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Satan und Ischariot II

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»So teile sie mir mit!«

»Wir haben euch gefangen, um Geißeln zu haben. Was unserm gefangenen Scheik und seinen Kriegern bei den Ayars geschieht, das wird auch euch bei uns geschehen. Tötet man sie, so müßt auch ihr sterben.«

»Man wird sie nicht töten, wenn sie den Blutpreis zahlen.«

»Den bezahlen sie nicht! Wir werden euch gegen sie auswechseln.«

»Darauf gehen die Uled Ayars nicht ein.«

»Desto schlimmer für dich! Du hast sie den Ayars ausgeliefert. Sterben sie, so —sterbet auch ihr. Du gehörst zu den fremden Giaurs, welche stets Papier bei sich haben. Hast du welches mit?«

»Ja.«

»Kannst du schreiben?«

»Ja.«

»So sollst du einen Brief an den Herrn der Heerscharen schreiben, aber wir haben weder Kalem[26] noch Hibr[27] hier.«

»Beides ist nicht notwendig, denn ich habe ein Kalem reßas[28] bei mir. Was soll ich ihm schreiben?«

»Daß ihr bei uns gefangen seid, und für das Leben unsers obersten Scheikes und seiner Begleiter haftet. Du verlangst, daß diese freigegeben werden.«

»Und was bietest du mir dafür?«

»Euer Leben.«

»Weiter nichts? Die Freiheit nicht?«

»Versprechen kann ich sie euch meinerseits; aber was unser Oberscheik thun wird, das ist eine andere Sache. Ihr habt ihn peitschen lassen. Das ist schlimmer als der Tod. Er wird eine schwere Sühne verlangen, wahrscheinlich euer Leben!«

»Und dennoch versprichst du uns das Leben!«

»Ich verspreche es und werde mein Wort halten, indem ich euch nicht töte. Ich verspreche euch auch die Freiheit, und ich sage die Wahrheit, denn ich werde euch aus der Spalte herauslassen. Dann hat der oberste Scheik über euch zu entscheiden.«

»Der hat gar nicht zu entscheiden und wird auch nichts entscheiden; denn um über uns entscheiden zu können, müßte er frei und hier sein, und dies könnte er nur dann, wenn auch wir frei wären. Der Herr der Heerscharen gibt keinen von euern Leuten frei, wenn nicht auch wir die volle Freiheit erlangen.«

Es dauerte eine Weile, ehe der Mann draußen weitersprach; dann sagte er:

»Ist es wahr, daß du zwei Zaubergewehre bei dir hast, von denen das eine schießt, so oft du willst, tausend Kugeln und noch mehr, ohne daß du zu laden brauchst?«

»Ja.«

»Und das andere schießt soweit du willst, mehrere Tagereisen weit, und verfehlt niemals sein Ziel?«

»Ja. Auch die Kugeln aus dem ersteren treffen stets dahin, wohin ich will.«

»Auch habt ihr kleine Pistolen, welche, wenn sie geladen sind, gedreht werden und dann sechsmal hintereinander schießen?«

»Auch das ist wahr. Wer hat dir denn davon erzählt?«

»Die Boten des Herrn der Heerscharen, die ich vorhin nach ihrer Ankunft gleich nach euch ausgefragt habe. Du wirst mir die kleinen Pistolen herausgeben und deine beiden Zaubergewehre. Ueber dem Steine, welcher vor der Spalte liegt, ist Oeffnung genug. Lange die Gewehre dort heraus!«

»Das werde ich nicht. Wenn du die Waffen wünschest, so laß den Stein entfernen, und komm herein! Dann können wir den Handel weiterbesprechen.«

»Wenn du dich weigerst, werde ich dich zwingen!«

»Thue das! Indem du uns so verräterisch hier eingesperrt hast, hast du dir selbst die Macht und die Gelegenheit genommen, uns zwingen zu können.«

Wieder schwieg er eine ganze Weile, wenigstens gegen mich, denn ich hörte ein leises Geflüster. Er besprach sich mit seinen Leuten. Dann erklang seine Stimme abermals laut:

»Ich habe den Boten des Herrn der Heerscharen erlaubt, zu ihm zurückzukehren. Du willst den Brief schreiben?«

»Ja.«

»So werde ich ihn dir diktieren.«

»Ich habe nichts dagegen, doch muß ich mich vorher überzeugen, daß die Leute wirklich hier sind.«

»Ich gebe dir mein Wort, daß sie da sind!«

»Ich glaube nicht dir, sondern meinen Augen. Du hast uns bei unserer Ankunft die Unwahrheit gesagt, und wer mich einmal belogen hat, dem glaube ich niemals wieder.«

»Hund, du beleidigst mich!«

»Ich sage, was ich denke. Ist dir das nicht recht, so bedenke, daß auch du gethan hast, was uns nicht recht war!«

»Du hast aber zu schreiben, ohne daß du sie siehst. Ich verlange es!«

»Verlange es immerhin! Ich habe nichts dagegen!«

»Allah durchbohre dich! Du bist ein Hund, der nie gehorcht, sondern stets nur seinen eigenen Willen thut! Kannst du denn die Leute sehen, wenn sie hier stehen?«

»Ja. Da linker Hand von mir steht der Stein ein klein wenig vom Felsen ab; ich kann hindurchblicken und werde jeden sehen, der sich auf diese Seite stellt.«

»So holt die Schurken; er mag sie sehen!«

Nach diesem Befehle hörte ich Schritte, welche sich entfernten. Die beiden Boten wurden gebracht, und einer nach dem andern auf die angegebene Stelle gestellt. Ich sah sie; sie waren es wirklich.

»Hast du sie erkannt?« fragte der Scheik.

»Ja.«

»Du siehst also, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Wenn du mich noch einmal einen Lügner nennst, werde ich dich dafür peitschen lassen, bis dir das Blut von allen Gliedern tropft!«

»Und dennoch bist du einer! Du hast gesagt, der Kolarasi sei mit seinem Begleiter gleich wieder fort, und doch sind sie noch hier.«

»Sie sind fort!«

»Möchte wissen, wohin! Ich weiß doch ganz genau, daß sie nur hierher wollten, um sich in den Schutz der Uled Ayun zu begeben.«

»Das ist nicht wahr. Sie wollten weiter. Was ich sage, ist richtig! Habe ich ihnen doch einen Führer mit- mitgegeben, den besten Kenner der Gegend zwischen hier und dem Meere, der sie sicher nach Hammamet bringen wird. Willst du nun schreiben?«

»Ja.«

»So schafft die beiden Halunken wieder fort!«

Ich hatte meinen Zweck erreicht; ich wußte nun nicht nur, daß die beiden Meltons nicht mehr hier waren, sondern auch wohin sie sich gewendet hatten. Die Boten wurden fortgeführt, und dann diktierte mir der Scheik das Schreiben.

Es war eine eigenartige, beinahe lächerliche Lage. Draußen stand der Beduine, welcher nicht schreiben und wohl auch kaum lesen konnte, und ich mußte oder sollte vielleicht nachschreiben, was er mir vorsagte. Er stellte Bedingungen, welche gar nicht zu erfüllen waren. Seine Absicht ging darauf hinaus, von der Auszahlung des Blutpreises loszukommen und die Freiheit der vierzehn gefangenen Ayuns zu erhalten, ohne aber verbunden zu sein, uns das Leben zu schenken.

Ich schrieb, um ihn nicht belügen zu müssen, alles nach, auf die eine Seite des Blattes, welches ich aus dem Notizbuche gerissen hatte. Während der Pausen aber, in denen er sich besann, teilte ich auf der andern Seite dem Herrn der Heerscharen das Geschehene mit und bat ihn, sich gar nicht um uns zu bekümmern, da wir schon in der nächsten Nacht wieder frei und auf dem Wege nach Hammamet sein würden.

»Nun, bist du fertig?« fragte er dann.

»Ja.«

»So gieb den Brief heraus!«

Ich schob das Blatt durch die Lücke, durch die ich vorhin geblickt hatte. Es entstand eine Pause. Er sah es an, und sagte dann in einem Tone, dem man die Verwunderung anhörte:

»Was ist denn das? Das kann man ja gar nicht lesen!«

»Der Herr der Heerscharen kann es ganz gut lesen,« antwortete ich.

Ich hatte nämlich deutsch geschrieben und auch das Diktat in deutsche Sprache übersetzt. Er schien das Blatt andern zu zeigen, denn ich hörte wieder flüstern, und es dauerte längere Zeit, ehe er mich fragte:

»Was ist denn das? Das sind ja ganz fremde Schriftzüge!«

»Es ist die Schrift, welche in meiner Heimat gebräuchlich ist.«

»Aber kann denn der Herr der Heerscharen die fremde Schrift lesen?«

»Ja.«

»Gut! Wenn er es nicht lesen kann, ist es dein eigener Schaden. Seine Boten mögen es ihm bringen; sie mögen ihm auch sagen, wohin er seine Antwort zu senden hat, denn wir bleiben hier nicht halten, sondern ziehen morgen weiter. Bis ich seine Antwort habe, werdet ihr weder zu essen noch zu trinken bekommen, damit eure Sehnsucht nach ihm um so größer werde.«

Er entfernte sich mit denen, die bei ihm gestanden hatten, und nun schob ich mich wie ein Schornsteinfeger so hoch wie möglich in der Spalte in die Höhe, um einmal hinauszublicken.

Da, wo der vorliegende Stein oben zu Ende ging, war der Spalt kaum einen Fuß breit, doch bemerkte ich gerade dort einen kleinen Riß in dem Gestein. Ich fuhr mit dem Messer in denselben und brach das Stück heraus. Nun konnte ich den Kopf gerade soweit vorschieben, daß ich hinaus- und an dem Steine herunterblicken konnte.

Es stand kein Posten draußen. Man hielt den schweren Stein für einen mehr als hinreichenden Wächter, ein Umstand, über den wir uns nur freuen durften. Ich konnte die ganze Breite des Thales überblicken, und auch nach links hinauf- und nach rechts im Wadi hinabsehen. Es waren weit mehr Menschen da, als wo wir gekommen waren. Jedenfalls hatten sie sich bei unserer Ankunft versteckt gehalten, um uns so vertrauensselig wie möglich zu machen. Der Scheik stand links bei den Boten Krüger-Beis. Ich sah, daß er ihnen den Brief gab; dann stiegen sie auf ihre Tiere und ritten davon. Ob sich das, was ich geschrieben hatte, nämlich meine Hoffnung, noch in der folgenden Nacht frei zu sein, auch erfüllen würde?

 

Nie vergeht die Zeit schneller als dann, wenn man sie am nötigsten hat. Die Sonne hatte sich schon hinter dem hohen, westlichen Ufer des Wadi niedergesenkt, und bald hörten wir draußen das Gebet der Dämmerung erschallen. Dann kam das Abendgebet. Der Mond ging auf, doch drang sein Schein nicht in unser schönes »Haus des Besuches«. Ich kletterte wieder empor und sah hinaus. Kein Feuer brannte, denn der Mond leuchtete hell genug. Am Steine stand noch immer keine Wache. Man vertraute vollständig seinem schweren Gewichte. Wir arbeiteten und gruben im Dunkeln. Da wir nichts sehen konnten, mußten wir uns ganz allein auf den Tastsinn verlassen. Winnetou machte den Vormann. Er scharrte den Sand los, und warf ihn dem hinter ihm in der Grube stehenden Emery zu, welcher ihn wieder mir zuschob, der ich ihn hinauf auf den Fußboden der Spalte zu werfen hatte. Denn wir standen jetzt viel tiefer, als der letztere lag. Das Loch führte zwei Ellen gerade ab- abwärts, und dann wenigstens drei Ellen wagerecht weiter. Winnetou befand sich jedenfalls schon unter dem Steine und hatte dann, um das Freie zu erreichen, wieder aufwärts zu graben. Es war gegen Mitternacht; in einer Stunde konnten wir fertig sein.

Da hörte ich vor mir ein dumpfes Geräusch.

»Emery!« rief ich.

»Ja. Was?« antwortete er.

»Was macht Winnetou?«

»Er ruht aus; es kommt kein Sand mehr von ihm zu mir.«

»Um Gottes willen, greif nach ihm!«

Ein kurzer und doch banger Augenblick verging, dann schrie Emery förmlich auf:

»Er ist verschüttet!«

»Himmel! Ganz?«

»Nein; ich habe die Beine. Bleib stehen! Verdränge mich nicht! Es ist kein Platz dazu.«

Ich hatte ihn beiseite schieben wollen.

»Mach schnell, sonst erstickt er!« drängte ich in höchster Angst.

Indern ich meine Hände auf seinen Rücken legte, fühlte ich, daß er mit Aufbietung aller seiner Kräfte nach vorn arbeitete. »Cheer up!« rief er dann. »Jetzt hat er Luft! Er lebt! Winnetou, alter guter Junge, wie geht‘s?«

Da hörte ich zu meinem höchsten Entzücken die Stimme des Apatschen:

»Es war die höchste Zeit; ich stand schon am Ersticken. Die Decke fiel ein und drückte mich nieder; ich konnte nicht einmal rufen.«

Er pustete, nieste und entfernte den Sand, der ihm in Mund, Nase und Augen gedrungen war. Dann fügte er hinzu:

»Nun fangen wir wieder von vorne an! Meine Brüder mögen doppelt schnell arbeiten, denn wir würden nun kaum bis zum Anbruche des Tages fertig werden.«

»Ist gar soviel eingestürzt?« fragte ich.

»Ja.«

»So komm hinter! Du hast dich zu sehr angestrengt. Ich will nach vorn.«

»Nein,« sträubte sich Emery. »So wie wir stehen, so wechseln wir ab. Ich geh jetzt nach vorn. Winnetou muß nach hinten.«

Der Apatsche wollte nicht, mußte uns aber den Willen thun. Leider waren wir durch den Einbruch der Decke sehr weit zurückgekommen. Es galt, das, was wir vorher weggeräumt und befestigt hatten, nochmals wegzuräumen und zu befestigen. Winnetou hatte recht: Es war nun nicht mehr daran zu denken, noch während der Nacht fertig zu werden. Und nur wenn kein fernerer Unfall eintrat, konnten wir hoffen, mit Tagesanbruch die Oberfläche draußen zu erreichen. Daß dann das Entkommen weit schwerer und gefährlicher war, verstand sich ganz von selbst. Und falls wir nicht fertig wurden, zogen die Uled Ayun mit uns fort, sahen das Loch, welches wir gegraben hatten, und sorgten ganz gewiß dafür, daß uns ein Fluchtversuch nicht wieder so leicht gemacht wurde.

Wir arbeiteten, als ob das Leben davon abhinge, was eigentlich wohl auch der Fall war. Später löste ich Emery ab, sodaß nun ich den Vordersten machte. Winnetou befand sich in der Mitte. Wir dachten nicht an die Zeit, ob es noch früh oder schon spät sei; wir kratzten, scharrten und gruben ohne Unterlaß weiter und weiter. Ich bohrte mich schon seit einiger Zeit nach oben, indem ich vorn am Ende des wagerechten Ganges, den wir gegraben hatten, kniete. Da erhielt ich plötzlich einen schweren Schlag auf den Hinterkopf und einen ebensolchen auf die rechte Schulter. Eine schwere Last drückte mich von hinten nach vorn, mit der Brust in den festen Sand, sodaß ich fast nicht atmen konnte. Atmen? War denn überhaupt Luft da? Ich hatte das Gefühl, als ob ich mich in einem luftleeren Raume befände. Die eine Hand mühsam nach hinten drängend, fühlte ich dort nicht den offenen Gang, sondern etwas Hartes; der Gang war verschlossen, die Decke wieder eingestürzt, und zwar hinter mir. Ich konnte weder vor- noch rückwärts.

»Winnetou!« rief ich.

Es klang eigentümlich dumpf. Keine Antwort war zu hören.

»Emery?«

Derselbe resonanzlose Ton, und wieder keine Antwort! Von den beiden Gefährten war keine Hilfe zu erwarten. Ehe sie das Hindernis zu beseitigen vermochten, mußte ich erstickt sein. Nur nach oben konnte ich Rettung finden. Luft, Luft, Luft! Ich grub und kratzte; ich scharrte und bohrte mit beiden Händen. Ich achtete nicht darauf, daß der Sand, den ich loslöste, mir Mund, Augen, Nase und Ohren verstopfte. Weiter, immer weiter, gerade hinauf in entsetzlicher, fieberhafter, fast wahnwitziger Hast, und da, da – – ah, frische, freie Luft in die leere Lunge! Ich sog und sog sie ein; ich atmete mit Wonne, wischte mir den Sand aus den Augen und sah einen bleichen Himmel über mir, von welchem die letzten Sterne eben im Begriff standen, zu verschwinden. Ich hatte mich durch- und an die Oberfläche der Erde gearbeitet! Die Ellbogen hüben und drüben einstemmen und mich ernporschwingen, war das Werk eines Augenblickes.

Jetzt sah ich, was mich in Gefahr gebracht hatte, in eine Gefahr, welche weit, weit größer war, als ich gewußt hatte. Wäre ich nur wenige Zoll weiter zurückgewesen, so wäre ich zerquetscht, vollständig zermalmt worden – nämlich der schwere Stein war eingesunken; der von uns durchbohrte Sand, auf welchem er stand, hatte ihn nicht mehr halten können und war zusammengebrochen. Wohl zwei Ellen tief steckte der Stein in dem Boden; er war nicht gerade, sondern schief in demselben eingesunken, und infolgedessen hatte er – ich hätte laut aufjubeln mögen! – – hatte er die Felsenspalte soweit freigegeben, daß ich hineinschlüpfen und zu meinen Gefährten konnte.

Meine Gefährten! Himmel! An diese hatte ich jetzt gar nicht gedacht, sondern nur an mich allein! Wie stand es mit ihnen? Lebten sie noch, oder lag einer von ihnen unter dem Steine? Ich eilte in die Spalte und lauschte einen Augenblick. Da hörte ich zu meiner großen Freude unter mir die dumpfklingende Frage des Englishman:

»Also kein Sand?«

»Nein, sondern Felsen,« antwortete der Apatsche ebenso dumpf.

»Es war aber doch vorher Sand da, durch den er sich gearbeitet hatte!«

»Ja. Es ist der Stein, der von oben herabgebrochen ist.«

»Himmel! So ist er zermalmt worden!«

»Zermalmt oder erstickt! Winnetou würde sein Leben geben, um seinen Bruder zu retten, aber kein Mensch kann durch diesen Stein! Die Sonne des Apatschen ist untergegangen im fernen Lande, und seine Sterne verlöschen in – —«

»Verlöschen in dem Lichte des Tages, welcher hier oben aufgehen will!« fuhr ich an seiner Stelle fort, indem ich mich niederbückte, um da unten gehört und verstanden zu werden.

»Scharlieh!« rief, nein, brüllte er förmlich.

»Winnetou!«

»Er lebt, er lebt, er ist da oben!«

»Ja, er lebt! Hinauf zu ihm!« stimmte Emery bei.

Im nächsten Augenblicke sah ich beim ersten Schimmer des Tages, welcher in die Spalte fiel, die beiden aus der Tiefe tauchen. Winnetou nahm mich von vorn, Ernery von hinten; ich wurde hin und her gezogen und gedrückt, daß es mir fast noch banger wurde als vorhin, wo mir unter der Erde die Luft ausgehen wollte.

»Scharlieh, mein Bruder!« die drei Worte nur sagte der Apatsche; aber der Ton, in welchem er sie aussprach, galt mir mehr als die allerlängste Rede. Emery machte mehr Worte, meinte es aber nicht weniger herzlich.

»Wo kommst du aber her?« fragte er endlich, nachdem er sich beruhigt hatte. »Wir hielten dich für verloren, erstickt da unten im Sande, und nun bist du hier oben!«

»Ich habe mich hindurchgearbeitet. Steigt heraus, und seht, wie es gekommen ist!«

Sie bemerkten erst jetzt, daß das Licht des Tages durch die Spalte drang, und folgten mir hinaus.

»Die Höhle ist offen!« meinte Emery, indem er jetzt viel leiser sprach als vorher, denn nun wir uns nicht mehr in der Spalte und unter der Erde befanden, galt es, vorsichtiger zu sein. »Ach, gerade das, was dich scheinbar in Gefahr brachte, hat uns freigemacht. Wir sind gerettet!«

»Gerettet!« nickte der Apatsche, der mich noch immer bei der Hand hielt. »Meine Brüder mögen mit mir kommen und ihre Gewehre holen!«

Dies thaten wir, und dann erst nahmen wir uns die Zeit, das Wadi zu überblicken. Was waren die Uled Ayun doch für Menschen! Sie hatten drei so gefährliche Gefangene, wie wir waren, und dennoch schliefen sie alle; kein einziger Posten oder Wächter war zu sehen.

Links sahen wir die Reitkamele, und in dem Lanzenpferche lagen die Pferde, die ich am Tage so bewundert hatte. Die Menschen lagen einzeln oder in kleinen Gruppen zwischen den Schafen und andern Weidetieren, welche entweder auch schliefen, oder dumm in den beginnenden Tag hineinstierten.

»Pferde oder Kamele?« fragte mich Winnetou.

»Pferde,« antwortete ich. »Kommt hinter mir her!«

Ich legte mich auf den Boden nieder und kroch auf die Pferde zu; die beiden andern folgten mir. In der Nähe des Pferches angekommen, hielt ich an und flüsterte ihnen zu:

»Wartet hier, bis ich euch winke. Wir drei zugleich würden die Tiere unruhig machen; wir dürfen sie nicht schnauben lassen.«

Ich sah mich noch einmal vorsichtig um. Kein Schläfer hatte sich erhoben; niemand war aufgewacht. Rechts von mir, dreißig Schritte entfernt, stand ein Zelt, in dem der tiefste Schlaf wohnte. Geradeaus lag ein zweites in noch größerer Entfernung, dann weiterhin ein drittes.

Weiterkriechen durfte ich nicht, um die Pferde nicht aufzuregen; ich mußte es vielmehr wagen, mich zu erheben und aufrecht zu ihnen zu treten; das that ich denn auch, indem ich mich ihnen langsam und wie ein Bekannter näherte.

Nun kam die Hauptsache. Jedes edle arabische Pferd hat ein sogenanntes Geheimnis, und jeder Besitzer eines solchen Tieres pflegt es durch eine sich täglich wieder- wiederholenden Eigentümlichkeit an sich zu gewöhnen. Meist besteht sie darin, daß man dem Tiere einen Teil irgend einer Sure in die Ohren flüstert. Und da man selten eine Sure betet, ohne vorher die Fathha zu beten, so trat ich zwischen die beiden mir nächsten Pferde, liebkoste sie durch Streichen der Mähne und begann, halblaut die Fathha herzusagen. Die Pferde, und nicht nur die beiden allein, spitzten die Ohren und ließen kein Zeichen der Unruhe hören oder sehen.

Ich suchte die drei besten aus und sattelte sie, eins nach dem andern, was weit über eine halbe Stunde in Anspruch nahm. Nun galt es, sich mit Wasser und irgendwelchem Proviante zu versehen. Ich sah mich um. In dem Augenblicke trat ein Beduine aus dem dritterwähnten Zelte, blickte gegen Osten, breitete seine Arme aus und rief mit lauter Stimme:

»Allah ill Allah! Auf, ihr Gläubigen, zum Gebete des Morgens, denn El Isfirar, der gelbe Schimmer des Tages, ist erschienen!«

Im Nu wurde es im Lager lebendig. Die Schläfer erhoben sich. Da durfte keine Minute, keine Sekunde, kein Augenblick verloren werden. Ich zerschnitt einige Palmenfaserstricke des Pferches, um einen Ausgang zu verschaffen, und schwang mich in einen Sattel; im nächsten Momente saßen Winnetou und Emery auf den beiden andern Pferden. Wir jagten, ohne einen Laut, einen Ruf hören zu lassen, davon, das Wadi empor.

Alle Beduinen, die sich erst jetzt den Schlaf aus den Augen gerieben hatten, standen starr vor Schreck. Selbst denen, an welchen wir vorüber mußten, fiel es nicht ein, sich uns entgegenzustellen. Dann aber brach ein wahrer Höllenskandal hinter uns los. Wir hörten alle Ausrufe des Schreckes und des Entsetzens, welche die arabische

Sprache besitzt, aber gar nicht lange Zeit, denn unsere edlen Rosse fegten mit der Geschwindigkeit von Pfeilen mit uns dahin, sodaß der Lärm nach einer Minute schon für uns verklungen war. Sobald das steile Ostufer des Wadi uns eine dazu geeignete Stelle bot, ritten wir hinauf und trieben unsere Pferde zu noch größerer Eile an, um, wenn die Verfolger die Stelle erreichten, schon so fern zu sein, daß sie uns nicht erkennen konnten.

Wer noch nie auf einem solchen Pferde saß, und das wird wohl bei den meisten Menschen der Fall sein, der hat keine Ahnung von der Schnelligkeit eines echten und in der freien Wüste oder Steppe aufgewachsenen arabischen Rosses. Man sage, was man wolle, ich behaupte doch immer und immer wieder, es kommt ihm keines unserer berühmtesten Rennpferde gleich. Wir ritten nebeneinander und saßen dabei so ruhig und gleich im Sattel, daß wir eine Uebung im Schönschreiben hätten vornehmen können, ohne einen einzigen falschen Strich zu thun. Das Gesicht des Apatschen glänzte vor Entzücken.

 

»Scharlieh,« rief er mir zu, »denkst du an deinen Hatatitla[29]

»Und du an deinen Iltschi[30]?« nickte ich.

Das waren die beiden Indianerhengste, welche wir drüben in der Savanne geritten hatten, die zwei vortrefflichsten Pferde, die mir drüben vor die Augen und unter die Hände gekommen waren, und dennoch jauchzte er:

»Hundert solche Hatatitla und hundert solche Iltschi für ein einziges von den Pferden, die wir jetzt reiten. Selbst der große Manitou reitet in den ewigen Jagdgründen kein besseres!«

Die berühmten Ruinen von El Khima flogen rechts an uns vorüber. Als unser Flug eine Stunde gewährt hatte, ritten wir langsamer, und doch war keine Spur von Schaum an den Mäulern und kein Tropfen Schweiß an den schönen Gliedern unserer Pferde zu sehen. Wir mußten ihre Kräfte schonen.

Nach einer halben Stunde sah Winnetou sich wieder um und rief:

»Zwei Reiter hinter uns. Das sind Verfolger!«

Ich hielt an und sah zurück. Die Reiter waren weit zurück; der eine hatte einen bedeutenden Vorsprung vor dem andern; beide aber ritten mit ungeheurer Schnelligkeit; ja, es waren Verfolger!

»Wieder Galopp!« sagte ich. »Wir müssen soviel Zeit gewinnen, daß die beiden noch weiter auseinanderkommen.«

Nun fegten wir wieder wie vorher dahin. Ich erkannte bald, daß ich wirklich die drei besten Pferde ausgewählt hatte, die Verfolger kamen uns nur sehr langsam näher, obgleich sie gewiß alle Kräfte ihrer Pferde anstrengten, was wir nicht thaten. Der eine, welcher zurückgeblieben war, zeigte wohl kaum eine größere Schnelligkeit, als wir; von dem andern aber war zu berechnen, daß er uns in einer halben Stunde eingeholt haben würde. Jetzt tauchte am äußersten Horizonte hinter uns noch ein dritter auf. Sie waren uns nicht gefährlich. Wir waren unser drei, und gern hätte es ein einzelner von uns mit zehn und noch mehr von den zerteilt reitenden Leuten aufgenommen.

Die halbe Stunde verging; das Terrain blieb dasselbe, eine sandige, zuweilen dünngrasige Ebene. Wir hielten es nicht für der Mühe wert, uns viel umzublicken. Die Kerls hätten sonst gar gedacht, daß wir uns vor ihnen fürchteten. Da aber hörten wir eine schreiende Stimme hinter uns, und nun war es Zeit, uns um den, welcher sich uns näherte, zu bekümmern. Wir hielten an.

Es war der Scheik, der uns eingesperrt hatte. Hoch in den Bügeln stehend, kam er auf uns zugejagt, schwang drohend die lange Steinschloßflinte und schrie:

»la lußuß, ia haramiia, afrasi, afrasi – ihr Räuber, ihr Diebe, meine Stuten, meine Stuten!«

Er war uns so nahe gekommen, daß es meines weittragenden Bärentöters gar nicht bedurfte; ich konnte ihn recht gut schon mit dem Stutzen erreichen und legte diesen auf ihn an. So groß sein Grimm war, als er den Lauf auf sich gerichtet sah, zügelte er sein Pferd, lenkte es zur Seite, schlug, immer langsamer werdend, einen Viertelkreis um uns, hielt dann an und schrie uns zu.

»Ihr habt meine besten Pferde gestohlen, meine Stuten, die mir höher als mein Leben stehen! Gebt sie her!«

»Komm her, und hole sie dir!« forderte ich ihn auf. »Blicke in den Lauf meines Zaubergewehres, welches, wie du selbst gesagt hast, mehr als tausend Kugeln schießt; dann werden wir erfahren, ob deine Stuten dir lieber sind, als dein Leben!«

Er folgte der Aufforderung doch nicht, sondern fuhr mich an:

»Warum habt ihr sie geraubt! Stehlen eure vornehmen Siziad[31] sich von andern Leuten Pferde?«

»Nein. Bei uns giebt es aber auch keinen Scheik, welcher Gastfreunde gefangen nimmt und ihnen ihre Kamele stiehlt.«

»Ihr sollt die eurigen haben. Kommt mit mir zurück; ich werde sie euch geben!«

»Du bist ein Lügner; wir glauben dir nicht.«

»Jil‘an daknak – verflucht sei dein Bart! Willst du mir die Pferde zurückgeben oder nicht?«

»Nein.«

»So ist deine letzte Stunde gekommen!« drohte er, indem er das Gewehr erhob.

Sofort saß ich wieder im Anschlage und antwortete:

»Sobald dein Kolben deine Wange berührt, sitzt meine Kugel in deinem Kopfe! Nieder mit der Flinte!«

Er gehorchte augenblicklich, rief mir aber, vor Wut bebend, zu:

»Du siehst aber doch ein, daß du die Pferde unmöglich behalten kannst!«

»Ich sehe im Gegenteile ein, daß ich sie sehr gut gebrauchen kann. Sie dienen uns dazu, die Zeitversäumnis einzuholen, welche wir durch dich erlitten haben. Du hast gewußt, daß wir den Kolarasi verfolgten. Daß du geglaubt hast, uns gefangen halten zu können, verzeihen wir dir gern, denn der Falke achtet nicht der Fliege, welche ihm die Schwingen abbeißen will. Ihr seid die größten Tenabil[32], die mir jemals vorgekommen sind, und Hunderten von euch gelingt es nicht, es mit einem einzigen tapfern Giaur aufzunehmen. Aber wir haben durch deinen Verrat zwanzig wertvolle Stunden verloren und brauchen also die drei Stuten, um die Versäumnis wieder einzubringen. Schon als du mir den Brief diktiertest, wußten wir, daß wir jetzt frei sein würden; ich habe es dem Herrn der Heerscharen geschrieben.«

»Das hast du ihm geschrieben! Nicht meine Forderungen?«

»Diese auch, aber nur, damit er über dieselben lachen soll.«

»So werden seine Boten nicht wiederkommen?«

»Nein; aber er selbst wird mit allen seinen Reitern kommen, um den Blutpreis einzutreiben und dich für die Missethat zu strafen, welche du an uns verübt hast.«

»Allah w‘Allah! Und ich habe deinen Bericht selbst fortgeschickt zu ihm!«

»Ja, das hast du. Du siehst also, mit welch großer Weisheit du von Allah begabt worden bist. Und nun mag es genug der Worte sein. Wir haben nicht Zeit, länger hier bei dir zu halten. Allah jekuhn ma‘ak – Allah sei mit dir!«

Ich that, als ob ich weiter wolle; da rief er aus:

»Halt! Nicht von der Stelle! Gieb meine Pferde heraus! Du siehst, daß ich nicht mehr allein hier bin!«

Sein zurückgebliebener Gefährte war nämlich auch herangekommen, hatte sich aber nicht an uns gewagt, sondern es vorgezogen, zu ihm hinzureiten und an seiner Seite halten zu bleiben. Auch der dritte, den wir am Horizonte gesehen hatten, näherte sich im Trabe, und hinter ihm tauchten noch einige andere auf.

»Sprich doch nicht so lächerlich!« antwortete ich. »Ich will gnädig mit dir sein, und dir zu deiner Beruhigung folgendes sagen: Die drei Kamele, welche du mit uns gefangen genommen hast, gehören dem Herrn der Heerscharen; du hast sie also nicht uns, sondern ihm genommen. Dafür werden wir ihm die drei Stuten bringen. Sprich dann mit ihm! Vielleicht ist er bereit, seine Kamele dafür wieder einzutauschen.«

»So sieh zu, ob du das ausführen kannst!«

Er legte sein Gewehr blitzschnell an und drückte auf mich ab; ich konnte ihm nicht mit einer Kugel zuvorkommen, riß mein Pferd empor und trieb es, eben als der Schuß krachte, in einer weiten Lançade zur Seite; die Kugel ging fehl. Nun wollte ich auf ihn los, doch war Winnetou mir da schon zuvorgekommen. Der kühne Apatsche hielt es gar nicht für nötig, sich dabei einer Waffe zu bedienen; er schoß von der Seite her auf den Scheik zu, trieb sein Pferd zum hohen Sprunge und ritt in unwiderstehlichem Anpralle Roß und Reiter über den Haufen, sodaß beide sich an der Erde wälzten; dann hielt er auf den andern Uled Ayun zu, riß ihm im Vorüberjagen die Flinte aus der Hand und zerschlug sie, sich vom Pferde niederbeugend, an dem Boden, daß sie in Stücke auseinanderflog.

»Fein gemacht, superfein!« rief Emery. »Nun aber weiter, damit wir von dem Ungeziefer loskommen.«

Wir folgten der Aufforderung, ohne auf das Geschrei hinter uns zu achten. Erst nach längerer Zeit sahen wir uns einmal um. Es waren jetzt fünf Verfolger beisammen. Wir waren nur im Trab geritten.

»Machen wir rascher,« meinte Emery, »sonst bekommen wir leicht eine Kugel von hinten! Oder willst du ihnen zeigen, wie weit ungefähr sie herankommen dürfen?«

»Sogleich,« antwortete ich, da die Frage an mich gerichtet war.

Ich blieb halten, bis die Verfolger auf Hörweite herangekommen waren, und rief ihnen dann zu:

»Zurück mit euch!«

»Drauf, drauf!« brüllte im Gegenteile der Scheik, seine Leute antreibend.

»Wagt es nicht! Wer nicht gehorcht, bezahlt es erst mit der Flinte, und dann mit dem Leben!«

Nun wußten sie es, und ich wendete wieder, um weiterzureiten. Nach einiger Zeit sah ich mich abermals um; sie mochten tausend Schritte hinter uns sein; der Scheik ritt voran, die Flinte quer vor sich über dem Sattel liegend; ein zweiter saß genau in derselben Stellung auf dem Pferde. Ich wollte niemand verwunden, und war doch meines jetzigen Pferdes nicht sicher; es hatte jedenfalls nicht gelernt, beim Schießen stillzustehen. Darum stieg ich ab, zielte und gab rasch hintereinander die beiden Schüsse des Bärentöters ab. Die Wirkung war diejenige, welche ich erwartet hatte: da die beiden Flinten vorn querüber gehalten worden waren, und die Kugeln genau auf die Läufe derselben trafen, so wurden dieselben den Reitern gegen die Leiber getrieben, und es gab einen so starken Stoß oder Schlag, daß die beiden Männer hintenüberflogen.

26Feder.
27Tinte.
28Bleistift.
29Blitz.
30Wind.
31Herren.
32Dummköpfe.