Tasuta

Satan und Ischariot II

Tekst
Autor:
iOSAndroidWindows Phone
Kuhu peaksime rakenduse lingi saatma?
Ärge sulgege akent, kuni olete sisestanud mobiilseadmesse saadetud koodi
Proovi uuestiLink saadetud

Autoriõiguse omaniku taotlusel ei saa seda raamatut failina alla laadida.

Sellegipoolest saate seda raamatut lugeda meie mobiilirakendusest (isegi ilma internetiühenduseta) ja LitResi veebielehel.

Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

»Ah? Das muß ich sehen.«

Ich wickelte die Binde, welche aus dem Stück eines Kopftuches bestand, ab und überzeugte mich, daß allerdings die Spitze des Daumens fehlte. Da trat Winnetou näher heran, besah sich die Wunde und sagte:

»Mein Bruder mag nun das Herz entblößen!«

Ich that es. Ja, gerade da, wo das Herz lag, war die Revolverkugel eingedrungen; sie hatte schnelle und auch saubere Arbeit gemacht, denn die Wunde und ihre Umgebung war so rein, als ob sie abgewaschen worden wäre. Auch an der Kleidung war kein Blutflecken zu sehen.

Winnetou legte den Finger auf die Stelle, wo die Kugel eingedrungen war, drückte einigemal darauf und meinte dann:

»Wird mir mein Bruder Scharlieh erlauben, die Kugel und ihren Weg zu suchen?«

»Natürlich! Komm her!«

Ich machte ihm an der Leiche Platz; er zog sein Messer und begann die traurige Arbeit, vor welcher ich mich zwar gescheut, die ich aber doch auch vorgenommen hätte. Nämlich ich wußte, was er dachte; ich hatte denselben Gedanken wie er. Es sollte Selbstmord vorliegen; dieser hätte nur mit der Rechten vorgenommen werden können, da es dem jetzt Toten unmöglich gewesen wäre, mit der verletzten und verbundenen linken Hand zu schießen.

Es kam also darauf an, welcher Richtung die Kugel im Körper gefolgt war, woraus sich dann schließen ließ, ob ein Schuß mit der rechten Hand als Thatsache angenommen werden könne.

Winnetou war ein erfahrener und außerordentlich geschickter Chirurg. Er operierte mit seinem langen, starken und scheinbar ungefügen Bowiemesser so zart, so vorsichtig, wie ein studierter Arzt es mit den feinsten Instrumenten nicht besser hätte machen können. Das ging freilich langsam; erst nach einer halben Stunde kannten wir den Weg, den die Kugel eingeschlagen hatte; sie saß hinten an der letzten rechten wahren Rippe. Der etwas abwärts gehende Schuß konnte also unmöglich mit der rechten Hand abgegeben worden sein. Der Apatsche richtete sich auf, hielt uns seine Hand mit der Kugel entgegen und sagte nur das eine Wort:

»Mord!«

»Well!« stimmte Emery bei. »Hier liegt kein Selbstmord vor. Eine solche Richtung nimmt die Kugel nur, wenn mit der linken Hand geschossen wird, und mit dieser hat Small Hunter unmöglich schießen können.«

»Also ist Melton der Mörder!« fügte ich hinzu. »Das habe ich sogleich gedacht, und ihr seid wohl alle derselben Meinung gewesen. Es ist eine traurige Arbeit, der wir uns hier zu unterziehen haben. Es schaudert mich; aber wir dürfen uns ihr nicht entziehen. Es muß unbedingt festgestellt werden, wer der Tote ist. Ziehen wir ihm die Schuhe aus; wir müssen die Zehen sehen!«

Dies geschah. Ja, er hatte an jedem Fuße sechs, anstatt einer kleinen deren zwei, die beide ganz richtig ausgebildet waren, nur daß der zweiten der Nagel fehlte. Sonst fanden wir am ganzen Körper nichts, kein Mal, kein sonstiges Zeichen, welches zur Feststellung der Persönlichkeit hätte dienen können.

Damit hatten wir unserer Pflicht nach ihrer, sozusagen kriminellen Seite hin genügt; es galt nun, den Toten zu begraben, was mit größerer Sorgfalt geschah, als Melton es gethan hatte. Wir gaben den aufgeschichteten Steinen die Gestalt eines Kreuzes und beteten dann leise für das ewige Heil des Toten, der so ohne alle Vorbereitung aus dem 1 eben geschieden war.

Dann aber drang der Scheik sofort darauf, daß wir uns reinigen mußten. Es geschah dies in der Weise, daß wir uns Hände und Gesicht mit Sand wuschen, wobei er mit leiser Stimme einige kurze Gebete murmelte. Dann sagte er:

»Nun seid ihr wieder rein, und niemand braucht sich zu scheuen, euch zu berühren. Kehren wir jetzt nach dem Lager zurück!«

»Warte noch!« bat ich. »Der Ort und das Grab liegt auf dem Gebiete, welches den Uled Ayars gehört, deren oberster Scheik du bist. Kannst du uns versprechen, daß die Stätte von euch geachtet und nicht beschädigt wird?«

»Ich schwöre es euch bei Allah und dem Propheten zu! Doch warum bist du so besorgt um das Grab eines Mannes, der für dich ein Fremder gewesen ist?«

»Weil es möglich ist, daß es später noch einmal geöffnet werden muß. Ihr vergegenwärtigt euch doch alles, was ihr hier gesehen habt?«

»Ja.«

»Wir müssen eine Schrift darüber aufsetzen, welche drüben in Amerika gerichtliche Geltung hat. Du als Scheik des Stammes, welchem der Ort gehört, mußt sie unterschreiben, wir als Zeugen auch, und wenn der Herr der Heerscharen seinen Namen daruntersetzt, so ist alles geschehen, was unter den hiesigen und gegenwärtigen Verhältnissen geschehen kann. Für jetzt aber muß ich dich, Mubir Ben Safa, bitten, mir eine wichtige Frage zu beantworten: Wo sind die Sachen, welche diesem Toten gehörten?«

»Sein Pferd befindet sich mit bei unsern Pferden. Seine Waffen hatte der Kolarasi zu sich genommen; aber als er selbst gebunden in seinem Zelte lag, habe ich sie mir holen lassen. Ich werde sie euch zeigen, und ihr könnt sie haben.«

»Und das sonstige Eigentum? Der Tote hat doch jedenfalls noch viele andere Gegenstände besessen, wie Ringe, eine Uhr, verschiedene Dinge, welche zu einer Reise hierher notwendig waren, vor allen Dingen seine Beglaubigungen. An der Leiche aber haben wir nichts von alledem gefunden. Natürlich hat der Kolarasi ihm die Sachen auch alle abgenommen?«

»Das weiß ich nicht!«

»Nicht? fragte ich erstaunt, ja fast betroffen. »Du mußt es doch wissen. Du hast ihm doch jedenfalls alles abgenommen, was er bei sich hatte?«

»Seine Waffen habe ich, denn er ist jetzt gefangen und darf sie also nicht besitzen, aber was sich in seinen Taschen befand, ist ihm geblieben. Ich habe streng verboten, ihm irgend etwas davon zu nehmen.«

»Warum?«

»Infolge der Uebereinkunft, welche ich mit ihm abschloß, ehe er sich uns ergab. Ich mußte versprechen, daß sein Eigentum nicht angetastet werde.«

»So hat er auch alles, was dem Toten gehörte, noch bei sich stecken?«

»Jedenfalls, denn ich bin überzeugt, daß keiner meiner Krieger sich daran vergriffen hat.«

»Gut, werde nachsehen! Gehen wir!«

»Ja, gehen wir! Was ihr mit dem Kolarasi und seinem Eigentume macht, kann mich nicht kümmern; ich habe ihm nur mein Versprechen zu halten, und dabei war nicht gesagt, daß ich ihn gegen euch in Schutz nehmen soll. Seit ich ihn euch vorhin ausgeliefert habe, könnt ihr mit ihm machen, was ihr wollt, und ich habe nicht mehr mit ihm zu sprechen oder zu verkehren.«

Nach diesen Worten handelte er. Als wir aus der Schlucht kamen und das Lager erreichten, trennte er sich von uns. Es konnte uns gar nicht auffallen, daß er nicht Lust hatte, sich vor einem Manne sehen zu lassen, der sein Verbündeter gegen uns gewesen war. Krüger-Bei wurde von einigen militärischen Obliegenheiten in Anspruch genommen; wir übrigen drei suchten Melton auf. Er war streng gefesselt und außerdem an einen in die Erde gerannten Pfahl gebunden. Zwei Soldaten hielten bei ihm Wache. Er wendete, als er uns kommen sah, den Kopf zur Seite, zum Zeichen, daß er nichts von uns wissen wolle.

»Master Melton,« sagte ich, »wir kommen, um einige Fragen an Euch zu richten. Ich denke, Ihr werdet so klug sein, sie uns zu beantworten.«

Er sagte nichts, sah uns auch nicht an. Ich fuhr fort:

»Die erste Frage ist: Wer war der Fremde, der sich von Tunis bis hierher bei Euch befand?«

Er antwortete nicht. Da gebot ich einem der Soldaten:

»Hole den Bastonnadschi! Er mag dem Manne die verlorene Sprache wiedergeben.«

Da wendete Melton sein Gesicht schnell herum und schrie mich an:

»Wage es nicht, mich schlagen zu lassen! Ich bin nicht so ohnmächtig, wie du denkst! Heute mir und morgen dir! Merke dir das!«

»Pshaw, macht Euch doch nicht lächerlich! Es sollte Euch wohl schwer werden, die Macht zu entfalten, mit welcher Ihr mir droht. Uebrigens, habt Ihr Euch den Mann schon angesehen, welcher da neben mir steht?«

Er stieß einen häßlichen Fluch aus.

»Jedenfalls habt Ihr von Winnetou, dem Häuptling der Apatschen, gehört?« fuhr ich fort.

Er wiederholte seinen Fluch.

»Daß wir beide uns bei Euch befinden, mag Euch an die Rechnung erinnern, welche Ihr drüben in den Staaten noch auszugleichen habt. Von ihr sprechen wir wohl später; jetzt aber ersuche ich Euch allen Ernstes, unsere Fragen zu beantworten. Seht, da kommt der Bastonnadschi mit seinen Gehilfen! Ich gebe Euch mein Wort, daß Euch jede Weigerung, zu sprechen, auf jede nackte Sohle zehn Hiebe eintragen wird. Also, wer war der Fremde, nach welchem ich soeben fragte?«

Er warf einen langen Blick in mein Gesicht, als ob er alle meine Gedanken erraten und durchschauen wolle, und antwortete dann:

»Was habt Ihr denn nach diesem Manne zu fragen!«

»Ich interessiere mich für ihn.«

»Fangen wollt Ihr mich, fangen! Ich kenne Euch! Wer weiß, was für Absichten und Pläne Ihr jetzt in Euerm Schädel stecken habt!«

»Das will ich Euch gern sagen. ich habe die feste Absicht, Euch peitschen zu lassen, wenn Ihr nicht endlich antwortet. Also, wer ist der Fremde?«

Der Bastonnadschi stand meines Winkes gewärtig; darum zog Melton es doch vor, zu antworten:

»Er ist mein Sohn.«

»Euer Sohn? Ah! Das ist doch sonderbar! Habt Ihr ihn bei den Uled Ayars nicht als Euern Freund ausgegeben?«

»Ist ein Sohn kein Freund? Mußten die Wilden alles wissen?«

»Hm! Es kommt allerdings ganz auf Euch an, wie Ihr Euern Sohn nennen wollt. Aber er ist plötzlich fort. Wo steckt er jetzt?«

»Verstellt Euch nicht! Ihr wißt es doch, daß er gestorben ist. Die Beduinen werden es Euch gesagt haben.«

»Wie aber ist Euer Sohn denn auf den unglücklichen Gedanken gekommen, sich das Leben zu nehmen?«

»Melancholie, Lebensüberdruß!«

»Und dieses Selbstmordes wegen kommt Euer Sohn von Amerika herüber nach Tunis? Er hat Euch den Gefallen thun wollen, dabei zu sein? Da scheint es, er hat eine ungeheuer zärtliche Liebe zu Euch gehegt!«

 

»Spottet nur! Kann ich dafür, daß solche Melancholiker auf so dumme Gedanken kommen!«

»Ihr scheint Euch aber nicht viel daraus zu machen; wenigstens ist Euch keine Betrübnis anzusehen. Aber dennoch nehme ich Anteil an diesem traurigen Falle. Ich hörte, daß er sich in Eurer Gegenwart erschossen hat?«

»Ja, mit seinem Revolver.«

»Nicht mit dem Eurigen?«

»Laßt die dummen Witze! Ich habe keinen. Ein tunesischer Kolarasi führt keine Revolver.«

»Aber wie konnte Euer Sohn mit einem Revolver umgehen? Er war doch verwundet und konnte infolgedessen die Hand nicht brauchen!«

»Da Ihr so klug seid und alles wißt, werdet Ihr doch wohl auch wissen, daß nur seine linke Hand verletzt war.«

»Ach so! Hoffentlich habt Ihr den Toten beerbt?«

Wieder sah er mich forschend an, um zu erraten, wo hinaus ich wolle, und als ich die Frage wiederholt hatte, antwortete er:

»Selbstverständlich, wenn Ihr nämlich meint, daß ich alles, was mein Sohn bei sich trug, zu mir genommen habe.«

»Das freut mich ungemein, denn ich möchte den Nachlaß gern einmal sehen. Da Ihr verhindert seid, in die Taschen zu greifen, werde ich Euch der Mühe entheben, indem ich es an Eurer Stelle thue.«

»Thut es!«

Diese Worte waren in zornigem Tone gesprochen, und doch klang auch, wie mir schien, ein gut Teil Hohn und Schadenfreude heraus. Ich leerte seine Taschen und untersuchte seinen Anzug auf das genaueste. Es konnte mir nichts verborgen bleiben, und doch fand ich nur Gegenstände, welche, wie sich herausstellte, ihm gehörten; es war nichts dabei, was das Eigentum Small Hunters gewesen war.

»Was macht Ihr denn für ein Gesicht, wertester Sir?« lachte er mich aus. »Könntet Ihr Euch jetzt im Spiegel sehen, so würdet Ihr darauf schwören, der geistreichste Mensch der Erde zu sein. Und ich Esel habe Euch stets für den größten Dummkopf gehalten! Ihr seht, wie man sich irren kann!«

Er hatte mir die Enttäuschung, welche ich fühlte, angesehen; ich nahm mich zusammen und sagte in einem Tone, welchem er meinen Mißmut nicht anhören konnte:

»Das ist also alles, was Ihr besitzt und was Euer Sohn besessen hat?«

»Ja,« nickte er mit freundlichem Grinsen.

»So bedaure ich Euch und ihn! Ein tunesischer

Kolarasi sollte doch kein so armer Teufel sein, und Euer Sohn scheint sich auch nicht viel erspart zu haben.«

»Erspart? Wo? Bei wem?«

»Bei Small Hunter.«

»All divers!« fuhr er auf. »Small Hunter! Was wißt Ihr von Small Hunter?«

»Daß er ein angenehmer junger Master ist, der sich das Vergnügen macht, den Orient kennen zu lernen.«

»Den Orient?«

»Ja. Und zwar reist er nicht allein, sondern hat einen Begleiter bei sich, welcher ein ebenso interessanter junger Mann ist. Wenn ich mich nicht irre, wird er Jonathan Melton genannt.«

»Ich verstehe nicht!«

»Es geht mir selbst fast so, daß ich mich nicht verstehe. Ich habe gemeint, daß die beiden, nämlich Small Hunter und Jonathan Melton, sich in Aegypten befinden, und nun erfahre ich hier zu meinem Erstaunen, daß der letztere hier gewesen ist und sich vor Euern Augen erschossen hat!«

Er musterte mich zum drittenmal mit einem seiner langen Blicke. Es schien ihm jetzt ein Licht aufzugehen, daß ich nicht zufällig hier sei, sondern mehr über seine Pläne wisse, als ihm lieb sein konnte.

»Könnt Ihr mir vielleicht eine Erklärung geben?« fragte ich.

»Denkt gefälligst selber nach!« stieß er hervor.

»Meint Ihr? Nun, ich will einmal Euern Rat befolgen. Indem ich dies thue und also nachdenke, komme ich auf die Euch jedenfalls sonderbar erscheinende Idee, daß Ihr Euch in der Person Eures Sohnes geirrt habt.«

»Ein Vater soll sich in der Person seines Sohnes irren!«

»Warum nicht? Nehmen wir zum Beispiel an, es liege eine große Aehnlichkeit vor. Das ist doch ein Fall, der nicht zu den Unmöglichkeiten gehört.«

Er horchte auf und brach dann ungestüm los:

»Verwünscht sei Euer Ziehen, Zerren und Dehnen! Ihr habt etwas auf dem Herzen! Ihr wollt mir irgend einen Hieb oder Stoß versetzen! Was zögert Ihr doch! Hervor damit!«

»Einen Hieb oder Stoß? Da irrt Ihr Euch. Ich spreche aus reiner Teilnahme zu Euch. Der beste Trost für Euch wäre nun freilich der Beweis, daß Ihr Euch vergeblich grämt, daß Euer Sohn nicht gestorben ist, sondern noch lebt.«

»Laßt mich mit Euern Romanen in Ruh‘! Ich kann gar nicht begreifen, wie Ihr auf solche Gedanken kommt!«

»Wie? Auch das will ich Euch sagen. Wieviel Fußzehen hat wohl jeder Mensch?«

»Zehn natürlich!« grollte er heraus. »Ihr müßt wahrhaftig nicht recht im klaren sein, daß Ihr mir so dumme Fragen vorlegen könnt!«

Der Ton, in welchem er diese Worte aussprach, war mir ein sicherer Beweis, daß er den abweichenden Bau des Fußes bei Small Hunter nicht kannte. Darum fuhr ich weiter:

»Die Fragen sind gar nicht so verrückt, wie Ihr anzunehmen scheint. Es ist bekannt, daß Small Hunter an jedem Fuße sechs Zehen hat, oder vielmehr hatte.«

»Wie? Sechs Zehen?« fragte er ganz betroffen und indem er mich mit großen Augen ansah. Der Fall war ja von außerordentlicher Wichtigkeit für ihn.

»Ja, sechs an jedem Fuße! Und da er Euerm Jonathan so außerordentlich ähnlich sah und Ihr ihm nur ins Gesicht blicktet, aber nicht auf die Zehen, so habt Ihr Euch ganz unnützerweise über den Tod Eures Sohnes gehärmt. Ihr habt die Leiche selbst begraben. Ist es Euch denn dabei entgangen, daß sie zwölf Zehen hatte?«

Er stieß einen Fluch aus.

»Ja, sonderbar! Ihr habt nichts davon gewußt; den Uled Ayars aber ist dieser seltene Ueberfluß an Zehen recht wohl bekannt gewesen, denn sie haben den Toten unter sich nicht anders als Abu tnasch Sabi, »Vater der zwölf Zehen«, genannt.«

Er drängte die Ausrufe des Erstaunens, des Zornes, welche ihm auf den Lippen schwebten, zurück und machte seinen Gefühlen nur durch ein Kopfschütteln Luft.

»Und nicht nur in dem Manne selbst habt Ihr Euch geirrt,« fuhr ich fort, »sondern auch in Beziehung auf den Tod, den er gestorben ist. Es liegt nämlich ganz bestimmt kein Selbstmord vor. Wir haben die Leiche ausgegraben und seciert. Die Kugel ist von links nach rechts unten durch das Herz gegangen und an der siebenten Rippe, da wo diese am Wirbel sitzt, stecken geblieben. Einen solchen Schuß kann ein Selbstmörder nicht mit der Rechten, sondern nur mit der Linken gethan haben. Die linke Hand des Toten war aber in der Weise verletzt, daß er mit derselben keinen Revolver zu handhaben vermochte; folglich hat er sich nicht selbst getötet, sondern er ist von einem andern getötet, also ermordet worden.«

»Wer sollte ihn denn ermordet haben?«

»Der, welcher im betreffenden Augenblick bei ihm war.«

»Das war ich!«

»Ihr? Hm, Master Melton, das wirft freilich kein gutes Licht auf Euch!«

»Unsinn! Meint Ihr wirklich, daß ich im stande bin, meinen Sohn, meinen einzigen Sohn zu töten?«

»Er war nicht Euer Sohn!«

»Aber ich habe ihn dafür gehalten!«

»Habt Ihr? Wirklich? Vielleicht irrt Ihr Euch auch da! Aber selbst wenn es so wäre, würde ich Euch, da ich Euch kenne, unbedenklich auch einen Kindsmord zutrauen. Jedoch ihr erklärt mit sehr glaubhafter Miene, es nicht gethan zu haben, und da muß ich mich also nach einem andern umschauen, der es gewesen sein kann. Ich denke da an den Schreiber eines Briefes, welcher aus Tunis nach Aegypten gegangen ist. In diesem Briefe wurde Small Hunter angeblich von seinem Freunde, dem Advokaten Fred Murphy, eingeladen, nach Tunis zu kommen. Wißt Ihr vielleicht etwas von diesem Briefe?«

»Nein, nein, nein!« brüllte er mich förmlich an, vor Grimm und vor Verlegenheit.

»Oder kennt Ihr einen Juden Namens Musah Babuam, an welchen gewisse Schriftstücke adressiert werden sollten?«

»Nein, nein!«

»Oder den Pferdehändler Bu Marama im Dorfe Zaghuan, bei dem Euer Sohn bis zu Eurer Rückkehr heimlich logieren soll?«

Er bäumte sich unter seinen Fesseln auf, fiel aber wieder zurück und rief mir, vor Wut schäumend, zu:

»Du stehst mit allen Teufeln im Bunde! Du ersinnst dir Lüge über Lüge, nur um mich zu quälen; aber ich werde dir nicht länger Rede stehen und nicht mehr antworten, und wenn du mich totpeitschen lassen solltest! Geh in die Hölle, wohin du gehörst!«

Jetzt endlich hatte er eingesehen, daß ich alles wußte. Um ihm noch vollere Klarheit zu geben, ging ich, seinen Sohn zu holen, der sich gut bewacht bei unsern Truppen befand und seinen Vater noch nicht gesehen hatte. Ich band ihm die Füße los, so daß er gehen konnte, und führte ihn nach der Stelle, an welcher sein Vater auf der Erde lag. Ich war überzeugt, daß die Ueberraschung beide zu unvorsichtigen Aeußerungen bringen werde, hatte mich aber darin getäuscht, denn als sie einander erblickten, sprach keiner von ihnen ein Wort, gerade als ob sie es so verabredet hätten.

Jonathan Melton, der Sohn, hatte sich natürlich sagen können, daß man ihn seinem Vater gegenüberstellen werde, und also vollständig Zeit gehabt, sich das dabei zu beobachtende Benehmen zurechtzulegen. Er hatte für Small Hunter gelten wollen; auch sein Vater hegte die Absicht, ihn für diesen auszugeben, und er war entschlossen, bei dieser Rolle so lange wie möglich zu bleiben. Zwar hatte er von mir erfahren, daß er und sein Plan durchschaut worden waren, doch hielt er es für besser, bei der Lüge zu bleiben, als ein Geständnis abzulegen. Und was Thomas Melton, den Vater betraf, so war dieser zu erfahren, zu hart gesotten und für alle Sättel so gerecht, daß er nicht durch die Ueberraschung zu einer Unvorsichtigkeit verleitet werden konnte, zumal er sich nach dem Gespräch mit mir recht gut sagen mochte, daß ich auf irgend eine Art zu seinem Söhne in Beziehung stehen mußte, weil ich über Dinge unterrichtet war, die ich nur von diesem erfahren haben konnte.

Also sie sahen sich erstaunt an, sagten aber dabei kein Wort.

»Nun, kennt ihr euch?« fragte ich.

»Natürlich kennen wir uns,« antwortete Thomas Melton, indem sein geschwollenes Gesicht sich zu einem triumphierenden Grinsen verzerrte.

»So? Das ist gut! Also sagt mir doch einmal, wer ist dieser junge Mann?«

»Das ist Small Hunter, mit welchem mein Sohn einige Zeit gereist ist.«

»Schön! Und Ihr, junger Mann, sagt mir nun, wer dieser Gefangene ist!«

»Das ist Thomas Melton, der Vater meines früheren Reisebegleiters,« antwortete der Gefragte.

»Das habt ihr beide sehr gut gemacht! Vom Standpunkte der Schurkerei muß ich euch das lobendste Zeugnis ausstellen. Nur schade, daß ich hier dieses besitze. Der Inhalt wirft eure ganze List und Festigkeit über den Haufen.«

»Was ist‘s?« fragte der Alte.

Ich hatte das Portefeuille des Jungen aus der Tasche genommen und vorgezeigt und antwortete:

»Das werdet Ihr schon noch erfahren, Thomas Melton. Und alles, was Ihr Euch von Small Hunter angeeignet habt, werde ich Euch bald zeigen.«

»Zeigt es doch!« lachte er.

»Ich finde es noch!«

»So sucht, soviel und wo Ihr wollt! Mich aber laßt nun endlich mal in Ruhe mit diesen Euern Dummheiten!«

Er drehte sich um, und ich sah ein, daß es allerdings Zeit war, abzubrechen. Aber zusammenlassen durfte ich die beiden nicht, da sie sich sonst ganz gemütlich hätten besprechen können; der junge Melton wurde wieder fortgeführt.