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Satan und Ischariot II

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Märgi loetuks
Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

Nachdem er wieder aufgestiegen war, wendeten wir uns in einem rechten Winkel rechts, nach Osten zu, wohin die wiedergefundene Spur jetzt führte. Wir folgten derselben den ganzen Tag, bis es so dunkel wurde, daß wir sie nicht mehr sehen konnten. Da hielten wir an, um auf der freien, ringsum ebenen Steppe zu übernachten. Am nächsten Morgen wurde, sobald es Tag geworden war, der Ritt fortgesetzt. Die Fährte war jetzt nicht mehr so deutlich wie gestern. Emery sprach die Ansicht aus, daß sie bald wieder frisch sein werde, da die Flüchtlinge doch höchst wahrscheinlich während der Nacht auch geruht haben mußten, doch war ich anderer Meinung. Die beiden Meltons waren sicher bestrebt gewesen, einen möglichst großen Vorsprung zu bekommen, und hatten gewiß die ganze Nacht dazu verwendet. Das konnten sie, weil der ältere von ihnen die Gegend kannte, da er als Offizier früher wiederholt hier gewesen war. Winnetou stimmte mir bei.

»Aber warum sollen sie so erpicht auf einen so großen Vorsprung sein?« fragte der Engländer. »Sie haben denselben ja gar nicht nötig.«

»Nicht?« antwortete ich. »Wieso?«

»Weil sie annehmen werden, daß sie uns irre geführt haben.«

»Und daß wir etwa nach Tunis reiten?«

»Ja. Sie sind ja gestern abgewichen, um ihre Spur unkenntlich zu machen. Nun werden sie überzeugt sein, daß sie uns vollständig getäuscht haben.«

»Ueberzeugt wohl nicht, wenn sie auch annehmen können, daß die Möglichkeit dazu vorhanden ist. Thomas Melton kennt Winnetou und mich. Er mag annehmen, daß er uns getäuscht hat, doch nur auf kurze Zeit. Wenn er sich alles vergegenwärtigt, was er von uns weiß, so muß er sich sagen, daß wir durch seinen Kniff, falls wir uns durch denselben überhaupt täuschen ließen, höchstens einige Stunden Zeit verloren, dann aber die Spur wiedergefunden haben, um derselben desto nachdrücklicher zu folgen.«

»Hm! Ob sie überhaupt für gewiß annehmen, daß wir ihnen nachreiten?«

»Ganz sicher! Wäre dies nicht der Fall, so hätten sie sich nicht die Mühe gegeben, uns irre führen zu wollen, auch wären wir längst an ihre Lagerstelle gekommen. Sie sind die ganze Nacht fortgeritten.«

»Mein Bruder Scharlieh hat recht,« stimmte mir der Apatsche bei. »Sie haben gar nicht angehalten und sind weit vor uns, weil sie bessere Kamele besitzen als wir und weil wir gelagert haben. Wir müssen uns beeilen.«

Es stellte sich heraus, daß wir uns nicht geirrt hatten, denn wir ritten den ganzen Vormittag auf der immer undeutlicher werdenden Spur, ohne zu sehen, daß die beiden Reiter auch nur einmal abgestiegen waren.

Die Steppe war längst wieder in Sandwüste übergegangen. Jetzt trafen wir aber auf einzelne, spärliche Grashalme, welche nach und nach dichter und kräftiger wurden, und dann erkannten wir niedrige, lang gestreckte Hügel, welche sich vor uns im Osten erhoben und von Nord nach Süd zu streichen schienen.

»Das muß das Wadi Budawas sein,« sagte ich. »Hinter demselben liegen dann die Ruinen von El Khima, welche wir südlich liegen lassen müssen, um über den nördlichen Abhang des Dschebel Ussalat zu reiten.«

»Ich denke, wir müssen der Fährte folgen,« bemerkte Ernery.

»Allerdings; aber ich bin überzeugt, daß die Meltons denselben Weg einschlagen, weil er der bequemste nach der Küste ist.«

»Well! Doch, sind da drüben links nicht Reiter?«

Er deutete nach Nordost, wo sich allerdings einige bewegliche Punkte sehen ließen. Dieselben näherten sich uns schnell. Bald erkannten wir acht Beduinen, welche auf Pferden saßen. Sie hatten natürlich auch uns gesehen, kamen uns ein Stück entgegen und blieben dann halten, um uns zu erwarten. Sie waren gut bewaffnet, schienen aber keine feindlichen Absichten zu hegen. Ungefähr zwanzig Schritte vor ihnen hielten wir an, und ich grüßte:

»Sallam! Ist es das Wadi Budawas, welches da hinter den Höhen liegt?«

»Ja,« antwortete derjenige, welcher der Anführer zu sein schien.

»Zu welchem Stamme gehört ihr?«

»Wir sind Krieger der Meidscheri und waren auf der Gasellenjagd. Wir haben kein Wild getroffen und kehren nach dem Wadi zurück, in welchem unsere Herden weiden.«

»Wann seid ihr zur Jagd ausgeritten?« »Heute, als der Morgen tagte.«

»So könnt ihr mir eine Frage beantworten. Es sind zwei fremde Reiter auf sehr guten Reitkamelen durch das Wadi gekommen?«

»Ja. Heute früh, eben als wir fortreiten wollten.«

»Stiegen sie bei euch ab?«

»Ja. Wir luden sie ein, und sie folgten unserer Bitte, obgleich sie erklärten, eigentlich keine Zeit dazu zu haben.«

»Wie lange blieben sie? «

»Nur so lange, bis ihre Kamele getrunken hatten.« »Wißt ihr, wer sie waren?«

»Der eine war ein Kolarasi des Pascha, wie wir an seiner Kleidung sahen, der andere ein Freund von ihm, der aber nicht Soldat war.«

»Wo wollten sie hin?«

»Nach El Kairwan, sagten sie. Wer aber seid denn ihr?«

»Kennst du Krüger-Bei, den Herrn der Heerscharen?«

»Ja. Er ist unser Beschützen«

»Weißt du, wo er sich jetzt befindet?«

»Wir hörten von den beiden Reitern, daß er gegen die Uled Ayar gezogen sei, um sie zu züchtigen.«

»Wie steht ihr euch mit diesen letzteren?«

»Wir leben mit ihnen in Frieden, nicht aber mit den Uled Ayun, welche Allah verderben möge!«

»Sie sind auch unsere Feinde. Wir kommen von Krüger-Bei, welcher die Uled Ayar besiegt und dann ein Bündnis mit ihnen geschlossen hat.«

»Maschallah! Er besiegte seine Feinde und begnadigte sie dann? Sein Herz ist voller Güte und Wohlwollen selbst gegen seine Feinde! Wenn ihr von ihm kommt, so steht ihr wohl auch unter seinem Schutze?«

»Er zählt uns zu den besten Freunden, welche er besitzt.«

»Wenn das ist, so thut uns nicht das Herzleid an, bei uns vorüberzureiten. Eßt von unsern Speisen, und trinkt von unserm Wasser! Ihr seid uns so willkommen, als ob der Herr der Heerscharen sich selbst bei euch befände!«

»Wie ist der Name eures Scheiks?«

»Welad en Nari; ich bin es selbst.«

»Du also bist der Scheik der tapferen und gastfreundlichen Meidscheri? Dann müssen wir deiner Einladung Folge leisten. Zwar haben auch wir große Eile, aber soviel Zeit, wie nötig ist, unsere Schläuche mit frischem Wasser von euch zu füllen, können wir dir doch schenken.«

»Und von der Gaselle, welche wir gestern geschossen haben, müßt ihr auch kosten. Ich bitte euch, uns nach unserm Bet es Sijara[23] zu folgen!«

Der Scheik wendete sein Pferd den erwähnten Höhen zu; wir schlossen uns ihm an, und seine Leute folgten hinter uns drein. Gesprochen wurde jetzt nicht mehr. Nach der Sitte des Landes mußten wir warten, bis wir wieder angeredet wurden. Das legte uns aber nicht die Verpflichtung auf, auch unter uns zu schweigen. Darum übersetzte ich Winnetou, was ich mit dem Anführer gesprochen hatte. Er warf ihm einen forschenden Blick zu und fragte mich dann:

»Gefällt der Mann meinem Bruder?«

»Hm! Wenigstens mißfällt er mir nicht. Warum fragst du so?«

»Ein dichter Bart bedeckt sein ganzes Gesicht, aber für Winnetou ist der Bart doch nur ein Schleier, durch welchen man blicken kann.«

»Was siehst du da?«

»Die Freude, daß wir mit ihm reiten.«

»Das ist doch natürlich! Er hat uns eingeladen und freut sich darüber, daß wir seinen Wunsch erfüllen.«

»Aber es ist eine böse Freude! Winnetou hat kein Vertrauen zu dem Manne!«

»Und ich denke, daß kein Grund zur Besorgnis vorhanden ist. Die Meidscheri sind, wenigstens jetzt, friedlich gesinnte Leute.«

»So mag mein Bruder vertrauen; Winnetou aber wird vorsichtig sein!«

Ich hegte wirklich kein Mißtrauen; das war aber noch kein Grund für mich, die übliche Vorsicht aus den Augen zu setzen. Ich war gewohnt, sehr viel auf die Ansichten des Apatschen zu geben; also konnte auch sein Mißtrauen nicht ohne Eindruck auf uns bleiben.

Wir hatten jetzt die Anhöhen erreicht und ritten über sie hinweg. Hinter ihnen senkte sich jählings der Boden, um ein Thal zu bilden, dessen Breite da, wo wir hielten, eine Viertelstunde betragen konnte. Das war das Wadi Budawas, welches, wie ich gehört hatte, eine Länge von mehreren Stunden oder gar Meilen besitzt.

Es gab am diesseitigen Ufer eine Stelle, welche nicht so steil war; da ritten wir hinab. Man sah, daß das Wadi zur Regenzeit einen Fluß bildete; jetzt aber war es eine grünende Thalmulde, welche zahlreiche feuchte Stellen enthielt, wo man nur einige Fuß tief zu graben brauchte, um trinkbares Wasser zu erhalten.

Wir ritten eine kurze Strecke abwärts, kamen um eine Krümmung und sahen nun das eigenartige Leben eines afrikanischen Hirtenlagers sich vor uns entwickeln. Das Wadi war hier viel breiter als vorher und trug Gras, welches beinahe saftig genannt werden konnte. Soweit wir blicken konnten, sahen wir Pferde, Schafe, Ziegen, Rinder und Kamele, welche nach vielen Tausenden zählten. Dazwischen gab es so wenig Hirten, daß es zu verwundern war, wie die wenigen Leute so viele

Tiere in Ordnung zu erhalten vermochten. Auch einige Zelte waren zu sehen, welche wohl den reichen Herdenbesitzern gehörten; die ärmeren Beduinen mußten im Freien nächtigen, was die Leute aber gewöhnt sind.

Die Hirten, an denen wir vorüberkamen, erhoben sich respektvoll von der Erde und grüßten uns, indem sie sich verneigten. Das schien auf Winnetou einen beruhigenden Eindruck zu machen, denn der Ausdruck seines Gesichtes wurde immer weniger streng, als er vorher gewesen war.

Wir ritten jetzt über Felsen, in denen sich eine schmale Spalte befand, nach welcher der Scheik sein Pferd lenkte. Einige Schritte vor derselben hielt er an, stieg ab und sagte:

 

»Willkommen in unserm Wadi! Hier ist das Haus des Besuches, in welchem alle unsere Gäste bewirtet werden. Es ist kühl und erquickt den Ermüdeten. Tretet mit mir ein und sättigt euch an den Speisen, welche uns sogleich vorgesetzt werden!«

Seine Begleiter stiegen auch ab, und wir thaten dasselbe, doch folgten wir nicht gleich seiner Aufforderung, sondern musterten zunächst unsere Umgebung. Oberhalb der Stelle, an welcher wir uns befanden, lagen wiederkäuend vielleicht ein Dutzend prächtiger Reitkamele, wie ich sie hier zu Lande so edel noch nicht gesehen hatte. Unweit davon sahen wir die doppelte Anzahl Reitsättel und alles Dazugehörige am Felsen liegen. Noch weiter oben weideten drei hochedle Pferde; sie waren in einem Pferche eingeschlossen, welcher aus in die Erde gesteckten Lanzen bestand, um die man, von einer zur andern, Palmenfaserstricke gezogen hatte. Schon der Umstand, daß man die Tiere in der Weise von den andern abgesondert hatte, ließ auf ihren Wert schließen; den Kenner aber mußte ihr Anblick in Entzücken versetzen. Unweit davon lagen die Sättel, das Riemenzeug und die Schabracken. Der Scheik bemerkte, mit welcher Bewunderung ich diese Pferde betrachtete und sagte:

»Ihr Stammbaum reicht bis hinauf zur Lieblingsstute des Propheten. Diese Pferde sind mehr wert als sämtliche Herden unseres Stammes.«

Also in die Felsspalte sollten wir treten; sie war das »Haus des Besuches«, von welchem der Scheik gesprochen hatte! Ein eigentümliches Haus! Der Felsen war wohl an die fünfzig Ellen hoch; die Spalte reichte vielleicht bis zur Hälfte der Höhe hinauf, war aber so schmal, daß unten zu ebener Erde nur zwei Mann stehen konnten, wenn sie sich zusammendrängten; sie war also weit eher ein Riß, als eine Spalte zu nennen. Neben ihr, oder vielmehr ungefähr zehn, zwölf Schritte von derselben, sickerte das Wasser aus der Erde und bildete einen kleinen Tümpel, dessen Inhalt selbst für Menschen sehr gut genießbar war.

Der Scheik mochte bemerken, daß die Spalte uns nicht so einladend erschien, wie er es wünschen mochte; darum sagte er:

»Es ist hier wirklich das Haus des Besuches, von welchem ich gesprochen habe. Die Spalte wird, sobald man hineingetreten ist, so breit, daß sie eine Murabba[24] bildet, in welcher mehr als zehn Menschen Platz finden können. Folgt mir nach!«

»Erlaube uns, zunächst für unsere Tiere zu sorgen!« bat ich.

»Meinst du, wir kennen die Pflichten der Gastfreundschaft so wenig, daß wir euch selbst die Arbeit machen lassen? Meine Leute werden eure Kamele tränken und eure Schläuche füllen.«

Jetzt war eine Weigerung, wenn wir ihn nicht beleidigen wollten, unmöglich. Und da er uns voranschritt, so gab es auch gar keinen Grund, seiner Aufforderung nicht Folge zu leisten. Wenn die Höhle eine Gefahr für uns barg, so befand er sich doch bei uns, und wir konnten ihn zwingen, teil an derselben zu nehmen.

»Da hinein?« fragte Winnetou, als er ihn in der schmalen Oeffnung verschwinden sah. »Wird mein Bruder ihm folgen?«

»Ja, er ist ja bei uns!«

»Wenn er uns aber betrügt!«

»Wir nehmen alle Waffen mit.«

Wir hatten die wenigen Worte englisch gesprochen. Emery sagte, als er sie hörte:

»Warum so zagen! Was soll der Scheik und was seine Leute von uns denken! Sie müssen uns für Feiglinge halten. Hinein also und ihm nach!«

Er folgte dem Scheik und wir ihm, nachdem wir unsere Waffen an uns genommen hatten. Solange ich meinen Henrystutzen besaß, brauchte ich mich vor keiner offenen Feindseligkeit zu fürchten. Vor einem arglistigen Angriffe aber konnte auch er mich freilich nicht bewahren.

Rechts neben der Spalte lag ein Stein, oder vielmehr er stand, und zwar eigentümlicherweise auf seiner Spitze. Er war ein Felsentrümmer von der ungefähren Gestalt der Hälfte einer von oben nach unten durchschnittenen ungeheuern Flasche. Diese halbe Steinflasche mochte wohl an die zwölf Zentner schwer sein und stand nicht mit ihrem Boden, sondern mit ihrem Halse auf der Erde. Dies konnte der reine Zufall sein und war mir nicht auffällig genug, irgend welches Bedenken in mir zu erregen.

Als wir den Eingang hinter uns hatten, sahen wir allerdings, daß das Innere des Spaltes geräumiger war, als man von draußen vermuten konnte. Zehn Mann hatten gut Platz. Der Raum bildete ein längliches Viereck, dessen Boden mit Bastmatten belegt war. In der Mitte lag ein besserer Teppich, auf welchem eine Sufra stand, ein kleines, höchstens zehn Zoll hohes Tischchen, wie man es häufig in Beduinenzelten findet. Gerade aufrichten konnte man sich allerdings nur in der Mitte des Raumes, weil er sich schnell nach oben verengerte. Und kühl war es hier, wunderbar kühl! Eine wahre Erquickung nach dem Sonnenbrande, dem wir draußen ausgesetzt gewesen waren.

Der Scheik setzte sich vor dem Tischchen nieder und winkte uns, seinem Beispiele zu folgen. Warum sollten wir das nicht thun, da wir uns nun einmal mit ihm hier befanden?

Kaum hatten wir uns bei ihm niedergelassen, so brachte uns ein junger Hirte drei kleine mit Wasser gefüllte Kalebassen, welche wir austranken; ein zweiter kam mit vier Tschibuks, einem Tabaksbeutel und einem kleinen Holzkohlenbecken. Der Scheik stopfte die Pfeifen selbst, gewiß eine außerordentlich seltene Ehrenerweisung, legte eigenhändig glühende Kohlen auf den Tabak, reichte jedem von uns eine Pfeife und meinte:

»Raucht mit mir! Der Tabak giebt Wolken des Duftes, weiche die Seele zum Himmel heben. Bald werden auch die Speisen kommen.«

Wir folgten seinem Beispiele und seiner Aufforderung und rauchten ein Kraut, welches den Verhältnissen angemessen gar nicht übel war; das thaten wir wortlos, da unser Wirt nicht sprach. Vielleicht hielt er das Schweigen für seiner Würde angemessen, vielleicht auch für einen Erweis seiner Höflichkeit und Ehrerbietung gegen uns.

Wir hatten die Tschibuks noch nicht ausgeraucht, so kam einer der Hirten wieder und brachte eine Schüssel mit kaltem Kuskussu, welche er auf das Tischchen stellte.

»Wie steht es mit dem Fleische, Selim?« fragte ihn der Scheik.

»Ich werde es gleich bringen,« antwortete der Gefragte, indem er sich entfernte.

»So bring doch auch gleich –«

Er unterbrach sich, denn Selim war schon hinaus.

»Selim, Selim, hörst du!« rief er ihm nach.

Es erfolgte keine Antwort: da sprang er auf und eilte an den Spalt, um Selim den beabsichtigten Befehl nachzurufen. Wir hatten kein Arg und hinderten ihn also nicht, sich auf so wenige Schritte zu entfernen.

»Selim, Selim!« wiederholte er, indem er ganz hinaustrat.

»Herein muß er, herein!« meinte Winnetou, obgleich er nicht arabisch verstand.

Er sprang auf, um den Scheik zu fassen und hereinzuziehen, konnte seine Absicht aber nicht ausführen, denn noch ehe er die Oeffnung ganz erreicht hatte, geschah draußen ein dumpfer Fall und die Spalte schloß sich. Man hatte den vorhin beschriebenen, so eigenartig geformten Stein umgeworfen, und er stand nun gerade vor der Spalte, so hart vor derselben, daß man kaum einen Finger zwischen ihn und den Felsen stecken konnte.

»Heigh-ho!« rief Emery, indem er aufsprang.

»Winnetou hat es geahnt,« meinte der Apatsche, indem er zurückkehrte und sich so ruhig wieder niedersetzte, als ob nichts geschehen sei.

Ich sagte gar nichts. Draußen aber ließ sich ein Jubelgeschrei von vielen Stimmen hören. Es mußten jetzt viel mehr Menschen da sein, als wir vorhin gesehen hatten.

»Ich glaube gar, wir sind gefangen!« zürnte der Engländer.

Ich sagte auch jetzt noch nichts.

»So antworte doch!« forderte er mich auf. »Ich glaube, wir sind gefangen!«

»Ist uns ganz recht! Warum haben wir nicht auf Winnetou gehört!«

»Well! Aber es gab keinen Grund zum Mißtrauen. Der Herr der Heerscharen hat selbst versichert, daß wir von den Meidscheri nichts zu fürchten haben!«

»Sind es Meidscheri?«

»Sie sagten es doch!«

»Der Scheik hat uns belogen. Wenn er wirklich zu diesem Stamme gehörte, würde er uns nicht in diese Falle gelockt haben!«

»Richtig! Aber zu welchem Stamme soll er dann gehören?«

»Höchst wahrscheinlich zu den Uled Ayun.«

»Das wäre für uns fatal! Aber dennoch kann ich nicht begreifen, warum er uns gefangen nimmt. Er kennt uns nicht; er hat uns nicht einmal nach unsern Namen gefragt.«

»Er kennt uns! Die beiden Meltons sind ja hier gewesen, oder sie befinden sich möglicherweise sogar jetzt noch hier.«

»All devils!«

»Sie sind, wenn ich mich nun nicht abermals irre, hier auf die Uled Ayuns getroffen und haben ihnen erzählt, was drüben im Warr und bei dem Engpasse ge- geschehen ist. Sie haben ihnen gesagt, daß der Scheik der Ayuns mit seinen Begleitern gefangen worden ist und einen so hohen Blutpreis zahlen soll; sie sind überzeugt, daß wir sie verfolgen werden, und haben dies den Ayuns mitgeteilt. Sie haben den Leuten mitgeteilt, daß wir an allem schuld sind, haben ihnen unsere Namen gesagt und unsere Personen beschrieben. Darauf haben die Ayuns uns erwartet, sich hinterlistigerweise für Meidscheri ausgegeben und uns hier in das Loch gelockt.«

»Der Teufel danke es ihnen! Also darum stand der Stein so sonderbar da draußen! Er lag auf seiner Spitze. Man brauchte ihm nur einen Stoß zu geben, so fiel er um und stellte sich gerade vor die Spalte. Sollte er nur für uns hingestellt worden sein?«

»Nein, denn da wäre er erst seit heute früh hierhergewälzt worden, und wir hätten die Spuren davon gesehen; das wäre mir sofort aufgefallen, und ich hätte mich dann gehütet, hereinzugehen. Der Stein gehört jedenfalls schon seit langer Zeit zu der Falle, in welcher wohl schon mancher andre Mann gesteckt haben mag.«

»Aber dann die außerordentliche Schlechtigkeit des Scheikes! Hat er nicht mit uns Wasser getrunken, mit uns geraucht? Wir sind also unbedingt seine Gäste, für welche er wie für sich selbst einzustehen hat! Wie willst du eine so grund- und bodenlose Schlechtigkeit erklären?«

»Damit, daß er erfahren hat, daß wir keine Moslemim sind. Er ist der Ansicht, daß man »Ungläubige« betrügen darf, ohne sich ein Gewissen darüber machen zu müssen.«

»Ah, ist das so! Aber wir haben Farad el Aswad, den Scheik der Uled Ayun gefangen, der den Blutpreis zahlen soll, und der Welad en Nari nennt sich auch einen

Scheik derselben, wenn du nämlich nicht falsch vermutest. Wie willst du dir das erklären?«

»Dadurch, daß er der Scheik einer Ferkah[25] der Ayun ist. Er wird uns einen falschen Namen genannt haben.«

»Was hältst du von unserer Lage? Ist sie gefährlich?«

»Das kommt darauf an, ob sich die beiden Meltons noch hier befinden. Sind sie noch da, so dringen sie jedenfalls auf unsern Tod und werden uns so außerordentlich streng bewachen, daß das Entkommen gewiß ein großes Kunststück genannt werden müßte.«

»Was hältst du für wahrscheinlicher, ob sie noch hier oder ob sie fort sind?«

»Das letztere, weil sie keine Zeit übrig haben. Hier droht ihnen von allen Seiten die Gefahr, während ihnen drüben in den Vereinigten Staaten, wenn sie sich beeilen, ein großes Vermögen fast sicher ist.«

»Well! Ich bin auch der Meinung. Aber wie kommen wir hinaus? Und dann, wenn wir draußen sind, wie kommen wir fort?«

»Durch List oder mit Gewalt. Warten wir erst, was die Menschen thun werden, welche uns hier eingesperrt haben!«

»Das brauchen wir nicht. Deine beiden Gewehre halten uns alle Feinde fern. Sie müssen weit fort, um von den Kugeln deines Bärentöters nicht erreicht zu werden, und dann haben wir ihre Schießbüchsen nicht zu fürchten.«

»Aber dennoch sind viele Hunde des Hasen Tod. Und selbst wenn ich dir auch unbedingt beistimmen wollte, wie kommen wir hinaus?«

»Da, wo wir hereingekommen sind! Der Stein ist zehn, höchstens zwölf Zentner schwer. Drei Männer, wie wir sind, werden ihn doch wegbringen können! Für den Mann vier Zentner!«

»Ja, wenn wir Platz genug hätten, unsere Kräfte zu entfalten!«

»Versuchen wir es wenigstens!«

Winnetou hatte uns zugehört, ohne ein Wort dazu zu sagen, jetzt meinte er:

»Der Stein ist nicht fortzuschieben. Meine Brüder brauchen den Versuch gar nicht zu machen.«

 

»Probieren wir es dennoch!« bestand Emery auf seinem Willen. »Wir dürfen nichts, gar nichts unterlassen.«

Ich zweifelte nicht im geringsten daran, daß wir drei zusammen im stande wären, einen Stein von zwölf Zentnern Schwere von der Stelle zu bewegen, hier aber war ich ebenso überzeugt, daß wir es nicht vermochten. Winnetou folgte gutmütig der Aufforderung des Englishman. Er legte sich mit ihm in die Spalte, Rücken gegen Rücken, denn wegen der Enge derselben hatten sie nicht anders Platz; sie stemmten ihre Schultern gegen den Stein. Ich beugte mich über sie nach vorn und half. Wir vereinigten alle unsere Kräfte zu mehreren gewaltigen Stößen, doch vergeblich, denn die Kraft traf nicht nur den Stein, sondern auch die beiden Seiten der Felsenspalte; es ging also soviel von ihr verloren, daß es uns nicht gelang, dem Steine auch nur den kleinsten Ruck zu geben.

»Lassen wir ab!« keuchte Emery. »Wir bringen ihn wirklich nicht von der Stelle.«

Und als jetzt draußen sich ein mehrstimmiges Hohngelächter hören ließ, fuhr er grimmig fort:

»Hört ihr‘s! Sie horchen draußen! Sie haben unsere Anstrengung bemerkt und lachen uns aus! Hätte ich die Lacher hier; das Lachen sollte ihnen augenblicklich vergehen! Mit Gewalt ist allerdings nichts auszurichten; das sehe ich ein. Also müssen wir zur List unsere Zuflucht nehmen. Aber wie?!«

»Habe es doch nicht so eilig!« bat ich ihn. »Sinnen und Ueberlegen bringt gute Gedanken.«

»Oft auch nicht. Wie wollen wir die Kerls überlisten, wenn wir hier stecken und sie draußen sind!«

»Mein Bruder mag, wie Scharlieh ihm schon gesagt hat, warten,« meinte der Apatsche in nachdrücklicher Weise. »Winnetou ahnt einen Ausweg und wird versuchen, ob derselbe möglich ist.«

»Welchen Ausweg?«

»Merkt mein Bruder Emery nicht, wie feucht es in dem Spalte ist?«

»Das merke ich freilich.«

»Sind aber etwa die Wände naß?«

»Nein; sie sind trocken. Nur der Boden ist feucht.«

Indem der Engländer dies sagte, hob er eine der Matten auf und befühlte die unter ihr befindliche Stelle.

»Mein Bruder hat den Quell gesehen, der sich draußen befindet?« fuhr der Apatsche fort. »Von ihm muß die Feuchtigkeit kommen. Das Wasser wandert aber nicht in solcher Menge durch den harten Felsen, sondern nur durch Sand. Der Boden der Felsenspalte muß also aus Sand bestehen. Die Spalte geht hoch empor, wie wir sehen; aber sie scheint auch tief in die Erde zu steigen und ist bis zu der Höhe, in welcher wir, uns befinden, mit Sand ausgefüllt.«

»So liegt wahrscheinlich der Stein da draußen auch auf Sand und nicht auf Felsen!« rief da Emery.

»Winnetou vermutet es. Wir werden also graben, bis der Stein sich so weit gesenkt hat, daß wir über ihn hinaus und hinweg können.«

»Wenn wir sein ganzes Fundament unterwühlen wollen,« fiel ich ein, »so stürzt er, während wir unter ihm graben, auf uns und erdrückt uns. Nein, wenn sich die Voraussetzung meines roten Bruders als richtig erweist, so müssen wir ihn stehen lassen, werden uns aber unter ihm hinweg- und hinausgraben. Machen wir zunächst eine Probe!«

Wir schafften die Matten und den Teppich nach dem hintern Teile der Spalte und begannen zu graben. Dazu konnten wir nur die Hände und die Messer nehmen, da wir keine andern Werkzeuge hatten. Natürlich begannen wir die Arbeit vorn am Eingange, gleich hinter dem Steine. Zu unserer Freude fanden wir grobkörnigen Sand, der mit Steingeröll untermischt war. Wir warfen ihn nach dem Hintergrunde der Spalte.

Selbstverständlich mußten wir dabei sehr vorsichtig verfahren, damit kein verräterisches Geräusch nach außen dringen könnte. Darum förderten wir die Arbeit nicht gut, was uns aber keinesweges mißmutig machte, denn wir hatten Zeit. Es war jetzt eine Stunde nach Mittag, und die Mine, welche wir gruben, durfte erst dann das Freie erreichen, wenn es dunkel geworden war.

Licht zur Arbeit hatten wir genug, denn der Stein verschloß nur den untern Teil der Spalte, und ließ den obern offen; letzterer aber war eben leider so eng, daß sich höchstens ein Kind mit großer Mühe hätte durchzwingen können.

Je tiefer wir kamen, desto wahrscheinlicher wurde es, daß die Wände unserer Mine einstürzen würden; der Sand rollte nach. Zum Glück hatten wir den Teppich und die Matten, welche wir vorstopften; die Gewehre mußten als Stützen dienen.

Wir mochten über eine Elle tief gekommen sein, da hörten wir draußen eine Stimme rufen:

»Kara Ben Nemsi mag herbeikommen. Ich habe mit ihm zu sprechen!«

Es war die Stimme des Scheikes.

»Wirst du seinem Rufe folgen?« fragte Emery.

»Ja.«

»Ich würde es nicht thun, weil der Halunke nicht wert ist, daß er einen Hauch von uns hört.«

»Das mag sein; aber das, was ich gern von ihm erfahren werde, kann von großem Werte für uns sein.«

»Kara Ben Nemsi!« rief der Scheik wieder.

Er kannte also unsere Namen.

»Hier bin ich,« antwortete ich. »Der Stein ist umgefallen. Warum zögert ihr, ihn fortzuschaffen! Ihr wißt doch, daß wir rasch weiter müssen!«

Ich that, als ob ich nur an einen kleinen Zufall glaubte. Er lachte laut auf und sagte:

»Er ist nicht umgefallen, sondern wir haben ihn umgestürzt.«

»Umgestürzt? Warum habt ihr das gethan?«

»Warum? Das errätst du nicht? Der Kolarasi warnte mich noch vor seinem Wegreiten ganz besonders vor dir. Er sagte, man habe sich vor dir mehr als vor dem Teufel in acht zu nehmen, denn deine List sei noch größer, als deine Gewaltthätigkeit. Und nun errätst du nicht einmal, warum wir den Stein umgeworfen haben!«

»Wie soll ich das erraten? Sage es!«

Ich sagte so, um ihm eine geringe Meinung von unserm Scharfsinn beizubringen. Je weniger er uns zutraute, destoweniger möglich hielt er unsere Selbstbefreiung und destoweniger Sorgsamkeit wurde also sehr wahrscheinlich auf unsere Bewachung verwendet.

»Weißt du eigentlich, wo du dich befindest?«

»Natürlich in einem Hirtenlager der Meidscheri.«

»Die Meidscheri mag Allah verdammen! Wir gehören zu den Uled Ayun.«

»Allah w‘Allah! So hast du uns wohl betrogen?«

»Ueberlistet haben wir euch! Ist es wahr, daß du ein Giaur bist?«

»Ich bin ein Christ.«

»Und deine Begleiter sind auch keine Anhänger des Propheten?«

»Nein.«

»Seid verflucht, ihr Hundesöhne! Ihr werdet in der Hölle auf brennenden Pferden reiten. Der Kolarasi sagte uns, daß ihr unsern obersten Scheik und seine Begleiter ergriffen habt. Der Herr der Heerscharen hat zwei Boten an die Uled Ayuns gesandt, um ein Blutgeld zu fordern, dessen Höhe nur dem Gehirne eines Wahnsinnigen entspringen kann, und dieser verrückte Hund bist du! Ist das wahr?«

»Ja,« antwortete ich naiver Weise. »Der Kolarasi hat die Wahrheit gesagt. Rufe ihn her! Ich möchte mit ihm reden.«

»Er ist fort.«

»So rufe seinen Begleiter!«

»Auch der ist fort. Beide haben sich nur so lange hier aufgehalten, als notwendig war, uns über das Geschehene und über euch zu unterrichten. Die beiden Boten des Herrn der Heerscharen sind leider nicht zu uns gekommen, sondern zu einer andern Ferkah unsers Stammes geritten. Ich habe dorthin geschickt, um sie holen zu lassen, und bin dann ausgeritten, um euch aufzulauern und in die Spalte zu locken. Jetzt seid ihr in unserer Gewalt und werdet nur dann freikommen, wenn ihr meine Bedingungen erfüllt.«

»Welche sind das?«

»Das sage ich dir jetzt noch nicht. Ihr werdet es erst dann erfahren, wenn meine Abgesandten mit den beiden Boten des Herrn der Heerscharen hier angekommen sind. Ich habe dem Kolarasi versprochen, euch alle drei zu töten; das sollte ich unbedingt thun, denn ihr seid ungläubige Hunde und habt nicht nur unsere Krieger ergriffen, sondern sogar unsern Scheik schlagen lassen; dennoch bin ich bereit, euch in allzu großer Nachsicht das Leben und sogar die Freiheit zu schenken, wenn ihr das thut, was ich von euch verlangen werde. Thut ihr es aber nicht, so möget ihr hier stecken bleiben, um Hungers zu sterben, und alle neunundneunzig Millionen Teufel werden sich in eure Seelen teilen!«

Ich hörte, daß er sich entfernte. Ob ein Wachtposten draußen stand, konnte ich nicht sagen. Ich lauschte angestrengt und hörte wohl die verschiedenen Töne und Geräusche des Lagers, konnte aber nicht das mindeste vernehmen oder bemerken, woraus ich hätte schließen können, daß sich draußen hart an der Spalte ein Mensch befand.

Ueber das, was wir jetzt vom Scheik gehört hatten, wurde kein Wort verloren. Wir arbeiteten weiter. Ein großer, mehrere Zentner schwerer Stein, welcher mit im Sande steckte, machte uns viel zu schaffen. Wir mußten ihn heben, und der feine Schutt, auf welchem wir dabei standen, bot keinen Halt dazu; er rutschte immer nach. Wir hatten wohl einige Stunden damit zu thun, bis wir auf den Gedanken kamen, ihn gar nicht zu heben, sondern auf die Seite zu schaffen, wo er uns zugleich den Vorteil eines Haltes für die lockern Sandmassen bot. Wir waren noch nicht damit fertig, als draußen mein Name wieder gerufen wurde. Ich fragte, wer da sei.

»Der Scheik,« wurde geantwortet. »Die Boten des Herrn der Heerscharen sind hier angekommen, und nun sollt ihr meine Bedingungen erfahren. Ich wiederhole dir: Wenn ihr sie nicht erfüllt, kann euch nichts vom Tode des Verhungerns und Verdurstens retten!«

23Haus des Besuches.
24Zimmer, Stube.
25Unterabteilung.