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Winnetou 3

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Märgi loetuks
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Das Wunderlichste aber an diesem Manne war sein Angesicht. Dasselbe war so vollständig glatt rasiert, als ob er soeben aus dem Laden eines Friseurs gekommen sei. Die beinahe rosenroten Wangen waren so dick und fest, daß das kleine, kurze Stumpfnäschen zwischen ihnen beinahe verschwand und die zwei braunen, lebhaften Augen Mühe hatten, über sie hinwegzusehen. Sobald die mehr als vollen Lippen sich öffneten, erblickte man zwei Reihen blendend weißer Zähne, die ich aber sofort in Verdacht hatte, unecht zu sein. An der linken Seite des Kinnes hing eine gurkenähnlich gestaltete Verhärtung oder Wucherung, welche das Spaßhafte der Erscheinung dieses Mannes noch erhöhte, ihn aber nicht im mindesten zu genieren schien.



So saß er vor mir und hielt zwischen den kurzen, dicken Elefantenbeinen ein Schießgewehr eingeklemmt, welches der Flinte meines alten Sam Hawkens ähnelte wie ein Ei dem andern. Es erinnerte mich überhaupt fast noch mehr an diesen, als mich Sans-ear an ihn erinnert hatte.



Er hatte mit einem einfachen »Good day, Sir!« bei mir Platz genommen und schien sich dann nicht im geringsten weiter um mich zu bekümmern. Erst eine Stunde später bat er mich um die Erlaubnis, eine Pfeife rauchen zu dürfen. Das fiel mir auf, denn ein echter, rechter Trapper oder Fallensteller kümmert sich nicht darum, ob das, was ihm zu tun beliebt, von Andern gutgeheißen wird.



»Raucht, soviel Ihr wollt, Master!« antwortete ich. »Ich werde Euch Gesellschaft leisten. Wollt Ihr Euch eine von meinen Zigarren anstecken?«



»Danke, Sir!« meinte er. »Diese Dinger, welche man Zigarren nennt, sind mir zu nobel. Ich halte es mit meiner Pfeife.«



Er hatte nach Trapperart die kurze, schmierige Pfeife an einer Schnur am Halse hängen. Als er sie gestopft hatte, beeilte ich mich, ein Hölzchen hervorzulangen; er aber schüttelte abwehrend mit dein Kopfe, griff in die Tasche seines Pelzes und brachte eines jener Prairien-Feuerzeuge zum Vorschein, welche Punks genannt werden und trockenen Baummoder als Zunder enthalten.



»Auch so eine noble Erfindung, diese Zündhölzer, die nichts für die Savanne taugen,« bemerkte er. »Man darf sich nicht verwöhnen.«



Damit war das kurze Gespräch beendet, und er schien nicht die mindeste Lust zu haben, ein neues anzuknüpfen. Er rauchte ein Kraut, dessen Duft mich sehr lebhaft an Walnußblätter erinnerte, und widmete dabei der Gegend seine ganze Aufmerksamkeit. So erreichten wir die Station ›Nordplatte‹ an dem Vereinigungspunkte des Nord- und Südplatte-Stromes, Hier stieg er für kurze Zeit aus und machte sich an einem der vorderen Wagen zu schaffen. Ich bemerkte, daß sich in demselben ein Pferd befand, welches jedenfalls ihm gehörte.



Als er wieder eingestiegen war und der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte, beobachtete er sein bisheriges Schweigen, und erst als wir am Nachmittage in Cheyenne am Fuße der Black Hills hielten, fragte er:



»Geht Ihr von hier aus vielleicht mit der Koloradobahn nach Denver zu, Sir?«



»Nein,« antwortete ich.



»Well, so bleiben wir Nachbarn.«



»Fahrt Ihr sehr weit mit der Pacific?« fragte ich ihn.



»Hm! Ja und nein – wie es mir einfällt. Und Ihr?«



»Ich möchte am liebsten nach Ogden City.«



»Ah! Ihr wollt die Mormonenstadt sehen?«



»Ein weniges, und dann hinauf nach den Windriverbergen und den Tetons.«



Er musterte mich mit einem sehr ungläubigen Blick und meinte:



»Da hinauf? Das bringt nur ein sehr kühner Westmann fertig. Habt Ihr Gesellschaft?«



»Nein.«



Jetzt blickten mich seine kleinen Äuglein förmlich belustigt an, und er fragte:



»Allein? Hinauf nach den drei Tetons? Mitten unter die Sioux und grauen Bären! Pshaw! Habt Ihr vielleicht einmal gehört, was ein Sioux oder ein grauer Bär zu bedeuten hat?«



»Ich denke!«



»Ah! Hm! Darf ich fragen, was Ihr seid, Sir?«



»Ich bin Writer.«



»Writer? Schriftsteller? So! Ihr macht also Bücher?«



»Ja.«



Jetzt lachte er am ganzen Gesichte. Es gab ihm, ganz so wie früher dem kleinen Sans-ear, gewaltigen Spaß, daß ein Schriftsteller den Gedanken gefaßt hatte, ganz allein und nur auf sich selbst angewiesen, den gefährlichsten Teil des Felsengebirges aufzusuchen.



»Schön!« sagte er kichernd. »So wollt Ihr wohl über die drei Tetons ein Buch schreiben, mein werter Master?«



»Vielleicht!«



»Und Ihr habt wohl einmal ein Buch gesehen, in welchem ein Indianer oder ein Bär abgebildet war?«



»Versteht sich,« antwortete ich sehr ernsthaft.



»Und nun glaubt Ihr, daß Ihr da mitmachen könnt?«



»Allerdings.«



»Und Ihr habt wohl gar auch eine Flinte mit, die da in Euere Decke eingewickelt ist?«



»Ja.«



»So will ich Euch einen guten Rat geben, Sir! Steigt schleunigst aus, und macht, daß Ihr wieder nach Hause kommt! Ihr seid zwar ein langer, starker Kerl, aber Ihr seht mir gar nicht aus, als ob Ihr ein Eichhorn schießen könntet, viel weniger einen Bären. Das Lesen hat Euch den Kopf benebelt. Es wäre jammerschade um Euer junges Leben, wenn Euch beim Anblick eines Wildkätzchens der Schlag rühren sollte! Ihr habt gewiß einmal den Cooper gelesen?«



»Ja.«



»Dachte es mir! Habt vielleicht auch von berühmten Prairiemännern gehört!«



»Ja,« antwortete ich abermals im bescheidensten Tone.



»Von Winnetou, von Old Firehand, von Old Shatterhand, von dem dicken Walker oder von dem langen Hilbers?«



»Von allen,« nickte ich.



Das dicke Männchen ahnte gar nicht, daß er mir wenigstens ebensoviel Spaß machte, wie ich ihm.



»Ja,« meinte er, »solche Bücher und Geschichten sind gefährlich, denn sie stecken an. Das klingt so schön und leicht, aber Master, nehmt mir‘s nicht übel, Ihr dauert mich! Dieser Winnetou ist ein Apachen-Häuptling, der mit tausend Teufeln kämpfen würde; dieser Old Firehand schießt Euch jede einzelne Mücke aus dem Schwarm heraus, und Old Shatterhand hat noch niemals einen Fehlschuß getan und schlägt die stärkste Rothaut mit einem einzigen Hiebe zu Brei. Wenn einer von diesen Kerls sagt, daß er hinauf will zu den drei Tetons, so ist das zwar immer noch ein ganz gewaltiges Wagnis, aber man denkt doch, daß er es bestehen kann; aber Ihr – ein Büchermacher? Pshaw! Wo habt Ihr denn Euer Pferd?«



»Ich habe keines.«



Jetzt konnte er sich nicht länger halten; er platzte mit einem lauten Gelächter heraus:



»Hihihihi, kein Pferd, und hinauf nach den drei Tetons! Seid Ihr verrückt, Sir?«



»Ich glaube nicht. Wenn ich jetzt noch kein Pferd habe, so werde ich mir doch eins kaufen oder fangen.«



»Ah! Wo denn?«



»Da, wo es paßt.«



»Ihr, Ihr selbst wollt es Euch fangen?«



»Ja.«



»Das ist lustig, Sir! Ihr habt zwar einen Lasso da um Eure Schultern gewickelt, aber damit fangt Ihr keine Fliege, viel weniger einen wilden Mustang!«



»Warum?«



»Warum? Na, weil Ihr das seid, was man da drüben im alten Lande einen Sonntagsjäger nennt!«



»Und warum haltet Ihr mich für einen solchen?«



»Das ist doch einfach! Weil alles an Euch so nett und sauber ist. Seht Euch einmal einen tüchtigen Waldläufer an, und vergleicht ihn mit Euch! Eure hohen Reitstiefel sind neu und, wahrhaftig, sie sind ganz blank gewichst! Euere Leggins sind vorn feinsten Elenleder; Euer Jagdhemde ist ein Meisterstück aus der Hand einer indianischen Squaw; Euer Hut hat wenigstens zwölf Dollar gekostet, und Euer Messer samt den Revolvern haben sicherlich noch keinem Menschen weh getan! Könnt Ihr schießen, Sir?«



»Ja, ein wenig. Ich bin sogar einmal Schützenkönig gewesen!« antwortete ich mit einer sehr wichtigen Miene.



»Schützenkönig! Ah, dann seid Ihr am Ende gar ein Deutscher?«



»Freilich!«



»Hm! So, so! Also ein Deutscher seid Ihr? Nach einem hölzernen Vogel habt Ihr geschossen, und Schützenkönig seid Ihr da geworden? So sind diese Deutschen! Old Shatterhand soll zwar auch ein Deutscher sein, aber das ist ja nur eine Ausnahme! Sir, ich bitte Euch herzlich, kehrt sobald wie möglich um, sonst geht Ihr zu Grunde!«



»Wollen sehen! Wo steckt denn eigentlich dieser Old Shatterhand, von dem Ihr redet?«



»Ja, wer weiß das! Als ich das letztemal da droben am Fox-Head war, traf ich den berühmten Sans-ear, der mit ihm geritten war. Dieser sagte mir, daß Old Shatterhand wieder hinüber sei ins Afrika, in die dumme Gegend, welche man die Wüste Sahara nennt. Dort schlägt er sich wohl mit den Indianern herum, welche den Namen Araber führen. Dieser Mann hat seinen Namen ›Shatterhand‹ davon, daß es ihm ein Leichtes ist, mit der bloßen Faust einen Feind niederzuschlagen; er hat das sehr oft getan. Seht Euch dagegen einmal Eure Händchen an! Sie sind so zart und weiß wie die Hände einer Lady, und man merkt sofort, daß Ihr nur mit Papier umgeht und keine andere Waffe kennt als den Gänsekiel. Nehmt meinen Rat zu Herzen, Sir, und geht nach dem alten Germany zurück. Unser Westen ist keine Gegend für einen Gentleman von Eurer Sorte!«



Mit dieser Warnung beendete er das Gespräch, und ich gab mir keine Mühe, es wieder anzuknüpfen. Richtig war allerdings, daß ich zu Sans-ear gesagt hatte, ich würde später in die Sahara gehen.



Wir passierten die Station Sherman; dann wurde es wieder Abend. Die erste Station, welche wir beim Lichte des folgenden Morgens erblickten, war Rawlins. Hinter diesem Orte beginnt eine öde, wüste Gebirgslandschaft, deren einzige Vegetation in Artemisia-Büschen besteht, ein ungeheueres, unfruchtbares Bassin ohne Leben, ohne Flüsse oder Bäche, eine Gebirgs-Sahara, die keine einzige Oase kennt. Bald schmerzt der mit Alkalien gesättigte Boden mit seiner blendenden Weiße das müde Auge, und bald nimmt diese Wüste einen Charakter finsterer, tief melancholischer Größe an, hervorgebracht durch nackte Lehnen, dürre Abhänge und steile Felswände, welche von Sturm, Flut und Blitz zerrissen worden sind.



In dieser trostlosen Gegend liegt die Station ›Bitterer Bach‹, doch ist von einem Bache keine Rede, sondern das Wasser muß über siebzig Meilen weit herbeigeholt werden. Und dennoch wird sich hier einst ein reges, vielleicht großartiges Leben entfalten; denn es befinden sich hier unerschöpfliche Kohlenfelder, welche dieser Wüste eine Zukunft garantieren.

 



Wir dampften weiter, über Station Carbon und Green River hinaus, welche letztere 846 Meilen westlich von Omaha liegt. Das traurige Aussehen der Gegend hörte auf; die Vegetation begann wieder, und die Höhenzüge erhielten ein freundliches, erquickendes Kolorit. Wir hatten eben ein herrliches Tal durchsaust und fuhren hinaus auf eine freie, offene Ebene, als die Maschine in kurzer Reihenfolge jene gellenden Pfiffe ausstieß, welche das Zeichen einer drohenden Gefahr sind. Wir schnellten von unseren Sitzen empor; die Bremsen kreischten, die Räder knirschten – der Zug kam zum Stehen, und wir sprangen aus den Waggons hinaus auf die sichere Erde.



Der Anblick, welcher sich uns bot, war ein schauderhafter. Man hatte hier einen Arbeiter- und Fouragezug überfallen, und die Strecke war bedeckt von den verbrannten und halbverkohlten Trümmern desselben. Der Überfall war während der Nacht geschehen. Die Railtroublers hatten die Schienen aufgerissen, und infolgedessen war der Zug entgleist und den ziemlich hohen Damm hinabgestürzt. Was nun geschehen war, konnte man ahnen. Es waren beinahe nur noch die Eisenteile des verunglückten Zuges vorhanden. Man hatte in jeden Waggon, nachdem er beraubt worden war, ein riesiges Feuer gelegt, und in der Asche fanden wir die traurigen Überreste vieler Menschen, welche bereits bei dem Sturze verunglückt oder dann später von Railtroublers getötet worden waren. Kein Einziger schien lebend entkommen zu sein.



Es war ein Glück für uns, daß die offene Gegend es unserem Maschinisten erlaubt hatte, die Gefahr noch rechtzeitig zu bemerken, sonst wären wir auch den Damm hinabgestürzt. Die Lokomotive hielt kaum einige wenige Ellen von der Stelle, wo die Zerstörung begann.



Die Aufregung der Passagiere und des Zugpersonales war eine ganz bedeutende, und es ist geradezu unmöglich, die Kraftworte und Interjektionen wiederzugeben, welche ringsum zu hören waren. Man durchwühlte die noch rauchenden Trümmer, aber es gab nichts mehr zu retten, und nachdem der Tatbestand konstatiert worden war, konnte man nichts weiter tun, als die Strecke schleunigst wieder herzustellen, wozu jeder amerikanische Zug die notwendigen Werkzeuge bei sich führt. Der Zugführer erklärte, er müsse sich darauf beschränken, auf der nächsten Station Anzeige zu erstatten; das Übrige, und also auch die Verfolgung der Verbrecher, sei dann Sache der Jury, welche dort jedenfalls sogleich gebildet werde.



Während die andern Passagiere noch unnötigerweise in den Trümmern wühlten, hielt ich es für das Beste, mich einmal nach den Spuren der Railtroublers umzusehen. Das Terrain zeigte eine offene, mit Gras bewachsene und nur von wenigen Büschen unterbrochene Fläche. Ich ging eine ziemliche Strecke auf dem Geleise zurück und schlug sodann um die rechte Seite der Unglücksstelle einen Halbkreis, dessen Grundlinie von dem Bahnkörper gebildet wurde. Auf diese Weise konnte mir bei nur einiger Aufmerksamkeit nichts entgehen.



In der Entfernung von vielleicht dreihundert Schritten von der Unglücksstätte fand ich zwischen einigen Büschen das Gras niedergedrückt, als ob hier eine ziemliche Anzahl von Menschen gesessen hätte, und die noch im Grase erkennbaren Spuren führten mich an eine zweite Stelle, wo man die Pferde angehobbelt gehabt hatte. Diesen Platz untersuchte ich sehr sorgfältig, um die Anzahl und Beschaffenheit der Pferde kennen zu lernen; dann setzte ich meine Forschung weiter fort.



Am Schienenwege traf ich mit meinem dicken Nachbar zusammen, welcher, wie ich erst jetzt bemerkte, denselben Gedanken mit mir gehabt und die links von der Unglücksstelle gelegene Gegend abgesucht hatte. Er blickte verwundert auf und fragte:



»Ihr hier, Sir? Was tut Ihr?«



»Das, was ein jeder Westmann tun wird, wenn er in eine ähnliche Lage kommt: ich suche nach den Spuren der Railtroublers.«



»Ihr? Ah! Werdet auch viel finden! Das sind gescheite Kerls gewesen, welche es verstanden haben, ihre Spuren wieder zu verwischen. Ich habe nicht das Mindeste entdeckt; was wird da so ein Greenhorn finden, wie Ihr doch seid?«



»Vielleicht hat das ›Greenhorn‹ bessere Augen gehabt als Ihr, Master,« antwortete ich lächelnd. »Warum sucht Ihr hier auf der linken Seite nach Spuren? Ihr wollt ein alter, erfahrener Savannenläufer sein und seht doch nicht, daß sich das Terrain hier rechts viel besser zu einem Lagerplatze und Versteck eignet als links da drüben, wo fast gar kein Buschwerk zu sehen ist.«



Er blickte mir sichtlich überrascht in das Gesicht und meinte dann:



»Hm, diese Ansicht ist nicht übel! So ein Büchermacher scheint doch zuweilen einen guten Gedanken zu haben. Habt Ihr etwas gefunden?«



»Ja.«



»Was?«



»Dort hinter den wilden Kirschensträuchern haben sie gelagert, und dahinten bei den Haselbüschen standen die Pferde.«



»Ah! Da muß ich hin, denn Ihr habt doch nicht die richtigen Augen, um zu sehen, wie viele Tiere es gewesen sind!«



»Es waren sechsundzwanzig.«



Wieder blickte er mich mit einer Gebärde der Überraschung an.



»Sechsundzwanzig?« fragte er ungläubig. »Woraus erkennt Ihr das?«



»Aus den Wolken jedenfalls nicht, sondern aus den Spuren, Sir,« lachte ich. »Von diesen sechsundzwanzig Pferden waren acht beschlagen und achtzehn unbeschlagen. Unter den Reitern befanden sich dreiundzwanzig Weiße und drei Indianer. Der Anführer der ganzen Truppe ist ein Weißer, welcher mit dem rechten Fuß hinkt; sein Pferd ist ein brauner Mustanghengst. Der Indianerhäuptling aber, der bei ihnen war, reitet einen Rapphengst, und ich glaube, daß er ein Sioux ist vom Stamme der Ogellallah.«



Das Gesicht, welches der Dicke mir jetzt machte, läßt sich gar nicht beschreiben. Der Mund stand ihm vor Erstaunen offen und die kleinen Äuglein blickten mich mit einem Ausdrucke an, als ob ich ein Gespenst sei.



»All devils!« rief er endlich. »Ihr phantasiert wohl, Sir?«



»Seht selbst nach!« antwortete ich trocken.



»Aber wie wollt Ihr wissen, wie viel es Weiße oder Indsmen waren? Wie wollt Ihr wissen, welches Pferd braun oder schwarz gewesen ist, welcher Reiter hinkt und zu welchem Stamme die Rothäute gehörten?«



»Ich habe Euch gebeten, selbst nachzusehen! Und dann wird es sich ja zeigen, wer bessere Augen hat, ich, das Greenhorn, oder ihr, der erfahrene Westmann.«



»Well! Schön! Werden sehen! Kommt, Sir! Ein Greenhorn und erraten, wer diese Kerls gewesen sind!«



Unter Lachen eilte er der bezeichneten Stelle zu, und ich folgte ihm langsamer nach.



Als ich ihn wieder erreichte, war er so eifrig mit der Betrachtung der Spuren beschäftigt, daß er mich gar nicht beachtete. Erst als er wohl zehn Minuten lang die Umgebung auf das sorgfältigste abgesucht hatte, kam er zu mir und sagte:



»Wahrhaftig, Ihr habt recht! Sechsundzwanzig sind es gewesen, und achtzehn Pferde waren unbeschlagen. Aber das andere ist Unsinn, reiner Unsinn! Hier haben sie gelagert, und in dieser Richtung sind sie auch wieder davongeritten. Weiter sieht man nichts!«



»So kommt, Sir,« meinte ich. »Ich will Euch einmal zeigen, welchen Unsinn die Augen eines Greenhorns sehen!«



»Well, ich bin neugierig!« nickte er mit einer sehr belustigten Miene.



»Seht Euch einmal die Pferdespuren genauer an; drei Tiere wurden abseits gehalten und waren nicht vorn, sondern übers Kreuz gekoppelt; das waren also jedenfalls Indianerpferde.«



Er bückte sich nieder, um den Abstand der einzelnen Hufstapfen genau auszumessen. Der Grasboden war feucht und die Spuren waren für ein geübtes Auge recht leidlich zu erkennen.



»By god, Ihr habt Recht!« rief er erstaunt. »Das waren Indianergäule.«



»So kommt jetzt weiter, da zu der kleinen Wasserlache! Hier haben sich die Indsmen die Gesichter abgewaschen und dann wieder mit den Kriegsfarben neu bemalt. Die Farben waren mit Bärenfett abgerieben. Seht Ihr die kleinen, ringförmigen Eindrücke im weichen Boden? Da haben die Farbennäpfchen gestanden. Es ist warm gewesen, und die Farben waren infolgedessen dünn und haben getropft. Seht Ihr hier im Grase einen schwarzen, einen roten und zwei blaue Tropfen, Sir?«



»Yes! Wahrhaftig, es ist wahr!«



»Und ist nicht schwarz, rot und blau die Kriegsfarbe der Ogellallah?«



Er nickte nur; sein verwundertes Gesicht sagte mir, was sein Mund verschwieg. Ich fuhr fort:



»Nun kommt weiter! Als die Truppe hier angekommen ist, hat sie hier neben der sumpfigen Lache gehalten; das zeigen die Hufeindrücke, welche sich mit Wasser gefüllt haben. Nur zwei sind vorgeritten, also jedenfalls die Anführer; sie wollten rekognoszieren und die Andern mußten bescheiden zurückbleiben. Seht hier die Pferdespur im Moraste! Das eine Pferd war beschlagen und das andere nicht; dieses letztere trat hinten tiefer als vorn; es saß ein Indianer darauf; der andere Reiter aber war ein Weißer, denn sein Pferd hatte Eisen und trat vorn tiefer als hinten. Ihr kennt wohl den Unterschied zwischen der Art und Weise, wie ein Indsman und ein Weißer zu Pferde sitzt?«



»Sir, ich möchte nur wissen, woher Ihr —«



»Gut!« unterbrach ich ihn. »Nun paßt genau auf! Sechs Schritte weiter vor haben sich die Pferde gebissen; das aber tun nach einem so langen und anstrengenden Ritte, wie diese Leute hinter sich hatten, nur Hengste. Verstanden?«



»Aber wer sagt Euch denn, daß sie einander gebissen haben, he?«



»Erstens die Stellung der Hufstapfen. Das Indianerpferd ist hier gegen das andere aufgesprungen; das werdet Ihr zugeben. Und zweitens, seht Euch einmal die Haare an, welche ich hier in der Hand halte! Ich fand sie vorhin, als ich die Spuren untersuchte, ehe ich Euch traf. Da sind vier Mähnenhaare von brauner Farbe, welche das Indianerpferd dem anderen ausgerissen hat und sofort fallen ließ. Weiter vorn aber fand ich diese zwei schwarzen Schwanzhaare, und aus der Stellung der Stapfen ersehe ich ganz genau: das Indianerpferd biß das andere in die Mähne, wurde aber von seinem Reiter sogleich zurückgedrängt und dann vorwärts getrieben; dabei langte das andere Pferd herüber und riß ihm diese Haare aus dem Schwanze, welche noch einige Schritte weit im Maule hängen blieben und dann zur Erde fielen. Das Pferd des Roten ist also ein Rappe und dasjenige des Weißen ein Brauner. Kommt weiter! Hier ist der Weiße abgesprungen, um den Bahndamm zu ersteigen. Seine Fährte ist im weichen Sande bis heute sichtbar geblieben. Ihr könnt ganz genau sehen, daß er mit dem einen Fuße fester und heftiger aufgetreten ist als mit dem andern. Er hinkt. Übrigens waren diese Menschen ganz außerordentlich unvorsichtig. Sie haben sich nicht die mindeste Mühe gegeben, ihre Spuren unkenntlich zu machen; sie müssen sich also sehr sicher fühlen, und das kann nur zwei Gründe haben.«



»Welche?«



»Entweder waren sie gewillt, heute recht schnell eine bedeutende Strecke zwischen sich und die Verfolger zu legen, und das möchte ich bezweifeln, da aus den Spuren zu ersehen ist, daß ihre Pferde sehr angegriffen und ermüdet waren. Oder sie wußten eine größere Truppe der Ihrigen in der Nähe, auf die sie sich zurückziehen konnten. Dieser Fall scheint mir der wahrscheinlichere zu sein, und da sich drei vereinzelte Indsmen nicht an über zwanzig Weiße schließen, so vermute ich, daß da gegen Norden hin ein zahlreicher Trupp Ogellallahs zu suchen ist, bei dem sich jetzt die dreiundzwanzig Railtroublers befinden.«



Es war wirklich spaßhaft anzusehen, mit welch einer eigentümlichen Miene mich das dicke Männchen jetzt vom Kopfe bis herab zu den Füßen fixierte.



»Mann!« rief er endlich. »Wer seid Ihr denn eigentlich, he?«



»Ich habe es Euch ja bereits gesagt.«



»Pshaw! Ihr seid kein Greenhorn und auch kein Büchermacher, obgleich Ihr mit Euren gewichsten Stiefeln und Eurer Sonntags-Ausrüstung ganz danach ausseht. Ihr seid so abgeleckt und sauber, daß Ihr in einem Theaterstücke, in welchem ein Westmann aufzutreten hätte, gleich auf der Bühne erscheinen könntet; aber unter hundert wirklichen Westmännern ist kaum einer, der so wie Ihr die Fährte zu lesen versteht. By god, ich dachte bisher, daß ich auch etwas leiste, aber an Euch komme ich nicht, Sir!«



»Und dennoch bin ich ein Bücherschreiber. Aber ich habe bereits früher diese alte Prairie von Norden nach Süden und von Osten bis nach dein entferntesten Westen durchmessen; daher kommt es, daß ich mich so leidlich auf Spuren verstehe.«



»Und Ihr wollt wirklich hinauf nach den Windriverbergen?«



»Allerdings.«



»Aber, Sir, wer das ausführen will, der muß bedeutend mehr sein als ein guter Spurenfinder, und da – nehmt mir es nicht übel – scheint es bei Euch zu hapern.«

 



»Inwiefern?«



»Wer einen so gefährlichen Weg vor sich hat, der läuft nicht so leichtsinnig in das Blaue hinein wie Ihr, sondern er sieht sich vor allen Dingen nach einem guten Pferde um. Verstanden?«



»Das werde ich noch tun.«



»Wo denn?«



»Nun, ein Pferd ist an jeder Station zu kaufen, und wäre es auch nur ein alter Karrengaul. Bin ich dann beritten, so hole ich mir schon aus irgend einer wilden Herde einen Mustang, der mir paßt.«



»Ihr? Ah! Seid Ihr ein solcher Reiter? Könnt Ihr einen Mustang bändigen? Wird es da oben Pferde geben?«



»Ihr vergeßt, daß grad jetzt die Jahreszeit ist, in welcher die Büffel und Mustangs nach Norden gehen. Ich bin sehr überzeugt, daß ich zwischen hier und den Tetons auf eine Herde treffen werde.«



»Hm! Also ein Reiter seid Ihr. Aber wie steht es denn mit dem Schießen?«



»Wollt Ihr mich etwa examinieren, Sir?« lachte ich.



»Einigermaßen,« nickte er sehr ernsthaft. »Ich habe nämlich eine Absicht dabei.«



»Darf man erfahren, welche?«



»Später. Erst müßt Ihr einmal schießen. Holt Euer Gewehr!«



Dieses kleine Intermezzo gab mir Spaß. Ich hätte dem Manne einfach sagen können, daß ich Old Shatterhand sei, zog aber vor, es zu verschweigen. Ich ging also zum Waggon, um die Decke zu holen, in welche meine Gewehre gewickelt waren. Man bemerkte dies, und sofort schlossen die Passagiere einen Kreis um uns Beide. Der Amerikaner und besonders der Bewohner des Westens läßt sicherlich keine Gelegenheit, ein Gewehr abschießen zu sehen, unbenutzt vorübergehen.



Ich schlug die Decke auseinander.



»Behold, ein Henrystutzen!« rief der Dicke. »Ein wirklicher, richtiger Henrystutzen! Wie viele Schüsse hat er, Sir?«



»Fünfundzwanzig.«



»Ah, das ist viel. Das ist eine fürchterliche Waffe in der Nähe. Mann, um dieses Gewehr beneide ich Euch!«



»Diese Büchse ist mir noch lieber.«



Bei diesen Worten nahm ich meinen schweren Bärentöter empor.



»Pshaw! Ein glattes, gut geputztes Schießeisen!« meinte der Dicke geringschätzig. »Ich lobe mir eine alte, rostige Kentuckybüchse oder meinen alten Schießprügel da!«



»Wollt Ihr Euch nicht einmal die Firma ansehen, Sir?« fragte ich ihn, indem ich ihm das Gewehr entgegenstreckte.



Er warf einen Blick auf die Gravierung und fuhr überrascht zurück.



»Verzeiht, Sir,« rief er; »das ist etwas ganz Anderes. Solche Büchsen gibt es nicht sehr viele mehr. Ich habe gehört, daß Old Shatterhand eine hat. Aber wie kommt denn Ihr zu einem solchen Meisterstücke? Oder ist der Stempel nachgemacht? Hm, ja, so wird es wohl sein, denn dieses Gewehr sieht nicht aus, als ob man schon viele Male daraus geschossen hätte!«



»Wir wollen es probieren. Gebt einmal an, was ich schießen soll, Sir!«



»Ladet erst neu!«



»Pah, das ist nicht notwendig. Die Schüsse stecken trocken.«



»Well, so schießt mir einmal mit dem Schrotlaufe den Vogel dort vom Busche!«



»Das ist zu weit!« meinte einer der Umstehenden.



»Wollen sehen!« bemerkte ich.



Ich langte nach der Schnur und setzte langsam und sehr bedächtig meinen Klemmer auf die Nase. Sofort brach der Dicke in ein lautes Gelächter aus.



»Hahahaha; eine Brille! Dieser deutsche Buchmacher kommt in diese alte Savanne, um mit dem Zwicker auf der Nase zu jagen! Hahahaha!«



Auch die Andern lachten; ich aber meinte sehr ernsthaft.



»Was lacht ihr, Mesch‘schurs? Wenn man dreißig Jahre lang über den Büchern sitzt, so leiden die Augen, und es ist besser, man tut mit der Brille einen guten Schuß, als ohne dieselbe einen schlechten!«



»Richtig, Sir,« lachte der Dicke. »Aber ich möchte Euch einmal sehen, wenn Ihr so recht unerwartet einmal von den Rothäuten überfallen würdet! Ehe Ihr den Klemmer geputzt und auf die Nase gebracht hättet, würdet Ihr zehnmal skalpiert sein. Seht, nicht einmal den Vogel könnt Ihr nun schießen, denn er ist bereits auf und davon geflogen!«



»So suchen wir ein anderes Ziel!« meinte ich ebenso kaltblütig wie vorher.



Der betreffende Vogel hatte in einer Entfernung von vielleicht zweihundert Schritten auf dem Busche gesessen; das wäre also ein sehr gewöhnlicher Schuß gewesen. Ich aber hatte hoch über uns eine Lerche trillern gehört und blickte jetzt nach oben.



»Seht ihr die Lerche da oben, Mesch‘schurs?« fragte ich. »Ich werde sie herunter holen.«



»Das ist ganz unmöglich!« rief der Dicke. »Laßt das sein, denn Ihr schießt doch nur ein Loch in die Luft. Das br