Ja. Du magst daraus ersehen, daß es viel besser ist, einen Christen als einen Moslem zum Gegner zu haben. Was dir noch unerklärlich ist, werde ich dir erklären. Es giebt bei euch ein junges Weib, welches Elatheh heißt?«

»Ja. Sie ist der Liebling des ganzen Stammes. Aber Allah hat sie mit den Augen ihres Kindes betrübt, denn ihr Söhnchen ist blind geboren. Darum ist sie mit einem ehrwürdigen Greise nach einem heiligen Orte gepilgert, um Allah zu bitten, die Augen des Kindes sehend zu machen. Sie wird nun bald heimkehren.«

»Sie ist bei mir. Sie fiel unterwegs den Uled Ayun in die Hände, welche den Greis töteten und die Frau bis an den Kopf in die Erde eingruben.«

»Allah ‚l Allah! Schon wieder ein Mord! Das ist der vierzehnte! Das viele Blut schreit um Rache bis zum Himmel hinauf. Und die Hunde verschonen nicht ein Weib, welches sich auf der Wallfahrt befindet! Welch eine Qual, und welch ein Tod! Bis an den Kopf eingegraben! Da kommen die Geier und hacken die Augen aus!«

»Fast wäre es so geworden; aber Allah hatte Erbarmen mit der Frau. Er führte mich zu ihr, und ich habe sie ausgegraben. Vorher aber habe ich etwas gethan, worüber du dich freuen wirst: Ich habe Farad el Aswad gefangen genommen.«

»Farad el Aswad? Wer heißt denn noch so? Denn den Scheik der Uled Ayun kannst du doch nicht meinen!«

»Warum nicht?«

»Weil dies für mich die größte der Wonnen wäre, und Wonnen giebt es für mich nicht mehr. Und auch weil dieser Scheik nicht ein Mann ist, der sich so leicht gefangen nehmen läßt.«

»Pah! So hältst du ihn für einen tapfern Mann? Ich habe ihn freilich ganz anders gesehen. Ich hatte nur zwei Männer bei mir, Wir drei haben den Scheik Farad el Aswad nebst dreizehn Ayuns gefangen genommen, ohne daß sie es wagten, sich zu wehren. Und doch hatten sie ihre Waffen bei sich und saßen auf vortrefflichen Pferden.«

Da fuhr er von dem Gebetsteppiche auf und jubelte:

»O Allah, Allah, ich danke dir! Das macht alles wieder gut! Daß diese Hunde ergriffen worden sind, ist Himmelslust für meine Seele; aber daß es ihrer vierzehn waren, die sich von drei Personen festnehmen ließen, das verlängert mein Leben um mehrere Jahre! Welche Schande – welche Schande! Du mußt mir erzählen, wie das gekommen ist, Effendina. Vorher aber sag mir, was du mit den Hunden gemacht hast, als sie in deine Hände gefallen waren! Hast du sie getötet?«

»Nein. Ein Christ darf selbst seinen ärgsten Feind nicht töten; die Rache ist allein Gottes. Sie leben noch, sind gefesselt und befinden sich bei mir.«

»Sie leben noch und sind bei dir! Was wirst du mit ihnen thun? Sag es mir – sag es mir schnell!«

Er zitterte fast vor Verlangen, meine Antwort zu hören.

»Ich übergebe sie dir.«

Kaum hatte ich diese vier Wörtchen ausgesprochen, so sank er wieder nieder, vor mir auf die Kniee, ergriff meine Hände und fragte, vor Aufregung fast brüllend:

»Ist das wahr – ist das wahr? Ist das dein fester Wille?«

»Ja, ich liefere sie aus; aber natürlich nur dann, wenn du die Bedingungen erfüllst, welche ich vorhin gestellt habe.«

»Ich erfülle sie – ich erfülle sie! 0 Allah, o Muhammed! Wir bekommen vierzehn Uled Ayuns, vierzehn Ayuns, und der Scheik ist selbst dabei! Wir können unsere Rache sättigen! Sie müssen ihr Leben hergeben! Ihr Blut wird fließen —«

»Halt!« fiel ich ihm in die begeisterte Rede. »Ihr Leben darf nicht gefährdet werden; das muß ich unbedingt verlangen!«

»Wie?« fragte er ganz betroffen. »Wir haben vierzehn Morde zu rächen, bekommen vierzehn Todfeinde in die Hände und sollen uns doch nicht an ihnen rächen? Das ist unmöglich! So etwas würde noch niemals geschehen sein, und alle Einwohner des Landes würden uns verlachen und uns für Menschen halten, welche keine Ehre besitzen und sich Mord und Beleidigung gefallen lassen.«

»Nein, das wird niemand von euch sagen, denn man wird erfahren, daß ihr wegen des Blutpreises darauf verzichtet habt, das Blut eurer Feinde zu vergießen.«

»Effendi, das ist eine Bedingung, auf die wir wohl schwerlich eingehen können!«

»Nicht? Dann bekommt ihr die Uled Ayuns auf keinen Fall.«

»Du vergissest, daß dann auch die Wünsche, welche du ausgesprochen hast, nicht erfüllt werden!«

»Ich vergesse nichts. Aber du hast vergessen, daß ihr euch in unserer Gewalt befindet. Dreihundert Soldaten stehen vorn und hinten an diesem Passe. Ihr könnt also nicht heraus. Und hundert Mann halten da oben auf der Höhe. Ihr könnt sie mit euern Kugeln nicht erreichen; die oben werden einen nach dem andern von euch wegputzen, ohne daß ihr dies zu verhindern vermögt. Ich brauche nur ein einziges Zeichen zu geben, so krachen hinter und über euch alle Gewehre. Was wollt oder könnt ihr dagegen thun?«

Er blickte eine kleine Weile finster vor sich nieder und antwortete dann:

»Nichts, gar nichts! Wir sind unvorsichtig gewesen; wir hätten nicht hier in der Schlucht bleiben sollen.«

»Ja, ihr wolltet uns in derselben fangen und steckt nun selbst in dieser Falle, aus welcher ihr gegen unsern Willen nicht zu entkommen vermögt. Ich habe auch nicht lange Zeit, gegen deine Bedenken mit unnützen Redensarten anzukämpfen. Ich gebe dir also fünf Minuten Zeit, dich zu entscheiden. Also merke wohl: Ich verlange den Engländer und den Herrn der Heerscharen frei; dazu gebt ihr alles heraus, was den beiden und mir abgenommen worden ist. Ferner verlange ich die Auslieferung des Kolarasi Kalaf Ben Urik.Dafür übergebe ich euch die vierzehn Uled Ayun unter der Bedingung, daß ihr auf die Zahlung des Blutpreises eingeht. Und außerdem laß ich euch aus der Schlucht heraus und sorge für einen guten Friedensschluß zwischen euch und dem Pascha.«

»Dem wir aber die Kopfsteuer bezahlen müssen?«

»Allerdings. Ich gebe ihm recht, daß er auf dieselbe nicht verzichten will, denn sie gehört zu seinem Einkommen, von welchem er leben muß. Er ist kein Beduine, der von seinen Herden lebt.«

»Aber sie ist doch für uns zu hoch! Unsere Herden müssen sich erst erholen.«

»Du vergißt wieder etwas, nämlich den Blutpreis von vierzehnhundert Kamelstuten, von welchem ihr die Steuer bezahlen könnt.«

»Allah ist groß! Vierzehnhundert Kamelstuten! Das ist freilich viel mehr, als wir an den Pascha zu zahlen haben. Wir würden eine ganze Menge von diesen Tieren übrig behalten und mit denselben unsere gelichteten Herden vermehren können!«

»Ja. Du siehst, wie gut ich es mit euch meine. Und da die Frau, welche Elatheh heißt, der Liebling eures Stammes ist, so soll sie für die Angst und Qual, welche sie ausgestanden hat, entschädigt werden. Sie ist arm, ich aber habe ihr versprochen, sie wohlhabend zu machen. Die Uled Ayun sollen ihr auch hundert Kamelstuten geben.«