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Waldröschen IX. Erkämpftes Glück. Teil 2

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Šrift:Väiksem АаSuurem Aa

24. Kapitel

Wer an einen Gott, an eine Vorsehung glaubt, der wird sehr oft die Erfahrung machen, daß der Lenker der Ereignisse die Fäden derselben gerade dann zusammenzieht, wenn man es am allerwenigsten erwartet und wenn die Hoffnung darauf verschwinden will.

In Fort Guadeloupe ging es jetzt recht einsam zu. Die Komantschen hatten wiederholt recht beherzigenswerte Lehren erhalten, und infolgedessen hatten ihre Häuptlinge beschlossen, sich nicht mehr in die Angelegenheiten der Weißen zu mischen. So hatte das Fort nichts mehr von ihnen zu befürchten. Die Apachen hielten für Juarez die Grenzdistrikte besetzt, und die Jäger und kriegsfähigen Männer, die sonst im Fort verkehrt hatten, waren alle auch dem Zapoteken gefolgt. Darum also gab es kein Leben mehr im Fort, und die Langeweile war als böser Gast nun eingekehrt.

Es war am Spätnachmittag. Resedilla saß an dem Fenster der Schenkstube, wo sie ihren gewohnten Platz hatte, und strickte. Sie war etwas bleich geworden; aber diese Blässe gab ihr etwas ungemein Sanftes und Liebes. Der Grund ihres schönen Auges schien sich vertieft zu haben, und um ihre Lippen lag ein Zug stiller Ergebenheit und Resignation, der sie nicht so lebensfroh, aber fast noch schöner, noch weiblicher erscheinen ließ, als sie früher gewesen war.

An dem anderen Fenster saß Pirnero. Er hatte ein Buch in der Hand, aber er las nicht in demselben, sondern seine Augen schweiften dorthin, wo die Sonne sich dem Horizont näherte. Auch er hatte sich verändert. Es war fast, als ob sein Kopf kahler geworden sei. Seine Stirn lag in Falten, seine Lippen waren zusammengepreßt, und seine Augen blickten finster.

Es herrschte eine tiefe, unerquickliche Stille in der Stube, die keiner von den beiden unterbrechen zu wollen schien.

Endlich räusperte sich der Alte. »Hm!« machte er. »Miserables Wetter!«

Resedilla antwortete nicht.

»Ganz miserables Wetter!« wiederholte er nach einer Weile.

Sie antwortete jetzt ebensowenig wie vorher.

»Nun?« rief er da im zornigen Ton. – »Was, Vater?« fragte sie jetzt. – »Miserables Wetter!« – »Es ist ja ganz schön draußen!«

Da drehte er das Gesicht nach ihr herum, blickte sie so erstaunt an, als ob sie etwas ganz Unbegreifliches gesagt hätte, und fragte sie in pikiertem Ton:

»Wie? Was? Schön soll das sein?« – »Natürlich, Vater!« – »Wieso denn, he?« – »Nun, so blicke doch nur hinaus!« – »Das habe ich bereits den ganzen Tag getan; aber etwas Schönes sehe ich nicht. Da ist die Sonne, da sind Bäume und Sträucher, der Fluß, einige Häuser und Vögel, aber Menschen sehe ich nicht. Oder siehst du etwa welche?« – »Ja«, lächelte sie. – »Wo denn?« – »Nun, zunächst sind ja wir beide da.« – »Wir beide? Das ist auch was Rechtes!« – »Und sodann sehe ich gerade jetzt drüben die Lydia.« – »Die Lydia? Die alte Negerin, die dort Wäsche aufhängt? Wir zwei und die? Sind das etwa Menschen?« – »Ich denke doch!« – »Unsinn!« – »Nun, was verstehst du denn eigentlich unter Menschen?« – »Leute, die bei mir einkehren und einen Julep trinken oder im Laden irgend etwas kaufen, Leute, mit denen man sich unterhalten kann, Leute, mit denen man ein Geschäft macht.« – »Ah so! Dann hast du recht, dann allerdings gibt es hier bei uns keine Menschen mehr«, sagte sie, fast traurig. – »Ja, keine Menschen, keinen einzigen, nicht einmal einen Schwiegersohn.«

Pirnero blickte seine Tochter bei diesen Worten scharf an. Sie senkte das Gesicht, über das sich eine tiefe Röte verbreitete, aber sie antwortete nicht.

»Nun?« sagte er. – »Was?« fragte sie. – »Was sagst du zu diesem Wort?« – »Zu welchem?« erkundigte sie sich, obgleich sie ganz genau wußte, was er meinte. – »Zu dem Wort Schwiegersohn?« – »Rechnest du so einen auch zu den Menschen?« versuchte sie zu scherzen. – »Na und ob! Ein Schwiegersohn ist ein höchst bedeutungsvoller Mensch. Ohne ihn gibt es keinen Schwiegervater, keine Schwiegermutter und keine Schwiegertochter. Wo er fehlt, da gibt es weder Großvater noch Enkel, da gibt es weder Hochzeit noch Kindtaufe noch Patengeld. Eine solche armselige Geschichte mag der Teufel holen.«

Ein leiser Seufzer ertönte von Resedillas Platz her. Ihr Vater achtete gar nicht darauf und fuhr fort:

»Gerade so ist‘s bei uns.«

Er mochte jetzt eine Äußerung erwartet haben, denn er horchte nach Resedilla hin, da er aber nichts zu hören bekam, rief er:

»Nun?« – »Was?« – »Gerade so ist es bei uns.« – »Ja, Patenbriefe gibt es nicht, die sind alle geworden.« – »Dummes Ding! Rede ich denn von meinem Laden, in dem mir allerdings gerade die Patenbriefe ausgegangen sind? Ich rede ja von weiter niemandem als von dir. Ja. Und das merkst du nicht? Wo hast du denn deinen Verstand und deine Ohren, he? Und wer ist schuld daran?« – »An dem Verstand?« – »Den meine ich nicht, denn den hast du von mir; das kommt von dem Forterben vom Vater auf die Tochter. Ich meine vielmehr den Schwiegersohn. Was habe ich mir da für Mühe geben müssen. Weißt du es noch?« – »Ja«, antwortete sie, damit sich seine Laune nicht verschlimmere. – »Da war dieser Kleine André. Besinnst du dich auf ihn?« – »Ja.« – »Ein hübscher, niedlicher Kerl!« – »Hm!« – »Was hast du denn? Der Kerl paßte ganz gut. Er war Brauer und hatte ganze Beutel voll Nuggets. Dann kam der nächste.«

Sie fragte nicht, wen er meinte. Darum rief er zu ihr hinüber:

»Nun?« – »Was?« – »Der nächste. Weißt du, wer das war?« – »Nein.« – »Ja, so ist es! Unsereiner gibt sich die größte Mühe, um es zu einem Schwiegersohn zu bringen, und sie weiß nicht einmal, welche Anbeter sie gehabt hat. Den Amerikaner meine ich.« – »Welchen Amerikaner?« – »Nun, der auf dem Kanu den Fluß heraufkam.« – »Ah! Geierschnabel etwa?« – »Ja.« – »Pfui!« – »So? Ah! Was pfuist du denn? Er war ein berühmter Scout, und der Lord hatte ihn geschickt. Wegen der Nase hättest du keine Sorge zu haben gebraucht; die hätten nur deine Töchter bekommen, nicht aber deine Söhne. Das ist die Folge der Abstammung vom Vater auf die Tochter und von der Mutter auf den Sohn. Und dann kam der dritte.«

Sie senkte das Köpfchen noch tiefer als vorher.

»Nun?« sagte er. – »Was?« – »Der dritte kam!« – »Ja.« – »Wer war das?« – »Meinst du – meinst du Gerard?« fragte sie stockend. – »Ja. Der war mir der liebste. Dir nicht auch?« – »Ja«, hauchte sie, nachdem sie eine Weile gezögert hatte. – »Donnerwetter. Ein berühmter Kerl! Nicht?« – »Ja.« – »Tapfer!« – »Ja.« – »Stark und hübsch!« – »Ziemlich.« – »Und dabei doch sanft wie ein Kind und fromm wie ein Lamm.« – »Das ist wahr.« – »Und reich! Diese Büchse mit dem Kolben von Gold. Weißt du noch, als er ein Stück davon herabschnitt?« – »Ich war ja dabei.« – »Er war erst inkognito da; aber ich hatte ihn längst durchschaut.« – »Du?« fragte sie. – »Ja, ich! Glaubst du das etwa nicht?« – »Ich habe nichts davon bemerkt.« – »Natürlich. Weißt du, was ein Diplomat ist?« – »Ja.« – »Ein Diplomat ist ein Mann, welcher Rußland seine Gedanken verbirgt, weil Frankreich nicht weiß, was England von Schweden und Norwegen denken soll. Verstanden?« – »Ja.« – »Gerade so habe ich es auch gemacht. Ich habe euch meine Gedanken so fein, so gut versteckt, daß ihr gar nicht ahntet, daß ich überhaupt welche hatte.« – »Ja, so sahst du aus«, lachte sie. – »Nicht wahr? Das war ein Meisterstück. Ich habe die ganze Politik im Kopf. Die Schlacht da draußen am Fluß habe ich lange vorher gewußt Auch den Sieg habe ich mir im stillen vorher geweissagt Darum schoß ich so tapfer mitten unter die Franzosen hinein.« – »Du?« fragte sie. – »Ja. Oder zweifelst du etwa?« – »Hm!« – »Na, was hast du denn? Alle Welt weiß, daß ich acht oder neun erschossen und auch einige erstochen habe. Und dann das Massaker droben in der Bodenkammer.« – »Hast du da auch einige erschossen?« – »Hm!« brummte er verlegen. »Nein.« – »Oder erstochen?« – »Nein. Ich fand keine Gelegenheit dazu, denn der Gerard war damit fertig, ehe ich nur anfangen konnte. Der arme Teufel! So lange zwischen Leben und Tod zu schweben! Das war eine Sorge! Nicht?« – »O Vater, eine sehr große!« – »Ja. Endlich, endlich war wieder Hoffnung da. Weißt du, was ich mir da einbildete?« – »Nun?« – »Daß er dir einen Heiratsantrag machen würde.«

Resedilla zog vor, zu schweigen.

»Oder wenigstens eine Liebeserklärung.«

Auch jetzt gab sie keine Antwort.

»Nun?« rief Pirnero. – »Was denn?« – »Ist nichts derartiges vorgekommen, he?« – »Nein.« – »Also kein richtiger Antrag?« – »Nein.« – »Auch kein kleines, verstohlenes Anträgelchen?« – »Nein.« – »So ein Kuß auf die Hand oder auf die Wange?« – »Nein.« – »Oder so ein bißchen in den Arm oder in das Ohr gezwickt?« – »Auch nicht.« – »Oder so ein gelinder, heimlicher Liebestritt auf die Füßchen?« – »Nein.« – »Donnerwetter! Hat er dir denn nicht wenigstens einmal die rechte oder die linke Hand gequetscht?« – »Als er fortging?« – »Da war‘s bereits zu spät. Aber mit den Augen hat er wenigstens einmal gezwinkert?« – »Ich kann mich nicht besinnen.« – »Da hat man‘s. Was habe ich gezwickert und gezwinkert, gequetscht, gekniffen und gepufft, als ich deine Mutter kennenlernte! Wir Alten hatten die Liebe viel besser weg als ihr Jungen. Dieser Gerard! So ein feiner Kerl! Und doch erst, als er fortgegangen ist, hat er dir die Hand gequetscht. Der Esel! Herrjeh, wäre das ein Schwiegersohn gewesen! Hat er dir denn nicht gesagt, wohin er wollte?« – »O ja.« – »Was? Dir hat er es gesagt?« – »Ja.« – »Und mir nicht? Sakkerment! Das will ich mir verbitten! Solche Heimlichkeiten, solche Techtelmechteleien kann ich nicht leiden und dulden. Das ist ja gerade so verschwiegen, als ob ihr ein Liebespaar wäret. Das will ich mir verbitten. Aber wie kommt es denn, daß es dir erst jetzt einfällt?« – »Erst jetzt?« meinte sie verlegen. – »Ja. Du hast immer gesagt, daß du nicht weißt, wohin er ist.« – »Ich habe es gewußt.« – »Ah, sieh doch einmal an! Und warum sagtest du es mir nicht?« – »Es war ja Geheimnis!« – »Himmelelement! Geheimnisse habt ihr miteinander?« – »Nur dieses eine, lieber Vater.« – »Das geht nicht. Das würde ich nicht einmal von meiner Tochter und meinem Schwiegersohn dulden. Ich müßte alles wissen, alles, sogar wieviel Küsse sie sich pro Stunde geben. Dadurch bekommt man eine gewisse Übersicht, die sehr notwendig ist, wenn man die Ehe der Tochter mit der eigenen vergleichen will. Also was für ein Geheimnis ist es?« – »Ich sollte nichts sagen, Vater, aber die Zeit, in der er zurückkehren wollte, ist vorüber, und nun bekomme ich Angst.« – »Angst? Sapperlot, das klingt schlimm! Ist‘s denn gefährlich?« – »Ja, zumal er noch so schwach war, als er ging.« – »Nun, so rede, um was handelt es sich denn?« – »Um – er wollte – oh, mein Gott!«

 

Resedilla hielt mitten im Satz inne. Ihr Auge starrte durch das Fenster; ihr Gesicht hatte die Starrheit und Bleichheit des Todes angenommen, und ihre beiden Hände waren nach dem Herzen gefahren, wo sie fest liegenblieben.

Pirnero bemerkte die Richtung ihres Blickes. Er trat zum Fenster und sah hinaus. Da kam ein Reiter langsam die Gasse herauf. Ihm folgten fast ein Dutzend schwerbepackte Maultiere, und hinter diesen ritt ein zweiter Reiter neben einer Reiterin.

»Kreuzhimmelbataillongranatenbombenstiefelknecht – das ist er ja«, schrie Pirnero und stürmte zur Tür hinaus.

Da erhielt auch Resedilla wieder Leben. Ihr Busen begann sich zu bewegen, ihre Hände sanken herab, fuhren aber sofort wieder empor nach den Augen, denen eine Tränenflut der Erleichterung entstürzte.

»Er ist‘s, er ist‘s«, schluchzte sie. »Gott sei Dank! Gott sei Dank! Oh, so darf ich ihn nicht sehen, so nicht, nein, so nicht!«

Sie fühlte, daß sie sich ihm jubelnd an die Brust stürzen würde, und darum floh sie hinauf in ihre Kammer, wo sie schon so viele, viele Tränen geweint hatte.

25. Kapitel

Pirnero aber stand unter der Tür und streckte beide Hände aus, um den Jäger zu empfangen.

»Willkommen, tausendmal willkommen, Señor Gerard!« rief er. »Wo habt Ihr denn gesteckt?« – »Das sollt Ihr bald hören, mein lieber Señor Pirnero. Erlaubt nur, daß ich vom Pferd steige.«

Ja, das war Gerard, der alte, der frühere! Hoch, stark und breit, fast so riesig wie Sternau gebaut, zeigte er nicht die mindeste Spur seiner Krankheit mehr in Haltung und Bewegung. Seine Kleidung war abgerissen, er mußte ungewöhnliche Strapazen hinter sich haben; aber sein sonnenverbranntes Gesicht zeigte eine Frische und sein Auge einen Glanz, die es nicht erraten ließen, daß er vor kurzer Zeit noch mit dem Tode gerungen hatte.

Er sprang vom Pferd, und anstatt dem Alten die Hand zu geben, zog er ihn in die Arme und drückte ihn an sich und gab ihm sogar einen schallenden Kuß auf die Wange.

»Grüß Gott, Señor Pirnero!« rief er dabei im Ausdruck des Glückes. »Wie herzlich froh bin ich, wieder bei Euch zu sein!«

Das war dem Alten noch nicht passiert. Seine Augen wurden vor Freude und Rührung augenblicklich naß. Er hielt beide Hände des Jägers fest und fragte:

»Wirklich? Ihr seid froh darüber?« – »Ja.« – »Ihr umarmt mich sogar vor Freude?« – »Natürlich!« – »Ihr gebt mir einen Schmatz und quetscht mich an Euch, gerade so, wie Ihr Resedilla die Hand gequetscht habt, als Ihr fortgegangen seid! Señor, Ihr seid ein tüchtiger Kerl und ein gutes Gemüt. Ich wünschte nur – na, davon darf man bei Euch nun einmal nicht anfangen, da Ihr partout ledig bleiben wollt. Aber sagt mir doch, wer der Señor ist und die Señora, die Ihr bei Euch habt?« – »Das werde ich Euch drinnen erzählen. Aber sagt mir lieber, ob Señorita Resedilla munter ist.« – »Munter? O leider nein.« – »Ah! Sie ist doch nicht krank?« – »Das eigentlich nicht. Aber sie muß sich den Magen verdorben haben, denn sie kann fast gar nichts mehr essen. Sie magert ab, und im stillen da stöhnt und seufzt sie, da piept und fiebt sie, als wenn es bald zu Ende gehen sollte. Ich habe ihr schon Senfteig geraten, Senfteig auf den Magen, und die Schulterblätter mit Melissengeist einreiben; aber sie hört nicht eher, als bis es zu spät ist. Hier gehört eben ein tüchtiger Schwiegersohn her, der ihr den Standpunkt klarmacht, was Senfteig und Melissengeist zu bedeuten haben, wenn man einen kranken und übergesperrten Magen hat.«

Der Schwarze Gerard kannte den Alten. Auf ihn wirkten die Worte desselben nicht so, wie es bei einem anderen gewesen wäre. Er sagte:

»Wo befindet sie sich jetzt?« – »Drinnen in der Stube.« – »So erlaubt, daß ich sie zunächst begrüße.«

Gerard trat in den Flur, öffnete die Tür der Stube und blickte hinein.

»Hier ist niemand«, sagte er. – »Freilich ist sie drin«, behauptete der Alte. – »Nein.« – »Donnerwetter, seid Ihr denn blind? Sie steht ja da am Fenster, guckt Euch an und macht ein Gesicht, als wenn sie ein halbes Dutzend Maulwürfe lebendig verschluckt hätte.« – »Aber wo denn nur?« fragte Gerard lachend. – »Da! Hier!«

Der Alte kam an die Tür, um nach der Stelle zu zeigen, wo er Resedilla verlassen hatte; aber sie war allerdings leer.

»Weiß Gott, sie ist nicht da«, rief er ganz erstaunt. – »Seht Ihr!« – »Sie ist fort. Reineweg fort! Ist das ein Benehmen. Himmeldonnerwetter! Was habt Ihr ihr denn eigentlich getan?« – »Getan? Wieso?« – »Nun, weil sie Euch so ganz und gar nicht leiden kann.« – »Ja, das kann ich mir auch nicht erklären.« – »Ja, Ihr müßt es mit ihr verdorben haben, ganz gewaltig verdorben. Als sie Euch kommen sah, stieg ihr gleich die Galle in die Höhe; das sah ich ihr an. Darum ist sie ausgerissen. Sie will von Euch gar nichts wissen.« – »Leider. Aber sagt, mein lieber Señor Pirnero, kann ich unsere Pferde und Maultiere bei Euch unterbringen?« – »Das versteht sich.« – »Und die Ladung auch?« – Jawohl!« – »Aber ich kann sie nicht im Freien liegenlassen, ich möchte sie vielmehr einschließen.« – »Ah, ist sie wertvoll?« – »So ziemlich.« – »Worin besteht sie denn?« – »Es ist Blei.« – »Blei? Sapperlot, das ist ja gut. Blei wird außerordentlich gesucht. Wo wollt Ihr es denn hinschaffen?« – »Zunächst will ich es hier lassen. Ich dachte, mit Euch ein kleines Geschäftchen zu machen.« – »Schön! Aber woher habt Ihr das Blei?« – »Ich kannte eine Bleimine da oben in der Sierra. Und da ich nächstens in die Lage kommen werde, viel Geld zu gebrauchen, so reiste ich hinauf und holte mir soviel, daß ich genug habe.« – »Na, ich denke, daß Ihr mir den Preis nicht gar zu hoch stellt Aber, was ist es denn, weswegen Ihr so viel Geld braucht?« – »Etwas sehr Eigentümliches!« – »Wirklich?« – Ja. Sogar etwas sehr Wichtiges.« – »Alle Teufel! Ihr macht mich ganz bedeutend neugierig.« – »Nun, so ratet einmal.« – »Raten? Hm, sagt es mir doch lieber gleich!« – »Meinetwegen. Ich werde heiraten.«

Der Alte sprang vor Erstaunen einen Schritt zurück.

»Heiraten? Unsinn!« rief er. – »O doch«, antwortete Gerard. – »Wann denn?« – »In einigen Tagen.« – »Und wen denn?« – »Die Señorita, die ich mitgebracht habe.«

Gerard deutete auf die verschleierte Frauengestalt, die noch im Sattel saß, während ihr Begleiter bereits abgestiegen war und sich mit den Tieren zu schaffen machte, um sie zu versorgen.

Pirnero warf einen forschenden Blick auf die Señorita. Er konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber ebensowenig die Gefühle seines Herzens zurückhalten.

»Seid Ihr denn verrückt oder gescheit?« fragte er. – »Wieso?« – »Daß es Euch einfällt, zu heiraten.« – »Nun, man will doch endlich einmal glücklich sein.« – »Glücklich? Hole Euch der Teufel! Wird man denn durch das Heiraten glücklich?« – »Natürlich.« – »Unsinn. Das fällt keinem Menschen ein. Man verliert nur seine Freiheit und Selbständigkeit; der Charakter, das Temperament und das Ehrgefühl gehen verloren, und man sinkt nach und nach zu einem Ding herab, mit dem die Frau machen kann, was ihr beliebt. Ich rate Euch ab.« – »Es ist zu spät.« – »Sapperlot! Es ist nicht zu spät. Jagt sie zum Teufel! Hat denn diese dort Eltern?« – »Leider nicht mehr.« – »So müßt Ihr sie auf alle Fälle fortjagen.« – »Warum?« – »Weil Ihr ja durch diese Heirat nicht einmal zu einem Schwiegervater kommt. Weshalb heiratet man denn? Um einen Schwiegervater zu haben, mit dem man sich gut steht.« – »Das möchte ich zugeben. Aber wie gesagt, es ist bereits zu spät.« – »Na, so bedaure ich Euch von ganzem Herzen. Willkommen, Señor und Señorita! Tretet gefälligst ein!«

Diese Worte waren an den Begleiter und die Begleiterin Gerards gerichtet, die jetzt näher traten, um sich nach der Gaststube zu begeben.

»Könnten wir die Ladung in Eurem Magazin unterbringen?« fragte Gerard. – »Ja. Ich werde gleich meine Leute rufen. Sapperment, seid Ihr vorsichtig. Ihr habt diese Bleisäcke ja sogar zugesiegelt.« – »Sicher ist sicher! Seht darauf, daß mir die Siegel nicht beschädigt werden, und sorgt dann für ein gutes Abendbrot!«

Gerard folgte den beiden anderen in die Stube. Pirnero holte seine Leute herbei, und dann eilte er nach der Küche, um seiner Tochter die nötigen Befehle zu geben.

»Wo ist Resedilla?« fragte er die alte Magd, die allein da war. – »Ich weiß es nicht«, antwortete die Gefragte, »aber ich hörte, daß sie die Treppe hinaufging.« – »So ist sie ausgerissen«, meinte er. »Hm, ich nehme es ihr auch nicht gerade übel. Der Kerl ist doch zu dumm!« – »Warum?« fragte die Alte, der es selten passierte, ihren Herrn einmal mitteilsam gegen sein Gesinde zu finden, und die daher diese Gelegenheit schleunigst ergriff. – »Weil er heiratet«, antwortete er. – »Oh, Madonna, sollte das wirklich dumm sein?« – »Natürlich!« – »Señor, ich halte es ganz und gar nicht für eine Dummheit, Señorita Resedilla zur Frau zu nehmen. Erstens ist sie lieb, zweitens hübsch, drittens wohlhabend, viertens …« – »Erstens, zweitens, drittens und viertens hast du das Maul zu halten«, unterbrach er sie zornig. »Resedilla ist es ja nicht, die er heiraten will.« – »Nicht?« fragte die Magd ganz erstaunt. – »Nein.« – »Wer denn?« – »Eine andere natürlich. Aber da kommt er bei mir an den richtigen. Wenn er etwa geglaubt hat, daß ich ihm meine Resedilla zur Frau geben werde, da hat er sich gewaltig geirrt. Der könnte vom Kopf bis zu den Füßen in Gold gefaßt sein, er kriegte dennoch meine Tochter nicht. Ich habe mir einen anderen Schwiegersohn eingebildet, und den bekomme ich. Ich habe meine Tochter nicht so fein vom Vater auf die Tochter hinüber erzogen, daß sie einen Jäger heiraten soll. Sie wird einen bekommen, der sich gewaschen hat.«

Pirnero hatte sich in einen Zorn hineingeredet, der sich von Wort zu Wort mehr steigerte. Der Umstand, daß der Schwarze Gerard eine andere heiraten wolle, hatte ihm seine Hoffnung zerstört und versetzte ihn in einen Grimm, wie er ihn lange Zeit nicht gefühlt hatte. Er tat nun so, als ob ihm an dem früher Gewünschten gar nichts gelegen habe, und fuhr fort:

»Wenn du überhaupt wüßtest, was ich vorhabe, so würdest du dich nicht wenig wundern.« – »Wundern? Hm, Señor, ich wundre mich gar zu gern ein bißchen. Wollt Ihr es mir nicht sagen?« – »Warum nicht! Ich werde verkaufen.« – »Verkaufen?« fragte sie ganz erstaunt. »Was denn?« – »Nun was denn sonst als mein Geschäft und meine Besitzungen.« – »Heilige Madonna! Was soll denn da aus uns werden?« rief die Magd, die Hände zusammenschlagend. – »Na, Ihr bleibt da. Der Käufer muß Euch mit übernehmen.« – »Habt Ihr denn schon einen Käufer?« – »Nein.« – »Gott sei Dank!« – »Gott sei Dank? Dumme Liese. Ich will vielmehr Gott danken, wenn ich einen finde. Dann ziehe ich fort.« – »Wohin denn?« – »Weit fort, fort aus Mexiko, fort aus Amerika, dahin, wo es noch andere Schwiegersöhne gibt als diesen Gerard. Ich freue mich darüber, daß Resedilla so klug gewesen ist, mit ihm gar keinen großen Kram zu machen. Wir wollen sie lassen, wo sie ist. Er will zwar ein Essen haben, aber was der bekommen wird, das bringen wir auch ohne sie ganz gut fertig.«

So begann Pirnero denn, sich mit Hilfe der Alten über die Zubereitung eines Mahles herzumachen. Unterdessen brachten seine Leute die Tiere und die Ladung der Angekommenen unter. Diese letzteren befanden sich im Gastzimmer, wo sie sich miteinander unterhielten.

Die Dame hatte den Schleier abgenommen und sah, obwohl sie nicht mehr weit von den Vierzig stehen konnte, noch ganz akzeptabel und reputierlich aus. Dem aufmerksamen Beobachter mußte es auffallen, daß sie eine große Ähnlichkeit mit Gerard besaß.

Was Gerard betrifft, so ließ er jetzt die beiden allein, indem er aus dem Zimmer ging und die Treppe hinaufstieg.

Da oben lag ja Resedillas Schlafstube, die er so gut kannte und in der er so glückliche Augenblicke verlebt hatte.

Er klopfte leise. Ein ebenso leises »Herein« ertönte von innen, und so trat er ein. Resedilla stand am Fenster. Ihre schönen Augen waren noch feucht. Er trat näher und fragte:

»Seid Ihr böse, daß ich es wage, Señorita?« – »Nein«, hauchte sie. – »Ah, Ihr habt geweint!« – »Ein wenig«, flüsterte sie unter einem halben Lächeln. – »Oh, wenn ich doch wüßte, worüber Ihr geweint habt!«

 

Sie antwortete nicht. Darum fuhr er fort:

»Ihr wart unten, als ich kam?« – »Ja.« – »Und Ihr seid schleunigst geflohen. Auch jetzt sagt Ihr kein Wort, mich zu bewillkommnen. Bin ich Euch denn so verhaßt?«

Er sagte das in einem so traurigen Ton, daß sie sofort auf ihn zutrat und ihm mit herzinnigem Ausdruck ihres Gesichtes beide Hände entgegenstreckte.

»Willkommen, Señor!« sagte sie. – »Wirklich?« fragte er, ihre Hand rasch ergreifend. – »Ja, herzlich willkommen.« – »Und dennoch seid Ihr geflohen? Nicht wahr, vor mir?« – Ja«, antwortete sie langsam und zögernd. – »Warum?«

Sie errötete bis hinter die Ohren und antwortete: »Weil Ihr mich nicht sogleich sehen solltet.« – »Warum sollte ich das nicht?« – »Weil – weil – weil – o bitte, erlaßt mir diese Antwort, Señor!«

Gerard blickte ihr prüfend in die Augen und sagte dann:

»Und doch gäbe ich viel darum, wenn ich diese Antwort hören dürfte. Bitte, bitte, Señorita! Wollt Ihr sie nicht sagen?«

Sie senkte das Köpfchen und flüsterte:

»Ich war ja nicht allein.« – »Nicht allein? Wie meint Ihr das?« – »Mein Vater war dabei.«

Da überkam es ihn wie eine süße, glückliche Ahnung. Er bog den Kopf zu ihr herab und fragte:

»Und warum sollte Euer Vater nicht dabeisein?«

Da zog sie rasch ihre Hände aus den seinigen, legte ihm die Arme um den Hals und antwortete:

»Er sollte nicht sehen, wie lieb, wie so sehr lieb ich dich habe und mit welcher Bangigkeit ich auf dich wartete!«

Der starke Mann hätte am liebsten laut aufjubeln mögen, aber er beherrschte sich. Er schlang seine Arme um sie, zog sie an sich und fragte in einem Ton, der das ganze Glück seines Herzens verriet:

»Ist das wahr, wirklich wahr?« – Ja«, sagte sie, indem sie ihr Köpfchen fest an seine Brust legt, »du darfst es glauben.« – »Meine Resedilla!«

Nur diese beiden Worte sprach er; dann aber standen sie in einer innigen Umarmung beieinander, und ihre Lippen fanden sich zur zärtlichsten Vereinigung. Es war ein Augenblick so großen Glückes, daß Gerard meinte, gar nicht daran glauben zu dürfen.

»Also du liebst mich wirklich, mein süßes, gutes Mädchen?« flüsterte er ihr zu. – »Innig«, antwortete es. – »Und hast dich um mich gesorgt?« – »Sehr.« – »Um diesen armen, einfachen Jäger! Um diesen fremden, bösen Mann, der in der Heimat nichts gewesen ist als ein …« – »Bst!« machte sie, indem sie ihm den Mund mit einem Kuß verschloß. »Du sollst nicht davon sprechen!« – »Aber muß ich denn nicht?« – »Nein, niemals! Nie wieder! Gott hat dir vergeben! Gott wird dich glücklich machen!« – »Durch dich, nur allein durch dich!« sagte er. »Oh, welche Sorgen habe ich gehabt. Noch in letzter Zeit. Es war mir, als hätte ich meine Hand nach einem Gut ausgestreckt, das ich niemals erlangen könnte.« – »Da hast du es! Ich bin ja dein.« – »Ja, mein, mein«, jubelte er, indem er sie küßte und immer wieder küßte. »Aber dein Vater?«

Da breitete sich ein beinahe mutwilliges Lächeln über ihr hübsches Gesicht, und sie fragte:

»Fürchtest du ihn?« – »Ja, beinahe!«

Da zog sie das Mündchen zu einem spaßhaften Schmollen zusammen und rief, ihn mit großen Augen betrachtend.

»Du, der berühmte Jäger? Du fürchtest den alten Pirnero?« – »Ja«, wiederholte er lächelnd. – »Nun, meinetwegen. Aber du bist nicht allein. Du findest Hilfe.« – »Bei wem?« – »Bei mir, mein Gerard! Übrigens weißt du ja, was mein Vater von dir denkt. Er ist förmlich verliebt in dich.« – »So meinst du also, daß ich mit ihm sprechen soll?« – »Ja.« – »Wann?«

Sie errötete ein wenig, doch antwortete sie mit sicherer Stimme:

»Wann du willst, mein Lieber.«

Er drückte sie abermals innig an sich und fragte im Ton der größten, glücklichsten Zärtlichkeit:

»Baldigst?« – »Ja«, antwortete sie. – »Noch heute?« – »Noch heute«, nickte sie, ihre strahlenden Augen zu ihm erhebend. – »Ich danke dir, mein Leben, meine Seligkeit! Gott, wie habe ich denn ein solches Glück verdient! Ich bin nicht wert, eins der lieben, kleinen, warmen Händchen in meiner Hand zu halten, und doch soll ich dich ganz besitzen, und du willst mein eigen sein für das ganze Leben!« – »Ja, Gerard, dein eigen für immerdar«, fügte sie hinzu. »Aber sage, wer sind die beiden, die du mitgebracht hast?«

Da zuckte ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht. Er antwortete:

»Der eine ist mein Freund, und die andere ist – meine Braut.«

Resedilla blickte verwundert zu ihm auf.

»Deine – Braut?« fragte sie. – Ja«, nickte er übermütig. – »Aber, das – das verstehe ich nicht.« – »So muß ich es dir schleunigst erklären, meine Resedilla. Dein Vater war nämlich wißbegierig, was ich nun beginnen würde, und ich antwortete: ›Heiraten!‹ Er fragte mich, wen? Da machte ich mir den Spaß, ihm zu sagen, daß diese Dame meine Braut sei.«

Resedilla lachte, rief aber dennoch:

»O wehe!« – »Warum?« – »Nun wird er außerordentlich schlechte Laune haben. Wo ist er?« – »In der Küche. Wir haben Essen bestellt« – »Das wird nicht zum besten ausfallen. Wo werdet ihr wohnen? Magst du dein Zimmer wiederhaben?« – »Das, wo ich damals vor Ermüdung eingeschlafen war?« – Ja«, lachte sie. »Wo ich untersuchte, ob der Kolben deiner Büchse von Gold sei. Ist dir dieses Zimmer recht?« – »Ich wollte dich bereits darum bitten.« – »So mögen die anderen beiden – ah, ich weiß ja noch immer nicht, wer sie sind,« – »Warte nur ein wenig, meine gute Resedilla! Ich will sehen, ob du es erraten wirst. Für jetzt genügt es, zu wissen, daß sie Mann und Frau sind.« – »So werden sie neben dir wohnen können. Die Señora wird ermüdet sein. Ich werde sie holen, um sie auf ihr Zimmer zu führen, damit sie den Staub der Reise los wird.« – »Bleib, mein Lieb! Ich werde sie selbst holen.«